III.
Berlin 1825

[445] 19. August


Graue dicke Stratus am Himmel, märkisches Sandland und ein Sommerwind wie im November wirkten auf der Reise in aller Weise widerwärtig, nur der eine Nachmittag war besser, er führte mich wieder an den herrlichen Eichen um Herzberg vorüber. Edle markige Bäume! Bald werden euersgleichen so wenig mehr sein als Menschen der Art wie Götz von Berlichingen. Erlengebüsche verdrängt alles. Ein einzelnes irrendes Schaf auf einem öden Anger lange nach Sonnenuntergang, als nur noch leuchtendes Abendgewölk den westlichen Himmel säumte, machte einen fast rührenden Eindruck. – Noch am Abend meiner Ankunft sah ich Rudolphi, der mich mit gewohnter Herzlichkeit und Offenheit empfing. Das Bild des ausgezeichneten Gelehrten, der seinen Wissenszweig ganz[445] umfaßt, dessen reichausgestattete Bibliothek seiner Wirksamkeit ein mannigfaltiges Material bietet, der, ganz schulmäßig herangebildet, doch als Mensch offen und treuherzig erscheint, es sprach mich in voller Lebendigkeit an und regte im stillen wieder den Wunsch auf, auch so nur eine einzige Richtung in meinem Leben zu sehen. Indes, das Schicksal scheint nun einmal mich besondere Wege führen zu wollen, und ich lasse es gewähren. Zu einer gewissen Höhe und dann wohl zu einer schönern, eigentlich menschlichen Umsicht muß es auch so kommen können!

Nun gleich zum zootomischen Museum! – Diese herrliche Sammlung, fast allein Rudolphis Schöpfung, fand ich bereits zu einem Umfange angewachsen, der mich mit lebhafter Freude erfüllte. Nach vieljähriger ernster Betrachtung des Knochengebäudes mich nun mit einemmal so inmitten der reichsten Aufstellung der verschiedenartigsten Skelettformen zu finden, tausenderlei Gestalten gewahr zu werden, in denen die Natur ihren einfachsten Typus auf immer neue Weise variiert, und dabei mich immer mehr von der Richtigkeit der von mir zuerst in seiner schönen Gesetzmäßigkeit erschauten Architektonik des Skeletts zu überzeugen, mußte notwendig mir einen durchaus bedeutenden Eindruck machen. Die Freudigkeit der Wissenschaft hatte ich kaum je so in ihrer vollen Reinheit empfunden! Noch mehr belebt wurde diese erste Durchsicht durch ein Zusammentreffen mit einigen jungen Männern, welche hier vergleichende Anatomie mit Eifer treiben. Der Sohn D'Altons war darunter. Ich fand Veranlassung, ihnen manche meiner Ansichten zu entwickeln, ihr Interesse, ihre Teilnahme aufzuregen, und sah mich, ehe ich vermutete, mitten im Lehren.

Erholung von der Mühe stundenlangen angestrengten Sprechens mußte mir noch ein Gang durch die neuen Baulichkeiten[446] der Stadt gewähren. Man hat sich hier tüchtig geregt, vieles ist entstanden, vieles entsteht und vieles wird vorbereitet. In allem waltet ein zeitgemäßer, großartiger Geist. Schinkels Wirksamkeit zeigt sich durchgängig, und selbst an den Privathäusern ist ein feinerer, mehr zur Idee der Schönheit anstrebender Sinn vielfach wahrzunehmen.


[Berlin,] 22. August


Der Vormittag des 20. August war sehr reichhaltig. Wir gingen zum Museum, und die sämtlichen Säle wurden noch einmal durchgegangen; dann stellte ich Dietz ein Präparat zum Zeichnen und suchte nun den Geheimen Rat Johannes Schulze auf, dessen Sohn ich längere Zeit ärztlich beraten. Er erbot sich mit größter Zuvorkommenheit, mich zu den Gipsabgüssen der Akademie zu führen. Im Erdgeschoß des Museums steht diese Sammlung, in welcher gar herrliche Sachen zusammengebracht sind. Zum erstenmal sah ich hier die Gruppe der Niobe in ihrer vollen Herrlichkeit, Abgüsse von Elginschen, Äginetischen und andern nicht genug zu preisenden Sachen. Am meisten war mir wissenschaftlich der strenge einfache Kanon, gleichsam nur das Schema der Menschengestalt, wie es in den Kriegergestalten von Ägina sich ausdrückt, merkwürdig. Indes stehen hier diese Sachen nur interimistisch, ein Museum1 wird gebaut, und die Fronte desselben, mit 18 Säulen geschmückt, sahen wir vorläufig in Abbildung. Nachmittagsbesuche bei Hufeland und Osann. Schon war die Zelebrität des erstern mehr historisch, und das etwas Schwächliche seiner Individualität hinterließ keinen bedeutenden Eindruck. Abends bei aufsteigendem Monde ging ich an der Spree hinauf, wo die großen Spreekähne, die Brücken, das alte Schloß und die massenhaften[447] Gebäude sich doch immer imposant ausnahmen. Die spätem Stunden waren Rudolphis Familie gewidmet.

Den 21. August, nach langem Arbeiten im Museum, unter Schulzes Leitung zum kleinern königlichen Palais. Der König kauft viele neue Kunstwerke, hat sich die schönsten Raffaelschen Bilder kopieren lassen und scheint viel zu lesen, am meisten Erbauungsschriften. An Bildern waren mir wichtig: Zunächst der Engel aus dem großen Jüngsten Gericht, unter dem Namen des »Danziger Bildes« bekannt. Der geharnischte Engel hält die Gerichtswaage, und seine ernste einfache Schönheit mahnte an den »ufficiale di dio« beim Dante. Sodann drei große Bilder von Friedrich, worunter sein Leichenzug am Spätabend im Winter zu einer mit Eichen umgebenen Kapellenruine; vielleicht das tiefsinnigste poetische Kunstwerk aller neuern Landschaftsmalerei! Endlich war mir merkwürdig Krügers Kosakengruppe: es ist regnerisch, die Wege spiegeln, und ein matter Sonnenschein erleuchtet die vordern Figuren. Die Wahrheit im ganzen bei einer gewissen naturwüchsigen Poesie war mir so noch nicht vorgekommen.

Noch gingen wir zum Dom, hörten einen Teil des Gottesdienstes nach der neuen Agende, und ich kann sagen, daß mir diese Kirche in ihrer modernen betsaalähnlichen Einrichtung ganz wohl gefallen. Ein schönes vergoldetes Gitter mit Vischers Aposteln sondert das Schiff vom Altar, den ein Bild von Begas ziert, und im Hintergrunde nimmt sich noch ein wohlgegossenes Monument eines alten Kurfürsten von Brandenburg gut aus. Endlich leitete unser unermüdlicher Führer uns noch nach Monbijou, wo die modernen Glasmalereien, für Marienburg bestimmt, und manche ägyptische und altdeutsche Altertümer, so hier noch ungeordnet umherliegen, zu sehen waren. Die Glasmalereien sind wirklich wohlgeraten, besonders das mit[448] nächtlicher Beleuchtung, nur hätte auch das Material mehr beachtet und stärkeres Glas genommen werden sollen, leider waren schon hier manche Scheiben gebrochen, was denn wieder die Alten besser verstanden. Nachmittags arbeiteten wir im Museum, und abends sah ich im großen Opernhause »Das unterbrochene Opferfest«. Die großartigen Chöre, die reiche Harmonie, das schöne Organ des jungen Devrient und zumal der Seidler waren immerhin eine Quelle dem Durstenden in der Wüste.

Heute auf der Giustinianischen Gemäldegalerie2. Ein Kaiser Karl V. von Amberger, die »Instruction paternelle« von Douw3 und eine große Landschaft von Swanevelt nebst zweien von Claude möchten wohl das Sehenswerteste dieser sonst etwas dürftigen Sammlung sein.

Nach Tische holte uns Staatsrat Schulze zu Wagen ab, um zum Monument auf dem Tempelhofer Berge zu fahren. Im trüben nebeligen Wetter fuhren wir aus, als wir aber auf der Anhöhe ausstiegen, flogen die ersten Sonnenblicke über die Gegend. Das Monument selbst in seiner einfachen Tüchtigkeit rief die vielfachsten Erinnerungen in mir auf und erfreute als Resultat einer eigenen kräftigen Zeit. Vieles ist an diesem Eisenwerke zu loben, am meisten aber die Statue, welche Paris bezeichnet und die Quadriga auf der Hand trägt (Gestalt und Maske sind von der Königin Luise entlehnt). Der ihr zunächst stehende Genius der Schlacht von Bar-sur-Aube mit den Zügen des Prinzen Wilhelm ist ihr auch an Schönheit der nächste. Überhaupt gefällt es mir wohl, daß somit auch vom Volke ein im Gedächtnisse Behalten der Züge seiner[449] Helden gefordert wird zum vollen Verständnis des Monuments, denn die Inschriften nennen nur zwölf Siege, aber keine Einzelnamen. Einem alten einarmigen Krieger ist unweit des Monuments ein kleines Haus gebaut, und indem so für seinen Unterhalt gesorgt ist, dient er dem Monument als Wärter und Wächter.

Unter steten Auseinandersetzungen unsers sorglichen Führers kamen wir dann nach dem Botanischen Garten in Schöneberg. Der Garten ist schön, enthält mehrere große Treibhäuser und ein pagodenartig gebautes Palmenhaus, in dem eben eine herrliche hohe Dracaena draco verblüht hatte. Köstliche Musa, Cycas, Cecropia und andere Palmenarten machten ein dichtes Gebüsch heißer Zonen, und golden blitzte das Sonnenlicht im Laube der Fächerpalmen durch die oben in schönen Zieraten eingesetzten farbigen Scheiben. In einem kältern Hause erfreuten große Eukalyptusarten, eine herrliche blühende Magnolia und Griffina hyacyntha, eine dickstämmige Casuarina und eine einige hundert Jahre zählende Sagopalme.

Wir beschlossen den Tag in dem zierlichen Garten von Charlottenburg, dessen dunkelste Partie die Leiche der geliebten Königin einschließt. Das Mausoleum ist edel und rein. Die einfachen dorischen Säulen am Eingange, die bronzene Tür, innen die Marmorsäulen, die Treppe zum Grabgewölbe, mit einer zweiten Bronzetür verschlossen, und dort der Sarkophag mit der schlummernden Gestalt; alles wirkt mächtig, wir fühlen uns angeregt zum ruhigen Hinüberblicken ins Schattenreich; ja, indem wir das Schattenhafte unsers gegenwärtigen Zustandes zugleich mit anschauen, fühlen wir uns geläutert und aufgeklärt. Wirklich, auch hier ist Rauchs Verdienst nicht genug zu rühmen! Die leicht auf der Brust ruhenden Arme, die schönen Gewande, die zarte Behandlung des Ganzen; selbst die beiden zur Seite gestellten Kandelaber;[450] alles ist dieses tüchtigen Künstlers vollkommen würdig. – Dabei hatte sich der Himmel immer mehr geläutert, ein goldenes Abendlicht ruhte auf der erfrischten Gegend, und die noch weitern schönen Partien des Parks mit der freiern Umsicht über die Spree und umliegende Waldung bis zu den Türmen Spandaus führten uns aus poetischem Traume wieder in die wirkliche Welt ein.


[Berlin,] 23. August


Der heutige Tag ist mir sehr einfach und doch nicht ohne ein sehr Schönes vorübergegangen. Früh war ich teils auf dem Museum, teils bei dem aus Würzburg hierher berufenen Professor der Geburtshilfe Elias von Siebold, der mit steifer breiter Treuherzigkeit manches Merkwerte vorzeigte. Nachmittags von neuem zum anatomischen Museum; von hier aber, und zwar durch besondere Fügung ganz allein, so wie es mir am liebsten, zu Zelters Singakademie. In einem schönen Saale hörte ich nun diese Chöre wie vor sechs Jahren, und doch um wie anders, denn ich selbst war wieder ein anderer geworden. Musik von Bach, Zelter und, Fasch, allesamt tüchtig durchgearbeitete Werke und klar und reich ausgeführt! Ernst und still ging ich durch das wogende Heer der bunten Menge unter den Linden, die Sonne vergoldete eben die Säulenknäufe am großen Opernhause, und nicht ohne noch einmal an Scharnhorsts Standbild vorübergegangen zu sein, wendete ich mich zu meinem ruhigen Zimmer, vieles wiederholt überlegend, doch ohne Leid und ohne Wunsch.


[Berlin,] 25. August


Gestern zur Sollyschen Gemäldesammlung. Zwar ist hier alles noch unaufgestellt, und mehrere Maler sind mit Restaurationen beschäftigt, so daß in der Regel Fremde nicht zugelassen werden, doch unserm getreuen Führer[451] öffneten seine Verbindungen den Eintritt. Für die alte Kunstgeschichte wird diese Sammlung unfehlbar von der größten Wichtigkeit werden, da man über 300 Bilder aus der Zeit vor Raffael zählt und unter diesen treffliche Sachen. Wenig nur von dem, was mich besonders erfreute, kann ich hier bemerken. Ein wohlerhaltenes großes Bild vom Vater des Raffael erinnerte mich zuerst an jenes Bild auf der Brera. Die einfache reinliche Zeichnung, die empfundene Zusammenfügung der Gruppe (es stellt eine heilige Familie dar) waren überall zu loben. Dann ein Porträt einer schönen feurigen Frau aus dem Hause der Cosmus, von Bronzino, von höchst eindringlicher Wirkung. Ebenso von Fra Filippo die Vision eines heiligen Eremiten. In waldiger Bergeseinsamkeit, wo unter dicken Bäumen ein Waldbach herniederrauscht, erscheint Maria mit dem vor ihr liegenden Jesusknaben, auf dem ein Strahl vom Himmel niedersinkt. – Von Tizian das Brustbild einer herrlichen Magdalena und von Palma Vecchio eine Maria mit dem Kinde und einigen Heiligen, von wunderbarer Zartheit der Formen. Zumal ist ein Mädchen darauf zu sehen, ein Mädchen von etwa 13 Jahren, in welchem aller Zauber eben erblühender Schönheit sich mit dem Hauch voller innerer Reinheit vereinigt. Ein Gesicht, wie man sie schwer auf Erden sieht; für ein von Stürmen der Leidenschaft viel bewegtes Gemüt wüßte ich kaum ein Mittel von höherer Beruhigung als den Blick auf dies Gesicht. Dann sah ich höchst merkwürdige Bilder von Fiesole, Orgagna und andern; meistens a tempera gemalt. Die Krone dieser Sammlung aber in Hinsicht allseitiger Kunstvollendung ist ein Christuskopf mit der Dornenkrone von Albrecht Dürer und ein Porträt der Anna Bolein von Holbein. Merkwürdig ist ferner ein Bild von Quinten Massys (eine Jungfrau mit dem Kinde, mit ganz unerwarteter Frischheit und Anmut gemalt);[452] endlich aber und vor allem die großen Altarbilder von Johann von Eyck. Nicht alle zum Altar gehörige Bilder sind hier, aber die sechs vorhandenen sind gerade hinreichend, um die hohe Kunststufe, welche die Malerei am Niederrhein ein halbes Jahrhundert vor Fiesole erreichte, vollkommen zu beurkunden. Zumal ein Zug von Rittern und ein Zug einsiedlerischer heiliger Männer und Jungfrauen sind in aller Hinsicht und durchaus vollendet. Dieses Tüchtige einer jeden Individualität, diese Schönheit der Zeichnung, diese Frische der Farben, diese höchste Ausführung selbst der Landschaft, ohne alle Peinlichkeit und Ziererei, lassen den Beschauer nirgends los. Aus den Beiwerken (Palmen- und Orangenwäldern und Zypressen, mit großer Treue nach der Natur gemalt) will man schließen, der Künstler müsse Italien gesehen haben, doch läßt sich das alles wohl auch ohne dies erklären.


[Berlin,] 26. August


Nach den gewöhnlichen Arbeiten und einem Mittag bei Hecker hatte ich gestern einen sonderbaren Abend bei Geheimrat Schulze. Zwar die Ordnung der Gesellschaft im ganzen war wie bei hundert andern, aber Hegel war dort und Marheineke, beide am Whisttisch emsig beschäftigt, und das Hinhören auf diesen breiten stichelnden Ton der Berliner Kollegen untereinander war mir eine Belehrung, die ich nicht vergessen werde. Wenn diese Philosophie nicht zu Höherm und zum Hintansetzen von Whist und dergleichen Konversationen führt, so werde ich überhaupt etwas zweifelhaft bleiben über ihre Erfolge.


[Berlin,] 27. August


Nach Tische hatten wir verabredet, das Schloß zu besuchen, und Freund Schulze war auch hier der Geleitsmann. Die alten Kur- und Rittersäle, mit Samttapeten[453] und versilberten Arabesken, die Spiegelzimmer und glatten Parketts, alles in altfranzösischem Geschmack, machte mir wenig Eindruck. Von Bildern fesselten mich am meisten ein David, der den Goliath erlegt, von Lukas Cranach lebendig und einfach gedacht und kräftig gefärbt. In starker Rüstung liegt der Riese am Boden, David in leichtem, ritterlichem rotem Gewande, bohrt dem Gefallenen eben sein eigenes Schwert unter die Halsberge. Der Grund ist buschig, weiterhin zeigt sich kiesiger Boden, dem Schleudrer sehr günstig, und noch weiter zurück dringen unter kühn gewölbten Felsen die gewappneten Züge der Israeliten heran. Dann gab es einige merkwerte Bilder von Rembrandt, zumal ein kleines, eine Eremitenwohnung, wo das Tageslicht sehr klar und warm durch das alte Fenster schimmerte. Ferner herrliche van Dycks, ein Hauptbild von Guido Reni, die Familie des Herzogs von Modena, einige schöne Marinen, eine Schlacht von Hughtenburg und ergötzliche Wouwermans. Auch mehrere schöne Antiken, alle gleich den sonstigen besten Bildern für das neue Museum bestimmt. Nach dem Schlosse ging ich in Hufelands ärztliche Gesellschaft, wo Dr. Stabroh eine sehr gründliche Abhandlung über Erkenntnis der Vergiftungen vortrug und Hufeland selbst ziemlich wankelmütige Ansichten in Beziehung auf die Homöopathie entwickelte. Der alte Heim war nach seiner Art um so derber, und ich geriet über Graviditas extrauterina beim Herausgehen in einen ziemlich lebhaften Streit mit ihm, der nur bewies, wie wenig er selbst von neuen Fortschritten ärztlichen Wissens unterrichtet war, während übrigens sich alles noch ganz leidlich schlichtete. Mehrere andere Ärzte wurden bei dieser Gelegenheit mir bekannt.

Heute, nach Arbeiten im anatomischen Museum Rudolphis und in der Tierarzneischule, führte uns Geheimrat Schulz zur Kunstkammer des Schlosses, wo die große[454] Sammlung ägyptischer Altertümer und Mumien reichlichen Stoff zur Betrachtung darbot. Die wunderlichsten Amulette, Götterbilder, Nilschlüssel und Isisklappern, die trefflichen Farben am Sykomorosholze der alten Mumiensärge und die wohlerhaltenen Byssusbinden, eine alte ägyptische Harfe, ein Helm und vergoldetes Speereisen aus Theben, die zierlichst gearbeiteten Skarabäen von allen Größen, die niedlichsten römischen Bronzen, wo selbst aus fratzenhaften Gebilden immer eine kernhafte Vorstellung durchbricht, schöne hetrurische Vasen und alte Glaswaren, eine vollständige antike Vase usw., alles hätte eine längere Betrachtung verdient, als wir ihm hier gewähren konnten. Doch sollten auch die sonstigen Kuriosa dieser Kunstkammer überblickt werden; wir mußten die alten Rüstungen, die zierlichen Elfenbeinarbeiten, die schönen Trinkhörner, dann Napoleons Hut und Friedrichs II. Degen, die ethnographische Sammlung merkwürdiger Arbeiten der Wilden usw. durchgehen, und endlich wurde uns noch der berühmte Kunstschrank gezeigt, der sonst einem pommerschen Herzoge gehörte und der aus massivem Silber alle im Leben oft gebrauchten Apparate, vom Tafelzeuge an bis zur Hausapotheke, enthält. Es hätte nur noch die Wiege und der Sarg dabei gefehlt, sonst war für alles gesorgt.

Mittags mußte ich mit Schulze im Kämpferschen Garten essen, wo eine geschlossene Gesellschaft, die »Gesetzlosigkeit«, wie sie sich nennt, zusammenkam. Ich lernte hier noch einige namhafte Männer kennen, unter denen Geheimrat Stägemann, als Politiker und Dichter bekannt, mir durch einen gewissen mephistophelischen Zug etwas bedenklich vorkam, dahingegen der Geograph Ritter und der Philolog Buttmann, der sich hier als großer Gastronom und Präses zeigte, durch redliche offene Züge mir gar wohl gefielen. Gegen uns über feierte eine andere Gesellschaft[455] den Tag des Hagelsberger Treffens durch Gesang und Musik. Meistens Zivilisten, die damals in der Landwehr mitgestritten hatten.


[Berlin,] 29. August


Die Zeit meiner Abreise rückt näher, und wirklich fängt man auch an, nach etwas freierer Aussicht und reinerer Luft sich zu sehnen.

Nach Tische trat Pascal, ein reicher, hiesiger Privatmann, der nun bloß der Landschaftsmalerei lebt, bei mir ein. Ich hatte gestern bei ihm, den ich zuletzt 1821 in der Schweiz traf, meine Karte abgegeben und wurde jetzt eingeladen, seine Sachen zu sehen. Ihm gehört ein prächtiges, von Schlüter erbautes Haus an der Königsbrücke, und man sieht dort einige hübsche alte Bilder, namentlich eine Landschaft von Teniers, wo ein Maler einen lehmigsandigen, mit Bäumen bewachsenen Abhang zu zeichnen im Begriff ist, auch einen kleinen Ruisdael von höchst durchsichtiger und wahrer Behandlung. Seine eigenen Sachen sehen leidlich farbig und nett aus, aber es befiel mich dabei ein gewisses unaufhaltsames Gähnen, welches ich lange nicht beschwichtigen konnte. Weiter führte mich mein Weg zu Schulze, der mich noch zur Niederlage der Eisenwaren geleitete, wo ich Andenken an Berlin für die Meinigen auszusuchen hatte, und so blieb mir dann eben noch Zeit, einen Blick in die Einrichtung der Bibliothek zu tun, welche in ihrer Vermehrung beneidenswert vorschreitet. Ein Realkatalog stach mir besonders in die Augen. Die Bibliothek zählt gegen 200000 Bände und hat jährlich an 8000 Taler zu ihren Ausgaben. Endlich noch durch das ärgste Gedränge der Königsstraße zu Rauchs Werkstatt, wo ich noch manch tüchtiges Werk sah. Zwei antike Siegesgöttinnen wurden eben restauriert, ein trefflicher Äskulapkopf war nebst einer schönen Diana aus Italien angelangt, die Basreliefs zu Blüchers Statue, die[456] kolossale Statue selbst, noch unter den Händen der Ziselierer, der Genius der Schlacht von Belle-Alliance, welcher alle die andern Schachtengenien in verkleinerten Wiederholungen am herabhängenden Gürtel trug, Blüchers kolossaler Marmorkopf, ferner das Modell zu Goethes Statue, Ifflands Statue (diese schon halb ausgeführt in Marmor) und manches andere würdige Zeichen einer ernsten Kunstbestrebung hatte ich hier zu betrachten. Rauch selbst war nach Dresden abgereist. –

Vom 30. August, dem letzten Tage, den ich in Berlin zubrachte, will ich nur anmerken, wie ich früh meine Arbeiten auf dem Museum beschloß und gegen elf Uhr zu Professor Weitsch ging, an welchen mich Pascal adressiert hatte. Es war mir unerwartet, den alten Künstler selbst zu finden, da ich bloß auf seine Sammlung gerechnet hatte und er mir als verreist angekündigt worden war. Indes freute mich die Beobachtung auch dieses Charakters in mancher Hinsicht. Der Mann ist viel in Holland gewesen und hat selbst etwas Holländisches angenommen. Zu dem freundlichen, etwas breiten alten Gesicht standen Samtkäppchen und grünwollener Schlafrock recht zweckmäßig. Seine eigenen Arbeiten im Landschaftlichen und Historischen zeigen viel Praktik, aber wenig Geist; die Stilleben gelingen ihm offenbar am besten. Mir war es namentlich um die alten Bilder zu tun, deren er viele und vorzügliche besitzt. Ein schönes Bild vom Lehrer Metsus fiel mir zuerst durch Klarheit und Ruhe seiner Töne auf. Es war so eine niederländische, geräumige Stube im Erdgeschoß, das Fenster halb von Wein umsponnen, und einige Figuren bewegten sich recht anmutig in diesem friedlichen Raume. Dann sah ich ein Bild von Hobbema, einen durchsichtigen Wald am Rande eines sumpfigen Wassers, wie es Ruisdael gern malt, und von einer außerordentlichen Vollendung. Es war nur etwas zarter und klarer, sonst ganz[457] wie Ruisdael. Von Ruisdael selbst sah ich einen Kanal aus Antwerpen (wenn ich mich recht erinnere), dessen Schiffswesen gar erfreulich von dem alten Meister gehandhabt war. Auch das zweite Bildchen von demselben, eine kleine niederländische Stadt, nahe am Meere, war von trefflichster Wirkung, obwohl etwas flüchtig gemalt. Es steht mir immer noch vor Augen, wie der alte, dicke, hohe Kirchturm sich von dem fernen Meere so ruhig absetzt und wie schön das graue Gewölke des Himmels wiedergegeben war! Einen Schatz besitzt ferner dieser Alte an einem Bilde von Peter de Laar (Bamboccio), welches eine Rückkehr von der Jagd vor einer wüst gelegenen Schenke darstellt. Der treffliche breite Pinsel, die reine sichere Zeichnung, das dunkle, saftige Kolorit waren nicht genug zu loben. Besonders ein Mädchen im blauen Pagenwams, wie es so freundlich mit einem Jagdhunde spielt, war eine fast an Mignon erinnernde Erscheinung Dann sah ich ein schönes Bild von Albrecht Dürer, den heiligen Hieronymus, ebenso einen Viehmarkt von Potter, wenn auch von geringerm Wert, und manches andere. Herausheben muß ich jedoch besonders noch ein Bild von Nicolas Poussin, der Narziß am Bach: im weiten, stillen, reich bewachsenen Tale sieht man zur Linken den Narziß, schön gezeichnet und gemalt als Hauptfigur, ihm gegenüber ahmt eine Najade (das ganz im antiken Geiste personifizierte Spiegelbild des Wassers) seine Gebärde nach, und rechts gewahrt man im Busche die verborgene Echo. Schlanke Bäume streben auf, ernste Felsen ragen im Hintergrunde hervor, und eine sehr großartig aufgefaßte Luft mit einfachen, schön gezeichneten Wolkenköpfen schließt das Ganze. Ich habe eigentlich immer einen innern Widerwillen gegen die theatralische Manier der Poussins, allein hier bei dieser großartigen Einfachheit erschien das ganz freie, gleichsam von der Natur losgelöste[458] Behandeln jeder Einzelheit völlig an seinem Orte. Ich kann den Eindruck dieser Landschaft nur mit dem einer tragischen Dichtung des Calderon vergleichen.

Ich schied mit stillem, aber innigem Dank. – Zwei Tage später war ich wieder in Dresden.

1

das man jetzt das Alte Museum nennt.

2

Man sah damals noch in allen diesen verschiedenen Galerien gesondert, was später in einem Museum vereinigt wurde.

3

Von Terborch. Von Goethe als »die sogenannte ›Väterliche Ermahnung‹ von Terburg« in »Die Wahlverwandtschaften« (2. Teil, 5. Kapitel) beschrieben. (Anm. d. Herausgebers.)

Quelle:
Carus, Carl Gustav: Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten. 2 Bände, 1. Band. Weima 1966, S. 445-459.
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