Wanderlaubvogel (Phyllopneuste magnirostris)

[204] Außer den genannten wurde auf Helgoland auch noch eine asiatische Art der Sippe, der Wanderlaubvogel (Phyllopneuste magnirostris, indica, javanica, borealis, sylvicultrix und Kenicotti, Phylloscopus magnirostris und javanicus, Sylvia flavescens) erbeutet. Das Gefieder dieser Art ist oberseits düster olivengrün, der Augenstreif wie Backen und Ohrgegend gelblichweiß, letztere undeutlich dunkler gestrichelt, unterseits weiß, schwachgelblich angeflogen, auf den Hals- und Körperseiten bräunlichgrau verwaschen, das untere Flügeldeckgefieder gelblichweiß; die dunkelbraunen Schwingen und Schwanzfedern zeigen schmale, olivengrünliche Außen-, die ersteren breitere fahlweiße Innensäume, die ersten Decken der Armschwingen fahlgrüne Endränder, wodurch ein undeutlicher Spiegel entsteht.

Unter unseren deutschen Laubvögeln trifft zuerst, meist schon um die Mitte des März, der Weidenlaubsänger, später, gegen Ende des März, der Fitislaubsänger und in der letzten Hälfte des April endlich der Waldlaubsänger ein, dieser, um bis zum August in unseren Wäldern zu verweilen, wogegen der Fitislaubsänger nicht vor Ende des September und der Weidenlaubsänger erst im Oktober von uns weg zieht. Der Berglaubsänger, ein Alpenvogel, welcher innerhalb der Grenzen unseres [204] Vaterlandes nur Schwaben und Bayern bewohnt, erscheint noch später als seine Verwandten und verläßt sein Brutgebiet bereits im August wieder. In Deutschland lebt der Waldlaubsänger wohl in jeder Provinz, nicht aber in jeder Gegend; denn sein Wohnbaum ist die Buche, und er findet sich ausschließlich da, wo sie vorkommt, da, wo sie zusammenhängende Bestände bildet, ungemein häufig, da, wo sie im Nadelwalde eingesprengt ist, seltener, unter Umständen auf eine einzige Buche sich beschränkend. Nur in Südungarn habe ich ihn auch in Weiden- und Pappelwaldungen, wahrscheinlich aber als Zugvogel, angetroffen, da er in den herrlichen Wäldern der Fruschkagora, wie der Herrschaft Belye als einzige Art seines Geschlechts wiederum durch die Buche sich fesseln ließ. Diesem Baume zu Gefallen steigt er bis zur oberen Waldgrenze empor, wie er überhaupt im Gebirge lieber zu wohnen scheint als in der Ebene. Der Fitis beschränkt seinen Aufenthalt nicht in dieser Weise, tritt vielmehr buchstäblich aller Orten auf, wo er Unterkunft und Unterhalt zu finden glaubt, obwohl er gewisse Waldungen, namentlich gemischte mit viel Unterholz, anderen bevorzugt. In ähnlicher Weise verbreitet sich auch der Weidenlaubsänger, obschon er seinen Namen nicht umsonst trägt. In manchen Gegenden wohnen beide Arten friedfertig neben einander, hier tritt der eine, dort der andere häufiger auf. Der Berglaubvogel endlich wählt am liebsten südlich oder östlich gelegene, mit Lärchen und dichtem Unterholze bewachsene, hier und da durch Blößen unterbrochene Gehänge des Gebirges zu seinen Wohnsitzen, ohne deshalb Laubwaldungen mit Unterholz und dichter Pflanzendecke zu meiden. Für den Waldlaubvogel bilden die unteren Aeste hoher Buchen die beliebtesten Sitz- und Ruheorte, wogegen der Weidenlaubsänger die äußerste Wipfelspitze aufzusuchen pflegt und der Fitis zwischen hoch und niedrig kaum einen Unterschied macht. Jedes Pärchen grenzt sich auf der erwählten Oertlichkeit sein Brutgebiet ab, duldet innerhalb desselben kein anderes der gleichen Art, neckt und verfolgt auch alle übrigen kleinen Vögel, welche sich ihm allzunah aufdrängen, und trägt dadurch, wie durch die ihm eigene Unruhe und den zwar einfachen, aber doch nicht unangenehmen Gesang wesentlich zur Belebung der Wälder bei.

Bewegungen und Handlungen der Laubsänger verrathen, wie Naumann mit Recht sagt, immerwährenden Frohsinn. Ruhig auf einer und derselben Stelle zu sitzen, kommt ihnen schwer an. Wie die Grasmücken, sind sie fast ununterbrochen in Bewegung, bald geschickt durch Zweige schlüpfend, bald einer Zweigspitze zufliegend und flatternd vor derselben sich erhaltend, um ein Kerbthier wegzunehmen, bald singend einem anderen Baume zustrebend. Selbst wenn sie wirklich einmal auf einer Stelle sitzen, wippen sie wenigstens noch mit dem Schwanze. Ihr Flug ist flatternd und etwas unsicher, wie Naumann sich ausdrückt, hüpfend; auch beim Durchmessen weiterer Strecken beschreiben sie eine unregelmäßige, aus längeren und kürzeren Bogen zusammengesetzte Schlangenlinie. Nicht umsonst heißt der Waldlaubvogel auch der schwirrende; denn die Hauptstrophe seines Liedes ist in der That kaum mehr als ein Schwirren, welches man durch die Laute »Sisisisisirrrrrirrirr« ungefähr versinnlichen kann. Bei Beginn der Strophe, welche anscheinend mit größter Anstrengung hervorgestoßen wird, pflegt sich der Vogel von seinem Sitze herabzuwerfen und, mit den Flügeln zitternd oder schwebend, einem anderen Aste zuzuwenden, immer aber einem solchen, welchen er mit Beendigung der Strophe zu erreichen vermag, worauf er dann noch zwei oder dreimal die äußerst zartklingende Silbe »Hoid« verlauten läßt. Der Gesang des Fitis besteht nur aus einer Reihe sanfter Töne, welche wie »Hüid, hüid, hoid, hoid, hoid, hoid« klingen; aber das schmelzende und flötenartige, das Steigen und die Weichheit der Laute gibt ihm, wie mein Vater sagt, etwas eigenes und ansprechendes, daß er dem Schlage vieler Vögel vorzuziehen ist. Das Lied des Weidenlaubvogels dagegen beginnt mit den Silben, »Trip, trip, trip, het«, worauf die lauteren »Dillr, dellr, dillr, dellr« folgen; der Gesang des Berglaubsängers endlich klingt, laut Landbeck, wie »Se-e-e-e- trrre-e- e, da, da da, uit, uit, uit«. Alle Arten singen so lange die Brutzeit währt, außerordentlich eifrig, blähen daher die Kehle auf, sträuben die Scheitelfedern, lassen die Flügel hängen, zittern vielleicht auch mit ihnen, beginnen schon am frühesten Morgen und enden erst nach Sonnenuntergange.

[205] Alle Laubsänger bauen mehr oder weniger künstliche, backofenförmige Nester auf oder unmittelbar über dem Boden. Die Nester des Waldlaubsängers, Fitis und Berglaubvogels stehen stets auf letzterem, die des Weidenlaubsängers in der Regel ebenfalls, zuweilen aber auch einen halben bis auf einen Meter hoch in Sträuchern, da, wo das Unterholz aus Wacholder besteht, fast stets in diesem. Der Waldlaubsänger wählt zu seinem Nistplatze den unteren Theil eines alten Stockes, den Fuß eines großen oder kleinen Baumstammes, welcher von Heidekraut, Heidel-oder Preißelbeeren, Moos und Gras dicht umgeben ist, errichtet hier aus starken Grashalmen, feinen Holzspänen, Moosstengeln, Kieferschalen, Splittern und ähnlichen Stoffen den äußerlich ungefähr dreizehn Centimeter im Durchmesser haltenden Kuppelbau mit vier Centimeter weitem Eingangsloche und kleidet das Innere mit feineren Grashalmen äußerst sauber aus, wogegen Fitis und Weidenlaubsänger den Bau aus Gras, Blättern und Halmen herstellen, mit Moos und Laub umkleiden, innen aber mit Federn, namentlich Rebhuhnfedern, ausfüttern, und der Berglaubvogel endlich, welcher das größte Nest unter allen Verwandten zu bauen scheint, Wurzeln, Gras, dürre Aestchen zum Außenbau, feiner gewählte Stoffe derselben Art zum Innenbau und zuweilen noch Thierhaare zur Auskleidung der Mulde verwendet. Um den großen Bau zu Stande zu bringen, beginnen die weiblichen Laubsänger, wie mein Vater vom Fitis beobachtete, damit, die Vertiefung auszuhöhlen, in welcher das Nest steht, ziehen, oft mit großer Anstrengung, die Gras- und Moosstengel aus und bearbeiten die Stelle mit dem Schnabel so lange, bis sie den Grund halbkugelförmig ausgegraben haben. Nunmehr erst gehen sie zum Herbeitragen und Ordnen der Niststoffe über, bethätigen hierbei aber, obgleich sie nur in den Morgenstunden daran arbeiten, so viel Fleiß und Eifer, daß das ganze binnen wenigen Tagen vollendet ist. Während der Arbeit suchen sie sich und das Nest sorgfältig zu verbergen, rupfen fern von jenem Moos und Gras aus, fliegen damit auf hohe, nahe beim Neste stehende Bäume und kommen erst von letzteren zur Niststelle herab. Der Waldlaubsänger brütet nur einmal im Jahre und zwar zu Ende des Mai oder im Anfange des Juni, der Fitis früher, meist schon in der ersten Hälfte des März, der Weidenlaubsänger ungefähr um dieselbe Zeit, der Berglaubsänger dagegen, der Lage seiner Wohnsitze entsprechend, kaum vor den letzten Tagen der ersten Hälfte des Juni. Das Gelege zählt bei den erstgenannten fünf bis sechs, beim Fitis fünf bis sieben, beim Weidenlaubsänger fünf bis acht, beim Berglaubsänger endlich vier bis fünf Eier, welche durchgängig funfzehn bis siebzehn Millimeter lang und elf bis dreizehn Millimeter dick, verschiedengestaltig, aber stets dünn- und glattschalig, glänzend und gefleckt sind. Die des Waldlaubsängers zeigen auf weißem Grunde viele rothbraune und verwaschen aschbläuliche, mehr oder minder dicht über die ganze Oberfläche vertheilte oder gegen das Ende hin gehäufte, die des Fitislaubsängers in ähnlicher Anordnung auf milchweißem Grunde hellrothe oder hell lehmröthliche, auch wohl hell röthlichbraune und verwaschen blauröthliche, die des Weidenlaubsängers auf kreideweißem Grunde rothbraune und braunrothe, auch wohl dunkel rothbraune und aschgraue, die des Berglaubsängers endlich auf weißem Grunde bläuliche oder bräunliche, entweder über das ganze Ei vertheilte, oder gegen das dicke Ende hin gehäufte, hier auch wohl kranzartig zusammenfließende Punkte und Flecke. Beide Geschlechter brüten abwechselnd, das Männchen jedoch nur während der Mittagstunden, auch nicht so hingebend wie das Weibchen, welches sich fast mit Händen greifen oder thatsächlich ertreten läßt, bevor es wegfliegt und, wenn endlich entschlüpft, in kriechender Weise dicht über dem Boden dahinfliegt, falls aber bereits Junge im Neste liegen, unter allerlei mit kläglichem Schreien begleiteten Listen und Verstellungskünsten flüchtet. Nach höchstens dreizehntägiger Brutzeit entschlüpfen die Jungen; ebenso viele Tage später sind sie erwachsen, noch einige Tage darauf selbständig geworden, und nun entschließen sich Fitis und Weidenlaubsänger auch wohl, zum zweitenmal zu brüten.

Den behaarten und befiederten Räubern, welche kleinen Vögeln insgemein nachstellen, gesellen sich als Feinde der Laubsängerbrut Mäuse, Waldspitzmäuse, vielleicht auch Schlangen und Eidechsen; mehr aber als durch alles dieses Gezücht ist sie durch länger anhaltende Platzregen [206] gefährdet. Der Mensch verfolgt die munteren und liebenswürdigen Vögel nur in Welschland, Südfrankreich und Spanien, um auch sie für die Küche zu verwerthen. Im Käfige sieht man Laubsänger selten, obwohl sie sich recht gut für die Gefangenschaft eignen, zwar nicht in allen Fällen und ohne ihnen gewidmete Aufmerksamkeit, aber doch unter sorgsamer Pflege an ein Ersatzfutter sich gewöhnen, bald zahm und zutraulich werden und dann alle auf ihre Pflege verwendete Mühe reichlich vergelten.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 204-207.
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