Moosthier (Alces americanus)

[116] Das Moosthier, »Moosedeer« der Amerikaner, oder das Orignal der Franzosen (Alces americanus, A. machlis, malchis und muswa, Cervus Orignal und lobotus), unterscheidet sich hauptsächlich durch tief eingeschnittene Geweihschaufeln mit gesonderten Augensprossen, durch die schwach behaarte Kehlwamme und die dunklere Färbung von seinem altweltlichen Verwandten. Noch heutigen Tages ist man über das Thier keineswegs im reinen, obgleich einige Forscher nicht bloß an den Fellen, sondern sogar an den geräucherten Keulen Unterschiede [116] auffinden wollten. Ich habe es lebend neben unserem europäischen Elche gesehen, bin jedoch nicht im Stande gewesen, erhebliche Unterschiede zwischen beiden Thieren herauszufinden, und glaube kaum, daß es sich als besondere Art aufstellen läßt. Die Geweihe des Moosthieres sind stärker und schwerer als die unserer Elche und erreichen selbst ein Gewicht von 30 bis 40 Kilogramm. Pennant fand einzelne, welche 75 Pfund wogen und dabei 32 Zoll Länge und 311/2 Zoll Breite hatten. Hamilton Smith gibt folgende Beschreibung: »Das Moosthier ist die größte Hirschart, denn es ist am Widerrist höher als ein Pferd. Wollte man den großartigen Eindruck, welchen dieses Thier auf seine Beschauer macht, leugnen, so müßte man nur ausgestopfte Weibchen oder Junge gesehen haben. Wir hatten Gelegenheit, Moosthierhirsche in der Pracht ihrer Entwickelung, mit vollendetem Geweih und in ihrer Wildheit zu sehen, und wir müssen gestehen, daß kein Thier einen ergreifendern Eindruck hervorzurufen vermag. Der Kopf mißt über zwei Fuß, hat aber ein plumpes Ansehen; das Auge ist verhältnismäßig klein und tiefliegend, die Ohren ähneln dem eines Esels und sind lang und behaart; die Geweihzacken vermehren sich bis zu achtundzwanzig«.

Gegenwärtig findet sich das Moosthier noch im Norden Amerikas, namentlich in Kanada, Neu-Braunschweig und an der Fundy-Bai. Kapitän Franklin fand es am Ausflusse des Mackenzie und östlich noch am Kupferminenflusse unter 65 Grad Nordbreite. Mackenzie traf es auch auf den Höhen des Felsgebirges und an den Quellen des Elkflusses. Das Moosthier wirft das Geweih später ab als das europäische Elch, gewöhnlich im Januar und Februar, in strengen Wintern aber erst im März. Die Aesung ist wahrscheinlich dieselbe wie die des Elches.

Die Wilden stellen dem Moosthiere eifrig nach und betreiben seine Jagd auf mannigfaltige Weise. Einer ihrer Hauptkniffe ist, das Wild ins Wasser zu treiben, wo sie ihm dann mit ihren Booten auf den Leib rücken und es ohne große Mühe todtschlagen können. Diese Leute behaupten, daß sie nach dem Genusse des Elchwildprets dreimal so weit reisen könnten, als wenn sie eine Mahlzeit von anderem Fleische genossen hätten. Aus den Geweihen fertigen sie große Löffel; die Haut benutzen sie zur Dichtung der Boote, in denen sie sich nach beendigter Jagd zurückschiffen. Einer ihrer Jagdplätze, die »Hirschhornwiese« am Missouri, hat Berühmtheit erlangt. Sie haben dort aus Moosthier- und Wapiti geweihen eine hohe Pyramide aufgethürmt oder wenigstens aufgethürmt gehabt; denn die Yankees werden die Geweihe inzwischen wohl besser benutzt haben. Junge Moosthiere können leicht gezähmt werden, lernen in wenigen Tagen ihren Wärter kennen und folgen ihm dann mit viel Vertrauen. Mit zunehmendem Alter aber werden sie auch wild, zornig und gefährlich. »Um Mitternacht«, erzählt Audubon, »wurden wir durch einen argen Lärm im Schuppen erweckt und fanden, daß sich unser frisch gefangenes Moosthier von seinem Schrecken erholt hatte und daran dachte, nun nach Hause zu gehen, zu seinem großen Aerger aber sich als Gefangener erkannte. Wir waren unfähig, etwas für das Thier zu thun; denn sobald wir nur eine unserer Hände bewegten oder durch eine Oeffnung in sein Gefängnis steckten, sprang es nach uns, mit der größten Wuth brüllend und dabei seine Mähne erhebend, in einer Weise, welche uns vollkommen überzeugte, daß es wohl schwer halten würde, es am Leben zu erhalten. Wir warfen ihm ein Hirschfell zu; aber dieses zerriß es in einem Augenblick in Stücke: kurz, es geberdete sich wie rasend. Dieses Thier war ein Jährling von ungefähr sechs Fuß Höhe.«


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 116-117.
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