Fausthuhn (Syrrhaptes paradoxus)

[18] Das Faust- oder Steppenhuhn, »Büldrück« der Kirgisen, »Sadscha« der Russen, »Sadschi« der Chinesen, »Nukturu«, »Njüpterjün« und »Bolduru« der Mongolen, »Altin« der Drojedanzen (Syrrhaptes paradoxus, heteroclitus und Pallasii, Tetrao paradoxus, Nematura paradoxa, Pterocles syrrhaptes, Heteroclitus tataricus), ist ohne die verlängerten Mittelschwanzfedern neununddreißig Centimeter lang und ohne die verlängerten Schwingenspitzen sechzig Centimeter breit; die Fittiglänge beträgt achtzehn, die Schwanzlänge zwölf, einschließlich der verlängerten Mittelfedern ungefähr zwanzig Centimeter. Das Weibchen ist etwas kürzer und schmäler. Der Oberkopf, ein Streifen, welcher, vom Auge beginnend, nach den Halsseiten verläuft, dieser und die Kopfgegend sind aschgrau, Kehle, Stirn und ein breiter Streifen über dem Auge lehmgelb, Brust und Brustseiten, welche durch ein drei- oder vierfaches, aus feinen weißen und schwarzen Streifen bestehendes Band von dem Kropfe getrennt werden, graulich isabellfarben; der Oberbauch ist braunschwarz, der Unterbauch wie die unteren Schwanzdeckfedern licht aschgrau, der Rücken auf lehmgelbem Grunde mit dunkleren Querstreifen gebändert; die Schwingen sind aschgrau, die vordersten außen schwarz, die hinteren innen graulich gesäumt, die Schulterfedern bräunlich, vorn gilblich und an der Spitze weiß gesäumt, die inneren Flügeldeckfedern sandbraun mit schwarzbraunen Endtupfen, die Schwanzfedern auf gelbem Grunde dunkel gebändert, die Federn, welche die Läufe bekleiden, falb weißlich. Das Weibchen unterscheidet sich vom Männchen durch den Mangel des Brustbandes, die lichtere, bräunliche Färbung des Unterbauches und das lichtere Gelb des Gesichtes sowie endlich durch das mehr gefleckte als gebänderte Gefieder der Oberseite, dessen Zeichnung auch an den Halsseiten sich fortsetzt.

Pallas beschrieb das Steppenhuhn im Jahre 1770, theilt aber nichts über seine Lebensweise mit und bemerkt nur, daß es in den osttatarischen Steppen gefunden werde; Eversmann bestimmt den Wohnkreis genauer und gibt an, daß es nur die Steppe östlich vom Kaspischen Meere bis nach der Songarei bewohnt, im Westen selten weiter nach Norden als bis zum sechsundvierzigsten Breitengrade, im Osten dagegen viel weiter, nämlich noch auf den Hochsteppen des südlichen Altai, am oberen Laufe der Tschuja, in der Gegend des dortigen chinesischen Vorpostens, vorkommt. Der Heidenprediger Huc veröffentlicht eine Schilderung des Vogels und seiner Lebensweise, welche ein Gemisch von Wahrheit und Dichtung ist, und erst Radde und Swinhoe berichten in sachgemäßer Weise. Da ich das merkwürdige Huhn in der Freiheit nur an einem einzigen Tage, und zwar in der südaltaischen Steppe, beobachten konnte, lasse ich zunächst den trefflichen Radde, dessen Schilderungen von Przewalski durchaus bestätigt werden, anstatt meiner reden, bemerke jedoch, daß ich seine Darstellung nicht im strengsten Sinne dem Wortlaute nachgebe, vielmehr das in zwei verschiedenen Werken von ihm gesagte in der mir geeignet scheinenden Weise zusammenzustellen versucht und nicht hierhergehöriges weggelassen habe.

»Zur Zeit, wenn Thermopsis und Cymbaria geblüht und die ersten Knospen der schmalblätterigen Lilie sich entfaltet haben, bietet das Thierleben in den Steppen wesentlich andere Erscheinungen als im Frühjahre zur Blütezeit der Irideen. Es ist die Brutzeit der Vögel und die Zeit der Geburt der meisten wilden Steppenthiere. Wir wollen also, um jenen Unterschied kennen zu lernen, uns abermals zum Tarai-nor, und zwar heute in seine wüstesten Gegenden, nach der Grenze, versetzen, wo einige erhöhte Inseln aus dem hier noch weichen Schlammboden auftauchen. Die Reise zu ihnen über die hohen Steppen zeigt uns ein wahres Sommerbild hiesiger Gegend. Die Hitze der Mittagssonne macht die Murmelthiere besonders lustig; in weitem Bogen hoch in der Luft kreisen die Schreiadler; geduldiger als sie sitzt der Bussard stundenlang auf einem Hügel; das angenehme Zwitschern der mongolischen Lerche läßt sich vernehmen; die Pfeifhasen beginnen ihre langwierigen Arbeiten; die zahlreichen Herden ziehen zu den sumpfigen Süßwasserpfützen des Tarai; das Lärmen der Kraniche, welches sich häufig im Frühjahre hören ließ, hat aufgehört; keine Gans, keine Ente ist sichtbar; nur selten zieht eine Möve hoch an uns vorüber, ihr folgt in weiten Fernen eine zweite und dritte. Die ausstrahlende Wärme umflimmert in breiten Wellen alle Umrisse; die Inseln im [19] Tarai schwimmen förmlich in einem beständigen, wellenden, luftigen Grunde. Kein Baum, kein Strauch bezeichnet die Ferne; nur hier und da scheinen plumpe, thierische Körpermassen über dem Boden zu schweben, durch ihre scheinbare Größe täuschend. Aber der Salzboden ist nicht todt, nicht so todt wie das Bereich der Luft. Im Gegentheile, ein Vogel, welcher ebenso merkwürdig durch seinen Bau wie durch seine Lebensweise und Verbreitung ist, überrascht uns hier durch seine Häufigkeit: das Steppenhuhn.

Zur Zeit, wenn der Schnee an den Hügeln der Hochsteppen noch liegt, um die Mitte des März, zieht er aus Süden hierher und lebt dann in kleinen Gesellschaften, aber immer schon gepaart. In gelinden Wintern trifft man ihn am Nordostrande der hohen Gobi an; er erscheint aber auch nach strengen Wintern schon so zeitig und brütet dann so früh, daß er auch in dieser Hinsicht ›auffallend‹ ist. Seine Eier findet man bereits in den ersten Tagen des April und zu Ende des Mai zum zweiten Male. Nach vollbrachter zweiter Brut wechselt er wahrscheinlich oft den Aufenthaltsort, und während der Wintermonate schweift er bis zum Südrande der Gobi in die Vorberge der nördlichen Himalayaverflachungen. Schon am zehnten März 1856, als die Kälte über Nacht noch bis zu dreizehn Grad Réaumur fiel und die Wärme um die Mittagszeit sich auf zwei Grad Réaumur belief, kam die erste kleine Schar Steppenhühner zum Tarai-nor. Sie fliegen in ganz geschlossenen Ketten, ähnlich den Regenpfeiferarten, halten sich im Frühjahre in kleinen Trupps, welche aus bereits gepaarten Vögeln (vier bis sechs Paare) bestehen, zusammen, bilden aber im Herbste oft Flüge von mehreren hundert Stück. Während des Fluges lassen sie ein recht vernehmliches Schreien hören, welches Veranlassung zu der bei den Mongolen gebräuchlichen Benennung Njüpterjün gegeben hat. Die Paare bleiben auch während des Fluges beisammen.

Im Frühlinge erscheinen die Steppenhühner sehr regelmäßig zu ganz bestimmter Zeit am süßen Wasser, um zu trinken. Sie ziehen dann aus allen Richtungen herbei und schreien, sobald sie das Ufer gewahr werden, worauf die bereits anwesenden antworten und jene sich diesen gesellen. Am Rande des Wassers stehen sie in Reihen, meistens zu zehn bis zwölf bei einander. Ihre Ruhe hier währt aber nicht lange; sie ziehen dann wieder fort, um förmlich zu äsen, und zwar zu den weißen Stellen in der Steppe, auf denen Salz ausgewittert ist, und zu den kleinen Höhen, welche mit Gräsern bewachsen sind. Sie verschmähen nicht die junge saftreiche Sprosse der Salicornien und weiden diese förmlich ab, also in der Art, wie der Trappe es mit Gräsern thut. Im Frühlinge fand ich im Schlunde und Magen die Samen der Salsole. Im Sommersonnen sie sich gern; auch hierbei traf ich gesonderte Paare, aber meistens mehrere derselben beisammen. Wie die Hühner scharren sie sich dann flache Vertiefungen in die weißgrauen, salzdurchdrungenen, geringen Erhöhungen, welche hier und da am Ufer des Tarai-nor weite Strecken bilden und die Salzpflanzen ernähren. Ich habe sie in dieser Ruhe einige Male lange beobachtet. Anfangs laufen sie noch emsig umher, gleichsam suchend; sind sie ganz satt, so beginnt ihre Ruhe, gewöhnlich gegen elf Uhr, wenn es recht heiß wird. Dann scharren sie Vertiefungen und hocken sich in dieselben, suchen sich auch ganz wie die Haushühner recht gemächlich in den gelockerten Boden einzuwühlen, wobei sie den Körper seitwärts hin- und herbewegen und das sonst so glattanliegende Gefieder aufblähen. Wachen stellen sie dabei nicht aus. So sitzen sie ganz ruhig, und man kann sie kaum bemerken, da ihr gelbgraues, schwarz gesprenkeltes Gefieder dem Boden recht ähnlich ist. Ein Falk schießt im Pfeilpfluge über die ruhenden dahin; sie raffen sich auf und entziehen sich bald unseren und des begierigen Räubers Blicken. Ihr Nothruf weckt die nächsten Genossen; auch diese erheben sich und eilen davon, durch ihr Geschrei ganze Banden zur Flucht aufmunternd; denn alle, welche den Angstruf vernehmen, folgen, auch wenn sie nicht derselben Bande angehören, dem Beispiele der aufgescheuchten. So erfüllt sich die Luft in kurzer Zeit mit unzähligen kleinen Scharen dieser eigenthümlichen Hühner. Ihr Lärmen läßt sich von allen Seiten her vernehmen, und im Nu schießen die Vögel an uns vorüber, ehe wir zum Schusse kommen. Aber ebenso rasch, wie diese Ruhe gestört wurde, stellt sie sich wieder ein. Die Steppenhühner lassen sich nieder, laufen anfangs furchtsam über die weiße Salzstelle, [20] bis sie abermals auf flache Erhöhungen sich legen und wie vorher sich verhalten. Sie dürften übrigens kaum dem geschicktesten Edelfalken zum Raube werden. Ihr Flug ist schneidender und rascher als der der Tauben. Daß sie aber zugleich ausdauernde Laufvögel sind, bezweifle ich; denn ihre Bewegungen zu Fuß sind zwar rasch, aber nicht anhaltend.

Sehr sonderbar ist das Fortziehen zahlreicher Steppenhühnerbanden im Sommer. Es liegt mir hierüber eine eigene Beobachtung vor, welche entschieden dafür spricht. Als ich mich in den letzten Tagen des Mai zu den im Tarai-nor gelegenen Aralinseln begeben wollte, mußte ich weite Uferstrecken am jetzt ausgetrockneten See zurücklegen, und stieß vormittags auf eine Unzahl kleiner Banden dieser Vögel, welche insgesammt ein Gebiet bewohnten, aber so scheu waren, daß ich mich ihnen auf keine Weise nähern konnte. Nach vielen vergeblichen Versuchen, sie zu schießen, gab ich die Jagd bis zum Abende auf. Mit Sonnenuntergang hatten sich alle Vögel in zwei große Schwärme, deren jeder wohl tausend Stücke zählen mochte, vereinigt und lärmten auf das eifrigste. Ich hoffte sie nun beschleichen zu können, hatte mich aber geirrt; denn weder zu Pferde, noch kriechend konnte ich mich ihnen nähern. Nach mehrmaligem Auftreiben verließen sie endlich die Ufer des Tarai- nor und flogen östlich zu den Höhen der Steppe, wo sie sich an zwei Orten niederließen. Diese Plätze waren im Winter die Lagerstätten zweier Herden gewesen; eine dicke Schicht schwarzen, schon festgetretenen Mistes hatte sich auf ihnen erhalten, und durch diese Decke war keiner der schwachen Pflanzenkeime gedrungen. Hier blieben sie ungestört, da die einbrechende Dunkelheit mich an der weiteren Jagd verhinderte. Aber immer noch lärmten sie fort. Am nächsten Tage waren sie spurlos verschwunden. Niemals, so oft ich im Laufe des Sommers zum Tarai ging, fand ich wieder einen von ihnen. Auch die herumziehenden Hirten sahen sie nicht, vertrösteten mich aber auf die Herbstzeit, in welcher sie, wie sie sagten, noch häufiger hierher kämen. Leider erfüllten sich ihre Angaben nicht. Es befremdete mich, daß ein Vogel nach vollendeter zweiter Brut plötzlich zur Sommerzeit vollständig fortzog, obgleich ich auch in diesem Falle ein Beispiel für die unstete, wandernde Lebensweise wahrer Steppenbewohner gefunden zu haben glaube. Erst als ich im Oktober in den südlichsten Gegenden der Steppe auf die Antilopenjagd zog, als schon lange der Herbstzug des Geflügels beendigt war, sah ich jenseit des Argunj die Steppenhühner wieder. Kettenzüge von ihnen flogen schnell und hoch jetzt nach Norden, auf russisches Gebiet, wo ich sie aber im Bereiche der Steppe nicht wieder fand.

Das Nest ist sehr kunstlos und den Flughuhnnestern wohl ganz ähnlich. Es brüten mehrere Paare gemeinschaftlich, doch nie viele. In den salzdurchdrungenen Gründen am Tarai-nor, meistens auf dessen jetzt seit Jahren trocken gelegtem Boden selbst, wird es durch eine flach ausgeworfene Vertiefung von etwa zwölf Centimeter Durchmesser gebildet, deren Rand mit einigen Salsolasprossen und Gräsern umlegt wird, welche letzteren jedoch auch bisweilen fehlen. Die Anzahl der Eier beträgt vier. In ihrer Gestalt ähneln sie den Flughuhneiern; sie zeichnen sich aus durch ihre rein eirunde Form, sind jedoch zuweilen an dem einen Ende etwas spitzer als am anderen. Die Grundfarbe wechselt von hell grünlichgrau bis schmutzig bräunlichgrau, letztere ist die gewöhnlichere. Auf diesem Grunde findet sich die meistens feinfleckige, erdbraune Zeichnung in zwei verschiedenen Tönen.«

Unsere Kenntnis der Lebenskunde des Steppenhuhnes wurde schon ein Jahr nach dem Erscheinen des Radde'schen Werkes infolge eigenthümlicher Umstände wesentlich bereichert. Bereits im Jahre 1860 war es durch Schlegel und Moore wissenschaftlich festgestellt worden, daß einzelne Steppenhühner in Mitteleuropa sich gezeigt hatten. Es waren solche auf den Dünen Hollands und in Großbritannien erlegt worden; ja, man hatte, falls Collett recht unterrichtet ist, in der Mitte des August 1861 einen aus vierzehn oder funfzehn Stücken bestehenden Flug von ihnen bei Mandal in Norwegen beobachtet und ebenfalls mehrere geschossen. Diese vereinzelten Zuzügler waren als Irrgäste betrachtet worden und ihren wiederholten Besuchen größere Bedeutsamkeit nicht beigelegt worden. Aehnliches fand, wie Swinhoe berichtet, im Herbste desselben [21] Jahres in Nordchina statt. Hier aber handelte es sich nicht um einzelne versprengte, sondern um ein ganzes Heer unserer Vögel, welche sich auf der Ebene zwischen Peking und Tientsin niedergelassen hatten. Die Chinesen verfolgten die Fremdlinge, welche ihnen unter dem Namen »Satschi« oder Sandhühner wohl bekannt waren, auf das eifrigste und erzählten Swinhoe, daß sie häufig in Netzen gefangen und mit dem Luntengewehre erlegt würden. Nach einem reichlichen Schneefalle gestaltete sich der Fang so ergiebig, daß der Markt von Tientsin buchstäblich überfüllt war. Man reinigte gewisse Stellen vom Schnee, legte hier die Netze und konnte des reichlichsten Fanges sicher sein. Dennoch waren die Vögel scheu, namentlich so lange sie sich auf dem Boden hielten, während sie im Fliegen nahe an dem Schützen vorüberstreiften. Die Eingeborenen wußten übrigens, daß die Heimat der Steppenhühner die große Ebene der Tatarei hinter der berühmten Mauer ist.

Ich will es dahin gestellt sein lassen, ob außer den wenigen Steppenhühnern, welche bis zum Jahre 1863 in Europa beobachtet wurden, noch andere hier erschienen waren, halte dies jedoch für keineswegs unwahrscheinlich; ja, meines Erachtens ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß einzelne von diesen wenigen ihre eigentliche Heimat wieder erreicht und später einer größeren Anzahl ihrer Anverwandten gewissermaßen als Wegweiser nach dem neu entdeckten Lande gedient haben: jedenfalls bleibt es auffallend, daß vor der großen Einwanderung, welche im Jahre 1863 stattfand, wiederholt die bis dahin Europa fremden Vögel beobachtet wurden. Dem sei übrigens wie ihm wolle: thatsächlich ist, daß in dem genannten Jahre ein sehr bedeutender Schwarm in Europa erschien und über die meisten nördlichen Länder unseres Erdtheiles sich verbreitete. Auf welchem Wege diese Einwanderung geschehen ist, läßt sich mit ziemlicher Sicherheit nachweisen, und wenn im Südosten Europas ebenso auf die Fremdlinge geachtet worden wäre, wie bei uns zu Lande, in Frankreich, den Niederlanden und in Großbritannien, würden wir wahrscheinlich den Weg auf das genaueste bestimmen können. Man hat den Zug der Steppenhühner beobachtet von Brody in Galizien bis Naran an der Westküste von Irland und von Biscarolle in Südfrankreich bis Thorshavn auf den Färöerinseln; man hat erfahren, daß die Einwanderer in Sokolnitz in Mähren am sechsten Mai, in Tüchel in Westpreußen am vierzehnten, in Polkwitz in Schlesien am siebzehnten, in Wöhlau in Anhalt am zwanzigsten, auf Laaland an demselben Tage, auf Helgoland und an den englischen Küsten (Northumberland) am einundzwanzigsten, auf Borkum, Staffordshire und an der Küste von Lancashire am zweiundzwanzigsten, auf den Färöern in den letzten Tagen des Mai angekommen oder wenigstens wahrgenommen worden waren. Ein allmähliches Vorrücken in der gegebenen Richtung ist also vollkommen bewiesen, und die Reisefähigkeit der Steppenhühner steht mit den ermittelten Zeiten nicht im Widerspruche. Etwas kühner, aber immer noch gerechtfertigt ist diese Schlußfolgerung: die Steppenhühner sind von der Mongolei in einem großen Fluge aufgebrochen und in der angegebenen Richtung weiter gezogen. Da ihre Reise kurz vor oder während ihrer Brutzeit stattfand, haben sich Paare oder Trupps von dem Hauptheere getrennt und seitabführende Wege eingeschlagen oder sich auf Stellen, welche ihnen passend erschienen, niedergelassen. Viele von denen, welche die Meeresküste erreichten, sind wohl auch wieder umgekehrt und in das Innere des Landes zurückgeflogen.

Einem der wenigen Vogelkundigen, welche thierisches Leben aufzufassen verstehen, Altum, wurde das Glück zu theil, die Fremdlinge während ihres Sommerlebens in der Fremde wiederholt zu beobachten und durch sachverständige Nachfrage noch mehr in Erfahrung zu bringen. Die Steppenhühner zeigten sich auf Borkum, dem Beobachtungsfelde des genannten, am einundzwanzigsten Mai, und zwar in kleineren Abtheilungen von zwei bis zwölf Stück. Vom dreiundzwanzigsten Juni bis zum ersten Juli wurden sie nicht gesehen, dann jedoch wieder in großen Schwärmen. Altum und von Droste sahen am achten August vier von ihnen in reißender Geschwindigkeit, mit leichten, raschen Flügelschlägen ihres Weges dahinziehen und hörten während des Fluges beständig wie »Quick, quick, quick« klingende, der Stimme kleiner Regenpfeifer entfernt ähnliche Locktöne ausstoßen. Sie fielen auf einem offenen Watt ein und gesellten sich zu einem zahlreichen [22] Schwarme anderer ihrer Art, welche regungslos neben einander saßen und für Goldregenpfeifer hätten angesprochen werden können, wäre nicht die Haltung eine zu wagerechte gewesen. Näher als auf zweihundert Schritte ließ der Schwarm Droste nicht herankommen, obgleich dieser die gewöhnlichen Kunstgriffe beim Herangehen an scheue Vögel nicht unterließ. Plötzlich erhoben sich die Hühner unter vernehmbarem Brausen und Ausstoßen ihrer Stimmlaute, welche einzeln gehört wie »Köckerick« zu klingen schienen, aber bei dieser Masse zu einem Gewirre zusammenschmolzen. Niedrig, einem Schwarme vom Felde heimkehrender Tauben ähnelnd, strichen sie über die weite Sandfläche fort, bildeten einen breiten Zug, flogen mit reißender Schnelligkeit und beschrieben dabei sanfte, durch Aufsteigen und Senken gebildete Bogen.

Jenes Watt mußte eines ihrer Lieblingsplätze sein; denn man bemerkte sie fortan hier oftmals. Sie suchten diejenigen Stellen, welche mit Schoberia maritima bewachsen sind, da sie den Samen dieser Pflanzen sehr zu lieben scheinen. Immer wählten sie freie Flächen, am liebsten an der Grenze jener Pflanzenbestände. Außer dem Samen pflückten sie auch Blättchen ab, ganz wie die Hühner. Doch fand Altum in dem Kropfe mehrerer ausschließlich den Samen, bei anderen die Frucht einer Grasart, wahrscheinlich Poa distans, gemischt mit unreifen Kapseln von Lepigonum marinum. Die Kröpfe waren stets ganz gefüllt, der Nahrung wenig gröbere Sandkörner beigemischt; in den gleichfalls gefüllten Magen war dagegen der Sand in auffallender Menge vorhanden. Bald nach jenem verunglückten Versuche traf Droste ein einzelnes Huhn auf einer rings von Dünen umgebenen, etwa einhundert Morgen großen Niederung. Es war bei weitem nicht so scheu als der ganze Schwarm. Er bemerkte es beim Hervorkommen aus dem Verstecke im Laufen; es war jedoch auf dem weißen Sande so schwer zu sehen, daß beim Stillstehen seine Umrisse nicht mehr wahrgenommen werden konnten. Sehr hoch flogen nur versprengte Vögel; die vereinigten Ketten strichen höchstens zehn Meter über dem Boden dahin. Aufgetrieben, eilten sie niedrig über das Watt durch die Dünenthäler, bis sie aus dem Gesichtskreise verschwunden waren, kehrten jedoch gern wieder um und fielen wohl auch auf demselben Platze wieder ein, wenn hier alles verdächtige verschwunden; dünkte ihnen der Platz nicht sicher, so strichen sie abermals weit fort und ließen sich auf einem anderen ihrer Lieblingsplätze nieder. Als auf einen fliegenden Schwarm ein Rohrweih stieß, theilte sich die Masse und ließ den Raubvogel durch. Bei stiller See machten sich die Schwärme auch in weiten Entfernungen durch ihr weithin schallendes, ununterbrochenes »Köckerick« oder »Köcki, köcki, köcki« leicht bemerklich. Das Bild des Vogels war übrigens so eigenthümlich, daß man ihn, auch wenn er lautlos seines Weges zog, nicht mit anderen verwechseln konnte.

Auf dem erwähnten von Dünen umgebenen Watt wurden die mongolischen Fremdlinge gewöhnlich des Morgens bis gegen neun Uhr angetroffen. Sie schienen hier an bestimmten Stellen bis zu jener Stunde zu verweilen und die einmal gewählten Sitzplätze regelmäßig wieder aufzusuchen; wenigstens konnte man dies aus der vielen Losung schließen. Wenn sie nichts ungewöhnliches bemerkt hatten, saßen sie ruhig dicht neben einander, meistens nach einer Seite gewendet, zu je zweien oder doch wenigen beisammen. Gegen zehn bis elf Uhr schienen sie regelmäßig das große Watt zu besuchen und dort der Nahrung nachzugehen, fielen mindestens um diese Zeit oft daselbst ein, und suchten dann eifrig nach Samen und Knospen. Nachdem sie eingefallen waren, blieben sie wohl zwanzig Minuten lang bewegungslos sitzen, alles um sich her musternd; alsdann begannen sie mit ihrer Aesung, indem sie, über den Boden trippelnd und rutschend, in derselben Richtung vorwärts liefen und emsig Samen aufpickten. Einzelne Trüppchen sprengten sich auch wohl seitwärts ab oder blieben ein wenig zurück, hielten sich jedoch immer zum Schwarme. Dagegen bemerkte man ein einzelnes Stück, welches fast jedesmal weit zurückblieb oder sich seitwärts zu schaffen machte und den Wächter abzugeben schien. Als von Droste einmal, hinter einem ungefähr einen halben Meter hohen Hügel auf dem Bauche liegend, den ganzen Schwarm beobachtete, hatte ihn dieser eine Vogel bemerkt, stieg hierauf sofort auf einen kleinen Hügel, reckte sich, hob den Kopf und stieß laut sein »Köckerick« aus. Auf dieses Zeichen lief fast der ganze[23] Schwarm dicht zusammen und blieb unbeweglich sitzen. Droste schoß, der Schwarm brauste fort; aber der alte Hahn, welcher den Streich gespielt hatte, empfahl sich unter lautem Geschreie erst, nachdem der verblüffte Jäger sich schon erhoben hatte. Während die Steppenhühner umherliefen, riefen sie leise »Köck, köck«; wenn zwei einander zu nahe kamen, hoben sie die Flügel, zogen den Kopf, nahmen eine drohende Stellung ein und riefen schnell »Kikrikrik«. Auch sprangen sie wohl gegen einander in die Höhe, und dann erhoben sich immer einige andere, vielleicht in dem Glauben, daß Gefahr vorhanden sei, ließen sich aber schnell wieder nieder. In den Mittagsstunden schienen sie regelmäßig die trockenen, heißen Dünen aufzusuchen, um sich im Sande zu baden. Sie hatten auch hier ihre bestimmten Plätze, und zwar jene großen öden Sandflächen, auf denen der dürftigste Pflanzenwuchs durch Stürme zerstört worden. Einmal hatte man dreizehn Steppenhühner einfallen sehen, war rasch herbeigeeilt, hatte mit dem Fernrohre die ganze Fläche von dem Verstecke aus abgesucht; aber kein Vogel war zu entdecken, bis sich endlich zufällig einer im Gesichtsfelde des Fernglases bewegte. Selbst in einer Entfernung von vierzig Schritten hielt es schwer, diese Sandvögel genau zu sehen, und in einer Entfernung von zweihundert Schritten war es fast unmöglich, sie zu entdecken, auch wenn man genau die Stelle kannte, auf welcher sich ihrer funfzig bis sechzig niedergelassen hatten. Anfangs waren die Kinder der Steppe wenig scheu gewesen; die heillose Verfolgungswuth der Badegäste aber machte sie bald vorsichtig und schließlich so ängstlich, daß es auch dem geübtesten Jäger kaum möglich war, sie zu überlisten.

Nachdem die Steppenhühner fünf Monate lang auf Borkum wie in ihrer Heimat gelebt hatten, verschwanden sie nach und nach gänzlich von der Insel. Am ersten Oktober wurden mit dem Fernrohre noch vierundfunfzig Stück von ihnen gezählt, am zehnten waren noch acht, am zwölften noch fünf, am dreizehnten noch zwei beobachtet worden: sie waren die letzten. Vom ersten bis funfzehnten Oktober hatte sich also der ganze Flug allmählich entfernt. Ungefähr um dieselbe Zeit wurden sie wiederum hier und dann im Inneren Deutschlands beobachtet: so, laut Altum, im Oldenburgischen und nach meinen eigenen Beobachtungen in der Nähe von Hamburg. Sie waren aber keineswegs gänzlich verschwunden, wie Altum behauptete, sondern wurden noch im folgenden Jahre in Deutschland bemerkt: so im Juni 1864 in der Gegend von Plauen, und viel später noch, zu Ende Oktober desselben Jahres, bei Wreschen in Posen; sie haben sich ebenso in der Nähe Hamburgs, ungefähr um dieselbe Zeit, noch gezeigt, höchst wahrscheinlich also auch gebrütet, wie im Jahre 1863 in Jütland und auf mehreren dänischen Inseln. Ueber letztere hat Reinhardt berichtet. Die ersten Eier wurden kurz nach Ankunft der Vögel gefunden und genanntem Forscher am sechsten Juni übersendet. Das Nest hatte drei Eier enthalten. Nach Mittheilung eines Berichterstatters hatte der betreffende Jäger zwei Nester und sein Nachbar ein drittes gefunden; auf diesen Nestern waren dann die brütenden Vögel, erst die Hennen, dann die Hähne, gefangen worden. Zwei nahe neben einander stehende Nester hatten drei und bezüglich zwei Eier enthalten. Das erste bestand aus einer kleinen mit etwas trockenem Sandrohre ausgekleideten Vertiefung im Sande; das zweite war im Heidekraute angelegt und mit etwas verdorrtem Grase ausgefüttert. Im Verlaufe des Juni fand man noch mehrere Nester auf den Dünen; sie waren alle in derselben Weise gebaut. Noch am siebenundzwanzigsten Juli trieb jener Jäger ein Steppenhuhn vom Neste auf und sah, daß es drei Eier enthielt, setzte Schlingen, kehrte nach einigen Stunden zurück und fand, daß die Henne gefangen war; der Hahn wurde in derselben Weise erbeutet. Inzwischen war ein Küchlein ausgeschlüpft, und ihm folgte später ein zweites; doch starben beide am ersten Tage, wahrscheinlich aus Mangel an geeigneter Pflege. Diese Beobachtungen beweisen also, daß das Steppenhuhn in Einweibigkeit lebt, und daß der Hahn sich am Brüten betheiligt.

Unmittelbar nach Eintreffen der ersten Steppenhühner in Deutschland hatte ich um deren Schonung gebeten, weil ich es, wenn auch nicht gerade für wahrscheinlich, so doch für möglich hielt, daß sie sich in Deutschland einbürgern konnten. Ich predigte tauben Ohren. Man zog mit [24] Gewehr und Netz, Schlingen und vergifteten Weizenkörnern gegen die harmlosen Fremdlinge zu Felde und verfolgte sie auf das rücksichtsloseste, so lange man sie verfolgen konnte. Viele fanden auch durch eigenes Verschulden ihren Tod; so wurden mehrere eingeliefert, welche gegen Telegraphendrähte geflogen waren und sich dabei lebensgefährlich verletzt hatten. So konnte es nicht ausbleiben, daß binnen zwei Jahren alle vertilgt wurden.

Seit jener großartigen Einwanderung sind die Steppenhühner, so viel mir bekannt, nicht wieder in Deutschland erschienen; wohl aber haben sie ihr Verbreitungsgebiet inzwischen weiter nach Westen ausgedehnt und sich im Südosten Europas seßhaft gemacht. Der russische Forscher Karelin beobachtete zuerst, daß unser Huhn den Ural überschritt; Henke, ein verläßlicher Sammler, fand, daß es inzwischen weiter nach Westen hin vorgerückt ist und nicht allein an der unteren Wolga, sondern bereits am Don in der Steppe sowohl wie in unmittelbarer Nähe der Getreidefelder kleinrussischer Niederlassungen sich festgesetzt hat, so daß es gegenwärtig als europäischer und zwar keinesweges seltener Brutvogel bezeichnet werden muß.

Zur Vervollständigung vorstehender Mittheilungen will ich die wenigen Beobachtungen, welche ich auf meiner Reise nach Sibirien sammeln konnte, hier folgen lassen. Schon von Semipalatinsk an, woselbst das Fausthuhn zuweilen vorkommt, hatte ich mich fleißig nach ihm umgesehen, in ganz Nordwestturkestan aber nur das Ringelflughuhn zu Gesicht bekommen. Erst in der öden Steppe am südlichen Fuße des Altai, ebenda, wo wir die Wildpferde antrafen, begegneten wir ihm und zwar in namhafter Menge, obschon nur in Paaren oder kleinen Flügen, welche aus einem oder zwei Paaren mit ihren Jungen bestehen mochten. Seine innige Verwandtschaft mit den Flughühnern läßt sich auch hinsichtlich seiner Lebensweise und seines Auftretens nicht verkennen. Ein Beobachter, welcher letztere nicht kennen gelernt hat, mag es, wenn es fliegt, mit einem Steinwälzer oder Goldregenpfeifer vergleichen; einer, welcher Flughühner vor Augen gehabt hat, wird nicht im entferntesten an die genannten Sumpfvögel erinnert werden, weil er nur an die Familienverwandten denken kann. Es ähnelt dem Ringelflughuhne außerordentlich, hat auch annähernd dieselbe Stimme, unterscheidet sich von ihm aber, abgesehen von seiner geringen Größe, sofort durch seinen geraden, nicht von einer Seite zur anderen schaukelnden oder sich wiegenden Flug. Letzterer ist ungemein schnell, polternd beim Aufstehen, brausend und schrillend beim Dahinfliegen, geht, unter fortwährenden, gleichmäßigen Flügelschlägen meist gerade aus und entbehrt jäher Wendungen, nicht aber auch gewandter Schwenkungen; solche werden im Gegentheile vor dem Niedersetzen regelmäßig ausgeführt. Das Flugbild unterscheidet sich von dem der Flughühner einzig und allein durch die verhältnismäßige Kürze der Flügel. Auf dem Boden läuft das Fausthuhn trippelnden Schrittes sehr rasch dahin, erscheint hier aber, weil es die Flügel vom Leibe abhält, etwas plump, kurz und breit, und deshalb schwerfällig. Hinsichtlich seiner Gleichfarbigkeit mit dem Boden gilt genau dasselbe, was ich oben von den Flughühnern sagte. Wahrscheinlich hält es sich nur auf solchen Stellen der Steppe auf, deren Bodenfärbung der seines Gefieders gleicht; infolgedessen aber ist es ungemein schwierig, es aufzufinden, sobald es sich gesetzt hat und ruhig verhält. Während es läuft, läßt es dann und wann einen leisen, während es fliegt, fortwährend einen lauteren Ruf vernehmen. Alle Paare oder Trupps, welche wir sahen, waren auch hier sehr scheu und erhoben sich bereits in einer Entfernung von achtzig, mindestens sechzig Schritten vor dem herannahenden Jäger oder Beobachter.

Infolge der Einwanderung im Jahre 1863 gelangten mehrere in Deutschland gefangene Steppenhühner in unsere Käfige und gaben verschiedenen Vogelkundi gen Gelegenheit, Betragen und Wesen der Fausthühner eingehend zu beobachten. Unter den hierauf bezüglichen Mittheilungen verdienen die von Bolle, Alexander von Homeyer und Holtz herrührenden Beachtung; meine eigenen Wahrnehmungen stimmen namentlich mit denen der beiden erstgenannten überein. Holtz erzählt, daß er am siebzehnten Oktober 1863 ein verwundetes Fausthuhn in einem kleinen Käfige sah und mit ihm verschiedene Versuche anstellte, deren Ergebnis war, daß das Huhn sich benahm [25] wie andere Vögel auch. Der kranke Flügel wurde abgenommen, die Wunde gebrannt und hierauf dem gefangenen eine Wohnstube zum Aufenthalte angewiesen. Am dritten Tage nach der Gefangenschaft nahm er Weizenkörner zu sich, begann ohne Furcht im Zimmer umherzutrippeln, nahm sein Futter auf, hockte sich an gewissen Stellen nieder und wurde nunmehr bald heimisch und zutraulich. »Mit dem erwachenden Tage war auch der Vogel wach, begab sich nach seiner Futterstelle, welche er bald kennen lernte, und las emsig die Körner auf. Dann trippelte er in der Stube herum, pickte auch wohl hier und dort auf den Dielen, einer Strohmatte und einer Pelzdecke, oder putzte sich, indem er sein ganzes Kleid einer genauen Besichtigung unterwarf. Die widerständigen Federn der Flügel, des Schwanzes und der übrigen Körpertheile, welche er erreichen konnte, zog er dabei durch den Schnabel, legte sie zierlich zurecht und erhob sich auch zuweilen, um die Flügel auszubreiten und lose Federn auszuschütteln, wobei sein Körper aber, durch das Fehlen der einen Flügelspitze, leicht aus dem Gleichgewichte kam. Schaute die Sonne in das nach Süden gelegene Fenster, so suchte der Vogel begierig die Strahlen derselben auf, hockte an der dem Fenster gegenüberliegenden Zimmerwand nieder, lehnte sich mit der einen Seite an das Gesims, ließ die andere Seite von den Strahlen erwärmen und folgte denselben, so lange er sie erhaschen konnte. Inzwischen fiel es ihm öfters ein, zu fressen. Es erhob sich dann, eilte ohne Aufenthalt nach der ungefähr zwei Meter entfernten Futterstelle, pickte die Körner rasch auf, begab sich alsdann meist zum Wassernapfe, steckte den Schnabel hinein, nahm zwei oder drei und mehrere ziemlich lange Züge, hob den Kopf wieder (wobei der Schnabel aber nie über seine wagerechte Stellung hinauskam) und eilte ohne weiteren Aufenthalt zu seinem sonnigen Platze zurück, um sich daselbst niederzulassen. Dieses Trinken mit zwei bis drei Zügen geschah zuweilen nur einmal, zuweilen aber auch zwei- bis viermal unmittelbar hinter einander, d.h. ohne daß das Steppenhuhn vom Gefäße wegging. Merkwürdig ist es Holtz erschienen, daß der Vogel erst nach zwölf Tagen, vom Tage seiner Verwundung an gerechnet, Wasser zu sich nahm, ob gleich der täglich frisch gefüllte Napf neben seinen Körnern stand, da das Steppenhuhn doch, den Nachrichten der Schriftsteller zufolge, die Quellen in der Steppe fleißig besucht; es muß seine Unkenntnis daran Schuld gewesen sein. Den Gang beschreibt Holtz sehr gut, und namentlich ist die Vergleichung des laufenden Steppenhuhnes mit Puppen, welche durch ein Werk bewegt werden, vortrefflich gewählt. Das Auftreten, von dem man im Freien nichts vernimmt, war auf dem festen Boden sehr hörbar. Wenn die Sonne nicht ins Zimmer schien, suchte dieser Vogel eine Thüre auf, unter welcher kalte Luft durchströmte, und Holtz schloß daraus, gewiß richtig, daß ihm die Zimmerwärme lästig gewesen sei. Meine Frau hatte oft ihren Spaß mit dem Vogel. Wenn sie sich ihm etwas näherte, richtete er zornig den Kopf gegen sie, ließ ein tiefes ›Guck‹ hören, welches sich auch zuweilen verdoppelte; näherte sie sich ihm mehr, so stieß er das ›Guckärgerlicher und helltönender vier- bis fünfmal nach einander aus, verstärkte es zu einem im Tone höher ansteigenden ›Gurrrrrrr‹, und richtete den Hals unwillig noch höher empor. Zuweilen biß er dann nach dem von ihr hingehaltenen Finger und sträubte die Schwanzfedern im Kreise hoch empor, dem Rade einer Pfautaube gleich.«

Bolle's und Homeyers Mittheilungen über gefangene Fausthühner bekunden die geübten Beobachter. »Der allgemeinen Erscheinung nach«, meint der erstgenannte, »ähnelt das Fausthuhn den Tauben sehr; nur steht es noch viel niedriger auf den Beinen als alle mir bekannten Tauben, auch als die Flughühner. Der sehr kleine Kopf, welcher anscheinend nicht auf längerem Halse, wie bei den Tauben, sondern kurz, gedrungen auf dem massigen Körper sitzt, erinnert zugleich an die Wachtel, ein Eindruck, welcher durch die fahle Sprenkelung des Gefieders noch vermehrt wird: kurz, dem äußeren Ansehen nach erscheint der Vogel uns etwa als ein Mittelglied zwischen Taube und Wachtel. Der Rumpf ist breit, unten sehr abgeplattet; die Flügelspitzen werden hoch, die Steuerfedern wagerecht getragen; der Lauf ist trippelnd, nicht zu schnell; beim Laufen wackelt der Rumpf etwas, und die Füße sind dabei kaum sichtbar. Die Stimme, welche man nicht oft hört, ist leise und besteht aus zwei verschiedenen Lauten, mit denen die Thierchen einander locken, und [26] welche, von dem einen ausgestoßen, sogleich ihre Beantwortung seitens der anderen finden. Männchen und Weibchen scheinen dieselben Rufe zu haben und damit zu wechseln. Diese bestehen aus einem tiefen und volltönenden ›Geluk, geluk‹ und aus einem hohen ›Kürr, kürr‹, welche beide, wie gesagt, leise ausgestoßen werden.« Homeyer konnte die gefangenen Vögel länger beobachten, und seine Beschreibung ist deshalb noch richtiger. »Das Fausthuhn«, sagt er, »erinnert durchaus nicht an eine Taube, sondern zeigt sich vollkommen flughuhnartig. Der Schritt, die Bewegungen sind fast ganz wie bei dem Spießflughuhne. Der Unterschied zwischen beiden ergibt sich daraus, daß die Fußwurzeln so verschieden lang sind, und die Fußbildung selbst eine andere ist, weshalb das Steppenhuhn kürzere Schritte macht und mehr schleicht als das Flughuhn.« Ich habe dem hinzuzufügen, daß das Schleichen hauptsächlich in der schiefen Haltung der Fußwurzeln seine Erklärung findet. Das Steppenhuhn ist ein wahrer Sohlengänger. Es erhebt den Untertheil seines Leibes kaum einen Centimeter über den Boden, während das Flughuhn doch mindestens um das dreifache höher steht, nur weil es seine Ständer sehr gerade hält. »Die ganze Unterseite«, fährt Homeyer fort, »bildet beim Fressen fast eine gerade Linie, über welche sich der Rücken wölbt. Die Körperrundung liegt bei ihm aber nicht in der Mitte, sondern im Vordertheile, während nach hinten zu der Unterrrücken sehr gestreckt verläuft. Die Flügel werden auf verschiedene Weise getragen; stets liegen die Schwingen sächerartig zusammengeschlagen hinter einander, so daß sie sich dachziegelartig decken und die kürzere auf der längeren sich abzeichnet. Die deshalb sehr schmal erscheinende, fast säbelförmige Schwinge wird entweder ganz frei getragen und liegt besonders bei lebhaften Bewegungen gewöhnlich auf dem Schwanze, oder sie ist unter den langen, schmalen Deckfedern des Schwanzes verborgen und liegt entweder unter dem Schwanze, in eine Linie mit den mittleren langen Schwanzfedern auslaufend, oder mit der Spitze frei nach oben; letzteres ist das gewöhnlichere. In der Ruhe kugelt sich der Vogel ziemlich stark und gleicht jetzt der Wachtel mehr, als wenn er in Bewegung ist. Den Eindruck des Schleichens bekam ich bei allen langsamen Bewegungen, den des Puppenganges bei der schnelleren, den des wackelnden und watschelnden Laufes bei der größten Eile. Doch noch einmal, die Bewegungen des Kopfes, das Hin- und Herwerfen des Sandes mit dem Schnabel, das Benehmen beim Nahrungsuchen, das Horchen, das Ausspähen nach etwas ungewöhnlichem, kurz, der ganze Ausdruck des geistigen Lebens, dies alles ist durchaus hühner- und nicht taubenartig, und erinnert nicht allein, sondern ist ganz so wie beim Flughuhne. Flug- und Steppenhuhn dürfen niemals getrennt werden.«

Nachdem ich das Erstlingsrecht meiner werthen Freunde gewahrt, darf ich wohl meine eigenen Beobachtungen über gefangene Steppenhühner folgen lassen. Ich habe im ganzen sieben Stück, die einen kürzere, die anderen längere Zeit gepflegt und die Freude gehabt, sie zur Fortpflanzung schreiten zu sehen. Meine Fausthühner haben sich bei einfacher Nahrung im Sommer wie im Winter recht wohl befunden, jahraus jahrein in demselben Fluggebauer ausgehalten, auch nur selten von der ihnen zustehenden Freiheit, sich in den bedeckten und theilweise durch Glas geschützten Hinterraum dieses Käfiges zu verfügen, Gebrauch gemacht. Bei Regenwetter zogen sie sich gern an eine geschützte Stelle zurück; hatte es aber längere Zeit nicht geregnet, so verweilten sie etwa eine halbe Stunde lang im unbedeckten Theile des Käfigs und ließen sich ihr Gefieder einnässen; dann erst trippelten sie ins Innere. Kälte behelligte sie nicht; sie haben den strengen Winter von 1863 zu 1864 ohne anscheinende Beschwerde überstanden und sich auch in ziemlich tiefem Schnee noch mit großer Geschicklichkeit bewegt. Wenn es nicht gerade schneiete, blieben sie immer draußen, drängten sich dann aber dicht zusammen; denn während sie im Sommer zwar truppweise, aber doch nicht unmittelbar neben einander zu schlafen pflegten, legten sie sich im Schnee so neben einander, daß alle fünf gleichsam nur eine Masse bildeten. Dabei lagen sie nicht in einer und derselben Richtung, sondern zwei oder drei mit den Köpfen nach dieser, die übrigen nach der anderen Seite, so daß in der That kaum ein Zwischenraum blieb. Aus dieser Lage ließen sie sich nicht einmal durch Schnee fall vertreiben, sondern lieber theilweise manchmal bis auf die Köpfe einschneien. [27] Im Schnee schien ihnen jede Bewegung schwer zu fallen. Sie mußten dann den Vordertheil ihres Körpers buchstäblich wie einen Schlitten durch den Schnee schieben, und bildeten dadurch eine ziemlich tiefe, der Breite ihres Vorderleibes entsprechende Bahn, welche in der Mitte durch zwei tiefere Furchen die eigentlichen Fährten zeigte, falls man hier noch von Fährten reden darf, da die einzelnen Fußstapfen nicht mehr ausgedrückt waren, sondern unmittelbar ineinander übergingen.

Zu Anfang des Juni 1864 zeigten sich die sonst so friedlichen Hähne unruhig und begannen schließlich mit einander zu kämpfen. Sie nahmen dabei eine Stellung an, welche von der ihrer Verwandten, den Flughühnern, sehr verschieden war; denn sie erhoben sich mit dem Vordertheile ihres Leibes, sträubten alle Federn des Halses, der Brust und des Oberrückens, lüfteten die Flügel etwas, fuhren nun ziemlich eilfertig auf einander los, wohl gezielte, aber, wie es schien, wenig empfindliche Schnabelhiebe austheilend. Der eine wurde regelmäßig in die Flucht geschlagen und der andere begab sich dann siegesstolz zu einem der Weibchen, hinter und neben welchem er eine Zeitlang umhertrippelte. Am sechsten Juni wurde ein unzweifelhaft von diesem Weibchen herrührendes Ei gefunden. Im Jahre 1865 zeigten sich die Steppenhühner schon im Mai paarungslustig, und dieselbe Henne, welche im vorigen Jahre Hoffnungen wach gerufen hatte, legte diesmal am vierzehnten, neunzehnten und einundzwanzigsten Mai ihre drei Eier. Ein Nest wurde nicht gebaut, nicht einmal eine Vertiefung gescharrt, und jedes Ei an einer verschiedenen Stelle abgelegt, obgleich ich angeordnet hatte, daß das erste unberührt blieb und das zweite zu diesem gebracht wurde. In der Hoffnung, daß die Henne doch noch brüten werde, ließ ich die Eier länger liegen, als ihnen gut war, und schließlich mußte ich sie wegnehmen, ohne weitere Versuche anstellen zu können. Am zweiundzwanzigsten Juni begann die Henne zum zweiten Male zu legen, und wiederum waren es drei Eier, welche sie brachte; aber auch diesmal berücksichtigte sie selbige nicht, sondern betrachtete sie ungefähr mit derselben Gleichgültigkeit wie Steine. Diesmal sollte ein Brutversuch angestellt werden; leider war aber eine geeignete Haushenne nicht zu schaffen, und so unterblieb die Brütung.

Die Eier sind sich sämmtlich in hohem Grade ähnlich. Ihr Längendurchmesser beträgt vierzig, ihr größter Querdurchmesser sechsundzwanzig Millimeter. Sie sind eirund, an beiden Enden fast gleich abgestumpft, feinkörnig und kaum glänzend. Die Grundfarbe ist ein grünliches Graugelb; die Zeichnung besteht aus licht graubraunen Unter- und dunkel graubraunen Oberflecken, welche sich im ganzen gleichmäßig über die Oberfläche des Eies verbreiten, bei einzelnen jedoch um das eine Ende kranzartig stellen; zwischen den Flecken zeigen sich Kritzeln, Schmitzen und Punkte.

Im Sommer des Jahres 1866 hatte sich ein Männchen des Spießflughuhnes der einen Steppenhenne angepaart und gab sich viele Mühe, ihre Zuneigung zu erwerben. Sie duldete die Annäherung des Hahnes, aber sie liebte ihn nicht; wenigstens wurde niemand Zeuge ernsterer Liebesbeweise von ihrer Seite.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 18-28.
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