6. Der Krieg.

[182] Es gehörte mit zur Eigenthümlichkeit meines mich überall vom Ungemeinen abhaltenden und auf ein gewisses Mittelmaß verweisenden Schicksals, daß ich, der ich bei meinem hohen Interesse für das Geschick der Völker die Ereignisse des Krieges so gern in der Nähe gesehen hätte, immer nur am äußersten Saume seines Schauplatzes blieb und meinem eifrigen Verlangen, dabei auf irgend eine Weise der Sache Deutschlands dienen zu können, durch Gelegenheit zur allerunbedeutendsten Theilnahme gleichsam nur eine Probe von Genugthuung gegeben wurde. Ich sah jetzt wie späterhin den Krieg nur im Kleinen und vermochte meinen guten Willen nur durch Kleinigkeiten zu beweisen; diese aber waren mir, da ich darauf beschränkt war, bedeutend, und so erzähle ich sie denn auch, wie Jeder, der bei einem merkwürdigen Ereignisse, auch nur von der Ferne her, Zeuge war, gern erzählt, wie es ihm erschienen ist.

Bis zur Schlacht von Ulm interessirte ich mich mit manchem meiner Freunde noch auf das Lebhafteste für Napoleon, als den Helden des Jahrhunderts, der die Revolution von ihren Flecken reinigte und ihre Segnungen verbreiten wollte: in seinen Siegen triumphirte ja das Genie über das in thörichter Einbildung aufgeblähte Herkommen und der Fortschritt der neuen Zeit über das Veraltete; in seinem Heere wehte der Geist der Freiheit, vor dessen lebendigem Odem der todte Mechanismus zusammenstürzen mußte. Die Bewunderung seiner Kraft ließ auch seine Gewaltthaten als Maßregeln betrachten, zu welchen er bei der Geneinheit der Menschen gezwungen war, um seine Pläne zum Heile der Welt ausführen zu können, und Deutschland[182] konnte durch die Wunden, die er ihm beibrachte, zu seiner Verjüngung gelangen.

Das Ende des Feldzuges von 1805 sammt seinen Folgen, den deutschen Königstiteln, dem Rheinbunde u.s.w., öffnete uns die Augen und ließ hinter der Maske des Weltverbesserers den herrschsüchtigen Despoten erkennen. Mit Enthusiasmus sahen wir daher im Herbste 1806 die Rüstungen Preußens und freuten uns über die nothwendige Theilnahme Sachsens; so lasen wir am 9. October voller Hoffnung die preußische Kriegserklärung vom vorigen Tage. Schon am 11. October, es war Sonnabend, wußten wir nicht, wie uns geschah, als am Abende Leute vom sächsischen Fuhrwesen mit verhängtem Zügel von Zeiz her ansprengten; sie hatten, als ein Trupp Franzosen zwischen Zeiz und Gera die Bagage überfiel, die Stränge ihres Gespannes durchhauen und jagten noch durch Leipzig, als ob ihnen der Feind im Nacken wäre, so daß sie uns ein mehr lächerliches, als schreckendes Schauspiel gewährten. Am folgenden Tage wurde die Sache ernster, als einzelne verwundete Dragoner vom Regimente Johann aus dem Treffen von Saalfeld kamen und ihnen Nachmittags Truppe von alten Grenadieren folgten, deren düstere Gesichter den Schmerz und die Scham des besiegten Soldaten ausdrückten und in deren gänzlich heruntergekommenem Zustande man sah, wie schon ein Rückzug von nicht mehr als acht Meilen nach einem verlornen Treffen die Kräfte aufzureiben vermag: wir trösteten uns damit, daß dies einer der im Kriege nicht ausbleibenden partiellen Wechselfälle sei, die auf das Ganze keinen Einfluß haben. – Als ich am 13. October Morgens um 5 Uhr an meinem Fenster stand, sah ich einen in meiner Nähe wohnenden Rathsherrn vom Rathhause her nach Hause gehen: in der Nacht waren 50 französische Chasseurs von Zeiz her nach der Stadt und auf das Rathhaus gekommen, hatten von dem eiligst zusammenberufenen Magistrate 100,000 Franken in Wechseln als Contribution erhoben, als Gratial für sich 200 Louisd'or und einen Schein über den der Stadt Leipzig abgestatteten Besuch sich eben lassen und waren, nachdem sie noch in den Ställen der[183] Vorstadt sich einige gute Pferde ausgesucht hatten, wieder davon gezogen. Alles war empört über diese Unverschämtheit und nicht minder verwundert, als um 2 Uhr Nachmittags gegen 100 Mann französische Husaren von Lützen her durch die Stadt kamen und neben der nach Zeiz führenden Straße in der Lehmgrube absaßen, indem sie nach allen Richtungen hin Vedetten ausstellten. Sie wurden sogleich ihrem Verlangen gemäß mit Wein und kaltem Braten bewirthet. Ich und Hänsel waren, wie bei den folgenden militärischen Scenen, zugegen. Die Vedetten, in der linken Hand Zügel und Pistole, in der rechten die Weinflasche haltend und unverwandten Auges auf die Landstraße blickend, standen uns nicht Rede; die abgesessenen Husaren hingegen waren nicht zurückhaltend und sagten, sie stünden unter Bernadotte und würden nach acht Tagen in Berlin sein, erzählten dies aber so ernst und ruhig, daß wir uns wunderten, an den Gascognern gar nicht das Aeußere von Windbeuteln zu finden. Um 6 Uhr zogen sie auf der Straße, von wo sie gekommen waren, wieder ab, und nun schien es uns klar, sie waren durch preußische Truppen von ihrem Corps abgeschnitten, wußten jedoch in ihrer Rathlosigkeit sich ganz gut zu benehmen; als sie ihren Weg durch die Vorstadt nahmen, rief die sie begleitende Volksmenge wie auf ein gegebenes Signal: die Preußen kommen! und da die Husaren sich nun sogleich in scharfen Trab setzten, so war für uns die Sache entschieden und wir gingen wie nach einem Siege fröhlich nach Hause. Der Magistrat warnte jedoch am folgenden Tage in einer Bekanntmachung vor ähnlichen Uebereilungen, welche zu einer feindlichen Behandlung Anlaß geben könnten und bedrohte die Theilnehmer an solchen Unruhen mit nachdrücklicher Bestrafung. An diesem Tage hörte man des Morgens von Naumburg her eine Kanonade, die den ganzen Tag über dauerte. Wir waren wieder auf der Landstraße, horchten mit klopfendem Herzen auf den Donner der fernen Schlacht, fanden keinen Reisenden, der uns irgend eine Nachricht darüber hätte geben können, kehrten jedoch Abends beruhigt heim, da der Kanonendonner aus immer größerer Ferne zu tönen schien, wo denn[184] also die Franzosen auf dem Rückzuge sein mußten. Am 15ten sagte man, Bernadotte sei geschlagen und am 16ten hieß es dasselbe von Murat. An letzterem Tage rückte des Morgens ein preußisches Infanterieregiment, zur Reserve unter Eugen von Würtemberg gehörig, aus Halle kommend, in der Stadt ein, besetzte die Thore und führte Kanonen auf. Wir begrüßten diese erwünschten Gäste mit Herzlichkeit und suchten von den Officieren nähere Kunde über die Verhältnisse zu erhalten, konnten aber nichts erfahren. Abends wurde Generalmarsch geschlagen; das Regiment sollte nach Halle zurück; ich war wieder auf dem Platze, fand die Leute in ernster, düsterer Stimmung, suchte sie durch meine Zuversicht zur preußischen Tapferkeit zu ermuntern, theilte meine Baarschaft aus, ging aber selbst trübe gestimmt nach Hause. Erst am 17ten verbreitete sich die Nachricht, die Preußen seien geschlagen. Es ist kaum begreiflich, wie der Ausgang der acht Meilen von Leipzig vorgefallenen Schlacht drei Tage lang dem hiesigen Publikum unbekannt bleiben konnte, – aber es war so. Hätten die Behörden Nachricht davon gehabt, so wäre die schleunigste Bekanntmachung derselben für Leipzig höchst wichtig gewesen, damit die englischen Waarenhändler ihre Maßregeln darnach hätten nehmen können; übrigens verbreitet sich eine solche Nachricht auch durch noch so fest verschlossene Thüren. Wir lebten in banger Erwartung, als am 18ten (Sonnabend) Nachmittags zwei französische Husaren, die Pistole in der Rechten, unter meinen Fenstern vorbei nach dem Rathhause trabten, um die Ankunft von 42,000 Mann unter Davoust anzukündigen; eine Escadron hielt vor dem Thore; gegen Abend rückten ein Regiment Husaren und zwei Regimenter Infanterie in die Stadt. Ich sah dem Zuge mit Ingrimm zu: die schrillenden Molltöne der Musik, die Mohren mit der großen Trommel und Becken, die Kanonen, an welchen halbe Rinder aufgehängt waren, das wilde Aussehen der Sappeurs mit ihren auf die Brust herabreichenden Bärten und die rohe, räuberische Physiognomie der mit Staub bedeckten Davoustschen Infanteristen, dies Alles zusammen, verbunden mit dem Gedanken, daß die letzte Schutzwehr gefallen sei, machten einen furchtbaren[185] Eindruck. Die Truppen bivouakirten bei Wachtfeuern auf dem Markte; Davoust nahm sein Hauptquartier auf der Funkenburg und ging am folgenden Tage nach Wittenberg. In der Nacht wurden die Firmas der englischen Waarenhandlungen überpinselt, so wie auf den Comptoirs die Correcturen der Handlungsbücher eiligst begonnen und Briefschaften beseitigt, bei manchen Capitalisten aber die Baarschaften im Keller vergraben. Am 19ten wurde eine Proklamation an den Straßenecken von Leipziger Beamten unter französischem Trommelschlage verlesen und angeschlagen, die so anhebt (das mir jetzt vorliegende Exemplar habe ich des Abends abgerissen):


»Der General Macon, Unter-Gouverneur der Tuilerien, Commandant der Ehren-Legion, Großkreuz des Löwen-Ordens und Commandant der Stadt Leipzig, den Banquiers, Negocianten und Kaufleuten der besagten Stadt.«


»Messieurs, das Glück der Waffen hat Leipzig in die Hände Napoleons des Großen gegeben. Ihre Stadt ist in Europa als eine Haupt-Niederlage englischer Waaren bekannt, und in dieser Hinsicht Frankreichs gefährliche Feindin. Der Kaiser und König befiehlt mir Folgendes.«


Dies bestand in dem Befehle, alle englischen Waaren anzuzeigen, verbunden mit der Ankündigung von deßhalb anzustellenden Haussuchungen und von Beschlagnahme von Militär-Magazinen und Pulvervorräthen u.s.w. – Den ganzen Tag über zogen fliehende Landleute mit ihrer besten Habe und Haufen französischer Soldaten mit Gänsen und Hühnern auf den Bajonetten oder mit geraubten Kleidungsstücken zur Stadt. Die Zeitung vom 20sten klärte uns über das Unglück Preußens auf, wiewohl es uns schwer fiel, den Berichten darüber Glauben beizumessen. – Die Franzosen hielten gute Mannszucht; Macon suchte alle Erpressungen zu verhüten; indeß war er schon kränklich angekommen und die ihm von der Stadt dargebrachten Summen konnten ihr wenig Früchte bringen, da er[186] schon am 27. October starb. Bei der großen Leichenprocession ging die Universität unmittelbar hinter den französischen Generalen und Adjutanten, und da diese auf dem Rückwege sich dem Zuge nicht mehr anschlossen, so kam der Rector mit den Professoren, unter welchen ich zufällig einer der Ersten war, unmittelbar hinter den französischen Tambours zu marschiren; auch war uns schon auf dem Kirchhofe die Bedeutung unserer Lage recht anschaulich geworden, indem nach der Generalsalve noch einzelne Soldaten die aus der Schlacht ihnen übrig gebliebenen Patronen verschossen, ohne es mit der Richtung des Gewehres so genau zu nehmen, und es war ein Glück, daß wir mit heiler Haut davon kamen.

Der Volksgeist sprach sich auf die unzweideutigste Weise aus, namentlich in Betreff der gefangenen Preußen. Da anfänglich denen, welche nicht in Preußen geboren waren, gestattet wurde, nach ihrer Heimath zu gehen, so nahm ich selbst einen geborenen Oesterreicher in mein Haus, der mir, freilich in seiner naiven Weise, über Alles, was er erfahren, genau berichten mußte. Als späterhin für Gefangene vom Blücherschen Corps Stroh und Holz zum Bivouak auf dem Felde zusammengefahren wurde, entstand ein solch' allgemeines Murren, daß man von dieser Maßregel bald abstand und die Gefangenen in Kirchen einquartierte; hier brachte man ihnen Speisen und Getränke in reichem Maße, besuchte sie zahlreich, unterhielt sich mit ihnen, ihre Tapferkeit anerkennend, und vertröstete sie auf bessere Zeiten; viele Bürger kamen mit Mänteln und darrunter verborgenen Mützen, um beides Gefangenen zu geben, die, damit bekleidet, in ihrer Gesellschaft durch die Wachen entkamen. Das Corps, welches ein Fürst Isenburg vornehmlich aus versprengter Mannschaft des preußischen Heeres für den französischen Dienst gebildet hatte, war allgemein verachtet; die Soldaten des Rheinbundes, die eine völlig undeutsche Gesinnung bewiesen, wurden verabscheut. In welcher Stimmung am Neujahrstage 1807 die Erhebung Sachsens zum Königreiche gefeiert wurde, kann man schon daraus abnehmen, daß in dem von der Universität deßhalb gegebenen Programme gesagt[187] wurde, »man hoffe, daß Niemand der Eingeladenen, der seinen König redlich liebt, ohne wichtige Abhaltung verfehlen werde, der dem Vater des Vaterlandes geweihten Feier beizuwohnen,« und daß man die Studirenden ermahnte, »während der Erleuchtung der Stadt sich aller zahlreichen öffentlichen Vereinigungen und sonst jeder Veranlassung zu Excessen und Unordnungen zu enthalten«.

Am 20. Juli 1807 wollte Napoleon aus Dresden durch Leipzig gehen und Alles war hier zu seinem Empfange bereit: sehr geschmackvolle Ehrenpforten mit dichtem Laubwerke, eine elegant uniformirte Garde der jungen Kaufmannschaft und Deputationen der verschiedenen Behörden erwarteten ihn. Ich war unter den Deputirten der Universität, welche hier eine Hauptrolle spielen sollte: denn der Professor der Astronomie, Rüdiger, hatte, freilich auf Kosten anderer Sternbilder, dem Kaiser zu Ehren ein neues Sternbild geschaffen und wollte ihm die Zeichnung, die seinem Ruhme einen Platz an Himmel anwies, überreichen. Wir waren den 20. Juli fast den ganzen Tag über bei Ehrhard, der die Anrede an den Kaiser halten sollte, – aber dieser kam nicht. Eben so verstrich der 21ste und 22ste: wir waren fortwährend in unserem Costüme, jeden Augenblick bereit, zu erscheinen, wie denn auch ganz Leipzig feierte und die junge Garde wenig vom Pferde kam. Indessen machten die Ehrenpforten bedenkliche Miene und es mußten Feuerspritzen zu Hülfe genommen werden, um dem verdorrenden Laube sein Scheinleben zu fristen; die Menschen waren nicht weniger abgespannt und suchten die Ruhe. Da kommt am 23sten des Morgens um 4 Uhr der Kaiser unerwartet durch das letzte Dorf vor der Stadt; die daselbst aufgestellte Wache bemerkt ihn nicht eher, als bis der Wagen dicht vor ihr ist und feuert in demselben Momente ihre Kanone ab. Der Schuß, dessen Bedeutung dem Reisenden nicht klar sein mochte, erregte als Signal beim Triumphbogen Allarm und es wurden nothdürftig einige Deputirte herbeigeholt, insbesondere auch der eine in der Nähe wohnende Burgemeister. Dieser geht nach dem vor der Post zum Wechseln der Pferde haltenden Wagen: er sieht den[188] Kaiser, in einen Winkel gelehnt, ein Tuch über das Gesicht gebreitet, und will herantreten, aber Rustan donnert ihm entgegen: retirez-vous! Die Pferde sind gewechselt, der Wagen rollt fort, und wie er zum andern Thore hinaus ist, beginnt das Festgeläute aller Glocken, die jungen Kaufleute warfen sich aufs Pferd, die Deputirten in ihre Gallatracht, – und Er ist vorüber. Nachdem ich mich beruhigt hatte, dauerte es nicht mehr lange, so meldete mir der Pedell: »Seine Magnificenz lassen bitten, um 10 Uhr ins Thomäsche Haus zu kommen!« Ich hatte so wenig Scharfsinn, daß ich nicht errieth, was diese Einladung zu bedeuten habe: ich glaubte, es sei eine Conferenz im Werke, freilich sonderbarer Weise in dem Hause, welches der König, wenn er nach Leipzig kam, bewohnte und wo auch der Kaiser hatte absteigen sollen. Es galt aber, die Deputirten durch den Genuß der für den hohen Gast bestimmt gewesenen Delicatessen einigermaßen zu entschädigen. Die Gesellschaft war sehr munter und ließ es sich vortrefflich schmecken. Am ergötzlichsten waren zwei Männer, die bei der beabsichtigten Feier im Vordergrunde hatten stehen sollen: der Burgemeister, der die kurze Unterredung mit Rustan gehabt hatte, war überglücklich, daß Alles so gut abgelaufen war, zumal als der Kaufmann Gerhard mit blankem Säbel in gestreckter Carrière ankam und meldete, daß er den Kaiser bis nach Markranstädt begleitet und von da abfahren gesehen habe und trank sich ein kleines Räuschchen; der Astronom aber, im Bewußtsein, dem Kaiser an den Himmel verholfen zu haben, musterte tiefsinnig die Confituren und packte davon fleißig in die weiten Taschen seines altväterischen Rockes, was denn einige Spaßvögel veranlaßte, ihm unbemerkt erst ein halbes Hühnchen, dann etwas Gelée, endlich eine gute Portion Crême in seine gähnenden Taschen zu practiciren. So verbrachten wir einen guten Theil des Tages in Lust und Freude über das glückliche Durchpassiren des zu feiernden Kaisers. Spöttereien konnten nicht fehlen; unter Anderem erschien folgende Parodie des Monologs der Jungfrau von Orleans.


Der Kaiser kehrt zurück: die Stürme schweigen

Des wilden Kriegs; es folgt Gesang und Tanz;[189]

Durch Leipzigs Straßen tönt der muntre Reigen,

Die Esplanade prangt in Festes Glanz,

Und Pforten bauen sich aus grünen Zweigen,

Und um die Latten windet sich der Kranz.

Die große Stadt faßt kaum die Zahl der Gäste,

Die wallend strömen zu dem Völkerfeste.

Und einer Freude Hochgefühl entbrennet,

Und ein Gedanke schlägt in jeder Brust;

Was sich noch jüngst in blutgem Haß getrennet,

Franzos und Sachse theilt die hohe Lust;

Wer nur zum rheinischen Bunde sich bekennet,

Der ist des Namens stolzer sich bewußt:

Erneuert ist der Glanz der Kaiserkrone,

Auch Leipzig huldiget Fortuna's Sohne!

Doch Er, der so viel Herrliches vollendet,

Er achtet diesen frohen Jubel nicht:

Gott Morpheus hat ihm Träume zugesendet,

Ein neidisch Tuch bedeckt sein Angesicht.

Die Herzen Aller sind ihm zugewendet

(Die Kürassiere kennen ihre Pflicht);

Der Kaufmann nur muß aus dem Kreis sich stehlen,

Die schwere Schuld des Schlafens zu verhehlen.


Weh mir! ruft er – welche Töne,

Wie erschrecken sie mein Ohr!

Bringt mein Pferd mir und die schöne

Blaue Uniform hervor!

Daß der Sturmwind doch mich faßte,

Trüge mich vors Grimmsche Thor,

O! so käm' ich doch den Andern

Und dem Kaiser selbst zuvor.

Dies Getrommle, dies Getöne –

Ach! es fällt mir schwer auf's Herz,

Denn ich hab' die Zeit verschlafen

Und vergeblich ist mein Sehnen –

Er ist fort! Fließt hin, ihr Thränen!


(Er versinkt in stille Wehmuth.)

Fromme Elle, hätt' ich nimmer

Mit dem Schwerte Dich vertauscht!

Hätt' es nie in Deinem Laube,

Ehrenpforte! mir gerauscht!

Wärst Du nimmer uns erschienen,[190]

Einziger Napoleon!

Ach! so trüg' ich, Dir zu dienen,

Nicht so bittern Spott davon!


Ja, ich sah im Geist schon offen

Dir ins ernste Angesicht:

Doch im Bette blieb mein Hoffen

Und vor'm Thore war es nicht.

Warum blieb ich nicht im Laden

Beim einträglichen Beruf!

Konnte dieser Scherz gerathen,

Da Gott schläfrig uns erschuf?


Willst Du glänzend Dich verkünden,

Leipzig! wähle die Geschwinden,

Welche stehn im Schilderhaus:

Die Soldaten wähle aus,

Die stets Wachenden, die Braven,

Die nicht gähnen, die nicht schlafen!

Nicht den zarten Stutzer wähle,

Nicht des Kaufmanns müde Seele!


Im März 1808 wurde ich eines Tages eiligst zu Methusalem Müller gerufen: französische Gensd'armen hatten ihn verhaftet und seiner Papiere sich bemächtigt, um sie an die französischen Militärbehörden nach Berlin zu schicken. Erst später erfuhr man den Grund: Müller hatte auf die Aufforderung von August Kuhn, Beiträge für den »Freimüthigen« zu liefern, einen vor mehreren Jahren geschriebenen Aufsatz demselben zugeschickt, ohne ihn nochmals durchzulesen und ohne sich seines Inhalts genau zu erinnern. Der Aufsatz war überschrieben: Nemesis, und endete mit dem Ausspruche, daß, wenn in unserer Zeit ein zweiter Cäsar dem Volke seine Freiheit rauben wollte, auch ein zweiter Brutus nicht fehlen würde. Er hatte dies zu einer Zeit geschrieben, wo nicht im Entferntesten daran zu denken war, daß eine Napoleonsche Behörde ihn deshalb zur Rechenschaft würde ziehen können, und jetzt war er trotz seiner Aengstlichkeit und gewohnten Vorsicht durch Zufall ein politischer Verbrecher geworden, da sein unschuldig gemeinter Aufsatz in Berlin unter den Augen der französischen Behörden[191] die Censur passirt und gedruckt worden war. Ich und August Mahlmann, als Müllers genaueste Freunde, beriethen uns über die zu ergreifenden Maßregeln, kamen überein, daß derselbe, vor allen Dingen, um ihn vor Transportirung zu sichern, als akademischer Bürger in die Gewahrsame der Universität zu bringen sei, und gingen deshalb zum dermaligen Rector, Professor Ludwig, der auch sogleich Befehl gab, daß Müller ins Carcer abgeführt würde. Froh, meinen Freund fürs Nächste sicher gestellt zu wissen, wollte ich ihn des Abends in seiner neuen Behausung besuchen, wurde aber vom Gefangenwärter nicht zugelassen, was ich um so mehr von einem bloßen Mißverständnisse ableiten zu müssen glaubte, da ich in diesem Halbjahre gerade Beisitzer des Universitätsgerichtes (Concilium perpetuum) war. Zu meinem Erstaunen erklärte mir aber der Rector, dem ich diese absurde Weigerung berichtete, daß zu einem politischen Gefangenen allerdings Niemand zugelassen werden dürfe, worauf ich erwiderte, Müller sei notorisch der ruhigste, politischen Händeln fremdeste Mann, und könne nur vermöge irgend eines Irrthums, nicht wegen eines Verbrechens, verhaftet sein; eine strenge Behandlung, insonderheit die Untersagung eines Zutrittes von mir, als seinem Arzte und Freunde, sei nicht blos ganz unnöthig, sondern bei seiner schwachen Constitution, seiner großen Empfindlichkeit und seiner lebhaften Phantasie auch gefährlich, so daß der Rector dadurch eine schwere Verantwortlichkeit auf sich laden würde. In der am folgenden Tage gehaltenen Sitzung des Conciliums erfuhr ich erst den ganzen Umfang der in Betreff Müllers getroffenen Maßregeln: er solle durchaus Niemanden sehen dürfen, außer, falls er ärztlicher Hülfe bedürfe, den Universitätsphysikus, Professor Rosenmüller, auch sollen ihm Bücher und Schreibmaterialien nicht gestattet sein. Ich war empört über die niederträchtige, knechtische Furcht vor dem französischen Machthaber, welche den Syndikus Bahrdt zu diesen Maßregeln, die von dem schwachen Rector genehmigt worden waren, bestimmt hatte; unterstützt von den übrigen Beisitzern des Gerichts setzte ich es durch, daß dem Gefangenen der Gebrauch von[192] Büchern und Schreibmaterial, sowie der Besuch von seiner Frau, seinem Kinde und mir gestattet wurde. Der Magistrat und die Kaufmannschaft schickten Schreiben an Marschall Ney, in welchen sie Müllern das Zeugniß eines streng rechtlichen, allen politischen Umtrieben fremden Mannes ertheilten und um seine Loslassung baten; dem sächsischen Ministerium wurde von der Universität und privatim auch von mir über die Sache berichtet. Aber es verstrich eine Woche nach der anderen: die französische Behörde ließ nichts von sich hören, und das sächsische Ministerium rührte sich auch nicht. In jeder Sitzung des Conciliums suchte ich meinem Freunde eine weitere Vergünstigung auszuwirken, namentlich daß er mehr Besuch, insbesondere von Hofrath Mahlmann erhalten und sich Bewegung in freier Luft machen dürfe, da er sonst seiner Gesundheit wegen täglich einen Spaziergang zu machen pflegte; aber wie dringend auch bei dem immer bedenklicher werdenden Gesundheitszustande des Gefangenen meine Anträge waren, sie blieben unerfüllt. Eine deutsche Behörde, und zwar eine akademische, wollte in feiger Unterwürfigkeit ihre Dienstbeflissenheit für den französischen Zwingherrn, der sich den Protector des Landes nannte, dem Verstande zum Trotze aufs Aeußerste treiben, wenn auch Gesundheit und Leben eines ihrer Bürger auf dem Spiele stand. Ich beschloß die Verständigkeit eines französischen Beamten gegen die unverständige und verächtliche Feigheit meines Collegiums zu Hülfe zu rufen, denn ich war so sehr gegen dasselbe erbittert, daß ich seine Erniedrigung durch einen fremden Unterbeamten als eine Genugthuung betrachtete. Ich schrieb also an den Capitain der in Leipzig stationirten französischen Gensd'armen, – er hieß, wenn ich nicht irre, Deshayes, – den ich in der Loge hatte kennen lernen, da er aus allen Umständen wohl ersehe, daß Müller kein Criminalverbrecher sei, und da dessen Gesundheit im akademischen Gefängnisse leide, so möge er die Gewogenheit haben, ihm bloßen Stubenarrest zu geben. Am folgenden Tage – es war Sonntag – wurde eine außerordentliche Sitzung des Conciliums gehalten, in welcher der Rector ein Billet des Capitains vorlas, welches ungefähr so[193] lautete: »Mein Herr! Ich habe, wie Sie es gewünscht, Ihnen die Aufbewahrung des Herrn Müller anvertraut. Da ich jetzt anders disponirt habe, so bitte ich, mir ihn wieder auszuliefern. Gruß und Achtung.« – »Was soll«, hieß es nun im Concilium, »mit Müllern geschehen? Soll er etwa nach Frankreich transportirt, oder sonst wo vor ein Kriegsgericht gestellt werden?« Ehe wir die Versicherung erhalten, daß er nicht auf solche Weise gefährdet wird, müssen wir seine Auslieferung verweigern: das ist unsere Pflicht, das sind wir dem Könige, dem Lande, unserem Mitbürger schuldig. Zwei Deputirte sollten diese heroische Erklärung dem Capitain überbringen: Professor Diemer und – ich erhielten diesen Auftrag; die übrigen Glieder des Conciliums blieben indeß beisammen. Wir suchten den Capitain auf, und richteten unseren Auftrag aus; er stellte sich, wie ich erwartete, als kenne er mich nicht, und erwiderte übrigens mit großer Artigkeit, er sei erstaunt über die Zumuthung, eine solche Erklärung abzugeben, und könne sich derselben durchaus nicht fügen, da Herr Müller auf Befehl des Marschalls Ney verhaftet worden, von einer anderen Gerichtsbehörde also auch gar nicht die Rede sein könne. Unsere Einwendungen blieben fruchtlos, und so luden wir ihn denn ein, mit uns vor das Concilium zu kommen, was er auch sehr gern that. Das Concilium wiederholte seine Forderung; der Capitain dagegen verweigerte unter den höflichsten Formen jede Erklärung über seine ferneren Dispositionen auf das Bestimmteste, und äußerte, bei aller Achtung für den König von Sachsen müsse er sagen, daß dieser der gegenwärtigen Angelegenheit ganz fremd sei; hier handle es sich um einen Arrestanten der französischen Behörde, die ihn einstweilen in die Gewahrsame der Universität gegeben und ihn jetzt zurückfordere, da sie allein das Recht habe, über ihn zu verfügen; weigere man sich, so werde er es auf der Stelle dem Marschall Ney melden, und einige Tage später werde er dann einige Arrestanten mehr haben. Nachdem dies noch eine Zeitlang hin und her besprochen worden, übergab das Concilium seinen Gefangenen – gegen einen Empfangschein des Capitains! Ich war in der peinlichsten[194] Lage; mit tiefer Verachtung sah ich auf das Concilium, und konnte vor Scham den Capitain nicht anblicken. Dieser führte Müllern ab und nahm auf der Straße von ihm Abschied mit der Bitte, sich von Leipzig nicht weiter als zehn Meilen zu entfernen. Hiermit hatte die ganze Sache ein Ende, und meine Intrigue blieb verschwiegen. Mein armer Freund aber, der hier von seiner Behörde auf schmachvolle Weise preis gegeben worden war, und nur von einem feindlichen Beamten eine verständige und ehrenhafte Behandlung erfahren hatte, ist späterhin ein Opfer seiner loyalen Gesinnungen geworden: er war nämlich im Jahre 1830 politischer Censor, und da er den Ausbrüchen des Radicalismus die Aufnahme in die Leipziger Blätter versagte, erlitt er vielfältige Anfeindungen, und als man ihm zuletzt in anonymen Briefen drohte, man werde sich an dem, was ihm das Liebste sei, rächen, so sah er darin seine Tochter bedroht, und verfiel darüber in Wahnsinn, in welchem er auch gestorben ist.

Der Haß gegen die französischen Gewalthaber verbreitete sich immer weiter, und machte sich unter dem Volke bei mancher Gelegenheit Luft. So wurde ein französischer Oberst, der, im Schlitten fahrend, einem auf der Straße an einem Wagen beschäftigten Aufläder, da dieser nicht alsbald Platz gemacht, einen Schlag mit der Peitsche gegeben hatte, von diesem und seinen Gehülfen durchgeprügelt; die Franzosen scheuten sich, das Volk aufzubringen, und die Sache blieb ungeahndet.

Die Störung des Wohlstandes durch Einquartierung, Contribution und Handelssperre war freilich ein Hauptgrund zu solchen feindseligen Gesinnungen. Aber bei vielen Sachsen, Gebildeten und Ungebildeten, hatte auch das Gefühl der verletzten Nationallehre vorzüglichen Antheil daran; man vergaß die sonstigen Particularansichten, interessirte sich, dem scheinbar befreundeten Frankreich gegenüber, für Oesterreich und Preußen, und der Sinn für Deutschland, als das gemeinsame Vaterland, wurde immer mehr wach. So wurde man auch mit dem Gedanken einer Theilnahme des Volks an dem künftigen Kampfe gegen die Fremdherrschaft immer vertrauter, und es gab selbst[195] Hausväter, die zu solchem Zwecke im Stillen sich in Führung der Waffen übten. Verzweigungen des Tugendbundes in den vormals preußisch gewesenen Ländern hatten auch einige Reiser in Sachsen getrieben, aber hier nicht sowohl die Wiederherstellung von Preußens Größe, als vielmehr die Befreiung Deutschlands zum Ziele gesteckt und in überspannten Köpfen rein demokratische Tendenzen angenommen. Deutschland sollte eine Republik werden; auf dem Fichtelgebirge, als seinem Centrum, wo die Flüsse entspringen, die den Rhein, die Elbe und die Donau bilden helfen, wollte man die befestigte Hauptstadt erbauen; dem Könige von Preußen gedachte man die Stelle eines Oberfeldherrn zuzuwenden u.s.w. An diesen Schwindeleien, die mir anvertraut wurden, nahm ich keinen Theil, war aber mit meinem Hänsel bereit, wenn die Zeit käme, für die Befreiung von Deutschland mit zu kämpfen. Wir blickten im Anfange des Jahres 1809 mit frohen Hoffnungen auf die Rüstungen Oesterreichs; jubelnd empfingen wir im April die Nachricht vom Aufbruche seines Heers; mit Begeisterung lasen wir den Armeebefehl des Erzherzogs Karl, die Aufforderung desselben zu freiwilligen Kriegsdiensten und seine Proclamation an die deutsche Nation, wir jauchzten über sein Einrücken in Baiern, über die Fortschritte des Erzherzogs Johann in Italien und über den Aufstand in Tyrol; die Ankunft des Königs von Sachsen in Leipzig am 16. April ließ uns hoffen, daß Dresden bald in österreichischen Händen sein würde; wir erfuhren Dörnbergs Versuch in Hessen; wir erhielten Schills feurigen Aufruf an die Deutschen, und erwarteten sehnlichst seine Ankunft in Leipzig, da seine Mannschaft sich schon bei Schkeuditz gezeigt hatte. Unsere Hoffnungen wurden nicht erfüllt. Die Niederlagen der Oesterreicher bei Eckmühl und Regensburg wurden am 26. April durch eine Proclamation des Königs verkündet und mit verbissenem Grimme durch eine Illumination gefeiert, wobei eine Fensterscheibe in der Wohnung des Königs eingeworfen wurde. Mit einer Schnelligkeit, als ob sie durch Telegraphen verbreitet wurde, kam die Nachricht von den Schlachten bei Aspern und Eßlingen nach Leipzig, und wurde mit Enthusiasmus[196] aufgenommen. Daß der König am 13. Juni von Leipzig nach Frankfurt am Main ging, bestärkte unsere Hoffnung einer baldigen Befreiung vom französischen Joche. Die Anhänglichkeit seiner Unterthanen war schon sehr vermindert, und wurde es noch mehr durch sein Patent von Frankfurt den 18. Juni. Nachdem er darin gesagt hatte, er habe seine schon verlorenen Staaten von dem großmüthigen Sieger zurück erhalten, fuhr er fort: »noch theurer sei ihm das dadurch erlangte Glück, da die persönliche Bekanntschaft mit jenem großen Manne zu den Gefühlen der Rührung und Dankbarkeit auch die der aufrichtigsten Bewunderung und Verehrung seiner nie genug erkannten Eigenschaften gesellt habe«; er sprach die Hoffnung aus, »das Vaterland bald vom Feinde befreit zu sehen«, äußerte aber zugleich, daß er wisse, »es gebe in Sachsen noch einige, theils Schwache und Verführte, theils aber auch Boshafte, welche seinem Systeme, seinen Regierungsgrundsätzen, seinen von seinem Standpunkte aus richtigen Ueberzeugungen, nicht allein entgegen denken, sondern auch sich erdreisten, ihnen entgegen sich zu äußern, oder wohl gar ihnen entgegen zu handeln.« Er befahl allen Behörden, auf der gleichen Personen, so wie »auf die Verbreiter von Nachrichten, durch welche wohlgesinnten Bürgern des Staats Besorgnisse erweckt werden, eine verdoppelte Aufmerksamkeit zu richten.« Es war betrübend, von dem früher so aufrichtig verehrten Könige eine Sprache zu hören, die das deutsche Vaterlandsgefühl empören mußte. Um so begieriger faßten wir die Gerüchte über das Vorrücken österreichischer Truppen über die böhmische Gränze auf; die Straße nach Dresden war jetzt täglich mit Leipzigern übersäet, die beim Zusammentreffen, wenn sie mit einander nicht vertraut waren, sagten, das schöne Wetter habe sie zu diesem Spaziergange veranlaßt. Am 22. Juni holte mich Hänsel in aller Frühe ab, um mit ihm Zeuge der erwarteten Ereignisse zu sein, da der österreichische General am Ende und der Herzog von Braunschweig von Dresden her im Anzuge waren. Wir brannten vor Ungeduld, die Kämpfer Deutschlands zu bewillkommnen, ja wir waren nicht abgeneigt, falls die Sachsen die[197] Stadt vertheidigen wollten, die Bürger zu Oeffnung der Thore aufzufordern. Indeß vermochte das kleine Detachement sächsischer Truppen, welches unter den Mauern der Stadt aufgestellt war, uns keine Besorgnisse einzuflößen, und, gleichgültig bei ihm vorübergehend, blickten wir mit gespannter Erwartung nur in die Ferne; da erschien am Horizonte auf einer kleinen Anhöhe ein Reiter mit einem Fähnchen: es war offenbar ein österreichischer Uhlane, und entzückt drückten wir einander die Hand. Wir gingen weiter; blanke Waffen blitzten hin und wieder in der Morgensonne; endlich zeigte sich eine Abtheilung von der schwarzen Schaar des Herzogs von Braunschweig, die sich vor den Kohlgärten aufstellte, und bald sprengten kleine Truppen hervor gegen die Sachsen an. Wir standen nahe am Wege, dem Geplänkel zuschauend und gingen mitunter auf den Weg selbst, jetzt um den Sachsen, die mit einem gefangenen Braunschweiger zu ihrem Corps zurückkehrten, vorzustellen, daß ein Ehrenmann einen gefangenen deutschen Bruder nicht plündern dürfe; ein anderes Mal, um einem verwundeten Braunschweiger Hülfe zu leisten, der aber leider betrunken war und uns beschuldigte, ihm seinen Säbel gestohlen zu haben. Endlich gingen wir, während das Plänkeln fortdauerte, zu der vor dem Dorfe haltenden Schwadron selbst über, konnten aber mit Begrüßungen und Versicherungen von der Gesinnung der sächsischen Bürger uns nicht lange aufhalten, denn da die übrigen Truppen auf der Dresdener Straße vorrückten, mußten wir eilen, um bei ihrer Ankunft in der Stadt zugegen zu sein. Wir eilten über die Landstraße herüber, bei den auf den Seitenwegen langsam vorrückenden Vedetten vorbei, stiegen unter gegenseitiger Hülfeleistung über die Mauer des Bose'schen Gartens und kamen gerade noch zu rechter Zeit unter das Grimmaische Thor, als der Herzog von Braunschweig an der Spitze seiner Truppen einritt und von Deputationen der Stadt und der Universität erwartet wurde. Die versammelte Menge jauchzte ihm ein Lebehoch zu und ich glaubte, der Erste gewesen zu sein, der seine Stimme dazu erhob; eben so rief dann mit mir die Menge dem Erzherzoge Karl ein Lebehoch. Späterhin fiel mir doch[198] ein, daß man mir mein Jauchzen über den Einzug eines »Feindes« übel deuten könne; doch ich überzeugte mich bald, daß bei der allgemeinen Aufregung Keiner den Andern beachtet hatte. Ich folgte den Truppen in der Stadt; man hörte vom Ranstädter Thore her, durch welches die Sachsen abgezogen waren, ein lebhaftes Gewehrfeuer; sie hatten die Elsterbrücke, deren voreilige Sprengung dem Rückzuge der Franzosen nach der Leipziger Schlacht so verderblich geworden ist, durch umgestürzte Wagen barrikadirt, und feuerten vom andern Ufer. Ein Braunschweiger Adjutant sprengte bei mir vorüber und rief die Schützen vor. Unter freudigem Hurrah setzten sich diese in raschen Lauf, und hinter ihnen rasselten die Kanonen in scharfem Trabe vorbei. Der Gedanke, daß jetzt Kämpfer für Deutschlands Befreiung Deutschen in ernstem Gefechte gegenüber stünden, erschütterte mich so, daß ich, um mich aufrecht zu halten, an eine Mauer mich lehnen mußte; es war das einzige Mal in meinem Leben, daß ich erfuhr, wie man sich bei Anwandlung einer Ohnmacht fühlt. Ich schlich nach Hause, sah noch ein Regiment böhmische Landwehr, aus jungen schwächlichen Leuten bestehend, deren Anblick bei dem Gedanken, daß auch sie gegen den mächtigen, schlachtgewohnten Feind fechten sollten, rührend war; dann aber ein Regiment österreichischer Uhlanen, deren kriegerische Haltung wieder Vertrauen einflößte. Am Nachmittage und am folgenden Tage besuchten wir mit meiner Frau das Lager der Oesterreicher. Unsre Freude war von kurzer Dauer. Am 24. Juni Abends traten die Truppen unerwartet ihren Rückmarsch an: trauernd nahmen wir von den Officieren, deren Bekanntschaft wir gemacht hatten, Abschied; den böhmischen Landwehrknaben brachten die Einwohner in ähnlicher Stimmung allerhand Lebensmittel, und luden ihnen so viel auf, als sie nur immer zu tragen vermochten. Am folgenden Tage mußten wir den König Jerome mit einigen Tausend Westphalen und den General Thielemann mit sächsischen Truppen einrücken sehen.

Am 26. Juli wurde ich in der Nacht durch Schüsse geweckt. Ich wohnte im Bose'schen Garten, und eilte auf die[199] Treppe eines Lusthauses an der Gartenmauer, von der man auf das Feld sehen konnte. Es waren die Braunschweiger auf ihrem kühnen Rückzuge nach der Küste der Nordsee, denen ein schwaches Corps Sachsen den Weg nach Leipzig versperren zu wollen sich stellte, indem es zurückweichend noch etwas Krieg spielte. Einige Flintenkugeln, die durch das Gebüsch vorüber pfiffen, ruften mich von meiner Warte ab; doch nach Anbruch des Tages war ich bald im Bivouak auf der Promenade am Hallischen Thore, wo der Herzog, nachdem er Ordres gegeben und Rapporte empfangen hatte, ein Kriegsgericht über einen Stötteritzer Gastwirth hielt, der den Braunschweiger Vortrab durch Verleugnung der im Dorfe im Hinterhalte liegenden Sachsen verrathen hatte. Am interessantesten war mir der Augenblick, als ein Landkartenhändler heran trat und der Herzog sich von demselben eine Landkarte geben ließ, in deren Beschauung er eine lange Weile versank: es war die Karte von Niedersachsen. Sonderbarer Weise waren so wenig Neugierige da, daß ich diese Scenen mit Gemächlichkeit ganz in der Nähe ansehen konnte. Am Abende brachen die Truppen nach Halle auf, und ließen den mit der angedrohten Todesstrafe geängstigten und stündlich mit einer Tracht Prügel versehenen Delinquenten laufen.

Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 182-200.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Flegeljahre. Eine Biographie

Flegeljahre. Eine Biographie

Ein reicher Mann aus Haßlau hat sein verklausuliertes Testament mit aberwitzigen Auflagen für die Erben versehen. Mindestens eine Träne muss dem Verstorbenen nachgeweint werden, gemeinsame Wohnung soll bezogen werden und so unterschiedliche Berufe wie der des Klavierstimmers, Gärtner und Pfarrers müssen erfolgreich ausgeübt werden, bevor die Erben an den begehrten Nachlass kommen.

386 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon