Wasserläufer (Totaninae)

[304] Die Wasserläufer (Totaninae), welche eine anderweitige Unterfamilie bilden, sind durchschnittlich schlanker, kleinköpfiger, langschnäbeliger und hochbeiniger als die Strandläufer. Der Schnabel ist kopflang oder etwas länger, von der Wurzel bis gegen die Mitte hin weich, an der Spitze hornig, der Fuß verschieden gebaut, bald hoch und dünn, bald kurz und kräftig, gewöhnlich vier-, mitunter auch dreizehig, der Flügel lang und schmal, in ihm die erste Schwinge die längste, der zwölffederige Schwanz kurz, abgerundet, abgestuft oder keilförmig. Das Kleingefieder liegt knapp an, trägt keine Prachtfarben und wird zweimal im Jahre gewechselt. Männchen und Weibchen unterscheiden sich wenig durch die Größe, wenig oder nicht durch die Färbung.

Auch in den Wasserläufern wiederholen sich, laut Nitzsch, die allgemeinen Bildungsverhältnisse der Schnepfenvögel; bezeichnend für alle Glieder der Familie ist jedoch, daß der knochenzellige Tastapparat an den Kiefern fehlt. Die Wirbelsäule besteht aus zwölf Hals-, neun Rücken- und acht bis neun Schwanzwirbeln. Das Brustbein unterscheidet sich von dem der Strandläufer durch die geringere Größe des inneren Paares der Hautbuchten; das Becken ist verhältnismäßig schmal. Die Zunge erreicht nicht die Schnabelspitze; der Magen ist schwachmuskelig, die Milz klein und rund, der Darmschlauch fällt auf durch die Kürze der Blinddärme.

Wie die vorher genannten Vögel, gehören auch die Wasserläufer vorzugsweise dem Norden an; alle Arten aber wandern regelmäßig und besuchen dabei die entlegensten Länder. Die Ufer fließender und stehender Gewässer, Sümpfe und Brüche, weniger die Seeküste, bilden ihre Aufenthaltsorte. In der Winterherberge vereinigen sie sich mit vielen anderen und manchmal ganz fremdartigen Vögeln, schlagen sich aber selten zu so starken Flügen zusammen wie die Strandläufer. Ihr Wesen ist ansprechend, der Gang zierlich, behend, schrittweise, der Flug außerordentlich leicht und schnell; die Stimme besteht aus angenehmen, hohen, flötenden, weit vernehmbaren Tönen, welche sich so ähneln, daß eine Art der anderen nicht selten folgt. Das Nest steht meist auf dem Boden, jedoch auch auf Bäumen; das Gelege zählt ebenfalls vier, verhältnismäßig große, birn- oder kreiselförmige, auf ölgrünem Grunde mit braungrauen Flecken gezeichnete Eier, welche vom Weibchen gezeitigt werden. Die Jungen laufen den Alten vom ersten Tage ihres Lebens an nach, verbergen sich nach Art ihrer Verwandten bei Gefahr äußerst geschickt auf dem Boden oder im Grase, lernen bald flattern, und machen sich, sowie sie ihre Flugfertigkeit erlangt haben, selbständig.

[304] Sämmtliche Wasserläufer gehören zu den vorsichtigen und scheuen Vögeln; die großen Arten übernehmen deshalb überall, wo sie mit anderen Strandvögeln zusammenleben, die Führerschaft. Ihre Jagd gelingt keineswegs immer; auch der Fang verursacht Schwierigkeiten. Im Käfige gewöhnen sie sich bald ein, nehmen mit einfachem Ersatzfutter vorlieb und halten bei einigermaßen entsprechender Pflege jahrelang in der Gefangenschaft aus.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 304-305.
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