Hamburg

Frühjahr 1813

[423] Die Geschichte der Tage, in welche wir jetzt eintreten, schien anfangs in dem Aufstehen anderer Städte und Länder Deutschlands, wozu damals Hoffnung und Aussicht war, sich wiederholen zu müssen und Hamburg keinen Anspruch zu haben, in der allgemeinen Erhebung mehr zu bedeuten, als ihm nach Verhältnis der Lage und Kräfte zukam. Nachdem aber das Beispiel dieser Stadt ohne Nachahmung geblieben und ihr allein das Los geworden, für ihre kühne Entschlossenheit die schweren Geschicke zu erdulden, welche wie ein großes Trauerspiel die Teilnahme der Zeitgenossen heftig aufregten, so steht auch ihre Geschichte während dieser Zeit als ein eignes, abgeschlossenes Ganzes da und gewinnt einen höheren, von den allgemeinen Ereignissen fast unabhängigen Wert.

Die Spannung, in welcher der Anfang des Jahres 1813 die Gemüter durch das ganze nördliche Deutschland fand, hatte in rascher Stufenfolge sich aufs höchste gesteigert, aus der dumpfen Erwartung mußten heftige Bewegungen hervorbrechen. Der Haß gegen die französische Herrschaft war durch alle er sinnliche Maßregeln der Strenge, der Beschränkung, der Arglist und Verführung mehr genährt als zurückgedrängt worden und zeigte sich offner und unruhiger, je näher die jammervollen Reste des in Rußland untergegangenen Heeres den Anblick einer Niederlage brachten, für welche weder Erfahrung noch Einbildungskraft einen Maßstab hatten; die Berichtigung, anstatt wie sonst auf geringere Angaben zurückzuführen, fand nur immer zu steigern und hinzuzutun: ein weit größeres Verderben hatte Napoleon seinem eignen Heere gebracht als jemals einem fremden. Jetzt fühlte jedermann, daß auch für Deutschland der Augenblick der Freiheit gekommen sei; nur wie er zu ergreifen wäre, lag noch in dunkler Ungewißheit. Besonders[424] hatten diejenigen Landschaften, welche in französische oder westfälische Departements verwandelt waren, den größten Anreiz, ihre Bande abzuwerfen; doch, ihrer Fürsten beraubt, ohne Zusammenhang und Vertrauen, fühlten sie zu sehr ihre Vereinzelung und Schwäche, um selbständig die Waffen zu ergreifen. Desto sehnsüchtiger blickten sie auf die Annäherung der siegreichen Russen.

Gleichwohl eilte der ungeduldige Eifer der Unterdrückten diesem Zeitpunkt auch zuvor. Im französischen Gebiete selbst, in einer Stadt, welcher die russische Hülfe damals noch sehr entfernt war, in Hamburg, wo die französische Herrschaft recht im Gegensatze mit dem vorigen Freiheitsglück die unerträglichste Qual und Lebenshemmung geworden war, brach am 24. Februar, bei einem unbedeutenden Anlaß am Altonaer Tor, der langverhaltene Grimm furchtbar aus. Eine große Menschenmasse, die sich wegen aufreizender, von den französischen Douaniers mit barscher Strenge ausgeführter Durchsuchungen angehäuft hatte, drang endlich im Gefühl ihrer Kraft auf diese verhaßten Diener der fremden Gewalt kühn und entschlossen ein, überwältigte und entwaffnete sie, zertrümmerte das Wachthaus und riß eine lange Reihe starker Palisaden, welche zur Absperrung dienten, in einem Augenblicke nieder. Der siegesfrohe Haufen tobte sodann wütend durch die Straßen der Stadt, rief den Franzosen Tod und Verderben, suchte die französischen Beamten auf, die schon größtenteils geflohen oder versteckt waren, stürmte deren Wohnungen, zerschlug besonders die Zeichen der Kaiserschaft und rief Schmähungen und Flüche gegen Napoleon und seine Helfer aus. Weil jedoch in der bewegten Menge weder Einheit und Plan war noch ein Anführer auftrat, der ihr beides hätte geben können, so verlor sich der Tumult nach und nach in dem Dunkel der Nacht. Gleich am folgenden Tage gingen Gewerb und Handel, als wäre nichts vorgefallen, in gewohnter Ordnung ruhig wieder ihren Gang. Einige dänische Husaren, die auf dringendes Ansuchen der vom[425] ersten Schrecken aufatmenden Franzosen in die Stadt gerückt waren, wirken zur Beruhigung mit, indem sie den Behörden zum Schutz dienten, ohne sich dem Volke feindlich zu bezeigen. Dieses erkannte auch sogleich ihre Gesinnung, benahm sich friedlich gegen sie und zeigte ausdrücklich, daß es sie von der Sache der Franzosen trenne. Die letzteren durften sich nicht allzu dreist hervorwagen oder liefen Gefahr, beleidigt und angefallen zu werden. Daß auch im untersten Volke bei dieser Feindseligkeit noch ein anderer Trieb walte als rohe Widersetzlichkeit und Plünderungslust, mußten selbst die französischen Beamten zugestehn, und dies verdroß und beschämte sie am meisten; ein allgemeiner Haß machte sich Luft, dies war nicht zu verhohlen noch zu beschönigen. Keine Verletzung des Eigentums, keine Mißhandlung, keine Ausschweifung hatte der Pöbel begangen, die nicht lediglich gegen die Franzosenherrschaft gerichtet gewesen wäre, ja, beim Plündern einigen Kassen hatten Leute von zerlumptem Ansehn die vollen Beutel jubelnd auf die Straße unter die Menge ausgeworfen, und das Geld wurde in den folgenden Tagen größtenteils wieder eingeliefert.

Im Vorteil bestehender Einrichtung und geordneter Wirksamkeit, wußten sich die Franzosen mit kluger Vorsicht doch noch im Besitze der Macht zu erhalten und bald wieder die Oberhand zu nehmen. Sie zogen die angesehensten Bürger zu Rat, übertrugen diesen manche Maßregeln und Anstalten und vertrauten teilweise der Bürgerschaft sogar die Waffen wieder, die man ihr früher mit sorgsamer Strenge abgenommen hatte. Die Bürger fügten sich zwar ungern in soldatische Ordnung, zumal sie wohl fühlten, daß ihre Bewaffnung weniger ihre eigne Sicherheit als die der französischen Gewalt bezwecke, doch nahmen sie die aufgedrungenen Waffen meist in der Hoffnung an, sie bald auch nach eignem Sinne und wider den nicht zweifelhaften wahren Feind zu gebrauchen. Einstweilen aber mußten sie dessen Macht und Ansehn verstärken helfen; dies geschah in[426] solchem Maße, und Mißtrauen und Zweifel hatten so zugenommen, daß die Franzosen sogar wagen durften, eine Anzahl von Schlachtopfern, welche als Rädelsführer des Aufruhrs gelten mußten, aus der untersten Volksklasse herauszugreifen und nach kurzem Verfahren sogleich erschießen zu lassen. Hierdurch aber wurde das Volk aus der Betäubung, in die es verfallen war, wieder aufgeschreckt, und einen Tag später hätte keine Hinrichtung wiederholt werden können. Eine furchtbare Gärung brauste nun immerfort, bald lauter, bald dumpfer; die Lage der Franzosen wurde täglich bedrängter und angstvoller, sie fühlten, daß sie weder auf die dänischen Hülfstruppen noch auf die hamburgische Bürgerbewaffnung sonderlich rechnen durften; französische Truppen waren nirgends in der Nähe und aus der Ferne nicht zu hoffen. Überzeugt, dem Kaiser diesen wichtigen Platz nicht erhalten zu können, und doch wieder voll Furcht, ihn zu früh aufzugeben, schwankten sie in wechselnden Eindrücken des Schreckens, des Grimms, der Hoffnung und des Zagens und durften zuletzt nicht einmal Fortsendungen wagen, die dem Volke das Bild eines nahen Abzugs zu sehr vergegenwärtigt hätten. Die Lösung dieses gespannten Zustandes rückte indes von außen mit beschleunigten Schritten jeden Tag näher.

Schon am 14. März war Tettenborn an der Spitze einer vorausgeeilten Kosakenschar in Ludwigslust eingetroffen und hatte durch sein kluges, rücksichtsvolles, aber auch entschlossenes Betragen den Herzog von Mecklenburg-Schwerin sogleich bestimmt, das französische Bundesverhältnis augenblicklich aufzugeben und sich für die Russen und Preußen zu erklären. Dies erste Beispiel eines deutschen Fürsten, der die aufgedrungene Fremdherrschaft abzuwerfen wagte und für die Freiheit und Ehre des Vaterlandes sich jeder Gefahr unterzog, zeigte dem ganzen nördlichen Deutschland, was zu tun sei, und wirkte besonders auch in Hamburg auf die Gemüter, welche den Tag nicht fern sahen, der auch ihre Entscheidung fordern würde.[427]

Nach diesem erlangten Gewinne zog Tettenborn sogleich weiter und war mit seinem Vortrab am 15. März eben in Lauenburg eingerückt, als ihn dort eine Meldung traf, welche für den Augenblick die ganze Bewegung stocken machte, ja sogar zweifeln ließ, ob nicht der ganze Zug auf Hamburg schon als gescheitert anzusehen sei.

Während nämlich Tettenborn durch Mecklenburg gegen Hamburg vordrang, war gleichzeitig der französische General Morand auf dem Marsche durch dieses Land gegen die Elbe hin, und beide Marschlinien mußten hier zusammentreffen. Morand kam mit 2500 Mann Fußvolk, einiger aus Douaniers bestehender Reiterei nebst 16 Stücken Geschütz aus Schwedisch-Pommern, welches er auf erhaltenen Befehl geräumt hatte, und seine Stärke war hinreichend, den Marsch der Russen völlig aufzuhalten. In Mölln angekommen und durch den Anblick einiger hier nicht vermuteten Kosaken stutzig geworden, ließ er seine Truppen plötzlich haltmachen. Ihn im Rücken stehen zu lassen, durfte Tettenborn nicht wagen, ihn anzugreifen, war der einzige Rat; doch die Ausführung jedenfalls mißlich, da nur Reiterei ihm zu Gebote stand. Morand indes wartete dies nicht ab, sondern wandte sich, in der Ungewißheit über die Stärke und Absicht der Russen, noch während der Nacht mit allen seinen Truppen nach Bergedorf, wo sich die französischen Beamten aus Hamburg mit den Douaniers und sonstigem Anhang, welche in der gärenden Stadt den Eingebungen der Furcht nicht länger widerstanden hatten, mit ihm vereinigten. Die Franzosen standen demnach zwischen die Russen und Hamburg vorteilhaft eingeschoben. Ihnen aber wollten die Vorteile ihrer Stellung keineswegs einleuchten. Morand glaubte sich stark genug, die von jenen schon ganz aufgegebene Stadt noch als guten Zufluchtsort behaupten zu können, und wollte dorthin marschieren; allein die Dänen, besorgt, daß Holstein nicht der Schauplatz der Feindseligkeiten würde, hatten bereits mit 300 Mann und vielem Geschütz ihre Grenzen besetzt und weigerten den Durchzug durch ihr Gebiet, über[428] welches die Hauptstraße führte; die Nebenstraße hingegen durch die hamburgischen Niederungen des Billwerders schien den Franzosen unratsam.

Unter diesen Umständen mußte Morand sich wenigstens in Bergedorf und den Vierlanden behaupten, und da er inzwischen auch erkundet, daß die Russen nur Reiterei hätten, so sandte er am nächsten Morgen 500 Mann mit 8 Kanonen nach Escheburg, den von Lauenburg heranrückenden Russen entgegen. Tettenborn ließ durch den Oberstlieutenant Konstantin von Benkendorf sogleich den Feind angreifen und den ganzen Tag bis zur Nacht unaufhörlich beunruhigen. Die Gegend war den Russen sehr unvorteilhaft; von Escheburg bis Bergedorf ist ein einziger Engweg, den der Feind besetzt hielt und dessen linke Seite nach dem Elbufer, des niedrigen und zerschnittenen Bodens wegen für Reiterei unzugänglich, die rechte Seite aber nur in weitem Bogen zu umgehen war. Der Eifer und die Gewandtheit der Kosaken ersetzte bald den Nachteil dieser Umstände. Tettenborn ließ eine Anzahl absitzen und zu Fuß mit dem Feinde plänkeln; sie schlichen durch das Gebüsch ganz nah zu den feindlichen Kanonen, deren Kartätschenschüsse sie geschickt vermieden und dann mit Hurrageschrei verhöhnten; sie selbst aber nahmen die französischen Kanoniere zum Ziel und töteten deren viele.

Während diese Kosaken den Feind in der Fronte beschäftigten, sandte Tettenborn eine andere Abteilung auf Umwegen nach Bergedorf, wo Morand seine Haupttruppe beisammenhielt; die Feldwachen, keines Angriffs gewärtig, wurden überfallen und flohen in Unordnung bis in die Stadt, wo sie alles mit Schrecken und Bestürzung erfüllten; die Franzosen mußten ihre nach Escheburg vorgerückte Mannschaft vernichtet glauben. Als nun gar noch Kosakenzüge sich in der rechten Flanke zeigten, welche den Weg nach der Elbe hin zu sperren drohten, meinte Morand, dies nicht abwarten zu dürfen; er hatte schon in der Nacht sein Gepäck beim Zollenspieker über die Elbe geschickt, am[429] 17. März ganz in der Frühe brach er selbst mit allen Truppen in derselben Richtung auf, um sich auf das linke Elbufer zurückzuziehen. Tettenborn folgte ihm auf dem Fuße nach und drängte ihn dergestalt, daß eine Viertelstunde von Zollenspieker die Franzosen haltmachen mußten und auf einem querlaufenden Deich eine Batterie von 6 Kanonen aufpflanzten, welche den einzigen Deich, auf welchem die Russen nachrücken konnten, durch lebhaftes Feuer bestrichen. Aber auch hier saßen viele Kosaken ab, nahmen die Büchse zur Hand und unterhielten das Gefecht, bis Tettenborn seine beiden Kanonen auf dem Deiche trotz des feindlichen Feuers vorfahren ließ, von denen jedoch nur die eine zum Feuern kam; denn der Feind, nun gar Geschütz bei den Russen wahrnehmend, verlor die Lust weitern Widerstandes, suchte eiligst die Boote zu erreichen, die zur Überfahrt bereitstanden, verlor aber durch die nun um so hitziger ansprengenden Kosaken noch viele Leute und mußte ihnen auch die 6 Kanonen überlassen, welche schon eingeschifft waren, doch nicht mehr abfahren konnten.

Der Weg nach Hamburg war nun frei und auf dem rechten Elbufer kein Franzose mehr. Die Einwohner dieser Stadt und der umliegenden Gegend hatten die zwei Tage fortdauernden Kampfes in freudigbanger Erwartung und ungeduldiger Hoffnung zugebracht. Einzelne Reiter aus der Stadt hatten schon in der Gegend von Escheburg sich bei den Russen eingefunden, waren Zeugen der glücklichen Gefechte gewesen und hatten, zurückkehrend, durch ihre Erzählungen die ganze Bevölkerung zu den Ausbrüchen der leidenschaftlichsten Freude aufgeregt, welche durch die kurze Anwesenheit einer schon am 17. in die Stadt gedrungenen Streifpartei Kosaken noch stärker entflammt wurde. Der Maire und seine Beistände aus der Bürgerschaft sandten nun dem russischen Befehlshaber Abgeordnete entgegen, ihn zur Besetzung der Stadt einzuladen und ihm deren Wohl zu empfehlen. Tettenborn empfing diese Abgeordneten nachmittags in Bergedorf, als er eben nach Beendigung des[430] Gefechts gegen Morand dahin vorgerückt war. Sie legten dringend ihre und ihrer Mitbürger Wünsche vor, durch ihn das Joch der französischen Herrschaft von ihnen genommen zu sehn. Hier war es, wo Tettenborn durch Einsicht und Charakter den für Hamburgs Freiheit und Selbständigkeit entscheidendsten Ansprüchen die Bahn eröffnete und für die deutsche Sache überhaupt das nachahmenswürdigste Beispiel hervorrief, indem er den Abgeordneten erklärte, die Russen könnten allerdings das Begehrte tun, sie könnten es aber auch unterlassen und Hamburg als eine dem Feinde abgenommene Stadt behandeln; das letztere sei vielleicht für die russischen Waffen vorteilhafter, allein dergleichen Erwägungen dürften hier nicht gelten, die russische Sache sei mit der deutschen verschwistert, und diese fordre, daß die Hamburger selbst ihre Freiheit herstellten; sie möchten daher unverzüglich die französischen Behörden abschaffen, ihre ehemaligen eignen wieder einsetzen; er werde die Stadt nicht eher als Freund betreten, bis dies geschehen wäre. Mit dieser Antwort sandte er die Abgesandten, unter denen einige vormalige Ratsherren waren, nach der Stadt zurück. Kaum war hier Tettenborns Erklärung kundgeworden, als ihr auch schon genügt war. Die Mairie, und was noch sonst von französischen Formen bestand, wurde abgeschafft, die alte Verfassung wieder eingesetzt, Rat und Bürgerschaft zusammenberufen und die Freiheit der Stadt öffentlich verkündigt. Neue Abgeordnete wurden an Tettenborn gesandt, um ihn von dem Geschehenen zu benachrichtigen; diese erst erkannte er als wahre Hamburger an und versprach ihnen seines Kaisers Schutz und Beistand.

Am Mittage des 18. März hielt Tettenborn seinen Einzug in die Stadt. Nie gab es ein größeres Fest: das ganze Dasein einer ungeheuern Bevölkerung verlor sich in das eine Gefühl der wiederkehrenden Freiheit, und alles Gewicht der Erinnerung vieljährigen Unglücks und Leidens fiel an diesem Tage von den aufgerichteten Gemütern ab. Aus allen Tiefen, wohin er sich hatte verbergen müssen, drang der Ausdruck[431] der wahren, langverhaltenen Empfindungen mächtig her vor und wurde zum lauten Ruf der Begeisterung. Solche Leidenschaft und Herzensgewalt, wie in diesem Volksjubel sich offenbarte, hatte keiner der Anwesenden je gesehn noch den Deutschen als möglich zugetraut. Jeder auch minder bedeutende Umstand dieses Tages wurde durch die unaussprechliche Innigkeit und Liebe, welche alles durchdrang, rührend und groß. Bis zwei Meilen von Hamburg waren dreißig Bürger zu Pferde den russischen Truppen entgegengekommen und zogen sodann mit lautem Jubel vor ihnen her, um sie in ihre Stadt einzuführen. Je näher man dieser kam, desto ansehnlicher wurde die Schar dieser Begleiter, desto lauter und begeisterter tönte ihr unaufhörlich erneuertes Hurrarufen, das in der bei jedem Schritt zahlreicher versammelten Volksmenge widerhallte. Eine Ehrengarde zu Pferde stand an dem sogenannten Letzten Heller, wo der Nebenweg, den die russischen Truppen von Bergedorf herkamen, wieder in die durch das dänische Gebiet abgeschnittene Hauptstraße fällt, in Parade aufmarschiert und setzte sich an die Spitze des voranreitenden Zuges, dem sich weiterhin die Schützengilde anschloß. Gärten, Landhäuser und Alleen, die sich weit vor die Stadt hinaus erstrecken, waren von einer ungeheuern Menge Menschen besetzt; ein unabsehbares Gewimmel breitete sich, wohin die Augen blickten, verwirrend aus. Immer neue Wogen von Hurra und Lebehoch kamen dem annähernden Zuge entgegen, während zu beiden Seiten und weit im Rücken das Geschrei mit Heftigkeit fortdauerte. Zwischendurch vernahm man den Gesang der Kosaken, die ihre vaterländischen Lieder angestimmt hatten. Vor dem Tore empfing Tettenborn von den Abgeordneten des Rats und der Bürgerschaft die Schlüssel der Stadt. Im Tore selbst bekränzten ihn weißgekleidete Mädchen mit Blumen, indem sie ihn als Retter und Befreier willkommen hießen, unter lautem Beifallrufen des Volks. Jetzt stieg der Jubel und die Begeisterung auf den höchsten Gipfel. Das Gedränge in der Stadt nahm überhand. Die[432] Fülle der Menschen war nur eine große Flut, die wie ein langsamer Strom in seinen Ufern durch die Straßen fortrückte und jeden Augenblick schwellend stockte. Alle Glocken läuteten, Freudenschüsse aus Flinten und Pistolen dauerten ununterbrochen fort, alles war trunken und außer sich vor Entzücken. »Vivat Kaiser Alexander, unser Erretter, unser Erlöser!« und »Hurra!« und »Vivat Tettenborn! Vivat Wittgenstein!« und »Heil den Russen, den Kosaken!« und »Heil!« und »Lebehoch!« ohne Zahl schallte durch die Lüfte, daß alles davon erzitterte. Aus den Fenstern wehten Fahnen und Flaggen; Frauen und Mädchen schwangen weiße Tücher; Hüte mit grünen Zweigen sah man auf Degenspitzen und hohen Stangen getragen oder jauchzend durch die Lüfte geschleudert. Man drängte sich, mit Gefahr, zertreten zu werden, zwischen die Pferde, bekränzte sie mit grünen Zweigen und Blumen, die zum Teil aus den Lüften geflogen kamen, ja, man küßte selbst die Pferde im Übermaße des Glücks. Man sah weinen und lachen vor Freude, alt und jung die Hände zum Himmel erheben, Bekannte und Unbekannte einander umarmen und beglückwünschen, mit seinem Todfeinde wollte sich jeder versöhnen um dieses Tages willen, eine allgemeine Bruderliebe hatte die Menschen ergriffen. In mehreren Straßen waren Brustbilder des Kaisers Alexander aufgestellt und mit Lorbeern bekränzt; vor jedem derselben hielt Tettenborn still, senkte den Degen und brachte seinem Kaiser ein Hurra, das jauchzend von dem Volke wiederholt wurde. Unter tausend verschiedenen Ausbrüchen berauschten Entzückens gelangte er bis zu seiner Wohnung, wo der Jubel ununterbrochen fortwährte. Ungemein erhöhte den Eindruck, daß keine große Kriegsmacht, sondern eine kleine Schar, kein fremder Fürst oder Feldherr, sondern ein Deutscher, ein ritterlicher Anführer wunderbarlicher, nie gesehener Reiter, die mehr seinem Heldenmut als seinem Befehle anzugehören schienen, diesen Strom des überwogenden, unerschöpflichen Willkommens empfing; es schien die Zeit[433] wiedergekehrt, wo von wenigen, wo von einem die größten Dinge vollbracht wurden. Die Stadt war abends erleuchtet; auch hier erfand der Eifer des begeisterten Volks alle nur ersinnlichen Mannigfaltigkeiten, um den Anteil an dem allgemeinen Entzücken, jeder auf besondere Art, darzutun. Im Schauspiel wiederholte sich das rauschende Getümmel des Beifalls, sobald Tettenborn mit seinen Offizieren in der ihm bereiteten Loge erschien; alle Zuschauer, auch die Frauen, standen auf und sangen feierlichst das Lied »Auf Hamburgs Wohlergehn«, worauf nun erst das Schauspiel beginnen konnte; es war ein Gelegenheitsstück, das unzähligemal bei jeder leisen Anspielung durch ungeheuern Beifall unterbrochen wurde. Die berühmte und in Hamburg besonders beliebte Schauspielerin Sophie Schröder trat mit der russischen Kokarde auf und wurde stürmisch beklatscht. Als Tettenborn das Schauspiel verließ, spannten ihm die Bürger die Pferde aus und zogen ihn mit Jubelgeschrei nach Hause, wo sie ihn auf ihren Schultern aus dem Wagen trugen. Er hatte seinen schönsten Tag erlebt; er war der Held des Volks geworden, sein Name schallte weit im Land umher und über die See hinüber.

Am folgenden Tage erschienen sogleich zwei Bekanntmachungen, durch welche Tettenborn auf höhern Befehl den Hamburgern freie Schiffahrt und Handlung ankündigte, dagegen alles französische Eigentum anzugeben und einzuziehen befahl. Die gefüllten Douanenspeicher, welche für mehr als 400000 Taler eingezogener Waren enthielten, übergab er der Stadt, damit das nachzuweisende Eigentum den ehemaligen Besitzern unentgeltlich zurückgegeben würde. Die alte Regierung der Stadt, die nun als eine freie und selbständige Macht angesehen wurde, erhielt den Auftrag, dieses Geschäft sowie alle andern ihr Inneres betreffenden Einrichtungen zu übernehmen. Durch dieses uneigennützige Verfahren erwarb Tettenborn auf die Dankbarkeit der Hamburger neue Ansprüche, und überall wurde sein Name gepriesen und sein Ruhm verherrlicht. Daß es seine Nachteile[434] hat, dem Volke als ein zu großer Wohltäter zu erscheinen, haben viele alte und neue Beispiele dargetan, allein wir rühmen doch immer die, deren edler Trieb solche Klugheit verachtete.

Unmittelbar nach diesen Anordnungen wandte Tettenborn sogleich die ganze Kraft seiner Tätigkeit auf die Werke des Krieges und die neuen Streitkräfte, die hier geschafft werden sollten. Die Rücksicht auf den Feind durfte keinen Augenblick vernachlässigt werden, die Mittel, ihn zu bekämpfen und die Völker zum bewaffneten Aufstande gegen ihn zu bringen, blieben das Wichtigste und Erste, was vor allem andern nötig war. In Hamburg konnte man, durch den Schein der Gegenwart verführt, sich leicht der Täuschung hingeben, daß von den Franzosen gar nicht mehr die Rede zu sein brauche, und ein großer Teil der Einwohner folgte nur allzusehr diesem Wahne, der überhaupt in Deutschland großen Raum gewonnen hatte und an die Stelle des frühern Glaubens an die Unüberwindlichkeit der Franzosen getreten war. Worauf es aber in diesen Zeiten ankomme und wohin zunächst die vereinigte Kraft aller Gutgesinnten sich zu wenden habe, eröffnete Tettenborn gleich am 19. März durch folgenden Aufruf:


Hamburger! Ihr löstet die unter der französischen Regierung bestandenen Behörden auf, noch ehe die russischen Truppen Euer Gebiet betraten, und setztet die alten herkömmlichen Behörden wieder ein. Diese männliche und würdige Tat, womit Ihr das Werk Eurer Rettung begonnen und Euch dem ganzen Deutschland als Beispiel aufgestellt habt, macht Euch der Zufriedenheit meines erhabenen Kaisers und der Achtung der russischen Nation wert. Nicht in eine neufranzösische, sondern in eine altdeutsche Stadt führtet Ihr uns ein, und so nur durften wir Euch als Brüder begrüßen, Euer Jubel bei unserm Einzuge in Eure Stadt hat jeden unter uns tief bewegt; doch, Ihr deutschen Männer und Brüder! Eure Freude wird nur alsdann die wahre Bedeutung gewinnen, wenn Ihr Hand mit anlegt an das große[435] Werk der Befreiung Deutschlands. Zu den Waffen demnach, wenn die Unterdrückung eine Schmach war; zu den Waffen für Vaterland und Recht! Noch ist das Werk der Rettung nicht vollbracht, und darum denke keiner bis dahin an Erholung und Genuß. Das ehrenvollste Geschäft ist jetzt, das Schwert zu ziehen und die Fremdlinge vom deutschen Boden zu verjagen, die bereits dreihundert Meilen weit von den siegreichen russischen Heeren verfolgt werden. Schande und Schmach für jeden, der in dieser verhängnisvollen Zeit, wo um die höchsten Güter der Menschen gefochten wird, die Hände in den Schoß legt. Noch einmal also: Zu den Waffen! Zu den Waffen! Unter dem Schutze meines erhabenen Kaisers werdet Ihr Euch unter eignen Panieren versammeln, und ich freue mich, daß mir das Los beschieden, Euch zuerst gegen den Feind zu führen und Zeuge Eurer Tapferkeit zu sein.

Tettenborn


Er kündigte hierauf dem Rat und der Bürgerschaft an, daß er, dem Auftrage seines Kaisers zufolge, eine Hanseatische Legion aus freiwilligen Jägern zu Fuß und zu Pferde errichten werde, die als Bundestruppen der Hansestädte für die Dauer des Krieges mit den Russen und Preußen vereinigt fechten sollten. Die Aufforderung, sich zu dieser Legion zu melden, erging unter dem 20. März, und zugleich wurde ein ähnlicher Aufruf an die Stadt Lübeck erlassen, wo unterdessen der Oberstlieutenant von Benkendorf mit einigen russischen Truppen eingezogen und mit gleicher Begeisterung und Freude wie in Hamburg aufgenommen worden war.

Der Zulauf, um sich unter die Freiwilligen einschreiben zu lassen, war außerordentlich. Nach wenigen Tagen schon betrug die Zahl der Eingeschriebenen mehrere Tausend, doch mußten von diesen manche, weil Kräfte und Alter nicht immer dem Eifer entsprachen, abgewiesen werden. Viele angesehene junge Leute, die der sorgfältigsten Erziehung genossen hatten und in üppiger Lebensweise aufgewachsen waren, sah man hier als Gemeine eintreten.[436] Manche, die kurz vorher durch große Summen sich von der französischen Konskription losgemacht und Stellvertreter gekauft hatten, eilten mit Freuden, sich jetzt selbst unter die Waffen zu stellen.

Tettenborn hatte gleich anfangs den Herren des Rats erklärt, daß er mit allen Geldverhältnissen, die bei Errichtung der Legion vorkommen würden, nichts zu tun haben wolle, sondern bloß anzeigen werde, was zur Ausrüstung der Truppen nötig sei, die Anschaffung selbst aber der Stadt überlasse. Es wurden daher durch Rat- und Bürgerschluß 200000 Taler als vorläufige Summe für die Kosten der Einrichtung bewilligt und einer eigens dazu bestellten Kommission die Verwendung übertragen. Wer irgend von den Summen, welche Hamburg von jeher zu politischen Ausgaben verwendet hat, unterrichtet ist und da weiß, mit welch äußerster Leichtigkeit Millionen aufgebracht und in den schon unglücklichen Zeiten noch Hunderttausende hingegeben wurden, die man zu ersparen nicht einmal den Versuch machte, der wird über die Geringheit jener angewiesenen Summe erstaunen, zumal wenn man bedenkt, welchen Zweck und welchen Gewinn für Hamburg es hier galt. Es ist bemerkenswert, daß der Rat sogar nur die Hälfte jener Summe anfänglich in Anregung brachte und grade die Bürgerschaft, welche sie zahlen sollte, die vorgeschlagene Summe verdoppelte. Aber freilich zeigte sich schon hier, noch mehr aber in der Folge, ein Unterschied der Gesinnung, der die nachteiligsten Wirkungen äußerte und wohl eingesehn, aber nicht abgeändert werden konnte. Die Anordnungen aller Art wurden von den alten Behörden so unzulänglich und langsam betrieben, daß ganze Tage der kostbarsten Zeit verlorengingen und nichts zustande kommen wollte. Hindernisse wurden angeführt, Schwierigkeiten erörtert, Besorgnisse gezeigt, Sicherungen verlangt und Anstöße genommen, wo, am rechten Ende gefaßt und mit klarem Sinne angesehn, die Sache von selbst gehen mußte. Tettenborn hatte mit unsäglicher Mühe und Anstrengung[437] überall selbst anzuordnen und zu befehlen, mußte in die kleinsten Einzelnheiten der Ausrüstungen eingehen und am Ende aller Arbeit doch durch das Ansehn der Gewalt bei jenen Behörden durchdringen. Die entschiedene Sprache, die bei diesen Gelegenheiten geführt wurde, half auf einige Zeit und brachte regsamere Tätigkeit hervor. Die folgenden Worte über die inneren Verhältnisse Hamburgs werden dartun, wie sowohl jene Unannehmlichkeiten als auch manches andere Übel, das sich später entwickelte, tief in der Sache begründet waren.

Die Hamburger waren ein wirklich freies Volk, der Obrigkeit aus Wahl und mit Bewußtsein untergeben und durch einen kräftigen Gesetzeszustand bei der glücklichsten Verfassung erhalten. Die Unabhängigkeit konnte jedem einzelnen, sobald er es wollte, das Gefühl des persönlichen Geltens erhöhen, sie mußte ihn auf sich selbst, auf sein eignes Wirken und Wollen vorzüglich anweisen und dadurch seinen Charakter kräftigen. Die Hamburger sind daher auch von allen Zeiten her, vor andern Großstädtern, beherzt und kühn gewesen, zum Raufen aufgelegt, und auch der Geringste, weit entfernt, sich etwas bieten zu lassen oder ohne Not zu dulden, ist zu dreisten Rückwirkungen stets bereit, wie denn im Auslande allgemein der Hamburger als grob verschrien ist. Die starken Arbeiten, der Matrosenverkehr und die Wohlhabenheit trugen sämtlich dazu bei, diesen Sinn zu nähren. Diese Unterlage bildete sich bei dem Mittelstande in eine große bürgerliche Tüchtigkeit aus, die sich auf mannigfache Art offenbarte, in gewöhnlichen Zeiten durch strenge Ehrbarkeit des Lebens und durch musterhafte bis zum Eigensinn getriebene Rechtschaffenheit im Handel, in bedrängten Umständen durch große Aufopferung, in diesen letzten Zeiten durch den außerordentlichen Eifer, mit welchem man Hand anlegte und die Sache des Vaterlands führen half.

Überhaupt waren die Gedanken der Hamburger von jeher auf den Staat gerichtet, und zwar weniger auf die[438] äußern Verhältnisse desselben als vielmehr auf dessen innere, stille Einrichtungen, die nirgends so eigentümlich, reichlich, zweckmäßig waren als in dieser nur durch künstliche Vereinigung rastloser Tätigkeiten bestehenden, an sich landarmen, zum Teil auf morastigen Inseln unter vielem Ungemach zusammengedrängten Stadt. England mit den vielen anlockenden Bewegungen seines politischen Lebens lag hier den Blicken nah; Frankreichs Veränderungen fanden hier vorurteilsfreiere Beurteilung; die Kraft altdeutscher Staatseinrichtungen war hier länger lebendig geblieben, und, mit einem Worte, was unsre Zeit grade am meisten bedurfte, politischer Sinn, fand sich vielfach vorbereitet und angesammelt. So hatte auch Hamburg immer eine große Menge praktischer Männer und edler Patrioten, deren erfolgreiche Tätigkeit das Gemeinwesen herrlich förderte und ein unendlich nützliches Wirken im stillen Leben des vaterstädtischen Kreises verbarg; das Andenken der Reimarus, Sieveking, Kirchhof, Büsch und vieler andern, die diesen ähnlich waren, lebte selbst in diesen Zeiten der Zerstörung und des Leichtsinnes noch fort. So viel Vortreffliches fand sich in Hamburg vor, so viel Großes war möglich durch die nun zum Ausbruch freier Tatkraft wieder berufene Gesinnung, wäre nicht dies alles großenteils gelähmt, ja wohl gar zerstreut und vernichtet worden durch einen Umstand, der nicht unglücklicher hätte sein können! Die Sache verhielt sich wie folgt: als noch vor dem Einzüge der russischen Truppen die freie Verfassung hergestellt wurde, war es wohl bei klugen und einsichtsvollen Männern zur Sprache gekommen, ob denn so unbedingt die alte Verfassung wieder anzunehmen und die Leitung der Dinge grade denselben Händen, die sie ehemals geführt hatten, zu übergeben sei. Es galt hier die folgenreiche Entscheidung zwischen der Wahl eines ganz neuen Senats und der Wiedereinsetzung des alten, dessen Mitglieder zum Teil auch unter den Franzosen dieselben Ämter wie vorher, nur mit dem Unterschiede, daß sie französische Formen hatten, verwalteten. Das Ansehn und Herkommen[439] sprach für letzteres, die Erwägung dessen, was zu leisten sei, für jenes; die Furcht, im ersten Augenblick solcher lebhaften Bewegung das Gewicht frühern Ansehns und Gewohnheiten nicht entbehren, und die Hoffnung, nach und nach die gewünschten Änderungen dennoch herbeiführen zu können, entschieden zuletzt für die unbedingte Einführung der alten Verfassung mit allen noch vorhandenen ehemaligen Mitgliedern derselben. Der größte Teil der Senatoren war alt und schwach, der Geschäfte entwöhnt und ohne Neigung, sich aufs neue damit zu befassen. Die wenigen Bessern hatten nicht Kraft genug, die gesamte Last der Arbeiten zu tragen, und waren ohnedies auf ihre neue politische Rolle kaum vorbereitet; so kam es denn, daß alles, was die ausübende Gewalt betraf, wie aus einer ändern Zeit herbeigeholt, ohne Sinn für die Bedürfnisse der Gegenwart, ohne Geist für ihre Leitung blieb. Ebendasselbe galt von dem Kollegium der Oberalten und den andern Ausschüssen der Stadt, sowie von den Anführern des Bürgerwachen: nirgends fand sich unter den wirklich in der alten Verfassung Angestellten ein Mann, der, kraft seiner Stelle und seines Amtes, mit überwiegendem Nachdruck gehandelt und gewirkt hätte. In der Bürgerschaft war Frische, Lebendigkeit und Eifer, in den Behörden Nichtigkeit, Besorgnis und Unfähigkeit. Alle Versuche, dies zu verbessern, mußten vergeblich sein, solange nicht der Senat erneuert wurde; eine Maßregel, die niemand vorzuschlagen eilte und deren Ausführung allerdings viel Mißliches haben mochte. Es war also eine Regierung vor handen, die wenig von dem erfüllte, was man von ihr erwartete. Der russische Befehlshaber mußte sie anerkennen, sich an sie wenden, mit ihr verhandeln, mittlerweile selbst alles befehlen und einrichten, was von ihr hätte ausgehen sollen. Wenn bei manchen Dingen hinreichend ist, daß man sie geschehen mache, gleichviel, ob gern oder ungern, so gibt es dagegen unendlich viele, bei denen ohne den persönlichen guten Willen und Eifer des Ausübenden nichts erreicht wird. Es ist unmöglich, den[440] Menschen das Innere zu befehlen, und grade das Innere nur konnte hier wirken, grade die freie Neigung und Kraft mußte die hier obliegenden Arbeiten verrichten helfen, um ihr Gelingen möglich zu machen. Statt dessen ergab sich, sooft mit den Behörden zu unterhandeln war, Beschwerde, Verdruß, Unordnung und Unzulänglichkeit, ja, selbst hin und wieder, doch, zur Ehre der Stadt sei es gesagt, selten, ausdrücklich und unverkennbar übler Wille. Diese Mühseligkeiten und Hindernisse erfuhren nicht allein die fremden Militärpersonen, sondern auch die trefflichen Bürger, die mit lebhafterem Eifer sich das Wohl des Ganzen angelegen sein ließen und hiebei nicht ohne Gesetzmäßigkeit wirken wollten. So geschah es, daß die ganze Stadt, ohne ihr Verschulden, oft unvorteilhafter erschien, als die Gesinnung und Bereitwilligkeit der Einwohner verdiente, und daß die Möglichkeit großer Kraftwirkungen in der Ungunst solcher Umstände fast erlöschen mußte. Statt im Bewußtsein ihrer wiedergekehrten und von den Russen anerkannten Selbständigkeit frei und kräftig zu handeln, wagte der Senat kaum, die Verantwortlichkeit dafür zu übernehmen, daß er das Befohlene ausgeführt hatte; statt mit Dänemark, mit England und Preußen unverzüglich eigne, zur Befestigung der vaterstädtischen Sache notwendige Verbindungen anzuknüpfen, brachte er nach langem Zaudern kaum die Abgeordneten an den Kaiser Alexander auf den Weg. Man könnte noch vieles anführen, was ebenso versäumt worden ist, wenn nicht an diesem schon genug wäre. Der Senat war und blieb in allen Stücken hinter den Forderungen zurück, welche der Drang der Zeit ihm auferlegte, und daher fanden die mannigfachen schönen Kräfte nirgends Einheit und Zusammenhang. Eine Frist von sechs Monaten hätte in lebendiger Entwickelung das Zerstreute sammeln und ordnen, das Verwahrloste aufnehmen können, und nach und nach wäre die gewünschte Einheit entstanden; diese Zeit wurde den Hamburgern nicht gewährt. Hierin lag etwas Verhängnisvolles. Nach der großen Schuld, die hier auf die Umstände fällt,[441] kann man nur die geringere Schuld noch den Menschen zurechnen.

Wir kehren zu den Arbeiten zurück, die jetzt in Hamburg alle Tätigkeit in Anspruch nahmen. Aller Schwierigkeiten ungeachtet, ging die Errichtung der Hanseatischen Legion rasch vorwärts. Die teils dem Feinde abgenommenen, teils als altes Eigentum der Stadt vorgefundenen Kanonen gaben Veranlassung, auch eine Abteilung Artillerie zu errichten und der Legion einzuverleiben. Man verschrieb die fehlenden Waffen aus England, man erbaute Lafetten und Pulverwagen, errichtete ein Laboratorium, sorgte für die Bespannung, ließ Waffen aller Art verfertigen und ausbessern, schaffte die übrigen Rüstungsstücke so gut als möglich herbei. Die sonst an Hülfsmitteln so reiche Stadt bot deren für die militärischen Bedürfnisse unglaublich wenige dar; manche Gegenstände mußten unter großen Schwierigkeiten aus dem Dänischen herbeigeschafft werden; die Unbekanntschaft mit allen kriegerischen Anordnungen und Beziehungen setzte jedem Schritte unausweichliche Hindernisse entgegen, die nur durch unermüdete Aufsicht und unverdrossene Selbstbemühung endlich weggeräumt werden konnten. Es fehlte sehr an gedienten Offizieren, gänzlich an Unteroffizieren für die neuen Truppen; Vorschriften und Anleitungen zum Dienst und zur Übung wurden daher um so nötiger, und man eilte dieselben abzufassen. Außer den Hanseaten bildete sich nach Tettenborns Befehl und Anleitung ein Bataillon Lauenburger in Ratzeburg unter dem hannöverschen Major von Berger, auch diese waren aber größtenteils ohne Waffen. Ein anderes Bataillon aus den Herzogtümern Bremen und Verden wurde auf gleiche Weise in Stade zusammengebracht. Der Oberst Graf von Kielmannsegge warb hannöversche Jäger. Der Graf August von Rantzau, dessen mutiger Eifer alles Vertrauen des Herzogs von Oldenburg rechtfertigte, stand an der Spitze der holstein-oldenburgischen Bewaffnungen.

Inzwischen hatte sich in Harburg, Lüneburg, Stade und[442] in dem ganzen Striche Landes längs der Elbe bis Bremen ein Aufstand gebildet, der Befehle, Waffen, Unterricht und Hülfe von Tettenborn forderte und, soviel möglich, erhielt. Verlaufne französische Soldaten, Douaniers, ja sogar Gendarmen und Offiziere wurden von diesen Leuten täglich als Gefangene nach Hamburg eingebracht, wobei es jedesmal die größte Mühe kostete, die Wut des erbitterten Pöbels zu bändigen, der besonders den Douaniers mit Kot und Steinen arg zusetzte. Von Zollenspieker, aus dem Billwerder, Ochsenwerder und den Vierlanden kamen wackre Männer, die sich erboten, den Landsturm in ihrer Gegend einzurichten und anzuführen; sie erhielten Befugnis und Unterweisung. Auch in diesen Landschaften gab es oft mit der Schwäche und Besorglichkeit der Behörden zu kämpfen und Schwierigkeiten zu behandeln, die nicht immer ohne Strenge zu beseitigen waren. Überall traten die alten Beamten wieder in Wirksamkeit, die meisten hatten auch bei der französischen Regierung ihre Dienste fortgesetzt und veränderten mit dem neuen Eintausch ihrer alten Titel nicht immer die inzwischen eingesogenen fremden Gesinnungen; in einem kleinen Umkreise waren die Behörden verschiedener Länder, die Rechte mannigfacher Oberherren zu berücksichtigen. Die Gegenstände der Schiffahrt und des Handels, obgleich übrigens ganz den Verfügungen der hamburgischen Regierung anheimgestellt, mußten doch in vielem Betracht die Einwirkung des russischen Befehlshabers ansprechen, der die Ausrüstung zweier Kaper und anderer, teils bewaffneter, teils zum Transport von Pferden eingerichteter Schiffe betreiben ließ.

Eine andre Beschäftigung gab die anbefohlene und mit aller Strenge ausgeführte Einziehung des französischen Eigentums und die sorgfältige Aufmerksamkeit, welche auf die zahlreichen Franzosen gewendet werden mußte, die sich, zum Teil von älterer Zeit her, in Hamburg und der Umgegend aufhielten und denen viel Gesindel aus allerlei Nationen beizurechnen war, das während der französischen[443] Herrschaft und in ihrem Dienste sich hier eingenistet hatte. Dieses alles auszukehren, hätte eine längere Zeit erfordert, da besonders die Bevölkerung von Hamburg ebenso gemischt, als die Örtlichkeit in und außer der Stadt überaus verworren und schwer zu beaufsichtigen ist. Hiezu kommt noch, daß die hamburgische Regierung, nach der großartigen Weise freier Staaten, die Fremdenpolizei von jeher lässig betrieben hatte und die Russen dies Fach ganz allein versehen mußten, ohne Mitwirkung und Hülfleistung dazu bestimmter Beamten. Der nichtswürdigsten Verräter, die das öffentliche Urteil einstimmig als solche bezeichnete, waren eine große Anzahl vorhanden, vornehme und geringe, arme und reiche; gefährlicher noch mußten die versteckten sein, deren Treiben weniger bekannt geworden war. Die Untersuchung der auf mancherlei Angebungen verhafteten Personen nahm viele Zeit weg, war mühsam und blieb doch meistenteils ungenügend. Die entschiednen Schelme, Kundschafter und Knechte der Franzosen, die schändlichen Werkzeuge ihrer Erpressungen wurden, höherem Befehl gemäß, auf dessen strenge Ausführung besonders der Minister von Stein im Hauptquartier des russischen Kaisers unerbittlich bestand, zur Aussetzung an der französischen Küste bestimmt. Manche gaben zwar vor, dort ihren gewissen Tod zu finden, weil auch die französische Regierung sie als Feinde verfolge; andre wollten ihren Haß gegen Napoleon jetzt durch die größten Schmähungen dartun; französische Emigranten, die sich den Gewalthabern Napoleons zu den niedrigsten Diensten verkauft hatten, meinten eiligst ihre adelige Geburt und royalistische Gesinnung wieder geltend zu machen; Stein aber wollte von keinen Rücksichten hören, keine Unterschiede, ja kaum eine genaue Prüfung gestatten. Ungefähr dreißig Personen wurden wirklich eingeschifft und an der holländischen Küste gelandet. Allein schon die zweite Sendung unterblieb, und nach dem ersten Schrecken regte sich der französische Anhang nur um so tätiger, wie denn bald der Feind von allem, was vorging, die schnellste Kundschaft[444] empfing. Die größte Strenge, der furchtbarste Schrecken wäre hier vonnöten gewesen, um das Übel auszurotten, und selbst blutige Schauspiele hätte man nicht tadeln können. Aber man fing schon an, eine mögliche Umkehr der Dinge zu berücksichtigen; man wollte nicht künftige Rache herausfordern, berief sich auf Menschlichkeit und Großmut und verlangte von dem Kaiser Alexander die Zurücknahme der anbefohlnen Strenge. Nicht zu berechnen ist, wieviel die Gelindigkeit, welche darauf in allen Maßregeln eintrat, der hamburgischen Sache geschadet hat. Nachdrückliches Verfahren versichert die Gemüter und beruhigt den Geist; und um der Guten willen mehr als wegen der Schlechten ist in Staatssachen beharrliche Strenge nützlich. Die Sache Hamburgs aber erforderte unnachlassende Kraft, geschlossene, unerdringliche Festigkeit; jede Lücke, jede Weichheit öffnete dem Feinde den Eintritt. So geschah es auch hier. Der Eifer der Untergeordneten ward irr und erschlaffte, sobald er von oben her geringern Ernst zu sehen meinte. Viele sonst wohlgesinnte Männer, den Zustand des Kriegs und der Empörung, in dem sie sich befanden, verkennend, wollten schon überall den Maßstab ruhigen Friedens anlegen und mußten aus ihrem Wahn bisweilen hart aufgerüttelt werden.

Inzwischen hatte der englische Major von Kenzinger von Helgoland aus mit einigen hundert Mann Cuxhaven besetzt und den Aufstand der Bauern bei Bremerlehe, soviel in seinen Kräften stand, unterstützt. Tettenborn setzte sich sogleich mit ihm in Verbindung und erfuhr zu seinem Leidwesen, daß von Helgoland vor einiger Zeit alle vorrätig gewesenen Gewehre wieder nach England abgeführt worden; ein beklagenswerter Zufall, dessen Nachteil durch nichts ersetzt werden konnte. Jedoch eilte Tettenborn, die mit England aufgeschlossene Verbindung möglichst zu benutzen, und schickte einen russischen Offizier, den Rittmeister von Bock, dem er einen donischen Kosaken zur Begleitung gab, mit Briefen an den Prinzen-Regenten und an den russischen[445] Botschafter nach London, wo die Erscheinung eines Kosaken, des ersten, den man je dort gesehen, die außerordentlichste Aufregung machte.

Der nahen Nachbarschaft wegen mußten die Dänen die ganz besondere Aufmerksamkeit der Hamburger sowohl als der Russen auf sich ziehen. Das Verhältnis zu Dänemark behielt, ungeachtet der bezeigten Annäherung des Kabinetts zu der russisch-preußischen Sache, zwei schwierige Seiten, die soviel als möglich umgangen werden mußten. Die Russen nämlich waren Verbündete der Engländer und der Schweden, von denen die ersteren wegen der alten Beleidigungen, die letzteren wegen der Absichten auf Norwegen den Dänen gleich verhaßt waren. Die Schiffahrt auf der Elbe konnte ohne die Einwilligung der Dänen nicht stattfinden, die Verbindung mit den englischen Schiffen mußten sie wenigstens nicht zu hindern versprechen. Die verschlungenen Grenzen zwischen dem hamburgischen und dänischen Gebiete trennten beide längst nur dem Namen nach, der mächtige Lebensverkehr ging darüberhin, und diesen zu erhalten, waren Vergünstigungen und stillschweigende Übereinkünfte unentbehrlich. Der Kommandant von Altona, Oberstlieutenant von Haffner, bot hiezu bereitwillig die Hand. Nur im Betreff der verlangten Entfernung vieler von Hamburg nach Altona gezogenen Franzosen, die dort frei das Geschäft des Ausspähens trieben, waren alle Vorstellungen und Beschwerden lange fruchtlos, und das nachteilige Treiben dauerte, ungeachtet des von dänischer Seite endlich erteilten und oft wiederholten Versprechens, bis zu Ende fort. Die überwiesenen Kundschafter, die in Hamburg seitdem noch oft ergriffen wurden, waren sämtlich von Altona hereingekommen.

Die tätige Mitwirkung der Schweden zu dem Kriege gegen Napoleon war längst erwartet; sie schien nun bald erfolgen zu müssen, und es war wichtig, von allem, was in diesem Betreff vorging, frühzeitig unterrichtet zu sein, um davon zum Besten der hamburgischen Angelegenheiten jeden Vorteil[446] schnell wahrzunehmen. Tettenborn knüpfte deshalb die nötigen Verbindungen an und widmete diesen Verhältnissen die größte Aufmerksamkeit.

Eine dringende Verhandlung wurde gleichzeitig mit dem Herzog von Mecklenburg-Schwerin gepflogen. Tettenborn stellte dem Herzog lebhaft vor, wie wichtig es für ihn sei, daß Hamburg gehörig behauptet würde; und weil der fast gänzliche Mangel an Fußvolk hiebei sehr bedenklich war, so ersuchte er ihn, das Bataillon Grenadiere, welche in Ludwigslust ihm zur Leibwache dienten, nach Hamburg rücken zu lassen. Der Herzog willfahrte und stellte das 500 Mann starke Bataillon, die einzige Truppe, die ihm seit den Verlusten im russischen Feldzuge noch geblieben war, unter der Anführung des Obersten von Both zu Tettenborns Verfügung.

Alle diese zahlreichen und mannigfachen Geschäfte, die in unendliche Verwickelungen und Einzelnheiten übergingen, lasteten mit vielen andern ganz auf Tettenborn, der seine militärischen, unmittelbar den Feind betreffenden Aufgaben mit diplomatischen Maßregeln, mit den Geschäften so verschiedener Errichtungen, mit den Rücksichten für mannigfache Regierungen und Völker, mit der Entscheidung politischer und sogar kaufmännischer Fälle, mit dem bald schonenden, bald strafenden Anregen lässiger Behörden, mit Verhören, Verabredungen und Berichten in unaufhörlichem Wechsel und Drang der Arbeit verbinden mußte. In seinem Hauptquartier arbeitete vom frühen Morgen bis in die späte Nacht die rastloseste Tätigkeit, und er selbst war stets das Vorbild unermüdlichen Eifers und angestrengter Hingebung. Er entzog sich den Huldigungen, die ihm von allen Seiten entgegenkamen, den begeisterten Ehrenbezeigungen des dankbaren Volkes, das auf den Wegen, wo man ihn zu sehen hoffte, ungeduldig und meist vergebens harrte; ihn beschäftigten ausschließlich die ernsten Aufgaben, welche sich hier überreich zusammendrängten. Mit treffender Urteilskraft und schneller Findung wußte er das Notwendige[447] einzusehen und herbeizuführen, die Umstände zu benutzen, Hindernisse zu entfernen, das Unerwartete zu verarbeiten. Die reifste Überlegung konnte selten Treffenderes liefern, als die erste Eingebung des Augenblicks gewöhnlich schon dargeboten hatte.

Eine große Anzahl ausgezeichneter Offiziere hatten sich bei Tettenborn eingefunden, teils durch seine Persönlichkeit und den Ruf seines Namens angezogen, teils durch die Sache selbst, welche er unternommen hatte, ihm zugeführt. Sein Kriegsgefolge vergegenwärtigte die ältesten deutschen Zeiten, wo freiwillige Anschließung mehr als verpflichteter Dienst die Truppen ihrem Anführer verband.

Ermutigend für Tettenborn und allem Begonnenen förderlich war die aus dem Großen Hauptquartier eingehende Nachricht, daß der Kaiser Alexander ihn mit den schmeichelhaftesten Lobsprüchen zum Generalmajor ernannt habe und alles bisher Angeordnete und Eingeleitete unbedingt gutheiße. Die bei den neu errichteten Truppen angestellten Offiziere wurden unbedingt in dem ihnen verliehenen Range bestätigt und den russischen Offizieren, deren Ehren- und Feldzeichen ihnen zu tragen erlaubt wurde, völlig gleichgestellt.

In Lübeck wiederholte sich beinahe jedes, was in Hamburg geschah; die geringere und weniger zusammengesetzte Volksmenge gestattete dort ruhigere Übersicht, und der Ordnungsgeist und die Tüchtigkeit der Einwohner zeigte ihre vorteilhafte Wirkung auch in den jungen Kriegesscharen, welche die Stadt zur Hanseatischen Legion beitrug und welche sich an Haltung und Auswahl sogar vor den Hamburgern auszeichneten.

Mittlerweile hatte Tettenborn die Hälfte seiner Reiterei über die Elbe auf der Straße nach Bremen vorgesandt. Der französische General Morand, der ohne Not sich mit seinen Truppen bis zur Weser zurückgezogen hatte, schien seinen Fehler wieder gutmachen zu sollen und rückte, vermutlich auf ausdrücklichen höheren Befehl, wieder gegen die Elbe[448] vor, indem er sogar die Absicht äußerte, auch Hamburg wieder zu besetzen. Die Kosaken schwärmten um das geschlossene Fußvolk herum und neckten und beunruhigten dasselbe, ohne jedoch seinen Marsch hindern zu können. Sie zogen sich nach Maßgabe des feindlichen Anmarsches zurück, und der Feind kam wieder in die Gegenden, welche gegen ihn die Waffen ergriffen hatten. Die Nachricht von der Annäherung der Franzosen erregte in Hamburg Bestürzung und Sorgen, Geflüchtete vom linken Elbufer verbreiteten Angst und Schrecken; man hatte sich zu sehr dem Taumel des Glücks überlassen, um nicht auf solche Wechsel, wie jetzt plötzlich als möglich erschienen, gänzlich unvorbereitet zu sein. Diese niederschlagenden Eindrücke wirkten zu heftig und zu allgemein, als daß man nicht hätte versuchen sollen, ihnen den Trost, den man mit Wahrheit geben konnte, in wenigen beruhigenden Worten zu sagen. Tettenborn ließ am 27. März folgenden Aufruf anschlagen:

Hamburger! Einige unter Euch scheinen beunruhigt über das Anrücken der Franzosen von Bremen her; ich finde daher nötig, mit Euch zu reden, damit Ihr wißt, um was es sich handelt. Der Feind, der sich ohne Grund vom linken Elbufer bis Bremen zurückgezogen hatte, rückt wieder, wie vorauszusehen war, auf der Straße von Bremen vor, um die Bewegungen auf dem platten Lande zu dämpfen. Doch er wird die Bewegungen auf dem platten Lande nicht dämpfen, sondern nur noch mehr zu seinem Verderben aufregen! Die Sturmglocke geht im ganzen Lande; von allen Seiten ziehen die Bauern, von Offizieren geleitet und von 600 Kosaken unterstützt, heran gegen den Feind. Es ist dieselbe Abteilung, die ich vor zehn Tagen über die Elbe geworfen habe, und auch jetzt bin ich allein hinreichend, um allen ihren Unternehmungen die Spitze zu bieten. Hamburger! Ihr werdet 20000 Feinde nicht zu fürchten haben, wenn Ihr mutvoll seid und bereit, das Eurige zu tun. Die wenigen Hunderte, ohne Reiterei und bald von allen Seiten umringt und geängstigt, dürfen Euch nicht beunruhigen. Der Feind[449] ist nicht imstande, etwas zu unternehmen. Um so weniger, da die Generale Tschernyschew, Benkendorf und Dörnberg bereits am 25. dieses Monats über die Elbe gegangen sind, alle diesseits gestandenen feindlichen Vorposten aufgehoben und ihre Vorposten bereits bis Salzwedel vorgeschoben haben.

Niemals hat sich eine Versicherung dieser Art glänzender bewährt. Man vertraute zwar den gegebenen Hoffnungen gern, niemand aber konnte eine solche Erfüllung erwarten, wie die war, welche alsbald erfolgte! Da man erfuhr, daß bei den Truppen des Generals Morand viele Sachsen befindlich, so erließ Tettenborn einen Aufruf an sie, der sie zum Übergehn aufforderte und also lautete:

Sachsen! Hört, was ich Euch sagen werde: Ihr seid betrogen und verraten! Die Franzosen schleppen Euch im Lande herum, hierhin, dorthin, um das Landvolk zu schrecken, das in gerechter Wut über die von den Franzosen erlittenen Mißhandlungen überall die Waffen ergreift; sie schleppen Euch herum, um unter Euerm Schutze sich selbst vom Untergange zu retten. Ihr seid von tausend Kosaken und Jägern umringt, und schon läutet die Sturmglocke im ganzen Lande. Alles, was deutsch ist, steht auf; und Ihr nur wollt noch fechten für Eure Unterdrücker und gegen die, welche Euch befreien wollen? Ihr wißt nicht, was vorgeht; die russischen und preußischen Heere rücken bereits unaufhaltsam in Eurem Vaterlande vor; in Dresden sprengte Davoust Eure schöne Brücke aus Mutwillen, um sich an den Einwohnern zu rächen, die dem General Reynier die Fenster eingeworfen und einige drohende Reden gegen übermütige Franzosen ausgestoßen hatten. Überall flieht der Feind aus Eurem Vaterlande, alle Gegenden verheerend, durch welche er zieht. Jetzt bedenkt und erwägt! Wollt Ihr noch fechten gegen uns, so ist Untergang, schmählicher Untergang Euer Los; denn jeder Deutsche, so hat der Kaiser, mein Herr, befohlen, der mit den Waffen in der Hand gefangen wird, soll nach Sibirien geschickt werden. Wollt Ihr[450] dagegen nicht fechten für Eure Feinde, so werdet Ihr an uns Eure Brüder finden.

Der Zeitpunkt schien günstig, um die zwar schon eingeleitete, aber noch auf Schwierigkeiten stoßende Errichtung der Bürgergarde rasch durchzusetzen, und in dieser Absicht erschien am 29. März abermals eine Bekanntmachung an die Einwohner Hamburgs, deren unruhige Besorgnis schon wieder einigermaßen in tätigen Eifer erloschen war und nur durch wenige Übelgesinnte noch genährt wurde; sie lautete:

Gerüchte wie die, welche gestern in Umlauf waren, liefern einen untrüglichen Probestein des Mutes und der Festigkeit des Volks. Hamburger! Ich habe den Eurigen bewährt gefunden, und ich lobe das Vertrauen, welches Ihr in die Maßregeln setztet, die von mir zur Sicherheit der Stadt genommen waren. Eure Selbstverteidigung darf sich jedoch nicht auf ein augenblickliches Aufgebot, das nur im Momente der Gefahr stattfindet, gründen, sondern muß gehörig vorbereitet und geordnet sein. Damit Ihr Vertrauen zu Euch selbst gewinnt, soll die Bürgergarde unverzüglich organisiert werden. Eilet, Euch einschreiben zu lassen; eilet, ein mächtiges Bollwerk gegen jeden vorrückenden Feind aufzustellen! Heß ist Euch zum Anführer gesetzt, vertraut ihm, wie er Euch vertraut. Das große Ziel der Befreiung im Auge, muß jeder mit seiner ganzen Kraft es zu erreichen beitragen, und Hamburg müsse unter allen Städten des sich befreienden Deutschlands groß, würdig und kraftvoll gerüstet dastehn.

Bevor jedoch der Erfolg dieser Anordnungen gegen den Feind wirksam werden konnte, übereilte diesen, unter welchem leider die Sachsen mitbegriffen blieben, ein rasches Verderben. Der englisch-hannöversche General von Dörnberg, eine aus Russen und Preußen gemischte Schar von etwa 2000 Mann befehligend, war schon am 14. März bei Werben über die Elbe gegangen, hatte sich aber vor der feindlichen Übermacht, die sich von Magdeburg aus gegen ihn wandte, wieder auf das rechte Elbufer zurückziehen[451] müssen. Inzwischen war General Morand mit 3000 Mann und 11 Kanonen über Tostedt nach Lüneburg vorgerückt, wo die Einwohner kurz vorher unter dem Beistand von 50 Kosaken eine französische Schwadron, welche die Stadt besetzen wollte, mit den Waffen in der Hand zurückgetrieben hatten. Ein hartes Schicksal schien deshalb die unglückliche Stadt zu erwarten und keine Hülfe, sie retten zu können. Die Franzosen waren kaum eingerückt, als sie auch schon die Schlachtopfer aussuchten, die ihrer Rache fallen und am 2. April vormittags erschossen werden sollten. General von Dörnberg hatte sich aber mit Tschernyschew und Alexander von Benkendorf vereinigt, war aufs neue über die Elbe gegangen und gegen Lüneburg stracks im Anzuge. Sie trafen eben zu rechter Zeit ein, um die Sache des Feindes zu hindern, und griffen ihn mit Ungestüm an. Die Franzosen wehrten sich tapfer, doch als General Morand tödlich verwundet worden und nirgends ein Ausweg zu ersehen war, streckten die übrigen das Gewehr. Tettenborn hatte dem Feinde 600 Kosaken in den Rücken geschickt und ihm dadurch jedes Entkommen unmöglich gemacht. Ein vollständigerer Sieg und ein glänzenderes Gefecht können wohl schwerlich gefunden werden. Die Truppen hatten die größte Tapferkeit bewiesen und den durch Zahl und Stellung stärkern Feind nicht nur geschlagen, sondern vernichtet. Die Einwohner selbst hatten abermals an dem Gefechte teilgenommen und mehrere Franzosen niedergemacht. Man rühmte auch die Unerschrockenheit eines Lüneburger Mädchens, Johanna Stegen genannt, die im heftigsten Feuer den preußischen Jägern Pulver und Blei zugetragen hatte.

Der Sieg Dörnbergs bei Lüneburg verbreitete in Hamburg die außerordentlichste Freude; die zaghaftesten Gemüter wurden wieder beruhigt, man faßte wieder Vertrauen und neuen Eifer für die Sache des Vaterlandes. Dieser Ausgang brachte alles schnell wieder in Bewegung, was in der Erwartung und Ungewißheit desselben gestockt hatte. Jetzt[452] erst glaubten sich endlich auch die an den Kaiser abgeordneten beiden Ratsherren mit Sicherheit auf die Reise begeben zu können.

Indes mußte der diesmal gescheiterte Versuch der Franzosen, sich wieder an der Niederelbe festzusetzen, die Besorgnis begründen, daß ein solcher sich günstiger wiederholen könnte; überhaupt aber gewährte der Gang der Kriegsereignisse in Sachsen nicht mehr die glänzenden Hoffnungen, welche man vor einiger Zeit gehegt hatte, Deutschland baldigst bis an den Rhein befreit zu sehen.

Man hatte jedoch bei dieser Gelegenheit eingesehen, wie notwendig es sei, Hamburg vor einem ersten Anfall zu schützen, und war bedacht, die Stadt in ordentlichen Verteidigungsstand zu setzen. Diese Aufgabe war nicht klein. Tettenborn ließ durch den Major von Pfuel die Örtlichkeit genau in Augenschein nehmen und die Punkte bestimmen, wo Schanzen angelegt werden sollten. Die erste Verteidigungslinie war die Elbe selbst mit ihren vielen Inseln vom Zollenspieker bis Harburg; allein bei einer Ausdehnung von vier Meilen blieb es schwer, jeden Punkt derselben mit so wenigen Truppen zu besetzen; und es war zu vermuten, daß es dem Feinde bei wiederholten Angriffen gelingen müsse, irgendwo durchzubrechen. Die ganze Gegend besteht aus Niederungen, die durch Deiche gegen Überschwemmungen geschützt und mit unzähligen Gräben durchschnitten sind. Der ganze Billwerder konnte unter Wasser gesetzt werden und die zweite Verteidigungslinie bilden, in welcher die Stellung am Eichbaum von besonderer Wichtigkeit war. Die Hauptsache blieb aber immer die nächste Verteidigung der Stadt durch ihre Wälle und durch einige vorliegende Werke, die teils aus alter Zeit übrig waren, teils erst errichtet wurden. Der Hammerbrook, der ganz überschwemmt wurde, machte von dieser Seite Hamburg unangreifbar, solange die Brücken über die Bille verteidigt wurden, und hier waren die besten Vorkehrungen getroffen. Überall an den bedrohten Stellen wurden Schanzen aufgeworfen und einiges Geschütz[453] aufgestellt, das, so unzulänglich es auch war, doch der Verteidigung ein gutes Aussehn gab; der Hauptwall erhielt seine Brustwehr wieder, sowie auch die Außenwerke an dem Steintore; die Eingänge wurden durch Schanzen gedeckt, die unterdammten Torbrücken wieder in ihren ehemaligen Zustand gebracht, indem man die Erde in tiefen Einschnitten wegnahm und so den Graben herstellte. Auch auf der sogenannten Veddel, einer Insel jenseits des Grasbrooks, stiegen Schanzen empor.

Alle diese Arbeiten wurden mit Eifer betrieben und bis zu Ende tätig fortgesetzt, so daß man über das, was in der kurzen Zeit fertig oder doch der Vollendung nahe war, nicht genug erstaunen konnte.

Zu gleicher Zeit war auch die Unzulänglichkeit der Bürgergarde vielfach zur Sprache gekommen, und die wohlgesinnteren Bürger selbst wünschten nichts eifriger, als sie geregelt und in strengerem Dienst unterrichtet zu sehen, um sie aus dem ungewissen Schwanken zu reißen, in welches die Unwissenheit über das, was zu tun sei und wie man sich in eintretenden Fällen zu benehmen habe, sie immer aufs neue versetzen mußte. Friedrich Perthes war hiezu besonders tätig, und indem er kräftig zur Einigkeit riet und wirkte und seinen Freund Heß auf alle Weise unterstützte, war er zugleich bedacht, von einer andern Seite zu ersetzen, was diesem fehlte.

War in diesem Zweige der hamburgischen Angelegenheiten vieles, was den treuen Freund der vaterländischen Sache bekümmerte und nach Mitteln aussehen ließ, das Gehemmte zu fördern, das in falscher Richtung Schreitende zu beraten, so mußte in andern Zweigen, die nicht so unmittelbar mit der russischen Behörde zusammenhingen und durch deren Antrieb gekräftigt werden konnten, der Mangel an lebhafter Regsamkeit und geordnetem Eingreifen zu wahrer Verwirrung werden, für welche man vergebens sich nach Hülfe umsah. Es wurde bei dieser Gelegenheit zum Erstaunen offenbar, wie karg unter die Menschen die Gabe staatsordnender[454] Einrichtungen und die Fähigkeit zu gesetzgeberischer Wirksamkeit verteilt sind. Jeder weiß, was not tut, jeder erkennt den Fehler, wo es gebricht, jeder fühlt sich willig, zum Guten zu helfen: aber öffentliches Auftreten, entschlossenes Anfangen und Fortreißen der Genossen wird durch tausend Umstände des bürgerlichen und geselligen Lebens gehindert, so daß es dann immer an dem Ersten fehlt, ohne welchen die zahlreichen Zweiten und Dritten sich in ungenutzter Anlage verlieren. Der Mangel an sittlichem Halt in den Begriffen und die Abwesenheit fester Grundzüge in den Gemütern des Volks hindern jede durchgreifende Maßregel einzelner, die nicht von Gewalt, ja von Schrecken begleitet ist.

Eine Hoffnung jedoch, diesem Übel in der Folge abgeholfen zu sehen, zeigte sich auch für Hamburg in der gemeinsamen Verwaltungsbehörde, welche der Kaiser von Rußland und der König von Preußen für das nördliche Deutschland einsetzten und der Leitung des Ministers Freiherrn vom Stein übertrugen. Die Lage forderte laut einen solchen Mann, in dessen starker Seele der Eifer für die vaterländische Sache zu heftiger Leidenschaft geworden war. Sein untadeliger Wandel und die Reinheit seiner Gesinnung gaben ihm das Recht furchtloser Strenge und Wahrheit gegen jedermann.

Inzwischen hatte Tettenborn von seiten der Dänen immer größere Annäherung erfahren, sie bewarben sich fortdauernd um die Freundschaft der Russen und suchten dieselben durch zuvorkommende Gefälligkeit zu verdienen. Nicht nur die Russen und Hamburger, sondern auch die Engländer selbst fanden die Elbschiffahrt vollkommen frei, sogar von Altona segelten Schiffe nach England ab, das Kriegsverhältnis zwischen Dänemark und England schien vergessen; auch späterhin, als die Elbe wegen der französischen bewaffneten Fahrzeuge nicht mehr sicher war, ging der Postenlauf nach England durch Holstein bis zum Ausfluß der Elbe ohne irgendein Hindernis. So war auch an[455] die dänischen Behörden in Holstein der Befehl von Kopenhagen ergangen, die von den Russen wieder eingesetzten hanseatischen Obrigkeiten anzuerkennen und mit ihnen als solchen in Verkehr zu treten. Noch entschiedener bezeigte sich die freundschaftliche Gesinnung der Dänen durch die vertrauliche Eröffnung, welche Tettenborn abseiten der dänischen Befehlshaber empfing, daß sie angewiesen seien, alle ihre Truppen, sobald der General es verlange, ihm zur Besetzung von Hamburg und Lübeck anzubieten.

Was mit dieser letztern Zuvorkommenheit gemeint sei, erklärte sich bald durch ein Schreiben des Fürsten Sergius Dolgoruki, der am 23. März mit besondern Aufträgen des Kaisers Alexander in Kopenhagen angekommen und mit dem dänischen Kabinett in rasche Verhandlung getreten war. Der Kaiser, wohlgesinnt für Dänemark, hatte wie überall, so auch hier den Weg der Güte und Ausgleichung versuchen wollen und seinen Abgesandten beauftragt, dem dänischen Hofe für den Verlust von Norwegen, der durch die früheren mit Schweden geschlossenen Verträge wider Dänemark ausgesprochen war, reichliche Entschädigung zu verheißen, im Falle Dänemark gleich auf der Stelle dem französischen Bund entsagen und seine Waffen mit denen der Russen und Preußen vereinigen wollte. Der dänische Hof war auf diese Eröffnung eingegangen und wünschte sich, in der Aussicht auf jene Entschädigung, zunächst der Hansestädte zu versichern. Der Fürst Dolgoruki, erfreut über das schnelle Gelingen seiner Unterhandlung und voll Eifer, der Sache der Verbündeten einen im Augenblicke so bedeutenden Zuwachs von Streitkräften zuzuwenden, sagte den Dänen die einstweilige Besetzung von Hamburg und Lübeck zu und forderte demgemäß Tettenborn auf, ungesäumt die beiden Städte den dänischen Truppen zu überlassen und dagegen deren unmittelbare Mitwirkung gegen die Franzosen zu gewärtigen. Tettenborn, höchst betroffen über eine Zumutung, welche den Fortgang des so glücklich begonnenen Werkes der Befreiung plötzlich zu hemmen,[456] das Beispiel des Aufstandes gegen den Feind für das übrige Deutschland zu vernichten und alle Hülfsquellen dieser Gegenden für den Augenblick in fremde Hände zu liefern drohte, war weit entfernt, hierauf so schnell einzugehen. Er wußte, daß des Kaisers Absicht nicht sei, die kaum hergestellte Freiheit und Selbständigkeit der Hansestädte gefährden zu lassen; er durchschaute die Sache in allen ihren Beziehungen, sowohl politischen als militärischen, und versagte einen Schritt, welchen auszuführen er sich nicht einmal für befugt halten durfte. Er antwortete dem Fürsten Dolgoruki, daß er eine Sache von solcher Wichtigkeit nicht ohne unmittelbaren Befehl seiner Kriegsobern entscheiden könne und überdies das Geforderte dem Vorteile des Kaisers und seiner Verbündeten keineswegs gemäß halte. Er beförderte sogleich einen Eilboten in das Große Hauptquartier, um über diesen Vorgang zu berichten und die wahre Lage der Dinge dort würdigen zu lassen. Was er vorausgesehen hatte, geschah: der Kaiser Alexander belobte Tettenborns richtige Ansicht und kluge Zurückhaltung und empfahl ihm die fernere Behauptung der beiden Städte; der Fürst Dolgoruki, so wurde hinzugefügt, sei in seinem Eifer, wenn auch in bester Absicht, zu weit gegangen, und seine mit dem dänischen Kabinett genommene Abrede wurde als ein Überschreiten seiner Vollmachten für ungültig erklärt. Den dänischen Befehlshabern, welche nach den von Kopenhagen empfangenen Weisungen nun immer zudringlicher ihren Beistand anboten und sich bereit erklärten, Hamburg und Lübeck mit ihren Truppen zu besetzen, dankte Tettenborn mit großer Höflichkeit für ihr Anerbieten, von welchem er sich vorbehielt, Gebrauch zu machen, sobald die Umstände, die jedoch in diesem Augenblicke noch nicht dringend wären, es erheischen würden. So sahen sich die Dänen, welche gemeint hatten, ihre Bereitwilligkeit nur zeigen zu dürfen, um eiligst in den Besitz der beiden wichtigen Städte zu gelangen, jetzt nur auf weiteres Abwarten verwiesen und durch ihr eignes Wort sich zu denjenigen Leistungen verpflichtet,[457] die, abgesondert von dem vorausgesetzten Gewinn, ihnen nur eine bedenkliche Last sein konnten!

Das dänische Kabinett verfolgte indes, ungeachtet das Ausweichen Tettenborns einige Verstimmung verursachte, seine neue Richtung mit tätigem Eifer. Dänemark schien in der Tat, den Verbündeten angeschlossen, nach eigenem Willen eine große Rolle übernehmen zu können, sich gewissermaßen die Stelle und das Verdienst, welche für Schweden offenstanden, noch vor diesem aneignen und bei günstiger Wendung des Krieges die größten Vorteile hoffen zu dürfen. In diesem Sinne wurden ungesäumt die nötigen Schritte getan. Der Graf Karl von Moltke wurde an den russischen Kaiser, der Graf Joachim von Bernstorff mit umfassenden Vollmachten nach London abgefertigt, um Dänemarks Beitritt zu dem Bunde gegen Frankreich anzubieten und auf möglichst vorteilhafte Bedingungen abzuschließen. Tettenborn empfing von beiden Unterhändlern auf ihrer Durchreise durch Hamburg die besten Zusicherungen über die Entschiedenheit jenes Beitritts und über den Nachdruck, mit welchem derselbe ausgeführt werden würde; sie wiederholten eifrigst das Anerbieten dänischer Hülfstruppen, und in gleichem Sinne lauteten die fernern Briefe des Fürsten Dolgoruki aus Kopenhagen sowie die Erklärungen des Generals von Wegener und des Oberstlieutenants von Haffner, welche wiederholt versicherten, sie hätten Befehl, ihre Truppen auf das Verlangen Tettenborns vorrücken zu lassen. Einen unangenehmen Eindruck machten neben diesen Versicherungen einige, freilich aus untergeordnetem Betrieb hervorgegangene Versuche, unter den Einwohnern von Hamburg den Wunsch anzuregen, daß die Stadt sich in den Schutz und die Obhut Dänemarks begeben möchte, wobei denn die Gesinnungen und Absichten der Russen mehrfach verdächtigt und auch die Verhandlungen des Fürsten Dolgoruki in mancherlei Entstellungen absichtlich verbreitet wurden. Es war nicht zu verwundern, wenn allerdings manche Hamburger unter solcherlei Gerüchten und Vorstellungen[458] einiges Bedenkliche aufgriffen und mit der Zuversicht auch den Eifer sinken ließen. Doch von andrer Seite wurde derselbe wieder um so stärker angefacht.

Während alles dieses vorging, begann es nämlich an der obern Elbe, nach einem langen, damals unbegreiflich dünkenden und gewiß höchst nachteiligen Stocken der Kriegsbewegungen, nach und nach lebhaft zu werden, und alles deutete auf ein nachdrückliches Vorrücken der Heere. Die Schweden, die noch zögerten, die Dänen, die bereitstanden, beide schienen kaum noch einigen Teil an dem Feldzuge gewinnen zu können. Das, was geschehen war, schien über das, was bevorstand, zu täuschen. Die nordischen Hülfstruppen konnten der, wie man meinte, anderweitig genugsam verbürgten Sicherheit Hamburgs ein überflüssiger Zuwachs erscheinen; die Aufstände in den Ländern jenseits der Elbe versprachen einen ungeheuren Stoff zur Bildung neuer Kriegsvölker, wie damit auch im Mecklenburgischen, in Hamburg und Lübeck tätig fortgeschritten wurde. Diese und ähnliche Betrachtungen mögen wohl Ursache gewesen sein, daß man nicht für nötig hielt, neue Truppen nach der untern Elbe abzusenden, indem nur etwa 150 Mann preußischer Dragoner unter dem Major von Schill, einem Bruder des bei Stralsund gebliebenen, als einziger Nachschub ankamen. Dagegen traf am 17. April der Generallieutenant Graf von Wallmoden in Hamburg ein, der den österreichischen Kriegsdienst mit dem großbritannischen vertauscht hatte, aber auch dem russischen angehörte, und die Bestimmung erhalten hatte, einen Heerteil des Nordheers zu befehligen, der aus verschiedenen Bundestruppen zusammengesetzt werden sollte. Der Ruf seiner Auszeichnung in frühern Feldzügen, seines hellen Blicks in die Staatsverhältnisse, seiner tapfern Entschlossenheit vor dem Feind und der edeln Eigenschaften seines Gemüts war ihm vorausgegangen, und vielmals wurde sein Name in Deutschland mit großen Erwartungen genannt. Er fand keine andern Truppen vor als die wenig zahlreichen Abteilungen Tettenborns,[459] Dörnbergs und Benkendorfs und die neu errichteten, kaum völlig ausgerüsteten und jedenfalls ungeprüften Scharen, welche wenigstens einer Beimischung alter Truppen bedurft hätten, um an diesen einen festen Anhalt zu finden. Da jede jener Abteilungen in ihrer Weise tätig war und schon ihre durch den Augenblick gebotene Aufgabe hatte, so war an Zusammenziehen dieser Kräfte nicht zu denken und ebensowenig an eine strenge Einheit des Oberbefehls, da auf allen Punkten die Umstände schnell wechselten und rasche Maßregeln forderten. Wallmoden erkannte diese Lage der Dinge und wollte nicht störend in sie eingreifen; er ließ Tettenborn die hamburgische Sache in der angefangenen Art fortführen und begab sich nach Lauenburg und weiter hinauf an der Elbe, von wo er später einige glückliche Züge gegen den General Sébastiani und den Marschall Davoust unternahm.

Tettenborns Aufgabe war, Hamburg auf das äußerste zu verteidigen, und er hatte von Anfang laut erklärt, daß er hiezu fest entschlossen sei. Sein Entschluß wurde zwar von manchen Seiten getadelt, auch von sonst Kriegskundigen, die nur das Unmilitärische der Stellung ins Auge faßten. Allein die Wichtigkeit des Platzes, die Verpflichtung gegen die Einwohner und die aus dem Großen Hauptquartier empfangenen Weisungen durften kein Zurückweichen erlauben, solange nur noch die Möglichkeit des Behauptens fortdauerte. Demnach ordnete Tettenborn folgende Maßregeln an: Der größte Teil der Reiterei wurde aus der Stadt, wo sie nur hindern konnte und im Fall eines Unglücks verloren war, hinausgezogen und auf das Land verlegt. Das Fußvolk, in allem etwa 3300 Mann stark, wurde folgendermaßen verteilt: Das erste hanseatische Bataillon besetzte die Insel Wilhelmsburg, das zweite die Stellung beim Eichbaum und dem Ochsenwerder, das dritte den Zollenspieker und die Hooper Schanze; jedes dieser drei Bataillone zählte ungefähr 600 Mann. Das Lauenburger Bataillon von 700 Mann war in Bergedorf und beim Zollenspieker verteilt; ein Bataillon[460] aus Bremen und Verden, nur etwa 300 Mann, rückte ebenfalls nach Bergedorf, welches der einzige Verbindungspunkt war, der mit Wallmoden offenblieb und für den Fall eines Unglücks gesichert sein mußte. Die hannöverschen Jäger, kaum 100 Mann, verstärkten das Bataillon Hanseaten auf der Insel Wilhelmsburg. Zur Besetzung der Stadt Hamburg selbst blieb nur das Bataillon Mecklenburger, 700 Mann stark, von denen jedoch zwei Kompanien gleichfalls nach Wilhelmsburg beordert waren, und dann noch ungefähr 3000 Bürgergarden übrig, denn nur so viele hatte man von 7200 Eingeschriebenen gehörig bewaffnen können. Von dem schweren Geschütz, das sich auf der hamburgischen Admiralität noch vorrätig gefunden, waren zwei Vierundzwanzigpfünder auf Lafetten gebracht und einer beim Zollenspieker, der andere auf der Spitze von Wilhelmsburg, gegenüber Harburg, sowie an jedem dieser Punkte noch zwei leichtere Kanonen und eine Haubitze aufgepflanzt worden. Auch Schiffe hatte man eiligst ausgerüstet und bemannt; ein Kutter von 6 kleinen Kanonen lag bei Harburg, ein anderes Schiff von ebenso vielen Kanonen beim Zollenspieker, die harburgische Jacht von 8 Kanonen dicht vor dem Hafen. Die Seeleute, welche sich auf diesen Schiffen befanden, waren ebensowenig wie ihre Anführer mit dem Kriegsdienste vertraut, und dieser Umstand verminderte sehr den Gebrauch einer Waffe, bei der, mehr als bei jeder andern, Kenntnis und Urteil den tapfern Mut unterstützen müssen. Die Überschwemmungen wurden bereitgehalten, die Schanzarbeiten unablässig fortgesetzt. Tettenborn säumte nicht, die plötzlich bedrängt gewordene Lage von Hamburg sowohl an Wallmoden und in das Kaiserliche Hauptquartier als auch nach London und Stralsund zu berichten, an welchem letzteren Orte stündlich der Kronprinz von Schweden erwartet wurde, dessen Truppen schon größtenteils in Mecklenburg standen und den Franzosen der Zahl nach wohl die Spitze bieten konnten. Aus England erwartete man eine Anzahl Kanonierschaluppen, die zur Beherrschung der Elbe[461] und ihrer Inseln unentbehrlich und von Tettenborn dringend gefordert worden waren; zwar konnte ihre Ankunft durch die Dänen bei deren noch zweifelhaftem Verhältnisse zu England erschwert, aber selbst durch die Kanonen der Festung Glückstadt nicht ganz gehindert werden, und man durfte hoffen, daß die dänischen Befehlshaber in Holstein, welche von der Sendung des Grafen von Bernstorff nach London unterrichtet waren, den Engländern nicht allzu große Schwierigkeiten machen würden.

Von der Höhe des Sankt-Michaelis-Turms ließ Tettenborn jede Bewegung der Franzosen genau beobachten; man sah ihren Übungen und Anstalten zu und zählte im voraus jedes Stück Geschütz, das sie in ihre Batterien aufführen wollten.

Es fand kein Zweifel darüber statt, daß Hamburg sich in einer höchst bedrohten Lage befände; die französischen Truppen sah man mit jedem Tage sich vermehren und nach Maßgabe dieser Vermehrung sich zu ernstlicherern Unternehmungen bereiten. Sie waren meistens ungeübte neue Soldaten; doch dieser Umstand traf leider die Truppen, denen die Verteidigung Hamburgs oblag, in größerem Maße und war bei den Franzosen, die wegen ihrer Zahl und Stellung die Angreifenden sein mußten, durch die Kräftigung, welche der Angriff gewährt, einigermaßen aufgewogen. Der Fürst Dolgoruki, der in diesen Tagen aus Kopenhagen in Hamburg eintraf, versicherte zwar, die Dänen würden niemals zugeben, daß die Franzosen wieder nach Hamburg kämen; allein es war Tettenborn nicht verborgen geblieben, daß die Dänen, verdrießlich über die vereitelte Hoffnung, die Hansestädte an sich zu bringen, noch immer in Ungewißheit schwankten und manche zweideutige Schritte taten, indem sie mit den Franzosen neue Verbindungen suchten. Die Einwohner Hamburgs, welche von den Freuden und den Genüssen der Freiheit stärker und stärker auf die Arbeiten und Drangsale derselben hingewiesen wurden, bezeigten noch immer Eifer genug; doch war es natürlich, daß viele derselben, hellsehend und mißtrauisch, an dem Ausgange[462] dieser schwierigen Verhältnisse zweifelten, andere sogar jede Rettung für unmöglich hielten; die späterhin immer zahlreicheren Auswanderungen, besonders der Frauen und Kinder, fingen schon in dieser Zeit an; sie konnten jedoch nicht auffallend sein, weil um Hamburg her das nächste holsteinische Gebiet mit Landhäusern besäet ist, die das Eigentum von Hamburgern sind und jetzt eben auch, wie gewöhnlich, für den Sommer bezogen wurden. Viele Schiffe, befrachtete und leere, segelten aus dem Hafen, wenn auch nur bis Altona, um dort sicherer zu sein. Der Handel stockte völlig, die meisten Gewerbe ruhten, und alles dachte nur an Waffen und Krieg, vorzüglich in der untersten Volksklasse, die sich besonders tätig und mutvoll zeigte und keine andere Meinung als die der hartnäckigsten Gegenwehr aufkommen ließ. Die Gewalt, womit der Donner des Geschützes unwillkürlich das Gemüt in furchtbare Einbildungen versetzt, übte jedoch auch hier ihre zauberhafte Wirkung häufig aus, und ein hallender Kanonenschuß brachte anfangs die ganze Stadt in Unruhe und Bedenklichkeit; die Behörden dachten wenigstens das Geld zu retten und stellten jede Auszahlung, oft der dringendsten Bedürfnisse, vorsichtig ein, bis man nach und nach einigermaßen erkannte, wie unwirksam und nichtsbedeutend oft die heftigsten Kanonaden sind.

Das Vertrauen der Einsichtigern sank noch mehr, als die Nachrichten aus Sachsen nur ein langsames Vorrücken der verbündeten Heere und bald eine blutige Schlacht meldeten, die zwar als ein Sieg verkündet wurde, aber doch das Zurückgehen der Sieger zur Folge hatte. Verbunden mit diesen Nachrichten wirkte die Tatsache, daß der schon bis Bremen zurückgedrängt gewesene Feind wieder im Angesichte von Hamburg stand, verwirrend und niederschlagend. Man wußte, daß Rußland und Preußen tätig mit Österreich unterhandelten und alle Hoffnung hatten, das Bündnis gegen Napoleon durch diese Macht verstärkt zu sehen. Allein bis zur Ungeduld ermüdete das Zögern, welches inzwischen alle Unternehmungen traf; man begriff die Nachsicht und Schonung[463] nicht, welche hinsichtlich des Beitritts von Sachsen stattfand, und man klagte laut, daß selbst die Aufrufe und Anreden an Volk und Truppen, früher so reichlich ausgeteilt, jetzt verstummten.

In dieser Lage der Dinge wurde die Stadt plötzlich durch die Nachricht erschreckt, daß der Feind auf Wilhelmsburg gelandet sei und, indem er die flüchtigen Scharen vor sich her treibe, mit Macht gegen Hamburg vorrücke. Die Insel Wilhelmsburg hat einen flachen Marschboden, der überall von Wassergräben durchschnitten ist, so daß man sich mit Truppen und Geschütz nur auf den Deichen bewegen kann, welche rings in mancherlei Bogen die Insel vor der Flut schützen, und selbst diese sind bei schlechtem Wetter kaum zu befahren. In Betracht dieses Umstandes hatte Tettenborn die südliche Spitze der Insel wegen ihrer Entlegenheit von aller Unterstützung als durchaus unhaltbar gegen einen ernsthaften Angriff im voraus preisgegeben und, weil man doch einmal, um die Elbe und Harburg zu bestreichen, das Geschütz dorthin hatte bringen müssen, wo es weder zu retten noch zu verteidigen war, die Vorkehrung getroffen, daß die Kanonen, im Fall sie zurückzulassen wären, auf der Stelle unbrauchbar gemacht werden könnten. Als der günstigste Ort für den Widerstand war der nördliche Teil der Insel und die sogenannte Veddel ausersehn, wo auch an Verschanzungen tätig gearbeitet wurde. Als daher in der Nacht vom 8. zum 9. Mai der General Vandamme, unter Begünstigung der Dunkelheit, mittelst zusammengebrachter Flöße eine starke Truppenmacht, deren 5500 Mann bei Harburg versammelt standen, übersetzen und auf Wilhelmsburg landen ließ, mußte der Oberst Graf von Kielmannsegge, welcher auf der Insel den Befehl führte, seine vordern Posten auf die Veddel zurückziehen und seinen eigentlichen Widerstand dort erst anheben. Allein der Feind hatte unglücklicherweise die äußersten Feldwachen in sträflicher Ruhe überrascht und war deshalb schneller herangekommen, als man von seiner Landung benachrichtigt war. Die Unordnung[464] und Verwirrung, welche dadurch unter den jungen und unerfahrnen Truppen entstand und bald, nach einigem vergeblichen Schießen, in übereilte Flucht überging, konnte den Verlust der ganzen Insel nach sich ziehen, da eine geraume Zeit das Bemühen der wenigen Offiziere, die für solche Fälle Erfahrung und Kenntnis hatten, vergeblich blieb, und in dem wirren Getümmel hätte selbst die Veddel von dem Feinde genommen werden können. Doch wagten die Franzosen nicht, so rasch vorzugehen. Tettenborn, der sein Hauptquartier auf dem Grasbrook hatte, sandte nach Wilhelmsburg 2 Kompanien Mecklenburger zur Unterstützung und den Hauptmann von Canitz, der die Leitung der Sachen übernahm; dieser sammelte die zerstreute Mannschaft, stellte ihre Reihen her und flößte ihnen durch seine eigne Festigkeit neues Vertrauen und neuen Mut ein; dann setzte er sich an die Spitze der Mecklenburger, ermahnte sie mit kurzen, scharfen Worten und führte sie voran zum Angriff, die Hanseaten folgten. Alles rückte im Sturmschritt vor, und ehe man zum Handgemenge kam, warf sich der Feind eiligst in die Flucht, die er durch Anzünden einiger Häuser und einer Mühle zu decken suchte. Während des Verfolgens traf Canitz unerwartet den dänischen Oberstlieutenant von Haffner, der als Parlamentär zu den Franzosen gegangen war, angeblich um sie zu benachrichtigen, daß die Dänen ihnen nicht gestatten würden, sich wieder in den Besitz von Hamburg zu setzen. Er war von ungefähr 20 Franzosen umgeben, mit denen er in die Hände der Russen fiel, und dies Zwischenereignis veranlaßte einen kurzen Waffenstillstand, währenddessen man sich wechselseitig erklärte. Der Oberstlieutenant von Haffner wurde sogleich freigegeben, die ihn begleitenden Franzosen aber gefangengenommen, weil auch auf deren Seite einige Hanseaten, die dem Stillstande vertraut hatten, hinterlistig waren festgehalten worden. Der Feind wurde darauf wieder unter das Feuer seiner jenseitigen Kanonen verfolgt und in weniger Zeit die ganze Insel gereinigt. Dies Gefecht hatte[465] dem Feinde an Toten, Verwundeten und Gefangenen gegen 300 Mann gekostet. Die Hanseaten und Mecklenburger hatten 150 Mann verloren, worunter 13 Offiziere. Die Kanonen, altes hamburgisches Geschütz, waren vernagelt zurückgelassen worden.

Die Franzosen hatten gleichzeitig einen Angriff auf den Ochsenwerder gemacht und fingen an, hier sich allmählich auszubreiten, indem sie die 600 Hanseaten, welche dort aufgestellt waren, zurückdrängten. Tettenborn beorderte auf diese Meldung das Lauenburgische und das dritte hanseatische Bataillon von Bergedorf und dem Zollenspieker her dem auf Ochsenwerder gelandeten Feind in die rechte Flanke; diese Truppen griffen lebhaft an, und die Franzosen, welche abgeschnitten zu werden fürchteten, widerstanden nicht lange, sondern schifften sich mit einem Verlust von 200 Mann wieder ein, indem ihre Batterien auf dem jenseitigen Ufer ein heftiges Feuer machten, um den Rückzug zu decken. Die Hanseaten hatten hier etwa 150 Mann verloren, worunter 7 Offiziere.

Diese beiden Gefechte waren glücklich geendigt worden; allein der gute Erfolg konnte nicht die Einsicht täuschen, die sich aus den beiden Vorgängen für die Hamburger ebensowohl als für Tettenborn und seine Offiziere in der Schwäche und Mißlichkeit der ganzen Lage eröffnet hatte. Dem Feinde konnte diese Lage wenigstens nicht ganz verborgen geblieben sein, er durfte ohne bedeutenden Nachteil denselben Versuch hundertmal wiederholen, der ihm nur Leute, woran er Überfluß hatte, kostete, während auf der russischen Seite auch der Sieg die schon so geringe Truppenzahl vermindern und ein einziger Unfall beim Zollenspieker, Ochsenwerder oder auf Wilhelmsburg die Stadt aufs Spiel setzen mußte. Tettenborn meldete seine Lage durch Kuriere aufs neue an allen Orten, wo er glaubte, Hülfe und Unterstützung zu erlangen, während er zugleich eifrig daran dachte, die vorhandenen Mittel in sich selbst zu verstärken.[466]

Den 11. abends rückten nun wirklich die Dänen in Hamburg ein, zur unbeschreiblichen Freude der Einwohner, die sich nun schon für ganz gerettet und für immer gesichert glaubten; ein Bataillon nebst 10 Kanonen zog auf den Grasbrook, ein anderes wurde auf dem Hamburger Berg aufgestellt, ebenfalls von einer Batterie unterstützt, während andere Truppen sich bei Bergedorf versammeln sollten, um den Zollenspieker im Auge zu behalten. Mit unglaublichem Eifer wurde für die Dänen von den Bürgern gesorgt; nur daß sie im Biwak lagen, sonst konnten sie Gäste scheinen, die man eingeladen, um sie zu bewirten: so reichlich wurde ihnen an Speise und Getränken das Beste dargereicht. Sie erschienen als gute Nachbarn, die in der Not hülfreich bei der Hand sind; und die brave Mannschaft hatte in der Tat keinen andern Wunsch, als nun wirklich einmal auf die Franzosen loszuschlagen, mit welchen sie durch einen verabscheuten Bund, der ihren Groll ebenso heimlich genährt als öffentlich zurückgehalten hatte, so lange Zeit vereinigt geschienen.

Um die Dänen gleich in die Sache tätig einzuführen und ihre Anwesenheit bestens zu benutzen, wollte Tettenborn am folgenden Tage einen allgemeinen Angriff auf die Wilhelmsburg machen, wozu auch einige Kompanien Bürgergarden sich freiwillig erboten. Hier aber zeigten sich gleich die Bedenklichkeiten der dänischen Anführer; sie hatten bei Bewilligung der Hülfe nach den früher erhaltenen Befehlen gehandelt, die sie jetzt, bei so veränderten Umständen, gegenüber den wieder zum Angriff herangerückten Franzosen, nicht mehr in ganzem Umfang auszuführen und doch auch nicht ganz zu unterlassen wagten; sie sahen wohl, daß Tettenborn ernstlich vorhabe, sie mit in den Krieg hinein zu verwickeln und zu Maßregeln zu treiben, die in Kopenhagen gemißbilligt werden konnten; doch wollten und durften sie auch nicht unnütz dastehen, während selbst die Bürger ins Feuer gingen; und so stellten sie denn, nach vielem Verhandeln, die Bedingungen fest, daß ihre Truppen, ihr Geschütz[467] und ihre Kanonenboote verteidigungsweise aus ihren jetzigen Stellungen dem Feinde wehren würden, nach Hamburg vorzudringen, daß aber nur zwei Kompanien auf Wilhelmsburg hinübergeschifft werden sollten, um die dortige Besatzung zu verstärken. Die letztere Beschränkung blieb wenigstens noch geheim und ließ denn doch für Freund und Feind die Tatsache sichtbar werden, daß die Dänen gegen die Franzosen kämpften, und schon um deswillen befahl Tettenborn, sobald die zwei Kompanien übergesetzt waren, rasch zum Angriff vorzurücken. Dies geschah von der Veddel her mit großem Ungestüm; Dänen, Mecklenburger, Hanseaten, Bürgergarden, alles wetteiferte an Tapferkeit, und eine französische Brigade leichter Truppen unter dem General Gengould wurde in die Flucht geschlagen. General Vandamme eilte hierauf selbst herbei und stürzte mit der Division Dufour auf die Verbündeten, die in zu lebhaftem Verfolgen ihre Ordnung nicht genug bewahrt hatten und nun, von der großen Übermacht gedrängt, so schnell nicht wiederfinden konnten. Das Gewehrfeuer war sehr heftig, kaum eine Viertelstunde hielten die kleinen Scharen den Andrang der großen Massen zurück, dann aber mußten sie den Rückzug nach der Veddel nehmen. Hier war eine Kanone auf dem Deiche aufgepflanzt, die aber den Feind nicht beschießen konnte, weil die eignen zurückkommenden Truppen den Weg versperrten. Eine Schanze lag seitwärts des Deiches, um die Rückkehrenden aufzunehmen, die von hier aus dem Feinde, der auf dem Deiche marschieren mußte, jedes weitere Vordringen untersagen und sich gegen eine viel größere Übermacht halten konnten. Unglücklicherweise ergriff der Schrecken des plötzlich herangenaheten Gefechtes eine Anzahl von einigen hundert Schanzarbeitern, die aus der Schanze auf den Deich und eiligst rückwärts nach dem Überschiffungsplatze flohen; ihr Hinausdringen hinderte die Truppen, sich in die Schanze zu werfen, vermehrte die Verwirrung und riß endlich alles in übereilte Flucht fort; die Truppen, anstatt die Schanze zu besetzen und von dort aus[468] den Feind zu hemmen, suchten nur die Schiffe zu erreichen, um nach dem Grasbrook zurückzugelangen. Man machte den Dänen den Vorwurf, die Flucht begonnen zu haben, wenigstens hatte Tettenborn sie mit Absicht an die Spitze des Angriffs geordnet; die Hanseaten waren die letzten, welche das Feld räumten, und verloren am meisten, unter andern ihren Bataillonsführer, der mit einer Anzahl seiner Leute in die Schiffe nicht mehr aufgenommen werden konnte und gefangen wurde. Auch die Dänen und die Bürger hatten einige Mannschaft verloren; einige Dänen aber, die von den Franzosen gefangen worden, schickte der General Vandamme zurück, indem er behauptete, Frankreich sei mit Dänemark nicht im Kriege. Das verlorne Geschütz war von geringem Werte.

Unterdessen hatte auch das zweite hanseatische Bataillon von dem Ochsenwerder wieder nach Wilhelmsburg übergesetzt und gleichfalls die Franzosen angegriffen, suchte besonders nach dem Überschiffungspunkt der Franzosen zwischen Harburg und Wilhelmsburg vorzudringen, um sie abzuschneiden und sie den andern von der Veddel andringenden Truppen entgegen zwischen zwei Feuer zu bringen. Der Anfang war ungemein glücklich; bald aber drang auch hier der Feind, der inzwischen durch eine ganze Brigade, deren Anführer ein in französische Dienste getretener Fürst von Reuß war, mit großer Übermacht auf die Hanseaten ein, die eine Stunde weit bis zu ihrem Landungsplatze in guter Ordnung und unter beständigem Feuern zurückwichen; hier aber konnten die Schiffe die ganze Mannschaft nicht auf einmal übersetzen, sie fuhren mehrmals hin und her und holten immer mehrere Leute ab, die noch auf dem Wasser fleißig feuerten, während die Zurückbleibenden entschlossen gegen den Feind standhielten, der sie von allen Seiten umgab und ihnen zurief, sich zu ergeben. Mit dem Rücken gegen das Wasser, im Angesicht und zu beiden Seiten die feindliche Übermacht, blieb ihnen, als sie sich verschossen hatten, kein Ausweg übrig. So fiel auch der[469] Anführer dieses Bataillons mit etwa 300 Mann in feindliche Hände.

Der traurige Ausgang dieser Gefechte ist nicht zu verwundern, wenn man die Übermacht der Franzosen, die selbst aus den Berichten des Generals Vandamme, wo nur von Brigaden und Divisionen die Rede ist, hervorgeht, und gegen welche auf unsrer Seite, alles mitgerechnet, höchstens 2000 Mann gefochten, in Anschlag bringt; und doch lag es nur an einigen Zufällen, die oft im Kriege so bedeutend werden und sich nicht beherrschen lassen, daß nicht der Tag zum Nachteil der Franzosen endigte.

Da der Feind jetzt Meister der ganzen Insel Wilhelmsburg und der daranstoßenden Veddel war, so konnte er aus dieser Nähe die Stadt mit Granaten und Bomben bewerfen, und es war vorauszusehen, daß dies eine große Bestürzung hervorbringen würde. Die beiden hanseatischen Bataillons waren größtenteils aufgerieben, der Überrest erschöpft und zerstreut. Der üble Erfolg verbreitete allgemeinen Mißmut; die Bürger hatten Augenblicke der Entflammung, wo sie begehrten, die Veddel und Wilhelmsburg wieder zu nehmen; allein in ihrer Unkunde des Kriegs quälten sie sich neben diesem Mute auch wieder mit tausend Meinungen und Besorgnissen unnütz ab. Überall waren gefahrvolle Posten, viele darunter von höchster Wichtigkeit, und keiner konnte hinreichend mit Truppen besetzt werden, auf deren kriegsgeübte Festigkeit wäre zu rechnen gewesen. Die geringste Unternehmung des Feindes, die jetzt gelang, konnte entscheidend werden. Zwar legten einige dänische Kanonenboote sich zwischen die Inseln und die Stadt, allein der Wechsel der Ebbe und Flut hinderte sie, zu den günstigen Stellen hinzudringen, und sie konnten nur einen Teil der vielen Übergangspunkte bestreichen. Tettenborn behielt sein Hauptquartier auf dem Grasbrook und ließ hier, der Veddel gegenüber, einige Batterien errichten; ungefähr 1000 Bürgergarden und eine Abteilung Mecklenburger nebst den Dänen biwakierten rückwärts davon. Als Befehlshaber[470] auf dieser Seite wurde der Oberst von Both bestellt. Auf dem Hamburger Berge standen Bürger mit ihrem Geschütz und die Dänen mit dem ihrigen; der Oberstlieutenant von Gunderstrupp vom Isumschen Husarenregiment führte hier den Befehl. Das Bataillon von Bremen und Verden, unter Anführung des Majors von Busch, wurde nach dem Stadtdeiche gezogen und ihm eben falls Bürger zugegeben, von denen auch eine starke Abteilung zur Blauen Brücke geschickt wurde. Den Hafen, die Tore, das ganze Innere der Stadt hatten die Bürger besetzt. So war die Lage der Dinge nach dem unglücklichen Verluste der Insel, nicht eben tröstlich, doch nicht ganz ohne Hoffnung.

Allein sie sollte nicht lange mehr so verbleiben, und gleich an demselben 12. Mai, wo das zwiefache Gefecht stattgefunden hatte, erhielt Tettenborn eine Nachricht, die nicht unheilbringender hätte sein können. Der dänische Abgesandte Graf Joachim von Bernstorff war in England gar nicht angenommen, sondern schnöde zurückgewiesen worden, indem das englische Kabinett erklärte, mit Dänemark nur im Einverständnisse Schwedens unterhandeln zu wollen. Die Wirkung einer solchen Abweisung war leicht zu berechnen; es stand zu erwarten, daß Dänemark nun aufs neue sich an Frankreich anschließen oder, wenn nicht dies, doch auf jeden Fall seine Truppen zurückziehen würde; in fünf bis sechs Tagen konnte der Befehl dazu eintreffen, denn der Graf von Bernstorff war bereits zu Glückstadt ans Land gestiegen und auf dem Wege nach Kopenhagen. Diese schreckliche Voraussicht so lange als möglich geheimzuhalten, um bis auf die letzte Stunde der dänischen Truppen noch versichert zu bleiben und die Bürger nicht allen Mut verlieren zu lassen, mußte des Generals erste Sorge sein, die zweite, auf Mittel zu sinnen, den unabwendbaren nahen Verlust durch irgendeine neue Hülfe zu ersetzen. Die dringendsten Berichte sandte er an Wallmoden und in das Große Hauptquartier; allein in letzterem mußte die entlegene hamburgische Sache gegen dringend nahe Angelegenheiten[471] zurückstehen, und Wallmoden hatte den gemessenen Befehl, seine ganze Aufmerksamkeit auf die mittlere Elbe und die Gegend von Magdeburg zu wenden. Der Kronprinz von Schweden war noch nicht angekommen, Briefe und abgesandte Boten erwarteten ihn in Stralsund. Unter diesen Umständen blieb nichts anderes übrig als zu versuchen, ob nicht die schwedischen Truppen, die in Mecklenburg, den Kronprinzen abwartend, stillstanden, zur Rettung Hamburgs herbeizuziehen wären. Tettenborn wandte sich an den General Döbeln, der mit einer schwedischen Division am nächsten stand, und schilderte demselben die bedrängte Lage Hamburgs mit der Aufforderung, in dieser Not Hülfe zu leisten; allein die Unterhandlung zog sich in die Länge und blieb noch unentschieden.

Die Franzosen säumten indes nicht, ihre Fortschritte zu benutzen und neue zu versuchen. Nachdem sie sich auf der Wilhelmsburg festgesetzt und von dieser Seite der Stadt nahegekommen waren, trachteten sie auch den Übergang beim Zollenspieker zu erzwingen, wodurch Bergedorf und die einzige Verbindung zwischen Tettenborn und Wallmoden bedroht worden wäre. In der Nacht des 13. Mais, nachdem die Hooper Schanze auf dem jenseitigen Ufer von den Hanseaten schon früher hatte geräumt werden müssen, landeten etwa 220 Franzosen unter einem heftigen Kanonenfeuer auf einer kleinen Elbinsel beim Zollenspieker, um zum weitern Übergang vorläufig festen Fuß zu fassen. Der tapfre Major von Berger hatte aber nicht sobald ihren Landungsplatz in der Dunkelheit entdeckt, als er Bretter über einige Boote werfen und 200 Mann Hanseaten und Lauenburger unter dem Hauptmann von Lucadou dahin übersetzen ließ. Die Kähne des Feindes waren grade zurückgekehrt, wahrscheinlich um andere Truppen nachzuholen. In dieser Lage war ihm kein Rückzug möglich, und gezwungen unterhielt er anderthalb Stunden das heftigste Gewehrfeuer, dann aber stürmten die Hanseaten und Lauenburger, von ihrem tapfern Anführer ermuntert, mit[472] gefälltem Bajonett hervor, worauf die Franzosen die Waffen wegwarfen und sich gefangen gaben. Mehrere, die sich durch Schwimmen retten wollten, ertranken, über 70 waren getötet, die übrigen, worunter 40 Verwundete, gefangen. Der Verlust der Unsern betrug 24 Mann, worunter 2 Offiziere. Diesem verunglückten Versuche ließen die Franzosen hier keinen zweiten folgen; man begnügte sich gegenseitig, von Zeit zu Zeit das Geschütz aufeinander spielen zu lassen, wo unsre vierundzwanzigpfündigen Kugeln dem Feinde großen Schaden verursachten und unter andern ein paar Schiffe voll Franzosen, die sich vom Ufer in die Mitte des Stroms gewagt hatten, in Grund bohrten.

Der Wechsel von Bestürzung und Freude, den diese Vorfälle erregten, erhielt alles in unruhiger Spannung; die nahe Bedrängnis führte aber, bei allen Stürmen der Gedanken und Gemüter, immer aufs neue zu der ungewöhnlichsten Tätigkeit. Die Zahl der Arbeiter an den Wällen wurde verdoppelt und verdreifacht. Die Bürgergarde raffte die Leute von den Straßen dazu weg; ohne Waffen durfte sich kein Mensch mehr blicken lassen; die Tore wurden genau bewacht, Pferde und Wagen zum Dienste der Stadt zurückgehalten, kein Mann hinausgelassen, damit sich niemand der Schanzarbeit und den Waffen entzöge; wer im geringsten verdächtig schien, wurde angehalten und auf die Hauptwache geführt, die bald mit Verhafteten angefüllt war. Alles dies taten die Bürger aus eigner Bewegung mit dem größten Eifer, der freilich oft genug sich in unnötiger und verkehrter Tätigkeit abmüdete; zum Verwundern ist es, wie bei dieser Masse von Bewaffneten, die zum Teil ohne Befehl und Aufsicht blieben und aus allen Volksklassen zusammengetreten waren, während so vieler heftigen Anlässe nichts Ausschweifendes noch Unwürdiges, keine Beleidigung noch Unordnung vorfiel. Der General mit dem größten Teil seiner Offiziere, alle Truppen und die meisten Bürgergarden befanden sich außerhalb der Stadt; der Senat und die übrigen Behörden hielten sich zurückgezogen, keine Regung ging in[473] dieser Zeit von ihnen aus, keine Absicht oder Gesinnung wurde von ihnen in diesen stürmischen Tagen kundgegeben. Das, was sie notgedrungen besorgen mußten, die Verpflegung der Truppen unter andern, geschah mit der größten Unordnung; auf manchen Posten litt die Mannschaft über vierundzwanzig Stunden lang Mangel, in einer Stadt, wo alles in Fülle und die Zahl der Truppen höchst gering war; sogar die eignen Mitbürger, die unter tausend Ungemach auf entlegnen Posten standen, wurden häufig vergessen. Außerdem waren die Sendungen von Lebensmitteln beim Abgehen meist größer als beim Ankommen. Unter solchen Umständen mag die Stadt das Vierfache dessen bezahlt haben, was wirklich verbraucht worden ist. Eine allgemeine Unzufriedenheit äußerte sich laut und heftig gegen diese Unordnung. Gegen einzelne Personen wurden Beschuldigungen ausgesprochen, welche zwar grundlos, aber darum nicht minder gefahrvoll waren. Besonders verdächtigte man die wieder eingetretenen Mitglieder des Senats, welche auch unter den Franzosen Ämter geführt hatten. Für Tettenborns Verhältnis und Lage war dies alles höchst beschwerlich und nachteilig.

Am 14. Mai glaubten die Vorposten bei anbrechendem Tage durch den Nebel große Massen französischen Fußvolks auf der Veddel zu sehen, die gegen das Ufer marschierten, um sich einzuschiffen; sogar Kanonen meinte man zu erkennen; und als diese Meldung sich in der Stadt rasch verbreitete, hielten die Einwohner jetzt den nachdrücklichsten Angriff auf den Grasbrook, der kaum noch zu verteidigen schien, für gewiß, ja die Wälle der Stadt selbst sah man schon in den Händen des Feindes. Die Sturmglocken und Trommeln riefen die Einwohner zu den Waffen, während das Flüchten der Wehrlosen nach Altona und auf das Land das Getümmel vermehrte. Die Batterien der Bürger auf dem Grasbrook donnerten unaufhörlich, und grausenvolle Ungewißheit, ob der Feind schon gelandet sei, ob er vordringe, machte den Zustand der Einwohner verzweiflungsvoll. Die Alarmplätze waren jedoch mehr als jemals von Bewaffneten[474] erfüllt, indem auch solche, die sonst den Dienst meiden mochten, sich jetzt einfanden. Als der Nebel verging, sah man keinen Feind auf der Veddel, die Franzosen lagen ruhig hinter den Deichen, und von Batterien fand sich keine Spur. Indes wurde auch in den folgenden Tagen, da alles still blieb und der Feind sich begnügte, seine künftigen Angriffe vorzubereiten, niemand der Ruhe froh, sondern alles lebte in angstvoller Erwartung, die von dem kleinsten Anlaß in heftige Bewegung gesetzt wurde. Das Unglück, das sich näherte, kündigte sich den gespannten Gemütern in finsterer Schrecklichkeit an; die Mittel, es abzuwehren, lagen zu sehr vor Augen, als daß jetzt nicht ihr Mißverhältnis unwidersprechlich eingeleuchtet hätte, und die ruhigen Dänen erschienen eben durch dieses Ruhigbleiben schon als eine unzulängliche, unzuverlässige Hülfe; daß Tettenborn, bei seinem kühnen und kriegsmuntern Geiste, mit den Dänen keinen Angriff unternehmen sollte, schien undenkbar, und da dennoch der Angriff auf Wilhelmsburg unterblieb, so konnte man die Ursache nur in dem Nichtwollen der Dänen suchen, welches die Hamburger auf das schlimmste zu deuten alle Ursache hatten. Und doch wußten die meisten nur halb, wie die Sachen standen, und konnten die Folgen der unerwarteten Rückkehr des Grafen von Bernstorff noch nicht übersehen.

In manchen Augenblicken schmeichelten sie sich wieder mit der Fortdauer der dänischen Hülfe, mit der Annäherung der schwedischen, mit herbeieilender russischer oder preußischer Verstärkung, mit dem bei Groß Görschen von den Russen und Preußen erfochtenen Siege und dessen zu hoffender Nachwirkung, auch auf die Verbesserung des Zustandes an der Niederelbe; während der Eingeweihte längst von allem diesen wenig oder nichts hoffen durfte, sondern von allen Seiten nur immer mehr und mehr eine verhängnisvolle Wendung der Dinge herannahen sah. Die unglücklichen Menschen aus ihrer Täuschung, sofern diese noch bestand, zu reißen, verbot die Klugheit, um nicht die letzte geringe[475] Kraft zu lähmen; sie absichtlich darin zu befestigen wäre ein grausames Spiel gewesen, das doch nicht lange hätte bestehen können. Unter diesen Umständen schien das beste, ganz zu schweigen und nur die Tatsachen reden und wirken zu lassen, da die Triebfedern zur verzweifeltsten Gegenwehr nicht erst in den Gemütern erweckt zu werden brauchten, sondern jedem Bewußtsein glühend eingedrückt waren. Die in den Zeitungen mitgeteilten Nachrichten von dem Vorrücken der schwedischen Truppen an die Elbe und andre dergleichen Angaben waren nicht auf die Hamburger, sondern auf die Franzosen berechnet, die über Altona unsre Tagesblätter bekamen und durch solche Vorspiegelungen allerdings langsamer und vorsichtiger wurden. Es erschien kein Aufruf, kein Tagesbefehl, der Versprechungen gegeben oder gefordert hätte; man konnte nur sagen, was nicht nötig war zu sagen, denn der Wille und die Gesinnung bedurfte keiner Bearbeitung, sondern nur Vertrauen auf sich selbst und auf nahen Beistand; letzterer mußte fremden Mächten durch kluges und glückliches Unterhandeln gleichsam abgezwungen, ersteres in dem gärenden Volke selbst entwickelt werden, und freilich ist eine Bevölkerung von 150000 Menschen ein Stoff, aus dem sich unendliche Kräfte entwickeln können; wo ein solcher gegeben ist, darf man nichts für unmöglich halten, man mußte wenigstens abwarten, was für Mittel noch an das Licht treten würden; denn was ein Volk tun wird, läßt sich nicht berechnen noch vorhersehn, und man durfte Hamburg nicht aufgeben, solange es sich nicht selbst aufgab. Die Bürgergarde war der kleinste Teil des Volks. Sie war durch den anhaltenden Biwak während einer regnichten Zeit und durch den vielen von ihr aus großem Eifer sogar übertriebenen Dienst nach wenigen Tagen erschöpft, und unzufrieden begehrten viele nach Hause. Es wäre den meisten recht lieb gewesen, von Tettenborn angeführt, mit ganzer Macht sich in offnen Kampf zu stürzen und in blutiger, aber kurzer Entscheidung Tod oder Freiheit zu suchen; allein solcherlei Ausführung war weder ratsam[476] noch möglich. Die Örtlichkeit einer überall durchschnittenen Gegend, die an unzähligen Stellen bewacht werden mußte, durch Wasser, Dämme, Schiffe, Häuser überall bedingt, gestattete durchaus keine Anwendung großer Massen, noch selbst deren Vereinigung unter persönlichen Oberbefehl; und so legten die Umstände den Hamburgern grade den härtesten Teil des Kriegs auf, der mehr in standhaftem Ertragen unaufhörlicher Mühsale und Beschwerden und im willigen Hingeben an die Einzelheit geringfügiger Leistungen als in den Anstrengungen der Schlacht und den begeisternden Zuständen der Gefahr besteht.

Tettenborn sah nur zu bald erfüllt, was er vorausgesehen hatte; kaum war man in Kopenhagen von der Abweisung, die der Graf von Bernstorff in England erfahren hatte, unterrichtet, als auch sogleich an die dänischen Truppen der Befehl abgesandt wurde, sich zurückzuziehen und Hamburg seinem Schicksale zu überlassen; dieser Befehl traf am 18. Mai in Hamburg ein und sollte sogleich ausgeführt sowie den Franzosen dies angezeigt werden. Tettenborn bestürmte den General von Wegener und den Oberstlieutenant von Haffner mit Vorstellungen und Ermahnungen, um sie wenigstens zu einem Aufschub in Vollstreckung jenes Befehls zu bewegen; die Erörterung der Lage Dänemarks gegen die Verbündeten, die von dänischer Seite schon verübten Feindseligkeiten gegen Frankreich, das noch eben erst auf Wilhelmsburg vergossene dänische Blut, die Ehre der dänischen Truppen und ihre eigene Bestürzung über diese schnelle Umkehr, kurz alles, was die persönliche Gesinnung und die Kunst der Überredung nur immer darbot, wurde angewandt, um wenigstens vierundzwanzig Stunden zu gewinnen, die denn endlich auch zugestanden wurden, mit dem Versprechen, daß erst nach deren Ablauf die Franzosen dänischerseits von dem Zurückziehen der Truppen benachrichtigt werden sollten. Diese kurze Frist benutzte Tettenborn, um aufs neue Eilboten an den General Döbeln zu senden sowie an alle die Orte, von denen für Hamburg[477] zwar nicht in diesem Augenblick, aber doch später Hülfe zu erwarten war und für welche die Nachricht dieser Veränderung große Wichtigkeit haben mußte. Als endlich am 19. abends, da es schon dunkel geworden war, die dänischen Truppen wirklich abzogen und von dem Grasbrook und Hamburger Berg ihr Geschütz wegnahmen, verwandelte sich aller noch übrige Mut in trostlose Niedergeschlagenheit. Die meisten gaben alle Hoffnung auf, die Stadt, die sogar mit der Hülfe der Dänen nicht gegen die große Übermacht des Feindes sicher gewesen war, nun ohne solchen Beistand noch länger zu behaupten. Zwar verkündigte Tettenborn unmittelbar darauf die Annäherung der Schweden, die der General Döbeln inzwischen wirklich versprochen hatte zu schicken; allein teils hielt man diese noch für entfernt, teils hatte ein durch die lange Gewohnheit entstandenes Gefühl ihrer Lage die Hamburger in dem nachbarlichen Beistand der Dänen eine viel ausdauerndere Sicherheit hoffen lassen, die allerdings, wegen der Nähe von Altona und wegen des ganzen holsteinischen Elbufers, durch Dänemarks eignen Vorteil noch besonders verbürgt schien. Um die Sache auf das Äußerste zu bringen, gaben auch sogleich in derselben Nacht die Franzosen ihre Kunde von dem Abzuge der Dänen da durch zu erkennen, daß sie die Stadt aus Kanonen und Haubitzen heftig beschossen, indem ihre Batterien auf der Veddel in der Zwischenzeit trotz des hindernden Regens fertig geworden waren. Der Schaden, den sie anrichteten, war nicht beträchtlich und auf einen kleinen Teil der Stadt beschränkt, während ängstlicher Schrecken, den der nächtliche Donner des Geschützes und der Anblick der hoch in den dunkeln Lüften fliegenden Granaten verursachte, die ganze Stadt erfüllte. Seinen eignen Kräften allein überlassen, schien Hamburg in dieser furchtbaren Nacht einem nachdrücklichen Angriff erliegen zu müssen, den man jeden Augenblick erwartete. Die Wachsamkeit war überall verdoppelt, die Posten verstärkt, alle Offiziere in Tätigkeit; ohne großen Verlust sollte der Feind nicht eindringen, so[478] gewiß auch seine große Zahl von Truppen ihm dies am Ende sichern mußte; den eingedrungenen konnte man hoffen in den Straßen noch zu bekämpfen, vielleicht zu vertilgen. Allein der Angriff unterblieb, und auch das Beschießen der Stadt, das den Kriegsleuten überhaupt wenig bedeutet und das aus den Batterien auf dem Grasbrook noch ziemlich erwidert wurde, hörte gegen Morgen auf. Der Tag fand viele Hamburger schon auf der Flucht; Altona war überfüllt mit Ausgewanderten, die zum Teil ihre besten Habseligkeiten mit sich führten; tief im Holsteinischen, in Kopenhagen sogar und London suchten viele ihre Zuflucht gegen die Rache des Feindes, der sich, ihrer Meinung nach, diesmal nicht auf Hamburg beschränken, sondern auch nach Altona und den nächsten dänischen Gebietsteilen übergreifen würde.

Den ganzen folgenden Tag wie auch die Nacht und wieder den folgenden Tag blieb alles ruhig. Unbegreiflicherweise versuchten die Franzosen während dieser ganzen Zeit keinen Angriff, ja hielten sogar mit dem Beschießen inne, da doch keine Zeit ihnen günstiger sein konnte als diese, wo die entblößte Stadt ihnen beinahe preisgegeben stand. Sie müssen aber schlecht unterrichtet gewesen sein oder vielleicht den Dänen noch nicht getraut haben, die allerdings nicht alle die Gesinnungen ihrer Regierung teilten. So vergingen diese Tage unter ängstlichem Harren, die Besorgnis stieg desto höher, je länger die Hülfe ausblieb, und mit Schrecken dachte man daran, daß der Feind nicht lange über den Zustand der Stadt getäuscht bleiben könne. Endlich erschien der ersehnte Augenblick, und am 21. abends langten drei schwedische Bataillons, die der General Döbeln abgesandt hatte, unter dem General von Boye bei Hamburg an; zwei davon rückten sogleich durch die Stadt nach dem Grasbrook und dem Hamburger Berge, während das dritte zur Erhaltung der Verbindung in Bergedorf stehenblieb. Tettenborn war ihnen vor das Steintor entgegengeritten, wo eine Abteilung der Bürgergarde aufmarschiert stand und eine[479] große Menge Volks die ankommenden Retter mit Jubelgeschrei empfing. Man atmete wieder freier und glaubte, nachdem man diese Tage glücklich überstanden, für die Zukunft weniger befürchten zu dürfen.

Auch war es die höchste Zeit, daß diese Truppen ankamen, denn gleichsam als ob der Feind durch irgendeinen wunderbaren Einfluß nur eben so lange zurückgehalten worden sei, bis ihm wieder frische Truppen entgegengesetzt werden könnten, erneuerte er grade in dieser Nacht seine Angriffe und auf so kühne Weise, daß, wenn er gleiches Wagestück in anderer Richtung versucht hätte, die größte Gefahr für die Stadt daraus entstanden wäre. Die hamburgische Jacht lag unfern des Hafens in der Elbe vor Anker und hatte außer den Seeleuten etwa 30 Mann Hanseaten zur Besatzung. Die Franzosen aber schifften ungefähr 170 Mann in eine Peniche und 16 Boote ein, um während der Nacht dieses Schiff wegzunehmen. Sie ließen ihre Fahrzeuge leise stromab treiben und kamen geräuschlos und unbemerkt in der Dunkelheit an das Schiff. Die Hanseaten griffen eiligst zu den Waffen und verteidigten sich eine halbe Stunde lang mit heftigem Gewehrfeuer; allein die französischen Seeleute benutzten ihre große Überzahl, und während ein Teil von ihnen durch Feuern die Besatzung beschäftigte, erstieg eine andre Abteilung das Schiff; sie nahmen die Hanseaten gefangen, kappten die Anker und fuhren mit aufgespannten Segeln davon. Indessen hatte der Tag angefangen zu dämmern, und man sah nun auf der ganzen durch das nächtliche Schießen alarmierten Linie am Ufer, was geschehen war. Der Feind mußte nahe vorbeisegeln und geriet in das Feuer von drei Batterien und zwei Bataillons, welches ihn dergestalt bestürzte, daß er nicht allein der Gegenwehr, sondern auch der Lenkung des Schiffes vergaß, das alsbald auf den Sand lief. Jetzt wurde das Feuer noch mörderischer, da jeder Schuß sein festes Ziel hatte. Die Franzosen warfen sich in die Boote, um ihr Heil in der Flucht zu suchen, allein mehrere dieser Boote wurden in Grund gebohrt, die übrigen,[480] von Toten und Verwundeten erfüllt, entkamen mit genauer Not. Die Jacht wurde darauf wieder genommen, die Hanseaten befreit und dagegen viele Franzosen, die sich darauf verspätet hatten, gefangen gemacht. Der Verlust des Feindes betrug 132 Tote und Verwundete, während die Hanseaten nur 13 Mann verloren hatten. Als die Flut zurückkehrte, brachte man die Jacht in den Hafen. Ein so nahes und heftiges Gefecht hatte wieder die ganze Stadt in Bewegung gebracht, man glaubte den Feind auf dem Hamburger Berge gelandet und dankte Gott, daß den Abend vorher die Schweden angekommen waren. Der gute Ausgang der Sache konnte nicht ganz für den Schrecken und die Besorgnis, die man ausgestanden hatte, schadlos halten; man sah im Grunde nichts gewonnen, sondern nur einen Verlust abgewendet, vielleicht auf nur kurze Zeit, und erhielt die beunruhigende Einsicht, wie viele Blößen die hamburgische Verteidigung dem Feinde zu benutzen lasse, die einzeln wohl zu decken seien, aber durchaus nicht alle zugleich.

Die Franzosen begannen auch bald aufs neue die Stadt zu bombardieren und beschossen sie die ganze Nacht vom 23. auf den 24. mit der größten Lebhaftigkeit, doch ohne sonderlich Schaden zu tun; das Feuer wurde, noch ehe es recht ausbrach, jedesmal glücklich gelöscht; die Geschützkugeln und Bombenstücke verwundeten einige Bürger in den Straßen, die aufgestellten Truppen erlitten keinen Verlust. Am meisten fürchtete man für das ungeheure Teermagazin auf dem Deiche; allein zum Glück richteten die Franzosen ihr Geschütz nicht dahin, und man gewann Zeit, die Tonnen in die Ebene zu rollen und Haardecken und Erde darüber zu werfen, bei welchem Geschäft ein junger Mann namens Flügge den unerschrockensten Mut und kundigsten Eifer bewies. Tettenborn war bald auf dem Grasbrook, bald auf dem Hamburger Berg, bald in der Stadt, um alles selbst zu leiten und anzuordnen und die Tätigkeit jeder Art durch seine Gegenwart zu beleben. Er hatte die Truppen der entgegengesetztesten und jetzt gegeneinander[481] feindlich gestimmten Völker nacheinander zu dem einen Zweck der Verteidigung Hamburgs glücklich herangezogen, und er durfte hoffen, jetzt, da das Schlimmste überstanden war, die Stadt fernerhin behaupten zu können und, wenn nur erst Zeit gewonnen, auch größere Unterstützung nach und nach ankommen zu sehen. Dann konnte die Stadt, selbst bei weiterem Rückzuge der Hauptheere, ein fester, in sich geschlossener und mit allen Vorteilen der Seeverbindung ausgestatteter Waffenplatz für die Verbündeten werden, der sogar bald imstande sein konnte, eine Belagerung auszuhalten. Allein das Betragen der Dänen, die täglich mit den Franzosen eifrige Verhandlungen pflogen, erweckte schon jetzt Bedenklichkeiten, die alle diese Aussichten zu vernichten drohten.

Die nächsten Tage waren zwar wieder ruhig, aber die düstre Erwartung, in der alles schwebte, gönnte niemanden, sich in dem Genusse dieser Ruhe zu erholen. Man mußte beständig in Bereitschaft stehen, die Bürgergarden waren unaufhörlich im Dienst, ein großer Teil des Volks durch Schanzarbeit, die mit Anstrengung fortgesetzt wurde, unablässig beschäftigt. Man sah kein andres Gewerbe mehr, als das Bezug auf den Krieg hatte, niemand ging ohne Waffen, aller Verkehr und Erwerb stockte; da die biwakierenden Bürger von der Stadt verpflegt werden mußten, so wurde der Dienst zuletzt für die ärmeren Einwohner die Quelle des Lebensunterhalts.

Die Dänen hatten inzwischen das Einrücken der Schweden in Hamburg, von wo sie in zehn Minuten nach Altona marschieren konnten, als für sich gefährlich betrachtet und ihre Truppen mit allem Geschütz aus Altona zurück nach Blankenese gezogen; sie taten ängstlich, als hätten sie einen feindlichen Überfall zu fürchten und als wären in Gemeinschaft der Schweden ihnen jetzt auch sogar die Russen unsicher. Die Schweden ihrerseits zeigten Besorgnis wegen der Dänen, welche durch Stärke und Stellung allerdings im Vorteil waren. Diese Besorgnis griff auch der Kronprinz[482] von Schweden sogleich auf, der endlich am 17. in Stralsund angekommen war, und meinte, die schwedischen Truppen fänden sich in Hamburg gleichsam in einen Sack eingeschlossen. Er mißbilligte das eigenmächtige Benehmen des Generals Döbeln und sandte unverzüglich den General Lagerbrinke nach Hamburg, um die Schweden von dort sogleich wieder abzurufen. Seltsame Verwickelung der Verhältnisse, daß hier Dänen und Schweden in feindlicher Entgegensetzung zum Unheil Hamburgs doch nur das gleiche taten. Gegen die Mißverhältnisse der beiden nordischen Mächte, die sich auf diesem Punkte begegneten, mußte das Schicksal der einzelnen Stadt verschwinden und diese im Widerstreit fremder Politik erliegen. Die schwedischen Truppen marschierten am 25. Mai abends wirklich von Hamburg ab. Welche Bestürzung unter den Einwohnern, welche Niedergeschlagenheit unter den Truppen dadurch entstand, ist kaum zu beschreiben. Es gehörte der ausdauernde Mut und die beharrliche Gesinnung Tettenborns dazu, um nach diesem zweiten Fehlschlagen, das er in seinen unternehmenden Anstrengungen erfuhr, nicht ganz zu verzweifeln; aber der Schmerz selbst, von dem sein Inneres bei diesen Vorgängen zerrissen war, wurde ihm zum neuen Anreiz, seine Tätigkeit zu verdoppeln, seine Kraft zu spannen und gegen alle zum Untergang verschworne Gewalten eines hartnäckigen Geschicks wenigstens ebenso hartnäckig zu ringen.

Die dringendsten Vorstellungen gingen an den Kronprinzen von Schweden, dem die Wichtigkeit dieser Stadt, ihre jetzige Lage und ihr bevorstehendes Unglück ans Herz gelegt wurde, um ihn zur Rettung derselben zu bewegen; für ganz Deutschland konnte Hamburg, gerettet, das beste, verloren, das abschreckendste Beispiel werden. Auch die besondere Teilnahme, die der Kronprinz für diese Stadt aus früherer Zeit, da er als Marschall Bernadotte in den angenehmsten Verhältnissen mit den Einwohnern gestanden, noch haben mußte, wurde in Anspruch genommen. Der Senat hatte an den Kronprinzen alsbald nach seiner Landung[483] die Abgeordneten Parish, Gries und Karl Sieveking gesandt; der letztere, damals in noch sehr jungen Jahren, zeigte schon die großen Vorzüge des Geistes und Charakters, welche er seitdem in seiner ehrenvollen Laufbahn staatsmännischen Wirkens zum Wohl und Ruhm seiner Vaterstadt vielfach dargetan. Der Kronprinz hörte die Vorstellungen der Abgeordneten teilnehmend an, vermied aber jede bestimmte Zusicherung. Allein selbst im günstigsten Falle, wenn er alles gewährte, was in seiner Macht stand, mußten viele Tage hingehen, bevor die Hülfe eintreffen konnte, die mit jeder Stunde, welche dieser Zustand fortdauerte, Gefahr lief, zu spät zu kommen. Es blieb daher nichts übrig, um nur einigen Halt in die Sachen zu bringen, als von Wallmoden Verstärkung zu beziehen. Dieser sandte ein preußisches Bataillon, welches zwar nicht sehr stark war, aber aus Kerntruppen bestand, bei Lüneburg das Gefecht ruhmvoll entschieden hatte und in dem Oberstlieutenant von Borck sich des tapfersten Anführers rühmen konnte. Am 27. Mai traf das Bataillon in Hamburg ein und brachte einen neuen Schimmer von Hoffnung für die Einwohner mit, welche dieser Truppen endlich glaubten gewiß sein zu können.

Wunderbar genug blieb auch jetzt, nach dem Abzuge der Schweden, wie früher der Dänen, der Feind ganz ruhig und wagte keinen Angriff, ja, ließ sogar im Bombardieren der Stadt nach. Er dachte auf eine leichtere Art zu deren Besitz zu gelangen als durch einen Angriff, dessen Erfolg doch immer zweifelhaft war und der auch im Gelingen eine große Menge Leute kosten mußte. Die Dänen waren das Mittel, welches ihnen dies alles ersparen sollte. Die Unterhandlungen zwischen Altona und Harburg wurden täglich lebhafter; der Präsident von Kaas war aus Kopenhagen angelangt, um in das Hauptquartier Napoleons zu reisen, und hielt sich unterwegs in Harburg eine Zeitlang bei dem Marschall Davoust auf; was man von den gepflogenen Unterhandlungen erfuhr, deutete nicht allein auf Annähern, sondern auf ein völliges Anschließen Dänemarks an Frankreich.[484] Bei dem vertrauten Verkehr zwischen den Nachbarstädten, die sich in vieler Hinsicht als eins betrachteten und denen die kaufmännischen Verbindungen ein engeres Band blieben als das, womit jeder einer andern Regierung angehörte, waren die geheimsten Verhandlungen der Dänen in Hamburg bekannt; man sprach laut davon, daß letztere mit den Franzosen vereinigt die Stadt angreifen oder dieselbe auf glimpfliche Weise doch einstweilen besetzen und den Russen nur freien Abzug gestatten würden, und so sahen die unglücklichen Hamburger aus denselben Truppen, die noch eben ihre Bundesgenossen und Beschützer gewesen, plötzlich drohende Feinde werden, und zwar um so gefährlicher, als man nach dieser Seite die wenigsten Vorkehrungen getroffen hatte, da die Freundschaft der Dänen sich höchstens in Neutralität schien verändern zu können. Gegen die Franzosen waren die an der Elbe aufgeworfenen Befestigungen auch bei noch fortdauernder Arbeit schon haltbar, da der Strom sie deckte; von dem Lande her boten die noch unvollendeten tausend Blößen. Ein anderer Umstand erweckte noch bedenklichere Sorge. Nach dem großen Verbrauch in der letzten Zeit fing nun das Pulver an zu fehlen; der Vorrat reichte für das Kleingewehr nur noch auf einige Tage hin, für das Geschütz auf den Wällen nur auf wenige Schüsse. Dies alles und die Erwägung, daß, wie auch der Krieg enden möge, Dänemark für Hamburg immer der nächste Nachbar bleiben würde, von dessen Händen die Stadt fortdauernd Unheil oder Heil schon durch die Beherrschung der Elbe zu gewärtigen habe, machte die Einwohner gänzlich verzagen, auch gegen diesen Feind mit äußerstem Trotze aufzutreten. Heß, als Befehlshaber der Bürgergarde, der schon lange mit abwechselndem Erfolg gegen die mannigfaltigen Stimmungen gekämpft hatte und zum Teil von ihnen niedergebeugt war, erschien bei dem General und machte ihm förmlich die Anzeige, daß auf die Bürgergarde ferner nicht zu rechnen sei und sie namentlich gegen die Dänen nicht fechten würde. Die Hamburger befanden[485] sich allerdings in einer fürchterlichen Lage; ohne alle Möglichkeit der Aussöhnung mit Napoleon, bedrängt und bombardiert von der Übermacht eines rachesinnenden Feindes, sahen sie eine Stütze nach der andern weichen, eine Hoffnung nach der andern verschwinden und nirgends einen aufrichtigen Freund erscheinen. Mut und Entschlossenheit sind es meist nur bedingungsweise, daß der einzelne wisse und vertraue, auch die andern, und wo nicht alle, doch die meisten, seien ihm gleichgesinnt. Diese Überzeugung fehlte, und sie zu erregen, wären Hülfsmittel nötig gewesen, vor denen die Besonnenen zurückschauderten. Ein begeisterter Volksheld aber, der die dunkeln Kräfte der Waffen ans Licht zu rufen und zugleich zu leiten gewußt hätte, erstand nicht. Die Entbrannteren sahen alle auf Tettenborn und erwarteten seinen Anstoß; allein er konnte heldenmütige Entschlüsse wohl fördern, aber nicht vorschreiben. Es wäre schön gewesen, dies gutgesinnte, eifrige Volk, dessen Aufstand gegen die Franzosen ein so großes Beispiel gegeben, durch hinlängliche Kriegsmacht, womöglich vorwärts an der Weser schützen und verteidigen zu können und ihm den Wiedergewinn der Freiheit in ungetrübtem Glücke beschieden zu sehen – die verbündeten Mächte und ganz Deutschland hätten ihm solches Wohlergehen freudig gegönnt –; allein das Geschick hatte nun einmal seine härtesten Lose hier ausgeworfen, und dem Orte selbst, wo das kühne Wagnis hervorgetreten, waren auch alle Unglücksfolgen desselben zugeteilt. Es war jetzt, gleichviel durch wessen Schuld, mit Hamburg auf das Äußerste gekommen, wo es nur noch galt, sich bis zur Verzweiflung zu wehren und lieber unterzugehen als sich zu ergeben. Aber obgleich der Reichtum und Wohlstand der Hamburger nicht in ihren Wohnsitzen besteht, die ohne Freiheit wenig wert sind, und die Betriebsamkeit, die Kenntnis und das Vertrauen des Handels, ihr wahrer Reichtum, sie überall hinbegleitet hätten, so schauderten dennoch alle vor dem Gedanken, ihre Stadt den Flammen zu überantworten und dem Feinde zum Gegenstande[486] seiner Wut nur als eine rauchende Brandstätte zurückzulassen. Als Tettenborn ihnen nichts mehr zu bieten hatte als rote Fahnen und Pechkränze, zogen sich die Unseligen zurück, für die es eine Wohltat, nicht Grausamkeit, gewesen wäre, wenn man, sogar wider ihren Willen, das Heldenwerk Rostoptschins wiederholt hätte. Tausende haben es seitdem bereut, nicht diesen Untergang gewählt zu haben; allein es war nötig, daß erst die Wiederkunft der Franzosen mit allen Greueln der überlegtesten langsamen Zerstörung ihnen jene schnelle wünschenswert machte!

Noch einmal erschien für Hamburg ein günstiger Sonnenblick, um dann ganz und für lange Zeit von seinem Himmel zu verschwinden. Der Kronprinz von Schweden hatte Hamburgs Schicksal zu Herzen genommen und endlich den Abgeordneten der Stadt seinen unverzüglichen Beistand zugesagt; am 27. Mai kam der General von Rosen von seiten des Kronprinzen zu Tettenborn, um demselben den Anmarsch neuer schwedischer Truppen anzukündigen. Ein Teil derselben sollte in Hamburg selbst einrücken, die Hauptmasse aber Wallmodens Heerteil zu einer kräftigen Unternehmung auf das linke Elbufer und gegen Harburg verstärken, um die Franzosen durch diesen Angriff im Rücken zu nötigen, von ihrem Angriff auf Hamburg abzulassen. Nichts konnte erwünschter sein, und schon war alles abgeredet, als noch der General von Boye eintraf, um wegen der schwedischen Truppen von den Dänen, durch welche sie in Hamburg jeden Augenblick eingeschlossen werden konnten, eine Sicherstellung zu verlangen. Er forderte nur, daß die dänischen Generale sich verpflichteten, jede Änderung ihres neutralen Verhaltens gegen die Schweden achtundvierzig Stunden früher anzuzeigen, ehe sie tätig einschritten.

Mit diesem Auftrage ging der General von Boye am 29. Mai selbst nach Altona, und Tettenborn schlug alle ihm durch Eifer und Klugheit eröffnete Wege ein, seinen persönlichen Einfluß auf die Entschließungen der dänischen Befehlshaber geltend zu machen.[487]

Während dieser Verhandlungen hatten die Franzosen die mehrtägige Ruhe durch einen unerwarteten raschen Angriff wieder unterbrochen. Sie waren früh vor Tagesanbruch am 29. Mai von Wilhelmsburg aus nach dem Ochsenwerder übergegangen, hatten den schwachen Posten des lauenburgischen Bataillons daselbst überall zurückgedrängt und sich bereits in dieser Insel sehr ausgedehnt und teilweise festgesetzt, ehe die Meldung davon an Tettenborn gelangte. Dieser eilte sogleich dorthin und führte die zurückgewichenen, aber durch sein Erscheinen gleich ermutigten Truppen persönlich gegen den Feind vor und ließ sie eine günstige Stellung nehmen, wobei er sich lange Zeit dem heftigen Kugelregen der feindlichen Plänkler aussetzte. Da jedoch die Franzosen hier mit Macht übergegangen waren und weiter vordringen zu wollen schienen, um die Russen von dieser Seite abzuschneiden, so ließ er schleunig das Bataillon Preußen aus der Stadt in die wichtige Stellung beim Eichbaum marschieren, um diese so lange zu behaupten, bis der von Wallmoden auszuführende Angriff den Feind von selbst hier wieder zum Rückwege nötigen würde; er selbst nahm sein Hauptquartier bei der Billkirche.

Die Lage war mißlicher als je; um dem Angriff im Ochsenwerder zu begegnen, war die Stadt entblößt worden; wurde diese angegriffen, so konnte man nichts dahinschicken, was nicht anderswo eine Lücke gelassen hätte, und so blieb nur auf die ungewisse Hoffnung zu rechnen, daß die Franzosen ihren Angriff auf die Stadt selbst noch nicht machen würden. Mit Ungeduld erwartete man die Ankunft der Schweden und die verlangte Zusicherung der Dänen; von beiden Seiten erhielt Tettenborn zugleich Nachricht. Die Schweden, statt in Bergedorf einzutreffen, hatten sich tiefer in das Innere des Landes zurückgezogen; die Dänen dagegen waren vorgegangen und standen schlagfertig in Altona und in Schiffbek, so daß ihre Stellung ebenso drohend erschien, als ihre Absicht feindlich zu vermuten war; sie brauchten nur noch einen Schritt zu tun, um Hamburg[488] selbst und alle dortigen Truppen unrettbar einzuschließen.

Auf das Verlangen des Generals von Boye hatte der, statt des abgerufenen Generals von Wegener, in Holstein jetzt den Befehl führende Generalmajor von der Schulenburg geantwortet: nur zwei Stunden vorher, ehe er zu Feindseligkeiten überginge, würde er die Anzeige davon machen. Zugleich erhielt man durch wohlunterrichtete Personen die Gewißheit, daß zwischen den Dänen und Franzosen ein Vertrag abgeschlossen und die dänische Kriegsmacht in Holstein ganz den Verfügungen des Marschalls Davoust überlassen sei, daß also jeden Augenblick ein förmlicher Angriff, von ihnen selbst oder über das dänische Gebiet von den Franzosen, zu erwarten stehe. Der schwedische General erklärte hierauf, in diesem Fall hieße es, die schwedischen Truppen, die nach Hamburg kämen, geradezu dem Feinde als Gefangene überliefern, und ihre rückgängige Bewegung, schon durch das Vorgehen der Dänen veranlaßt, könne nur fortzusetzen sein. Unter diesen Umständen, bei der Mißstimmung der Bürgerschaft, dem Mangel an Schießbedarf, der geringen Truppenzahl, der Entfernung der Schweden und Feindlichkeit der Dänen, mußte Tettenborn, der noch immer außerhalb der Stadt bei der Billkirche dem stets sich verstärkenden Feinde kämpfend entgegenstand, in der Nacht auf den 30. Mai dem Major von Pfuel nach Hamburg den Befehl senden, die Stadt zu räumen und mit den wenigen dort noch befindlichen Truppen durch den Billwerder den Rückzug nach Bergedorf anzutreten. Der Senat hatte schon früher aus eignem Antrieb die Übergabe der Stadt beratschlagt und sandte jetzt Abgeordnete nach Altona, um die dänische Vermittelung zu erbitten.

Heß löste durch eine schon für solchen unglücklichen Fall im voraus gedruckte Bekanntmachung die Bürgergarde förmlich auf, die der Tat nach schon nicht mehr beisammen war und sich in den letzten Tagen nur in sehr geringer Zahl auf den Sammelplätzen eingefunden hatte. Die angesehensten[489] Einwohner, besonders solche, die sich auf irgendeine Weise für die Freiheit Hamburgs hervorgetan hatten, befanden sich zum Teil schon im Dänischen, teils begaben sie sich jetzt dahin. Der Abzug der Truppen, ungefähr 800 Mann, geschah in aller Stille und mit der größten Ordnung, einige Schüsse, welche die Franzosen gegen Morgen von der Veddel gegen die Stadt taten, wurden noch von den Batterien auf dem Grasbrook beantwortet.

In Altona wurde der Generalmarsch geschlagen, und die dänischen Truppen setzten sich in Bewegung.

Während des Zuges durch den zwei Meilen langen Engweg des Billwerders sah man der ganzen Länge nach dänische Truppen mit zahlreichem Geschütz aufgestellt; die Kanoniere mit brennenden Lunten bei den Kanonen, die hinter unzugänglichen Verhauen längs der Grenze die Landstraße bestrichen. Eine Stunde später hätten sie vielleicht schon Befehl zum Angriff gehabt, und das kleine Häuflein wäre in den Engen des Billwerders vernichtet oder gefangen worden. Der General von der Schulenburg band sich auch nicht an die zugesagte zweistündige Aufkündigung, sondern fing die Feindseligkeiten sogleich an; die Dänen rückten in Hamburg ein und verfolgten durch das Steintor den Nachtrab der Russen, nahmen 4 hanseatische Reiter gefangen und wechselten noch am Abend mit den Kosaken bei Bergedorf einige Schüsse. Von Bergedorf an machte das preußische Bataillon die Nachhut, und der Tag sollte nicht vergehen, ohne die Franzosen noch daran zu erinnern, daß nicht ihre Tapferkeit Hamburg gewonnen habe. Bei der Nettelnburger Schleuse waren sie in zahlreicher Menge auf Stegen und gelegten Brettern übergegangen und drängten die preußischen Plänkler zurück. Der Oberstlieutenant von Borck eilte dahin, setzte sich an die Spitze seiner tapfern Leute, redete sie kräftig an und setzte ein hartes Wort darauf, wenn einer von ihnen einen Schuß täte; so stürzten sie mit gefälltem Bajonett auf die Übermacht des Feindes und warfen alles nieder, was ihnen auf dem Wege war. Es fiel kein Schuß,[490] der Feind verlor über 400 Mann, von denen ein Teil durch Bajonett und Kolben, ein Teil im Wasser umkam, nur wenige retteten sich über den Fluß zurück. Von den 80 Preußen, die dieses Heldenstück ausgeführt, wurde nicht einmal einer verwundet, zum Beweise, daß es die Truppen schonen heißt, wenn man sie mit dem Bajonett angreifen läßt.

Tettenborn kam, ohne weiter verfolgt zu werden und ohne irgendeinen Verlust, am 31. Mai nach Lauenburg, wo er an die Truppen Wallmodens angelehnt stand und, ehe wieder von der einen oder andern Seite etwas begonnen wurde, die Nachricht des abgeschlossenen Waffenstillstandes erhielt. Wie es der Stadt Hamburg erging, nachdem die Dänen den Franzosen Platz gemacht hatten, möge ein Augenzeuge erzählen, dem zu einer solchen Schilderung der erbitterte Schmerz Kraft gibt und der nicht scheut, die herzzerreißende Wirkung solchen vaterländischen Trauerspiels wie Phrynichos in verwünschendem Danke zu erfahren.

Quelle:
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. Berlin 1971.
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