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Raubtiere besuchen meine Dressurschule

[80] Mancher wundert sich vielleicht darüber, daß mich von den vielen Tausenden wilder Tiere, mit denen ich in Berührung gekommen bin, noch keines verspeist hat. Gewiß, es mag zum Teil auf Vorsicht und Geschick zurückzuführen sein, daß mich noch kein Tiger gefressen, kein Elefant unter die Füße getrampelt, kein Büffel mit dem Horn durchstoßen und keine Schlange in ihren Ringen erdrückt hat. Nahe daran war es allerdings häufig genug, und ich werde noch manches kleine Abenteuer zu erzählen haben. Andererseits tut man aber auch den wilden Tieren mit der schlechten Meinung, die man von ihrem Charakter hat, unrecht, besonders den Raubtieren, die besser sind als ihr Ruf. Man mag mir glauben, wenn ich behaupte, daß ich unter Löwen, Tigern und Panthern manchen guten Freund besessen habe, mit dem ich so intim und vertraulich verkehren konnte wie mit einem Haushunde.

In der ganzen Welt verstreut, leben wohlverwahrt hinter Schloß und Riegel eine Anzahl alter Freunde aus der Tierwelt. Ihr Leben währt nicht so lange wie das unsrige. Schnell kommt das Alter und der Tod, und demgemäß gehören die meisten dieser Tierfreundschaften der Vergangenheit an. Einer der Veteranen unter meinen Bekannten war ein Löwe, der nach einem vorübergehenden Aufenthalt von zwei Monaten bei mir an den Kölner Zoo verkauft wurde. Alt und gebrechlich, hat er mich jedoch nie vergessen. Als ich auf der Fahrt nach Köln einmal im Eisenbahnabteil aus Scherz eine Wette abschloß, daß der alte Löwe mich schon von weitem durch bloßen Zuruf erkennen würde, da begegnete ich ungläubigem Kopfschütteln. Ich gewann jedoch die Wette, denn der alte Wüstenkönig kam sofort auf meinen Ruf voll Freude an das Gitter und gab sich nicht eher zufrieden, bis ich ihn begrüßt und gestreichelt hatte. Ähnliches erlebte ich im Bronx Park zu New York, wo ich den[81] Direktor Dr. Hornaday mit dem gleichen Intermezzo bei zwei Löwen und einem Königstiger überraschte. Wir brauchen aber nicht bis über den Ozean abzuschweifen, um Proben solcher Anhänglichkeit zu sehen. Bei meinen Rundgängen durch den Garten verweile ich stets am längsten bei den größeren Raubtieren, und die Besucher beobachteten dann mit Erstaunen, wie die Tiere am Gitter niederkauern und mir zuweilen sogar die Hand lecken. Ich habe alle Tiere gern. Das liegt mir im Blut. Aber die großen Raubtiere sind meine besonderen Freunde. Viele dieser Tiere halte ich trotz ihrer kostspieligen Ernährung länger bei mir fest, als ich es in meiner Eigenart als Geschäftsmann dürfte. Gute Angebote schlage ich rundweg ab, weil ich mich eben nicht von diesen anschmiegsamen und aufrichtigen Freunden trennen kann.

Manches von dem, was ich hier schreibe, wird vielen Leuten widersinnig erscheinen. Die Raubtiernatur ist in der Volksmeinung mit Hinterlist, Wildheit und Grausamkeit verbunden. Aber die Tiere sind nicht grausam. Die Natur hat sie darauf angewiesen, in der Freiheit lebendiges Fleisch zu erjagen, und sie müssen töten, um leben zu können. Wir vergessen nur zu leicht, wie viele Millionen Tiere zur Nahrung der Menschheit geschlachtet, erjagt und aus dem Meere gefangen werden müssen und daß man auch dem Menschen, der in Kriegen seine Mitgeschöpfe aus mancherlei Gründen tötet, den gleichen Vorwurf machen könnte. Wie wir, liebt auch das Raubtier seine Jungen. Es kann zärtlich, dankbar, anhänglich und treu sein. Und genau wie in der menschlichen Gesellschaft stößt man auf Rowdys und Opfer schlechter Erziehung. Was durch Zähmung wilder Tiere zu erreichen ist, darüber habe ich nach und nach mehr Versuche angestellt als irgendeiner meiner Zeitgenossen.

Die allererste Gruppe verschiedener Raubtiere kaufte mein Vater schon Ende der fünfziger Jahre. Sie bestand aus einem riesigen Bengaltiger, einem Leoparden und einem Hund, die einen gemeinsamen Käfig bewohnten und auch zusammen gefüttert wurden. Jahrelang reiste diese Gruppe in einer Tierschau, ohne daß Uneinigkeiten ausbrachen. Schlechter erging es einem kleinen Äffchen,[82] das in den siebziger Jahren sich auf dem Transport von Afrika nach Hamburg, der gewöhnlich sechzig bis siebzig Tage dauerte, mit zwei jungen Löwen angefreundet hatte. Es war eine Freude, die ungleichen Spielgenossen in ihrem Käfig umhertoben zu sehen. Die ganze Gruppe wurde nach einigen Monaten an den Tierschaubesitzer Albert Kallenberg verkauft, der jahrelang mit ihr auf Messen und Märkten umherzog. Der Affe erhielt bei der Fütterung stets ein kleines Stück Fleisch und verzehrte es ebenso, wie die Löwen ihre großen Stücke verspeisten. Niemals wurde die Harmonie gestört. Aber eines Tages wurde das Äffchen durch seinen eigenen Fürwitz doch von dem traurigen Geschick ereilt, das diejenigen trifft, die mit großen Herren Kirschen essen wollen. Das Äffchen vermaß sich, Seiner Majestät dem König der Wüste einen Knochen wegzunehmen, und der König schlug in der ersten Überraschung so unglücklich nach dem armen Hofnarren, daß er sofort tot umfiel. Die Reue und Trauer kam hintennach. Wie mir Kallenberg selbst erzählte, haben die beiden Löwen tagelang in mauenden Tönen geklagt und gewinselt, ehe sie ihren Spielgefährten vergessen konnten.

Den wildesten Tiger, den ich je gesehen habe, er hielt ich mit einem indischen Transport in den neunziger Jahren aus Kalkutta. Er war zugleich der größte Bengaltiger, den ich je gesehen habe. Erst wenige Monate vorher war er eingefangen worden, und als ich mich zum erstenmal dem Käfig näherte, flog der geflammte Körper wie ein gelber Blitz krachend gegen die Eisenstäbe und schlug mit weit ausgestreckten Vorderpranken nach mir, daß ich schleunigst aus ihrem Bereich sprang. Die Wildheit des Tigers konnte mir indes nicht sehr imponieren, und ich zeigte es ihm. Ich ahmte das Tigerschnurren nach, sprach so mit ihm in seiner eigenen Sprache, und von Tag zu Tag wurde er ruhiger. Zwar sprang er noch gegen das Gitter, schlug jedoch nicht mehr nach mir mit den Tatzen. Nach acht Tagen begann ich, ihm bei jedem Rundgang ein Stück Fleisch mitzunehmen: Der Weg zum Herzen geht durch den Magen – auch bei Tieren. Nach vier Wochen konnte ich ihn bereits mit den Händen anfassen. Seine Wildheit hatte er vergessen. Er kam freiwillig[83] näher, legte sich nieder, ließ sich streicheln – auch später von Fremden, denn er war schließlich so zahm, daß ich ihn an den Dresdener Zoologischen Garten verkaufen konnte.

Die Fälle, in denen Menschen von gefangenen Raubtieren angefallen und zerfleischt werden, sind glücklicherweise selten. Häufiger sind die Kämpfe der Tiere untereinander, wenn sie nicht sorgfältig beobachtet und gegebenenfalls getrennt werden. Wie in der Menschenwelt, so heißt es auch hier meistenteils: »Cherchez la femme!« In einer Gruppe, welche Heinrich Mehrmann in Chikago, Berlin und anderen Plätzen vorführte, befanden sich der große importierte Kaplöwe »Leo« und der bengalische Königstiger »Castor«. Der Löwe war Junggeselle, aber der Königstiger hatte eine sehr schöne Bengaltigerin zur Gemahlin. Natürlicher empfindend als die Menschen, lieben die Tiere nur in bestimmten Zeiträumen. Als ein solcher heranrückte, verliebte sich der Löwe in die Tigerin, und es entstand zwischen den beiden Rivalen ein gespanntes Verhältnis. Der Tiger war eifersüchtiger als ein Türke. Der Löwe, im Vollbewußtsein seiner Kraft, kehrte sich nicht daran und machte der gestreiften Schönen trotzig den Hof. Da, eines Morgens, als ich in meinem Tierpark am Neuen Pferdemarkt spazierenging, tönte mir aus dem großen Außenkäfig ein furchtbares Gebrüll entgegen. Sofort eilte ich auf den Kampfplatz. Richtig, zwischen dem Löwen und dem Königstiger fand ein blutiges Duell statt. Beide standen auf den Hinterbeinen und gaben einander so gewaltige Ohrfeigen, daß die Haare nur so im Käfig herumstoben. Den Anblick, als die beiden großen Tiere in Kampfstellung einander gegenüberstanden, beide ihrer Stärke bewußt, im Begriff, auf Leben und Tod miteinander zu kämpfen, werde ich nie vergessen. Schnell sprang der Wärter – es war der später so berühmt gewordene Dompteur Richard Sawade – in den großen Käfig, wo er durch Anrufen und Knallen mit der Peitsche die Rivalen auseinandertrieb. Zahlreiche Haarbüschel und Blutspuren waren Zeugnis des Kampfes, der stattgefunden hatte.

Alle Raubtiere, besonders die Löwen und Tiger, sind während[84] der Brunstzeit sehr aufgeregt. In Dressurgruppen muß man die männlichen Tiere oft während einer längeren Zeit gänzlich absondern. Die Verliebtheit der Tiere nimmt eine Art Siedegrad an, und noch größer als die Zärtlichkeit ist die Eifersucht auf etwaige Nebenbuhler. Einen Nebenbuhler sieht der verliebte Löwe aber in jedem, der sich der Löwin nähert. Merkwürdigerweise ist er nicht nur eifersüchtig auf seinesgleichen, sondern auch auf Menschen, die Wärter nicht ausgenommen.

Da auch ohne Zutun der Menschen Liebesverhältnisse zwischen Löwen, Tigern und anderen Katzenarten vorkommen, so liegen Kreuzungsversuche nahe. Ich habe von Löwen und Königstigern mehrfach Junge gezogen. Die aus dieser ungleichartigen Verbindung hervorgehenden Produkte sind aber bedeutend größer als die Eltern. Es sind schöne, große, kraftvolle, ganz schwach gestreifte Tiere mit starkem Kopf. Die Tiere sind außergewöhnlich zahm, jedoch nach den bisherigen Beobachtungen leider nicht fortpflanzungsfähig.

Die Schwierigkeiten des Umgangs mit Raubtieren in der Gefangenschaft beginnen jedoch erst mit der Dressur, denn hier wird von den Tieren etwas verlangt, was zum großen Teil ihrer Natur fremd ist. Wenn es mir trotzdem gelang, aufsehenerregende Dressurgruppen verschiedener Tierarten zusammen arbeiten zu lassen, wenn es möglich wurde, daß Elefanten auf einem Dreirad radeln, Eisbären auf einer Wippe schaukeln und Seelöwen brennende Petroleumlampen auf der Nase balancieren, so sind das Ergebnisse der stets von mir angewandten und von mir eingeführten Schule der zahmen Dressur. Was man früher unter »Dressur« verstand, verdiente diesen Namen durchaus nicht, viel eher hätte man alle jene Verfahren als Tierquälerei bezeichnen dürfen. Die Hilfsmittel der Tierbändiger früherer Zeiten waren Stock, Gabeln und glühende Eisen. Man kann sich denken, daß die Tiere niemals Vertrauen zu ihren Herren faßten, sondern ihre Peiniger nur fürchteten und grimmig haßten.

Das ganze Kunststück bestand darin, daß man die armen Tiere durch Schläge und durch Berühren mit dem heißen Eisen dermaßen[85] in Furcht versetzte, daß sie beim bloßen Anblick der Schreckmittel schon durch den Käfig flohen und dabei etwaige Hindernisse, mit denen man den Weg absperrte, übersprangen. Wenn die Tiere aber soweit gebracht worden waren, hatte sie der Bändiger arg zugerichtet. Vor vielen Jahren sah ich einmal in England vier »dressierte« Löwen, denen die ganzen Schnurrhaare abgesengt und die Mäuler schrecklich verbrannt waren. Selbstverständlich gehörte es damals nicht zu den Seltenheiten, daß die Tierbändiger von der gepeinigten Kreatur in Stücke gerissen wurden. Die Raubtiere, die solcherweise in der Gefangenschaft zu Menschenfressern wurden, trifft keinerlei Schuld. Schließlich handelten sie nur in der Notwehr, als sie ihre Peiniger anfielen.

Sowohl in England wie in Deutschland hatte ich diese wilden Dressuren beobachtet, und wie schon eingangs erwähnt, war in mir der Wunsch rege geworden, die sinnlose Art der Behandlung der armen Tiere durch eine vernunftgemäßere zu ersetzen. In Hamburg wurde diese Art der Raubtierdressur 1863 zuerst im Zirkus Renz durch Thomas Batty vorgeführt. Sechs Löwen scheuchte er durch Schreckmittel im Käfig umher. Batty stand in der Nähe des Ausgangs, feuerte aus einem Karabiner mehrere Schüsse ab und flüchtete dann durch einen Vorhänge-Sicherheitskäfig aus dem Wagen. Das ganze Wunder einer solchen Vorführung bestand eigentlich darin, daß die Tiere nicht über den an sich kühnen Mann herfielen. Freilich gab es auch in der wilden Dressur verschiedene Auffassungen. Es gab Leute, die ihre Tiere gut behandelten, soweit es das System nur erlaubte, und sich jedenfalls von unnötigen Grausamkeiten fernhielten. Zu ihnen zählte der Nachfolger Battys, nämlich Cooper, der, wie später Hempel und Seeth, sich den populären Namen Batty beilegte. Durch kluge Beobachtung war Cooper schon damals zu einer Maßnahme gekommen, die in der zahmen Dressur heute als ein Gesetz gilt: Er entfernte diejenigen Tiere, die zu bösartig geworden waren und Unsicherheit in die Arbeit brachten.

Von seiten des amerikanischen Zirkusbesitzers Myers, der die Coopersche Löwengruppe auf seiner damaligen Europareise engagiert[86] hatte, erhielt ich eines Tages die Anfrage, ob ich mit einigen Löwen aufwarten könne. Es traf sich, daß ich eben eine ganze Tiersammlung von dem Tierschaubesitzer Traben gekauft hatte, in welcher sich auch einige stets zu Dressurzwecken gebrauchte Löwen befanden. Cooper kam selbst nach Hamburg und holte die gekauften Tiere nach Brüssel. Hier machte er einen Fehler und sperrte sie mit den alten Tieren in einen Käfig, ohne sie erst langsam aneinander zu gewöhnen. Der neue Zustand irritierte die Tiere und machte sie, wie man heute sagt, nervös. Als Cooper die scheuen Tiere zur Ausführung seiner wilden Tricks mit der Peitsche zwingen wollte, kam es zur Katastrophe. Gerade der gutmütigste Löwe fiel Cooper an und richtete ihn böse zu. Durch gegenseitiges Mißverständnis kam so ein humaner Tierbändiger durch einen zahmen Löwen aufs Krankenlager.

Zwischen Myers und mir spielte sich noch ein artiges Intermezzo ab. Am Tage nach dem Unfall erhielt ich aus Brüssel ein Telegramm, in welchem mir einer der Löwen zur Verfügung gestellt wurde, weil das Tier krank sei. Bei Ankunft des Telegramms wußte ich noch nichts von dem Unfall, sonst wäre es mir ja sofort klar gewesen, daß auch dem Löwen der Angriff nicht bekommen sei. Aber auch ohnedies nahm ich das Telegramm nicht ernst, denn Cooper hatte von mir gesunde Tiere empfangen und bezahlt. Mir schwante beim Lesen der Depesche sofort nichts Gutes, und ich lehnte die Zurücknahme des gesund abgelieferten Löwen telegraphisch ab. Am nächsten Morgen schwenkte der Postbote ein neues Telegramm: »Your lion is dead, what shall I do with him?« (»Ihr Löwe ist tot, was soll ich mit ihm machen?«) – »Pickle him, if you like« (»Salzen Sie ihn ein, wenn Sie mögen«), antwortete ich, ohne mich weiter zu besinnen. Nach einigen Wochen, als ich die Sache schon fast vergessen hatte, kam wahrhaftig mit der Eisenbahn als Frachtgut ein Faß mit dem eingepökelten Löwen in Hamburg an. Der verrückte Kerl hatte den Löwen wirklich eingesalzen und mir zugeschickt. Wahrscheinlich glaubte er, durch die Ausführung meiner ironischen Antwort das Recht auf seine Seite zu bringen. Selbstverständlich[87] verweigerte ich die Annahme des Salzlöwen, und mit einer späteren Klage fiel Myers gründlich herein, denn da stellte es sich heraus, daß das Tier an erlittenen Mißhandlungen zugrunde gegangen war.

Die alten deutschen Tierbändiger, wie Kreutzberg, Kallenberg, Preuscher, Schmidt, Daggesell, Kaufmann und der bereits als Amsterdamer Zoodirektor erwähnte Martin, sie alle wichen von der ganzen wilden Dressur erheblich ab und führten nur solche Tiere vor, welche von Jugend auf gezähmt waren. Sie brachten es teilweise zu interessanten Vorführungen. Man stelle sich jedoch den Unterschied vor: Damals die engen, halbdunklen Wagenkäfige und heute der große luftige Zentralkäfig der Manege. Sehr gut entsinne ich mich aus meinen Jugendjahren des alten Kreutzberg, der mit Hilfe einer jungen Schwedin namens Cäcilie in seiner Tierschau nervenerregende Tricks ausführte. In Frankreich waren es die alten Tierschaubesitzer Jean Baptiste Pezon, der erwähnte Pianet und hauptsächlich François Bidell, die mit ihren Raubtiergruppen Aufsehen erregten.

Unter dem Sohn des alten Kreutzberg erlebte die Dressur in den sechziger Jahren einen seltsamen Auswuchs, wenn man diesen wilden Schößling überhaupt noch Dressur nennen darf. Karl Kreutzberg reiste mit einer Gruppe von sieben Löwen, die ich ihm geliefert hatte, in Spanien. Hier verlangte man von ihm, er solle den Kampf zwischen einem Löwen und einem Stier vorführen. Kreutzberg war ein unternehmungslustiger Kopf und ging sofort auf die Anregung ein. Seine Dressuren führte Kreutzberg in einem ovalen Wagenkäfig vor, um den er den jungen Stier so lange herumführen ließ, bis dem Löwen, der noch nicht zu Abend gespeist hatte, das Wasser im Maul zusammenlief. Für das Kampfspiel wurde ein besonders großer Käfig gebaut, und in diesen wurde der Stier hineingelassen, wenn die Spannung des Publikums und der Appetit des Löwen den Höhepunkt erreicht hatten. Mit Gebrüll stürzte sich dieser auf den Stier, der es meistens ganz vergaß, sich zu wehren, und zerriß ihn. Das blutige Schauspiel entzückte die Spanier und Portugiesen, die[88] Kreutzberg später mit diesem »Stierkampf« beglückte. Andere Tierbändiger versuchten es ihm gleichzutun, und dreimal habe ich für solche Zwecke noch Löwen geliefert. In zwei Fällen kümmerte sich der Löwe nicht um den Stier, der Stier nicht um den Löwen, und das Schauspiel verlief wie das Hornberger Schießen. Im dritten Fall war der Erfolg allerdings ein voller, aber andersherum, der Stier nahm den Löwen auf die Hörner und verwundete ihn so schwer, daß der König der Wüste in die Jagdgründe seiner Väter einging.

Die Zeiten der Gewaltdressuren sind jetzt vorbei, schon deshalb, weil man mit Gewalt nicht den hundertsten Teil dessen erreichen kann, was sich mit Güte erzielen läßt. Aber ich habe seinerzeit die zahme Dressur nicht aus diesem Grunde eingeführt, sondern es geschah aus Mitgefühl und aus der Erwägung, daß es einen Weg zur Seele des Tieres geben muß. Zwischen der Behandlung eines wilden und eines zahmen Tieres kann kein großer Unterschied bestehen. Die Tiere besitzen ein feines Unterscheidungsvermögen in bezug auf die Art, wie man ihnen begegnet. Sie sind fähig, Freundschaften auch mit den Menschen zu schließen, und besitzen ein mehr oder minder stark ausgeprägtes Erinnerungsvermögen. Die individuelle Auswahl des zur Dressur geeigneten Tieres ist daher die erste Aufgabe der neuen Schule. Was ich mir damals erkämpfen mußte, ist heute Gemeingut geworden. Man weiß es und handelt danach, und wer die Gabe besitzt, diesen eigentümlichen Tiercharakter beobachten zu können, hat Talent zum Dresseur.

Ich habe schon früher erzählt, daß sich bei meinem ersten Versuch, die zahme Dressur einzuführen, unter 21 Löwen nur vier als brauchbar erwiesen. So leicht war diese Auswahl jedoch nicht, denn es gibt Tiere, die zuerst ganz gut einschlagen und erst später, wenn sie mit vielen anderen Tieren zusammenarbeiten, nervös und gefährlich werden. Werfen wir einmal einen kurzen Blick in die ersten Stunden meiner Dressurschule! Die Jungtiere, welche zu einer Gruppe zusammengestellt werden sollen, sind nach ihrer äußeren Schönheit ausgewählt und für ihren Beruf als »Artisten« bestimmt worden. Nehmen wir an, es seien Löwen, Tiger, Panther, Leoparden,[89] Eisbären und Doggen. Vor allem gilt es, die Tiere miteinander bekannt zu machen, denn ließe man alle auf einmal unvorbereitet zusammen, so würde ohne weiteres die gefährlichste Balgerei entstehen. Die Tiere werden also in einer Reihe von Einzelkäfigen untergebracht, die nur durch Gitterstäbe voneinander getrennt sind. Alle können einander sehen und in ihrer Sprache miteinander sprechen. Der Dompteur hat Zeit, sich mit jedem einzelnen seiner Zöglinge zu beschäftigen und ihn durch Besuche und Liebkosungen an sich zu gewöhnen. Nach geraumer Zeit kommen die Tiere zur ersten Schulstunde gemeinsam in die Arena, selbstverständlich unter Aufsicht ihres Lehrers. Wie in der Schule für kleine Kinder wird aber auch hier in der ersten Stunde noch nicht gearbeitet. Die Tiere lernen sich jetzt näher kennen, spielen miteinander und mit dem Lehrer und machen sich mit der neuen Örtlichkeit vertraut.

Vom ersten Augenblick dieses Beisammenseins hat der Dompteur ein wachsames Auge auf jedes einzelne Tier. Häufig hat er Gelegenheit, mit einer noch freundschaftlichen Mahnung Auseinandersetzungen zwischen den Tieren zu verhindern. Alle jungen Tiere, überhaupt alle Tiere, besitzen eine große Spiellust, aber sie erzürnen sich auch leicht miteinander. Hier naht ein Eisbär mit tölpelhaftem Schritt einem Löwen und möchte ihn an der Mähne zausen. Der Löwe versteht die Berührung falsch und versetzt dem zottigen Kollegen eine Ohrfeige. Sofort ist der Dompteur da und macht den Löwen durch einen wohlgemeinten Rippenstoß darauf aufmerksam, daß man hier höflich zu sein hat. Einem Tiger, der von Natur vielleicht ein kleiner Raufbold ist, fällt es ein, dem friedlich neben ihm her trottenden Leoparden eins mit der Tatze zu versetzen. Der Leopard faucht wütend und duckt sich zum Sprung, aber schon ist der Lehrer da und treibt die Kampfhähne auseinander. Schon bei diesem ersten Zusammensein formt sich ein oberflächliches Bild von den einzelnen Charakteren, das die Friedfertigen von den Angriffslustigen, die Gehorsamen von den Widersetzlichen unterscheidet. Bei der Dressur entscheidet aber nicht nur der Charakter, sondern hauptsächlich auch das Talent.[90]

In der zweiten Stunde sind die Geräte und Dekorationsstücke bereits in der Arena aufgestellt, denn der Plan der Vorführung muß natürlich bis in alle Einzelheiten fertig sein, ehe man überhaupt mit der Dressur anfängt. Da stehen die Böcke für die geplante Pyramide. Da liegt die Tonne, auf der ein Tiger balancieren soll, dort liegt der Reifen, da steht die Wippe ... Alle diese Gegenstände werden den Tieren vertraut. Der Dompteur ist mit einer dünnen Peitsche und einem Stock ausgerüstet. Viel wichtiger aber ist die Ledertasche, die er an seinem Leibriemen trägt, denn sie enthält die kleinen Fleischstücke zur jeweiligen Belohnung. Eine unendliche, überhaupt gar nicht zu beschreibende Geduld gehört dazu, alle die verschiedenen Tiere dazu zu bringen, daß sie ihren Platz einnehmen, ruhig darauf verharren und nicht eher absteigen, als bis sie dazu den Befehl erhalten. Vom ersten Augenblick der Auswahl an hat man den vierbeinigen Artisten Namen gegeben, mit denen sie jedesmal, wenn etwas von ihnen verlangt wird, gerufen werden, damit das Ohr sich an den Klang gewöhnt. Hat der Dompteur seine Zöglinge so weit, daß sie auf Befehl ihre Plätze einnehmen, so ist die erste Stufe erreicht, auf der sich die vorgesehene Dressurarbeit aufbauen soll. Schritt für Schritt geht diese Arbeit weiter. Da tritt zum Beispiel der Dompteur auf einen Löwen zu, spricht begütigend mit ihm, hält ihm ein Stück Fleisch vor und versucht, ihn auf ein Podest zu locken. Die Belohnung ist aber noch nicht verdient. Erst wenn der Löwe oben ist, erhält er sein Fleischstück. Noch hat er keine Ahnung, daß er auf dem Bock sitzen zu bleiben hat, und auf die zahllosen Versuche, herabzusteigen, folgt immer das mühsame Locken, Zurückführen und Auf-den-Bock-Bringen, bis das Tier es endlich zu begreifen anfängt, was man von ihm verlangt. Auf diese Weise muß jedes Tier der Gruppe an jeden Schritt gewöhnt werden. Ein Assistent geht zwar dem Dompteur an die Hand und achtet auf die Tiere, wenn jener den Rücken wendet. Die Hauptarbeit jedoch liegt bei dem Dresseur, der ja auch in der öffentlichen Vorstellung allein mit den Tieren arbeiten und mit seinen zwei Augen gleichsam vor und hinter sich sehen muß. Während der[91] Arbeit und Schulung stellt sich langsam heraus, welche von den Tieren zu gebrauchen sind und welche nicht. Schlechte Charaktere, wenn man so will, müssen aus der Gruppe entfernt werden. Durch Strafen würde man sie noch störrischer machen, auch würden die anderen durch das schlechte Beispiel verdorben. Die Grundlage aller Dressuren ist jedoch der Gehorsam, und niemals darf der Dompteur sich zufriedengeben, ehe seine Befehle ausgeführt sind.

Gewöhnlich befinden sich in jeder größeren Gruppe einige Streitmacher, die es nicht fertigbringen, ruhig neben ihren Kameraden zu sitzen. Auch diese Störenfriede müssen durch andere Tiere ersetzt werden, um den Frieden zu bewahren. Damit ist der Elementarunterricht, der darin besteht, Platz zu nehmen und sich anständig zu betragen, beendet, und nun geht's in die höhere Klasse. Jetzt erst muß es sich zeigen, wer wirklich Intelligenz und Talent besitzt, denn meistens stellt es sich erst im Verlaufe der höheren Dressur heraus, welche Tiere man wieder hinausbefördern muß. Je geduldiger und gütiger der Dompteur ist, desto mehr Vertrauen werden die Tiere zu ihm fassen. Ist seine Güte aber nicht mit Strenge gepaart, die sich Gehorsam zu erzwingen weiß, dann wird der Vorführung die Sicherheit mangeln. Die Furcht vor ihrem Lehrer darf nicht ausgeschaltet werden. In jedem Augenblick muß sich das Tier der Tatsache dunkel bewußt sein, daß eine Auflehnung gegen den Willen des Gebieters unmöglich ist. Wenn man sich nun die vielen Bewegungen vergegenwärtigt, welche die zahlreichen Tiere einer großen Gruppe ausführen müssen und daß jeder Schritt mit Güte und Langmut und durch endlose Wiederholungen einstudiert werden muß, dann erhält man vielleicht eine Ahnung von der engelhaften Geduld, die ein moderner Dompteur besitzen muß. Kaum ist es nötig hinzuzufügen, daß diese Geduld nur bei solchen Menschen zu finden ist, die ihre Tiere lieben. Wie zahm aber auch die Tiere geworden sein mögen und wie gut sie sich auch untereinander vertragen, immer bleiben es von Natur wilde Tiere, deren Charakter bis zu einem gewissen Grade unberechenbar ist und von denen viele bei zunehmendem Alter doch gefährlich werden. Ein guter[92] Dompteur muß die Veränderungen, die mit seinen Tieren vorgehen, rechtzeitig bemerken, wenn er nicht zu Schaden kommen will.

Bei genauerer Beachtung weniger Hauptpunkte und persönlichem Mut, der in allen Zweigen unseres Unternehmens immer stillschweigend vorausgesetzt werden muß, ist die Gefahr für den Dresseur heute so gut wie beseitigt. Viele dressierte Tiere und insbesondere viele große Dressurgruppen sind aus meiner Schule in die Welt gegangen, und eigentlich sind in den Vorstellungen, die nach Tausenden zählen, bislang nur zweimal Unfälle vorgekommen. Von diesen zwei muß ich noch einen abrechnen, da er einem Manne aus dem Publikum begegnete, der sich ohne mein Wissen und gegen das strenge Verbot aus Geltungsbedürfnis in den Raubtierkäfig begeben hatte. Ich habe einmal von einem Engländer gehört, der jahrelang nur zu dem einzigen Zwecke einem Zirkus nachreiste, um den Augenblick zu erleben, in dem ein gewisser Löwenbändiger von einem seiner Löwen zerrissen würde. Dieser Typus ist nicht so selten, er kommt in den verschiedensten Abwandlungen vor. Jedenfalls gehört in diese Klasse auch der junge Engländer, der während der Weltausstellung in Chikago in einer Mittagspause den Käfig unbemerkt öffnete und hineinschlüpfte. Der Besuch bekam dem Selbstmordkandidaten schlecht. Kaum hatte er den Käfig betreten, als er sich in den Klauen eines Löwen sah. Es gab ein großes Geschrei, das glücklicherweise den Dompteur sofort herbeirief, welcher dem Engländer das Leben rettete.

Einen Unfall, der auf unser eigenes Konto kommt, erlitt mein Schwager Mehrmann auf der Berliner Gewerbeausstellung. In seiner Gruppe befand sich ein schwarzer Bär, der mir bereits als ein etwas unsicherer Bursche aufgefallen war. Sei es nun, daß Mehrmann seine Entfernung als unbequem noch etwas hinausschob, oder sei es, daß er meiner Wahrnehmung nicht genügend Beachtung schenkte, genug, nach sechs Tagen hatten wir die Bescherung. Der Bär überfiel seinen Herrn und brachte ihm ein paar Wunden bei, an denen er vier Wochen im Hospital darniederlag. Das ist aber[93] auch alles, was an Unfällen bei Dressurvorführungen vorgekommen ist, und ich bitte um Entschuldigung, wenn ich den an dieser Stelle erwartungsvolleren Leser enttäuschen muß. Der Grund ist, wie bereits erwähnt, in unserer stets vorsichtigen Auswahl zu suchen und in dem glücklichen Umstand, daß sich stets eine Reihe von Männern meinem Hause verband, die die erforderlichen Qualitäten eines Tierlehrers mitbrachten. Neben den bereits erwähnten Dompteuren muß ich da vor allen Dingen Richard List, Fritz Schilling, August Mölker, Ole Nansen, Jony Schipfmann, Willi Peters, Hermann Boger, Willie und Charlie Judge, Karl Herbig, Johannes und Gustav Östmann, Corradini, Wagner, Christian und Theodor Schröder und andere nennen, die als tatkräftige Dompteure meiner zahmen Dressurschule mit Pferden, Affen, Elefanten, Raubtieren, Seelöwen – ja sogar mit Walrossen arbeiteten und jahrelang gefeierte Artisten im In- und Ausland waren. Viele junge Assistenten und Wärter, die gegenwärtig diesen bewährten Tierlehrern assistieren, versprechen dem Namen meiner Dressurschule auch in Zukunft einen guten Klang zu verleihen.

Mein Bruder Wilhelm war ebenfalls einer der ersten Dompteure des neuen Systems. Im Hippodrom zu Paris zeigte er als große Neuigkeit einen jungen Löwen zu Pferd, und er war es auch, der die großen Gruppen dressierter Eisbären zuerst im Zirkus vorgeführt hat. Durch ihn hat es sich herausgestellt, daß die Eisbären, welche früher als unzähmbar verschrien waren, sich schließlich durch geduldige und gute Behandlung als recht gelehrige Kerle erwiesen. Auch alle übrigen Bärenarten, sowohl die russischen als auch die amerikanischen und indischen Arten, sind recht gut für die Dressur zu verwenden, jedoch nur in ihren ersten Lebensjahren. Sobald sie ein Alter von drei oder vier Jahren erreicht haben, werden diese Tiere launenhaft und gefährlich, und man kann sagen, daß die meisten Unglücksfälle, bei denen Menschen verwundet oder zerrissen werden, durch Bären herbei geführt wurden.

Ehrlicherweise möchte ich erwähnen, daß ich selbst als eigentlicher Dompteur weder in Betracht komme noch auch irgendwie,[94] abgesehen von meinem Chikagoer Debüt, öffentlich hervorgetreten bin. Die meisten Gruppen, die ich zusammengestellt habe und die unter meiner Leitung dressiert wurden, habe ich aber dennoch unmittelbar kennengelernt. Fast immer ging ich selbst in den Käfig und gewann Fühlung mit den Tieren. Meinen ersten Versuch als Tierbändiger machte ich in der Mitte der siebziger Jahre, aber nicht etwa öffentlich. Damals verkaufte ich an den Neger Ledgar Delmonico, der in England als Tierbändiger einen bedeutenden Ruf hatte, drei junge Löwen und drei junge Tiger, welche Delmonico während eines Vierteljahres in einem eigens gebauten Wagenkäfig bei mir dressierte. Er behauptete, daß niemand außer ihm es wagen würde, den Käfig zu betreten. Als er mich aber am letzten Tage vor seiner Abreise mit der Frage neckte, ob ich nicht von meinen Freunden Abschied nehmen wolle, machte er die Rechnung ohne den Wirt. Obgleich ich bei weitem noch nicht die Erfahrung besaß, die mir heute zur Seite steht, so wußte ich doch schon ganz genau, wieweit ich den Tieren trauen konnte. Ohne weiteres ließ ich den Sicherheitskäfig vorhängen, begab mich zu den Tieren Delmonicos, befahl, daß man mir von draußen die Requisiten zu reiche, genau in der Art, wie auch Delmonico sich die Geräte hatte geben lassen, und machte dem verblüfften Tierbändiger nun die ganze Dressur vor, die er selbst mit seinen Tieren einstudiert hatte. Schief kann es schon mal gehen trotz aller Vorsicht und Kaltblütigkeit. Aber wie man sieht, habe ich diese Proben alle gut überstanden. Nur einmal wurde mein Anzug ruiniert, als ich einige Offiziere mit ihren Damen durch meinen Tierpark begleitete und die Tiere nach meiner Gewohnheit durch die Gitter streichelte. »Na, na, mit den Gittern zwischen den Tieren und Ihnen ist die Geschichte ja nicht weiter gefährlich, aber hineingehen würden Sie doch wohl nicht«, spöttelte der eine und fuhr auf meine Entgegnungen fort: »Reden und riskieren ist zweierlei!« Bei den letzten Worten, die eine direkte Herausforderung waren, war ich schon bei der Käfigtür und verriegelte sie hinter mir von innen. Während draußen vor dem Gitter die Gesichter auf einmal lang wurden, umringten mich meine zwölf Löwen[95] und ebenso viele Hunde. Ich hatte Mühe, mich mit bloßen Händen ihrer plumpen Zärtlichkeiten zu erwehren. Bald hatte ich aber die Gesellschaft unter Kommando und führte aus dem Stegreif einige Tricks vor, die ich meinen Tieren bereits beigebracht hatte. Wie gesagt, meinem Anzug bekam dieser Löwenbesuch sehr schlecht, denn die Tiere waren in der Haarung, und ich sah selbst bald aus wie ein Löwe. Als ich wieder bei der Gesellschaft stand, wurde ich, wie dies so häufig geschieht, mit hundert Fragen über die Tierdressur überschüttet.

Unter den Frauen, die sich dem seltenen Beruf einer Dompteuse widmeten, erinnere ich mich an eine Frau Steiner, die nach sechsmonatiger Dressur mit einer Gruppe von Hyänen, Hunden, Bären und einem jungen Lippenbär auf Reisen ging. Unter dem Namen »Miß Cora« hatte sie in Artistenkreisen einen guten Ruf. Sie war eine schöne, stattliche Erscheinung, die hauptsächlich in Frankreich und Spanien große Erfolge hatte. Von jeher hat es unter den Damen, die sich dem Berufe der Tierdressur widmeten, vorzügliche und kaltblütige Arbeiterinnen gegeben. Die erste mir bekannte Dompteuse, die schon einmal erwähnte Schwedin Cäcilie, arbeitete mit Löwen, Tigern und Bären. Claire Heliot wurde ebenfalls durch ihre Löwengruppe sehr bekannt. Sie verstand nicht nur, geschickt zu arbeiten, sondern auch ihre Arbeit vor dem Publikum wirkungsvoll in Szene zu setzen.

Auf einem ganz anderen Blatte steht und zu hochinteressanten Experimenten führt die Zusammenstellung von Raubtieren und Haustieren, Gegensätzen, die einander in der Natur ausschließen. Und doch hat die zahme Dressur auch diesen Triumph davongetragen. Meinen ersten derartigen Versuch machte ich im Sommer 1899. Es war bereits gelungen, zwei Tiger, drei Löwen, zwei schwarze Panther, zwei Leoparden, drei Angoraziegen, zwei schwarzköpfige Somalischafe, ein indisches Zwergzebu, ein Shetlandpony und einen Seidenpudel aneinander zu gewöhnen, selbstverständlich lauter Jungtiere, teilweise erst im Alter von sechs bis acht Monaten. Leider ging mir diese Gruppe durch die bereits beschriebene Cholera[96] ein, und was ich schließlich an Überbleibseln noch in der Weltausstellung zu Chikago vorführen konnte, eignete sich nicht mehr für große Effektstücke.

Wie sich zwischen den Tieren einer dressierten Gruppe Freundschaften zu ihrem Dresseur entwickeln, so entstehen dabei auch andererseits solche der Tiere untereinander, und der Dresseur tut gut, wenn er jene Tiere möglichst zusammen arbeiten läßt. Solange solche Freundschaften Tiere verwandter Art umfassen, sind sie für niemand überraschend. Ich entsinne mich zweier unzertrennlicher Freunde: eines Kronenkranichs und eines westafrikanischen Straußes, dann wieder eines Kranichs und einer Gans. Etwas auffallender war schon die Freundschaft, die ein Elefant mit einem Pony geschlossen hatte. Der Dickhäuter verfiel in Melancholie und verweigerte die Nahrung, wenn er von seinem zierlichen Gefährten getrennt wurde. Die erste gemischte Raubtiergruppe, die noch mein Vater zusammenstellte, bestand aus einem großen Bengaltiger, einem indischen Panther und einem Foxterrier. Diese drei Tiere waren durch innige Freundschaft verbunden. Der Terrier fraß an demselben Knochen wie der Tiger, und dieser dachte nie daran, seinem kleinen Kameraden ein Leid anzutun. Sehr viel erstaunlicher ist es nun, wenn man Tiere miteinander »arbeiten« sieht, die von Natur zu den grimmigsten Gegnern bestimmt sind. So haben wir in modernen großen gemischten Gruppen Tiger und Löwen mit Pferden und Ziegen friedlich zusammen arbeiten sehen. Auch hier erreichte ich meine Erfolge durch dieselben einfachen, liebevoll auf den Charakter eingehenden Mittel und durch Anwendung des maßgebenden Einflusses, nämlich der Gewöhnung.

Zunächst werden beispielsweise das Pferd und der Löwe, die gemeinsam auftreten sollen, derartig befestigt, daß sie einander nicht erreichen können, sich aber sehen; so gewöhnen sie sich an den gegenseitigen Anblick und an den Geruch. Sie gewöhnen sich ferner daran, in der Gegenwart des anderen Tieres zu fressen und zu schlafen, mit einem Wort, die ungewohnte Nachbarschaft als etwas Selbstverständliches hinzunehmen. Hat man die Jungtiere so weit,[97] daß das Raubtier keine Mordlust, der Pflanzenfresser keine Furcht mehr empfindet, so werden sie in Gegenwart des Wärters losgelassen und zusammengeführt. Alsdann tritt dasselbe Prinzip der geschilderten zahmen Dressur in Kraft. In den siebziger Jahren leistete der Amerikaner Woodward in der Robbendressur wirklich Großartiges. Manche meiner Zeitgenossen werden sich noch darauf besinnen können, wie dieser Dompteur seine ersten dressierten Seehunde in der damaligen Möllerschen Tierschau am Spielbudenplatz auf St. Pauli ausstellte. Vor wenigen Jahren stellte sich ein Mann bei mir vor, der sich erbot, als Seehundedresseur bei mir zu arbeiten. Ich hatte gerade fünf schöne Seehunde, und so engagierte ich den Mann, der seine Sache vortrefflich verstand. Nach vier Monaten hatten sich die Seehunde in Artisten verwandelt. Sie schlugen das Tamburin, zupften die Gitarre, feuerten Pistolen ab und apportierten Gegenstände, die ins Wasser geworfen wurden. Später erwarb Barnum die Gruppe für 2500 Dollar. Es war das beste Seehundegeschäft, das ich bisher gemacht hatte.

Noch folgsamer und gewandter als Seehunde sind aber die kalifornischen Seelöwen. Diese Art ist es auch, von der man im Zirkus die großartigsten Tricks ausführen sieht. Die Seelöwen sind die muntersten unter allen Robben, auch gewöhnen sie sich sehr gut an unser Klima. In den verschiedensten Zoos, in Köln, Paris, Amsterdam und Antwerpen, haben sie sich fortgepflanzt. Zwei jungen Engländern, Willie und Charlie Judge, welche einige Jahre in meinem Unternehmen tätig waren, gelangen vorzügliche Dressuren. Den ersten großen Seelöwen erhielt ich 1880 von meinem alten Freund Barnum. Das Tier war über sechs Zentner schwer. Es lief bald wie ein Hund hinter mir her. Meinem Vater bereitete es ein großes Vergnügen, sich mit diesem Seelöwen zu beschäftigen. Es war an einem Sonntag. Gerade umstanden einige hundert Besucher das Gehege des Seelöwen und beobachteten die Fütterung. Als der Korb zur Hälfte geleert war, drehte sich mein Vater um. Da ereignete sich etwas Entsetzliches. Blitzschnell rutschte der Seelöwe hinter meinem Vater her, packte ihn im Rücken und riß ihm mit einem[98] Ruck Rock, Hose und Hemd von einer Stelle seines Körpers weg, die man nicht öffentlich zu zeigen pflegt. Im nächsten Augenblick biß sich der Seelöwe an dem Korbe fest, entriß diesen der Hand meines Vaters und begann nun, in aller Gemütsruhe den Rest der Fische zu verzehren, während mein Vater schleunigst in eine Eckbude flüchtete, wo ihm anständigerweise nichts anderes übrigblieb, als seinen Rücken der Wand zuzukehren. Ich kam ihm schnell mit einem anderen Anzug zu Hilfe, und bald darauf erschien er zum Vergnügen des Publikums wieder auf der Bildfläche. Der Angriff des Seelöwen war durchaus nicht auf die bösartige Neigung zurückzuführen, sondern es war der Fehler meines Vaters gewesen, mehr Fische mit ins Gehege zu nehmen, als für den Seelöwen bestimmt waren. Dieser hatte nichts gewollt als den Rest der Fische, die er im Korb bemerkt hatte. Ein weiterer Angriff ist nie mehr vorgefallen, da seit jenem Vorkommnis nicht mehr Fische mitgenommen wurden, als verfüttert werden sollten. Ich will hier nicht aus der Schule schwatzen, doch hoffe ich, ehe viel Zeit ins Land gegangen ist, dem Publikum einen Triumph der Tierzähmung vorführen zu können, der alle bisherigen Dressuren in den Schatten stellt.

Quelle:
Hagenbeck, Carl: Von Tieren und Menschen. Leipzig 1967, S. 80-99.
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