Vorwort.

Vom Vorstande des Deutschen Lehrer-Vereins für Naturkunde ist mir der ehrenvolle Auftrag zu teil geworden, für die Mitglieder dieses grossen und angesehenen Vereins eine Käferfauna von Deutschland zu bearbeiten. Ich habe mich dieser Aufgabe mit Vergnügen unterzogen und bedauere nur, dass ich nicht das ganze Werk so durchführen konnter wie ich es bei der ersten Hälfte der Carabicinen versucht habe. Die Vereinsleitung konnte eben bei dem geringen Mitgliedsbeitrag über den geplanten Umfang der einzelnen Bände nicht oder nur um ein Geringes hinausgehen, und so wird das ganze Werk etwa 5 Bände mit je durchschnittlich 12–15 Druckbogen und ca. 40 farbigen Tafeln umfassen.

Auf die Zahl und Herstellung der letzteren habe ich keinen Einfluss genommen. Sie wurden vom Herausgeber, Dr. K.G. Lutz, zusammengestellt und redigiert; für die grosse Mühe und den enormen Zeitaufwand, welche diese Arbeiten erforderten, haben wir allein ihm zu danken. Ich habe mich lediglich darauf beschränkt, die abzubildenden Arten, so weit möglich, zur Verfügung zu stellen und an den farbigen Tafeln (Probedrucken) Ausstellungen zu machen, was bekanntlich viel leichter und bequemer ist, als sie herzustellen.

Es ist selbstverständlich, dass trotz der ausserordentlichen Sorgfalt, welche auf die Tafeln verwendet wurde, nicht alle Abbildungen der eingehenden Prüfung eines Fachmannes standhalten können: die meist kleinen, unscheinbaren, dunkelgefärbten Käfer eignen sich zur bildlichen Darstellung viel weniger als z.B. die Schmetterlinge, denn schon durch die Vergrösserung derselben entsteht ein Bild, das uns fremd erscheint; auch liegen die unterscheidenden Merkmale oft so, dass sie auf dem Bilde nicht zur Geltung kommen können.

Hätten wir nicht Rücksicht darauf nehmen müssen, dass eben für viele Vereinsmitglieder nur diejenigen Arten in Betracht kommen, welche sie in ihrer nächsten Umgebung finden und die sie rasch durch Vergleichung mit den Abbildungen bestimmen können, dann wären nur Vertreter der Gattungen (so weit möglich mit den Larven) farbig abgebildet worden, im Texte aber hätten schematische Zeichnungen mit den wichtigsten unterscheidenden Merkmalen der Familien, Gattungen und Arten Aufnahme gefunden. Uebrigens können die farbigen Tafeln den Naturfreunden, welche nicht in der Lage sind, sich eine Käfersammlung anzulegen, trotzdem aber diese Insekten genauer studieren wollen, die Sammlung bis zu einem gewissen Grade ersetzen.

[5] Bei der Herstellung der farbigen Tafeln wurden hauptsächlich die in folgenden Werken:


Sturm, Deutschlands Käfer. Nürnberg 1805–77,

Dejean, Boisduval et Aubé, Icongraphie et hist. natur. des Coléoptères d'Europe. Paris 1829–40,

Jacquelin Du Val et Fairmaire, Genera des Coléoptères d'Europe. Paris 1807–62,

Fowler, The Coleoptera of the British Islands. London 1887–91,


vorhandenen Abbildungen als Umrisszeichnungen benützt (wodurch sich der verschiedene Massstab in der Vergrösserung erklärt) und Zeichnung und Kolorit mit wenigen Ausnahmen nach der Natur ausgeführt. Die Mehrzahl der Abbildungen von Larven und Puppen sind Kopien aus »Schiödte, De Metamorphosi Eleutheratorum observationes«; desgleichen diejenigen der Mundteile, Fühler etc. Kopien aus Sturm, bezw. Jacquelin Du Val. Lithographiert und gedruckt wurden die Tafeln von der Kgl. Hofkunstanstalt Eckstein & Stähle in Stuttgart, der wir auch hier unsere Anerkennung aussprechen wollen.

Dankbar bin ich der Vereinsleitung, dass sie mir trotz der hohen Kosten, welche die farbigen Tafeln verursachten, gestattete, im Texte noch eine grössere Anzahl von Figuren zu bringen, welche die vielfach kurzgehaltenen Erklärungen wesentlich unterstützen.

In der Einleitung (S. 1–64) werden die Naturfreunde, welche noch nicht tiefer in dies Gebiet eingedrungen sind, über das Allgemeine in der Coleopterologie so unterrichtet, dass sie in der Lage sind, auf dieser Grundlage selbständig weiterzubauen. Im speziellen Teil ist meist auf sekundäre, leicht sichtbare, in die Augen fallende Merkmale Bezug genommen, um den Anfänger nicht abzuschrecken; die primären, meist auf der Unterseite gelegenen oder schwer zugänglichen Unterschiede sind häufig erst in zweiter Linie berücksichtigt.

Jedenfalls ist der Text so gestaltet, dass der Anfänger, ein gründliches Studium der Einleitung vorausgesetzt, die analytischen Tabellen mit Erfolg benützen kann; aber auch der vorgeschrittene Coleopterologe wird viele neue wertvolle Unterscheidungsmerkmale benützt finden, die sonst noch nicht beobachtet worden sind. Ich habe mich an die bis jetzt erschienenen Bände von Ganglbauer, Die Käfer von Mitteleuropa, angelehnt; wo ich lediglich die bekannten analytischen Sätze wiedergab, sind sie gewissenhaft nachgeprüft und für die Erkennung der betr. Arten, Gattungen etc. als hinreichend befunden worden.

Nur durch Vergleichung der Objekte mit den Tafeln lassen sich die kleinen Käfer nicht sicher bestimmen. Ich bitte deshalb jeden Käfersammler dringend, er möge doch die Tabellen immer und immer wieder mit Sorgfalt benützen; er wird diese mühsam ausgearbeiteten Bestimmungsschlüssel bald schätzen und mit der Zeit so gebrauchen lernen, dass ihm die Abbildungen kaum mehr nötig sind.

Der Umfang des Faunengebiets ist mit dem gegenwärtigen Deutschen Reiche abgegrenzt. Nur Böhmen, Mähren und Nieder-Schlesien, welche Landesteile auch mein † 1. Freund Letzner aus praktischen Gründen zu seiner Schlesischen Fauna gezogen hat, sind dabei noch berücksichtigt. Ein besonderer Grund, diese österreichisch-deutschen [6] Provinzen anzuschliessen, lag aber in dem Umstande, dass ich selbst die Fauna meines Domizils, welches hart an der mährisch-schlesischen Grenze liegt, in dem Werke berücksichtigt wissen wollte. Bei einer 2. Auflage könnte unsere »Fauna« so ausgedehnt werden, dass ihr Gebiet mit dem deutschen Sprachgebiet zusammenfiele, oder aber könnte ein weiterer Band folgen, in welchem die fehlenden Arten nachgetragen werden.

Wie viele Augen haben unsere Käfer von oben bis unten betrachtet! Wie viele Autoren haben uns die vielen Formen und ihre Einzelheiten beschrieben! Und immer noch finden neue Beobachter Eigentümlichkeiten, welche sich allen vorhergehenden Blicken entzogen haben oder ihnen nicht aufgefallen sind. Einen fast unerschöpflichen Born wunderbarer An passungseigenschaften hat die analytische Beobachtungsweise an das Licht gebracht, und immer noch bleibt späteren Beobachtern und nachfolgenden Studien die Wahrscheinlichkeit, auch an den bekannten Objekten neue, übersehene Eigentümlichkeiten zu entdecken. Deshalb muss jede Fauna auf analytischer Grundlage durchstudiert werden, wenn sie uns bei Zeitersparung die Auskünfte geben soll, die wir von ihr zu erhalten wünschen.

Schon das Sammeln der Naturgegenstände und die Bereicherung der Sammlung werden dem Naturfreunde viel Freude bereiten. Aber erst bei der eingehenden Beobachtung auch der lebenden Natur wird er zahlreiche glückliche Stunden erleben; seine Sorgen werden ihm erträglicher, seine oft so harten Berufspflichten angenehmer erscheinen. Auf jedem Spaziergang in Feld und Wald hat der Entomologe Gelegenheit, das gesetzmässige Walten der Natur zu erkennen. Sein Auge bewundert nicht wie das des Laien nur die schöne Aussicht; er sieht mehr: jede Pflanze, von einem Insekt beschädigt, weist ihn hin auf die Wechselwirkung zwischen Tier- und Pflanzenreich; bei jedem Schritt hat er Gelegenheit, biologische Beobachtungen anzustellen, und er wird gewiss dahin gelangen, die unvergleichliche Vollkommenheit im Walten der göttlichen, erhabenen Natur bewundernd zu erkennen.

Zu dem Vergnügen, das uns die Beobachtung der Käferwelt im Grossen bereitet, soll und muss das Bestreben kommen, die einzelnen Arten durch eigene Anschauung kennen zu lernen; denn wie das Insekt, das wir im Freien selbst beobachtet und gesammelt haben, für uns wertvoller ist, als ein von einem Freunde geschenktes, so werden uns auch diejenigen Käfer unserer Sammlung die liebsten sein, welche wir selbst bestimmt haben.

Möge sich unsere »Fauna«, das einzige Werk, welches alle deutschen Käferarten umfasst, als ein brauchbares Hilfsmittel bei dieser zum Teil sehr schwierigen Arbeit erweisen und möge sie der Coleopterologie wie auch dem Verein, der sich mit der Herausgabe dieses Werkes ein grosses Verdienst erwirbt, viele neue Freunde gewinnen helfen.


PASKAU in Mähren,

August 1908.

Edmund Reitter.

Quelle:
Edmund Reitter: Fauna Germanica. Die Käfer des deutschen Reiches. Stuttgart: K.G. Lutz, 1908, S. V5-VIII8.
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