Wanderjahre.

In [55] Deutschland.

Vom deutschen Vaterlande hatte ich sehr wenig gesehen. Hatte ich auch von Arnstein manche Fußreise unternommen, im herrlichen Thal der fränkischen Saale oder auf die hohe Rhön, und einen Besuch Münchens und des bayrischen Hochgebirges von Berchtesgaden aus, so war ich doch selbst im engeren Vaterlande nicht viel mehr als ein Fremdling. Norddeutschland war mir so gut wie unbekannt, und dahin war die erste größere Reise gerichtet. In Begleitung meines theuren Bruders ging ich über Wunsiedel und Hof nach Leipzig, von da über Meißen nach Dresden, wo die Gemäldegalerie, welche noch in ihrer alten Ordnung[56] sich befand, einen längeren Besuch verlangte. Die Brühl'sche Terrasse und Manches in Dresdens Umgebung gefiel mir ausnehmend, war ich doch zum ersten Male in einer bedeutenden Stadt. Dann ging die Reise über Oschatz nach Berlin, wo mich die brüderliche Begleitung leider wegen Erkrankung verlassen musste. In Berlin fand ich weniger an dem, was die Stadt damals bot, als an einer Persönlichkeit, an dieser aber das höchste Interesse; es war der Physiolog Johannes Müller. Er hatte mir gestattet, ihn mehrmals in seiner Anstalt zu besuchen, und ich fand das freundlichste Entgegenkommen. In der Physiologie längst ein großer Meister, hatten ihn seine Forschungen zu niederen Thieren geführt, und der Besuch von Seeküsten hatte bedeutungsvolle Ergebnisse geliefert. Ich kann sie hier nicht aufzählen, und nur die großen Arbeiten über die Entwicklung der Echinodermen seien erwähnt. Die Entwicklung der Synapten hatte den tief denkenden Mann in Triest zu Problemen geführt, welche ihn sogar peinigten. Sie kamen aus derselben Quelle wie später die Entstehung der Arten aus dem Kampfe ums Dasein; Dinge, von denen damals noch keine Rede war.[57] Durch Johannes Müller war aber vieles später zu großem Werthe Gelangende schon vorbereitet, und zahlreiche Schüler, von denen Ernst Haeckel in jeder Hinsicht bei Weitem der bedeutendste war, folgten ihm.

Auf der Bahn Johannes Müller's befand ich mich auch damals, in der Absicht, über Hamburg nach Helgoland zu gehen. Zum ersten Male ans Meer! Wie ich auch mich vorbereitet glaubte, so fand ich mich doch dem vielen Neuen gegenüber fremd. Es waren ja nicht bloß mir neue Thierformen, die ich zum ersten Male sah, sondern auch viele Entwicklungsstadien, die zu bestimmen waren. Auch die Vegetation im Meeresgrunde erregte mein Interesse. Ein Fischer, welcher vor mir schon Andere bedient hatte, fuhr mich ins offene Meer, zum Fischen mit dem feinen Netze nach mancherlei Larven. Groß war die Ausbeute nicht, allein es kamen mir doch viele neue Thiere zu Gesichte, deren ich auch durch Untersuchung des Ufers habhaft wurde. Was zu zergliedern war, wurde zergliedert und auch zu zeichnen versucht, aber im Ganzen ist mir doch nur ein geringer Vortheil geworden, da ich über Vieles in der Technik z.B.[58] selbst zu sehr im Unsicheren war. Hätte ich auch Manches zu einer Publikation verwerthen können, so scheute ich mich doch vor Ergebnissen zweifelhaften Werthes für die Wissenschaft.

Ich habe so den Aufenthalt in Helgoland nur als einen Versuch zu betrachten, welcher zwar nicht misslang, aber doch ohne bedeutende Resultate blieb. Ich war aber bemüht, in Helgoland auch in anderer Hinsicht zu lernen. Mich interessirte in hohem Maße auch die Geologie der immer mehr sich abbröckelnden Insel, die dem gänzlichen Verschwinden entgegen geht, wobei durch alle Versuche auf der benachbarten Düne kein Ersatz werden kann. »Grün ist das Land, roth ist die Kant', weiß ist der Sand, das sind die Zeichen von Helgoland!«

Dem ersten Aufenthalte folgten später noch mehrere, manche nur zur Erholung, und immer blieb mir die Insel in freundlicher Erinnerung. Das zweite Mal wurde die Rückkehr nach Würzburg über Düsseldorf und Coblenz genommen, nachdem mein Oberarzt durch eine Hummersendung wegen meines längeren Ausbleibens versöhnt war. Von Coblenz begab ich mich ins Moselgebiet, zunächst[59] nach der Eifel, zum Laacher See und endlich nach Trier, wo ich durch die vielen Überreste aus der Römerzeit nicht wenig erstaunt war.

Ich muss hierbei auch bemerken, dass damals der Hummer in Würzburg noch ein fremdes Thier war, dessen Zubereitung große Bedenken hervorgerufen hatte! Zum letzten Male im Juliushospitale war mein Aufenthalt daselbst nur von kurzer Dauer, da ich für die dortige Assistentenstelle nach Ablauf der zwei Jahre weder Verpflichtung noch Neigung besaß. Die elterliche Wohnung in Würzburg nahm mich für einige Zeit auf, bis es wieder weiter gehen sollte.

Kölliker hatte mich angeregt, nach Messina zu gehen, wo er und Heinrich Müller zu Forschungen sich längere Zeit aufhalten würden. Mein Vater trug keine Bedenken, nachdem Kölliker ihm vorgestellt hatte, dass eine solche Reise vielleicht sehr vortheilhaft für meine Zukunft sein könnte. Nur der Mutter fiel es schwer wegen des weiten Weges, und ihre Sorge um mich war groß und verursachte, wie sie mir später öfter schrieb, ihr viele schlaflose Nächte!

Endlich trat ich die Reise an, für welche ich[60] mich wenig vorbereitet fand, nicht nur für den speciellen Zweck, sondern auch mit Hinblick auf das Land. In zoologischer Hinsicht fühlte ich mich sehr ungenügend unterrichtet, und auch meine anatomische Kenntnis der Thiere war, ungeachtet meiner früheren Beschäftigung in dieser Richtung, doch mehr als lückenhaft. Zur Ergänzung und zu dem Ersatz war jetzt keine Zeit mehr. Ähnlich verhielt es sich mit meinen Kenntnissen von Sicilien. Da war es mehr die Schule, die mir durch Erinnerungen einen guten Anhalt bot und mir dadurch möglich machte, meine historischen Kenntnisse in der gewünschten Weise zu erweitern.

Ich halte die Geschichte für eine vortreffliche Lehrmeisterin, welche die Ereignisse verständlich macht, indem sie deren Ursachen erklärt. Denn es ist auch da der Zusammenhang, welcher das Wesentliche bildet, und auf den es überall ankommt. So mochte ich denn mit einiger Beruhigung die Reise unternehmen, die auch bezüglich ihrer Dauer für mein Leben ein wichtiges Ereignis blieb.


Sicilien und Italien 1852.


In der Schweiz bei Arth begann die mit der Post zurückgelegte Reise über den St. Gotthard,[61] dann zum ersten Male in südlicher Landschaft, am Lago maggiore, in sommerlicher Pracht. Von Magadino am Ende des Maggiore bei nächtlicher Fahrt immer weiter nach Süden, wo bald am Tage neue Stationen begannen, deren letzte Genua war. Nur wenige Tage verweilte ich da zur Besichtigung der großen Stadt, das Schiff erwartend, welches mich weiter bringen sollte. Es war dies der französische Orientdampfer Oronte, der seine Reise meistentheils nur nächtlich zurücklegte und einen großen Theil des Tages an seinen Stationen im Hafen hielt; das waren Livorno, Civitavecchia und Neapel. Obgleich man vor dem Ende der bestimmten Reise den Dampfer nicht verlassen durfte, so bot doch das Getriebe in den Häfen mannigfaltiges Interesse, wenn auch von den betreffenden Städten so gut wie nichts zu sehen war. Nur in Neapel war es ein großer Genuss für so Vieles, was mich später fesselte, die ersten Eindrücke zu erhalten.

Endlich kam Messina, das alte Zancle, von der Sichelform, welche den Hafen bildet. Kölliker und H. Müller holten mich von der Dogana ab, und gaben mir die erste Orientirung. Es war sehr[62] schwer, zu meinen Büchern zu gelangen, welche von der Dogana mir weggenommen waren. Während ein junger Engländer schon am anderen Tage seine Bücher erhielt, hatte ich einige Wochen darauf zu warten. Es war die Censur, welche von Pfaffen besorgt wurde und die Verzögerung verursachte. Ich wandte mich an den bayerischen Consul, der ein halber Sicilianer war. Er erklärte mir gleich, dass er nichts für mich thun könnte, ich müsste mich an den preußischen Consul wenden, was denn auch mit gutem Erfolg geschah. In der mächtigen Häuserreihe der Palazzata fand sich gute Unterkunft, und ich konnte an längeres Verweilen denken. Ein einzelnes Gebäude gehört hier verschiedenen Besitzern, jedes Stockwerk einem anderen. So verfügte auch unsere Wirthin nur über einen Stock. Die Zimmer gingen nach der Meerenge mit herrlichem Ausblicke. Drüben in Calabrien bei der klaren Luft wie ganz nahe liegend Reggio und das Gebirge krönend der Aspromonte. Die Meerenge belebten viele Schiffe, und bald ward mit dem Meere noch nähere Bekanntschaft gemacht.

Die Stadt Messina erhebt sich zum Theile nicht unbedeutend, und von der Nähe der Kirche San[63] Gregorio, einem wundersamen Baue, ist eine herrliche Aussicht.

Durch die früheren Messina besuchenden Naturforscher hatte sich bei der Jugend die Sitte verbreitet im Hafen, der besonders bei der Fluth (Rema) von Seethieren aller Art wimmelte, diese in Gläsern zu fangen und sie dann gegen geringes Entgelt in den Gasthof zu bringen. Vom frühen Morgen an kamen die Ragazzi mit ihrer Beute, welche zumeist aus pelagischen Thieren aller Art bestand. Für diese gab es wohl keine bessere Gelegenheit. Die Thiere wurden theils frisch untersucht, theils in Spiritus aufbewahrt, auch für die Untersuchung der Eier Material gewonnen. So fehlte es schon am Beginne der Arbeit nicht an Objecten, und fleißig blieb ich mehrere Monate an der Arbeit, deren Gedeihen mich, ungeachtet der Hitze, thätig erhielt.

Im Anfange des October beschloss ich einen Ausflug nach dem Ätna, der sich bisher nur durch Getöse bemerkbar gemacht hatte. Ich fuhr mit einem kleinen Dampfer nach Catania und von da mit einem Wagen höher nach Nicolosi, wo die Familie Gemmellaro mich aufnahm und auch für[64] einen Führer sorgte. Ich brachte da mit den einfachen Leuten im Garten einen gemüthlichen Abend zu. Ein Gemmellaro war Arzt und zeigte mir seine überaus einfache Wohnung, in welcher nur ein einziger Raum war, mit einer Matte bedeckt.

Am anderen Tage sollte der Aufstieg beginnen, durch mehrere kleine Dörfer, dann durch Wälder von Steineichen, Kastanien und Pinien, bis allmählich die Vegetation verschwand. Die Monti rossi finden sich unterwegs, es sind Ansätze zu kleinen Kraterbildungen. Bei eingetretenem Abend war die Spitze des Berges erreicht, während gerade der fast volle Mond aufging. Es war ein großartiger Anblick, nur wäre wärmere Kleidung erwünscht gewesen, denn es war sehr kalt. Ganz Sicilien lag unter mir. Der Weg nach dem großen von eruptiven Gesteinen aller Art übersäten Val del Bove führte zur Eruption, nicht in die Nähe, sondern nur dahin, wo sie deutlich sichtbar war. Die emporgeworfenen Steine veranlassten uns, einen Schutz zu suchen, den wir bald unter einem Felsvorsprunge fanden. Es war inzwischen sehr spät geworden, so dass der Schlaf mich überwältigte und ich unter dem Donner der Eruption einschlief, sogar träumte. Mit dem Morgen[65] begann der Abstieg, wo dann in Zaffarana, einem in herrlicher Vegetation liegenden Dorfe, im Freien eine Art von Frühstück eingenommen ward.

Nunmehr schlug ich den Weg in mehr südlicher Richtung ein, um noch Syracus zu besuchen. So lange es am Abhange des Ätnagebirges – denn es ist ja kein einzelner Berg – herunter ging, war noch Manches, was an den Vulkan erinnerte. Schlammvulkane (Macaluba genannt) verschiedenen Umfanges wurden in nicht geringer Zahl passirt. Endlich kam die Stadt Aderno, wo ich übernachtete. Es gab in der Stadt von fast 10000 Einwohnern kein einziges einigermaßen befriedigendes Wirthshaus. Die von mir aufgesuchte Locanda war ein Nest von Ungeziefer jeder Art, so dass ich froh war, als der Morgen den Aufbruch gestattete. Noch vor Syracus kommt man an den dicht am Meere gelegenen Orten Aci-Reale und Aci-Castello vorüber, aus Lava erbauten Städten am Fuße des Ätna.

Nun erhielt ich Begleitung durch einen Deutschen (Ziegler) aus Thüringen, der mir durch seine guten Kenntnisse, besonders in Bezug auf Syracus, sehr werthvoll wurde. Diese einst so[66] bedeutende alte Griechenstadt ist jetzt bis auf einen im Meere liegenden Theil verschwunden, welcher ehemals Ortygia hieß. Ein Damm verbindet dieses heutige Syracus mit dem Lande, wo zur Zeit der größten Blüthe der Stadt diese in einem Umfange von sechs deutschen Meilen bestand. Man mag daraus die Zeit bemessen, deren man auch nur zur allgemeinen Orientirung bedarf. Ich verwendete drei Tage auf meinen Besuch und kann nur von einem Theile sprechen. Die Namen Archimedes und Theokrit bezeugen das hier einst herrschende geistige Leben, welches auch in den baulichen Resten sich bekundet. Solche bestehen noch in Stücken der alten dionysischen Mauer, die sich in colossaler Größe erhalten haben. Ein griechisches Theater von gewaltigem Umfange, halb aus dem Felsen gehauen, ein Amphitheater aus römischer Zeit mit vier Eingängen. Es ist ebenfalls zum Theile aus Fels. Der Tempel des olympischen Zeus bietet noch zwei ungeheure dorische, canellirte Säulen in fast vollständiger Erhaltung. Sie stehen in theilweisem Sumpflande, wie auch ein bedeutender Theil des alten Syracus, jener, welcher dem großen Hafen der alten Stadt[67] zugekehrt ist. Ein Theil des Unterganges der alten Bauwerke muss als durch die Erdbeben veranlasst gelten, denen Sicilien so oft ausgesetzt ist.

So weit höheres Land mit Hügeln sich gegen das Meer dehnt, ist die zum alten Syracus gehörende Umgebung noch mit einiger Vegetation bedeckt, während es weiter davon mehr eben und mehr oder minder bis zum Meere sumpfig ist. Aber auch hier hat der Pflanzenwuchs an gewissen Örtlichkeiten stattlich sich entfaltet, wie ich weiter unten noch bemerken will.

Für die Erhaltung wohl schon des alten Syracus dienten die mächtigen Latomien, deren griechischer Name als ein Zeugnis für ihren Ursprung gelten darf. Diese Steinbrüche zu besuchen verlangt nicht wenig Zeit und manche Mühe, denn die Wege dazu sind oftmals sehr schlecht und führen durch Hindernisse mancher Art, die überwunden sein wollen.

Aber ein schöner Pflanzenwuchs gedeiht in den Latomien, wo die Temperatur niemals durch Winde beeinflusst wird. Ich habe nur einige der Latomien besucht und sah in ihnen Mönche; ich glaube, auch ein Kloster ist da. Wo sind diese[68] nicht in Sicilien, in diesem Lande, dessen herrliches Klima zum Nichtsthun einladet.

Das in den Steinbrüchen gewonnene Material ist wenig spröde, so dass es leicht von den Wänden gelöst werden kann. Es dient noch dem alten Zwecke, wie zur Zeit des Dionys, von dem die Sage hier berichtet, dass er in der als Orecchio del Dionyso benannten Höhlung, welche heute noch gezeigt wird, auf Verräther gelauscht habe. Die Zeit, in der die mächtige Stadt das alte Akragas (das heutige Girgenti) bekriegte, liegt weit hinter uns, die Erinnerung daran lebt aber noch durch die Geschichte und macht uns die Stätte bedeutungsvoll, wie sie ja auch in der neueren Zeit durch des deutschen Dichters Platen-Hallermund Grab im Garten des Grafen Landolina es geworden. König Maximilian II. von Bayern ließ dasselbe mit einer neuen Inschrift versehen.

Zu dem Vielen, welches Syracus aus ältester Zeit bietet, muss auch der ägyptische Papyrus zählen; in fröhlichem Gedeihen hält er ein Flüsschen besetzt, den Anapus, welcher nach Aufnahme der Quelle Cyane zum Meere führt. Ähnlich verhält es sich mit der Quelle Arethusa,[69] die in Ortygia, wie es heißt aus dem Meere kommend, sich ergießt. Sie ist mit einer wahrscheinlich alten Umfassung versehen, in welcher eine große Zahl Waschweiber mit vielem Geschrei bei der Arbeit waren. Dass die Arethusa das einzige in Ortygia quellende Wasser sei, ward mir in hohem Grade wahrscheinlich. Die Reise nach Syracus fand noch im Herbste 1847 statt, ebenso die Rückkehr nach Messina, und zwar im Oktober bei theilweise prachtvollem Wetter. Ein Theil des Weges ward in Begleitung eines Führers mit dem Mulo zurückgelegt, aber es währte nicht lange, bis unendlicher Regen herabströmte, »von den Bergen stürzen die Quellen, und Bäche und Flüsse schwellen«. Die Straßen hätte man unpassirbar nennen können, wenn sie nicht doch passirt werden mussten. So war es große Arbeit um nach Messina zu gelangen, wo ich dann den Winter in gewohnter Thätigkeit blieb. Ich besuchte sehr häufig das Theater und fand darin ein vorzügliches Mittel zu meiner Vervollkommnung in der italienischen Sprache, zumal die Schauspieler keine Sicilianer waren. Obwohl es im December im Ganzen mild blieb und im Februar die niederste[70] Temperatur mit 7° Celsius bestand, so bekamen die Hände doch Frostbeulen, und es empfahl sich, einige Wochen die Arbeit auszusetzen.

Den Deutschen in Messina, besonders einem Herrn Jaeger, schulde ich für viele Gastfreundschaft, wie für Beistand mit Rath und That, großen Dank. Es war mir dadurch, bei einem nahezu siebenmonatlichen Aufenthalt, Messina fast zu einer zweiten Heimat geworden. Den geistigen Zusammenhang mit dem Vaterlande leistete mir die Allgemeine Zeitung, die mir der deutsche Pastor Lindenkohl zu vermitteln die Freundlichkeit hatte.

Für die Reise in Sicilien ergaben sich damals außer dem Wege noch manche Schwierigkeiten besonderer Art. Den mitgebrachten Reisepass sah man erst bei der Rückkehr wieder. Bis dahin ward er ersetzt durch Pässe, welche nur für die einzelnen Provinzen Geltung hatten und jedes Mal eines besonderen »Visums« bedurften.

Noch vor dem Osterfeste beabsichtigte ich, nach Palermo zu gehen. Die Reise ging um einen Theil Siciliens, durch die Faro und vorüber an dem einen herrlichen Golf beherrschenden Cefalù, an der Küste draußen die Liparischen Inseln, vulkanischer[71] Natur, wie denn der Stromboli mich bei nächtlicher Fahrt durch einen Ausbruch erfreute. Dann kam Palermo, das alte Panormus, nach dem die Phönicier ihm einen anderen Namen gegeben hatten.

Außer dem von der großen in vier Theilen und amphitheatralisch gebauten Stadt Gebotenen lohnten zwei Ausflüge reichlich die Reise. In Palermo der Palazzo reale, ein großes Gebäude aus der Normannenzeit, mit vieler alterthümlicher Achitektur, auch Erinnerungen an Friedrich II., den ich in Sicilien oftmals bei gebildet sein wollenden Leuten mit dem Preußenkönig in Verwechslung fand. Im Dome von Palermo, gleichfalls Normannenwerk, liegen deutsche Kaiser in der Capelle begraben, wie Heinrich VI., Friedrich II., Peter II. von Aragonien, und manche kaiserliche Frau. Noch nahe der Stadt vor dem Thore zwei Saracenenschlösser, die Zisa und die Cuba. Letztere dient als Caserne, während erstere, von ziemlich guter Erhaltung, von der Plattform eine herrliche Aussicht über Palermo und seine Umgebung darbietet. Arabische Inschriften sind zahlreich vorhanden. Es war mir interessant, später zu[72] erfahren, wie diese Inschriften mit alttestamentlichen Sprüchen in vollem Einklange stehen, so dass die nahe Verwandtschaft beider semitischen Nationen auch aus jenen Spruchdenkmälern hervorgeht, was meinerseits nichts Neues sein soll.

Von den Ausflügen aus Palermo war der nach dem Monte Pellegrino der schönste. Der ganz frei liegende, die Nordküste Siciliens begrenzende hohe Pilgerberg mit mehreren Kuppen nimmt einen Tag in Anspruch. Am Beginn geht man an einigen schönen Schlössern vorbei, dann wird der Zickzackweg steiler, und oben ist die in eine Kirche umgewandelte Grotte der heiligen Rosalie, einer Normannenfürstin. Ein anderer Ausflug nach dem hochgelegenen Monreale führt auf eine gute Straße, die weiter nach Trapano geht. Die berühmte Kirche aus der Normannenzeit enthält auch viele sehenswerthe Bilder. Die bis zum Meer sich erstreckende Ebene Conca d'oro benannt, wetteifert mit jeder sicilischen Gegend durch Üppigkeit der Gärten und große Fruchtbarkeit.

Auch den Kapuzinerberg besuchte ich, von welchem die Sicilianische Vesper ausging. Weniger erfreut war ich über die Katakomben,[73] welche zu den Besonderheiten der katholischen Kirche und ihrer Mönche gehören, aber Abscheu war bei mir der erzielte Eindruck.

Während meines Aufenthaltes in Palermo ergab sich mir die Gelegenheit, eine Sendung von Kunstwerken zu sehen, welche eben aus dem Innern Siciliens angekommen und wohl für ein Museum bestimmt waren. Genauer weiß ich nicht mehr den Ort der Herkunft, aber die Gegenstände blieben mir lebhaft im Gedächtnis, es waren Werke der ältesten griechischen Kunst, in vieler Beziehung an Ägyptisches erinnernd.

Meine fast über ein Jahr sich erstreckende ganze Reise in Sicilien ließ bezüglich der Sicherheit keinerlei Bedenken entstehen. Viele Wege legte ich allein zurück, nicht einmal von einem Führer begleitet. Nur selten sah man Gendarmerie, Gruppen von höchst irregulär gekleideten und ebenso bewaffneten Männern, welche Compagnia d'Armi hießen. Die Sicherheit entstand dadurch, dass gerade die gefährlichsten Menschen in jenen Dienst gezogen und dafür haftbar waren; denn im anderen Falle minderte sich entsprechend der Lohn! Was man auch von der Bourbonenherrschaft halten mag,[74] der Reisende fand Schutz, nur nach der Art desselben durfte man nicht fragen.


Noch einmal kam ich nach Sicilien und zwar nach Messina, im Jahre 1870, wo mit einigen Schülern zu arbeiten beabsichtigt war. Ich reiste über Bologna, wo die Universität früher unter päpstlicher Herrschaft stand. »Bologna la grassa« bezeichnet die über diese Stadt verbreitete Meinung! Von da nach Ancona zum adriatischen Meere mit den herrlich in der Abendbeleuchtung prangenden Wäldern des Garganus, der sich über den Busen von Manfredonia ins Meer erstreckt. Das beginnende Dunkel traf mich in der alten Longobardenstadt Benevent, der ich, auch der Hohenstaufen gedenkend, zum Besuche der vielen Alterthümer noch einen Tag widmete, um dann in Neapel meinen früheren Besuch durch mehrfache Ausflüge in die Umgebung zu ergänzen und nach Messina zu gehen. Hier fand ich die jungen Freunde und einen von ihnen in schwerer Erkrankung durch die Malaria, welcher er auch nach wenigen Tagen zum Opfer fiel. Es war ein junger Holländer, sehr begabt und aus guter Familie (Vrolick), dem die[75] ärztliche Kunst jetzt keine Hilfe mehr bieten konnte. Wir bestatteten ihn auf dem deutschen Friedhofe, welcher jenseits des Hafens liegt. Ebenda liegen noch zwei deutsche Officiere begraben, Verwandte meiner Frau, einem Schweizer Regimente angehörig, welches für die Bourbonen bei Messina ein Treffen bestanden hatte. Auch über mich kam das Fieber in kurzer Zeit, nachdem ich früher auch bei längerem Aufenthalt in Sicilien verschont geblieben war. Vormittags zu einer bestimmten Stunde wurde ich davon befallen. Ich hielt einen Höhenort für meinen Zustand geeignet und ging nach Taormina, wo sich im griechischen Theater ein Anfall wiederholte, der mich zu Boden zwang, da es mich heftig schüttelte. Chinin hatte keinen Erfolg, wovon vielleicht die Ursache an der Apotheke lag. Erst nachdem ich Sicilien wieder verlassen, ward ich fieberfrei, und in Neapel fand keine Wiederholung des Fiebers statt, wenn ich auch auf der Fortsetzung der Reise mich etwas schwächer fühlte.

In Neapel bestand die beste Gelegenheit zur ersten Orientirung bei Apotheker Berncastel. Hier fanden sich täglich die Landsleute ein, und der Apotheker unterstützte uns willig mit gutem Rath,[76] machte auch wohl selbst manchen Vorschlag. Die einander vorgestellten Fremden fühlten sich dadurch schon bekannt, und Alles was da unternommen ward, diente dem Zweck der Reise. Zu vielen Ausflügen fand ich Theilnehmer, nur zum Besteigen des Vesuv nicht, so dass ich dies allein mit zwei Führern unternahm. Der Aufstieg ging von Resina aus, und der Abstieg nach Pompeji, von da fand spät Abends die Rückkehr nach Neapel statt.

Nachdem so mehrere Wochen verstrichen, wurde die Heimreise vorbereitet und mit dem Vetturino der Tag festgesetzt. Ich war sehr überrascht, als zur verabredeten Morgenstunde Capuzinermönche sich einfanden, von denen einer zum Vetturino, drei in die Kutsche kamen, und so ging es nach Capua. Die Mönche kamen aus Sicilien und reisten zur Wahl ihres Pater-Generals nach Rom. Sie erwiesen sich mir artig und ließen mir beim Nachtquartier jedes Mal den Vorzug. Von Deutschland wussten sie nichts und eben so wenig von Italien, nur der Pater provincial konnte als Italiener mir einige Auskunft geben. Auf die Frage nach der Confession verhehlte ich nicht, Katholik zu sein, mit der Bemerkung, dass man in Deutschland[77] ganz andere Meinungen über die römische Kirche habe, zumal ihr nur die Minderzahl der Deutschen an gehöre.

Von Terracina mit dem Cap der Circe begannen die in vollster Blüthe befindlichen Pontinischen Sümpfe, ein herrlicher Anblick! Cisterna, die letzte Stadt vor den Pontinischen Sümpfen, dann Velletri, das schön gelegene Genzano, mit dem reizenden Nemisee und Albano mit herrlicher Aussicht nach dem noch fernen Rom. Mit Rom endete die Begleitung durch die Capuziner, von welchen ich vielleicht den einen Vortheil hatte, dass die Dogana mein durch viele Bücher vermehrtes Reisegepäck freigab. Bücher waren damals in Italien sehr verdächtige Dinge, wie ich schon beim Eintritt in Messina erfahren hatte. So waren denn die Capuziner mir nochmals zum Nutzen, und mit Dank nahm ich von ihnen Abschied.

In Rom, welches damals von den Franzosen besetzt war, nahm ich für mehrere Monate Wohnung auf der Piazza di Spagna bei einem im Ruhestand befindlichen päpstlichen Canonicus und war gut versorgt. Nicht weit davon befand sich das Local für die Künstler-Vereinigung, zu[78] welcher ich Zutritt erlangt hatte. Jeder Tag war damit zweckmäßig getheilt. Der Morgen führte mich zur Besichtigung der Kunstwerke, was auch auf den Nachmittag ausgedehnt wurde, während der Abend der Erholung im Kreise von Künstlern gewidmet war. Ich lernte man che der jüngeren Künstler näher kennen und erfuhr dabei auch manches Interessante aus ihrem Leben. Ein Bericht über die Kirchen Roms wird mir erlassen sein. Von ihnen hat mich St. Maria maggiore am meisten angezogen, ich habe sie mehrmals besucht. Weniger fand ich mich durch San Paolo fuori le Mure erfreut, aus deren Wiederherstellung ich damals viel Wesens machen hörte. Dass mit der Kunst auch der Genuss der Natur keine Vernachlässigung fand, ward durch den Besuch nicht weniger Villen, die ich hier nicht aufzähle, erwiesen. Sie vereinigen Beides in schönster Harmonie. So ward mir der längere Aufenthalt in Rom zu einer sehr genussreichen Zeit, in welcher ich sehr viel gelernt habe, wie die Erinnerung daran nach so vielen Jahren noch lebendig ist.

In Rom besuchte ich einen Verwandten im Jesuiten-Colleg, für uns Deutsche sehr erfreulich [79] Collegio germanico genannt. Ich ward herumgeführt, auch in die Gemäldegalerie, in welcher ich auf das Porträt des Prinzen von Neapel aufmerksam gemacht wurde. Ich gratulirte dem Begleiter ironisch, indem ich sagte, sie könnten bei dieser Erziehung wohl noch viele Freude am Prinzen erleben? In wenigen Jahren waren ja die Bourbonen fort! Auch den Garten des Collegio germanico musste ich besuchen, wo eine von mir angebrannte Cigarre in ihren Aschenresten große Bedenken erregte. Auf den angebotenen Besuch der Apostelgräber verzichtete ich, da man darüber nichts Sicheres wisse, und ebenso lehnte ich den Empfang eines vom Papste geweihten »Rosenkranzes« für meine Mutter ab, da diese von solchen Dingen nichts hielte, und so bedaure ich das Unerfreuliche, für welches ich durch einen Tag im Albanergebirge eine treffliche Entschädigung fand. Ich gedenke später noch auf jene Persönlichkeit zurückzukommen. So ward mein Aufenthalt in Rom beendet.

Aus Rom brachte mich wieder der Vetturino fort, diesmal mit einem deutschen Arzte als Reisegefährten im Coupé, während drei Engländerinnen[80] das Interieur einnahmen. Nach Siena war das Ziel, welches in vier Tagen erreicht sein sollte. Die Reise ging nicht weit vom Lago di Bracciano vorüber nach Ronciglione, welches schon im Gebirge liegt. Hier befand sich die päpstliche Grenze. Mein Reisegefährte entdeckte hier, dass ihm das Reisegeld abhanden gekommen sei. Er fuhr mit der ersten Gelegenheit wieder zurück und überließ mir die Aufgabe der Beruhigung der mitreisenden Damen. Dann bot Viterbo wieder einen Aufenthalt. Von den weiteren will ich nur Aquapendente gedenken, der Geburtsstadt des berühmten Anatomen Fabricius. Ergiebiger Regen förderte das Zusammentreffen mit dem Reisegefährten, der wieder zu seinem Gelde gekommen war, Dank der päpstlichen Gendarmerie! Endlich war Siena erreicht und damit, wie ich glaube, die erste italienische Eisenbahn, mit welcher der Weg nach Florenz führte.

Hier bot ein Aufenthalt von mehreren Tagen einen reichen Kunstgenuss, dessen Erinnerung mich lange Jahre befriedigte. Dann näherte sich die Lombardei, und über Padua mit den schönen Renaissancebauten, seiner alten Universität[81] und vielen Bildwerken aller Art, führte der Weg bald nach Deutschland, wo ich nach Abwesenheit von mehr als einem Jahre wohlbehalten eintraf. Damit kam jetzt die Entschließung über meine Zukunft in näheren Betracht. Ich berieth mit den Eltern, deren Rath ich nicht gering schätzte, und so war denn, nachdem kein Zweifel bestand, dass mir der Aufenthalt in Würzburg beschieden sei, und dass das Lehrfach die einzige, mich fesselnde und daher auch mit Freuden ausgeübte Thätigkeit, die Aufnahme als Privatdocent, mein nächstes Ziel.

Quelle:
Gegenbaur, Carl: Erlebtes und Erstrebtes. Leipzig 1901, S. 55-82.
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