Baumwachtel (Ortyx virginianus)

[110] Das Baumhuhn, welches sich europäisches Bürgerrecht erworben hat, ist die Baumwachtel, auch wohl Colinhuhn genannt (Ortyx virginianus oder virginiana, borealis und castaneus, Tetrao virginianus, marilandicus und minor, Perdix virginiana, marilandica und borealis, Colinia virginiana), Vertreter einer gleichnamigen Sippe (Ortyx), welche sich durch folgende Merkmale kennzeichnet: Der Schnabel ist kurz, kräftig, stark gewölbt, sein Obertheil hakig übergebogen, die Schneide seines Untertheiles vor der Spitze zwei- oder dreimal eingekerbt, der Fuß mittelhoch, vorn mit zwei Längsreihen glatter Horntafeln, seitlich und hinten mit kleinen Schuppen bedeckt, der Flügel gewölbt, mäßig lang, in ihm die vierte Schwinge die längste, der zwölffederige Schwanz kurz abgerundet; das etwas glänzende Gefieder verlängert sich auf dem Kopfe zu einer kleinen Haube. Alle Federn der Oberseite sind röthlichbraun, schwarz gefleckt, getüpfelt, gebändert und gelb gesäumt, die der Unterseite weißlichgelb, rothbraun längsgestreift und schwarz in die Quere gewellt; ein weißes Band, welches auf der Stirne beginnt und über das Auge weg nach dem Hinterhalse läuft, die weiße Kehle, eine über dem lichten Bande sich dahinziehende schwarze Stirnbinde und eine solche, welche, vor dem Auge entspringend, die Kehle einschließt, sowie endlich die aus Schwarz, Weiß und Braun bestehende Tüpfelung der Halsseiten bilden vereinigt einen zierlichen Kopfschmuck; auf den Oberflügeldeckfedern herrscht Rothbraun vor; die dunkelbraunen Hand schwingen sind an der Außenfahne lichter gesäumt; die Armschwingen unregelmäßig brandgelb gebändert, die Steuerfedern, mit Ausnahme der mittleren graugelblichen, [110] schwarz gesprenkelten, graublau. Das Auge ist nuß-, der Schnabel dunkelbraun, der Fuß blaugrau. Das Weibchen unterscheidet sich durch blassere Färbung und undeutlichere Zeichnung des Gefieders, hauptsächlich aber durch das Gelb der Stirne, der Brauen, der Halsseiten und der Kehle. Das Geschlecht der Jungen, welche dem Weibchen ähneln, läßt sich an der mehr oder minder deutlichen Zeichnung bereits erkennen. Die Länge beträgt fünfundzwanzig, die Breite fünfunddreißig, die Fittiglänge elf, die Schwanzlänge sieben Centimeter.

Kanada bildet die nördliche, das Felsengebirge die westliche, der Meerbusen von Mejiko die südliche Grenze des Verbreitungskreises der Baumwachtel. In Utah, auf Jamaica und St. Croix sowie in England hat man sie eingebürgert, in Westindien mit vollständigem, übrigens mit theilweisem Erfolge. Ihren Stand wählt sie in ähnlicher Weise wie unser Rebhuhn. Sie bevorzugt das Feld, verlangt aber Buschdickichte, Hecken und dergleichen Schutzorte, scheint auch gelegentlich die Tiefe des Waldes aufzusuchen. Im Süden der Vereinigten Staaten ist sie ein Standvogel; im Norden tritt sie im Winter Streifzüge an, welche zu förmlichen Wanderungen werden können.

Die Schilderungen der amerikanischen Forscher lassen erkennen, daß die Baumwachtel in ihrer Lebensweise und ihrem Betragen unserem Rebhuhne ähnelt. Der Lauf ist ebenso behend, der Flug wohl noch etwas rascher, die übrigen Begabungen stehen ungefähr auf derselben Höhe, die Stimme aber besitzt mehr Klang und Wechsel als die des Rebhuhnes. Sie besteht aus zwei Lauten, welche zuweilen noch durch einen Vorschlag eingeleitet, meist oft nach einander wiederholt werden und wie »Bobweit« klingen. Diese Laute können leicht nachgeahmt werden und haben der Baumwachtel den volksthümlichen Namen »Bob White« verschafft. Der Ausdruck der Zärtlichkeit ist ein sanft zwitschernder Laut, der Angstruf ein ängstliches Pfeifen.

Mit Beginn des Frühlings sprengen sich die Schwärme oder Völker, welche während des Winters zusammengelebt hatten. Jeder Hahn erwirbt sich, oft erst nach langem Kampfe, eine Henne und wählt ein passendes Wohngebiet. In diesem geht es jetzt lebhaft zu: denn die Aufregung des Männchens bekundet sich nicht bloß durch fortwährendes Rufen, sondern auch durch Streit mit anderen. Gegen Abend sieht man auf allen Umzäunungen, gewöhnlich auf den höchsten Spitzen der Pfähle, Baumwachteln sitzen, welche, von hier aus laut rufend, andere Hähne herbeilocken, mit diesen kämpfen und nach beendigtem Streite wieder auf ihre hohen Sitze zurückkehren. Wenig später, jedoch selten vor Anfang des Mai, schreitet die Henne zum Nestbaue. Sie zeigt sich hierin sorgsamer als unser Rebhuhn; denn nicht bloß der Standort des Nestes wird stets mit Vorsicht gewählt, sondern dieses auch mit einer gewissen Kunstfertigkeit in dem Boden ausgescharrt und ziemlich ordentlich mit Gräsern, Halmen und Blättern ausgekleidet. Gewöhnlich ersieht sie sich einen dichten Grasbusch und scharrt in der Mitte desselben eine halbkugelige Grube aus, welche so tief zu sein pflegt, daß sie den sitzenden Vogel fast vollständig aufnimmt. Wenn das umstehende Gras emporwächst, umhüllt und verdeckt es das Nest in erwünschter Weise und wölbt sich zugleich an der Seite, welche zum Aus- und Einschlüpfen benutzt wird, zu einem thorartigen Ausgange. Die Eier, deren Längsdurchmesser etwa zweiunddreißig, und deren Querdurchmesser vierundzwanzig Millimeter beträgt, sind birnförmig, dünnschalig und entweder reinweiß von Farbe oder mit schwachen lehmgelben Tüpfeln gezeichnet. Ihre Anzahl schwankt zwischen zwanzig und vierundzwanzig; man hat jedoch auch schon zweiunddreißig in einem und demselben Neste gefunden. Beide Eltern brüten, und das Männchen übernimmt noch außerdem das Amt eines treuen Wächters. Nach dreiundzwanzigtägiger Bebrütung schlüpfen die niedlichen, auf rostbraunem Grunde licht fahlbräunlich längsgestreiften, unten, mit Ausnahme der gelben Kehle, fahlgrauen Jungen aus, und nunmehr theilen sich beide Eltern in deren Leitung und Pflege; wenigstens habe ich angefangenen beobachtet, daß sich der Hahn vom ersten Tage ihres Daseins an mit ebensoviel Liebe und Zärtlichkeit ihrer annimmt wie die Henne. Beide Alten pflegen sich dicht neben einander niederzulassen, gewöhnlich so, daß der Kopf des einen nach dieser, der des anderen nach jener Richtung sieht, und beide zusammen hudern in dieser Stellung die zahlreiche Brut. Wenn [111] die Familie umherläuft, geht der Vater regelmäßig voraus, weil er sich auch jetzt das Wächteramt nicht nehmen lassen will, und die Mutter mit den Kleinen folgt erst in einer gewissen Entfernung. Stolzen Ganges schreitet jener dahin, und unablässig wendet er den Kopf bald nach einer, bald nach der anderen Seite. Jeder harmlose Vogel, welchen er sieht, flößt ihm jetzt Besorgnis ein; aber sein Muth ist ebenso groß wie seine Vorsorge für das Wohl der Kinder: er stürzt sich auf jeden Gegner, welchem er gewachsen zu sein glaubt, in der Absicht, den Weg frei zu halten. Bei Gefahr gibt sich der Vater dem Feinde preis, und während er ihn beschäftigt, schafft die Mutter die Kinderschar in Sicherheit. Schon in der dritten Woche ihres Lebensvermögen die Baumwachteln flatternd sich zu erheben, und sobald sie dies können, vermindern sich die Gefahren, welche sie bedrohen; denn jetzt stiebt beim Erscheinen eines Feindes das ganze Volk aus einander, und jedes einzelne Küchlein rennt und flattert weiter, einem sicheren Zufluchtsorte zu, während die Eltern nach wie vor ihre Verstellungskünste treiben. Später bäumt die plötzlich erschreckte Familie regelmäßig, sofern Bäume in der Nähe stehen.

Während des Sommers nährt sich die Baumwachtel von Kerbthieren und allerlei Pflanzenstoffen, namentlich auch von Getreidekörnern; im Herbste bilden letztere die hauptsächlichste Speise. So lange die Fluren grün sind, lebt alt und jung herrlich und in Freuden; wenn aber der Winter eintritt, leidet auch dieses Huhn oft bittere Noth, und dann geschieht es, daß es sich zum Wandern nach südlicheren Gegenden entschließen muß. Auf solchen Reisen finden viele den Untergang: denn das Raubzeug ist ihnen ununterbrochen auf den Fersen, und der Mensch setzt alle Mittel in Bewegung, um sich des leckeren Wildprets zu bemächtigen. An den Ufern der großen Ströme siedeln sich schon im Oktober tausende von Baumwachteln an, alle Gebüsche belebend und tagtäglich von einem Ufer zum anderen schweifend, wobei gar manche in den Wellen ihren Tod findet. Später verlassen sie diese beliebten Zufluchtsorte und kommen auf die befahrenen Straßen, um hier den Mist der Pferde zu durchsuchen, und endlich, wenn tiefer Schnee ihnen draußen überall den Tisch verdeckt, erscheinen sie, getrieben vom Hunger, in unmittelbarer Nähe der Ansiedelungen, ja selbst inmitten des Gehöftes, mischen sich unter die Haushühner, vertrauen sich gleichsam deren Führung an und nehmen die Brosamen auf, welche von dem Tische ihrer glücklicheren Verwandten fallen. Gastliche Aufnahme seitens des Menschen erkennen sie dankbar an.

Die Baumwachtel eignet sich ebenso sehr zur Zähmung wie zur Einbürgerung in solchen Gegenden, welche ihre Lebensbedingungen erfüllen. Gefangene und verständig behandelte Baumhühner dieser Art söhnen sich schon nach einigen Tagen mit ihrem Loose aus, verlieren bald alle Scheu und gewöhnen sich in überraschend kurzer Zeit an ihre Pfleger. Noch leichter freilich lassen sich diejenigen zähmen, welche unter dem Auge des Menschen groß geworden sind. Die Amerikaner versichern, daß man zuweilen Baumwachteleier in den Nestern derjenigen Hühner finde, welche außerhalb des Gehöftes brüten, daß solche Eier auch wohl gezeitigt und die jungen Baumwachteln mit den eigenen Küchlein der Pflegemutter groß gezogen werden. Anfänglich sollen sie sich ganz wie ihre Stiefgeschwister betragen, d.h. jedem Lockrufe der Henne folgen, mit ihr in das Innere des Gehöftes kommen; später aber pflegt doch der Freiheitstrieb in ihnen zu erwachen, und wenn der Frühling kommt, fliegen sie regelmäßig davon. Von zwei Baumwachteln, welche auf solche Weise erbrütet worden waren, erzählt Wilson, daß sie, nachdem sie der Stiefmutter bereits entwachsen, eine eigenthümliche Zuneigung zu Kühen zeigten. Sie begleiteten diese auf die Weide, und als im Winter die Herde eingebracht wurde, folgten sie ihren Freunden bis in den Stall. Aber auch sie flogen mit Beginn des Frühlings hinaus auf ihre Felder. In unseren Thiergärten brüten Baumwachteln am sichersten, wenn man sich möglichst wenig um sie bekümmert. Ihre erstaunliche Fruchtbarkeit ist der Vermehrung überaus günstig. Wollte man bei uns zu Lande denselben Versuch wagen, welchen die Engländer bereits ausgeführt haben: es würden funfzig bis einhundert Paare genügen, um zunächst eine Fasanerie und von dieser aus eine der Vermehrung günstige Gegend mit dem vielversprechenden Wilde zu bevölkern.

[112] Die Jagd der zierlichen Hühner, deren Wildpret als vortrefflich gilt, wird von den Amerikanern gern betrieben, obgleich sie nicht so leicht ist wie die auf unser Rebhuhn. Die Baumwachtel läßt sich nicht vom Hunde stellen, sondern sucht, wenn sie Gefahr sieht, laufend sich zu retten, und steht erst im äußersten Nothfalle einzeln, gewöhnlich dicht vor den Füßen des Jägers auf. Noch schwieriger wird die Jagd, wenn ein Volk glücklich den Wald erreicht hat, weil hier alle, welche sich erheben, zu bäumen und auf den starken Aesten platt sich niederzudrücken, somit auch dem scharfen Auge zu entziehen pflegen. Dagegen folgen sie dem Locke, und derjenige, welcher den Ruf des einen oder anderen Geschlechtes nachzuahmen versteht, gewinnt reiche Beute. In Amerika wendet man Netz und Schlinge viel lieber an als das Feuergewehr; namentlich der Garnsack scheint eine hervorragende Rolle zu spielen. Um Baumwachteln zu fangen, zieht man in Gesellschaft zu Pferde durch die Felder, lockt von Zeit zu Zeit, vergewissert sich über den Standort eines Vogels, stellt das Netz und reitet nunmehr, einen Halbmond bildend, lachend und plaudernd auf das Volk zu. Dieses läuft möglichst gedeckt auf dem Boden weg und, wenn geschickt getrieben wird, regelmäßig ins Garn. In dieser Weise fängt man zuweilen sechzehn bis zwanzig Stück mit einem Male.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 110-113.
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