Vorwort.

Wie komme ich wohl dazu, dem Publikum zuzumuthen, daß es sich meine Erlebnisse erzählen lassen soll? Und worauf gründe ich denn die Meinung, daß meine Persönlichkeit ein öffentliches Interesse haben könne? Diese Fragen zu beantworten, ist ein Vorwort nöthig, welches zugleich ein Fürwort sein soll.

Es ist wahr, die Natur hat mich nicht mit einem glänzenden Talente begabt und es ist mir nicht gelungen, etwas Außerordentliches zu leisten. Aber meine Eigenthümlichkeit besteht in einer nicht ganz gewöhnlichen Temperatur einiger Anlagen, vermöge deren meine Leistungen auch nicht dem Gemeinen und Alltäglichen angehören. Durch ein gewisses Gleichgewicht unter den geistigen Richtungen auf das Einzelne und auf das Ganze, unter den empirischen und den rein wissenschaftlichen Bestrebungen, ist es mir möglich geworden, einige Arbeiten zu liefern, die mir in der Literargeschichte unseres Jahrhunderts einen ziemlich ehrenvollen Platz zusichern, so daß wohl auch der spätere Literator gern etwas Näheres über meine Persönlichkeit erfahren wird. Auch bin ich so glücklich gewesen, durch ein gewisses Ebenmaß von Urtheilskraft und Gemüth, sowie von Beachtung des geistigen Gehaltes und der sinnlichen Form manchen Freund sowohl in der Nähe als auch in der Ferne zu gewinnen, der nach meinem Tode gern etwas von mir über mich[1] hören wird; und da meine schriftstellerischen Arbeiten zurückbleiben, so darf ich hoffen, daß sie mir auch künftig noch hin und wieder ein gleiches Wohlwollen zuwenden werden.

Was sodann das praktische Leben anlangt, so bin ich nicht zu großen Dingen gemacht, habe sie auch nicht erstrebt, eben so wenig bin ich durch die Umstände in eine dazu erforderliche Stellung gebracht worden, sondern habe, wie es die an sich unscheinbare Lage eines akademischen Lehrers mit sich bringt, mehr ein Stillleben ohne beträchtliche Verwickelungen geführt. Doch ist meine Lebensbahn auch nicht ganz einförmig gewesen, vielmehr bin ich in mannichfaltige, zum Theil selbst interessante Verhältnisse gekommen. Können meine Schilderungen sich nicht in die Reihe der Memoiren stellen, so werden sie doch einzelne Züge zu einem Bilde der Zeit und der Oertlichkeiten darbieten, wie man sie aus dem Fenster eines bescheidenen Wohnstübchens erschaut. Ich bin mit manchem bedeutenden Manne zusammengetroffen, und es wird, glaube ich, nicht ganz gleichgültig sein, wenn auch ich berichte, wie er mir erschienen ist. Was aber diejenigen Personen betrifft, deren Namen hier zuerst zu literarischer Oeffentlichkeit kommen, so sind es mehr oder weniger ausgezeichnete Charaktere, deren Bekanntschaft interessiren wird.

Mag nun, zumal da selbst mein inneres Leben wenig Schwankungen darbietet, vielmehr als die einfache Entwickelung des natürlichen Keims sich darstellt, meine Biographie einem kleinen Genrebilde gleich gesetzt werden, so bemerke ich, daß ja auch ein solches zwischen großen historischen Gemälden auf seinem bescheidenen Plätzchen geduldet wird, falls es nur das Gepräge der Wahrheit trägt. Ich glaube aber in der That, durch ein richtiges Verhältniß zwischen Selbstgefühl und idealer Anschauung in den Stand gesetzt zu sein, mich zum Gegenstande wirklicher Erkenntniß zu machen und mich, wenigstens im Wesentlichen, wahrhaft zu schildern, wie ich bin. Denn bei einer sehr mäßigen Eitelkeit macht es die Selbstachtung mir zur Ehrensache, meine Mängel eben so offen zu bekennen, als meine guten Seiten unbefangen zu schildern. Mein Ehrgefühl gebot mir, mich immer so zu geben, wie ich war, damit man nicht[2] eine bessere Meinung von mir hege, als ich zu verdienen glaubte; ein zu günstiges Urtheil hat mich stets unangenehm berührt, weil ich mich dabei vor mir selbst schämen mußte. Eben so habe ich ungerechte Urtheile über mich mit ziemlichem Gleichmuthe ertragen: galten sie meinem wissenschaftlichen Wirken, so stützte ich mich auf das Bewußtsein, das Rechte gewollt und so viel ausgerichtet zu haben, als mir unter den gegebenen Verhältnissen möglich gewesen war und verließ mich darauf, daß Andere über den Werth oder Unwerth meiner Leistungen mit Unbefangenheit urtheilen würden; traute man mir aber im geselligen Leben etwas zu, was meiner unwürdig war, so konnte ich meinen Stolz nur schwer überwinden, um etwas zu meiner Rechtfertigung zu sagen. Bei solcher Sinnesweise bin ich wohl befähigt, einen wahrhaften Bericht über mich abzustatten, wobei eine reichhaltige Sammlung von Briefen meinem Gedächtnisse zu Hülfe kommt, und wie ein Bild, selbst von einem gleichgültigen Gegenstande und von keiner Meisterhand gezeichnet, nicht werthlos ist, sobald es nur das volle Gepräge der Wahrheit trägt, so wird auch die treue Schilderung meines Lebens nicht ohne Interesse für Den sein, der die mannichfaltigen Charaktere und die Wendungen ihres Geschickes zu beobachten gewohnt ist, um dadurch seine Ansichten vom Menschenleben zu vervollständigen: das lebenstreue Bild einer Menschenseele hat immer etwas Anziehendes, und im Knäuel der Ereignisse den fortlaufenden Faden des Lebensganges zu erkennen, gewährt große Befriedigung. Indem ich nun meine, daß meine Selbstbiographie für den Psychologen einigen Werth haben wird, sehe ich nicht ein, warum nicht Mancher auch Nutzen daraus schöpfen und aufgefordert werden könnte, in der einen Hinsicht meinem Beispiele zu folgen und in der andern sich dadurch warnen zu lassen.

Daß man nicht Worte von sich macht, während man noch Kraft zu wirken hat, und sein Leben nicht beschreibt, ehe man dem Ziele nahe ist, scheint mir ganz natürlich. Deßhalb konnte ich dem Professor Friedländer nicht willfahren, als er im Jahre 1832 Materialien zu meiner Biographie für das Conversationslexikon[3] der Gegenwart von mir verlangte; ja, sein von Wohlwollen dictirtes Unternehmen war mir unangenehm, wie ich denn auch den Artikel ungelesen ließ, bis mich fünf Jahre später der Verleger meiner Anthropologie nöthigte, von ihm, als einem diesem Buche vorausgeschickten Empfehlungsbriefe, Kenntniß zu nehmen. Erst jetzt, wo nur noch die Erinnerung mich an das Leben bindet, bin ich in der Verfassung, dasselbe zu beschreiben. Diese Beschreibung soll aber erst nach meinem Tode veröffentlicht werden, damit ich ganz unbefangen über mich sprechen kann; denn wer wird wohl den Menschen, unter denen er noch lebend einher wandelt, sich ganz rücksichtslos preisgeben wollen?

Diese Behauptungen und Versicherungen mögen zu meiner vorläufigen Legitimation hinreichen; die Schrift selbst muß beweisen, ob ich Beruf dazu gehabt oder sie nur abgefaßt habe, um nach meinem Tode in der literarischen Welt noch eine Zeit lang spuken zu gehen.

Vor Grübeleien über den Gang meiner Geistesbildung werde ich mich hüten, da ich weiß, wie leicht man sich hier täuscht, indem man von seinem gegenwärtigen Standpuncte aus auf frühere Zustände schließt; ich werde vielmehr eine einfache Erzählung geben und am Schlusse eine Darstellung meiner gesammten Individualität versuchen.

Daß ich nicht bisweilen zu weitschweifig sein werde, will ich nicht verbürgen. Denn bisher ist mir zwar dieser Fehler fremd gewesen; wenn aber ein Alter über seine Jugend spricht, wird es ihm oft zu schwer, zu unterscheiden, ob etwas, das für ihn großes Interesse hat, Andern nicht langweilig vorkommt, zumal wenn er als Psycholog erkennt, daß manche kleine Züge auch zur vollständigen Schilderung des Charakters gehören und daß unbedeutend scheinende Umstände auf die Bildung und den Gang des Lebens oftmals großen Einfluß ausüben. Hat also der Leser mir einmal ein günstiges Ohr geliehen, so möge er auch die vielleicht hin und wieder auftretende Geschwätzigkeit mit schonender Nachsicht beurtheilen.[4]

Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 1-5.
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