Steinsperling (Petronia stulta)

[321] Der Steinsperling, Bergsperling, Steinfink (Petronia stulta, rupestris, saxorum, brachyrhynchos, macrorhynchos und brevirostris, Fringilla petronia, stulta und bononiensis, Passer stultus, sylvestris, petronia und bononiensis, Pyrgita petronia und rupestris, Coccothraustes petronia, Bild S. 315), ist oberseits hell erdbraun, ein breiter Streifen, welcher von den Nasenlöchern über das Auge bis in den Nacken zieht, dunkelbraun, ein dazwischen auf der Mitte des Kopfes verlaufender hellbraun, nach dem Nacken zu in fahl gelbbräunlich übergehend, ein Zügelstreifen, welcher hinter und über dem Auge beginnt, über die Schläfen sich herabzieht und unterseits von einem dunkelbraunen begrenzt wird, licht fahlgrau, der Mantel dunkelbraun, durch breite, bräunlichweiße Längsflecke streifig gezeichnet, das obere Schwanzdeckgefieder an der Spitze fahlweiß, das der Backen und Halsseiten einfarbig erdbräunlich, das der Unterseite gelblichweiß, fahlbraun gesäumt, wodurch auf Kropf, Brust und namentlich den unteren Seiten braune Längsstreifen entstehen, ein länglichrunder Querfleck auf der Kehlmitte hellgelb, das Unterschwanzdeckgefieder braun mit breiten gelblichweißen Enden; die Schwingen sind dunkelbraun, außen und an der Spitze mit bräunlichen, an den ersten Handschwingen sich verbreiternden, an den Armschwingen noch mehr zunehmenden und ins Bräunliche übergehenden Säumen; die letzten Armschwingen auch mit einem großen, fahlweißen, spitzen Flecke geziert, die Deckfedern der Schwingen dunkelbraun, außen schmal weiß gesäumt, die größte Reihe der gleich gefärbten Flügeldecken am Ende breit fahlweiß umrandet, wodurch eine Querbinde entsteht, alle Schwingen am Rande der Innenfahne fahlbräunlich, die Schwanzfedern tiefbraun, gegen die Wurzel zu heller, an der Spitze der Innenfahne mit einem großen weißen Flecke geschmückt, die äußersten Federn jederseits außen fahlweiß, die übrigen schmal gelblich olivenfarben gesäumt. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel ölgelb, der Oberschnabel dunkler, der Fuß röthlich hornfarben. Das im ganzen gleichgefärbte Weibchen unterscheidet sich durch kleineren Kehlfleck. Die Länge beträgt einhundertundsechzig, die Breite zweihundertundneunzig, die Fittiglänge neunzig, die Schwanzlänge sechsundfunfzig Millimeter.

[321] Das Verbreitungsgebiet des Steinsperlings umfaßt Mittel- und Südeuropa, einschließlich Maderas, Nordwestafrika mit Einschluß der Kanaren, Südwest-und Westasien, Ostsibirien und Afghanistan. In Deutschland, woselbst er durchaus nicht zu den häufigen Vögeln gehört, findet man ihn einzeln in felsigen Gegenden oder als Bewohner alter verfallener Gebäude, namentlich Ritterburgen, so auf der Lobedaburg bei und in den Felsen der Umgegend von Jena, hier und da im Harze, an der Mosel und am Rheine. Von Südfrankreich an tritt er regelmäßiger auf, und in Spanien, Algerien, auf den Kanarischen Inseln, in Süditalien, in Griechenland, Dalmatien, Montenegro, Palästina und Kleinasien zählt er unter die gemeinen Vögel des Landes, bewohnt hier alle geeigneten Orte, Dörfer und Städte ebensowohl wie die einsamsten Felsthäler, und bildet nach Art seiner Verwandten sogar Siedelungen. In Spanien traf ich ihn mit Sicherheit in jeder steilen Wand des Mittelgebirges, aber auch in jedem alten Schlosse an. Auf Canaria sind, wie Bolle uns mittheilt, Thürme und sehr hohe Gebäude innerhalb der Städte sein Lieblingsaufenthalt. Er meidet also den Menschen keineswegs, bewahrt sich aber unter allen Umständen seine Freiheit. In die Straßen der Städte und Dörfer kommt er nur höchst selten herab, fliegt vielmehr regelmäßig nach der Flur hinaus, um hier Nahrung zu suchen. Scheu und Vorsicht bekundet er stets. Er will auch da, wo er wenig mit dem Menschen zusammenkommt, nichts mit diesem zu thun haben.

In seinen Bewegungen unterscheidet sich der Steinsperling wesentlich von seinen Verwandten. Er fliegt schnell, mit schwirrenden Flügelschlägen, schwebt vor dem Niedersetzen mit stark ausgebreiteten Flügeln und erinnert viel mehr an den Kreuzschnabel als an den Spatz. Auf dem Boden hüpft er ziemlich geschickt umher; im Sitzen nimmt er eine kecke Stellung an und wippt häufig mit dem Schwanze. Sein Lockton ist ein schnalzendes, dreisilbiges »Giüib«, bei welchem der Ton auf die letzten Silben gelegt wird, der Warnungsruf ein sperlingsartiges »Errr«, welches man jedoch auch sofort erkennen kann, der Gesang ein einfaches, oft unterbrochenes Zwitschern und Schwirren, welches in mancher Hinsicht an das Lied des Gimpels erinnert, jedoch nicht gerade angenehm klingt.

Die Fortpflanzungszeit fällt in die letzten Frühlings- und ersten Sommermonate. In Spanien beginnt sie wahrscheinlich schon im April; ich fand aber die meisten Nester erst in den Monaten Mai bis Juli. Bei uns zu Lande hält es sehr schwer, Beobachtungen über das Brutgeschäft anzustellen, in Südeuropa ist dies selbstverständlich leichter. Hier nistet der Steinsperling in den Höhlungen steiler Felswände, in Mauerspalten, unter den Ziegeldächern der Thürme und hohen Gebäude, und zwar gewöhnlich in zahlreichen Gesellschaften. Es ist aber auch da, wo er häufig lebt, nicht eben leicht, dem Neste beizukommen; denn der Standort wird unter allen Umständen mit größter Vorsicht gewählt, und der Süden bietet in seinen zerrissenen Gebirgsschluchten der günstigen Orte so viele, daß der kluge Vogel niemals in Verlegenheit kommt. Das Nest, welches mein Vater zuerst beschrieb, hat mit anderen Sperlingsnestern Aehnlichkeit, besteht aus starken Halmen, Baumbast, Tuch, Leinwand, welche Stoffe liederlich zusammengeschichtet werden, und ist innerlich mit Federn, Haaren, Wollflocken, Raupengespinst, Pflanzenfasern und dergleichen ausgefüttert. Die Eier, fünf bis sechs an der Zahl, sind größer als gewöhnliche Sperlingseier, einundzwanzig Millimeter lang, funfzehn Millimeter dick, auf grauem oder schmutzigweißem Grunde, am stumpfen Ende meist dichter als an der Spitze, asch- und tiefgrau oder schieferfarben gefleckt und gestrichelt. Noch ist es nicht mit Sicherheit festgestellt, ob beide Geschlechter abwechselnd brüten; dagegen weiß man gewiß, daß die Eltern sich in die Mühe der Erziehung ihrer Kinder redlich theilen. Die ausgeflogenen Jungen scharen sich mit anderen ihrer Art zu namhaften Flügen und schweifen dann bis zum Herbste ziellos in der Flur hin und her, während die Eltern zur zweiten und vielleicht zur dritten Brut schreiten. Erst nach Beendigung des Brutgeschäftes vereinigen auch sie sich wiederum zu größeren Gesellschaften.

Hinsichtlich der Nahrung gilt höchst wahrscheinlich dasselbe, was wir von den übrigen Sperlingen erfahren haben. Während des Sommers verzehren die Steinsperlinge vorzugsweise Kerbthiere, im Winter Sämereien, Beeren und dergleichen. Auf den Landstraßen durchwühlen sie nach Art der Feld- und Haussperlinge den Mist nach Körnern.

[322] Nur in Gegenden, wo unsere Vögel häufig sind, kann man sich ihrer ohne große Mühe bemächtigen. In Spanien werden sie schockweise auf den Markt gebracht. Man fängt sie dort mit Hülfe von Lockvögeln unter Netzen oder auf den mit Leimrüthchen überdeckten Bäumen. Die Jagd mit dem Feuergewehre hat immer ihre Schwierigkeiten; denn der kluge Vogel, welchen nur ein Balgforscher »stultus« nennen konnte, merkt sehr bald, wenn er verfolgt wird, und seine angeborene Scheu steigert sich dann aufs höchste. Mit Recht hebt mein Vater als Eigenthümlichkeit hervor, daß er an dem Orte, wo er Nachtruhe hält, am allerscheuesten ist. Man muß, um sich seiner zu bemächtigen, förmlich anstehen und sich vor einem Fehlschusse wohl in Acht nehmen. Dies gilt auch für Spanien, wo wir uns oft vergebens bemühten, die schlauen Vögel zu überlisten, und trotz aller Uebung im Jagen derartigen Wildes meist mit leeren Händen den Rückweg antreten mußten.

In der Gefangenschaft verursacht der Steinsperling wenig Mühe, gewährt aber viel Vergnügen. Er wird bald zutraulich, verträgt sich mit anderen Vögeln vortrefflich, erfreut durch die Anmuth seines Betragens und schreitet bei geeigneter Pflege auch wohl zur Fortpflanzung.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 321-323.
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