Lebensregel
Eine Makrobiotik
(= Kunst das Leben zu verlängern)
in Merkversen

[132] Willst leben froh und in die Läng,

Leb' in der Jugend hart und streng,

Genieße alles, doch mit Maß,

Und, was dir schlecht bekommt, das laß.


Das Heute ist ein eigen Ding,

Das ganze Leben in einem Ring,

Die Gegenwart, Vergangenheit,

Und selbst der Keim der künft'gen Zeit.


Drum lebe immer nur für heut,

Arbeit', genieße, was es beut,

Und sorge für den Morgen nicht,

Du hast ihn heut schon zugericht.


Was du genießt, genieß mit Dank,

So ist dein Leben ein Lobgesang.


Mit Milch fängst du dein Leben an,

Mit Wein kannst du es wohl beschließen,

Doch fängst du mit dem Ende an,

So wird das Ende dich verdrießen.[132]


Die Luft, Mensch, ist dein Element,

Du lebest nicht von ihr getrennt;

Drum täglich in das Freie geh'

Und besser noch auf Berges Höh'.


Das Zweite ist das Wasserreich,

Es reinigt dich, und stärkt zugleich,

Drum wasche täglich deinen Leib,

Und bade oft zum Zeitvertreib.


Dein Tisch sei stets einfacher Art,

Sei Kraft, mit Wohlgeschmack gepaart,

Misch'st du zusammen vielerlei,

So wird's für dich ein Hexenbrei.


Iß mäßig stets und ohne Hast,

Daß du nie fühlst des Magens Last,

Genieß es auch mit frohem Mut,

So gibt's dir ein gesundes Blut.


Fleisch nähret, stärket und macht warm,

Die Pflanzenkost erschlafft den Darm,

Sie kühlet und eröffnet gut,

Und macht dabei ein leichtes Blut.


Das Obst ist wahre Gottesgab,

Es labt, erfrischt und kühlet ab,

Doch über allem steht das Brot,

Ja, jede Speise kann allein,

Mit Brot nur dir gesegnet sein.[133]


Das Fett verschleimt, verdaut sich schwer,

Salz macht scharf' Blut und reizet sehr;

Gewürze, ganz dem Feuer gleicht,

Es wärmet, aber zündet leicht.


Willst du gedeihlich Fisch genießen,

Mußt du ihn stets mit Wein begießen.


Den Käs iß nie in Übermaß,

Mit Brot, zum Nachtisch taugt er was.


Der Wein erfreut des Menschen Herz,

Zuviel getrunken macht er Schmerz,

Er öffnet sträflich deinen Mund,

Und tut selbst dein Geheimnis kund.


Das Wasser ist der beste Trank,

Es macht fürwahr dein Leben lang,

Es kühlt und reiniget dein Blut,

Und gibt dir frischen Lebensmut.


Der Branntwein nur für Kranke ist,

Dem Gesunden er das Herz abfrißt,

An seinen Trunk gewöhn' dich nie,

Er macht dich endlich gar zum Vieh.


Befleiß'ge dich der Reinlichkeit,

Luft, Wäsche, Bett, sei oft erneut,

Denn Schmutz verdirbt nicht bloß das Blut,

Auch deiner Seel' er Schaden tut.[134]


Willst schlafen ruhig und komplett,

Nimm keine Sorgen mit ins Bett,

Auch nicht des vollen Magens Tracht,

Und geh zur Ruh' vor Mitternacht.


Schlaf ist des Menschen Pflanzenszeit,

Wo Nahrung, Wachstum baß gedeiht,

Und selbst die Seel', vom Tag verwirrt,

Hier gleichsam neu geboren wird.


Schläfst du zu wenig, wirst du matt,

Wirst mager und des Lebens satt,

Schläfst du zu lang und kehrst es um,

So wirst du fett, ja wohl auch dumm.


Willst immer froh und heiter sein,

Denk nicht: »Es könnte besser sein.«

Arbeite, bet', vertraue Gott,

Und hilf den Nächsten aus der Not.


Vermeide allen Müßiggang,

Er macht dir Zeit und Weile lang,

Gibt deiner Seele schlechten Klang,

Und ist des Teufels Ruhebank.


Halt deine Seele frei von Haß,

Neid, Zorn und Streites Übermaß,

Und richte immer deinen Sinn

Auf Seelenruh und Frieden hin.[135]


Denn Leib und Seele sind genau

In dir vereint, wie Mann und Frau,

Und müssen stets, sollst du gedeihn,

In guter Eh' beisammen sein.


Liebe, reine Herzensliebe

Führe dich der Ehe zu;

Denn sie heiligt deine Triebe,

Gibt dem Leben Dauer und Ruh.


Bewege täglich deinen Leib,

Sei's Arbeit oder Zeitvertreib;

Zu viele Ruh macht dich zum Sumpf,

Sowohl an Leib als Seele stumpf.


Willst sterben ruhig ohne Scheu,

So lebe deiner Pflicht getreu,

Betracht' den Tod als deinen Freund,

Der dich erlöst und Gott vereint.


Christoph Wilhelm Hufeland

Gedichtet auf seinem Sterbelager im August 1836[136]

Quelle:
Hufeland. Leibarzt und Volkserzieher. Selbstbiographie von Christoph Wilhelm Hufeland. Stuttgart 1937, S. 132-137.
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