6. Sippe: Haushunde (Canis familiaris)

[559] »Durch den Verstand des Hundes besteht die Welt.« So steht im Vendidad, dem ältesten und echtesten Theile des Zend-Avesta, eines der ältesten Bücher der Menschheit.

Für die erste Bildungsstufe des Menschengeschlechts waren und sind noch heute diese Worte eine goldene Wahrheit. Der wilde, rohe, ungesittete Mensch ist undenkbar ohne den Hund, der gebildete, gesittete Bewohner des angebautesten Theiles der Erde kaum minder. Mensch und Hund ergänzen sich hundert- und tausendfach; Mensch und der Hund sind die treuesten aller Genossen. Kein einziges Thier der ganzen Erde ist der vollsten und ungetheiltesten Achtung, der Freundschaft und Liebe des Menschen würdiger als der Hund. Er ist ein Theil des Menschen selbst, zu dessen Gedeihen, zu dessen Wohlfahrt unentbehrlich.

»Der Hund«, sagt Friedrich Cuvier, »ist die merkwürdigste, vollendetste und nützlichste Eroberung, welche der Mensch jemals gemacht hat. Die ganze Art ist unser Eigenthum geworden; jedes Einzelwesen derselben gehört dem Menschen, seinem Herrn, gänzlich an, richtet sich nach seinen Gebräuchen, kennt und vertheidigt dessen Eigenthum und bleibt ihm ergeben bis zum Tode. Und alles dieses entspringt weder aus Noth noch aus Furcht, sondern aus reiner Liebe und Anhänglichkeit. Die Schnelligkeit, die Stärke des Geruchs haben für den Menschen aus ihm einen mächtigen Gehülfen gemacht, und vielleicht ist er sogar nothwendig zum Bestande der Gesellschaft des Menschenvereins. Der Hund ist das einzige Thier, welches dem Menschen über den ganzen Erdboden gefolgt ist.«

Der Hund ist wohl würdig, daß ich ihn ausführlich behandle, und trotz seiner scheinbaren Allbekanntschaft hier sehr mit Lust und Liebe seiner gedenke. Jedermann glaubt ihn zu kennen, gründlich und hinlänglich zu kennen, und nur der Naturforscher gesteht zu, daß er, trotz aller Nachforschungen und Vergleichungen, eigentlich noch äußerst wenig und kaum irgend etwas sicheres über den Hund weiß.

Der Hund hat sich mit dem Menschen über die ganze Erde verbreitet. Soweit sich das Menschengeschlecht ausgedehnt hat, findet man auch ihn, und selbst die armseligsten, ungesittetsten und ungebildetsten Völker haben ihn zu ihrem Genossen, Freunde und Vertheidiger. Aber in keinem Lande der Erde wird er noch wild, überall vielmehr nur gezähmt, in Gesellschaft des Menschen, höchstens verwildert gefunden. Weder die dunkelste Sage noch die sorgfältigste Forschung hat uns bisher über seine Vorfahren genügenden Aufschluß gegeben: über die Abstammung des wichtigsten aller Hausthiere liegt ein scheinbar undurchdringliches Dunkel. Es gibt kein anderes Thier weiter, über welches so viele Muthmaßungen, so viele Annahmen herrschen wie über den Hund. Nach der Ansicht der einen gehören alle Hunde der ganzen Erde nur zu einer einzigen Art, die anderen nehmen mehrere Stammeltern an; die ersteren betrachten alle Hunde als Abkömmlinge vom Wolf, vom Schakal, vom Dingo, vom Dole und Buansu: die anderen glauben, daß er ein Erzeugnis mehrfacher Kreuzungen zwischen diesen oder jenen der genannten, ein Blendling verschiedener wilder Hunde sei.

»Will man den Haushund«, sagt Blasius, »als Art von den übrigen Wölfen trennen, so gibt es noch jetzt keine besseren Merkmale, als der links gekrümmte Schwanz, wie es Linné angibt.

Das naturgeschichtliche Schicksal des Hundes gleicht dem des Menschen. Daß der Hund sich dem Herrn der Erde ganz unterworfen und angeeignet hat, ist von Folgen gewesen, wie wir ihresgleichen in der Thierwelt nicht finden. Das Vorhandensein des Hundes ist mit dem des Menschen so eng verschmolzen; der Hund hat sich, wie der Mensch, den mannigfaltigsten und gegensätzlichsten [559] Natureinflüssen in einem solchen Maße unterwerfen müssen, um den ganzen Erdkreis erobern und beherrschen zu helfen, daß von seinem ursprünglichen Naturzustande wie von dem des Menschen nur willkürliche Vermuthungen uns Kunde geben können. Doch gilt dies bloß von seinen leiblichen Eigenthümlichkeiten. Ueber sein geistiges Wesen können die Stimmen nicht getheilt sein.

Der Hund ist nach seinem Gerippe, nach Schädel und nach Gebiß ein Wolf; doch ist es nach Schädel noch nach Gebiß weder möglich, ihn mit irgend einer wild vorkommenden Wolfsart zu vereinigen, noch von den bekannten Wolfsarten scharf zu trennen. Unsere europäischen Hunde schwanken in ihren Schädeleigenthümlichkeiten zwischen denen des Wolfes und des Schakals, doch so, daß sich die Eigenthümlichkeiten mannigfaltigst kreuzen, verbinden und abändern. Doch wenn auch der Schädel Aehnlichkeit mit dem des Wolfes und Schakals hat, sogar entfernt an den des Fuchses erinnert, hält er doch immer etwas eigenthümliches fest. Die Stirn tritt in der Regel etwas stärker über dem Scheitel und dem Nasenrücken hervor als beim Wolf und Schakal; doch darin zeigen sich erst recht gegensätzliche Abweichungen bei den verschiedenen Hunderassen. Es versteht sich, daß in diesen Eigenthümlichkeiten nur Schädel von ungefähr gleichem Alter mit einander erfolgreich verglichen werden können.

Die Amerikaner haben Hunde gehabt, ehe durch die Spanier der europäische Hund nach Amerika gebracht wurde. In Mejiko fanden die Spanier stumme Hunde vor. Humboldt führt an, daß von den Indianern von Jauja und Huanca, ehe sie der Inka Pachacutec zum Sonnendienste bekehrte, die Hunde göttlich verehrt wurden. Ihre Priester bliesen auf skelettirten Hundeköpfen, und Hundeschädel und Hundemumien fanden sich in den peruanischen Grabmälern der ältesten Zeit. Tschudi hat diese Schädel untersucht, hält sie für verschieden von denen der europäischen Hunde und glaubt, daß sie von einer eigenen Art herrühren, die er Canis Ingae nennt; auch werden die einheimischen Hunde im Peruanischen mit dem Namen Runa-allco bezeichnet, um sie von den europäischen, die verwildert in Südamerika vorkommen, zu unterscheiden. Diese Hunde sollen besonders gegen Europäer feindlich gesinnt sein.

Merkwürdig ist es, daß da, wo keine Vertreter der Wölfe wild vorkommen, auch der Haushund gefehlt zu haben scheint, obwohl, soweit die Geschichte des Menschen in der Vorzeit und seine Verbreitung über den Erdkreis reicht, der Hund dem Menschen durchgängig als Gesellschafter treu gefolgt ist. Ritter macht darauf aufmerksam, daß, wie Grawford bezeugt, in allen Gleicherländern ostwärts von Bengalen, in Hinterindien und seinen umliegenden Inseln nicht einmal irgend eine Art der ganzen Hundefamilie aufgefunden worden ist. Es scheint demnach, daß, ungeachtet der Einwirkung des Menschen, die Verbreitung der Hunde mit den wilden Wolfsarten in einem genaueren Zusammenhange steht.

Wenn es schon auffallend erscheint, daß die eingeborenen Hundearten sich in dem Schädelbau den wilden Wolfsarten nähern, so ist es noch auffallender, daß sie auch im Aeußeren wieder den wilden Formen nahe rücken, wenn sie in den Zustand der Verwilderung übergegangen sind. Das gilt nicht allein von der Färbung, sondern auch von der Form des Thieres, den aufrechtstehenden, spitzen Ohren, der Behaarung und dergleichen. Schon Olivier bemerkte, daß die Hunde in der Umgebung von Konstantinopel schakalähnlich sind. Im südlichen und östlichen Rußland gibt es zahllose, halbverwilderte, in ganzen Gesellschaften umherlaufende Hunde, welche dem Schakal in Farbe und Gestalt des Körpers und der Ohren häufig täuschend ähnlich sind. Die Beobachtung von Pallas, daß die Hunde mit dem Schakal in entschiedener Freundschaft leben, ist bei diesen äußeren Aehnlichkeiten leicht zu begreifen.

Es ist bekannt, daß vom Hund und Wolf Bastarde in jeder Art der Kreuzung nachgewiesen sind. Bastarde zwischen Hund und Schakal sind nach Naturbeobachtungen keine Seltenheit. Pallas erwähnt sogar, daß unter den Russen Bastarde von Hund und Fuchs als eine bekannte Sache angenommen werden; doch gründet er diese Behauptung offenbar nicht auf eigene Beobachtungen.

[560] Fragt man sich nun nach diesen Andeutungen, ob der Hund eine Art, eine selbständige und getrennte Art ist, wie der Wolf, Schakal und Fuchs, so hält es schwer, die Frage zu bejahen. Kein einziges wildes Thier zeigt solche Abweichungen im Schädel, im ganzen Körperbau, in den Verhältnissen der absoluten Größe. Aber auch die Hausthiere, bei denen wir annehmen müssen, daß die Art an und für sich noch unverfälscht erhalten, nur durch Zähmung und Kultur verändert ist, wie Pferd, Esel, Rind, Ziege, Schwein, haben solche Gegensätze nicht aufzuweisen, und noch weniger läßt sich sagen, daß mehrere Arten unter dieser großen Mannigfaltigkeit von Formen enthalten wären. Ebenso willkürlich, wie die Aufstellung verschiedener Menschenarten, würde es bleiben, mehrere Hundearten unterscheiden zu wollen. Es liegt offenbar hier eine Thatsache vor, welche mit den sonst in der Natur und Kultur beobachteten nicht gleichlaufend ist.

Daß in dem Sinne, wie beim Pferde und bei der Ziege, von einer Stammart des Hundes nicht die Rede sein kann, wird aus allem wohl klar. Nach folgerichtigem Schlusse ist kein Thier im wilden Zustande wahrscheinlich, welches gezähmt eine solche Mannigfaltigkeit der Formen hervorbringen könnte. Aber auch von allem unwesentlichen, der Kultur unterworfenen abgesehen, gibt es in der Natur kein Thier, welches ganz mit dem Hunde übereinstimmte. Und doch ist es nicht wahrscheinlich, daß der Stamm eines solchen Thieres über die ganze Erdoberfläche hätte aussterben können. Es wird jetzt nicht einmal möglich sein, die in verschiedenen Gegenden der Erdoberfläche verwildert vorkommenden Hunde, es würde in früheren Zeiten noch viel schwerer geworden sein, die ursprünglich wilden Stämme an allen Orten auszurotten. Es ist ebenso nicht wahrscheinlich, daß eine solche Stammart bis jetzt unbeachtet und unentdeckt geblieben wäre.

Und so bleibt darin, so lange man diese Fragpunkte auf dem Gebiete der Naturforschung erhalten will, kaum ein anderer Ausweg, als sich zu der Ansicht zu bekennen, welcher Pallas huldigt: daß in der Zähmung und Vermischung der in verschiedenen Ländern ursprünglichen Wolfsarten der Ursprung des Haushundes zu suchen sei. Diese Ansicht ist natürlich wie jede andere über diesen Punkt nur eine Annahme, aber es wird, wenn sie in der Natur begründet ist, möglich sein, sie durch unmittelbare Vergleichung der Hunde- und Wolfsschädel bis zur vollen Ueberzeugung zu erheben. Man hat keine Veranlassung mehr, in solcher Auffassung durch die Lehren und Annahmen von Buffon sich beirren zu lassen. Daß sich gleichzeitig die unbeschränkte Kreuzung der Hundearten unter sich und des Hundes mit Wolf und Schakal am besten mit dieser Ansicht verträgt, liegt auf der Hand. Daß auch die große Mannigfaltigkeit der Hunde in Gestalt und Größe allein dadurch eine Analogie erhielt, z.B. in den verschiedenartigen, zwitterhaften Pflanzen, sogar im Thierreiche unter den Hühnern, ist auch nicht ohne Gewicht. Ebenso ist die große Verwandtschaft der verwilderten Hunde in Gestalt und Farbe mit dem Schakal und der Annäherung und Freundschaft beider von großer Bedeutung. Auch die verwilderten Pferde nähern sich ursprünglich den wilden wieder. Ziegen, die sich von Geschlecht zu Geschlecht den größten Theil des Jahres frei im Gebirge umhertreiben, wie in Dalmatien und manchen Gegenden Italiens geschieht, gleichen sehr der wilden Bezoarziege; bunte Kaninchen, welche im Freien ausgesetzt werden, haben im Verlaufe von einigen Jahren Junge, die von wilden nicht zu unterscheiden und vollkommen wild sind.

Daß im ganzen der Schakal in dieser Angelegenheit am meisten betheiligt sein muß, scheint mir aus der Bildung des Hundeschädels hervorzugehen, und es mag schließlich wohl nicht von bloß zufälliger Bedeutung sein, daß die alten Bildungsländer der Menschheit von Indien bis zum Mittelländischen Meere mit der Heimat des Schakals fast gänzlich übereinstimmen.«

Darwin gelangt zu derselben Annahme wie Blasius. »Einige Thierkundige«, sagt er, »glauben, daß alle gezähmten Spielarten des Hundes vom Wolfe oder dem Schakal oder einer unbekannten und ausgestorbenen Art abstammen; andere wiederum meinen, daß sie ebensowohl von mehreren ausgestorbenen wie jetzt lebenden Arten, welche sich mehr oder weniger mit einander vermischt haben, herrühren. Wahrscheinlich werden wir niemals im Stande sein, ihren Ursprung [561] mit Sicherheit zu bestimmen. Die Vorweltskunde wirft nicht viel Licht auf diese Frage. Einerseits hängt dies von der großen Aehnlichkeit der Schädel der ausgestorbenen und lebenden Wölfe und Schakale, andererseits von der großen Unähnlichkeit der Schädel der verschiedenen Rassen gezähmter Hunde ab. Man scheint auch in den neuen Tertiärlagern Ueberreste gefunden zu haben, welche mehr einem großen Hunde als einem Wolfe angehört haben dürften. Dies unterstützt die Ansicht Blainville's, daß unsere Hunde die Nachkommen einer einzigen ausgestorbenen Art sind. Einige gehen soweit, zu behaupten, daß jede Hauptrasse ihren wilden Stammvater gehabt haben müsse, diese letztere Ansicht ist jedoch außerordentlich unwahrscheinlich; denn sie läßt der Abänderung keinen Spielraum, das fast misgebildete Gepräge einiger Zuchten unberücksichtigt und nimmt beinahe mit Nothwendigkeit an, daß eine große Anzahl von Arten seit der Zeit, in welcher der Mensch den Hund zähmte, ausgestorben sind: lebte doch noch im Jahre 1710 der Wolf auf einer so kleinen Insel wie Irland ist.

Die Gründe, welche verschiedene Schriftsteller zu der Annahme geführt haben, daß unsere Hunde von mehr als einer wilden Art abstammen, sind erstens die großen Verschiedenheiten zwischen den Rassen und zweitens die Thatsache, daß in den ältesten bekannten geschichtlichen Zeiten mehrere Hunderassen lebten, welche einander sehr unähnlich, jetzt lebenden aber sehr ähnlich sind oder mit diesen zusammenfallen. Zwischen dem vierzehnten Jahrhundert und der römischen Zeit sind die Urkunden auffallend mangelhaft. Im frühesten Zeitabschnitt gab es verschiedene Rassen; doch ist es unmöglich, die Mehrzahl derselben mit irgend einer Sicherheit wieder zu erkennen. Youatt gibt eine Zeichnung von der Villa des Antonius, auf welcher zwei junge Windspiele dargestellt sind. Auf einem assyrischen Denkmal, ungefähr 640 v.Chr., ist eine ungeheuere Dogge dargestellt, wie solche, laut Rawlinson, noch jetzt dort eingeführt werden. Auf den egyptischen Denkmälern der vierten bis zwölften Dynastie, das ist von ungefähr 3400 bis 2100 v.Chr., werden, wie ich aus den Prachtwerken von Lepsius und Rosellini ersehe, verschiedene Hunderassen dargestellt, von denen die meisten den Windspielen verwandt sind. Später tritt ein dem Parforcehund ähnlicher Hund mit hängenden Ohren, aber mit längerem Rücken und spitzigerem Kopfe dazu, und ebenso findet sich ein der jetzt lebenden Spielart sehr ähnlicher Dachshund mit kurzen krummen Beinen. Diese Art Misbildung ist bei verschiedenen Thieren aber so häufig, daß es Vorurtheil sein würde, den Hund der egyptischen Denkmäler als den Stammvater aller unserer Dachshunde zu betrachten, umsomehr als Sykes einen indischen Pariahund beschrieben hat, welcher denselben Charakter zeigt. Der älteste auf den egyptischen Denkmälern abgebildete Hund, einer der sonderbarsten von allen, gleicht einem Windspiele, hat aber lange, spitze Ohren und einen kurzen, gekrümmten Schwanz. Eine nahe verwandte Spielart lebt noch jetzt in Nordafrika, der arabische Eberhund, von welchem Harcourt angibt, daß er ein ausgezeichnet hieroglyphisches Thier sei, ein solches, mit dem einst Cheops jagte und einigermaßen dem zottigen schottischen Hirschhunde gleiche. Mit dieser ältesten Spielart lebte gleichzeitig ein dem Pariahunde ähnliches Thier. Wir sehen hieraus, daß vor vier- bis fünfhundert Jahren verschiedene Rassen von Hunden lebten und zwar Pariahunde, Windspiele, gewöhnliche Parforcehunde, Doggen, Haus-, Schoß- und Dachshunde, welche mehr oder weniger unseren jetzigen Rassen glichen. Doch haben wir keinen hinreichenden Beweis, anzunehmen, daß irgend einer dieser alten Hunde mit den unserigen vollkommen gleichartig sei. Solange man annahm, daß der Mensch nur etwa sechstausend Jahre auf der Erde lebte, war diese Thatsache von der großen Verschiedenheit der Rassen in einer so frühen Zeit ein wichtiger Beweis dafür, daß dieselben von verschiedenen wilden Stammeltern herrührten; seitdem wir aber wissen, daß der Mensch eine unvergleichlich längere Zeit gelebt hat, und indem wir im Auge behalten, daß selbst die ungesittetsten Völkerschaften Haushunde besitzen, verliert dieser Beweis viel an Gewicht.

In Europa wurde der Hund lange vor der Zeit irgend welcher geschichtlichen Urkunde gefangen gehalten. Die Knochen eines hundeartigen Thieres, welche in den dänischen Küchenabfällen der neueren Steinzeit gefunden wurden, gehörten, nach Steenstrup, wahrscheinlich einem [562] Haushunde an. Diesem alten Hunde folgten während der Bronzezeit eine größere, etwas verschiedene und letzterem wiederum während der Eisenzeit eine noch größere Art oder Rasse. Ein in der Schweiz während der neuen Steinzeit lebender, mittelgroßer gezähmter Hund stand, wie Rütimeyer angibt, nach seinem Schädel zu schließen, ziemlich gleichweit von dem Wolfe und Schakal entfernt und zeigte gewisse Kennzeichen unserer Jagd- und Wachtelhunde. Während der Bronzezeit erschien ein großer Hund, welcher, nach seinen Kinnladen zu urtheilen, einem Hunde von demselben Alter in Dänemark glich. Schmerling fand Ueberbleibsel von zwei merklich verschiedenen Hunderassen in einer Höhle, kann aber das Alter derselben nicht bestimmen.

Man nimmt an, daß die Aufeinanderfolge verschiedener Hunderassen in der Schweiz und in Dänemark von der Einwanderung erobernder Stämme herrühre, welche ihre Hunde mitbrachten, und diese Ansicht stimmt auch mit der Meinung überein, daß verschiedene wilde, hundeartige Thiere in verschiedenen Gegenden gezähmt worden seien. Unabhängig von der Einwanderung neuer Stämme sehen wir aus dem weitverbreiteten Vorkommen von Bronze, daß viel Verkehr in Europa bestanden haben muß, und dürfen schließen, daß wahrscheinlich auch Hunde mit vertauscht worden sind. In der Jetztzeit gelten die Taruma-Indianer unter den wilden Stämmen des Innern von Guiana für die besten Hundezüchter. Sie besitzen eine große Rasse, welche sie zu hohen Preisen anderen Stämmen vertauschen.

Der wichtigste Beweisgrund zu Gunsten der Ansicht, daß die verschiedenen Rassen des Hundes von bestimmten wilden Stämmen herrühren, ist die Aehnlichkeit, welche dieselben in verschiedenen Gegenden mit den hier noch wild lebenden Arten besitzen. Zwar muß man zugeben, daß die Vergleichung zwischen den wilden und gezähmten Hunden nur in wenigen Fällen mit hinreichender Genauigkeit gemacht worden ist; doch hat man auch von vornherein keine Schwierigkeit anzunehmen, verschiedene Hundearten seien gezähmt worden. Glieder der Hundefamilie bewohnen fast die ganze Erde, und mehrere Arten stimmen in Bau und Lebensart mit unseren verschiedenen gezähmten Hunden ziemlich überein. Wilde halten und zähmen Thiere aller Art, gesellig lebende Thiere wie die Hunde selbstverständlich am leichtesten. In einer früheren Zeit, in welcher der Mensch zuerst das Land betrat, hatten die dort lebenden Thiere keine angeborene oder ererbte Furcht vor ihm und ließen sich folglich wahrscheinlich bei weitem leichter als jetzt zähmen. Als die Falklandinseln zuerst von Menschen besucht wurden, kam der große Falklandswolf (Canis antarcticus) ohne Furcht zu Byrons Matrosen, welche die Neugier für Wildheit hielten und flohen. Selbst in der Neuzeit kann ein Mensch, welcher in der einen Hand ein Stück Fleisch, in der anderen ein Messer hält, gedachte Wölfe noch zuweilen erstechen. Auf den Schildkröteninseln stieß ich mit der Spitze meiner Flinte Falken von einem Zweige herunter und hielt einen Eimer Wasser anderen Vögeln hin, welche sich darauf setzten und tranken. Von großer Bedeutung ist ferner, daß verschiedene Arten von Hunden keinen Widerwillen haben oder Schwierigkeiten darbieten, in Gefangenschaft sich fortzupflanzen. Gerade die Unfähigkeit aber, in der Gefangenschaft sich fortzupflanzen, ist eines der bedeutsamsten Hindernisse für die Zähmung. Die Wilden legen Hunden außerordentlichen Werth bei, und selbst halbgezähmte Thiere sind ihnen von großem Nutzen. Indianer Nordamerika's kreuzen ihre halbwilden Hunde mit Wölfen, um sie zwar noch wilder als vorher, aber auch kühner zu machen. Die Wilden von Guiana fangen die Jungen von zwei wilden Hundearten, um sie einigermaßen zu zähmen und zu benutzen, wie es die Eingeborenen Australiens mit denen des verwilderten Dingo thun. King theilte mir mit, daß er einmal einen jungen wilden Dingo abrichtete, Rindvieh zu hüten und das Thier sehr nützlich fand. Aus diesen verschiedenen Angaben geht hervor, daß man dreist annehmen darf, der Mensch habe in verschiedenen Ländern verschiedene Arten von Hunden gezähmt. Es würde sogar eine eigenthümliche Erscheinung sein, wenn auf der ganzen Erde nur eine einzige Art gezähmt worden wäre.

Gehen wir nun auf Einzelheiten ein. Der genau beobachtende und scharfsinnige Richardson bemerkt, daß die Aehnlichkeit zwischen den Wechsel-oder Falbwölfen und den Haushunden der [563] Indianer ungemein groß sei, und nur die Größe und Stärke des Wolfes der einzige Unterschied zu sein scheine. ›Mehr als einmal‹, sagt er, ›habe ich ein Rudel Wölfe für die Hunde eines Trupps Indianer gehalten; denn auch das Geheul der Thiere beider Arten wird so genau mit denselben Lauten hervorgebracht, daß selbst das geübte Ohr der Indianer zuweilen sich täuschen läßt.‹ Richardson fügt hinzu, daß die nördlicheren Eskimohunde nicht bloß dem grauen Wolfe des Polarkreises in Form und Farbe außerordentlich ähneln, sondern ihnen auch in der Größe beinahe gleichen. Kane hat in dem Gespann seiner Schlittenhunde öfter das schräge Auge, ein Merkmal, auf welches einige Thierkundige viel Gewicht legen, den herabhängenden Schwanz und den scheuen Blick des Wolfes gesehen. Nach Hayes weichen die Eskimohunde wenig von den Wölfen ab, sind keiner Anhänglichkeit an den Menschen fähig und so wild, daß sie bei argem Hunger selbst ihren Herrn anfallen. Sie verwildern leicht, und ihre Verwandtschaft mit den Wölfen ist eine so innige, daß sie oft mit ihnen sich kreuzen; auch nehmen die Indianer junge Wölfe, um die Zucht ihrer Hunde zu verbessern. Solche Falbwölfe können zuweilen, wenn auch selten, gezähmt werden. Vor dem zweiten oder dritten Geschlecht geschieht dies nie. Hayes meint von diesen Hunden, daß sie ohne Zweifel verbesserte Wölfe seien. Jedenfalls bekunden die angeführten Thatsachen, daß Eskimohunde und Wölfe sich fruchtbar kreuzen müssen; denn sonst würde man letztere nicht brauchen können, um die Zucht zu verbessern. Der Hund der Hasenindianer, welcher in vieler Beziehung vom Eskimohunde abweicht, steht nach Richardson in derselben Beziehung zum Heul- oder Prairiewolfe wie der Eskimohund zum Falbwolfe, sodaß gedachter Forscher keine ausgesprochene Verschiedenheit zwischen ihnen auffinden konnte. Die von beiden genannten Stämmen herrührenden Hunde kreuzen sich untereinander ebensowohl wie mit den wilden Wölfen oder mit europäischen Hunden; der schwarze Wolfshund der Indianer in Florida weicht, laut Bertram, von den Wölfen dieses Landes nur dadurch ab, daß er bellt. Im südlichen Theile des neuen Festlandes fand Columbus zwei Hundearten in Westindien, und Fernandez beschreibt ihrer drei in Mejiko. Einige dieser eingeborenen Hunde waren stumm, d.h. bellten nicht. Seit der Zeit Buffons weiß man, daß die Eingeborenen von Guiana ihre Hunde mit einer wilden Art, wie es scheint dem Maikong oder Karasissi, kreuzen. Schomburgk, welcher diese Länder sorgfältig durchforscht hat, schreibt mir darüber: ›Arawaak-Indianer, welche in der Nähe der Küste wohnen, haben mir wiederholt erzählt, daß sie ihre Hunde zur Verbesserung der Zucht mit einem der wilden Arten kreuzen, und einzelne Hunde sind mir gezeigt worden, welche sicher dem Maikong viel mehr glichen als der gewöhnlichen Rasse. Selten aber halten die Indianer letztere für häusliche Zwecke.‹

Auch der Ai, eine andere Art Wildhund, wahrscheinlich Canis silvestris, wird von den Arekuas jetzt nicht viel zum Jagen benutzt. Die Hunde der Taruma-Indianer sind ganz verschieden und gleichen Buffons Windspielen von St. Domingo. Es scheint also, daß die Eingeborenen von Guiana zwei wilde Hunde zum Theil gezähmt haben und ihre Haushunde noch mit ihnen kreuzen. Beide Arten gehören einer von den nordamerikanischen und europäischen Wölfen verschiedenen Gruppe an. Rengger begründet die Ansicht, daß man nur haarlose Hunde zähmte, als Amerika zuerst von Europäern besucht wurde, und einige dieser Hunde, von denen Tschudi sagt, daß sie in den Cordilleren von der Kälte leiden, sind noch stumm. Gleichwohl ist dieser nackte Hund gänzlich von dem verschieden, welchen Tschudi unter dem Namen Inkahund beschreibt, und von dem er anführt, daß er ebensowohl Kälte ertrage als auch belle. Man weiß nicht, ob diese zwei verschiedenen Hunderassen Abkömmlinge eingeborener Arten sind und könnte annehmen, daß der ursprünglich einwandernde Mensch vom asiatischen Festlande Hunde mitbrachte, welche nicht bellen konnten; diese Ansicht scheint jedoch aus dem Grunde unwahrscheinlich, als die Eingeborenen auf dem Wege ihrer Einwanderung vom Norden her wenigstens zwei nordamerikanische Wildhunde zähmten.

Wenden wir uns zur alten Welt zurück, so finden wir, daß mehrere europäische Hunde sehr dem Wolfe ähneln, so der Schäferhund der ungarischen Ebene in so hohem Grade, daß ein Ungar [564] nach Pagets Erzählung einen Wolf für einen seiner eigenen Hunde halten konnte. Die Schäferhunde in Italien müssen früher den Wölfen sehr ähnlich gewesen sein, denn Columella gibt den Rath, weiße Hunde zu halten und fügt hinzu: ›Pastor album probat, ne pro lupe canem feriat‹. Daß sich Hunde und Wölfe von selbst kreuzen, wird von den Alten oft erzählt, von Plinius sogar behauptet, die Gallier hätten ihre Hündinnen in den Wäldern angebunden, damit sie sich mit Wölfen kreuzen.«

Ich will an dieser Stelle eine von Darwin wie es scheint übersehene Bemerkung Radde's einschalten, welche mit vorstehenden Angaben übereinstimmt. »Bei sehr vielen Hunden«, sagt der treffliche Erforscher Sibiriens, »namentlich der gebirgigeren Gegenden des Ostens läßt sich das Wolf- und Fuchsgepräge durchaus nicht verkennen, und nicht selten findet man besonders solche Thiere, welche bis auf die Größe vollkommen den Wölfen ähneln. Ich selbst besaß einen solchen Jagdhund, welcher, dem Schingangebirge entstammend, mit zum mittleren Amur gekommen und hier bald bei Eingeborenen und späteren Ansiedlern durch seine ausgezeichneten Begabungen bekannt wurde. Solche, den Wölfen sehr ähnliche Hunde, welche möglicherweise eine Kreuzungsform sind, haben einen mehr gedrungenen Körper und kürzere Schnauze als der Wolf; die Färbung aber sowohl als auch die eigenthümliche Straffheit des Haares und seine Dichtigkeit, namentlich auf dem Schwanze, sind ganz wie beim Wolfe. Gewöhnlich tragen sie den Schwanz nicht aufrecht, sondern schleifen ihn gesenkt nach. Nur beim Stellen des Wildes, beim Anschlagen oder Wedeln heben sie ihn im Bogen nach oben. Mit solchen Hunden, welche niemals eine Abrichtung erhalten, werden alle die großen, oft gefährlichen und sehr viel Ausdauer erfordernden Jagden betrieben. Ganz verschieden von solchen Hunden sind die der nomadisirenden Mongolenstämme der hohen Gobi, welche auch hier und da bei den Burjäten Transbaikaliens angetroffen werden und ebensowohl als Spürhunde wie auch zum Bewachen der Jurten dienen. Sie haben wohl die Länge, aber nicht die Höhe eines Wolfes. Ihr ganzer Körper ist mit glänzend schwarzen, langen und wenig über dem Rücken zu den Seiten hinab gekräuselten Haaren bedeckt. Auch die Innenseite der Vorderfüße sowie die Knie der Hinterfüße sind sammt dem Kopfe ebenfalls lang und schwarz behaart, und die kurzen Stumpfschwänze nur bleiben mit dem Nasenrücken kurzhaarig schwarz. Die Oberlippe hängt lefzenartig abwärts, auf dem Auge ist ein kreisrunder, hellrother oder brauner Flecken immer zu bemerken. Die Kopfform ist mehr breit als lang, das Ohr halb hängend, der Schwanz buschig, aber nicht spindelförmig in seiner Gesammtform, sondern durch Bezottung, die seitwärts hängt, entstellt. Diese Hunde, welche stiller, aber sehr böse sind, werden in den mongolischen Jurten in großer Anzahl als Wächter gehalten. Grenzkosaken tauschen sie gern ein, und so findet man sie auch noch im mittleren Amurlaufe. Hier, wo sich ihnen die Wolfs- und Fuchstypen, sowie die gewöhnlichen stämmigen Hofhunde zugesellen, erhält sich ihre Nachkommenschaft in den charakteristischen Abzeichen und der Form des Körpers nicht, und werden sie immer durch neue bei den Mongolen eingetauschte Thiere ersetzt.«

»Der europäische Wolf«, fährt Darwin fort, »weicht in geringem Grade von dem nordamerikanischen ab und wird von vielen Thierkundigen für eine verschiedene Art gehalten, ebenso der Wolf Indiens, und hier finden wir wieder eine ausgesprochene Aehnlichkeit zwischen den Pariahunden gewisser Gegenden von Indien und diesem indischen Wolfe. In Bezug auf die Schakale sagt Isidore Geoffroy St. Hilaire, daß man nicht einen beständigen Unterschied zwischen ihrem Bau und dem der kleineren Hunderassen aufweisen könnte. Diese wie jene stimmen auch in ihrer Lebensweise innig überein. Ehrenberg führt an, daß die Haushunde Unteregyptens und gewisse einbalsamirte Hunde im Schakalwolfe ihr Vorbild hätten, wie andererseits Haushunde Nubiens und andere als Mumien vorhandene Rassen mit dem Schakal eng verwandt sind. Pallas behauptet, daß Schakal und Haushund im Morgenlande zuweilen sich kreuzen. Ein hierauf bezüglicher Fall ist auch aus Algerien bekannt geworden. Die Haushunde an der Küste von Guinea sind fuchsartige Thiere und stumm. An der Ostküste von Afrika, zwischen dem 4. und 6. Grade [565] nördlicher Breite, und ungefähr zehn Tagereisen nach dem Inneren, wird, wie Erhardt mittheilt, ein halbgezähmter Hund gehalten, welcher nach Behauptung der Eingeborenen von einem ähnlichen wilden Thiere abstammt. Lichtenstein sagt, daß die Hunde der Buschmänner eine auffallende Aehnlichkeit selbst in der Färbung mit dem Schabrakenschakal darbieten; Layard dagegen theilt mir mit, daß er einen Kaffernhund gesehen habe, welcher einem Eskimohunde sehr ähnlich war. In Australien findet sich der Dingo ebensowohl gezähmt als wild, und wenn er auch ursprünglich von Menschen eingeführt worden sein mag, darf er doch als eine einheimische Form angesehen werden; denn seine Ueberbleibsel sind mit denen eines ausgestorbenen Thieres in einem ähnlichen Zustande von Erhaltung gefunden worden, sodaß seine Einführung sehr alt sein muß. Diese Aehnlichkeit der halbgezähmten Hunde verschiedener Länder mit denen in ihnen noch lebenden wilden Arten, nach der Leichtigkeit, mit welcher beide oft noch gekreuzt werden können, der Werth, welchen Wilde selbst halbgezähmten Thieren beilegen und andere bereits erwähnte Umstände, welche ihre Zähmung begünstigen, machen es sehr wahrscheinlich, daß die gezähmten Hunde der Erde von zwei Wolfsarten, dem Wolfe und dem Heulwolfe, zwei oder drei anderen zweifelhaften Arten von Wölfen, dem europäischen, indischen und nordamerikanischen Wolfe nämlich, ferner von wenigstens einer oder zwei südamerikanischen Hundearten, dann von mehreren Schakalarten und vielleicht von einer oder mehreren ausgestorbenen Arten abstammen. Diejenigen Schriftsteller, welche der Einwirkung des Klima's großen Einfluß zuschreiben, können hiernach die Aehnlichkeit gezähmter mit eingeborenen Thieren derselben Länder erklären. Ich kenne aber keine Thatsachen, welche den Glauben an eine so mächtige Einwirkung des Klima's unterstützen.

Gegen die Ansicht, daß mehrere Hundearten in alter Zeit gezähmt wurden, kann man nicht einwenden, daß sie schwierig zu zähmen sind. Junge, von Hodgson gezähmte Buansus wurden für Liebkosungen ebenso empfänglich und zeigten so viel Verstand wie irgend ein Hund desselben Alters. Wie bereits erwähnt, besteht zwischen der Lebensweise der Haushunde der nordamerikanischen Indianer und der Wölfe dieses Landes oder zwischen dem morgenländischen Pariahunde und dem Schakal oder zwischen den in verschiedenen Gegenden verwilderten Hunden und den natürlichen Arten dieser Familie kein großer Unterschied. Die Gewohnheit zu bellen jedoch, welche bei gezähmten Hunden fast allgemein ist, scheint eine Ausnahme zu bilden; diese Gewohnheit aber geht leicht verloren und wird leicht wieder erlangt. Es ist schon oft angeführt worden, daß die verwilderten Hunde auf der Insel Juan Fernandez stumm geworden sind, und man hat Grund zur Annahme, daß die Stummheit in dem Verlaufe von dreiunddreißig Jahren eintrat. Andererseits erlangten Hunde, welche Ulloa von dieser Insel mitnahm, nach und nach die Gewohnheit zu bellen wieder. Dem Heulwolfe ähnliche Hunde des Mackenzieflusses, welche nach England gebracht wurden, lernten nie ordentlich bellen. Ein im Londoner Thiergarten geborener aber ließ seine Stimme so laut erschallen wie irgend ein anderer Hund desselben Alters und derselben Größe. Ein von einer Hündin aufgesäugter junger Wolf, welchen Nilsson beobachtete, und ein Schakal, von welchem Geoffroy St. Hilaire berichtete, bellten mit derselben Stimme wie irgend ein gewöhnlicher Hund. Dagegen hatten, nach Clarke, Hunde, welche auf Juan de Nova im Indischen Weltmeere verwildert waren, das Vermögen zu bellen vollständig verloren, erhielten auch ihre Stimme während einer Gefangenschaft von mehreren Monaten nicht wieder. Sie zeigten keine Neigung zur Geselligkeit mit anderen Hunden, vereinigten sich unter sich zu großen Haufen und fingen Vögel mit ebensoviel Geschick, wie Füchse es thun würden. Wiederum sind die verwilderten Hunde von La Plata nicht stumm geworden. Diese verwilderten Hunde, welche eine bedeutende Größe haben, jagen einzeln oder in Hausen und graben Höhlen für ihre Jungen, gleichen in diesen Gewohnheiten also Wölfen und Schakalen.

Man hat behauptet, daß unsere Haushunde nicht von Wölfen oder Schakalen abstammen können, weil ihre Trächtigkeitsdauer eine verschiedene sei. Dies beruht aber auf Angaben von Buffon, Gilibert, Bechstein und Anderen, welche irrig sind. Denn man weiß jetzt, daß jener [566] Zeitraum bei Wölfen, Schakalen und Hunden so nahe übereinstimmt, als man nur erwarten kann. Bis zu einem gewissen Grade ist eine Trächtigkeitsdauer veränderlich, da man auch bei unseren Haushunden eine Verschiedenheit von vier Tagen beobachtet hat. Cuvier meinte, daß der Schakal wegen seines widrigen Geruches nicht gezähmt worden wäre; Wilde sind jedoch in dieser Beziehung nicht empfindlich, und der Grad der Ausdünstung bei verschiedenen Schakalarten ändert ebenfalls wesentlich ab, sowie dies andererseits bei rauh- und glatthaarigen Hunden der Fall ist. Isidore Geoffroy St. Hilaire brachte einen Hund, welchen er nur mit rohem Fleische fütterte, dahin, daß er ebenso stank wie ein Schakal.

Bedeutungsvoller gegenüber der Ansicht, daß unsere Hunde von Wölfen, Schakalen und südamerikanischen Hunden abstammen, ist die Erfahrung, daß Wildlinge in gezähmtem Zustande bis zu einem gewissen Grade unfruchtbar sein sollen, während alle Haushunde, soweit es überhaupt bekannt ist, gegenseitig untereinander fruchtbar sind. Doch hat bereits Broca mit Recht bemerkt, daß die Fruchtbarkeit aufeinanderfolgender Geschlechter verbastardirter Hunde niemals mit der Sorgfalt untersucht worden ist, welche man bei der Kreuzung von Arten für unentbehrlich hält. Thatsachen berechtigen zu dem Schlusse, daß die geschlechtlichen Empfindungen und das Erziehungsvermögen unter verschiedenen Hunderassen bei der Kreuzung verschieden sind. So liebt der mejikanische Alco offenbar Hunde anderer Arten nicht; der haarlose Hund von Paragay vermischt sich, laut Rengger, weniger mit europäischen Rassen als diese untereinander; der deutsche Spitzhund soll den Fuchs leichter zulassen als andere Rassen es thun; weibliche Dingos lockten Füchse an usw. Diese Angaben würden, falls man sich auf sie verlassen kann, für einen gewissen Grad von Verschiedenheit in den geschlechtlichen Neigungen der Hunderassen sprechen. Doch tritt ihnen die Thatsache entgegen, daß unsere gezähmten, im äußeren Bau soweit von einander verschiedenen Hunde untereinander viel fruchtbarer sind, als wir von ihren angenommenen Stammeltern es wissen. Pallas nimmt an, eine längere Dauer der Zähmung beseitige diese Unfruchtbarkeit, und wenn man auch zur Unterstützung gedachter Annahme keine bestimmten Thatsachen anführen kann, scheinen unsere Erfahrungen über die Hunde so stark zu Gunsten der Ansicht zu sprechen, daß unsere gezähmten Hunde von mehreren wilden Stämmen herrühren, und ich bin deshalb geneigt, die Wahrheit jener Annahme zuzugeben. Hiermit im Zusammenhange steht, daß unsere gezähmten Hunde nicht vollkommen fruchtbar mit ihren angenommenen Stammarten sind; doch sind Versuche in dieser Richtung noch nicht ordentlich angestellt worden. Man sollte den ungarischen Hund, welcher dem äußeren Ansehen nach dem Wolfe so sehr gleicht, mit diesem, die Pariahunde Indiens mit indischen Wölfen und Schakalen kreuzen und ebenso in anderen Fällen verfahren. Daß die Unfruchtbarkeit zwischen gewissen Hunderassen und Wölfen und anderen Wildhunden nur gering ist, beweisen die Wilden, welche sich die Mühe geben, sie zu kreuzen. Buffon erhielt aufeinanderfolgende vier Geschlechter von Wölfen und Hunden, und die Blendlinge waren untereinander vollkommen fruchtbar; Flourens dagegen fand nach zahlreichen Versuchen, daß die Blendlinge zwischen Wolf und Hund miteinander gekreuzt im dritten Geschlechte und die von Schakal und Hund im vierten Geschlechte unfruchtbar wurden. Freilich aber befanden sich diese Thiere in enger Gefangenschaft, welche viele wilde Thiere bis zu einem gewissen Grade oder selbst völlig unfruchtbar macht. Dingos, welche sich in Australien ohne weiteres mit unseren eingeführten Hunden fortpflanzten, zeugten trotz wiederholter Kreuzungen mit Hunden im Pariser Pflanzengarten keine Blendlinge. Bei den von Flourens angestellten Versuchen wurden die Blendlinge wohl auf drei oder vier Geschlechter hindurch in engster Inzucht miteinander gekreuzt, ein Umstand, welcher fast sicher die Neigung zur Unfruchtbarkeit vermehrt haben wird, wenn auch das Endergebnis sich kaum erkennen läßt. Vor mehreren Jahren sah ich im Londoner Thiergarten den weiblichen Blendling eines englischen Hundes und eines Schakals, welcher selbst im ersten Geschlecht so unfruchtbar war, daß er nicht einmal die Brunstzeit regelmäßig einhielt. Doch war dieser Fall gegenüber den zahlreichen Beispielen fruchtbarer Bastarde von beiden Thieren sicher [567] eine Ausnahme. Bei allen Versuchen über die Kreuzung von Thieren gibt es noch so viele Ursachen zum Zweifel, daß es außerordentlich schwierig ist, zu irgend welchem bestimmten Schlusse zu gelangen. Indeß scheint doch hervorzugehen, daß diejenigen, welche unsere Hunde für die Nachkommen mehrerer Arten halten, nicht bloß zugeben müssen, deren Nachkommen verlören bei lange währender Züchtung alle Neigung zur Unfruchtbarkeit bei einer gegenseitigen Kreuzung, sondern auch, daß zwischen gewissen Rassen von Hunden und einigen ihrer angenommenen Stammeltern ein gewisser Grad von Unfruchtbarkeit erhalten geblieben oder möglicherweise selbst erlangt worden ist.

Trotz der zuletzt erörterten Schwierigkeiten in Bezug auf die Fruchtbarkeit neigt sich doch die Mehrheit der Beweise entschieden zu Gunsten des mehrfachen Ursprunges unseres Hundes, zumal wenn wir bedenken, wie unwahrscheinlich es ist, daß der Mensch über die ganze Erde von einer so weit verbreiteten, so leicht zähmbaren und so nützlichen Gruppe, wie die Hunde es sind, nur eine Art an sich gewöhnt haben sollte, und wenn wir ferner das außerordentliche Alter der verschiedenen Rassen sowie besonders noch die überraschende Aehnlichkeit bedenken, welche ebensowohl im äußeren Bau wie in der Lebensweise zwischen den gezähmten Hunden verschiedener Länder und den dieselben Länder noch bewohnenden Arten von Wildhunden bestehen.«

So wäre denn der Haushund nichts anderes als ein Kunsterzeugnis des Menschen. Erwiesen ist diese Annahme freilich nicht; der Schädel insbesondere gibt uns keinen Anhalt dafür. Abgesehen von der Größe stimmen alle Schädel der verschiedenen Hunderassen in den wesentlichen Verhältnissen untereinander überein, so daß man, laut mündlichen Mittheilungen Hensels, streng genommen nur den verkürzten, um nicht zu sagen misgebildeten Schädel der Bulldogge von dem des Windhundes mit Bestimmtheit unterscheiden kann. Jeder Hundeschädel ähnelt dem wildlebenden Verwandten mehr oder weniger, ohne einem einzigen vollkommen zu gleichen. So läßt uns also auch Knochenlehre und Zergliederungskunst bei Entscheidung der heiklichen Frage im Stiche. Erst durch sorgfältig überwachte Kreuzungen mit Vorbedacht ausgewählter Wildhundarten und Haushundrassen und deren Abkömmlingen können uns der Lösung der Abstammungsfrage unseres wichtigsten Hausthieres näher führen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DLIX559-DLXVIII568.
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