Taguan (Pteromys Petaurista)

[279] Der Taguan (Pteromys Petaurista, Sciurus Petaurista), das größte Mitglied der ganzen Familie, kommt in seinen Körperverhältnissen einer Hauskatze fast gleich; seine Leibeslänge beträgt 60 Centim., die des Schwanzes 55 Centim. und die Höhe am Widerrist 20 Centim. Der Leib ist gestreckt, der Hals kurz, der Kopf verhältnismäßig klein und die Schnauze zugespitzt. Die Ohren sind kurz und breit, aufrechtstehend und oft in eine Spitze auslaufend, die weit vortretenden Augen groß. Die hinteren Beine sind deutlich länger als die vorderen; jene haben fünf, diese vier Zehen, welche, die mit plattem Nagel bekleidete Daumenwarze ausgenommen, kurze, krumme und spitzige Krallen tragen. Die Flatterhaut beginnt an den Vorderbeinen, zieht sich an den Seiten des Leibes hinab und heftet sich an den Hinterbeinen an, von wo aus sie sich noch in einer kleinen Hautfalte[279] gegen den Schwanz hin verlängert. In der Ruhe wird sie an den Leib angezogen und tritt bloß da lappenähnlich vor, wo sie durch den spornartigen Knochen an der Handwurzel gestützt wird. Der lange und schlaffe Schwanz ist sehr dick und buschig behaart, der Pelz auf dem Körper und den Gliedmaßen dicht, kurz und anliegend, auf der Rückenseite rauher als auf der Unterseite und am Schwanze; die Flatterhaut erscheint wegen der kurzen, feinen Härchen an ihrem Rande wie mit Fransen besetzt. Hinter den Ohren verlängern sich einzelne Haare zu einem Busche, und auf der Wange befindet sich eine mit Borsten besetzte Warze. Die Schnurrhaare sind mäßig lang, aber steif. Wie bei allen nächtlich lebenden Thieren stehen einige dieser Fühlhörner über den Augen, um das wichtige Sinneswerkzeug zu schützen. Auf der Oberseite des Kopfes, dem Rücken und an der Schwanzwurzel wird die Färbung des Pelzes, ein Gemisch von Grau und Schwarz, dadurch hervorgebracht, daß einzelne Haare ganz schwarz, andere an der Spitze weißgrau aussehen; die Seiten des Kopfes und der Streifen, welcher sich vom Nacken gegen die Vorderbeine zieht, sind entweder ebenso gefärbt wie die Oberseite oder röthlichkastanienbraun; das Gesicht ist vorn schwarz, das Ohr hellbraun, und der Hauptbusch hinter demselben dunkelbraun. Auf der ganzen Unterseite hat der Pelz eine schmuzig weißgraue Färbung, welche in der Mitte des Leibes etwas heller wird. Die Flatterhaut ist oben schwarzbraun bis kastanienbraun, lichtaschgrau gerandet, unterseits grau, etwas ins Gelbliche fallend. Die Beine sind röthlichkastanienbraun oder röthlichschwarz; der Schwanz ist schwarz.

Das Festland von Ostindien, und zwar Malabar und Malakka sowie Siam, sind die ausschließliche Heimat des Taguans; denn die auf den Sundainseln vorkommenden Flugeichhörner gelten als ihm zwar sehr verwandte, aber doch hinreichend unterschiedene Arten. Der Taguan lebt nur in den dichtesten Wäldern und beständig auf Bäumen, einzeln oder paarweise mit seinem Weibchen. Bei Tage schläft er in hohlen Bäumen, nachts kommt er hervor und klettert und springt mit außerordentlicher Schnelligkeit, Gewandtheit und Sicherheit in den Baumkronen umher oder in sehr weiten Sätzen nach benachbarten Bäumen, immer von oben nach unten. Dabei breitet er seine Füße wagerecht und spannt hierdurch die Flatterhaut zu einem weiten Fallschirme aus. Der Schwanz wird als Steuerruder benutzt und befähigt das Thier, durch plötzliches Wenden die Richtung seines Fluges mitten im Sprunge zu verändern. Man versichert, daß die Schnelligkeit seiner Sprünge wie überhaupt seiner Bewegungen außerordentlich groß sei, so daß ihnen das Auge kaum folgen könne. Unter seinen Sinnen sind Gehör und Gesicht ziemlich ausgebildet, die übrigen aber weit unvollkommener entwickelt. In seinem geistigen Wesen unterscheidet er sich wesentlich von den eigentlichen Eichhörnchen. Er hat weit weniger Verstand und ist noch viel furchtsamer und scheuer als seine den Tag liebenden Verwandten. Das geringste Geräusch erfüllt ihn mit Entsetzen und bewegt ihn zur eiligsten Flucht. Infolge dieser Vorsicht und Scheu sichert er sich so ziemlich vor den Angriffen der kletternden Raubthiere seiner Klasse; den größeren Eulen aber mag er oft genug zum Opfer fallen: sie fangen ihn, trotz seines raschen Fluges, mitten im Sprunge, und ihnen gegenüber ist das verhältnismäßig schwache Thier wehrlos.

Bei der Seltenheit des Taguan fehlen genaue Beobachtungen über sein Leben. Die wenigsten Reisenden thun seiner Erwähnung, und auch die Eingeborenen wissen nur sehr kärglich über ihn zu berichten. Von einer verwandten, in China lebenden Art erzählt Swinhoe. Kamphersammler hatten auf einem hohen, alten Baume ein großes Nest bemerkt und den Baum gefällt. Beim Niederstürzen wurde das Nest weggeschleudert, und zwei große Flugeichhörnchen sprangen heraus, um auf einem benachbarten Baume Zuflucht zu suchen. In dem umfangreichen, gegen einen Meter im Durchmesser haltenden, aus dürren Zweigen errichteten, mit Gras ausgefütterten und mit einem seitlichen Eingange versehenen Neste fanden die Leute ein lebendes Junges und bemächtigten sich seiner. Auf das Schreien desselben kam die Mutter herbei und wurde erlegt, während das zweite alte Flughörnchen, wohl das Männchen, nachdem es das Geschick seines Genossen gesehen, flüchtete und sich nicht nahe kommen ließ, vielmehr von einem Zweige zum anderen sprang und schwebte [280] und endlich im tiefen Walde verschwand. Aus dem Leibe des getödteten Weibchens bereiteten sich die Leute eine nach ihrer Ansicht äußerst schmackhafte Mahlzeit. Das Junge, welches wie ein Meerschweinchen quiekte, wurde Swinhoe gebracht und von ihm mit Milch genährt, saugte diese auch begierig auf, ging jedoch ein, noch ehe es seine Augen geöffnet hatte. Später erhielt Swinhoe auch ein altes lebendes Männchen, hielt es einige Zeitlang im Käfige und ernährte es mit Früchten. Es war ein überaus wüthendes Geschöpf, welches jede Annäherung mit scharfen und ärgerlichen Schreien von sich zu weisen suchte, dabei in eine Ecke des Käfigs sich zurückzog und mit grimmigen Blicken boshaft nach der Hand des Pflegers fuhr, sobald dieser in seine Nähe kam. Die rundsternigen dunklen Augen hatten einen grünlichen Schein und ließen es sofort als Nachtthier erkennen. Auch der gefangene Taguan wird als ein langweiliges wenig versprechendes Geschöpf geschildert. Er fordert eine sorgfältige Pflege, schläft bei Tage und lärmt bei Nacht um so ärger in seinem Käfige umher, zernagt alles Holzwerk, welches ihm den Ausgang hindert, bleibt immer scheu und geht meist nach wenigen Tagen oder Wochen zu Grunde, selbst wenn man ihm soviel als möglich passende Nahrung reicht.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 279-281.
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