Erneb (Lepus aethiopicus)

[475] Die afrikanischen Hasen zeichnen sich sämmtlich vor den unserigen durch ihre geringe Größe und zumal durch die ungemein langen Löffel aus. Daß der Wüstenhase rein sandfarbig aussieht, [475] wird uns nicht mehr befremden, um so auffallender aber ist es, daß dieser Sandhase auch wirklich nur in der reinen Wüste und deren nächster Nachbarschaft vorkommt, während die Ostküste Afrikas z.B. eine andere, der unsrigen gleichgefärbte, aber langohrige Art beherbergt. Diesen Hasen, den Erneb der Araber (Lepus aethiopicus), habe ich auf meiner kurzen Reise im Frühjahre 1862 ebenso häufig in der tiefliegenden Samhara als auf den Hochebenen der Bogosländer gefunden und als ein ganz eigenthümliches, dummdreistes, albernes Geschöpf kennen gelernt. Es dient zur Kennzeichnung der ganzen Familie, wenn ich namentlich einer seiner Eigenschaften hier Erwähnung thue, welche so recht deutlich beweist, daß der Hase eigentlich nur durch den Menschen zu dem geworden ist, was er ist.

Die Gebirgs- und Küstenbewohner Abessiniens, obgleich sie zum Theil Mohammedaner und zum Theil Christen sind, halten die mosaischen Gesetze noch hoch in Ehren und verachten daher auch das Wildpret des Hasen. Unser Thier wird somit von Seiten des Menschen nicht im geringsten belästigt und hat in diesem den Erzfeind aller Geschöpfe bis heutigen Tages noch nicht kennen gelernt. Nur hiermit kann ich mir die erwähnte Dummdreistigkeit des langlöffeligen und langläufigen Gesellen erklären. Fernab von den Orten, wo weniger bedenkliche Europäer wohnen, ist der Hase überall außerordentlich häufig. Zuweilen springen vier, sechs, acht Stück zu gleich vor dem Jäger auf. Im Lager, mit dessen Anfertigung der Erneb sich keine Mühe gibt, gewahrt man ihn, Dank seiner Gleichfarbigkeit mit dem Boden, nur sehr selten; er steht auch immer ziemlich früh auf, weil er, wenn ein Geräusch ihn aus dem Schlafe schreckt, sich erst über dasselbe Gewißheit verschaffen will. Gewahrt er nun bloß einen herankommenden Menschen, so beeilt er sich nicht im geringsten wegzukommen, sondern läuft ganz gemächlich und langsam weiter, dem ersten besten Busche zu, setzt sich unter demselben in der bekannten Stellung nieder und richtet einfach seine Löffel nach der bedenklichen Gegend hin. Die Büsche, welche die ihm sehr beliebten Ebenen bedecken, sind so dürftig, so licht, so durchsichtig, daß man ihn auf hundert Schritte Entfernung immer noch sehen kann; gleichwohl scheint er der Ueberzeugung zu sein, daß er einen vollkommen genügenden Zufluchtsort unter dem dünnen Gezweige gefunden habe. Er läßt einen sorglos bis auf dreißig Schritte herankommen, geht dann weiter und wieder nach einem Busche zu, wo er genau dasselbe wiederholt wie vorhin. So kann man ihn, wenn man sonst Lust hat, halbe Stunden lang in der Ebene umherjagen. Nicht einmal nach einem Fehlschusse verändert er sein Wesen; er flüchtet zwar etwas schneller dahin und geht wohl auch etwas weiter: aber trotz des erschreckenden Knalles und des unzweifelhaft vernommenen Pfeifens der Schrotkörner schaut er nach einer Rast von einigen Minuten dem Schützen von neuem so widerwärtig zudringlich in das Rohr als früher. Wenn man nicht auf ihn schießt, kann man ihn aus demselben Busche tagelang nach einander herausjagen; denn man wird ihn immer und immer wieder an dem einmal von ihm gewählten Orte finden.

Es läßt sich nicht beschreiben, wie langweilig und abstoßend die Jagd dieses Hasen für einen Jäger ist, welcher früher mit dem nordischen Vetter zu thun gehabt hat. Man wird angewidert von dem albernen Gesellen und schämt sich förmlich, einem so dummen Narren auf das Fell zu brennen.

Ganz anders verhält sich die Sache, wenn ein Hund, und wie man hieraus mit Recht schließen kann, ein Fuchs, Schakal oder Wolf den Erneb aufscheucht. Er weiß sehr genau, daß eine kurze Flucht oder ein Verbergen unter dem Busche ihn nicht retten kann und gebraucht seine Läufe genau mit derselben Ausdauer wie Freund Lampe. Dank seiner Behendigkeit entkommt er auch meistens dem vierbeinigen Jäger; dafür lauert freilich in der Höhe ein gar schlimmer Feind, der Raubadler nämlich, welcher nur auf solche Gelegenheit wartet, um auf den über eine kahle Fläche wegeilenden und somit einige Augenblicke lang unbeschützten Nager herabzustoßen. Er nimmt ihn ohne weiteres vom Boden auf und erdrosselt den ihm gegenüber Wehrlosen, noch ehe dieser recht weiß, was ihm geschieht, in seinen gewaltigen Fängen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 475-476.
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