Mammuth (Elephas primigenius)

[466] Die Grabstätten der ausgestorbenen Rüsselthiere, insbesondere des Mammont oder Mammuth (Elephas primigenius), welche ich im Sinne habe, liegen im Lande der Ostjaken, Tungusen, Samojeden und Buräten, in der Nachbarschaft der Flüsse Ob, Jenissei und Lena, zwischen dem 58. Grade nördlicher Breite und dem Eismeere. Beim Aufthauen sandiger Strecken geschieht es, daß Haufen ungeheurer Zähne zum Vorschein kommen, zwischen denen Massen von großen Knochen zerstreut liegen. Manchmal sitzen die Zähne noch fest in den Kiefern; ja, man hat solche gefunden, welche noch mit Fleisch, mit Haut und Haar umgeben, welche noch blutig waren. »Die Einwohner nennen das Thier Mammont und sagen, es sei ungeheuer groß, drei bis vier Meter hoch, habe einen langen und breiten Kopf und Füße wie die des Bären; es lebe und hause unter der Erde, ziehe den gewaltigen Kopf bei seinen unterirdischen Wanderungen bald zurück und strecke ihn bald wieder vor, hierdurch die Wege sich bahnend, welche es mit den Zähnen gebrochen; es suche seine Nahrung im Schlamme, müsse aber sterben, wenn es auf Sandboden gerathe, weil es aus diesem die Füße nicht mehr herausziehen könne, verende auch, so bald es an die Luft komme.« So schreibt Ides, welcher auf einer Gesandtschaftsreise nach China im Jahre 1692 von den Knochenlagern sprechen hörte. Pallas gibt Ende des vorigen Jahrhunderts umständliche Berichte von diesen Knochen; den größten Fund aber machte der Reisende Adams am Ausflusse der Lena. Er hatte erfahren, daß man einen Mammont mit Haut und Haar gefunden habe, begab sich deshalb sofort auf die Wanderung, um diese kostbaren Ueberbleibsel zu retten, verband sich mit dem Häuptling der Tungusen, welcher das Thier entdeckt hatte, und reiste auf Renthierschlitten an Ort und Stelle. Der Tunguse hatte das Thier eigentlich schon im Jahre 1799 aufgefunden, von der Ausbeutung desselben jedoch abgesehen, weil einige alte Leute erzählten, daß ihre [466] Väter auf derselben Halbinsel einmal ein ähnliches Ungeheuer entdeckt hätten, welches das Verderben über die ganze Familie des Entdeckers gebracht habe, indem diese ausgestorben sei. Diese Nachricht erschreckte den Tungusen so, daß er krank wurde; die ungeheuren Stoßzähne des Thieres aber reizten seine Habsucht, und er beschloß, sich derselben zu bemächtigen. Im März 1804 sägte er beide Zähne ab und vertauschte sie gegen Waaren von geringem Werthe.

Als Adams zwei Jahre später seine Untersuchungsreise ausführte, traf er das Thier zwar noch auf derselben Stelle, aber sehr verstümmelt. Die Jakuten hatten das Fleisch abgerissen und ihre Hunde damit gefüttert; Eisbären, Wölfe, Vielfraße und Füchse von dem Vorweltsthiere sich genährt. Nur das Geripp, mit Ausnahme eines Vorderfußes, war noch vorhanden. In dem mit einer trockenen Haut bedeckten Kopfe waren die Augen und das Hirn sowie ein mit borstenartigem Haar bedecktes Ohr noch gut erhalten. An den Füßen konnte man noch die Sohlen erkennen; auch von der Leibeshaut war noch Dreiviertel übrig. Sie erschien dunkelgrau; die Wollhaare auf ihr waren röthlich, die Borsten dazwischen schwarz und dicker als Roßhaare. Die längsten Haare, welche Adams sah, standen auf dem Halse und maßen siebzig Centimeter. Aber auch den übrigen Körper deckte ein dichtes Kleid, ein deutlicher Beweis, daß das Mammont für das Leben in kalten Gegenden ausgerüstet war. Die Stoßzähne dieses vorweltlichen Elefanten sind viel mehr gekrümmt und daher auch weit länger als bei den lebenden: es gibt solche, welche Dreiviertel eines Kreises vorstellen; Adams hat einen gesehen, welcher gegen sieben Meter lang war.

Adams sammelte, was er zusammenbringen konnte. Zehn Leute waren kaum im Stande, die abgeschälte Haut von der Stelle zu bringen; die auf dem Boden zusammengelesenen Haare wogen mehr als siebzehn Kilogramm. Dies alles wurde nach Petersburg geschickt, und wenn auch auf dem langen Wege von zwölfhundert Meilen die kostbaren Schätze so litten, daß an der Haut selbst kein Haar mehr zu sehen ist, so steht doch die Thatsache, Dank der Untersuchung und Bemühung des wackeren Reisenden, unzweifelhaft fest.

Der Fund dieses Thieres hat die Gelehrten lebhaft beschäftigt, insbesondere auch deshalb, weil man sich den plötzlichen Untergang des lebenden in jenen Gegenden nicht gut erklären konnte. Einige schieben die stattgefundene Umwälzung, welche übrigens ebenso durch aufgefundene Pflanzenreste bestätigt wird, einer plötzlich erfolgten Axendrehung der Erde zu; andere sind geneigt, an eine große Sintflut zu glauben, welche Sibirien überschwemmte; andere endlich behaupten, daß das Mammont in einem gemäßigten Gürtel Sibiriens gelebt und sich von Nadelhölzern ernährt habe, sein Leichnam aber durch die Fluten der Flüsse an die heutigen Fundstellen geschwemmt worden seien.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 466-467.
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