5. Reise.

[349] Zwölf Jahre hatte ich in Königsberg gelebt und nach Kräften gewirkt: da durfte denn wohl im Jahre 1826 die alte Reiselust wieder einmal Befriedigung fordern. Außerdem daß mir eine längere Erholung von der Arbeit recht ersprießlich sein konnte, mußte meine Frau zu einer Brunnencur nach Marienbad gehen, und mein jüngerer Sohn, der eben seine Staatsprüfung in Berlin ablegte, sollte, ehe er in das ärztliche Geschäft trat, doch auch einige deutsche Universitäten besuchen. Es war also hinlänglicher Grund zur Reise vorhanden. Für eine materielle Grundlage war auch gesorgt; das Ministerium, welches mir 1823 zum Beweise seiner Zufriedenheit eine Gratification von 100 Thalern gegeben hatte, bewilligte mir auch einen Zuschuß zu den Reisekosten von 300 Thalern; ich aber hatte ein hübsches Sümmchen für diesen Zweck zurückgelegt, welches ich auch brauchte, denn um nur Eins zu erwähnen, so reiste ich, um Zeit zu gewinnen und an keinem Orte mich länger aufhalten zu müssen, als er mich gerade interessirte, in eigenem[349] Wagen mit Postpferden, und legte einen Weg von 767 Meilen zurück, während zum Theil meine Frau und mein Sohn eine andere Tour nahmen.

Schon am 3. März reiste ich mit meiner Frau ab. Ich kann nicht beschreiben, wie glücklich wir uns fühlten, wie überaus froh und dankbar wir waren. Unter Anderem war ich auch darüber vergnügt, daß diese Reise mir Gelegenheit geschafft hatte, einige lästige Nebenämter, nämlich die Direction der deutschen, der physikalisch-ökonomischen und der physikalisch-medicinischen Gesellschaft, so wie eines akademischen Lesevereins niederlegen zu können.

Uns interessirte zunächst der herrliche Dom zu Frauenburg mit dem Andenken an Copernicus und an den Sieg der Erkenntniß über den Trug der sinnlichen Erscheinung; dann das Schloß Marienburg, eben erst von dem Schmutze gesäubert, mit welchem die Rohheit eines unpoetischen, engherzig ökonomischen Zeitalters es verunehrt hatte. Es hatte ein sehr lebhafter Enthusiasmus dazu gehört, die Schwierigkeiten zu überwinden, welche sich der Wiederherstellung dieses herrlichen Denkmals der Vorzeit entgegenstellten, ich lernte aber diesen achtungswerthen Enthusiasmus auf eine für mich sehr komische Weise von seiner groben Seite kennen. Ich hatte nämlich gehört, daß der Schuldirector Häbler zu Marienburg, der die Geschichte des Schlosses auf das Sorgfältigste studirt und für die Restauration desselben mit großem Eifer gewirkt hatte, der beste Führer darin, aber auch über alle Maaßen weitläufig und minutiös dabei sei. Ich hatte nun meine Sachen recht klug angefangen zu haben geglaubt, indem ich seine Ernennung zum Ehrenmitgliede der deutschen Gesellschaft veranlaßt und bei Uebersendung des Diploms ihn für meine bevorstehende Durchreise um seine Führung im Schlosse gebeten, aber hinzugesetzt hatte, daß ich leider nur einige Stunden mich daselbst würde aufhalten können. Er antwortete mir über diesen Punct: »Es wird sich zuerst fragen, ob Sie die Marienburg gründlich kennen lernen, oder sie nur obenhin anschauen wollen? Im ersten Falle, was sollen dazu ein Paar Stunden? und im letztern[350] Falle gehe ich gar nicht mit. Wer dem Ordenshause nur ein Paar Stunden widmen will, für den ist der Schloßwart gut genug, oder es müßte einer von den Herren und Fürsten sein, die denn doch Alles nur obenhin besehen. Ein Paar Tage, das lasse ich mir für wissenschaftliche Männer gefallen.« Ich begnügte mich nun wirklich mit der Leitung des Schloßwarts und lernte den Enthusiasten, dessen Grobheit mich sehr belustigt hatte, erst später persönlich kennen, wo ich ihn dann recht lieb gewann.

Danzig unterscheidet sich wesentlich von Königsberg durch den Besitz von Kunstwerken, als Denkmälern einer bedeutenden Vorzeit, und durch seine reizenden Umgebungen. Während wir diese seine Eigenthümlichkeiten mit großem Genusse kennen lernten, blieben wir von jeder widrigen Berührung mit dem hier herrschenden Kaufmannsgeiste befreit, da die hiesigen Aerzte mit ihren Familien uns die freundlichste Aufmerksamkeit bewiesen.

Während meines vierwöchentlichen Aufenthaltes in Berlin, wo ich das anatomische Museum, so wie die zootomische Sammlung der Thierarzneischule genau besichtigte, war ich oft bei Rudolphi, der als ein vielwissender, lebenskräftiger, heiterer, in der Unterhaltung frei und leicht beweglicher Mann mich sehr ansprach. Auf der Jagd nach Büchern seines Fachs war er zufällig zum Besitze einer Sammlung Bildnisse von Aerzten gelangt, und indem er diese zu vergrößern suchte, mußte er hin und wieder auch solche auf Medaillen zu Hülfe nehmen, was ihn denn endlich zum gelehrten Numismatiker und Besitzer eines Münzkabinets machte; ich sah in dieser Neigung, Einzelheiten zu sammeln, den Charakter des Empirikers ausgeprägt. – An Prosector Schlemm fand ich einen einfachen, tüchtigen Mann, der (wiewohl früher Chirurg) in der Zoologie wohl bewandert war. – In der Thierarzneischule waren Lehrer von ähnlicher Tüchtigkeit: Gurlt, ein geschickter Zootom, für Physiologie sich wenig interessirend, nicht ohne ziemliches Selbstgefühl, scharf urtheilend und das, was er nicht selbst gesehen, kurzweg abweisend, und Hertwig, kenntnißreich, lebhaft und thätig; sie stellten auf meinen Wunsch einige Experimente[351] an Hunden und Pferden an, und machten mir manche interessante Mittheilung; hin und wieder trat ein Anklang von Rohheit hervor, namentlich in Späßen und Gelächter beim Tödten der Thiere.

Das Gegenstück zur Nüchternheit dieser Anatomen und Zootomen bot sich mir bei Wolfart dar, der gegen mich unter vier Augen zwar noch mit einiger Zurückhaltung über das Unbegreifliche in der Natur sich äußerte, aber in der Gesellschaft seiner Freunde, in die er mich zog, sich mehr gehen ließ, wo denn Ludwig von Voß seine Faseleien über die Ereignisse, die ihm ohne Gebrauch der äußern Sinne kund geworden, auskramte; unter Andrem erzählte er, er habe eines Tages erkannt, daß seine Lungenarterie durch Vollblütigkeit aneurysmatisch ausgedehnt und ihm nur durch einen Aderlaß von 27 Tassen Blut zu helfen sei, was auch durch die Erfahrung bestätigt worden. Anderweitige Versuche, mich zu unterrichten, blieben aus andern Gründen erfolglos. Von Horkel hätte ich, da er der Schriftstellerei entsagt hatte, gern einzelne Bemerkungen oder Resultate seiner vieljährigen Untersuchungen für die Wissenschaft erhalten, und bei meiner Bearbeitung der Physiologie benutzt; ich konnte aber von dem literarischen Eremiten nichts erlangen, und mußte nach seinen Angaben glauben, er habe desultorisch und wie bloß zu seinem Zeitvertreibe sich mit Untersuchungen beschäftigt. Das umgekehrte Verhältniß war bei Weiß, der mich gern belehren wollte, aber einen ungelehrigen Schüler an mir fand; er trug mir nämlich die Grundzüge seiner Lehre von den Krystallen vor; aber dieser Vortrag war so schwer verständlich für meinen unmathematischen Kopf, und entsprach so wenig meinen Erwartungen von klaren Gesetzen, daß ich es bei zwei Stunden bewenden ließ.

Bei Hegel machte ich mich durch Unkenntniß seiner damaligen Richtung lächerlich; ich glaubte nämlich, daß er auf der Schellingschen Bahn fortgehe und in diesem Sinne Naturphilosoph sei, wiewohl sein Aussehen auf nichts weniger als auf eine üppige Phantasie hindeutete. Als er nun das Gespräch auf den Zustand der Philosophie in Königsberg brachte,[352] äußerte ich, es sei wünschenswerth, daß der Vortrag derselben mehr das Gemüth ergreifen, nicht bloß Verstandesbildung, sondern auch Tüchtigkeit der Gesinnung bezwecke und für das Leben und Wirken fruchtbarer werde. Er nahm sich nicht die Mühe, mich zu widerlegen, wurde aber so auffallend kalt, daß ich bald merkte, es sei Zeit, mich davon zu machen. Einige Tage darauf speiste ich mit ihm bei Madame Milder, und erstaunte, den mir grämlich erschienenen Mann so galant zu finden, und zu sehen, wie der tiefe Denker in der geselligen Unterhaltung so wohlgefällig Trivialitäten abhandelte. – Auch beim Staatsrathe Süvern wurde ich veranlaßt, die Meinung auszusprechen, daß neben der Herbartschen Philosophie eine andre, auch das Gemüth in Anspruch nehmende für Königsberg wohlthätig sein würde, zog mich aber bescheiden auf mein Gebiet zurück, als mir die unwillige Frage gestellt wurde, ob etwa der Schwindelgeist der Naturphilosophie daselbst eingeführt werden sollte.

Mit Rust hatte ich wenig Berührungspunkte; aber die Offenheit, mit welcher er sich über seine Zwecke erklärte und das Gefühl seiner Kraft aussprach, so wie die Verständigkeit, mit welcher er den Widerspruch aufnahm, machte nur ihn achtungswerth. Mußte ich, um ihn so zu finden, von seiner Derbheit und seinem Hochmuthe absehen, so mußte ich bei Hufeland erst die Steifheit überwinden, welche die Vormauer seiner feinen Bildung und seiner wohlwollenden Gesinnung war. Indessen hatten seine Gesellschaften bei aller Feinheit doch einen etwas höfischen Ton, der für immer ächt philiströser Natur ist. Ungleich mehr sagten mir die freien Gesellschaften zu, in welche ich durch meinen trefflichen Freund Friccius, durch den herzigen Criminaldirector Hitzig und durch den launigen Buttmann eingeführt wurde, und wo ich Stägemann, Schleiermacher, Zelter und andere interessante Männer fand. Dasselbe war der Fall bei Dieffenbach, der unter meinen ehemaligen Zuhörern mir immer die treueste Anhänglichkeit bewies und sich jetzt bereits einen bedeutenden Ruf erworben hatte; höchst ergötzlich waren besonders die Abende, an welchen Ludwig Devrient[353] zugegen war, namentlich wenn er mit wahrer Wonne uns aus Heinrich V vorlas.

Daß wir die Kunstgenüsse, welche Berlin darbietet, nicht versäumten, versteht sich von selbst; unter Anderem hatten wir das Glück, die damals dem Publikum noch nicht offenstehende Sogliesche Gemäldesammlung unter Leitung des Dr. Waagen zu sehen, dessen Erklärung zu einem anziehenden Vortrage der Geschichte der Malerei wurde. Auch besuchten wir die Werkstätten von Wach, Rauch, Tiek, das ägyptische Museum u.s.w.

Von Berlin reisten wir mit unsrem Sohne nach Torgau. Welch glückliche Tage verlebten wir da bei meinem Onkel! Die herzinnige Liebe, die er von meiner Kindheit an mir geschenkt hatte, trug er jetzt auch auf die Meinigen über, die sie nun, wie ich seit jeher, ihm treulich erwiderten. Beide Familien erfreuten sich eines günstigen Geschickes, und jede ergötzte sich am Glücke der andern.

Auch in Leipzig genossen wir die Freuden des Wiedersehens lieber Verwandten und theurer Freunde in vollem Maaße, unser Erstes und Letztes aber war der Besuch des Grabes unserer Tochter. Zu meiner Belehrung brachte ich einige Stunden bei dem arbeitsamen Prosector Bock auf dem anatomischen Theater und bei Professor Weber zu.

In Halle hatte ich es natürlich besonders auf Meckel abgesehen; wir kamen mit einander in ein recht freundliches, wiewohl nicht vertrauliches Verhältniß; auch hatte ich in wissenschaftlicher Hinsicht wenig Gewinn von ihm. Krukenberg fesselte mich bei meinem ersten Besuche durch die Lebendigkeit seines Geistes und die Fülle seiner Gedanken, während wir aber über die Grundlage der Philosophie nach unserer Weise mit einander verhandelten, wollte der unter den Hallischen Professoren herrschende Hader immer dazwischen treten, indem Mühlenbruch, bei dem ich wohnte und der, wiewohl Jurist, zu Meckels Partei gehörte, einmal über das andere nach mir schickte, damit ich nicht zu lange bei einen Collegen der andern[354] Partei bleiben sollte. Am andern Tage sah ich mit großem Interesse, wie Krukenberg im Klinikum so lebendig in die Erscheinungen eindrang und die Krankheit mit dem Sinne gleich einem Polypen umklammerte; auch verbrachte ich mit den Meinigen einen angenehmen Abend bei ihm auf Reils Berge, auf dessen Höhe ein altes Hünengrab die Asche Reils einschließt.

Jetzt trennte ich mich von meiner Frau, die, um nach Marienbad zu gehen, zunächst nach Leipzig zurückkehrte, und setzte die Reise in Gesellschaft meines Sohnes weiter fort.

In Jena freute ich mich besonders der persönlichen Bekanntschaft des feinsinnigen K.W. Stark; übrigens lernte ich in der zootomischen Sammlung durch Professor Renner manches Wissenswerthe.

Geheimerath von Schlotheim in Gotha zeigte mir seine reiche und wohlgeordnete Sammlung von Petrefacten in ausgezeichnet schönen Exemplaren, und entwickelte mir seine Ansichten über die Bildung der Erdrinde durch Emporsteigen aus der Tiefe und über die anfänglich überall gleiche Bevölkerung derselben mit organischen Körpern.

Viel Unterhaltung gewährten mir die vier Tage, die ich in Würzburg zubrachte. An Heusinger fand ich einen etwas kränklich und eigensinnig aussehenden Mann, der viel Respect vor sich selbst hatte, übrigens aber die Achtung, die ich ihm schon zuvor zollte, durch Darlegung seiner Leistungen, namentlich im zoologischen Institute, noch erhöhte, und sowohl durch seine wissenschaftlichen Mittheilungen, als auch durch die Aufmerksamkeit, die er mir schenkte, mich zu Dank verpflichtete. Auch interessirte mich Schönlein, in dessen starken Zügen und breitem, gestrecktem Nacken Kraft und Selbstgefühl sich verkündigte, wie denn auch sein festes Auftreten im Klinikum, sein scharfes, zuweilen wie durch Inspiration gegebenes Auffassen der Krankheiten und manche kecke Behauptung damit übereinstimmte; besonders wichtig war seine für mich noch ziemlich neue Lehre von den Darmgeschwüren im Typhus.

Ungleich reiner war der Genuß wissenschaftlichen Umganges[355] mit Sömmerring in Frankfurt. Der kleine, rührige Greis mit dem silberweißen Haare, den sprechenden Augen und den fein gebildeten Fingern, lebte hier bei anmuthiger und geschmackvoller Umgebung in glücklicher Muße. Mit Zufriedenheit zurückblickend auf seine frühern Leistungen, war er immerfort thätig aus reiner Forschungslust, ohne vom Stachel der Ruhmsucht getrieben zu sein. Ich lernte seine ganze Liebenswürdigkeit kennen; bald zeigte er mir durch das Telescop die Flecken der Sonne und seine nach täglichen Beobachtungen entworfenen Zeichnungen derselben; bald erklärte er mir den von ihm erfundenen elektrischen Telegraphen und operirte mit demselben; bald setzte er mir seinen durch Verdunstung des Phlegma veredelten Wein vor; bald lehrte er mich anatomische Kunstgriffe, bald demonstrirte er mir merkwürdige Präparate aus seiner trefflichen Sammlung; bald wieder theilte er mir interessante pathologische Beobachtungen mit. Ueberall bewies er fremdem Verdienste ernste Achtung, äußerte sich aber auch mit dem lebhaftesten Unwillen über den Dünkel und die Unwissenheit eines Schriftstellers. Es war mir so recht von Herzen wohl bei ihm, und ich brachte auch einen guten Theil der Zeit meines Aufenhaltes in Frankfurt bei ihm zu. Außerdem besichtigte ich daselbst die Sammlung der naturforschenden Gesellschaft und die pathologische Sammlung des Geheimenraths Wenzel, versäumte aber auch nicht, die Werke der schönen Künste in Augenschein zu nehmen, namentlich Danneckers Bilderwerke im Bethmannschen Garten.

Bojanus war 1824 auf der Reise nach dem Bade einige Tage in Königsberg gewesen, leider in einem betrübenden Zustande, mit Hohlgeschwüren am Rücken, die in Folge vernachlässigter rheumatischer Entzündungen entstanden waren und offenbar mit der Brusthöhle in Verbindung standen. Er lebte nun in Darmstadt, und da ich ihm von meiner Reise geschrieben hatte, bat er mich auf das Dringendste, ihn zu besuchen. Ich that es, aber fand ihn in der hülflosesten Lage; seine Frau, die mit einer dem Wundarzte unerreichbaren Zartheit seine Wunden allein behandelt, gereinigt und verbunden, ihn auf das[356] Sorgsamste selbst gepflegt, und Tag und Nacht mit einer Hingebung, die nur der treuesten Liebe möglich ist, über ihm gewacht hatte, war am Tage vor meiner Ankunft gestorben; in der Erwartung, daß sie mit mir einige heitere Stunden verleben würden, hatte sie schon Alles zu meiner Aufnahme vorbereitet. Mich jammerte der theure Freund, der, selbst nur noch wenige Schritte vom Grabe entfernt, seiner Trösterin beraubt worden war, – ich dachte nicht daran, ob es nicht ein ungleich herberes Loos ist, ohne gleiche Aussicht auf ein nahes Ende die Gefährtin seines Lebens zu verlieren. – Wissenschaftliche Gespräche linderten seinen Schmerz; er sprach es aus, wie er seinen Beruf erkannt hätte, Formenverhältnisse aufzufassen und demnach mit anatomischen Forschungen sich zu beschäftigen, und sagte beim Abschiede: »Wir werden uns nicht wieder sehen. Wenn man mich nach meinem Tode angreifen sollte, so retten Sie meine Ehre! Ich habe Manchen hart getadelt, aber nur Liebe zur Wissenschaft hat mich dabei geleitet.« Seine Besorgniß ist meines Wissens nicht in Erfüllung gegangen, und jener Auftrag ist mir bloß ein Zeugniß seines Vertrauens geblieben.

Meinen Besuch in Heidelberg fing ich damit an, daß ich in den Vorträgen von Tiedemann und Puchelt hospitirte, die ich beide gleich trocken fand; desto interessanter fand ich dann Tiedemanns anatomische und zootomische Sammlung, so wie seinen Schatz an Beobachtungen, wie ich denn auch von Fohmann manches mir Neue, namentlich über das Lymphsystem der Thiere, erfuhr und seine trefflichen Präparate bewunderte, von denen er mir einige schenkte.

In Stuttgart machte ich zunächst die Bekanntschaft von Kielmeyer; ich fand ihn von unerwartet jugendlichem Aussehen mit altmodischem Costüme, sehr artig, aber über alles Wissenschaftliche zurückhaltend; er drang mir, wie es schien, um mich los zu werden, ein Empfehlungsschreiben an Cuvier auf, und schickte mir am Nachmittage ein höfliches Abschiedschreiben. Ich besah das Naturaliencabinet; mehr aber noch zog mich Danneckers Werkstatt an, wo ich namentlich das sinnige Basrelief zu Schillers Denkmal sah. Endlich hatte ich hier[357] ein ähnliches Glück, wie in Berlin mit Waage. Boisseré fügte sich meinen Bitten, ließ mich, da seine Galerie an diesem Tage dem Publikum nicht offen stand, insgeheim und durch eine Hinterthüre eintreten, und gab sich die Mühe, mir seine Sammlung nicht allein zu zeigen, sondern auch die einzelnen Gemälde zu erläutern.

Tübingen war nach Frankfurt die erste Hauptstation für mich durch Autenrieth, den ich in seinem klinischen Vortrage, bei Musterung der anatomischen Sammlung, bei Besichtigung des Krankenhauses und seiner Präparate, auf Spaziergängen, im häuslichen und geselligen Kreise, überall so geistreich und anziehend fand, wie in seinen Schriften. Auch er machte einen so wohlthätigen Eindruck dadurch auf mich, daß er gleich Sömmerringen, dem er übrigens durch Genialität überlegen war, keine Spur von leidenschaftlichem Ringen nach Ruhme, sondern ein von aller Eitelkeit entferntes, klares und heiteres Selbstbewußtsein zeigte; er scherzte über seine Neigung, die meisten chronischen Krankheiten von Unterdrückung einer Räude abzuleiten; er erzählte, wie er durch Necken seiner theologischen Collegen und durch eine Art Renomiren dazu gekommen, über die Schlange im Paradiese und über das Buch Hiob zu schreiben u.s.w. – Einen traurigen Anblick gewährte dagegen der juristische Professor Rogge, der, früher in Königsberg, sich den dasigen Pietisten beigesellt hatte und in Tübingen immer tiefer in Pietismus versunken war; ich fand ihn leiblich und geistig verkümmert. Im ersten Augenblicke des unerwarteten Wiedersehens rufte mein Erscheinen eine lebendige Erinnerung an seine Heimath hervor, und eine jugendliche Freude blitzte in ihm auf, wich aber bald wieder der vorigen Trübseligkeit.

In Strasburg gewährten mir die Anatomen Lauth, Vater und Sohn, sowohl eine reiche wissenschaftliche Belehrung im anatomischen Cabinet und in der Naturaliensammlung, als auch eine frohe, gesellige Unterhaltung. Auch bot sich mir ein neues Schauspiel in einer medicinischen Disputation dar, wo sechs Professoren in schwarzen, roh aufgeschlagenen Talar mit Halsbinde und rothem Barett in französischer Sprache opponirten[358] und mir die Ehre erzeigten, mir ein Fauteuil neben sich einzuräumen. – Wenn ich, wie billig, meine Leser mit Schilderung alles dessen, was ich bei Betrachtung von Naturschönheiten und von Kunstwerken auf dieser Reise empfunden habe, verschone, so kann ich doch den Eindruck, den der Münster auf mich machte, nicht unerwähnt lassen. Nie hätte ich geglaubt, daß der Anblick eines Bauwerks so tief mich rühren könnte. Was mich so mächtig ergriff, war die Betrachtung dieses Vereins von Kühnheit und Schönheit, von Erhabenheit und Zierlichkeit; es war die Anschauung der gewaltigen Kraft des Menschengeistes, und zugleich das lebendige Gefühl der unendlichen Naturkraft, welche ihn erzeugt, trägt und hält; es war der Gedanke einer Gottesverehrung, die durch eine bis zur Darstellung eines solchen Riesenwerkes durchgeführte Ausbildung der dem Menschen verliehenen Kräfte in würdiger Weise sich bethätigt; es war Stolz und Andacht, zu einem Gefühle verschmolzen, was mich so ergriff, daß ich Thränen der Wonne vergoß.

An Morgen meines funfzigsten Geburtstages kam ich in Paris an, und da es das erste Mal in meinem Leben war, daß ich an diesem Tage kein Zeichen liebender Theilnahme empfing, so trat der Gedanke vor meine Seele, daß ich einen Wendepunkt meines bisher so beglückten Lebens erreicht haben könnte. Doch wurde jede düstere Laune bald verscheucht. Zunächst fand ich liebe Verwandte und einen eben so gebildeten als herzlichen Familienkreis, indem die älteste Tochter meines Onkels an den hier etablirten Kaufmann Krinitz aus Sachsen verheirathet war, und deren jüngste Schwester sich gegenwärtig bei ihr aufhielt. Bei den Pariser Gelehrten aber fand ich eine so gute Aufnahme, wie ich nie erwartet hatte.

Cuviers Aeußeres, seine stattliche Figur, sein schön geformter Kopf, seine würdevolle Haltung, stimmte vollkommen überein mit der Stellung, die er in der Wissenschaft, wie im Staate einnahm. Er empfing mich auf das Wohlwollendste, sprach mit Sachkenntniß über meine Untersuchungen des Gehirns, bot mir seine Dienste an, führte mich im Cabinet der[359] vergleichenden Anatomie herum, erklärte mir die Einrichtung desselben, und gab Befehl, mich jederzeit einzulassen. Ich habe auch einen guten Theil meiner Zeit in Paris in diesem Cabinet zugebracht, indem ich die aufgestellten Präparate der Reihenfolge nach aufmerksam betrachtete und meine Bemerkungen darüber aufzeichnete; wollte ich ein in Weingeist aufbewahrtes Präparat näher beschauen, so war Laurillard bei der Hand, mir das Glas zu öffnen. Der Zusammenhang des Cabinets mit Cuviers Wohnzimmern, die zugleich eine reichhaltige Bibliothek darstellten, so wie mit dem großartigen jardin des plantes, der außer den Erinnerungen an Jussieu, Buffon, Daubenton u.s.w. die anmuthigsten Plätze zur Erholung darbot, machte mir den Aufenthalt daselbst um so bedeutungsvoller; ich kam jedesmal mit dem Bewußtsein her, daß ich mich hier auf dem classischen Boden meiner Wissenschaft befand, und genoß das Glück, mich hier als ein Einheimischer frei bewegen zu können, in vollen Zügen. Cuvier benahm sich stets auf das Freundschaftlichste, öfters führte er mich unterm Arme, um mir etwas zu zeigen; so holte er mich eines Tages aus dem Garten herauf, da er eben eine Sendung Fische aus dem Ganges bekommen hatte. Er zergliederte wohl nicht mehr selbst, und als er mich eines Tages, Scalpel und Pincette in der Hand und eine Perca vor sich, empfing, nahm ich dies als eine Ehrenbezeigung an, denn die Paar Schnitte, die ich ihn machen sah, fielen nicht sehr sauber aus. Dafür hatte er seinen Laurillard, diesen treu ergebenen, immerfort fleißigen und sehr geschickten Mann, der für den eigenen Namen nichts that, sondern nur für seinen verehrten Meister arbeitete. Ich wurde einige Mal, wenn ich gerade um diese Zeit hinkam, zum Frühstücke gezogen, welches Cuvier mit Frau und Tochter und mit Laurillard einnahm; das schöne Verhältniß der Vertraulichkeit und der gegenseitigen Achtung in diesem Familienkreise, in welchem die feinste Sitte ohne Zwang und die höchste Bildung ohne Prätension waltete, machte, daß ich immer mit geheimem Entzücken daran Theil nahm. Und wenn ich dann wieder einem Diner in der ausgewähltesten Gesellschaft beiwohnte, wenn wir dann[360] am späten Abende einen Spaziergang durch den Garten machten, wenn Humboldt beim Condor erzählte, was er in dessen Vaterlande von ihm erfahren, wenn ein Anderer der Gäste Aehnliches beim Zebra, ein Dritter beim Känguruh bemerkte, so schwelgte ich im Gefühle des Glücks, mich in so bedeutender Umgebung zu befinden.

Nächst Cuvier war mir Blainville am wichtigsten. Ich besuchte seine Vorlesungen, die höchst anziehend und geistreich waren; er trug die Zootomie in dem Sinne vor, wie ich mir die Bearbeitung der Morphologie dachte. In seinem Auffassen allgemeiner Ansichten; im weisen Gebrauche der Analogie, wobei die Uebereinstimmung nicht des Untergeordneten der Erscheinung, sondern des Wesentlichen und im Begriffe Beruhenden erkannt wird; in der steten Beziehung der speciellen thierischen Organisation zur Organisation der Welt, und in der Zurückführung der organischen Erscheinungen auf allgemeine Welterscheinungen fand ich meine eigenen Gedanken ausgeführt. Sein cours de physiologie générale ist mir bei Weitem nicht so bedeutend erschienen, wie sein mündlicher Vortrag. Bei diesem wirkte freilich auch seine Beredtsamkeit mit; denn er sprach mit dem Feuer, als ob er eben im Entdecken der Ansichten begriffen wäre, deren Entwicklung ihn beschäftigte. Dazu kam, daß sein Sinn für Formenverhältnisse auch seine Hand beseelte, indem er, um den Uebergang der verschiedenen Bildungsformen in einander und das Zusammenstimmen der Organisation anschaulich zu machen, erst ein Organ bei einem bestimmten Thiere, dann die übrigen dazu im Fluge an die Tafel zeichnete und so Figuren wie hinzauberte, welche zu treffenden Bildern der Thiere, von denen die Rede war, zusammenwuchsen. Im Privatleben zeigte er sich offenherzig und zutraulich, und als ich von ihm Abschied nahm, trat gegenseitige Herzlichkeit hervor.

Die persönliche Bekanntschaft von Magendie, wie wichtig sie auch war, sagte mir doch ungleich weniger zu. Er theilte mir die Resultate seiner neuesten Experimente mit, und wiederholte letztere vor meinen Augen: er zeigte mir an lebenden Thieren die Menge der Cerebrospinalflüssigkeit, das walzenförmige[361] Rollen eines Thiers bei Verletzung des einen Kleinhirnschenkels, die Wirkungen des Durchschneidens des fünften Hirnnerven innerhalb des Schädels auf die Sinnesthätigkeit, und den Einfluß der Zerstörung der Streifenhügel auf die willkürliche Bewegung. Die ungemeine Geschicklichkeit und Sicherheit, mit welcher er manipulirte, erhöhte meine Achtung für ihn als Experimentator.

Breschet war so gefällig, mich in der anatomischen Sammlung der Ecole de médecine herum zu führen, und erfreute mich durch Mittheilung seiner Beobachtungen über die Venen der Knochen und über die Entwicklung des Embryo, unter Vorzeigung der dazu gehörigen schönen Abbildungen und Präparate.

Weniger konnte ich mich mit Velpeau befreunden. Ich begleitete ihn zuerst bei seiner Visite in der Clinique de perfectionement, wo jedoch, wie es mir vorkam, von perfectionnement nichts zu spüren war. In der Privatunterhaltung fand ich nun einen fleißigen, aber sterilen Bearbeiter der Lehre vom Embryo an ihm; er hatte eine Menge ausgezeichneter Präparate, beschränkte aber sein Urtheil so weit, daß er nichts als wahr annehmen wollte, als was er deutlich gesehen und getastet hatte, oder was, wie er bei seinem Vertrauen auf die Sinne sich ausdrückte, mathematisch gewiß war. So hat er auch späterhin seine Galle über meine »ideologischen Tendenzen« ergossen.

Als ein Gegenstück zu ihm kannte ich Geoffroy Saint Hilaire schon aus seinen Schriften; persönlich erschien er mir noch windiger. Als ich ihm sagte, daß ich in seiner heutigen Vorlesung hospitiren wollte, erwiderte er, das sei ihm eben recht, da er heute einen sehr interessanten Gegenstand abhandeln werde, nämlich die Beutelthiere. Ich ging daher mit einigen Erwartungen hin, fand mich aber sehr getäuscht; er hatte eine Menge ausgestopfter Thiere aufstellen lassen, die er bei seinem Eintritte genau musterte, in dem Vortrage aber zum Theil nicht erwähnte; er fing leise an zu sprechen, stieg dann mit der Stimme, ließ sie wieder sinken, declamirte wie ein Charlatan,[362] trank dazwischen viel Wasser und sagte dabei über seinen Gegenstand nichts als das Trivialste.

In Chaussier fand ich einen alterschwachen Repuplikaner im grauen Kleide ohne Kragen im Zimmer mit dem breitkrämpigen Hute auf dem Kopfe. Den alten Portal sah ich nur im Nationalinstitute als Erinnerung einer noch früheren Periode, im schwarzen Kleide mit der Stutzperrücke. Adelon erzählte mir, er habe keine neuen Thatsachen entdeckt, sei aber eben deßhalb um so unparteiischer; er sei Idealist, d.h. er erkläre die Lebenserscheinungen nicht aus materiellen Gründen, weil das Organische vom Unorganischen wesentlich verschieden sei, und um dies darzuthun, langweilte er mich eine halbe Stunde durch Vorlesen von Stellen aus seiner Physiologie. Ungleich besser verständigte ich mich mit Virey, dessen Urtheile besonnen und treffend waren. Hipolyte Cloquet lernte ich bloß als einen feinen, artigen Mann kennen.

Mit Gall kam ich in ein näheres, aber sonderbares Verhältniß. Als ich zum ersten Male angemeldet bei ihm eintrat, ließ er sich meinen Namen wiederholen, fragte, ob ich aus Königsberg und ob ich der Verfasser des Buches über das Gehirn sei, und rief dann aus: »und Sie besuchen mich?« Freilich hatte ich in diesem Buche bei Anerkennung seiner übrigen Verdienste von ihm gesagt, er habe sich, indem er den Grund der Erscheinungen aufdecken wollen, in eine ihm fremde Sphäre verirrt, wo denn sein plumper Materialismus eine höchst abenteuerliche Theorie geschaffen habe. So hatte ich mich denn vorläufig ihm nicht besonders empfohlen, indeß besänftigte ich ihn bald, indem ich erklärte, er müsse es nach seinem Systeme selbst sehr begreiflich finden, daß wir bei unserer verschiedenen Organisation nicht in allen Ansichten übereinstimmen könnten, demungeachtet aber als wissenschaftliche Männer einander achten mußten. – »Da bringe ich den teuflischen Burdach!« rief er, indem er mein Buch von seinem Arbeitstische herbeiholte. Er erzählte mir nun, er habe mich im sechsten Bande seines Werkes widerlegt; ich habe mich auf die Experimente von Flourens, Serres u.s.w., die erlogen seien, zu sehr verlassen;[363] die Transscendentalphilosophie aber sei Unsinn; auch er sei eine Zeitlang solch ein Narr gewesen, aber zur Erfahrung zurückgekehrt. Endlich sagte er, als ich von der Individualität im Berufe für die Wissenschaft sprach und Harrachs Urtheil über meine Schädelbildung anführte, er finde an mir nicht das Organ der Vorsicht, wohl aber die Organe der Schlauheit, des transscendentalen und des mathematischen Sinnes. Konnte mir irgend etwas Zweifel an der Cranioskopie erwecken, so war es dieser Ausspruch, welcher mir gerade diejenigen Eigenschaften beilegte, die mir gänzlich abgingen. Gall wollte offenbar an meinem Schädel das wiederfinden, was er an meinem Buche gefunden zu haben glaubte. Wie er darin auf Schlauheit verfallen ist, bleibt mir freilich ein Räthsel, wenn er nicht etwa die Erklärung, wie ich dazu komme, ihn zu besuchen, für schlau gehalten hat. Daß er aber meine Anschauungsweise transscendent genannt hat, ist begreiflich, und was die Meinung von meinem mathematischen Talente anlangt, so hatte diese folgenden Grund. Von der Ansicht ausgehend, daß das ursprüngliche und wesentliche Leiden eines Hirntheils auch über andere sich ausbreitet und bald diese, bald jene Function derselben mehr oder weniger stört, daß man daher nur aus der größern Häufigkeit des Zusammentreffens eines bestimmten Bildungsfehlers im Gehirre mit einer bestimmten psychischen Abnormität auf ein Causalverhältniß zwischen einem Hirntheile und einer Seelenthätigkeit schließen darf, hatte ich eine Reihe pathologisch-anatomischer Beobachtungen zusammengestellt, die Frequenz einer bestimmten psychischen Abnormität bei dem Leiden eines bestimmten Hirntheils angegeben und die mühsam gefundenen Proportionen in Tabellen zusammengestellt. Durch diese vielen Zahlenverhältnisse, über die Gall öfters seine Verwunderung gegen mich äußerte, war er nun verführt worden, mich für einen Mathematiker zu halten. Er wiederholte seine Behauptung bei unseren weiteren Zusammenkünften, namentlich in einer großen Gesellschaft, die er auf seinem Landsitze auf mont rouge gab, wo auch der preußische und der russische Gesandte zugegen war; er brachte Portraits von Newton, Euler, Laplace und [364] Lalande herbei, um aus der angeblichen Uebereinstimmung ihres Schädelbaues mit dem meinigen zu beweisen, daß ich ein mathematisches Genie sei. Nun trat er mit dem Wunsche hervor, einen Abdruck meines Schädels für seine Sammlung zu haben; ich verweigerte es, mich dazu herzugeben, da er aber immer dringender wurde und den Dr. Junghans mehrmals deßhalb zu mir schickte, willigte ich endlich ein, um meiner Familie mit meiner Büste eine Freude machen zu können. Die Operation wurde vorgenommen. Madame Gall salbte mir das Gesicht ein und bedeckte den behaarten Theil meines Kopfes mit einer Haube; Gall gab mir eine Federpose in den Mund, um dadurch zu athmen; Dr. Fossati und Dr. Junghans gossen mir den Gips in das Gesicht. Als dieser erstarrte, hatte ich, durch die dicke Erddecke von der übrigen Welt getrennt, ganz eigene Empfindungen, und als mir der Abguß abgenommen wurde, war es, als ob mir die Haut abgerissen würde. Der Abguß wurde einem Bildhauer übergeben, aber der Abdruck, den ich mir als Preis ausbedungen hatte, fiel so grauenvoll aus, daß ich ihn den Meinigen gar nicht gezeigt habe; merkwürdig war es übrigens, daß ich ihn noch theuer bezahlen mußte. – Der Abdruck, den Gall für sich behielt, ist späterhin mit dessen Sammlung in das Cabinet d'anatomie comparée gekommen, in welchem ich einen Platz zu finden mir nie hätte träumen können. Der Katalog sagt zu dieser Nummer: »Les organes du calcul et de la métaphysique sont à la fois très-developpés; Burdach est auteur d'un livre, rempli de chiffres et d'idées de philosophie transcendante.« (Promenades au jardin des plantes par Louis Rousseau et Céran Lemonnier. Paris 1837, p. 127). »Ich bin aber versucht, Galln gegen ihn selbst zu vertheidigen. L'organe de métaphysique,« heißt es ebendaselbst, est formé de deux proéminences placées sur une même ligne horizontale, une de chaque côté de l'organe de sagacité comparative, et qui quelquefois n'en paraissent être qu'une continuité. Nun besteht aber die auffallendste Eigenthümlichkeit meines Schädelbaues in einem bedeutenden Wulst an der Stelle, welche nach Galls Beobachtungen auf [365] sagacité comparative, oder, wie er es früher ausdrückte, auf Inductionsvermögen hindeutet, und indem ich in dieser Beziehung Talent zu besitzen glaube, bin ich geneigt anzunehmen, daß Gall nur durch ein Vorurtheil verleitet worden ist, die Seitentheile dieser Wulst allein zu berücksichtigen und mir Talent zur Metaphysik zuzuschreiben. – Uebrigens gab er mir zu Ehren in der Salpetrière im Beisein mehrerer Aerzte eine Demonstration des Gehirns nach seiner Weise, sprach dabei, als ob Alles, was man vom Hirnbaue wußte, seine Entdeckung wäre, beschuldigte die Franzosen des Mangels an wissenschaftlichem Sinne und spottete über die Speculation der Deutschen; er nahm endlich eine sogenannte Entfaltung des Gehirns vor, d.h. er walkte es, ungefähr wie man einen Nudelteig auf der Faust in eine dünne Schicht auszieht. Auch fehlte es mir nicht an Gelegenheit, seine Einseitigkeit und Roheit kennen zu lernen: so fand er es unbegreiflich, wie man Autenriethen hoch schätzen könne, da er doch eine flache Stirn habe, und einen jungen Mann, der als Missionär nach Indien gehen wollte und um einen Beitrag zu Anschaffung eines Kelches bat, wies er nicht allein mit der Erklärung ab, daß er ein armer Mann sei, der nichts entbehren könne, da er zu seinem eigenen Auskommen 35,000 Franken jährlich brauche, sondern fügte noch grobe Spöttereien über die Kirche und über Religion überhaupt hinzu.

Esquirol zeigte sich mir als ein freundlich ernster, gediegener Mann; seine charakteristischen Zeichnungen von Wahnsinnigen, so wie seine Bemerkungen, als er mich in der Irrenanstalt zu Charenton herumführte, waren von hohem Interesse für mich; seine Zöglinge waren wohl unterrichtet und gebildet. Auch Pariset, der mein Führer in der Salpetrière wurde, erschien mir als ein sehr tüchtiger Mann. Georget beklagte sich über die Dunkelheit und das phantastische Wesen seines Uebersetzers Heinroth. Itard, auf dessen Mittheilungen ich mich gefreut hatte, war sehr zurückhaltend; auf meine Bitte um seine Aufsätze über verwilderte Kinder, die ich anderwärts vergeblich gesucht hatte, gab er mir nur den zweiten und erklärte,[366] er werde den ersten, der vergriffen sei, nicht wieder auflegen lassen und den dritten, noch ungedruckten nicht herausgeben, da man in Frankreich dergleichen Arbeiten nicht achte; ich hatte ihn, ohne es zu wissen, an sehr unangenehme Erfahrungen, die er gemacht, erinnert und ich mußte es büßen, indem ich sein Taubstummeninstitut nicht zu sehen bekam.

Um so gefälliger war Villermé, dessen Untersuchungen über den Einfluß des Klima's, der Witterung, der bürgerlichen Verhältnisse und des psychischen Zustandes auf körperliche Bildung, Gesundheit und Lebensdauer mich sehr ansprachen.

Mehrere Männer, die ich gern hätte persönlich kennen lernen, wie Dutrochet, Desmoulins, Serres, Flourens, fand ich nicht einheimisch.

Eben so leid that es mir, mit dem Leibarzte des Herzogs von Orleans, dem Dr. Marc, nicht in ein näheres Verhältniß treten zu können, da ich ihn bei der ersten Unterredung als einen offenen, biedern und einsichtsvollen Mann erkannt hatte; er war gerade mit praktischen Geschäften überhäuft und insbesondere durch Talma's Krankheit, welche die allgemeinste Theilnahme auf sich zog, sehr in Anspruch genommen. – Rehmann hatte mir eine Adresse an Alibert geschickt und in Bezug darauf geäußert: »er ist ein Narr, aber man muß ihn doch kennen lernen. Ich ging hin, wurde durch die Affiche belehrt, daß ich die rechte Zeit getroffen, wo er aus St. Cloud vom Dienste Se. Majestät nach der Stadt zu kommen pflege und wartete im Vorzimmer, da er eben Consultationen hatte; auf einem Oelgemälde, welches meine Aufmerksamkeit auf sich zog, erblickte ich einen unstreitig sehr weisen Greis, der ein Buch mit der Aufschrift: physiologie des passions par Alibert vor sich hatte und von einem Dinge, welches das menschliche Herz war den Schieier aufhob: ich hatte daran genug, gab meinen Brief ab und machte, daß ich fortkam. – In Dupuytrens Amphitheater schreckte mich zwar die mit ungeheuren Buchstaben an den Wänden sich herumziehende Schrift: Sa Majesté Charles X a visité l'hôtel-Dieu et cet amphithéàtre le 4 Novembre 1824, sammt der Ueberschrift über der Thüre: vivent les[367] Bourbons! – indeß zog dann der gewichtige Vortrag meine Aufmerksamkeit auf sich. – Breschet ließ mich der Visite in der unter seiner Behandlung stehenden Abtheilung des Hoteldieu beiwohnen. – Von Larrey sah ich im Hospitale der Garde eine Exarticulation des Oberarms mit vielem Geschick machen. Ich wohnte zweien lithontriptischen Operationen von Civiale bei; auch sah ich den Steinschnitt von einem Herrn Souberbielle mit dem haut appareil machen; als nach glücklich beendigter Operation jeder der anwesenden Aerzte das darüber aufgesetzte Protokoll unterschrieb und eine Anzahl Fünffrankenstücke erhielt, glaubte ich mich vor gleicher Ehre nicht sicher und zog mich eiligst zurück.«

Der bekannte Philanthrop Appert Bouché durfte wegen seiner öffentlichen Aeußerungen über den Zustand der Gefängnisse diese nicht mehr besuchen, konnte also auch mich nicht dahin führen, wie ich wohl gewünscht hätte; indeß war mir der Mann selbst schon viel werth. Er lebte ganz seinem menschenfreundlichen Berufe, kam aber dabei häufig in Conflict mit der Regierung und konnte sich daher um so weniger der Theilnahme an den politischen Bewegungen der Zeit entziehen. Ich verlebte einmal einen für mich merkwürdigen Mittag bei ihm: er hatte eine sehr elegante Wohnung, aber fünf Treppen hoch, und das Speisezimmer war eine Treppe höher, so daß wir (es war am Quay Voltaire) die Tuilerieen zu unsern Füßen sahen; die Diener entfernten sich, nachdem sie die Speisen in Casserolen aufgesetzt hatten, und die fünf liberalen Männer, die außer mir die Gesellschaft ausmachten, unterhielten sich nun heiter und ernst, witzig und streng ohne allen Rückhalt, wobei denn freilich die Ueberschrift über der Thüre von Dupuytrens Amphitheater nicht das Feldgeschrei war. Appert bereitete sich zu einer Reise nach dem südlichen Frankreich, wo er insbesondere die Galeeren besuchen wollte. Er hat dies auch ausgeführt und sich auf ganze Tage mit Sträflingen an eine Kette schließen lassen, theils um ihr Vertrauen zu gewinnen und Aufschlüsse über ihren äußeren und inneren Zustand, über ihre Vergangenheit und ihre Aussichten oder Pläne zu erhalten, theils um über[368] die Schwere der Strafe urtheilen zu können.) Er führte mich noch in eine Sitzung der Société de la morale chrétienne, wo ich den Grafen Lasteyrie kennen lernte und nur die Berathung über Unterbringung einiger verwaister Kinder anhörte.

Zu Gefährten und Führern auf den Excursionen, um die verschiedenen Merkwürdigkeiten von Paris und seinen Umgebungen kennen zu lernen, dienten mir besonders mehrere junge deutsche Aerzte. Außerdem genoß ich den Umgang des Obermedicinalraths Grossi aus München. Dieser treffliche, durch seine 1810 erschienene Krankheitslehre rühmlich bekannte Mann hatte für die Verwaltung der ihm übertragenen Direction einer rein pathologischen Klinik in München ideale Pläne, die er mit bewundernswürdigem Eifer auszuführen suchte: die Pathologie sollte ein integrirender Theil der Naturwissenschaft und mit deren übrigen Zweigen in organischen Verband gesetzt werden. Zu diesem Zwecke sammelte er Beobachtungen in den Hospitälern, hörte Vorträge über Physik, Chemie und Zoologie und studirte im Cabinet der vergleichenden Anatomie. Er betrieb dies mit einer Hast, die beinahe krankhaft schien und mit einer Ausdauer der Kräfte, die mir, da ich es ihm nicht gleich thun konnte, beinahe ärgerlich war. Vom frühen Morgen an war er fortwährend in Hospitälern und Auditorien; die Weite des Weges und die brennende Sonnengluth achtete er nicht; erst um 6 Uhr Abends trat eine Pause ein, wo er speiste; bisweilen, aber nur selten, erlaubte er sich, nach der Mahlzeit noch ein Stündchen spazieren zu gehen, denn gewöhnlich saß er von 7 Uhr an bis spät in die Nacht am Arbeitstische, um die Ausbeute des Tages in die bereits zu hohen Stößen angewachsenen Collectaneen einzutragen. Ein Theater zu besuchen, ein Frühstück im rocher de Cancale einzunehmen oder sich ein Paar Stunden als badaud zu amusiren, zu dem Allem war er nicht zu bringen. Sonntags, wo die Auditorien geschlossen waren, brachte er dafür seinen Tag im Louvre zu, denn er war ein gründlicher Kunstkenner, und wir – denn ich gestehe, ich hielt mich, um Paris von verschiedenen Seiten kennen zu lernen, zu den jungen Leuten – wir feierten unsern einzigen Triumph,[369] als wir ihn vermochten, an einem Sonntage mit uns einen Ausflug nach Versailles zu machen, wo die Fontainen sprangen.

Nach einem sechswöchentlichen Aufenthalte verließ ich Paris und reiste in der angenehmen Gesellschaft meiner beiden Cousinen nach Straßburg. Hier besuchte ich unter Andern Görres; anfangs sondirten wir einander mit Vorsicht, dann rückten wir näher in Gesprächen über das Scheinleben des Liberalismus, die Mode des Jesuitismus und die Versteinerung der Naturphilosophie; im Ganzen erkannte ich, wie er mit der Welt zerfallen war und auf ihren Lauf nur mit bitterem Spotte blickte.

Von da setzte ich meine Reise mit meinem Sohne fort, der unterdessen in Bonn gewesen war. In dem freundlichen Freiburg brachte ich die meiste Zeit in Gesellschaft des thätigen Professors Schultze zu. In seiner Vorlesung fand ich eine Bestätigung meiner Meinung über den Werth öffentlich angestellter physiologischer Experimente. Er bewies an der Carotis eines Hundes die Expansion und Contraction der Arterien: ein oder zwei Zuhörer konnten sich davon überzeugen, die andern glaubten es. Er wollte den Uebergang des Pigments der in den Magen gebrachten Färberröthe in den Harn zeigen: es war aber nicht übergegangen, und dagegen rat die unerwartete Erscheinung ein, daß die Lungen eines Hundes während des Einathmens aus der geöffneten Brusthöhle hervorquollen und sich während des Ausathmens ganz wieder zurückzogen.

In Basel verlebte ich einen frohen Tag mit Prof. Snell. Er war Advocat im Nassauischen gewesen, wegen Abfassung von Petitionen um Constitution für mehrere Gemeinden abgesetzt, nach herber Noth durch Empfehlung des Freiherrn von Almendingen als Professor des Criminalrechts nach Dorpat berufen, wenige Wochen nach seiner Ankunft daselbst auf eine Anzeige der preußischen Regierung mit einem Jahresgehalte entlassen und mit Reisegeld aus dem Lande gewiesen worden. Auf seiner Durchreise durch Königsberg hatte ich mit meiner Frau den bekümmerten Mann und seine Familie möglichst zu erheitern gesucht und ihm für die weitere Reise einige Empfehlungen[370] mitgegeben. Jetzt war er durch Verwendung des Staatsraths Merian, dem er mich auch vorstellte, Professor in Basel geworden. Ich verdankte ihm einen genußreichen Nachmittag und Abend auf Tüllenburg beim Pastor Kray, wo ich zum ersten Male die hohen Alpen, namentlich das Schreckhorn nebst der Jungfrau, erblickte und in das liebliche Wiesenthal, den Schauplatz der allemannischen Gedichte, herabschaute, und wo eine bunte Gesellschaft von Gewerbsleuten und Literaten, Philistern und Genialen, Indifferenten und Demagogen, anmuthigen Frauen und Koketten im heiteren Beisammensein ein anziehendes Gemälde bildete.

Eine Beschreibung der Reise nach Lucern, der Fahrt auf dem Vierwaldstädter See, des Aufenthalts auf dem Rigi, der weiteren Reise nach Zürich, Winterthur, Gais, Raggaz, Chur, Tusis (mit der via mala), durch Vorarlberg und Tyrol, so wie eine Erzählung der auf diesem Wege erlebten kleinen Abenteuer würden hier am unrechten Orte sein, und ich erwähne nur meinen Aufenthalt in München, welches mir durch Döllinger, der an Sömmerring, Autenrieth und Cuvier würdig sich anschloß, zur vierten Hauptstation wurde. Ich belauschte ihn zuerst in seiner Vorlesung, in welcher er über das animale Leben sprach; ich freute mich innig, als er mit meinen Ansichten so ganz übereinstimmend sich dahin erklärte, daß bei der Sinnesrührung der äußere Eindruck nicht eine Reaction erregt der überwunden wird, sondern harmonisch eine analoge Thätigkeit im Organismus hervorruft; daß der Schlaf der Urzustand und nicht aus dem Wachen zu erklären, vielmehr dieses aus ihm abzuleiten ist u.s.w. Als ich nach beendigter Vorlesung zu ihm trat, empfing er mich wie einen alten, guten Bekannten, zutraulich und freundschaftlich, zeigte mir die anatomischen Präparate und theilte mir seine bei deren Fertigung gemachten Bemerkungen mit. Von nun an war ich während meines Aufenthalts in München fast unzertrennlich von ihm. Er erzählte, wie er mit Pander und d'Alton das bebrütete Hühnerei ein Jahr lang untersucht und nun erst ein Resultat erhalten hatte, das aber jeder von ihnen sich anders dachte; da[371] war er auf den Gedanken gekommen, daß statt der bisher angenommenen zwei Sichten des Blastoderma deren wohl drei sein könnten, und in diesem Sinne hatten sie nun die Arbeit von Neuem vorgenommen, wo denn die bisherigen Schwierigkeiten weggefallen waren. Er setzte mir seine nunmehrige Theorie der ersten Bildung des Hühnerembryo auseinander, die jedoch von dem Puncte, auf dem sie durch Baer gebracht wurde, noch weit entfernt war. Blieben aber auch in der Darstellung des ganzen Herganges viel dunkle Stellen, so wußte er doch diese durch eine umfassende Ansicht zu erhellen; er vermuthete z.B., das erste sichtbare Fädchen sei das Vorbild eines Rückenmarkes und verschwinde, um durch ein vollkommneres Rückenmark ersetzt zu werden, wie die weißen Blutkörner den rothen, die Knorpel den Knochen vorangehen und wie in der Weltgeschichte überall ein rohes Volk durch ein edleres verdrängt werde. Am wenigsten genügten mir seine Ansichten von der Embryonenbildung bei Mammalien. – Im Gespräche milderte er die Paradoxie seiner früheren Meinungen über Blutlauf, Haargefäße u.s.w. so, daß ich ihm beistimmen konnte. Eben so einverstanden waren wir in unseren Urtheilen über die Physiologen unserer Zeit. Von Dünkel und literarischer Eitelkeit frei, scherzte er darüber, daß ich in meinem Buche vom Gehirne einige herbe Worte über ihn gesagt hatte und meinte, als die Rede auf eine im Meckelschen Archive befindliche Abhandlung von ihm über die Zeugung kam, einem tüchtigen Manne dürfe es nicht leid thun, auch bisweilen ein ganz unhaltbares Product der Phantasie in die Welt geschickt zu haben. Freigebig beschenkte er mich mit mikroskopische Injectionspräparaten und versprach mir Beiträge zu meiner Physiologie, namentlich Abbildungen von den verschiedenen Typen der Haargefäßbildung.

Von München reiste ich nach Linz, wo ich mit meiner Frau zusammentraf, um mit ihr ihren Geburtsort Ottensheim zu besuchen und dann nach Wien zu gehen. Hier lebte ich im Ganzen genommen mehr dem Genusse, in Familienkreise und in Gesellschaft von alten und neuen Bekannten, besuchte Theater[372] und Bildergallerieen, Palais und Kunstsammlungen, machte Ausflüge nach Baaden, Nußdorf, Kloster Neuburg u.s.w. Dazwischen aber hatte ich auch wissenschaftliche Unterhaltung mit dem Anatomen Römer, der mir die Sammlung der Josephinischen Akademie zeigte, mit dem Prosector Czermak, der mich die anatomische Sammlung der Universität sehen ließ, mit dem Primärarzte Schiffner, der mich im allgemeinen Krankenhause herumführte, am meisten aber mit dem Prosector Wagner, mit welchem ich mehrere Nachmittage die ausgezeichnete pathologisch-anatomische Sammlung durchging, während ich Vormittags öfters seinen Untersuchungen am Leichname beiwohnte. – Isfordink ließ als oberster Feldarzt einige Spuren von Flatulenz bemerken, die ich durch ein passendes Benehmen zu beseitigen wußte. Graf Harrach war unverändert; ich war oft bei ihm, und nachdem ich schon Abschied von ihm genommen hatte, brachte er mir noch sein Brustbild zum Andenken: ich sollte ihn nicht wiedersehen, denn er starb 1829. – Einen warmen Freund gewann ich an dem Literator und Dichter Georg von Gaal, welcher Bibliothekar des Fürsten Esterhazy war und späterhin auch noch die Inspection über dessen Gemäldegallerie übernahm. Wir blieben auch späterhin durch Briefwechsel in Verkehr.

In Prag war auch diesmal unser erster Gedanke, am Taufsteine unserer Tochter zu beten, und der zweite, der lieben Familie, die meine Frau nach ihrer Entbindung so menschenfreundlich aufgenommen hatte, unsere fortwährende Dankbarkeit zu bezeigen. Uebrigens sah ich das Nationalmuseum und die anatomische Sammlung; Professor Ilg war ein fleißiger Anatom, zwar von etwas altem Schnitte, aber wegen seiner mühsamen Arbeiten einer größeren Anerkennung werth, als ihm von der Regierung zu Theil wurde.

In Dresden interessirten mich vorzüglich Seiler und Carus, sowohl durch ihre Unterhaltung, als auch durch ihre Präparatensammlungen; der Hauptgegenstand war die Bildung des Embryo, über welche sie freilich noch sehr abweichende Meinungen hatten.[373]

Von da reiste ich über Bauzen, wo ich einen Tag bei meinem Universitätsfreunde, dem Medicinalrathe Constantin, zubrachte und über Berlin zurück nach Königsberg, wo ich gegen Ende Octobers eintraf, dankbar für das gehabte Glück und froh, wieder an meine Arbeit zu kommen.

Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 349-374.
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