Kropfantilope (Antilope gutturosa)

[201] Von dem Sassi unterscheidet sich die Kropfantilope, Dseren der Mongolen, Hoangjang der Chinesen (Antilope gutturosa, A. orientalis, Capra flava, Procapra gutturosa), durch ihre sehr kleinen Thränengruben sowie das Fehlen der Kniebüschel und gilt deshalb ebenfalls als Vertreter einer besondern Untersippe (Procapra). Sie ist merklich kleiner als der Damhirsch; der Bock, bei den Mongolen Onê genannt, 1,4 Meter lang, wovon der Kopf 42 Centim., der Schwanz 17 Centim. wegnimmt, an der Schulter 80, und am Kreuze 83 Centim. hoch, das Weibchen, Sergaktschin der mongolischen Steppenbewohner, dagegen nur 1,2 Meter lang und an der Schulter 74 Centim. hoch. Der Leib ist schlank, der Kopf kurz und dick, der Hals beim Männchen ausgezeichnet durch den sehr großen Kehlkopf, welcher in der Halsmitte wie ein Höcker hervortritt, und von dem aus eine schlaff behaarte Naht nach der Wamme verläuft, der Schwanz kurz, oben mit zottigen Haaren bedeckt, unten kahl; die Läufe sind schlank und sehr zierlich, die hinteren etwas höher als die vorderen, die Hufe dreieckig gewölbt, die Vorderknie glatt. Große, S-artig gebogene Nasenlöcher, die in der Mitte gefurchte Lippe, zerstreute Haare an dieser und an dem Kinne, nacktrandige Augenlieder und die auf dem Scheitel dicht beisammenstehenden, unten zusammengedrückten, langsam auseinanderlaufenden, in einem Bogen zurückgelegten, nach innen gebogen aufsteigenden, am Ende ausgespreizten, unten gestreiften, an der Spitze glatten, mit etwa zwanzig sehr vorragenden Ringrunzeln versehenen Hörner, welche nur der Bock trägt, die sehr kleinen, fast von Haaren verdeckten Thränengruben und die mäßig großen, spitzigen Ohren, welche innen drei undeutliche Rinnen haben, kennzeichnen das Thier noch anderweitig. Die Färbung unterscheidet sich je nach der Jahreszeit. Im Sommer sind Unterlippe, Kehle und Vordertheil der Oberlippe sowie die Gegend um den After, hier einen Spiegel bildend, reinweiß, die Kopfseiten hellisabell, Nasen-und Stirngegend blaß bräunlichgrau, Oberkopf, Nacken und obere Halsseiten ins Rothgelbe ziehend, [201] der ganze Oberkörper und die Seiten lebhaft isabellgelb, die unteren Halstheile bis zur Brust gelblichweiß, die Unterseite, gegen die gelben Seiten scharf abgesetzt, wie die inneren Schenkel bis zum Laufe weiß, die Füße vorn hellgelblich, hinten mehr weiß als gelb, die Hufe schwärzlich hornfarben. Das Haar ist auch im Sommer lang, meistens einfarbig, hier und da weiß zugespitzt. Der Winterpelz zeichnet sich, laut Radde, durch vorwaltende Helle auf der obern wie auf der untern Körperseite aus; das matte Braungrau des Nasenrückens erstreckt sich auch auf die vordere obere Wangengegend und unter den innern Augenwinkel. Das Haar des Rückens nimmt von vorn nach hinten an Länge zu, so daß es zwischen 3 bis 5 Centim. mißt, und steht so außerordentlich dicht, daß man keine Spur des Wollhaares bemerken kann. Die äußere Ohrfläche ist dicht bedeckt von blaßgelben Haaren, auf der Vorderseite der Vorderfüße verläuft von der Kniebeuge an ein nach unten hin dunkler und breiter werdender bräunlichgrauer Längsstreifen bis zu den Klauen.

Die Kropfantilope, über deren Lebensweise wir namentlich Pallas und Radde ausführliche Mittheilungen verdanken, bewohnt die mongolische Tatarei, die Steppen zwischen China und Tibet sowie Ostsibirien, hier vorzugsweise die hohe Gobi, hält sich also immer in offenen Gegenden auf. Laut Radde läßt sich auch bei ihr wie bei dem Dschiggetai und dem Argali ein allmähliches Zurückweichen nach Süden und Osten bemerken. Gegenwärtig gibt es nur noch zwei Oertlichkeiten in Daurien, wo das Thier auch während des Sommers bleibt und die Weibchen alljährlich noch Junge bringen. Die eine liegt östlich vom Dsün-Tarei, wohin nur selten die Hirten größere Schafherden treiben, und ist ein menschenleeres, ziemlich gebirgiges Land mit Salz- und einigen Süßwasserseen, ohne Wald- und Strauchbestände, auf weithin nur mit gelblichen Gräsern bedeckt, die andere von gleichem Gepräge findet sich nordwärts vom linken Argunjufer, da wo dieser Fluß in die russischen Besitzungen eintritt. Pallas beobachtete Kropfantilopen viel weiter westlich am obern Ononlaufe, wo sie gegenwärtig nicht mehr leben, und hier einzeln oder in kleinen Trupps zerstreut innerhalb ihres weiten, öden Gebietes, von den dürftigen Gräsern sich äsend und namentlich in der Nähe von Gewässern sich sammelnd. Sie sind überaus behend und im Springen so geschickt wie irgend eine andere Antilope, scheuen aber das Wasser und schwimmen nur im äußersten Nothfalle. Die Brunstzeit tritt anfangs December ein, und die Männchen kämpfen dann hitzig um die Weibchen. Die Jungen, in der Regel zwei, werden um die Mitte des Juni geboren, sollen nach Angabe der Mongolen drei Tage nach der Geburt noch ruhen, dann aber bereits so stark und kräftig sein, daß sie bei der Verfolgung nicht mehr hinter der Mutter zurückbleiben. Gegen den Spätherbst hin tritt die Kropfantilope weite Wanderungen an, welche ihren Grund wahrscheinlich darin haben, daß an einzelnen Orten ihres Verbreitungsgebietes, beispielsweise in der südlichen Gobi, fast gar kein Schnee mehr fällt, die wenigen Wasserbecken sich mit einer für die schwachen Hufe viel zu starken Eisdecke überlegen, und sie nun, vom heftigsten Durste gepeinigt, sich aufmachen müssen, um Wasser oder wenigstens Schnee zu suchen. Somit drängen sie sich in nördlicher Richtung nach den tieferen Ebenen hinab, wachsen zu immer größeren Herden an und erinnern schließlich durch ihre Menge an die wandernden südafrikanischen Springböcke und andere dortige Verwandte. »In wie großer Menge sie bisweilen erscheinen«, sagt Radde, »davon konnte ich mich im Oktober 1856 jenseit des Argunj auf mongolischer Seite überzeugen; denn hier waren ihre Spuren und ihr Mist so zahlreich, als ob tausende von Schafen gegangen seien. Wir konnten diese Antilopen damals nicht mehr einholen; sie waren, wie sich die Grenzkosaken auszudrücken pflegen, windige, d.h. unbeständige oder schnelle, und wanderten, getrieben vom Durste, rastlos ihres Weges fort.«

Im Sommer jagt man nach Angabe desselben Forschers die Kropfantilopen nur selten, weil ihrer dann immer nur wenige anzutreffen sind; desto eifriger aber verfolgt man sie auf ihren Wanderungen. Um zum Schusse zu kommen, werden verschiedene Jagdarten in Anwendung gebracht. So lange noch kein Schnee gefallen ist, kommen die Antilopen zur Mittagszeit in einzelnen Rudeln an die bereits zugefrorenen Süßwasserseen, deren dünne Eisdecke sie mit den Hufen durchstoßen, um zu trinken. Hierbei halten sie alltäglich dieselbe Stelle ein, so daß der Jäger in der Nähe[202] derselben sich auf den Anstand legen kann. Ueberrascht man sie auf dem Eise, so fallen sie leicht und können dann erschlagen werden. Die gewöhnliche Art, Kropfantilopen zu jagen, erfordert zwei Menschen, von denen der eine sie dem andern zutreibt. Der Jäger legt sich, sobald er das Wild in weiter Ferne oder an einem Abhange, wo es spielt, bemerkt hat, hinter einen Murmelthierhaufen platt auf den Leib, macht seine Büchse schußfertig, indem er sie zwischen den Gräsern auf eine kurze Gabel stellt, und faßt den berittenen Treiber, welcher unterdessen in weiten Bögen den Antilopen sich näherte, scharf ins Auge. Dieser Treiber nimmt alle bei Jagden ohnehin zu beobachtenden Umstände, als Oertlichkeit, Windrichtung etc. wahr und versucht, die Antilopen dem Jäger zuzutreiben. Während der Flucht reihen sich letztere in Linien, welche ebenso oft unter Führung eines Bockes wie unter Leitung eines alten Weibchens dahinziehen, bald im Schritte vorwärts schreitend, bald hastig eilend, bei heftigem Laufen zuweilen auch einen hellen, gellenden Schrei ausstoßend. Je nachdem die Entfernung zwischen Treiber und Jäger groß oder gering ist, hält jener sich näher oder ferner von den scheuen Thieren, bis diese endlich in Schußnähe an den Jäger herangekommen sind. Nunmehr macht der Treiber sie durch den nachgeahmten Ruf eines Raben oder das Heulen eines Wolfes stutzig, damit der Schütze sich bequemer sein Ziel wählen kann. Die Steppentungusen sind im Auffinden und Erlegen der Kropfantilopen besonders geschickt, und bei ihnen treiben selbst junge Mädchen die Thiere zum Schusse. Einzelne Jäger erlegen in günstigen Wintern gegen zweihundert dieser Antilopen, da die Thiere, wie schon bemerkt, zuweilen in so dichten Scharen gehen, daß der Schütze nur auf die Beine zu zielen braucht, um mit einer Kugel ihrer drei bis vier zum Sturze zu bringen. Zu Pallas Zeiten wurden große Treibjagden auf sie angestellt, bei denen eine erhebliche Anzahl von Reitern eine Herde einzuschließen und gleichzeitig nach einem Gewässer zuzutreiben suchte. Vor letzterem scheuen sie so, daß sie, anstatt schwimmend sich zu retten, lieber zwischen den Reitern durchrennen, denen sie dabei regelmäßig zur Beute werden.

Jung eingefangene Kropfantilopen werden ebenso zahm wie andere Verwandte. Pallas sah mehrere, welche ungescheut in das Zimmer kamen, und Radde vernahm von solchen, welche mit Schafen und Ziegen zusammen lebten und weideten, also frei umhergingen, ohne weiterer Aufsicht zu bedürfen.

Eine der lieblichsten Erscheinungen unter den Antilopen des innern Afrika ist der Pala oder Pallah, welcher nach dem Vorschlage Sundevalls ebenfalls als Vertreter einer besondern Untersippe, der Hochhornantilopen (Aepyceros) gelten darf. Die Kennzeichen der Gruppe liegen in dem über 50 Centim. langen, schlanken, winklig leierförmigen, von der Wurzel an schief nach außen und oben, über der Mitte durch einen Winkel wieder nach einwärts und hinten gebogenen, grobgeringelten, rauhen, an der Spitze glatten Gehörne des Bockes und einem am Sprunggelenke der Hinterfüße nach hinten sich richtenden langen, wolligen Haarbüschel, den langen, spitzigen Ohren und dem etwa 25 Centim. langen zugespitzten Schwanze; auch sind keine Afterklauen vorhanden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 201-203.
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