Kapitel XXXVII.
De aruspigia
oder
Von der Weissagung aus dem Vogelgeschrei

[144] Die Weissagung aber, welche aus dem Vogelflug und Vogelgeschrei herkommet, hat viel Species und Orden, und ist diese Kunst vor alters in grosser Estime gehalten worden, auch so, dass ohne derselben nichts, sowohl in publicis als privatis hat glücklich können vollbracht werden. Es ist eine uralte Kunst, wie Pomponius Laetus uns berichtet, und von den Chaldäern auf die Griechen gebracht, bei welchen Amphiaraus, Tyresias, der eine Mopsus und Calchas für die besten Wahrsager sind gehalten worden. Von den Griechen ist sie hernach auf die Etrusker und sofort auf die Latiner kommen, und ist Romulus selbsten dergleichen Wahrsager gewesen und hat den Magistrat gelehret, wie sie mit den Auguriis oder solchen Wahrsagungen sollten umgehen; auch bezeuget Dionysius, dass diese Art zu weissagen eine alte Kunst gewesen sei der Aboriginer, und dass Ascanius, ehe er sich mit dem Mezentio in eine Schlacht einliess, dieses Wahrsagungsmittel ergriffen hätte, und nachdem es glückselig[144] gefunden, so habe er mit dem Feind geschlagen und denselben überwunden.

Endlich haben auch diesem nachgefolget die Phrygii, Pisidae, Cilices, Arabes, Umbri, Thusci und viel andere Völker. Die Lazedämonier haben auch ihren Königen dergleichen Wahrsager zu einem Rat an die Seite geordnet und die Römer ein ganzes Kollegium von solchen Leuten konstituieret. Dieser Kunst haben beigepflichtet diejenigen, welche gelehret, dass oben aus den himmlischen Corporibus etliche Lichter der Wahrsagungen über alle Tiere unten auf Erden kämen, und die gleichsam gewisse Signa und Anzeigungen wären, welche wir hernachmals aus des Menschen oder eines Tieres Bewegung, Gestalt, Tritte, Flug, Stimme, Speise, Farbe und Ton erkennen, und den Ausgang wissen könnten, welche durch ein heimlich Wesen oder sonderbare Vereinigung mit dem Himmlischen, dadurch sie ihre Kräfte bekommen, miteinander übereinkommen, also, dass man dadurch alles zuvor wissen und wahrsagen kann, was die himmlischen Corpora haben in Willen gehabt zu tun.

Aber aus diesem allen erhellet klar, dass diese Weissagungskunst nichts als blossen Mutmassungen folge, welche teils, wie sie sagen, aus Influenz der Gestirne, teils aus ihren Gleichnissen hergenommen sind, da doch nichts Betrüglicheres als dieses kann gefunden werden. Dahero lachen diese Kunst aus Panaetius, Carneades, Cicero, Chrysippus, Diogenes, Antipater, Josephus und Philo, auch wird sie durch das Gesetz und die Kirche verdammet. Und dergleichen sind auch der Chaldäer und Ägyptier ihre Geheimnisse, welche vor Zeiten die Etrusker, hernach die Römer und andere Völker, dem gemeinen Mann noch bis auf den heutigen Tag als Oracula anbieten.[145]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 144-146.
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