Wüstenluchs (Lynx caracal)

[488] Ebenso wie den Tschaus hat man den Wüstenluchs oder Karakal (Lynx caracal, Felis caracal, Caracal melanotis), ein schönes Thier von 65 Centim. Leibes- und 25 Centim. Schwanzlänge, unter dem Namen Caracal zum Vertreter einer besonderen Sippe erhoben. Ihn unterscheiden von anderen Luchsen die schlanke Gestalt, die hohen Läufe, die langen, schmalen, zugespitzten Ohren, welche wie bei den nordischen Arten der Sippe starke Pinsel tragen, und das enganliegende Wüstenkleid: alle diese Unterschiede erscheinen jedoch zu unbedeutend, als daß sie zu solch einer Trennung berechtigen könnten. Bei Berücksichtigung der klimatischen und örtlichen Verhältnisse, unter denen der Karakal lebt, muß er uns, wenn ich so sagen darf, sofort begreiflich erscheinen. Er ist ein echtes Kind der Steppe oder Wüste, und als solches auf das zweckmäßigste ausgerüstet. Seine Gestalt ist schmächtiger, namentlich schlanker als die seiner nordischen Verwandten, seine Läufe sind höher, befähigen ihn also zu besonderer Schnelligkeit und Ausdauer im Laufen, die Lauscher verhältnismäßig größer und für Beherrschung weiterer Strecken geeignet, die Färbung endlich ist die eines Wüstenkleides, d.h. ein dunkleres oder helleres Fahlgelb ohne Flecken, welches nur an der Kehle und am Bauche ins Weißliche zieht und auf der Oberlippe durch einen großen schwarzen Fleck sowie durch einen schwarzen Streifen, welcher sich vom Nasenrande zum Auge zieht, und die schwarzen Ohren unterbrochen wird. Je nach der Gegend, aus welcher der Karakal kommt, dunkelt oder lichtet sich seine Färbung, wahrscheinlich im Einklange mit der Farbe des Bodens, sodaß man vom Isabellgelb an bis zu Braunroth alle Schattirungen des Wüstenkleides an ihm wahrnehmen kann. Dieselbe Gleichfarbigkeit mit der Umgebung, welche ein Thier vorzugsweise bewohnt, spricht sich bei allen Katzen sehr deutlich aus, und so auch bei dem Karakal. Die nordischen Luchse, welche vorzugsweise Wälder bewohnen, tragen ein Baum- und Felsenkleid, d.h. ihre allgemeine Färbung ähnelt jener der Stämme und Aeste sowie jener der grauen Felswände des Nordens. Der Karakal ist nur in der Kindheit gefleckt, später aber ganz ungefleckt, und eine derartige Gleichfarbigkeit steht wiederum im vollständigen Einklange mit den Eigenthümlichkeiten seines Wohnkreises; denn ein geflecktes Thier, welches auf dem einfarbigen Sandboden der Wüste dahin schleicht, würde in der hellen Nacht gerade durch seine Fleckenzeichnung leichter sichtbar werden, als durch jenes einfarbige Gewand.

Der Verbreitungkreis des Karakal ist auffallend groß. Er bewohnt ganz Afrika, Vorderasien und Indien und zwar die Wüsten ebenso wohl wie die Steppen, soll aber Waldungen gänzlich meiden. Ueber sein Freileben wissen wir noch sehr wenig; Beobachtungen von Europäern liegen, meines Wissens wenigstens, hierüber nicht vor. Thevenot erzählt, daß man den Karakal nur in denjenigen Ländern finde, in denen auch der Löwe vorkomme, da er nicht allein Führer, sondern auch Kundschafter des letzteren sei, für ihn Beute aufsuche und von der durch den Löwen erlegten seinen Antheil erhalte; Sparrmann will in Erfahrung gebracht haben, daß er bei Tage in [488] Rudeln auf größere Thiere Jagd mache und des Nachts Vögeln nachschleiche: der einen wie der anderen Angabe mangelt jedoch jede Begründung. Nach der Versicherung der von mir befragten Steppenbewohner Südnubiens, von denen ich erlegte Karakals erhielt, lebt unser Wüstenluchs, ihre »Khut el Chala« oder Katze der Einöde, einzeln und begnügt sich in der Regel mit der Jagd kleiner Wüstensäugethiere und Wüstenvögel, lauert jedoch auch kleineren Antilopen auf und weiß diese ohne sonderliche Anstrengung durch Zerbeißen ihrer Halsschlagadern zu bewältigen; nach Angabe Tristrams ist er in den Oasen der nördlichen Sahara ein unwillkommener Besucher der Hühnerställe und raubt und mordet hier unter Umständen in verheerender Weise. Er gilt in den Augen aller Jäger Ostsudâns als ein äußerst bösartiges Geschöpf und wird deshalb, wenn auch nicht gefürchtet, so doch mit Vorsicht behandelt. An gefangenen gemachte Wahrnehmungen widersprechen der Ansicht der Araber in keiner Weise; denn der Karakal scheint, im Verhältnis zu seiner Größe, das wüthendste und unbändigste Mitglied der ganzen Familie zu sein. Ich habe ihn öfters in Gefangenschaft gesehen und gepflegt, niemals aber von seiner liebenswürdigen Seite kennen gelernt. Man braucht sich bloß dem Käfige zu nähern, in welchem er scheinbar ruhig liegt, um seinen ganzen Zorn rege zu machen. Ungestüm springt er auf und fährt fauchend auf den Beschauer los, als ob er ihn mit seinen scharfen Tatzen zerreißen wolle, oder aber legt sich in die hinterste Ecke seines Kerkers auf den Boden nieder, drückt seine langen Lauscher platt auf den Schädel, zieht die Lippen zurück und faucht und knurrt ohne Ende. Dabei schauen die blitzenden Augen so boshaft wüthend den Beschauer an, daß man es den Alten nicht verdenken kann, wenn sie diesen Augen geradezu Zauberkräfte beilegten. In keinem einzigen Thiergarten hat es bis jetzt gelingen wollen, das wüthende Geschöpf zu zähmen; man hat es kaum dahin gebracht, daß es einem Wärter erlaubt hätte, in seinen Käfig zu treten. Einem gefangenen Karakal setzte man einen starken, bissigen Hund in sein Gefängnis. Jener fiel den ihm Furcht einflößenden Gegner ohne Besinnen an, biß ihn unter fürchterlichem Fauchen und Geschrei, trotz der muthvollsten und kräftigsten Vertheidigung des Hundes, nach kurzem Kampfe nieder und riß ihm die Brust auf. Ungeachtet solcher Schandthaten und aller Bösartigkeit seines Wesens ist der Karakal der Zähmung nicht unzugänglich. Ob die alten Egypter, welche ihn sehr wohl gekannt, auf ihren Denkmälern vortrefflich dargestellt und ebenfalls einbalsamirt haben, ihn zähmten, bleibt fraglich; aus verschiedenen Berichten älterer Reisender dagegen scheint hervorzugehen, daß die Asiaten von Alters her neben dem Gepard auch den Karakal zur Jagd abrichten. »Der künig der Tartaren sol heimische Löuwparden vend Lüchß haben, welche er zu dem gejegt braucht«, bemerkt der alte Geßner, wohl Marco Polo's Angaben wiedergebend. Nach dem, was wir neuerdings von unserem Luchse erfuhren, läßt sich kaum bezweifeln, daß jene Mittheilungen richtig sind; jedenfalls liegt kein Grund vor, einem so klugen und leidenschaftlichen Thiere die Zähmbarkeit abzusprechen. Es kommt auch in diesem Falle auf die Behandlung an, welche man dem Wüstenluchse in frühester Jugend angedeihen läßt.

Am Vorgebirge der guten Hoffnung hielt man noch im vorigen Jahrhundert das Fell des Karakal in hohem Werthe, weil man ihm Heilkräfte gegen Gliederschmerzen und Fußgicht zuschrieb. Solche Felle wurden auch nach Europa verhandelt und hier ebenfalls gut bezahlt. Gegenwärtig ist dieser Gegenstand fast gänzlich von unserem Markte verschwunden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CDLXXXVIII488-CDLXXXIX489.
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