Barasinga (Cervus Duvaucelii)

[147] Unter ihnen steht meiner Ansicht nach der Barasinga (Cervus Duvaucelii, C. Bahrainja und elaphoides, Rucervus Duvaucelii) oben an. Er wird als Vertreter einer besondern Untersippe, der Zackenhirsche (Rucervus) betrachtet, ist schlank gebaut und hoch gestellt, der Kopf verhältnismäßig kurz, nach der Muffel zu pyramidenförmig zugespitzt, das Gehör groß, namentlich auffallend breit, das Auge sehr groß und schön; die Läufe sind hoch, aber kräftig; der Wedel ist kurz, beträchtlich länger als bei unserem Edelwilde, aber nur etwa halb so lang als bei dem Damwilde. Das Geweih zeichnet sich durch Breite und wiederholte Verästelungen aus. Im ganzen betrachtet, hat es mit dem Schaufelgeweih des Elch einige Aehnlichkeit, obwohl von Schaufeln nicht gesprochen werden kann. Die Stangen biegen sich gleich von der Rose an zur Seite und oben, aber nur wenig nach hinten, senden hart über der Rose den sehr langen, kräftigen, nach vorn, oben und außen gerichteten Augensproß ab und zertheilen sich im letzten Drittheil ihrer Länge in [147] zwei fast gleichwerthige Aeste, welche sich wiederum zersprossen. Der hintere dieser Aeste, welcher als das Ende der Stange betrachtet werden darf, wird zur Krone; er zerfällt in den starken Endzacken, welcher fast gerade nach oben und hinten sich richtet, und in zwei unverhältnismäßig kurze Nebensprossen, welche nach rückwärts gekehrt sind. Der vordere Ast wendet sich nach außen, oben und vorn und verzweigt sich ebenfalls in ein einfach und doppelt getheiltes, d.h. wiederum sprossiges Ende, welches sich nach vorn, unten und innen kehrt. Der im vierten Jahre stehende Hirsch, nach welchem ich vorstehende Beschreibung entworfen habe, ist, weidmännisch bezeichnet, ein Vierzehnender. Die Behaarung ist reich und dicht, das einzelne Haar lang und ziemlich fein; die Decke erscheint aber struppig, weil die Haare nicht gleich lang sind. Das Gehör ist außen kurz und gleichmäßig, innen sehr lang und ungleichmäßig, fast zottig behaart. An der Wurzel ist das einzelne Leibeshaar dunkelgraubraun, hierauf goldigbraun, an der Spitze endlich etwa zwei Millimeter lang wieder dunkler. Die Gesammtfärbung erscheint im Sommer goldigrothbraun, geht aber nach unten hin durch Grau in Lichtgelb über, weil die Spitzen der Haare hier grau und bezüglich lichtgelb gefärbt sind. Ueber den Rücken verläuft ein breiter Streifen von dunkelbrauner Färbung, welcher auch den größten Theil des an der Spitze lichtgelben Wedels einnimmt und jederseits durch eine Reihe von kleinen goldgelben Flecken besonders gehoben wird. Der Kopf ist auf Stirn und Schnauzenrücken rothbraun, goldig gesprenkelt; Kopf und Schnauzenseiten sind grau, die Unterseite der Schnauze, Kehle und Kinn grauweiß. Hinter der nackten Muffel verläuft ein ziemlich breites, dunkelbraunes Band, welches auf der fast weißen Unterlippe noch angedeutet ist. Ein zweites, wenig bemerkbares Band, gewissermaßen die Fortsetzung der dunkeln Braue, verläuft, nach der Muffel zu ausgeschweift, von einem Auge zum andern. Eigenthümlich sind lange borstenartige Haare, welche, einzeln stehend, die Muffel und das Auge umgeben. Das Gehör ist bräunlich, auf der Außenseite dunkel gerandet, an der Wurzel hingegen gelblichweiß; dieselbe Färbung zeigen die Haare der Innenmuschel. Bauch und Innenschenkel sind gelblich, die Schienbeine der Vorderläufe braungrau, die Fußwurzeln lichtfahlgrau; an den Hinterläufen sind die Fesseln dunkler als die Schenkel. Die Schalen sind groß und können sehr breit gestellt werden.

Soviel bis jetzt bekannt, bewohnt dieses zierliche Thier ganz Hinderindien. Ob es vorzugsweise im Gebirge oder aber in der Ebene gefunden wird, ist mir nicht bekannt. Cuvier, der Entdecker, bestimmte es nach den Geweihstangen, welche ihm eingesandt wurden; viel später bekam man den Hirsch selbst im Balge und erst in der Neuzeit lebend zu Gesicht. Der Earl von Derby, welcher einen der am reichsten besetzten Thiergärten hielt, scheint zuerst lebende Barasingas besessen zu haben; später kamen solche Hirsche nach London, und gegenwärtig sieht man sie in mehreren Thiergärten, obgleich überall noch selten. Der vorstehend beschriebene Barasinga kam als Schmalspießer in Europa an, trug aber bereits ein Geweih, welches dem eines Edelgablers entsprach, da die Spieße schon einen Ansatz zur Theilung zeigten. Anfang Februar warf er ab und setzte hierauf ein Geweih von vierzehn Enden, jede Stange mit Augensproß und zwei ziemlich gleichmäßig entwickelten Gabeln an der Spitze. Das nächstfolgende Geweih unterschied sich nur durch größere Stärke, nicht durch die Endenzahl.

Ueber die Zeit der Brunst und die Geburt des Jungen ist mir bis jetzt noch nichts bekannt geworden; doch läßt sich nach dem Aufsetzen des Geweihes schließen, daß gerade dieser Hirsch mit unserem Edelwilde so ziemlich die gleiche Zeit halten mag. Nach meinen Beobachtungen an dem von mir gepflegten Gefangenen glaube ich, daß der Barasinga zur Einbürgerung bei uns sich eignen würde. Er scheint unser Klima vortrefflich zu vertragen und ist ein so anmuthiges Geschöpf, daß er jedem Parke oder Walde zur größten Zierde gereichen müßte. Seine Haltung ist stolz und etwas herausfordernd, sein Gang zierlich, jedoch gemessen, sein Betragen anscheinend lebendiger, ich möchte sagen muthwilliger, als das anderer Hirsche. Mein Gefangener war ein übermüthiger Gesell, welcher sich mit allem möglichen versuchte. Er stand mit seinem Wärter auf dem besten Fuße, hörte auf seinen Namen und kam gern herbei, wenn er gerufen wurde, nahm aber jede [148] Gelegenheit wahr, dem Manne, mehr aus Spiellust als im Ernste, einen Stoß beizubringen. Den neben ihm stehenden Hirschen trat er oft herausfordernd entgegen und begann dann selbst mit den stärksten durch das Gitter hindurch einen Zweikampf. Ein weißer Edelhirsch, ihm gegenüber ein Riese, wurde ohne Unterlaß von ihm geneckt, gefoppt und zum Kampfe herausgefordert, so daß ich ihn schließlich versetzen mußte, um den Barasinga nicht zu gefährden. Die Stimme des letztern ist ein ziemlich hoher, kurzer, blökender Ton, welcher dem Schrei einer geängstigten jungen Ziege sehr ähnelt, jedoch viel kürzer hervorgestoßen wird. Abweichend von anderen Hirschen schreit der Barasinga zu jeder Jahreszeit, gewissermaßen zu seiner Unterhaltung; er pflegt auch einen Anruf mit Regelmäßigkeit zu beantworten.


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Unter anderen indischen Hirschen verdient zunächst der Axis unsere Beachtung. Man hat auch ihn, wohl wegen seines unter den Hirschen allerdings vereinzelt dastehenden Fleckenkleides, in der Neuzeit zum Vertreter einer besondern Untersippe (Axis) erhoben; doch zeigt er im allgemeinen das Gepräge anderer Hirsche, welche das gleiche Vaterland mit ihm bewohnen. Dabei ist allerdings zu bemerken, daß sein Geweih mehr dem unseres sechsendigen Edelhirsches ähnelt als dem der übrigen indischen Hirsche, mit denen wir uns bald beschäftigen werden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 147-149.
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