Heidelberg 1873.

[103] Nie hatte ich die Absicht, in Jena mein Leben zu beschließen, wie sehr auch die langen, dort verlebten Jahre und vieles Erfreuliche dafür hätten sprechen können. Es trieb mich eben nach dem Süden, aus welchem ich gekommen war, und so wurde der Weggang von Jena nicht schwer. Er wurde durch Manches, was die letzten Tage brachten, sogar erleichtert. Viele hielten meine gute Frau für die Ursache, zumal sie eine Heidelbergerin war. Das war das größte Unrecht, denn sie hat niemals auch nur mit einem Worte in jener Richtung gesprochen. Der Curator meinte, ich könnte wohl warten, bis ich nach Berlin berufen würde, was bald bevorstände. Eine solche[104] Berufung lag gar nicht im Bereiche meiner Wünsche, besonders wenn ich daran dachte, in welcher Art Johannes Müller ersetzt wurde, und wie in Berlin das Geringe in der Wissenschaft so bald zur Herrschaft gelangte.

Mit letztem Gruße von Freund Haeckel fuhren wir von Jena weg und befanden uns bald in Heidelberg. Seitdem habe ich Jena nicht wieder gesehen.

In Heidelberg entstanden mir mancherlei Bedenken, weniger durch die Wohnung, die nach ein paar Jahren durch den Erwerb eines eigenen gut gelegenen Häuschens mit kleinem Garten sich in befriedigender Weise gestaltete. Aber die medicinische Facultät – sollte richtiger Difficultät heißen – war bei meiner Berufung getheilt.

Diese ging aus und ward gefördert von einem Manne, der nicht germanischer Herkunft war und jetzt nicht mehr lebt.

Es währte nicht lange, bis ich in der neuen Stelle mich vollkommen heimisch fühlte, so dass eine Berufung nach Holland, später auch eine Anfrage wegen Straßburg, keinen Reiz für mich hatten, wenn ich mich auch darüber freuen konnte, dass[105] man noch an mich dachte. An Thätigkeit habe ich es auch in dieser Periode nicht fehlen lassen, und die mir gestellten Aufgaben wurden durch die Zeit nicht vermindert. Ich war der Nachfolger meines Schwiegervaters Fr. Arnold, der seit dem Jahre 1833 an mehreren süddeutschen Universitäten gelehrt hatte. Er war ein würdiger Herr, offen, bieder und ein Freund der Wahrheit, woraus ihm manche Gegner entstanden, wie dieses ja gewöhnlich der Fall ist. Ein ausgezeichneter Lehrer und beliebt bei seinen Schülern; hat er in der Anatomie doch keine dauernde Bedeutung gewonnen, wenn auch nicht mit Recht. Sehr frühe durch Untersuchungen über das Nervensystem, auch in Frankreich, ein berühmter Mann geworden, blieb er mit deren Auftreten der Zellenlehre, sowie den daran anknüpfenden, rasch sich vermehrenden Forschungen fern. Obgleich er kein Feind des Mikroskops war und auch in alten Tagen sich noch damit beschäftigte, so waren doch für jene Zeit wichtige geltende Thatsachen an ihm vorübergegangen, und andere ernteten den Ruhm. Was hat es aber heute zu bedeuten, ob diese oder jene Zelle, so oder so geformt, an diesem oder jenem[106] Gewebe betheiligt ist. Es gewannen andere Fragen die Oberhand, und die damaligen Gegner Arnold's sind durch die Zeit mit ihren neuen Problemen längst überwunden.

Meine hiesige Anstalt besaß eine große Sammlung, welche einer Umänderung bedurfte, da in ihr Raum zu gewinnen nöthig war. Dabei entstand in einem großen Saale eine feuchte Wand, die mich bei der Regierung zu einem Gesuch veranlasste, auf welches vom badischen Landtage sieben Vertreter desselben zur Einsichtnahme erschienen. Sie zogen ohne jedes Bedenken wieder ab, und so blieb es beim Alten. Aber es währte nicht lange, bis mich eine schwere Erkrankung 1881 befiel, welche nach der Aussage des Arztes in der Feuchtigkeit der anatomischen Anstalt ihre Ursache hatte und mich für ein halbes Jahr aufs Lager warf. Meiner lieben Frau hatte mein Zustand große Sorge bereitet. Ende des Sommers erfolgte meine Genesung, welche von Dauer blieb. Bald ließ die Regierung aus eigenem Antriebe die nöthige bauliche Veränderung der Anstalt vornehmen, wobei sich ein Wasserlauf da, wo ein Keller hergestellt wurde, ergab.[107]

Endlich muss ich hier noch des schon 1852 bei den Jesuiten in Rom besuchten Verwandten gedenken, welcher zum Erzbischof von Freiburg i. Br. ernannt war und auf der Reise dorthin starb. Wie der Nekrolog in der Zeitung meldete, hinterließ derselbe nur zwei kleine Schriftchen, die Einführung des römischen Ritus in Fulda betreffend, die ganze Thätigkeit eines wissenschaftlich gebildet sein sollenden Mannes! An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!

Haeckel hat mich oftmals in Heidelberg durch seinen Besuch erfreut, das letzte Mal noch vor einem Jahre, bevor er seine Reise nach »Insulinde« antrat.

Meine Thätigkeit in Heidelberg setzte Früheres fort, dazu begann ich auch etwas mir Neues in der Bearbeitung eines Lehrbuch der Anatomie des Menschen, auf den schon in der vergleichenden Anatomie gewonnenen Grundlagen. Es konnte hierdurch dem Unterricht in größerer Ausdehnung genützt werden. Die Brauchbarkeit des Buches erwies sich durch sieben Auflagen, in welchen allmählich je zwei Bände entstanden. Meine Beschäftigung mit vergleichender Anatomie hat die[108] Meinung bei Manchen entstehen lassen, ich sei gar kein Anatom, sondern nur ein Zoologe, als ob das etwas Geringeres wäre!

Auch noch in etwas anderer Art war mir literarische Wirksamkeit vergönnt. Während in Jena die Universität mich vielseitig in Anspruch nahm, durch die Fortsetzung einer schon älteren wissenschaftlichen Gesellschaft und ihre zeitgemäße Umgestaltung, auch mit Herausgabe einer Zeitschrift, von welcher die ersten Bände mir schon durch die Mahnungen an die Mitglieder zeitraubend waren, ward mir mit der Übersiedelung nach Heidelberg größere Freiheit. Ich beschloss jetzt die Herausgabe einer selbständigen Zeitschrift, die ich Morphologisches Jahrbuch nannte, und die bereits in einer Serie von Bänden erschienen ist. Möge sie auch ihrem Zwecke entsprechen, wenn sie nicht mehr unter meiner Leitung erscheint!

Bei jüngeren Freunden fand ich treue Unterstützung, vor Allen muss ich hier Max Fürbringer nennen, der in Heidelberg mein Nachfolger ward. Er stand mir schon in Jena sehr nahe. Oskar Hertwig, Georg Ruge, ebenso Friedrich Maurer haben ihr Ziel erreicht. Hermann Klaatsch,[109] welcher noch in Heidelberg ist, gilt als ausgezeichneter Lehrer.

Für das Einleben in Heidelberg hatte dessen Umgebung einen bedeutenden und von mir voll gewürdigten Einfluss. Die Richtung des Neckarthales von Ost nach West war mir erfreulicher als das von Süd nach Nord verlaufende Thal der Thüringer Saale, und schon die Vorstellung jetzt in der Nähe des Rhein zu sein war ein Gewinn. Die waldbedeckten, auf beiden Seiten über die Stadt ziehenden Berge im östlichen Anschlusse zum Theil an den Odenwald ließen öftere Spaziergänge entstehen und weitere Ausflüge, wobei ich Kuno Fischer zum Begleiter hatte. Mit diesem, der kurz vor mir Jena verlassen hatte, war ich befreundet, und er blieb in dieser Gesinnung bis in unser hohes Alter, wo er mich noch durch häufigen Besuch erfreut, während mir das Gehen versagt ist! Ich besitze an ihm einen treuen Freund in des Wortes vollster Bedeutung. Von den gemeinsamen Unternehmungen sind mir manche in guter Erinnerung. Nach dem Hohenstaufen, wo die Ruine mit der Inschrift: »hic transibat Caesar« an den alten Schwabenkaiser mahnt. Der geologische Aufbau des Berges[110] mit seinen Stufen macht den Namen verständlich. Drüben im Thale wurde Lorch besucht mit den Denkmälern in seiner Kirche. Auch zum Bodensee führte uns ein Ferienausflug mit Kuno Fischer und von da über den Gotthard nach dem Comersee zu einer Zeit, da noch keine Eisenbahn jenen Berg überschritt.

Es war mir immer eine Erfrischung, mit jenem geistvollen Mann verkehren zu dürfen, mit welchem die Gemeinsamkeit vieler Anschauungen über die Dinge mich verbindet. Ich habe Vieles von ihm gelernt und fühle mich dankbar bewegt, wenn ich an die mit Kuno Fischer gepflogenen Unterhaltungen denke.

In der in der Regel Mitte August oft auch nicht fern vom Anfange dieses Monats für mich beginnenden Ferienzeit dienten Reisen zu meiner Erholung. Manchmal trat ich eine solche schon für die Osterferien an, wenn Italien besucht werden sollte. Da war es die Riviera di Levante, wo Sta. Margarita mehrmals besucht wurde; meine Tochter war dabei die Begleiterin.

In den späteren Jahren blieb es bei der Reise im August, und das Ziel war dann der Heiligenberg,[111] oberhalb Meersburg am Bodensee. Es war mir ein sehr sympathischer Ort, im Besitze des Fürsten Fürstenberg, dem ein schön gelegenes stattliches Schloss dort gehört. Diese meine Secessio in montem sacrum, wie ich sie nannte, habe ich in einer Reihe von Jahren unternommen, manchmal von der lieben Frau begleitet, zuweilen auch von meinen Kindern. Die Unterkunft im Gasthause zur Post war befriedigend. Die waldige Umgebung bot schöne Spaziergänge nach allen Richtungen, aber das Beste blieb bei gutem Wetter die prachtvolle Ansicht der Alpen von den Allgäuer Bergen bis zum Jura. Der Heiligenberg bot auch im Sommer stets gebildete Gesellschaft, meist Schwaben, und war mir, so lange ich noch reisen konnte, der liebste Aufenthalt: »Ille terrarum mihi praeter omnes angulus ridet!« Schön ist auch der Weg dahin, über Constanz und Meersburg durch zahlreiche Dörfer schon höher empor, von Feld und Wald begleitet. Das große, ich glaube Prämonstratenser Kloster Salem nicht weit vom Anfange jener Straße, jetzt ein prinzlicher Sommersitz, beherrschte vor Abschaffung der Klöster die ganze Gegend, die ihm zinspflichtig[112] war. Es war die Aufhebung der Klöster in Baden für das ganze Land ein dankbar anzuerkennender Schritt, welcher natürlich bei der Geistlichkeit keine Zustimmung gefunden hat, wie denn auch die Versuche einer theilweisen Errichtung von Klöstern sich oft wiederholen. Ein Nonnenkloster in Baden-Baden hat längst dazu den Anfang gemacht.

Die Verschiedenheit der deutschen Stämme hat sich in erfreulicher Weise erhalten, wenn auch nicht allgemein.

Es mag dann kommen, dass längst Verschwundenes wiederkehrt, und ein Rückschritt für einen Fortschritt gehalten wird, welcher in Deutschland doch niemals auf dem von Rom vorgeschriebenen Wege ging.

Von meinen Kindern ward das Interesse für die Kunst allgemein gehegt, und ich sehe dies als einen Atavismus an, welcher von meiner seligen Mutter seinen Ausgang nahm. Meine älteste Tochter ist mit einem von uns hochgeschätzten Major verheirathet, wie ich früher schon einmal erwähnt habe. Mein Enkel ist ein vielversprechender junger Mann. Meine zweite Tochter hat sich zur Künstlerin entwickelt, welche in ihrem erfolgreichen Streben mir viele[113] Freude macht. Mein Sohn, der Jurisprudenz studirte und Doctor geworden ist, lässt durch seine Strebsamkeit nur Gutes und Schönes erwarten. So will ich denn hoffen, dass die in meiner Familie waltende Eintracht auch noch nach mir fortbestehe.[114]

Quelle:
Gegenbaur, Carl: Erlebtes und Erstrebtes. Leipzig 1901, S. 103-115.
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