Gnu (Catoblepas Gnu)

[287] Das Gnu oder Wildebeest, d.h. Wildochse, der Ansiedler des Vorgebirges der Guten Hoffnung, Impatumo der Matabili (Catoblepas Gnu, Antilope und Bos Gnu, Bos connochaetes), erreicht eine Gesammtlänge von 2,8 Meter, einschließlich des Schwanzes, welcher ohne Haar 50 Centim., mit den Haaren aber 80 bis 90 Centim. mißt, bei 1,2 Meter Schulterhöhe. Die vorherrschende Färbung ist ein dunkles Graubraun, welches an manchen Stellen heller, an manchen dunkler erscheint und bald mehr ins Gelbe oder Röthliche, bald mehr ins Schwärzliche zieht; die Nackenmähne sieht weißlich aus, weil die Haare derselben an der Wurzel grauweiß, in der Mitte schwarz und an der Spitze röthlich sind; dagegen haben Brust- und Halsmähne, die Haarbüschel auf dem Nasenrücken und unter dem Auge braune, die Borstenhaare um die Augen, [287] die Schnurborsten, der Kinnbart und das Schweifhaar weißliche, die Haare der Schwanzruthe an der Wurzel graubraune und an der Spitze weißliche Färbung. Das Weibchen ist kleiner und sein Gehörn leichter, seine Färbung der des Männchens vollkommen gleich. Jung geborene Kälber haben noch kein Gehörn, aber schon die Hals-und Nackenmähne.

Das Gnu bewohnt Südafrika bis gegen den Gleicher hin. Früher im Kaplande häufig, sind diese Antilopen dort jetzt ausgerottet, so weit der Europäer vorgedrungen ist; im Lande der Hottentotten und Kaffern dagegen finden sie sich noch in zahlreicher Menge. Nach den Angaben glaubhafter Beobachter wandern sie alljährlich, nach der Meinung A. Smiths, wie die Vögel, aus angeborenem Wanderdrange, welcher sie zwingt, blindlings ihrem Geschicke entgegenzugehen, selbst wenn dieses ihr Verderben sein sollte, nach unserer Ansicht, wie die übrigen Antilopen, aus Mangel an Weide. Es sind höchst bewegliche, muthwillige Thiere, welche es meisterhaft verstehen, die weiten Ebenen zu beleben. »Unter allen Thieren«, sagt Harris, »erscheint das Gnu als das ungeschickteste und das absonderlichste, ebensowohl was sein äußeres Ansehen als was seine Sitten und Gewohnheiten anlangt. Die Natur hat es in einer ihrer Launen gestaltet, und es ist kaum möglich, seine ungeschickten Geberden ohne Lachen zu betrachten: nach allen Richtungen hin sich schwenkend und beugend, das zottige und bebartete Haupt zwischen die schlanken, muskelkräftigen Glieder herabgebogen, den langen, weißen Schwanz dem Winde preisgebend, macht dieses possenhafte und stets scheue Thier gleichzeitig einen ebenso wilden als lächerlichen Eindruck. Plötzlich steht es still, gibt sich den Anschein, als ob es sich vertheidigen wolle, und legt das bärtige Haupt zum Stoße zurecht: sein Auge scheint Blitze zu sprühen, und sein Grunzen, welches an das Brüllen des Löwen erinnert, erschallt mit Kraft und Ausdruck; dann plötzlich wieder peitscht es die Seiten mit dem langen Schwanze, springt, bäumt und dreht sich, fällt auf die Fesselgelenke nieder, erhebt sich und saust einen Augenblick später über die Ebene dahin, daß der Staub hinter ihm in Wolken aufwirbelt.« So lernt es jeder Reisende kennen, welcher das Innere Südafrikas betritt; denn es ist neugierig im höchsten Grade und nähert sich absichtlich jedem Gegenstande, welcher seine Aufmerksamkeit erregt, namentlich aber dem sich zeigenden Menschen. Gesellig, lebhaft und ungemein rastlos, weder an Wasser, noch an Gras, noch an Schatten gebunden, wandert es je nach der Jahreszeit von einem Platze zum anderen, und der Reisende begegnet deshalb ihm fast allerorten in großen Herden, regelmäßig in Gesellschaft des Quaggas und des Springbocks, welche mit ihm gemeinsame Verbände bilden. Eine solche Herde ist in ununterbrochener Bewegung, weil die Gnus kaum der Ruhe bedürfen und sich beständig in den tollsten Possen gefallen. Zuweilen geschieht es, daß der Reisende zwischen ihren Herden förmlich Spießruthen laufen muß, da sie mit neckischen Sprüngen, immer in einer gewissen Entfernung sich haltend, den Menschen umgehen und ihn gleichsam verhöhnen zu wollen scheinen.

Gordon Cumming erfuhr, daß das Wildebeest auch dann nicht den Platz verläßt, wenn es von einer größeren Anzahl von Jägern getrieben wird. In endlosen Ringen umherkreisend, die merkwürdigsten und sonderbarsten Sprünge ausführend, umlaufen die zottigen Herden dieser sonderbar und grimmig aussehenden Antilopen ihre Verfolger. Während diese auf sie zureiten, um diese oder jene zu erlegen, umkreisen sie rechts und links die anderen und stellen sich auf dem Platze auf, über welchen die Jäger wenige Minuten vorher hinwegritten. Einzeln und in kleinen Trupps von vier bis fünf Stück sieht man zuweilen die alten Wildebeestböcke in Zwischenräumen auf der Ebene einen ganzen Vormittag regungslos stehen und mit starren Blicken die Bewegungen des anderen Wildes betrachten, wobei sie fortwährend ein lautes, schnaubendes Geräusch und einen eigenthümlichen kurzen, scharfen Schneuzer von sich geben. Sobald sich ein Jäger ihnen naht, beginnen sie, ihre weißen Schwänze hin und her zu schleudern, springen dann hoch auf, bäumen sich und folgen einander in gewaltigen Sätzen mit der größten Schnelligkeit. Plötzlich machen sie Halt, und zuweilen fangen zwei dieser Stiere einen furchtbaren Kampf an. Mit vieler Kraft gegen einander rennend, stürzen sie auf die Kniee nieder, springen jählings wieder auf, rennen im Kreise [288] umher, wedeln auf höchst bewunderungswürdige Weise mit dem Schwanze und jagen, in eine Staubwolke gehüllt, über die Ebene.

Mehrere Reisende nennen das Gnu ein Bild unbegrenzter Freiheit und schreiben ihm Stärke und Muth im hohen Grade zu. Die Hottentotten und Kaffern erzählen viele Fabeln, und selbst Europäer lassen sich, wahrscheinlich durch die abenteuerliche Gestalt des Thieres bestochen, verleiten, die sonderbarsten Dinge von ihm zu berichten. So viel ist sicher, daß das Gnu in seinem Betragen ebensoviel räthselhaftes hat wie in seiner Gestalt. Die Bewegungen sind eigenthümlich. Das Gnu ist ein entschiedener Paßgänger und greift selbst im Galopp noch häufig mit beiden Füßen nach einer und derselben Seite aus. Alle seine Bewegungen sind rasch, muthwillig, wild und feurig. Dabei zeigt es eine Neck- und Spiellust wie kein anderer Wiederkäuer. Wenn es ernste Kämpfe gilt, beweisen die Böcke denselben Muth wie die Ziegen. Ihre Stimme ähnelt dem Rindergebrüll. Die holländischen Ansiedler übersetzen das eigenthümliche Geschrei jüngerer Thiere mit den Worten: »Nonja, gudtn avond« oder »Jungfrau, guten Abend!« und behaupten, oft vom Gnu getäuscht worden zu sein, so deutlich habe es in ihrer Sprache sie angeredet.

Die Sinne, zumal Gesicht, Geruch und Gehör, sind vortrefflich; die geistigen Fähigkeiten dagegen scheinen gering zu sein. Die Spiele haben mehr etwas verrücktes und tolles als etwas vorherbedachtes an sich. In der Gefangenschaft zeigt sich das Gnu oft unbändig und wild, unempfänglich gegen Schmeicheleien und gegen die Zähmung, aber auch ziemlich gleichgültig gegen den Verlust der Freiheit. Es kommt wohl an die Gitter seines Behälters heran, wenn man ihm etwas vorwirft, beweist sich aber keineswegs dankbar und geht ohne Wahl von einem Zuschauer zum anderen. Seine Haltung im ruhigen Zustande ist ganz die der Rinder; der Paßgang unterscheidet es aber sofort von diesen. Dabei bewegt es den Hinterfuß immer etwas eher als den vorderen. In Trab ist es nur schwer zu bringen, und wenn man ihm Gewalt anthun will, geräth es wohl in Zorn, ist aber nicht zu vermögen, weite Sätze zu machen.

Die weiblichen Gnus bringen in verschiedenen Monaten des Jahres ein Junges zur Welt, welches sich schon wenige Tage nach seiner Geburt in denselben Sprüngen und Possen gefällt wie seine Eltern, seiner geringen Größe halber aber noch drolliger erscheint als diese. Die Mutter liebt es mit warmer Zärtlichkeit und gibt sich seinetwegen ohne Bedenken Gefahren preis. Grausame Jäger reiten oft ein Kalb zu Boden, um die Mutter zu erbeuten, da diese sich ihrem gestürzten Kinde regelmäßig naht und nunmehr leicht eine Beute des Schützen wird.

Die Jagd des erwachsenen Gnu hat ihre Schwierigkeiten wegen der unglaublichen Schnelligkeit und Ausdauer des Thieres. Es wird behauptet, daß dieses wüthend auf den Jäger losrenne und ihn durch Stoßen und Schlagen mit den Vorderläufen zu tödten versuche, falls es zweifelt, in der Flucht Rettung zu finden. Verwundete sollen sich zuweilen, um ihren Qualen ein Ende zu machen, in Abgründe oder in das Wasser stürzen. Die Hottentotten gebrauchen vergiftete Pfeile, um es zu erlegen, die Kaffern lauern ihm hinter Büschen auf und schleudern ihm die Lanze oder den sicheren Pfeil durch das Herz. Gejagte Gnus zeigen eine auffallende Aehnlichkeit mit verfolgten wilden Rindern. Ihr Benehmen, wenn sie aufgestört werden, die Art und Weise, wie sie den Kopfaufwerfen, wie sie sich niederducken, wie sie ausschlagen, bevor sie fliehen, alles erinnert lebhaft an diese Wiederkäuer. Wie die Rinder, haben auch sie die eigenthümliche Gewohnheit, vor dem Rückzuge die Gegenstände ihrer Furcht zu betrachten. Deshalb fliehen, wie schon aus Cummings Berichten hervorgeht, die Wildebeeste selbst dann nicht, wenn das tödtliche Geschoß mehrere aus ihrer Mitte niedergestreckt hat. Es soll nicht selten geschehen, daß eine Herde Gnus einen Zug von Jägern herankommen läßt, ohne die Flucht zu ergreifen. Das Knallen der Gewehre versetzt sie freilich in großen Schrecken und bewegt sie zu den possenhaftesten Sprüngen.

Nur zufällig fängt man ein Gnu in Fallgruben oder in Schlingen. Alteingefangene geberden sich wie toll und unsinnig, Junge dagegen werden, wenn man sie mit Kuhmilch aufzieht und sich viel mit ihnen abgibt, bald so zahm, daß man sie mit den Herden auf die Weide gehen lassen und [289] ihnen alle Freiheiten eines Hausthieres gewähren kann. Da die Bauern jedoch glauben, daß solche Junge zu Hautkrankheiten neigen und ihre Hausthiere anstecken könnten, befassen sie sich nur selten mit der Aufzucht junger Gnus, und diese gelangen daher auch nicht eben oft lebend in unsere Thiergärten.

Der Nutzen des erlegten Gnus ist derselbe, welchen andere Wildarten Afrikas bringen. Man ißt das Fleisch seiner Saftigkeit und Zartheit halber, benutzt die Haut zu allerlei Lederwerk und verfertigt aus den Hörnern Messerhefte und andere Gegenstände.


Streifengnu (Catoblepas taurinus). 1/20 natürl. Größe.
Streifengnu (Catoblepas taurinus). 1/20 natürl. Größe.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 287-290.
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