III (Adhyâya 27).

Vers 951-993 (B. 1-43).

[20] Arjuna sprach:


1. (951.) Wenn nach deiner Meinung, o Janârdana, die Erkenntnis höher steht als das Werk, warum spornst du mich dann an zu einem grausamen Werke, o Vollhaariger?

2. (952.) Durch deine widerspruchsvolle Rede verwirrst du meinen Geist; sage mir doch das Eine mit Bestimmtheit, wodurch ich das Heil erlangen kann.


Der Heilige sprach:


3. (953.) Zwei Standpunkte gibt es in dieser Welt, wie ich schon vordem gelehrt habe, o Untadeliger: Die Hingebung an die Erkenntnis ist der Standpunkt der Reflektierenden (Sâ khya), die Hingebung an das Werk ist der der Yoga-Übenden.

4. (954.) Nicht durch Enthaltung von den Werken erlangt der Mensch die Werkbefreiung, und nicht durch blosses Wegwerfen von allem gelangt er zur Vollendung.

5. (955.) Der Mensch kann doch nie auch nur einen Augenblick bestehen, ohne Werke[21] zu tun. Denn ein jeder wird auch gegen seinen Willen gezwungen zu wirken durch die seiner Natur (prakṛiti) eingeborenen Guṇa's (Beschaffenheiten).

6. (956.) Wenn einer zwar die wirkenden Sinnesorgane im Zaume hält und müssig sitzt, aber in seinem Herzen den Sinnendingen nachhängt, der ist betörten Geistes und auf falschem Wege.

7. (957.) Wer hingegen die Sinne durch das Manas im Zaume halt und dann, o Arjuna, mittels der Tatorgane sich dem Tun hingibt ohne Anhänglichkeit, mit dem steht es anders.

8. (958.) Vollbringe du das notwendige Werk, denn das Tun steht höher als das Nichttun, und auch der Fortgang des Körperlebens ist nicht möglich, ohne dass man Werke tut.

9. (959.) Auch abgesehen von den Werken, welche um der Opferpflicht willen notwendig sind, bleibt diese Welt an Werke gebunden. Darum, o Kuntîsohn, tue das Werk, aber tue es ohne Anhänglichkeit.

10. (960.) Als der Schöpfer Prajâpati zugleich mit dem Opfer vordem die Wesen schuf, da sprach er zu ihnen: Durch dieses sollt ihr euch fortpflanzen, dieses sei euch die eure Wünsche erfüllende Wunschkuh.

11. (961.) Fördert ihr durch das Opfer die Götter, und die Götter wiederum sollen euch fördern; indem ihr euch gegenseitig fördert, werdet ihr das höchste Glück erlangen.[22]

12. (962.) Denn die Götter, durch eure Opfer gefördert, werden euch die gewünschten Genüsse gewähren; wer das von ihnen gewährte geniesst, ohne ihnen etwas wiederzugewähren, der ist eben ein Dieb.

13. (963.) Die Guten essen, was vom Opfer übrigbleibt, und werden dadurch von allen Sünden gereinigt; die Bösen aber, welche nur zu ihrem eigenen Besten kochen, die essen zu ihrem Verderben.

14. (964.) Die Wesen entstehen aus der Nahrung, die Nahrung entsteht aus dem Regen (parjanya), der Regen entsteht aus dem Opfer, das Opfer entsteht aus dem Werke;

15. (965.) das Werk entsteht aus dem Vedaworte (Brahman), das Vedawort entsteht aus dem Unvergänglichen; somit hat das allumfassende (sarvagata) Vedawort allezeit seinen Halt im Opfer.

16. (966.) So dreht sich das Rad im Kreise, und wer es nicht in Umdrehung versetzt hienieden, der führt ein ruchloses Leben, ist ein Tummelplatz der Sinne und lebt, o Sohn der Pṛithâ, vergeblich.

17. (967.) Aber der Mensch, welcher am Âtman sich freut, am Âtman sich ersättigt und am Âtman sein Genüge findet (vgl. Chând. Up. 7,25,2. Mund. Up. 3,1,4), für den gibt es keine Pflicht mehr.

18. (968.) Er hat keinen Zweck im Auge bei dem, was er tut, er hat keinen Zweck im[23] Auge bei dem, was er nicht tut; und bei allen Wesen sucht er keinen Stützpunkt seiner Zwecke.

19. (969.) Darum betreibe allezeit die obliegende Pflicht ohne Anhänglichkeit; denn wer ohne Anhänglichkeit seine Pflicht erfüllt, der Mann erlangt das Höchste.

20. (970.) Nur durch ihre Werke sind Könige wie Janaka zur Vollendung gelangt. Und auch darum musst du handeln, damit du die andern Menschen [zu ihrer Pflicht] anhältst.

21. (971.) Denn was der an höchster Stelle Stehende tut, das ahmen die übrigen Menschen nach, und was er sich als Richtschnur erwählt, danach richtet sich auch das Volk.

22. (972.) Nicht liegt mir [als Allgeist], o Sohn der Pṛithâ, in allen drei Welten irgend etwas ob, was ich zu tun hätte, noch gibt es für mich etwas zu erlangen, was ich nicht schon erlangt hätte, und doch betätige ich mich in Wirkungen.

23. (973.) Denn, sollte es je geschehen, dass ich nicht unermüdlich tätig wäre, so würden, o Sohn der Pṛithâ, die Menschen allerwärts meinem Beispiel folgen.

24. (974.) Alle Welten würden in Untätigkeit verharren, wenn ich nicht mein Werk vollbrächte, und ich würde Verwirrung veranlassen und die Geschöpfe hier zugrunde richten.[24]

25. (975.) Und so wie die Nichtwissenden handeln mit Anhänglichkeit an ihr Werk [und seinen Lohn], so soll der Wissende ohne Anhänglichkeit handeln, um [durch sein Beispiel] die übrigen dazu anzuhalten, o Bhârata.

26. (976.) Er soll die Nichtwissenden, die noch an dem Werke hängen, in ihrem Bewusstsein nicht irre machen; er, der Wissende, soll sie veranlassen, alle Werke mit Freudigkeit zu tun, indem er selbst mit Hingebung sie betreibt.

27. (977.) Die Werke, wo sie auch immer geschehen, werden getan durch die Guṇa's der Prakṛiti, aber der Mensch, in seinem Selbste betört durch den Aha kâra (Ichbewusstsein), wähnt: Ich bin der Handelnde.

28. (978.) Wer aber die Wesenheit kennt, o Grossarmiger, der macht einen Unterschied zwischen den Guṇa's und dem [guṇalosen] Werke; er begreift, dass die Guṇa's sich unter den Guṇa's betätigen, und hält sich frei von Anhänglichkeit.

29. (979.) Die Menschen, betört durch die Guṇa's der Prakṛiti, sind an jene Werke der Guṇa's anhänglich, sind trägen Geistes und Halbwissende; sie möge der Ganzwissende nicht irre machen.

30. (980.) Mir sollst du alle Werke weihen, den Geist gerichtet auf den höchsten Âtman,[25] und so, von Hoffnung und Selbstheit frei, mögest du kämpfen ohne Bekümmernis.

31. (981.) Die Menschen, welche allezeit diese meine Vorschrift befolgen, im Glauben und ohne Murren, die gelangen sogar durch ihre Werke zur Erlösung.

32. (982.) Diejenigen aber, welche murren und diese meine Vorschrift nicht befolgen, diese in allem Erkennen Betörte und Besinnungslose wisse als Verlorene.

33. (983.) Betätigt sich doch auch der Wissende entsprechend seiner eigenen Natur; ihrer Natur (prakṛiti) folgen alle Wesen, was kann da Hemmung ausrichten!

34. (984.) Jedes Sinnesorgan steht fest, sei es in Liebe, sei es in Hass, seinem Gegenstande gegenüber; unter diese beiden soll man sich nicht beugen, denn beide sind hinterlistige Feinde des Menschen.

35. (985.) Besser ist es die eigene Pflicht ohne Tüchtigkeit, als die fremde Pflicht mit Erfolg zu betreiben; ja, es ist besser in der Erfüllung der eigenen Pflicht zugrunde zu gehen, Befassen mit fremder Pflicht bringt Gefahr!


Arjuna sprach:


36. (986.) Aber durch wen wird der Mensch angestiftet, das Böse zu tun, selbst gegen seinen Willen, o Nachkomme des Vṛishṇi, und gleichsam mit Gewalt dazu gedrängt?


[26] Der Heilige sprach:


37. (987.) Es ist die Begierde, es ist der Zorn, entspringend aus dem Guṇa des Rajas (Leidenschaft), ein grosser Fresser, ein grosser Bösewicht, ihn wisse hienieden als den wahren Widersacher.

38. (988.) Wie das Feuer vom Rauch umhüllt wird, wie Rostflecken den Spiegel verdecken, wie der Embryo von der Eihaut umschlossen wird, so ist von ihm diese ganze Welt überzogen.

39. (989.) Verdunkelt wird sogar das Wissen des Wissenden von diesem ewigen Widersacher, der die Gestalt der Begierde annimmt, o Sohn der Kuntî, und ein unersättliches Feuer ist.

40. (990.) Die Sinnesorgane, das Manas und die Buddhi sind sein Standort; von diesen aus verdunkelt er das Wissen und überschattet die Seele.

41. (991.) Darum vor allem, o Stier der Bharata's, bändige deine Sinnesorgane und schlage jenes Böse aus dem Felde, welches Erkenntnis und Lebenserfahrung vergiftet.

42. (992.) Die Sinnesorgane, heisst es, sind vorzüglich, vorzüglicher als die Sinnesorgane ist das Manas, vorzüglicher als das Manas ist die Buddhi (vgl. Kâṭh. Up. 3,10. 6,7), wer aber noch vorzüglicher als die Buddhi ist, das ist er [der Âtman].[27]

43. (993.) Also wisse ihn als vorzüglicher noch als die Buddhi, befestige deinen Âtman durch den [höchsten] Âtman und bekämpfe jenen Feind, o Grossarmiger, der sich in die Begierde kleidet und schwer zu fassen ist.


So lautet in der Bhagavadgîtâ die Hingebung an das Werk (karma-yoga).

Quelle:
Der Gesang des Heiligen. Eine philosophische Episode des Mahâbhâratam. Leipzig 1911, S. 20-28.
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