Erste Jugend

[3] Mußt Du Gram im Herzen tragen

Und des Alters schwere Last,

Rufe Dir aus jüngeren Tagen

Die Erinnerung zu Gast!

(Kußmaul)


In der fruchtbaren Ebene, die nach Süden vom Vorgebirge der Eifel und im Osten von dem Villegebirge begrenzt ist, liegt die kleine Kreisstadt Euskirchen, mein Geburtsort, nur wenig entfernt von dem Erftfluß, der in der Eifel entspringt und zu Neuß in den Rhein mündet.

Die Stadt wird durchflossen von mehreren Bächen, die den dort heimischen Industrien sehr zustatten kommen und uns Knaben reichlich Gelegenheit zur Übung von Wasserkünsten gaben.

Sie zählte vor 60 Jahren etwa 3500 Einwohner, von denen wohl die Hälfte vom Ackerbau lebte, der sich in der fruchtbaren Umgebung lohnte. Außerdem gab es eine alte Tuchindustrie, die vorzugsweise für den Heeresbedarf arbeitete und die in den Kriegsjahren 1864/66 und 1870 durch die zahlreichen »Kommiß«-Lieferungen der Stadt viel Wohlstand brachte. Weniger lohnend war der Betrieb mehrerer Gerbereien, welche die in den benachbarten Wäldern reichlich vorhandene Eichenrinde verarbeiteten. Endlich war die Stadt der Mittelpunkt des Kleinhandels für die ländliche Umgebung und hatte den Vorzug, auf 30 km ohne Konkurrentin zu sein. Diese günstige Lage hat Euskirchen später zum Eisenbahnknotenpunkt gemacht und ihm eine rasche vorzugsweise industrielle Entwicklung gebracht. Der Bau der ersten Eisenbahn, die um das Jahr 1862 eröffnet wurde, war für die ganze Bevölkerung und nicht am wenigsten für die Jugend ein staunenerregendes Ereignis. Dasselbe galt für die Anlage der Gasbeleuchtung, die ungefähr in die gleiche Zeit fiel.

Die Stadt war in früheren Jahrhunderten befestigt und die alten Mauern mit Türmen, Wällen und Wassergräben waren in meiner Jugend noch teilweise erhalten. Sie haben uns viel Kurzweil bei unseren Spielen verschafft. Besonders vertraut war uns der sogen. Judenwall, wo wir uns spielend und auch den Boden durchwühlend öfters herumtrieben und von wo aus wir staunend Einblick in den Betrieb einer tiefer gelegenen Gerberei hatten.

Mein Elternhaus lag einige Minuten vor der alten Stadt, an der nach Cöln führenden Landstraße. Der Gebäudekomplex bestand aus[3] zwei geräumigen Wohnhäusern, wovon das eine von meinem Onkel bewohnt war, einem Geschäftshause, verschiedenen kleinen technischen Betrieben und einigen bescheidenen landwirtschaftlichen Baulichkeiten, die einen großen Hof umschlossen.

Dieses Ganze war umgeben von Gärten, die auf der einen Seite an einen Bach grenzten und von einem kleinen Wassergraben durchzogen waren.

Hier bin ich am 9. Oktober 1852 geboren als letztes und achtes Kind meiner Eltern. Von meinen Geschwistern waren ein Knabe und ein Mädchen vorher gestorben, alle anderen waren Schwestern, von denen die älteste mir um 14 Jahre voraus war.

Man kann sich denken, daß unter diesen Umständen meine Ankunft den Eltern viel Freude gemacht hat, und daß mir auch später ein gewisser Vorzug gewährt wurde.

Die Schwestern haben ihr Interesse an dem einzigen Bruder, den sie nur den »Jungen« nannten, in der mannigfaltigsten Weise bekundet, und ich habe mich ihrer Erziehungskünste des öfteren erwehren müssen, so daß eine gewisse Abneigung gegen junge Damen bei mir über die Knabenjahre hinaus hängen blieb.

Glücklicherweise waren die Verhältnisse in dem Hause meines Onkels, das nicht allein durch den Hof, sondern auch durch den Speicher und einen besonderen Korridor mit unserm Hause in direkter Verbindung stand, gerade umgekehrt; denn es gab dort fünf Söhne und eine Tochter, die merkwürdigerweise wie ich die Jüngste war.

Wenn mir die allzu weibliche Behandlung im eigenen Hause zu viel wurde, so zog ich mit Erlaubnis der Eltern für einige Tage ins Nachbarhaus, bis ich dort durch reichliche Prügel von seiten der stärkeren Vettern belehrt, wieder in die mildere Atmosphäre des eigenen Heims gerne zurückkehrte.

Mein Vater Laurenz Fischer betrieb zusammen mit seinem Bruder August ein kaufmännisches Geschäft, hauptsächlich in Kolonialwaren, Wein und Spirituosen. Außerdem besaßen sie eine Wollspinnerei, die aber auf einem Dorfe Wißkirchen, etwa eine Stunde von Euskirchen, gelegen war und ursprünglich mit Wasserkraft, später mit Dampf betrieben wurde.

An dem gesamten Geschäft war noch ein anderer Onkel, Friedrich Arnold beteiligt, der in Flamersheim, dem Stammsitz der Familie, wohnte und dort das vom Großvater her stammende Anwesen verwaltete.

In der eben geschilderten Umgebung zu Euskirchen habe ich eine überaus glückliche Jugend verlebt. Der Betrieb des kaufmännischen Geschäfts, das die Krämer der Umgegend bis weit in die Eifel hinein mit[4] Waren versorgte, brachte reges Leben mit sich. Der Verkehr im Kontor, den Lagerräumen und auf dem Hofe hat mich lebhaft erinnert an die Schilderungen, die Gustav Freytag in dem Roman »Soll und Haben« von dem Kaufmannshause zu Breslau entwarf. Allerdings waren die Verhältnisse bei uns trotz des Wohlstandes der Firma bescheidener. Aber dafür war das Ganze in sehr viel heiterere Farben gekleidet. Die lebhafte Art der rheinischen Bevölkerung und die glückliche humoristische Veranlagung der Geschäftsinhaber gaben sich trotz der sehr geordneten, nach den strengen Grundsätzen kaufmännischer Ehrbarkeit geregelten Geschäftsführung in zahlreichen munter und scherzhaft geführten Gesprächen kund.

Ein kleiner landwirtschaftlicher Betrieb, der im wesentlichen die Bedürfnisse des eigenen Hauswesens befriedigte, trug dazu bei, das Gesamtbild mannigfaltiger und für uns Kinder interessanter zugestalten.

Man denke sich dazu zwölf jugendliche Personen, die auf dem Hof und in den Gärten eine einzige Familie bildeten und die später, als meine Schwestern verheiratet waren, noch durch Enkel vermehrt wurden, und man wird sich eine Vorstellung machen können von der vielfachen Kurzweil, die wir alle in diesem Kreise gefunden haben.

In der früheren Jugend waren es Spiele verschiedener Art, vom Ballspiel bis zum Indianerwigwam, vom Fisch- und Vogelfang bis zum Bivouak, dann Kämpfe der verschiedensten Art unter uns Knaben oder in geschlossener Phalanx gegen feindliche Kräfte. Die Schlachten, in denen man sich nicht allein der Fäuste und Stöcke, sondern auch des Steinwurfs und der Schleuder bediente, arteten zuweilen bis zur Lebensgefährlichkeit aus und mußten dann durch den Eingriff von erwachsenen Personen beendet werden.

Mit dem zahlreichen Dienstpersonal, besonders mit den Knechten, standen wir auf vertrautestem Fuße, und die Unterhaltung wurde hier ausschließlich in dem derben niederrheinischen Dialekt geführt. Selbstverständlich hatten wir alle Spitznamen. Ich wurde »Baron« genannt, ob wegen des üppigen Ernährungszustandes oder wegen der besseren Kleidung, ist mir immer ein Geheimnis geblieben.

Von Verzärtelung war weder in körperlicher noch seelischer Beziehung die Rede. In leichtester Kleidung schlugen wir uns tapfer durch den Winter, und die einzigen Schmerzen, deren ich mich aus der frühen Jugend erinnere, kamen von Panarizien an verletzten Fingern oder von erfrorenen Füßen oder von Stiefeln, die durch Schneewasser hart und eng geworden waren.

Beim Eissport bin ich mehrmals eingebrochen, einmal sogar in eine Jauchengrube bis über den Kopf eingetaucht, und als ich in diesem Zustande nach Hause kam, stark beschmutzt und übel duftend, wurde[5] ich trotz der scharfen Kälte außerhalb des Hauses ausgezogen. Alles das ging ohne Schaden vorüber.

Ein anderes Mal fiel ich von einem mit Wollballen beladenen Wagen kopfüber auf das Pflaster des Hofes und kam mit einer ziemlich tiefen, stark blutenden Kopfwunde ins Haus. Dort begrüßte man mich mit den tröstlichen Worten: »Besser ein Loch im Kopf als in der Hose.«

Allerdings gab es auch ernstere Unfälle. Beim Spielen mit Pulver wurde ich durch den Leichtsinn eines Kameraden im Gesicht und am Kopf stark verbrannt. Diesmal gab es einen größeren Schrecken, denn als ich mit geschlossenen Augen, geführt von einer alten Frau vor meiner Mutter erschien, hielt sie mich für erblindet und brach in lautes Schluchzen aus. Glücklicherweise ging aber das Unglück wiederum bei guter ärztlicher Behandlung ohne dauernden Schaden vorüber, und ich hatte noch die Genugtuung, bei hartnäckigem Schweigen keinen Mitschuldigen verraten zu haben. Das Gefühl der Solidarität war bei uns Knaben überhaupt in hohem Maße entwickelt, besonders galt das auch in der Schule, wo jede Lüge in unseren Augen gerechtfertigt war, wenn sie dazu diente, Kameraden vor der Strafe zu schützen.

Es war damals Sitte, die Kinder schon mit fünf Jahren zur Schule zu schicken, und dasselbe Schicksal wurde auch mir zuteil; denn einen Tag nach meinem 5. Geburtstage wurde ich von meinen älteren Schwestern mit zur Schule genommen.

Da die Volksschule meiner Vaterstadt unter dem Einfluß der katholischen Geistlichkeit stand und über den kirchlichen Übungen der eigentliche Unterricht vernachlässigt wurde, so hatte mein Vater eine protestantische Privatschule ins Leben gerufen und dafür glücklicherweise einen ausgezeichneten Lehrer, Herrn Vierkoetter gewonnen. Dieser unterrichtete die Kinder von 5 bis 14 Jahren in einem Raum. Eine strenge Einteilung in Klassen gab es nicht. Trotzdem war der Unterricht in allen Elementarfächern ausgezeichnet, sodaß sowohl meine Schwestern wie ich beim Eintritt in andere Schulen den Altersgenossen im Wissen voraus waren. Der Lehrer ging sogar so weit, die begabteren Schüler und Schülerinnen in euklidischer Mathematik zu unterrichten, und es erregte in späteren Jahren große Heiterkeit, als meine Schwester Fanny ihrem Gatten, einem Holzhändler, in dessen Geschäft die Ausziehung einer Kubikwurzel unerwarteterweise nötig wurde, aus der Verlegenheit half, indem sie diese Aufgabe nach den bei Herrn Vierkoetter erworbenen Kenntnissen löste.

Der gute Unterricht, den wir hier genossen, war allerdings nur möglich bei der geringen Zahl der Schüler, die kaum 20 überstieg; denn die Schule wurde ursprünglich nur von Kindern der wenigen protestantischen Familien und einigen Judenkindern besucht. Erst später[6] baten auch einzelne aufgeklärte Katholiken um die Erlaubnis, Kinder dorthin schicken zu dürfen. Das war zu der damaligen Zeit schon ein kleines Wagnis; denn der Gegensatz zwischen den beiden Konfessionen war recht stark und machte sich namentlich auch für uns Kinder häufig in recht unangenehmer Weise bemerkbar. Als sogen. Blauköpfe, auch kalvinische Kalbsköpfe, wie wir Protestanten genannt wurden, haben wir Fischer-Jungen manche Prügel einstecken müssen, wenn die Überzahl der katholischen Knaben eine erfolgreiche Verteidigung aussichtslos erscheinen ließ.

Bei anderer Gelegenheit, wo wir nicht vereinzelt, sondern als gesammelte Macht auftreten konnten, ist uns aber auch mancher Sieg zuteil geworden. Bei diesen Heldentaten spielte in der Regel die Hauptrolle mein Vetter Lorenz Fischer, der später auch im Kriege 1870 als Soldat und außerdem im Zivilleben als Jäger hervorragende Leistungen aufwies.

Als ich 9 Jahre alt wurde, gab der Lehrer Vierkoetter seine Stellung in Euskirchen auf, weil ihm der viel einträglichere Posten eines Inspektors an der Besserungsanstalt zu Brauweiler übertragen wurde.

Ich trat deshalb in die höhere Bürgerschule meiner Vaterstadt über, welche, wie die damaligen Progymnasien, 4 Jahresklassen mit lateinischem, griechischem und französischem Unterricht umfaßte. Sie war in den Nebenräumen der Klosterkirche untergebracht und stand unter Leitung katholischer Priester. Der Rektor, Kaplan Heine, war eine ausgeprägte Persönlichkeit, tyrannisch, jähzornig, aber trotz alledem ein recht guter Lehrer, der auch auf seine Kollegen anregend wirkte und damit der Schule in bezug auf Leistungen eine ebenbürtige Stellung mit den staatlichen Gymnasien verschaffte.

Die Handhabung der Schuldisziplin war allerdings recht willkürlich, und mir passierte eine Ungerechtigkeit, die mir zum erstenmal den großen Wert väterlichen Schutzes zum Bewußtsein brachte.

Ein Mitschüler, namens Flecken, bekannt durch Gewalttätigkeit, hatte mir ohne jeden Grund ein Spielzeug entrissen und in den Schmutz geworfen. Ich beantwortete diese Herausforderung, indem ich ihm die Mütze vom Kopfe riß und in denselben Schmutz hineinwarf. Er ließ sie trotzig liegen und erstattete dann beim Rektor Heine die Anzeige meiner angeblichen Missetat. Meine Entschuldigung, daß ich der Angegriffene gewesen sei, wurde kaum angehört, und ich erhielt den Befehl, die Mütze in ordnungsmäßigem Zustand wieder herbeizuschaffen. Das war aber nicht möglich, da sie inzwischen von fremder Hand entwendet war. Infolgedessen erhielt ich zunächst eine Arreststrafe, so daß ich nicht zum Mittagessen gehen konnte und den ganzen Tag hungernd in der Schule bleiben mußte. Als am nächsten Tage die[7] Mütze noch immer nicht zur Stelle war, wurde ich von dem Herrn Rektor nach Hause geschickt mit der Bemerkung, ich sei von der Schule entlassen.

Jetzt hielt mein Vater es an der Zeit, einzugreifen, und sandte mich am nächsten Tage mit einem Brief an den Herrn Rektor zur Schule zurück. Ich habe den Inhalt desselben niemals kennen gelernt, aber es mag manches kräftige Wörtlein drin gestanden haben von willkürlicher Behandlung des kindlichen Streites und vom Appell an die Staatsregierung, falls der Rektor seinen ganz ungesetzlichen Ausweisungsbefehl aufrechterhalte.

Die Wirkung dieses Briefes war in der Tat erstaunlich. Ich konnte ruhig meinen Platz in der Schule wieder einnehmen und habe mich seitdem einer guten und gerechten Behandlung erfreut. Ja, ich kann sogar sagen, daß ich mit dem Herrn Rektor später auf recht gutem Fuße stand; denn er liebte wie ich die Mathematik und er freute sich, mir schwierige Probleme klar zu machen. Ich habe ihm ein besseres Gedenken bewahrt als den meisten anderen Lehrern aus der Gymnasialzeit.

Noch nicht 13 Jahre alt wurde ich aus der Tertia der letzten Klasse der Schule mit einem guten Zeugnis entlassen und mußte nun auf ein Gymnasium übertreten.

Bis dahin waren alle Söhne der Familie, die sich höheren Studien zuwenden wollten, in das Gymnasium der früheren Universitätsstadt Duisburg eingetreten, da es unter protestantischer Leitung stand, einen guten Ruf genoß und auch nicht allzu weit von unserer Heimat entfernt war.

Aber unglücklicherweise war es kurz vorher meinem Vetter Ernst Fischer auf der Sekunda dieses Gymnasiums schlecht ergangen; er war bei einem kleinen Verstoß gegen die Schulregeln ertappt und zu einer verhältnismäßig hohen Karzerstrafe verurteilt worden.

Da die Strafe auch von unseren Eltern als zu hart angesehen wurde, so nahm man ihn von der Schule weg und diese kam dann überhaupt für unsere Familie in Verruf. Es wäre nun für uns am einfachsten gewesen, ein Gymnasium in Köln, Bonn oder Aachen zu wählen, aber meine Eltern und ganz besonders meine Mutter legten Wert darauf, daß wir eine protestantische Schule besuchten, und so fiel die Wahl auf Wetzlar, obschon diese Stadt eine volle Tagereise von unserer Heimat entfernt war. Um sicher zu gehen und um unseren starken Drang nach Selbständigkeit zu schonen, rieten uns die Eltern selbst, zuvor Wetzlar anzusehen und ein passendes Quartier auszusuchen.

So reiste ich denn in den Herbstferien 1865 mit meinem Vetter Ernst Fischer, der 4 Jahre älter war, und in Begleitung von Vetter Lorenz über Cöln nach Wetzlar. Die altertümliche Stadt gefiel uns. Wir fanden auch bald ein nach unserem Begriff gutes und vor allen[8] Dingen freiheitliches Quartier bei einem Bürger, der den größeren Teil seines Hauses an Gymnasiasten und einjährigfreiwillige Soldaten, die im dortigen Jägerbataillon standen, vermietete.

Nach der raschen Beendigung der geschäftlichen Angelegenheit setzten wir vergnügt unsere Reise fort über Gießen nach Frankfurt a.M. Diese alte Stadt mit ihren vielen Sehenswürdigkeiten und historischen Erinnerungen hat auf uns einen großen Eindruck gemacht. Aber unser Aufenthalt erfuhr eine jähe Unterbrechung, veranlaßt durch einen Besuch in einem Mädchenpensionat, wo meine jüngste Schwester Mathilde als 17-jähriger Backfisch zur jungen Dame erzogen wurde. Sie war außer sich vor Freude, den Bruder und die Vettern so unerwartet wiederzusehen und bestürmte uns sofort mit der Bitte, sie in einen Zirkus zu führen, der damals in Frankfurt gastierte.

Die Leiterin der Pension gab nach einigem Widerstreben ihre Einwilligung, stellte aber die Bedingung, daß wir außer der Schwester noch eine zweite junge Dame und eine Lehrerin zur Aufsicht mitnehmen und dann den ersten Platz besuchen müßten.

Mit vornehmer Ritterlichkeit gingen wir auf diese Bedingungen ein. Aber die Auslagen waren für unsere bescheidene Reisekasse zu groß, und am nächsten Morgen beeilten wir uns, die schöne aber teure Stadt zu verlassen. Das übrig gebliebene Geld reichte noch gerade aus, um auf den billigsten Plätzen über Mainz, dann mit dem Schiff rheinabwärts über Bonn nachhause zurückzukehren. Es war meine erste größere Reise, hatte 7 Tage gedauert und hinterließ bei mir einen so günstigen Eindruck, daß die Reiselust mir bis ins Alter treu geblieben ist.

Bald darauf kam der Abschied vom Elternhause, in das ich nun viele Jahre hindurch nur noch in den Schulferien zurückkehrte. Der glücklichste Teil der ersten Jugend war vorüber; denn ich habe es draußen niemals so gut gehabt, wie unter dem Schutze und in der fröhlichen Atmosphäre des Vaterhauses.

Trotz des Wohlstandes, der von dem erfolgreichen Betrieb des Geschäftes herstammte, war unser materielles Leben zwar recht behaglich, aber doch einfach. Verwöhnt waren wir nur durch die gute, kräftige und wohlschmeckende Nahrung, auf deren Zubereitung man im Rheinland damals viel größeren Wert legte als in den meisten übrigen Teilen Deutschlands.

Auch der Wein floß reichlich in unserem Hause, in dem häufig Gäste verkehrten. Aber es war strenge Regel, daß wir Kinder unter 14 Jahren von dem Genuß aller geistigen Getränke ausgeschlossen wurden. Vor allen Dingen stand das Familienleben im Zeichen der Fröhlichkeit, die durch das Wesen meiner Eltern und ihre glückliche Ehegemeinschaft bedingt war.

Quelle:
Fischer, Emil: Aus meinem Leben. Berlin 1922, S. 3-9.
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