1. Sippe: Löwen (Leo)

[354] Die Löwen (Leo) sind leicht von sämmtlichen übrigen Katzen zu unterscheiden. Ihre Hauptkennzeichen liegen in dem stark gebauten, kräftigen Leibe mit der kurzen, glatt anliegenden, einfarbigen Behaarung, in dem breiten, kleinäugigen Gesichte, in dem Herrschermantel, welcher sich um ihre Schultern schlägt, und in der Quaste, welche ihre Schwanzspitze ziert. Beim Vergleiche mit anderen Katzen erscheint der Rumpf der Löwen kurz, der Bauch eingezogen, und der ganze Körper deshalb sehr kräftig, nicht aber plump. An der Spitze des Schwanzes, in der Quaste verborgen, steckt ein horniger Nagel, den schon Aristoteles beachtete, aber viele der neueren Naturforscher leugneten. Die Augen sind klein und haben einen runden Stern, die Schnurren ordnen sich in sechs bis acht Reihen. Vor allem ist es die Mähne, welche die männlichen Löwen auszeichnet und ihnen das stolze, königliche Ansehen verleiht.


»Ein Königsmantel, dicht und schön,

Umwallt des Löwen Brust und Mähn',

Eine Königskrone wunderbar,

Sträubt sich der Stirne straffes Haar.«


Diese Mähne bekleidet in vollster Ausbildung den Hals und die Vorderbrust, ändert aber so verschieden ab, daß man aus ihr allein die Heimat des Löwen erkennen kann, und daß man nach ihr, ob mit Recht oder Unrecht bleibe dahingestellt, mehrere Arten des Thieres unterschieden hat. So ist sie beim persischen Löwen lang, aus schwarzen und braunen Haaren zusammengesetzt, bei dem Löwen von Guzerate aber nur aus kurzen, dünnen, gekrümmten Haaren gebildet, bei diesem einfarbig, bei jenem gemischt. Ich will die verschiedenen Formen des Löwen weiter unten kurz beschreiben und darf es dann jedem meiner Leser überlassen, sich selbst ein Urtheil zu bilden: einstweilen wenden wir unsere Aufmerksamkeit der stolzesten und königlichsten Art, dem Löwen der Berberei, zu; denn er ist es, welcher seit den ältesten Zeiten seines Muthes, seiner Kühnheit und Kraft, Tapferkeit und Stärke, seines Heldensinnes, Adels und seiner Großmuth, seines Ernstes [354] und seiner Ruhe halber bekannt geworden ist und den Namen König der Thiere erhalten hat. Er ist in der That das stärkste, muthigste und berühmteste aller Raubthiere, die gewaltigste Katze, der gefährlichste und wildeste aller übrigen Löwen. Kraft, Selbstvertrauen, kühler, sicherer Muth und Siegesgewißheit im Kampfe spiegeln sich in seinem Aussehen. Hoch aufgerichtet ist der Rumpf, noch höher gehalten der Kopf, majestätisch sein Blick, würdevoll, achtunggebietend seine Haltung. Alles an ihm zeugt von Adel; jede Bewegung erscheint gemessen und würdig; Körper und Geist stehen im vollsten Einklange.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CCCLIV354-CCCLV355.
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