3. Gesammtcharakter.

[545] Rosenkranz erwähnte mich in den Hallischen Jahrbüchern von 1840 bei Gelegenheit eines kurzen Berichtes, den er daselbst über die Königsberger Universität abstattete, und da, wie er späterhin selbst sagte, »es ihm auf eine präcise Zusammenfassung meiner hervorstechenden Eigenthümlichkeiten ankam,« so bezeichnete er mich als »einen empirisirten, mit Leipziger Eleganz und freimaurerischer Religiosität schreibenden Schellingianer.« Ich konnte mit dem Epitheton eines empirisirten Schellingianers nicht unzufrieden sein; denn wenn man nicht in der Bildung des Wortes »empirisirt« etwas Nachtheiliges[545] finden will, so war damit nur ausgedrückt, daß ich mir die allgemeinsten Ansichten der Schellingschen Naturphilosophie angeeignet, die Erscheinungen aber erfahrungsmäßig aufgefaßt habe. Auch die »freimaurerische Religiosität« durfte ich mir gefallen lassen, denn es war doch nichts Anderes darunter zu verstehen, als eine von unhaltbaren Dogmen gereinigte Ansicht, verbunden mit einer entsprechenden, im Leben sich bethätigenden Gesinnung. Nur die »Leipziger Eleganz« verletzte mich, und zwar aus folgendem Grunde. Einige geistreiche Männer, für deren Anerkennung und Beförderung ich als der Aeltere mich auf das Lebhafteste interessirt und auf das Thätigste verwendet hatte, machten Opposition gegen mich, weil ich zuweilen etwas geradezu abmachte, ohne der amtlichen Etiquette vollständig zu genügen, ungeachtet keine Anmaßung, sondern nur Naivetät und Vertrauen daran Schuld hatte, und weil bei ihrem Streben nach Selbstständigkeit und Unabhängigkeit ihnen auch das Gefühl von Verbindlichkeit lästig sein mochte, wiewohl ich sie auch nicht im Entferntesten daran erinnert hatte. Da sie nun erkannten, was ich nie zu bestreiten vermochte, daß ich ihnen an geistiger Kraft nicht gleich käme, so untersuchten sie, was mir denn eigentlich zu dem Ansehen, welches ich genoß, verholfen hätte, und da fanden sie, es sei der Styl. So erklärte ich es mir wenigstens, daß ihre Freunde und Verehrer, wenn sie günstig gestimmt waren, von mir rühmten, ich hätte die Sprache in meiner Gewalt, ich besäße Eleganz. Wenn sich meine Collegen durch diese Ansicht beruhigten, so hatte ich meinerseits nichts dagegen einzuwenden; ich war mir bewußt, daß ich keineswegs eine vorzügliche Aufmerksamkeit auf die Form des Vortrags richtete, sondern, wenn ich hin und wieder mich gut ausgedrückt hatte, der Grund davon in dem alten Spruche lag: pectus est, quod disertum facit. Indessen wird ein solches Urtheil leicht zu einer stehenden Formel, die überall angebracht wird; so hatte denn ein sonst wohlwollender Mann, der mich im Zustande tiefster Gemüthsbewegung gesehen, erzählt, ich hätte mich beim Tode meiner Frau mit Eleganz benommen. Wie sehr ich nun auch diese alberne Aeußerung[546] verachtete, so empörte sie mich doch in solchem Grade, daß die Erinnerung daran durch Rosenkranzens Urtheil mir schmerzlich war.

Das, wodurch ich mich auszeichne, besteht meines Erachtens darin, daß ich nichts Ausgezeichnetes, sondern nur ein Mittelmaaß der Kräfte, aber in einem gewissen Einklange, besitze. Dem gemäß war mir keine ungewöhnliche Körperkraft eigen, aber ich hatte eine gesunde Constitution, die mir einen freien, durch diätetische Vorsicht unverkümmerten Lebensgenuß, wie auch ziemliche Anstrengungen gestattete. Als in den Jahren 1795/96 ein gastrisch-nervöses Fieber unter meinen Commilitonen herrschte, an welchem von Medicinern, deren Zahl kaum auf 40 sich belief, 5 starben, wachte ich abwechselnd bei den Kranken, ohne angesteckt zu werden, woran meine Furchtlosigkeit wohl auch ihren Antheil hatte. Außer Blattern und Masern hatte mich bis in mein höheres Alter noch keine Krankheit befallen; und ich war schon ziemlich vorgerückt in Jahren, als ich mich noch so gesund fühlte, daß ich keinen Grund einsah, warum ich einst sterben sollte, und mich da bloß auf den Erfindungsgeist des Todes verlassen mußte. Ich folgte in meiner ganzen Lebensweise der Stimme der Natur, und ließ neben der ideellen Bestrebung auch der Sinnlichkeit ihr Recht widerfahren. Waren auch meine Geisteskräfte nur mäßig, so fehlte es mir dafür nicht an lebendiger Gemüthskraft; in meinen Ansichten und Gefühlen, meinen wissenschaftlichen Bestrebungen und meinem Handeln fand ich eine Einheit, die mich glücklich machte, so daß ich selbst eine reichere Begabung gern entbehrte.

Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 545-547.
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