Schlagschwirl (Locustella fluviatilis)

[224] Mehr den Südosten Europas und außerdem Westasien und Ostafrika bewohnt der in Deutschland seltene Schlagschwirl oder Flußrohrsänger (Locustella fluviatilis und strepitans, [224] Sylvia, Acrocephalus, Salicaria, Lusciniopsis und Threnetria fluviatilis, Bild S. 222). Seine Länge beträgt einhundertsiebenundvierzig, die Breite zweihundertfünfunddreißig, die Fittiglänge dreiundsiebzig, die Schwanzlänge zweiundsechzig Millimeter. Die Oberseite und die Außenfahnen der olivenbraunen Schwingen und Schwanzfedern sind olivenfahlbraun, die Untertheile heller, Kehle und Bauchmitte fast weiß, die breiten Endsäume der rostbräunlichen unteren Schwanzdecken verwaschen weiß, Kehle und Kopf mit sehr verwischten olivenbräunlichen Längsstreifen gezeichnet. Der Augenring hat braune, der obere Schnabel hornbraune, der untere wie der Fuß horngelbliche Färbung.

Wahrscheinlich kommt der Schlagschwirl in Deutschland öfter vor, als man bis jetzt annimmt; denn er mag sehr oft mit seinen Verwandten verwechselt werden. Mit Sicherheit ist er an der Elbe, Oder und dem Memel sowie neuerdings von Freund Liebe an der Göltsch, einem Nebenflusse der Elster, beobachtet worden. Häufiger tritt er an der mittleren und unteren Donau, in Galizien, Polen und ganz Rußland auf. Wir verdanken die eingehendsten Berichte über sein Freileben Wodzicki und Schauer, welche ihn in Galizien beobachtet haben. Hier bewohnt er zwar ebenfalls niedrige Lagen, mit Weidengebüsch bestandene Waldwiesen ausgedehnter Föhrenwaldungen, von Wiesen und Viehweiden umgebene Erlenbrüche oder ähnliche Oertlichkeiten, am häufigsten aber doch die Buchenholzschläge des Mittelgebirges, in denen über starken Wurzelstöcken und alten, faulenden Stämmen der üppigste, aus hohen Gräsern, Halbgräsern, Doldengewächsen, Brombeer- und Himbeersträuchern bestehende Unterwuchs wuchert. In seinem Brutgebiete erscheint er erst um die Mitte des Mai, wenn der Pflanzenwuchs schon so weit vorgerückt ist, daß er sich verstecken kann, nimmt auch nicht sogleich nach seiner Ankunft seine Brutstätte ein, sondern schweift erst an Orten umher, wo man ihn nicht vermuthen oder suchen möchte: in kleinen Gärtchen mit Stachelbeerbüschen, sogar in trockenen, aus Ruthen geflochtenen Zäunen zum Beispiel. Aber auch an solchen so wenig deckenden Orten weiß er sich auf das geschickteste zu verbergen; denn sein ganzes Wesen ist versteckt und geheimnisvoll. Selbst am Brutplatze, vielleicht einer Wiese, auf welcher unzusammenhängende Weidenbüsche stehen, gewahrt man das Männchen bloß, wenn es sich ganz sicher glaubt, und auch dann voraussichtlich nur auf bestimmten Zweigen, seinen Singplätzen, zu denen es regelmäßig zurückkehrt; übrigens hält es sich stets versteckt, fliegt so selten wie möglich und, wenn es dasselbe dennoch thut, bloß über kurze Strecken, unter gleichartigem, schnurrendem Flügelschlage, einer großen Sphinx vergleichbar, hält dabei stets eine schnurgerade Linie ein, hat nur sein Ziel vor Augen und läßt sich durch nichts beirren. Beunruhigt, sucht es sich nur durch Flucht zu retten; nähert man sich ihm, wenn es, wie gewöhnlich, auf einem hervorragenden trockenen Zweige des Weidenbaumes sitzt, so stürzt es wie todtgeschossen, ohne einen Flügel zu rühren, fallrecht herab, verkriecht sich im Grase, weiß binnen wenigen Augenblicken die dichtesten und verworrensten Stellen zu gewinnen und läßt sich durch kein Mittel, nicht einmal durch einen Hund, zum Auffliegen zwingen. Einzig und allein im Eifer des Gesanges vergißt es zuweilen die ihm eigene Vorsicht und gestattet unter Umständen, daß ein versteckter Beobachter es und sein Treiben belauscht. Beim Singen geberdet es sich ganz wie seine Verwandten, erklettert einen überragenden Zweig oder hebt den Kopf in die Höhe, so daß der Schnabel fast senkrecht emporgerichtet wird, öffnet ihn sehr weit, sträubt gleichzeitig die Kehlfedern und schwirrt nun unter eigenthümlichen Zungenbewegungen seinen Triller ab. Dieser besteht aus zwei nebeneinander liegenden gezogenen Tönen, von denen der eine tiefer und stärker, der andere höher und schwächer ist, und wird, nach Schauers Meinung, ebensowohl beim Einathmen wie beim Ausstoßen von Luft hervorgebracht. Verglichen mit dem Triller des Feldschwirls ist er stark und kräftig, weniger zischelnd, sondern mehr wetzend, der vielleicht funfzig- bis sechzigmal aneinander gereihten Silbe »Zerr« etwa ähnlich, stets merklich kürzer, auch im Gange langsamer und dem Schwirren der grünen Heuschrecken ähnlicher. Er wird von Zeit zu Zeit durch den abgerissenen, schnarrenden Lockton unterbrochen und erinnert in gewisser Beziehung an den Anfang des Goldammergesanges. Während des Singens wendet der Schlagschwirl den Kopf mehr oder weniger bald nach rechts, bald [225] nach links, und bewirkt dadurch, daß das Schwirren bald etwas stärker, bald etwas schwächer erklingt. Niemals schwirrt er, wenn er sich von einem Orte zum anderen bewegt; will er seinen Platz wechseln oder auch nur einen Sprung ausführen, so unterbricht er sich. Fühlt er sich sicher, und ist gutes Wetter, so sitzt er stets auf einem hervorragende trockenen Zweige eines Busches, seltener auf den unteren oder mittleren Aesten, niemals im Wipfel eines Baumes. Wurde er gestört, so beginnt er aus der Mitte eines Busches ganz ungesehen und versteckt kurze, durch Pausen unterbrochene Strophen zu trillern, springt aber gewöhnlich nach jedem Triller, nach jeder Pause auf einen höheren Ast, bis er endlich sein Lieblingsplätzchen wieder eingenommen hat. Erst wenn er hier sich vollkommen sicher glaubt, fängt er aus voller Brust nach Herzenslust zu singen an. Bei starkem Winde und leichtem Regenwetter hört man ihn ebenfalls; dann aber sitzt er tief unten im Busche und kommt nicht zum Vorscheine. Dem Schwirren läßt er, wie seine Verwandten auch, ein eigenthümliches Gurgeln, Glucksen, Murksen vorausgehen, namentlich, wenn er gestört wurde. Oft aber will auch sein Gesang nicht recht in Gang kommen: er räuspert und gurgelt, hält aber plötzlich inne und schwirrt gar nicht oder läßt nur einen einzigen Triller vernehmen. Das Weibchen antwortet jedesmal, sobald das Männchen zu singen aufhört, mit einem »Tschick, tschick«, welches offenbar Wohlgefallen bekundet, da der Ausdruck der Angst ein knarrendes »Kr, kr« ist.

Das Nest steht immer auf dem Boden, aber auf sehr verschiedenen Oertlichkeiten, entweder in Büschen oder auf Graskufen, zwischen Wurzeln eines Baumes usw., ist auch sehr ungleichmäßig gebaut, bald aus groben Schilfblättern unordentlich zusammengefügt und innen mit Moos und feinen Wurzeln ausgelegt, bald etwas besser geflochten und innen auch zierlicher ausgekleidet, bald wiederum aus kleinen, feinen Gräsern und Moos hergestellt, von außen regelmäßig mit einem großen zusammengetragenen Haufen derselben Stoffe, welche die Wandungen bilden, so locker umgeben, daß man das Nest aus dieser Ringmauer herausheben kann. Um die Mitte des Mai, oft aber erst zu Ende des Monats, beginnt das Weibchen seine vier bis fünf Eier zu legen und vom ersten an zu brüten. Die Eier haben einen Längsdurchmesser von vierundzwanzig, einen Querdurchmesser von achtzehn Millimeter, ändern in der Form vielfach ab und sind auf weißem, schwach glänzendem Grunde mit äußerst kleinen schmutziggelblichen und braunen, gegen das dicke Ende zu einem undeutlichen Kranze zusammentretenden Punkten gezeichnet. Das Weibchen hängt an seiner Brut mit solcher Liebe, daß Wodzicki drei Fehlschüsse auf ein solches thun und beobachten konnte, wie dasselbe trotzdem zum Neste zurückgelaufen kam und weiter brütete. Gleichwohl sind die Vögel gegen Gefahr nicht unempfindlich; denn schon beim leisesten Geräusche hört man das Männchen wie das Weibchen warnend »Kr, kr, tschick« ausrufen und erst dann wieder schweigen, wenn beide von ihrer Sicherheit sich überzeugt haben. Die Jungen verlassen das Nest, wenn sie kaum mit Federn bedeckt und ihre Schwanzfedern eben im Hervorsprossen begriffen sind, laufen wie Mäuse im Grase umher, locken eintönig »Zipp, zipp«, selbst wenn die Alten sie durch ihren Warnungslaut zum Schweigen bringen wollen, und würden sich leichter verrathen, als dies der Fall, täuschte nicht auch bei ihnen der Ton in auffallender Weise selbst den kundigen Beobachter.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 224-226.
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