Reise nach Holland 1810

[110] Der damalige König von Holland, Louis Napoleon, litt an Lähmungen der Hände und Füße (Tabes dorsualis) und wünschte einen Besuch und Rat von mir. Der König von Preußen, der diesen unter den vier Brüdern Napoleons allein als einen wirklich wohldenkenden Mann schätzte, gab mir den Auftrag dazu, und ich reiste Ende Mai 1810 zu ihm in Begleitung meines treuen Emils, der mir in aller Hinsicht ein zweiter Sohn wurde. – In Bentheim wurde ich von einem perniziösen Wechselfieber befallen, doch durch die stärksten Gaben China war es bald unterdrückt, und ich kam, noch sehr matt und angegriffen, in Harlem an, wo ich von dem König in dem schönen Hopeschen Hause sehr wohlwollend aufgenommen wurde. Wunderbar waren meine Gefühle und Betrachtungen über Gottes Wege, mich plötzlich in die Familie und an den Hof eines Napoleon und, während meines Aufenthaltes in Amsterdam, in das berühmte Rathaus, das mir von Kindheit an so merkwürdig gewesen, versetzt zu sehen. Meine Menschen-, Völker- und Lebenskunde wurde durch diese Reise beträchtlich vermehrt, denn wunderbarer Weise[110] traf die letzte Revolution in Holland, wodurch es ganz zur französischen Provinz wurde, mit meiner Reise zusammen. 30000 Franzosen rückten plötzlich in Holland ein, Louis Napoleon, ein wirklich edler Mensch, sollte arretiert werden, er floh in der Nacht aus Harlem, und ich war allein in dem revolutionierten Lande. Mit Mühe gelang es mir, über Rotterdam, Antwerpen, Brüssel und Aachen zurück zu kehren, und leider erfuhr ich zuerst in Fulda, dann mit Gewißheit in Weimar, daß die Königin Luise während meiner Abwesenheit gestorben war! – Ein Donnerschlag für mich, denn mein ganzes Herz hing an ihr. Bei meiner ersten Audienz beim Könige konnte weder er, noch ich sprechen. Tränen erstickten unsere Worte. Es war mir, als wenn die leuchtende und erwärmende Sonne unseres Horizontes untergegangen wäre, alles kam mir kühl, trübe und erstorben vor.

Quelle:
Hufeland. Leibarzt und Volkserzieher. Selbstbiographie von Christoph Wilhelm Hufeland. Stuttgart 1937, S. 110-111.
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