1. Bei denen, die vom Missgeschick verfolgt werden, kann auch das Geringste den Untergang Anderer bewirken, wie ja auch ein Härchen aus dem Schwanze eines Tigers zum Verlust des Lebens führt.

2. Was soll der Blumenkranz am Halse, da ich doch keinen Hals habe? Was soll der Wohlgeruch des Räucherwerks, da ich doch keine Nase habe? Was soll Gesang und Tanz dem Ohre, da ich doch keine Ohren habe? Was soll die tiefe Verbeugung zu Füssen, da ich doch keine Füsse habe? (Verspottung des Götzendienstes.)

3. (1.) Hartherzigkeit, grundloses Streiten, Verlangen nach fremdem Gute und fremdem Weibe, Unduldsamkeit gegen seine Hausgenossen und Verwandte: dieses ist ja den Bösen schon von Natur eigen.

4. Wenn die Geschöpfe der Thätigkeit entsagten, würden sie schlechterdings nicht leben können; darum soll man sich ihr hingeben und sie nimmer unterdrücken.

5. (3360.) Wer träge, gefrässig, den Leuten verhasst, ein Betrüger und boshaft ist, weder Ort noch Zeit kennt (d.i. auf dieselben keine Rücksicht nimmt) und widerliche Kleider trägt, den soll man nicht im Hause beherbergen.

6. (3361.) Ohne Grund Männer zu erhöhen und zu erniedrigen, ihnen Gutes und Böses, so wie Grösse zu verleihen, zeugt von geringem Verstande.

7. Wenn Jemand hier auf Erden unerwartet in den Besitz von Etwas gelangt, so meint man, ein glücklicher Zufall habe es gemacht, da keine Bemühung von irgend einer Seite dabei stattgefunden hat.

8. (3362.) Ohne allen Grund zu zürnen und ohne alle Veranlassung gnädig zu sein, ist der Bösen Art und Weise, das Abbild einer unstäten Wolke.

9. (2.) Da diese Schlankgliederige zu wiederholten Malen ohne alle Veranlassung auflachte, so wird gewiss der Gott, welcher Blumen als Pfeile gebraucht, in ihr das Regiment unumschränkt führen.

10. (3.) Wer ohne alle Veranlassung in seinem Zorne beständig viel spricht, vor dem schrecken die Menschen zurück wie vor Feuer, das Funken sprüht.

11. (3363.) Ein Fürst und ein Kranker sind aufzugeben, wenn jener gegen einen ihm ergebenen Diener, den er von der Geburt an gehegt, dieser[2] gegen eine Speise, die er von Geburt an gern genossen, einen Widerwillen zeigt, so wie wenn jener an den Insignien, dieser an Brühe keinen Gefallen mehr findet.

12. Einem Herrn, der ohne alle Veranlassung in Zorn geräth, und einem Weibe, das an einem Andern hängt, vermag sogar Brahman nicht das Herz zu beruhigen.

13. (5.) Ein wunderbares Heilmittel gegen die unerwartet fallenden, frischen und die empfindlichsten Stellen treffenden Schläge tiefen Kummers ist – gar nicht an sie zu denken.

14. (3364.) Nie und nimmer sieht man hier auf Erden irgend eine That ausgehen von Jemand, der nicht einen Trieb dazu in sich fühlte: was man auch thun mag, ist stets des Triebes Treiben.

15. (3365.) Wer mit einem Weibe, das ihn nicht liebt, der Liebe pflegt, dessen Leib nimmt Schaden; wer dagegen mit einem Weibe, das nach ihm Verlangen trägt, der Liebe pflegt, der empfindet herrliche Lust.

16. (3366.) Wer diejenigen liebt, die ihn nicht lieben, diejenigen meidet, die ihn lieben, und einen Stärkeren anfeindet, den nennt man einen Thoren.

[3] 17. (3367.) Wer da fürchtet Etwas zu thun, was er nicht thun sollte, Etwas zu unterlassen, was er thun sollte, und zur Unzeit eine Berathschlagung zu verrathen, der trinke nicht, was ihn berauschen könnte.

18. Ob eine Unthat wahr oder unwahr sei, macht Nichts zur Sache; wenn die Welt es glaubt, nimmt das Gerede der Leute (dem davon Betroffenen) die Grösse: ist der Sonnengott auch glücklich über die Wage (das Zeichen im Thierkreise und zugleich das mit der Wage angestellte Gottesurtheil) hinweggekommen und hat er auch vor Aller Augen die gesammte Finsterniss vernichtet, so ist doch sein Glanz von dem Augenblicke an, dass er zur Jungfrau ging, nicht mehr derselbe.

19. Ganz niedrige Menschen, die oft Ungebührliches vollbrachten, sieht man ja mit Reichthümern gesegnet, Andere dagegen, die ihren Pflichten leben, von Armuth heimgesucht.

20. (3368.) Wessen Leib möchte wohl bestehen, wenn man ihm Gutes erwiese, trotzdem dass er zuvor Ungebührliches vollbrachte und Sünde einsammelte?

21. Unzeitiges Thun, unpassende Gesellschaft und Verkehr mit schlechten Freunden soll man stets meiden: sieh, ein Vogel, der unter Wasserrosen eingeschlafen war, ward von einem Pfeile, der vom Bogen abgeschossen wurde, durchbohrt.

[4] 22. (6.) Wer aber zur Unzeit sein Heer rüstet, der wird von dem, der zur rechten Zeit kämpft, niedergemacht, wie die um Mitternacht des Augenlichts beraubte Krähe von der Eule.

23. (3369.) Wenn eine Burg sich nicht lange zu halten vermag, gar zu klein ist, einen dummen oder lasterhaften Befehlshaber hat, nicht gehörig bewacht ist und von feigen Kriegern vertheidigt wird, so nennt man dieses die Mängel einer Burg.

24. (3370.) Ein zur Unzeit begonnenes Werk bringt dem Thäter keinen Nutzen; dasselbe Werk, zu rechter Zeit begonnen, bringt grossen Nutzen.

25. (3371.) Bist du arm, so wirst du dich tummeln und dein Mahl mit Wohlbehagen verzehren; der Arme schläft und erhebt sich mit Wohlbehagen.

26. (3372.) Dem Armen, in seinen Leidenschaften Gezügelten, Beruhigten, Gleichmüthigen und stets Zufriedenen ist die ganze Welt voller Freuden.

27. (3373.) Blicke ich in alle drei Welten, so gewahre ich hier Niemand, der dem reinen, mit Allem ausgerüsteten Armen gleichkäme.

[5] 28. (3374.) Gutes Betragen hält Schande fern, muthiges Auftreten hält Schaden fern, Nachsicht hält stets den Zorn fern, Beobachtung der Sitte hält Unglück verheissende Zeichen fern.

29. Unehre tadeln die Götter, Ehre wird unter den Menschen gefeiert und der Ehre wegen unternehmen alle Hochherzigen ein Werk.

30. Ein Geschöpf, dessen Unehre hier auf Erden gesungen wird, stürzt in die untersten Wohnungen der Hölle, so lange sein Name genannt wird.

31. Der Unehre Ursache ist das Weib, der Feindschaft Ursache ist das Weib, des weltlichen Daseins Ursache ist das Weib; darum soll man das Weib meiden.

32. Sogar Unschuldige, die nichts Böses verüben, gehen, weil sie Bösen sich anschliessen, durch das Böse Anderer zu Grunde, wie die Fische im Schlangensee.

33. Menschen, die lange leben, sehen Leute niedrigen Standes zu hohem Geschlechte gelangen und das Geschlecht Edelgeborener zu Grunde gehen; so erleben sie auch Verbindungen und Trennungen.

[6] 34. (7.) Wer hier einem Fürsten dient, wird überall geehrt, selbst wenn er von niedriger Herkunft, ein Thor und der Ehre nicht würdig ist.

35. (8.) Den Undankbaren, den der seine Pflichten nicht kennt, den Nachtragenden und den Unredlichen: diese vier erkenne für Kandâla und als fünften den, der es von Geburt ist.

36. (9.) Warum giebt man fälschlich den Titel »König der Könige« solchen, die nicht die hohe Tugend der Freigebigkeit geübt haben? Nicht den Hüter der Schätze (Kubera), wohl aber den grossen Herrn (Çiva) verehren die Weisen.

37. (10.) Wenn die Menschen sich auch nicht weiter anstrengen, folgt Gutes und Schlimmes, als vom Schicksal zugetheilte Frucht, auf die Thaten der früheren Geburt.

38. (3375.) Bevor noch unsere Arbeit vollbracht ist, reisst uns der Tod hinweg: schon als Jüngling befleissige man sich der Tugend, da die Lebensdauer sich nicht bestimmen lässt.

39. (11.) Kein Grosser selbst wird geehrt, so lange er kein Unheil angerichtet hat: es verehren die Menschen die Schlangen, nicht aber Garuda, den Schlangenvernichter.

[7] 40. (12.) Was man nicht thun soll, das thue man auch nimmermehr, selbst wenn Verlust des Lebens drohte, und was man thun soll, das lasse man nicht ungethan: dies ist ewiges Gesetz.

41. (13.) Ein Mann, den Weiberworte treiben, hält Unthunliches für thunlich, Unerreichbares für leicht zu erreichen, nicht Essbares für essbar.

42. Wer ohne eine That vollbracht zu haben in der Welt des Lohnes theilhaftig wird und über Andere zu stehen kommt, der setzt sich dem Tadel aus und wird in der Regel Andern verhasst.

43. (14.) Ein Fürst, der einen Angriff unternimmt, bevor er sein eigenes Land geschützt hat, ist wie ein Mann, der sein Haupt in ein Gewand gehüllt hat.

44. (15.) Wenn man Andern keinen Schmerz bereitet, sich nicht vor Schlechten erniedrigt und den Weg der Guten nicht verlässt, so scheint dieses zwar sehr wenig zu sein, ist aber doch viel.

45. (16.) Was ist Glück, selbst wenn es sich behaglich geniessen lässt,[8] werth, wenn zur Erreichung desselben nicht Menschenkraft angewandt wurde? Auch ein alter unbrauchbarer Stier frisst Gras, das ihm durch's Schicksal zu Theil wurde.

46. Wer die von ihm als Menschen geforderte Arbeit nicht thut und sich auf das Schicksal verlässt, der müht sich vergebens ab, wie ein Weib, das einen Eunuchen zum Gatten erhielt.

47. Einen Brahmanen, der, am Waldleben stets seine Lust habend, Tag für Tag mit wildwachsenden Früchten und Wurzeln Todtenopfer darbringt, nennt man einen Rschi.

48. (3376.) Wer nicht im Zorn auffährt, ist besser als die Zornigen, und so ist auch der Geduldige besser als der Ungeduldige; die Menschen stehen über Allem, was nicht Mensch ist, und so steht auch der Unterrichtete über dem Ununterrichteten.

49. (3377.) Durch Sanftmuth besiege man den Zornigen, durch Güte den Bösen, durch Spenden den Geizhals, durch Wahrheit den Lügner.

50. (17.) Frommen steht, beinahe ohne Anstrengung von ihrer Seite, das, woran sie eben dachten, schon fertig da; Unfrommen entwischen, sieh, auffliegend erbärmliche Tauben.

[9] 51. (3378.) Ein Unfähiger, der in der Meinung, er besitze die Fähigkeit dazu, sich an ein Werk begiebt, macht sich ja zum Gegenstand des Gelächters und geräth in Lebensgefahr.

52. Eine Gesellschaft von Bösewichtern muss man wie eine Gesellschaft von Brahmanen ehrfurchtsvoll begrüssen, da sie weiss, wann der Rosenkranz zu Ende ist (da sie es versteht von missgünstigen Gesprächen zu leben), da sie einen Sitz aus Kuça-Gras einnimmt (schlechte Lehren annimmt) und da sie mit dem ihr zukommenden Gürtel umgürtet ist (gegen einen Harmlosen boshaft ist).

53. (3379.) Missgunst, Unverschämtheit, Schwinden des Glückes, Verlust des moralischen Verdienstes, Verlangen nach fremdem Gut und Unansehnlichkeit, alles dieses geht aus der Habsucht hervor.

54. Der Missgünstige, Wortbrüchige, mit fremden Weibern Verkehrende und Andern Schaden Zufügende wird, durch seine eigene That versengt, in einer schrecklichen Hölle gebraten.

55. Vor einem Bösewicht, dessen Genüsse kein Ende nehmen, der lästig ist und in seiner Dreistigkeit sich vollkommen sicher fühlt, fürchten sich, ach, sogar die Götter, als wenn sie ihm gegenüber ohnmächtig wären.

56. (3380.) Samen, der auf unbestelltes Land gesäet wird, geht schon[10] im Boden zu Grunde; aber auch ein unbesäeter Acker ist Nichts als ein geebneter Platz.

57. (3381.) Sieh, während alle andern Vögel sich frei ergehen dürfen, wirst du, o Papagei, zum Lohn für deine süsse Stimme, in einen Käfig gesperrt!

58. (18.) Ein Mann, der zu denen geht, zu welchen er nicht sollte, und mit denen verkehrt, mit welchen er nicht sollte, zieht sich den Tod zu wie ein Maulthierweibchen, wenn es eine Leibesfrucht empfängt.

59. (19.) Der grosse Fisch Rohita, der in unergründlichem Wasser schwimmt, wird nicht übermüthig; die kleine Çapharî tanzt schon bei daumentiefem Wasser wie toll umher.

60. (3382.) Möge die Welt das Aloeholz immerhin »leicht« nennen, ich dagegen erkenne demjenigen Gewicht (Würde) zu, der, wenn ihn die Leute auch verbrennen, auf nichts Anderes bedacht ist, als seine Vorzüge zu zeigen.

[11] 61. Der Mann, welcher sich selbst anfacht, wie man ein kleines Feuer anfacht, verschlingt, indem er wächst, sogar einen grossen Haufen.

62. Das Weib gleicht einem Becken mit glühenden Kohlen, der Mann einem Topfe mit zerlassener Butter; wessen Herz kommt nicht aus der Ruhe bei einer Zusammenkunft mit fremden Weibern?

63. (3383.) Wie, vom Feuer berührt, ein Baumwollenhaufe alsbald verschwindet, so verschwindet jegliche Sünde durch der Gañgâ Strömung.

64. Mit Feuer, Wasser, Weibern, Thoren, Schlangen und Fürsten muss man stets vorsichtig umgehen, da diese sechs Einem alsbald das Leben nehmen können.

65. Das Feuer ist ein Gegenstand der Verehrung für die Brahmanen, der Fürst für die übrigen Kasten, der Gatte für die edle Frau, der Gast für Jedermann.

66. Der Brahmanen Gott ist das Feuer, die Weisen haben die Gottheit im Herzen, der Einfältigen Gott ist ein Götzenbild, wer aber auf Alles mit gleichem Auge schaut, sieht die Gottheit überall.

[12] 67. (3384.) Das Feuer, eine mächtige Kraft in der Welt, ruht verborgen im Holze und verzehrt dieses nicht, so lange es nicht durch Andere in Flammen gesetzt wird.

68. (3385.) Setzt man aber eben dieses Feuer durch Reiben der Hölzer in Flammen, so versengt es mit seiner Kraft rasch diese Hölzer und auch wohl einen Wald.

69. (3386.) Gerade so verhält es sich mit Männern aus edlem Geschlecht, deren Kraft der des Feuers gleicht: sie ruhen, geduldig und anspruchlos, wie im Holze das Feuer.

70. (3387.) Pflege des heiligen Feuers, das Studium der drei Veden, das Ergreifen des Bettelstabes und das Bestreuen mit Asche bilden, wie Bṛhaspati sagt, den Lebensunterhalt derer, denen Verstand und Arbeitslust abgehen.

71. (20.) Das Ziel der Veda ist das Feueropfer; das Ziel der Gelehrsamkeit – ein tugendhafter Wandel; das Ziel der Gattin – Liebeslust und Söhne; das Ziel des Reichthums – Spenden und Geniessen.

[13] 72. (3388.) Wenn der Mensch (nach dem Tode) in's Feuer geworfen wird, so folgt ihm die selbstvollbrachte That nach; darum soll der Mensch alles Ernstes allmählich moralische Verdienste einsammeln.

73. Wie in's Feuer geworfene Baumwolle, o Bester der Brahmanen, weggefegt wird, so wird jegliche Sünde bei dem, der in die Gañgâ taucht, weggefegt.

74. (3389.) Nachdem man zuvor bei den Menschen durch Anlegung des heiligen Feuers, durch Opfer, ein rothes Gewand, Flechten und Fellbekleidung (Beschäftigungen und Kennzeichen eines harmlosen frommen Mannes) Vertrauen erweckt hat, falle man wie ein Wolf über sie her.

75. (21.) Der Weiber Herz lässt sich so wenig fassen wie ein Gesicht im Spiegel; ihr Wesen, uneben wie ein schmaler Pfad im Gebirge, wird nicht ergründet; ihr Sinn ist, wie die Weisen sagen, unstät wie ein Wassertropfen auf dem Blüthenblatte einer Wasserrose; das Weib ist ja zugleich mit seinen Fehlern gross geworden, wie eine Schlingpflanze mit ihren Giftschösslingen.

76. (22.) Dem Einen steht das Leben noch bevor, einen Andern hält[14] es umfangen, ein Dritter hat es im Rücken, je nachdem Kindheit, Jugend oder die Bürde des Greisenalters ihm zugefallen ist. Der Knabe mag eine hohe Meinung davon haben, da es ihm als nicht leicht erreichbar erscheint; der Jüngling mag sich ihm hingeben, da er es erreicht hat; warum aber schaut der Greis, wie ein Landesverwiesener, sich umwendend nach ihm hin?

77. (23.) Wenn, o Herz, vor dir Gesang ertönt, zur Seite geschmackvolle Dichter aus dem Süden einher schreiten, im Rücken die Armbänder von Fliegenwedel tragenden Frauen lieblich erklingen, dann zeige dich lüstern nach dem Genuss der Süssigkeiten der Welt; geht dir aber jenes ab, so wende dich unverweilt zur Beschauung, die alle Zweifel löst.

78. (3390.) Lauter Sünde geniesst der, welcher für sich selbst kocht: die aus den Ueberbleibseln eines Opfers bestehende Mahlzeit gilt für die Speise der Guten.

79. Nicht Zusammengefügtes fügt er zusammen, gut Zusammengefügtes zerschlägt er; der Schöpfer ist es, der zusammenfügt, was der Mensch zusammengefügt zu haben glaubt.

80. (3391.) Der Körper ist zusammengefallen, das Haupt weiss, der Mund hat die Zähne verloren, und dennoch lässt die Begierde nicht los den Possenreisser mit dem zitternden schönen Stabe in der Hand.

[15] 81. (24.) Zur Nachmittagszeit im Sommer verleihen schönen Weibern besondern Reiz: ein Körper, gelb von Sandel; Lippen, zart wie junge Sprossen und dunkelroth von Betel; Augen, trübe vom Besprengen mit dem Wasser des Springbrunnens und mit abgewaschener Salbe; eine feuchte Haarflechte, wohlriechend durch die eingelegten Blumen; ein an alle Glieder sich eng anschliessendes Gewand.

82. (25.) Dem Charakterfesten, der einmal zugesagt hat, erscheint die Erde nur wie der erhöhte Opferplatz in einem Hofe, das Meer wie ein Bach, die Unterwelt wie fester Boden, der Berg Meru wie ein Ameisenhügel.

83. Ein Sohn geht aus allen Gliedern der Mutter hervor und wird aus ihrem Herzen geboren; darum ist er ihr lieber als die übrigen Angehörigen.

84. (26.) Wie kann man Jemandes Macht bestimmen, wenn man nicht zuvor das Verhältniss zwischen ihm und seinen Hifsmitteln erkannt hat? Sieh, ein einfacher Strandläufer brachte das Meer in Verwirrung.

85. (27.) »Woher diese überaus grosse Magerkeit der Glieder? Woher das Zittern? Woher, du Einfältige, das Gesicht mit den bleichen Wangen?« Auf diese Fragen des Gatten erwiederte die Schlanke: »Alles dieses ist von[16] selbst gekommen«, entfernte sich und entliess aufseufzend anderswo die Thränenlast, welche ihre Wimpern erfüllte.

86. (28.) Warum weinst du, o Zornige, still für dich hin und stössest beständig mit der Fingernagelspitze die Thränentropfen herab? Du wirst noch mehr und laut weinen, da dein Geliebter, überdrüssig deines Schmollens, das durch die Rathschläge von Zuträgern einen hohen Grad erreicht hat, gegen deine Zuneigung gleichgiltig werden wird.

87. (3392.) Manches Gebet bringt keine Frucht, wie das mit den Fingerspitzen, das mit Ueberspringen eines Fingers und das eines Mannes mit zerstreutem Sinne.

88. (29.) Wer in den Besitz eines Rubins gelangt, der nicht grösser als ein Daumenglied, aber von vorzüglicher Güte ist, gelangt eben dadurch zu einem unvergleichlichen Schatz, den man mit Leichtigkeit mit sich tragen kann.

89. (30.) Wie die Leiden unerwartet über die Menschen kommen, so kommen, wie ich meine, auch die Freuden: das Schicksal spielt hierbei die Hauptrolle.

90. Ein Gegner, der vor Kurzem erst seine Regierung antrat, ist, weil er[17] bei seinen Unterthanen noch keine Wurzeln schlug, leicht auszuheben, wie ein Baum, der, jüngst gepflanzt, nicht fest im Boden steckt.

91. (3393.) Zu dem Einen kommt das Glück, auch wenn er ohne sich zu rühren dasitzt; ein Anderer arbeitet sich ab und erlangt doch nicht, was er nicht erhalten soll.

92. (3394.) Wie Blüthen und Früchte, von Niemand getrieben, ihre Zeit nimmer versäumen, so auch die vormals vollbrachte That.

93. (31.) Rehäugige Mädchen mit Händen, feucht von ganz klarem Sandelwasser, Badehäuser, Blumen, Mondschein, gelinder Wind, Blüthen und ein glänzender Söller mehren im Sommer den Wonnerausch und die Liebe.

94. (32.) Der Verständige sinne über Wissenschaft und Erwerb nach, als wenn er nicht alterte und nicht stürbe; die Tugend übe er aber, als wenn der Tod ihn schon bei den Haaren gepackt hätte.

95. (33.) Ein Fürst, der seine Unterthanen aus Unverstand wie Ziegen hinschlachtet, der findet für dieses Mal Befriedigung, aber nimmer zum andern Male.

[18] 96. (34.) Sollen wir zwischen einem gar nicht geborenen, einem gestorbenen und einem dummen Sohne wählen, so entscheiden wir uns für die beiden ersten, nicht für den letzten: jene Beiden bereiten nur ein Mal Schmerz, dieser auf Schritt und Tritt.

97. (35.) Sollen wir zwischen einem gar nicht geborenen, einem gestorbenen und einem dummen Sohne wählen, so entscheiden wir uns für den gestorbenen und den gar nicht geborenen, da diese Beiden nur kurzen Schmerz verursachen, der Einfaltspinsel aber das ganze Leben hindurch wie Feuer an uns zehrt.

98. (3395.) Einen armen Mann meiden die Leute erschrocken gerade so, wie den Staub einer Ziege oder eines Besens und den von einer Lampe herrührenden Schatten einer Bettstelle.

99. Männer, die die Sache wohl überlegt haben, erklären, dass wir demjenigen verzeihen müssen, der uns ohne sein Wissen irgend eine Beleidigung angethan hat.

100. (36.) Die Lichtmotte fliegt in das Feuer der Lampe, weil sie den[19] Schmerz des Verbrennens nicht kennt; auch der Fisch verschlingt das Fleisch am Angelhaken, weil er die Gefahr nicht kennt; wir aber hier lassen nicht ab von den Genüssen des Lebens, obgleich wir recht gut wissen, dass sie mit einem Netz von Unheil umstrickt sind: Wehe über die unergründliche Tiefe des Unverstandes!

101. (37.) Bei einem Ziegenkampfe, bei einem Todtenopfer für einen Rshi, bei Wolkengetöse am frühen Morgen und bei einem Streite zwischen Eheleuten kommt bei vielem Lärm wenig heraus.

102. (38.) Bei Ziegen und Pferden ist das Maul rein, Kühe sind am Rücken rein, Brahmanen an den Füssen und die Weiber am ganzen Körper.

103. Die Folge unverdauter Kasteiungen ist der Zorn, die Folge unverdauten Wissens das Selbstgefühl, die Folge unverdauten Handelns die Tadelsucht, die Folge unverdauter Speise der Durchfall.

104. Bei schlechter Verdauung ist Wasser Arzenei, bei guter Verdauung verleiht es Kraft, während des Essens ist es Nektar und nach dem Essen vertreibt es das Gift.

[20] 105. (39.) Leicht ist der Unwissende zufrieden zu stellen, noch leichter wird der Unterrichtete zufriedengestellt, einen durch ein Bischen Wissen verschrobenen Menschen gewinnt selbst Brahman nicht.

106. (40.) Man gebe Keinem ein Obdach, wenn man seine Familie und seinen Charakter nicht kennt: durch die Schuld der Katze fand ja der Geier Garadgava den Tod.

107. Affen wenden ihre Liebe auch dem zu, dessen Familie und Charakter sie nicht kennen, und weinen nicht um sich selbst, wie es die übrigen Geschöpfe thun.

108. (41.) Wer in des Feindes Reich zieht, ohne sich vorher Gewissheit verschafft zu haben über Proviant, den natürlichen Bundesgenossen, Wasser und Getreide, der kommt nimmer in sein eigenes Reich zurück.

109. Wenn in eines Fürsten Burg unbekannte Männer Eintritt haben, dann kommen ohne Zweifel bald auch die Feinde herein.

110. (42.) Wenn nicht Unverstand, sondern Trennung die Ursache des Kummers wäre, dann müsste dieser mit jedem dahin gehenden Tage wachsen; woher schwindet er aber?

[21] 111. (3396.) Wem es darum zu thun ist, dass ihm eine mit oder ohne Wissen vollbrachte tadelhafte That verziehen werde, der verübe sie nicht zum zweiten Male.

112. (43.) Was hast du, Flatterhafter, der du hier mein eheliches Glück so untergräbst, dadurch erreicht, dass du mich, die Betrübte, unkluger Weise und aus Geringschätzung umfasstest, als ich dir den Rücken gekehrt hatte? Sieh, diese deine Brust, roth von dem Pulver, welches durch die Berührung beim Liebesgenuss mit der Geliebten abgewischt wurde, trägt meiner Flechte Spuren, fleckige Male der Oelsalbe.

113. (3397.) Besser als die Unwissenden sind diejenigen, die Bücher lesen; besser als diese – diejenigen, die das Gelesene behalten; besser als diese – diejenigen, die das Gelesene verstehen; besser als diese – diejenigen, die an's Werk gehen.

114. Ein Unwissender, ein Verschwender, ein Schutzloser, ein Zanksüchtiger und ein Kranker, der Alles isst, gehen bald zu Grunde.

115. (44.) Gewahrt man das Schwinden der Augensalbe und das Wachsen des Ameisenhaufens, so mache man den Tag fruchtbringend durch Spenden, Studium und Arbeit.

[22] 116. (3398.) Wem es um Glück zu thun ist, muss ehrerbietig die Hände zusammenlegen, Eide schwören, gute Worte geben, mit dem Haupte sich zu des Andern Füssen neigen und ihm allerlei Hoffnungen machen.

117. (3399.) Wem es um Glück zu thun ist, muss ehrerbietig die Hände zusammenlegen, Eide schwören, gute Worte geben, mit geneigtem Haupte reden und sich die Thränen aus den Augen wischen.

118. (45.) Blumen, die man zwischen den Händen hält, erfüllen beide Hände mit Wohlgeruch. Wie wunderbar! Der Blumen (der Weisen) Zuneigung ist gleich gegen linke und rechte Hand (gegen Schlechte und Rechtschaffene).

119. Ἕωλος τῶ ὀνόματι (ὄντως) ἡ συνουσία ἐν πλευραῖς κειμένοιν τοῖν συξύγοιν γίγνονται στερρῶς συνηρμοσμέναι αἱ περιπλοκαὶ οἷν τὰ σώματα ἐξίσωται.

120. (46.) Ist man auch nur durch eine ganz kleine Lücke (Blösse) in einen mächtigeren Feind gedrungen, so bringt man das ganze Reich zum Sinken, wie Wasser ein leckes Trinkgeschirr.

121. Aus kleinen und grossen Büchern, von allerwärts her nehme der erfahrene Mann das Beste, wie die Biene aus den Blumen.

[23] 122. Selbst eine geringe Wohlthat gereicht mit Vorzügen Versehenen zum Nutzen und selbst eine grosse mit Fehlern Versehenen zum Nachtheil: selbst Gras erzeugt Milch bei Kühen und selbst Milch – Gift bei Schlangen.

123. (47.) Gerade darum wünschen ja Gute keinen Umgang mit vorzüglichen Menschen, weil es für ein mit dem Schwerte der Trennung durchschnittenes Herz kein Heilmittel giebt.

124. (3400.) Du kennst nicht die Wahrheit, o Gier, bist ein schwer zu befriedigendes Kind, ein unersättliches Feuer und weisst nicht, was leicht, und nicht, was schwer zu erreichen ist.

125. (48.) Gewandte Leute vermögen sogar Unwahres als wahr erscheinen zu lassen, wie geübte Maler Vertieftes und Erhabenes auf ebener Fläche.

126. (49.) Gute Menschen werden, wenn sie auch sehr erzürnt sind, durch angemessene Behandlung wieder sanft, nicht aber gemeine: Gold, obgleich es hart ist, kann wohl zum Schmelzen gebracht werden, nicht aber Gras.

[24] 127. (3401.) Dahin ist die Zeit, die durch den Genuss reizender Weiber so schön war; nach gar langem Umherirren auf dem Pfade des Lebens sind wir im Herzen ruhig geworden; jetzt lassen wir am Abhange des Götterflusses (der Gañgâ) unter lautem Kreischen den Hilferuf »Çiva, Çiva, Çiva« ertönen.

128. (3402.) Richte nicht deinen Sinn auf solche Dinge, die nur durch allzugrosse Beschwerde, durch Uebertretung des Gesetzes oder durch Demüthigungen vor dem Feinde zu Stande kommen können.

129. (50.) Man fröhne nicht zu heftiger Begierde, doch gebe man die Begierde nicht ganz auf: Einer, der von zu heftiger Begierde ergriffen wurde, bekam einen hölzernen Schopf.

130. (51.) Sogar ein sehr mächtiger Fürst bringt Nichts zu Stande, wenn er dem Trunke ergeben ist: das höllische Feuer im Meere, das ununterbrochen trinkt, vermag nicht einmal einen Grashalm zu ver brennen.

[25] 131. (52.) Das Heil, welches ein Gast, der von uns geehrt wurde, uns im Herzen wünscht, vermag ja, wie die Weisen sagen, sogar mehr als hundert Opfer.

132. (3403.) Gastfreundschaft ist nach Kräften zu erweisen, nach der Reihe der Kasten; ein Gast ist auch Abends aufzunehmen mit Rede, Boden, Gras und Wasser.

Stenzler.

133. (3404.) Ein Gast, ein Kind, ein Fürst und so auch die Gattin fragen nicht darnach, ob man etwas hat oder nicht, sondern rufen fort und fort »gieb, gieb«.

134. (53.) Aus wessen Hause ein Gast mit getäuschter Hoffnung heimkehrt, dem giebt dieser beim Weggehen seine bösen Thaten und nimmt von ihm die guten.

135. (54.) Bei zu arger Frechheit ging Lañkâ zu Grunde, bei zu grossem Hochmuth die Kuruiden, bei zu vielem Geben gerieth Bali in Gefangenschaft: alles Zuviel ist schlecht.

136. (54.) Durch zu vieles Geben gerieth Bali in Gefangenschaft, durch Hochmuth ging Sujodhana zu Grunde, Râvana fand durch Gier seinen Untergang: das Zuviel vermeide man überall.

[26] 137. (54.) Bei zu vielem Spenden gerieth Bali in Gefangenschaft, bei zu grossem Hochmuth die Kuruiden, bei zu grosser Schönheit ward Sîtâ geraubt: alles Zuviel ist schlecht.

138. (55.) Von langem Wege Ermüdete begeben sich in kühlen Schatten und gehen erfrischt wieder von dannen. Wem also ziemt zu jammern?

139. (56.) Durch allzugrosse Vertrautheit pflegt eine Geringschätzung sogar gegen etwas Ausgezeichnetes einzutreten: die Anwohner der heiligen Stätte, wo Gañgâ und Jamunâ sich vereinigen, vollziehen ihre Waschungen in einem Brunnen.

140. Durch allzugrosse Vertrautheit entsteht Geringschätzung, durch beständiges Besuchen Gleichgiltigkeit: im Gebirge Malaja gebraucht eine Bettlerin den Sandelbaum als Feuerung.

141. (3405.) Einen gar zu furchtsamen, gar zu unmännlichen, saumseligen, fahrlässigen und ob seiner bösen Neigungen von den Sinnesgegenständen beherrschten Fürsten lieben die Unterthanen nicht.

142. (57.) Gilt es etwas Gemeines zu vollbringen, so erweist sich der Bösen Verstand als überaus geschickt: im Finstern erfasst ja der Eulen Auge die Gestalt.

[27] 143. (3406.) Die Sonne gewinnt gewaltig an Glanz durch den Beistand des Tages, aber auch der Mond gelangt zur Grösse durch den Beistand der Nacht.

144. Einen hochmüthigen, nicht zu gewinnenden, sich selbst ehrenden und zornigen Fürsten tödten bei einem Ungemach sogar die eigenen Leute.

145. 146. (3407. 3408.) Hochmuth, beleidigende Worte, Geiz, Zorn, Selbstsucht und Verrath an Freunden, diese sechs scharfen Schwerter zerschneiden, o Fürst, den Lebenspfaden der Sterblichen; diese tödten die Menschen, nicht der Tod. Möge es dir wohl gehen!

147. Ein Schelm bummelt hin und her wie ein halb mit Wasser gefüllter Topf, packte man ihn auch noch so gründlich und trüge man ihn sogar auf dem Kopfe.

148. (3409.) Wie eine Fliegenschaar auch an einem sehr schönen Körper eine Wunde, so sucht ein Boshafter auch in einem sehr schönen Gedichte einen Fehler auf.

149. (54.) Der Sîtâ erging es schlimm ob ihrer zu grossen Schönheit,[28] dem Râvana ob seines zu grossen Hochmuths, dem Bali ob seines zu vielen Spendens: das Zuviel vermeide man überall.

150. (58.) Man fröhne nicht zu heftiger Begierde, doch gebe man die Begierde nicht ganz auf: über dem Haupte dessen, der von zu heftiger Begierde ergriffen ward, tanzt ein Rad.

151. Wer selbst kein beleidigendes Wort spricht und auch nicht durch Andere sprechen lässt; wer, wenn er geschlagen wird, nicht wiederschlägt, nicht durch Andere schlagen lässt und den Bösewicht auch nicht zu schlagen im Sinne hat: auf dessen Ankunft freuen sich die Götter.

152. (3410.) Harte Worte ertrage er (der Asket) geduldig, Niemanden stelle er nach; wird er gereizt, so sage er etwas Liebes; wird er geschmäht, so spreche er: »es gehe dir wohl!«.

153. (3411.) Harte Worte ertrage er (der Asket) geduldig, Niemanden achte er gering und lebe um dieses Leibes Willen mit Niemanden in Feindschaft.

154. (59.) Verschwendung, Sorglosigkeit, unrechtmässiges Erwerben, Bestehlen und weite Entfernung nennt man des Schatzes Verderben.

[29] 155. (60.) Der böse Mensch beunruhigt Andere, auch wenn er einen ganz reinen Lebensunterhalt erwählt hat: Schlangen hören nicht auf Andere zu beschädigen, obgleich sie vom Winde leben.

156. Zu grosse Reinlichkeit oder Unreinlichkeit, übertriebener Tadel oder übertriebenes Lob, zu fein oder grob sind die sechs Kennzeichen eines Thoren.

157. (61.) Geld fortgeben ist ein gar kühnes Unternehmen, schwer auszuführen und eine seltene Erscheinung: auch wer den ganzen Körper hingiebt, giebt selbst ein kleines Stückchen von der Lende nicht hin.

158. (62.) Pflegt man Rath, wie früherer Gewinn zu bewahren, wie zu neuem Gewinn zu gelangen und wie ein in Noth Gerathener zu retten sei, so ist diese Berathung gewiss die beste.

159. (3412.) Vergangene und zukünftige Zustände so wie diejenigen, die in diesem Augenblicke da sind, sollst du als von der Zeit geschaffen erkennen und nicht die Besinnung verlieren.

160. (3413.) Wer würde, da das Leben in einer anderen Welt über unsere Sinneserkenntniss geht, nicht mit bösen Thaten sich um seine Wohlfahrt bemühen, wenn nicht schon hier auf Erden schnell der Tod erschiene, als Verkünder der Reife grässlicher Uebelthaten?

[30] 161. Vornehme Herren sind wie Berge überaus hart, steif, von Raubthieren umgeben, schwer zugänglich und rauh.

162. (3414.) Wer mit Vorzügen reichlich ausgestattet und wohlerzogen ist, duldet es nimmer, dass den Geschöpfen das geringste Leid angethan wird.

163. (63.) Es giebt nichts Lächerlicheres in der Welt, als wenn Jemand, der selbst ein Bösewicht ist, einen braven Menschen Bösewicht nennt.

164. (64.) Des Çiva Schlange begehrt, von Hunger geplagt, des Ganeça Maus zu verzehren; diese wiederum der Pfau des Skanda, den Pfau wiederum der Löwe der Gebirgstochter (Durgâ). Wenn solcher Art der Familie Treiben sogar in Çiva's Hause ist, wie sollte es nicht auch bei Andern so sein? Daher also geht es in der Welt so zu.

165. (123.) Sogar eine überaus durchsichtige, gefällige, hübsch runde, allerliebste Perle wird auf einen Faden gezogen, wenn sie durchbohrt worden ist.

Sogar ein nach der Erlösung Strebender, der überaus rein ist, mit Niemanden[31] im Streite liegt, einen guten Lebenswandel führt und Jedermann gefällt, wird wieder in die irdischen Bande geschlagen, wenn er mit sich selbst entzweit ist.

166. Heftiger Zorn, scharfe Reden, Armuth, Feindschaft mit seinen Angehörigen, Umgang mit Niederen und Dienst bei Leuten geringen Standes sind die Zeichen an der Person der schon in der Hölle Befindlichen.

167. (3416.) Wohl kennt man ein Mittel das überaus bewegliche Quecksilber zu binden, aber kein Mittel ein Weiberherz zu fesseln.

168. (3417.) Bei ehrenwerthen Männern findet ein unüberlegtes Handeln gar nicht Statt; darum wächst bei ihnen stets die Wohlfahrt allerwärts.

169. (65.) Ist das Schicksal gar zu widerwärtig und wird Menschenkraft vergebens angestrengt, wie sollte da eine andere Freude als der Wald dem verständigen Armen übrig bleiben?

170. (3418.) Auf sechs Arten entstehen Krankheiten: durch zu vieles Wassertrinken, durch Genuss schwerverdaulicher Speisen, durch Schlafen am Tage, durch Wachen in der Nacht und durch Anhalten des Stuhlgangs und des Urins.

171. Vorzügliche Menschen in knappen Vermögensverhältnissen, ein gern[32] gesehener Mann in niedriger Familie und Glücksgüter beim Unedlen sind drei Missgriffe des Schöpfers.

172. (3419.) Wer recht vorsichtig und klug ist und dauerndes Glück anstrebt, soll keinen Feuerrest, keinen Schuldenrest und keinen Feindesrest zurücklassen.

173. (66.) Wo ohne besondere Veranlassung allzugrosse Rücksicht genommen wird, da ist Besorgniss am Platz, die schliesslich Heil bringt.

174. (3420.) Einem gar zu Ehrenhaften, einem gar zu Freigebigen, einem gar zu Heldenmüthigen, einem gar zu Frommen und einem sich für klug haltenden Manne naht aus Furcht die Glücksgöttin nicht.

175. (3421.) Auch weilt sie nicht bei gar zu Tugendhaften, auch nicht bei durchaus Untugendhaften: wie eine tolle Kuh bleibt die blinde Glücksgöttin stehen, wo es sich gerade trifft.

176. (67.) Fürsten, Feuer, Lehrer und Weiber bringen in allzugrosser Nähe Verderben, aus der Ferne aber keinen Nutzen: in mittlerer Entfernung muss man mit ihnen verkehren.

[33] 177. (69.) Wenn du bei einer Uebertreibung nicht in Zorn geräthst und wenn du es nicht für Spott hältst, dann rufen wir aus (wem juckt nicht die Zunge, wenn es ein Wunder zu berichten giebt?): »o König, alle Meere, welche durch die brennenden Flammen deiner jugendlichen Majestät ausgetrocknet waren, sind durch die Thränen der Weiber deiner Feinde wieder voll geworden.«

178. (70.) Haben Beide, Minister und Fürst, sich übermässig erhoben, so hält die Glücksgöttin, mit beiden Füssen sich stemmend, wohl eine Weile Stand; als Weib aber eine Last zu tragen ungewohnt, lässt sie den einen oder den andern los.

179. (3422.) Selbst mächtiger Fürsten Glück geräth in Gefahr, wenn sie aus allzu grossem Hochmuth übereilter Weise sich zu einer Unbesonnenheit entschliessen.

180. (3423.) Eine Wohlthat, sei sie auch noch so klein, treibt hundert Zweige, wenn sie von Glücklichen auf Männer mit stark hervorragenden Vorzügen gepfropft wird.

[34] 181. (3424.) Auf der Brust der Jungfrau von wunderbarer Jugend erhebt sich ein hoher Busen, ihre Augen sind sehr lang gestreckt, ihre Brauen gebogen und noch gewundener als diese ist ihre Rede, ihre Leibesmitte ist überaus schmal, ihre Hüften haben ein bedeutendes Gewicht und ihr Gang ist ein wenig träge.

182. (3425.) Ein Mann, der, wie eine fliegende Ameise, zu hoch gestiegen ist, stürzt, wie diese, sicher in's Verderben; so hat, o Fürst, Uçanas gesagt.

183. Wenn eine zu hoch gestiegene Wolke nicht mit ihrem Wasser die Ḱâtaka erfreut, was fängt sie dann später an, wenn der Wind ihr Habe und Gut geraubt haben wird?

184. (3426.) Die Nacht, die da verstreicht, kehrt nicht wieder zurück: ist die Jamunâ voll, so geht sie in's Meer, dem Behälter der Gewässer.

185. (3427.) In diesem Garten (am Körper der Schönen) habe ich eine Schlingpflanze (einen Arm) mit fünf Ranken (Fingern) gesehen und auf jeder Ranke dieser Pflanze ein dunkelróthes Blüthenknöspchen (einen Fingernagel).

186. Bei keinem Geschäfte Eile! Eile verdirbt ein Geschäft: ein Thor, der da eilte, verwandelte einen Pfau in eine Krähe.

[35] 187. (3428.) Diejenigen, welche das wahre Verständniss haben, trauern hier auf Erden weder um das Ewige noch um das Vergängliche, weil für die Trauernden die Natur der Dinge nicht geändert werden kann.

188. Doch was frage ich, da ja sogar des verständigen Mannes Verstand dahin ist, wenn das Schicksal widerwärtig ist und sein Untergang bevorsteht.

189. Durch Nichtspenden wird man arm, in Folge der Armuth verübt man Böses; thut man Böses, so fährt man zur Hölle; darauf wird man wieder arm und wieder frevelhaft.

190. (71.) Sehen wir sie nicht, so verlangen wir nur nach ihrem Anblick; erblicken wir sie, so begehren wir nur nach dem Genuss der Umarmung; haben wir die Langäugige umschlungen, so wünschen wir, dass die beiden Körper nicht mehr getrennt werden.

191. Was haben die Untergebenen selbst von einem reichen Manne, wenn er nicht spendet? Was hat der hungrige Papagei von Ki çuka, auch wenn er mit Früchten beladen ist?

[36] 192. (73.) Der Geizhals ist es durch die Schuld der Familie, Armuth ist die Folge der Thaten in einem vorangegangenen Leben, an Geistesverwirrung ist die Mutter Schuld, an Thorheit der Vater.

193. (3429.) Welchem Feinde ist ein Reich ohne Burg nicht ein Gegenstand des Spottes? Ein Fürst ohne Burg ist hilflos, wie ein Mann, der über Bord fiel.

194. (3430.) Schwinden die Nächte dahin, so nehmen sie früher nicht gekannte und nicht geahnte, erwünschte und unerwünschte Zustände der Menschen mit sich fort.

195. (74.) Wenn bei der Ankunft der Regenzeit die Sonne an ihre uns unbekannte Beschäftigung gegangen ist, wenn vom Monde nur der Ruhm übriggeblieben und der Planeten Licht erloschen ist; dann sind die Menschen so blind, dass man auf jene im Dunkel geschickten Leuchtkäfer gern achtet.

196. (3415.) Das Nichtvorlassen, das Nichtanerkennen geleisteter Dienste, an den Tag gelegte Geringachtung, Erwähnung der Vergehen und ein Vergessen des Namens im Verlauf des Gesprächs sind Anzeichen, dass eine Person uns nicht mehr gewogen ist.

[37] 197. (75.) Sieht man dich nicht, so sehnt man sich nach deinem Anblick; hat man dich vor Augen, so fürchtet man sich vor der Trennung: man mag dich nicht sehen oder sehen, Freude hat man nimmermehr.

198. (3431.) Wenn hier Jemand ohne Veranlassung unliebe Worte redet, die weder dem Orte, noch der Zeit entsprechen, auch nicht für die Folge erspriesslich sind und dem Redenden Unehre bringen, so sind dieses keine Worte mehr, sondern geradezu Gift.

199. Eine Gabe, die man am unrechten Orte, zu unrechter Zeit, an Unwürdige, unfreundlich und mit Geringschätzung reicht, nennt man eine Gabe der Finsterniss.

200. (76.) Wer nicht im heimischen Gebiete steht, wird selbst von einem ganz geringen Feinde geschlagen: sogar einen mächtigen Elephanten zieht ein Krokodil, obgleich kleiner, im Wasser mit sich fort.

201. Der Leib wird rein durch Wasser, das Herz durch Wahrheit, die Seele durch die heilige Lehre und Kasteiungen, der Verstand durch Wissen.

202. Kleider werden rein durch Wasser, das Herz durch Wahrheit, die Seele durch Schonung alles Lebenden, der Verstand durch Wissen.

[38] 203. (77.) Auch heute noch lässt Çiva, wie wir wissen, das (bei der Quirlung des Oceans zum Vorschein gekommene Gift) Kâlakûṭa (welches er verschluckte) nicht fahren; auch heute noch trägt ja die Schildkröte die Erde auf ihrem Rücken; auch heute noch erträgt das Meer das schwer zu ertragende höllische Feuer: Tugendhafte halten was sie versprochen.

204. Auch heute noch bildet und geniesst immer von Neuem der Mond seine Scheibe; mit dem Antlitz dieser langäugigen Geliebten vermag ich nicht Gleiches anzustellen.

205. (3432.) Schon heute thue, was recht ist, und lasse diese Zeit für dich nicht verstreichen: bevor noch unser Werk vollbracht ist, reisst uns der Tod hinweg.

206. (3433.) Obgleich Indra dem Namuki Urfehde geschworen hatte, so schlug er ihm dennoch das Haupt ab: dieses sein Verfahren gegen einen Feind hält man für ewig gültig.

207. (3434.) Obgleich Indra dem Namuki in Gegenwart von Weisen[39] Urfehde geschworen hatte, so tödtete er ihn, o König, dennoch hinterdrein mit Wasserschaum.

208. (78.) Keinem Wesen Etwas zu Leide thun, weder durch That, noch durch Gedanken, noch durch Worte, wohlwollen und spenden – ist der Guten ewiges Gesetz.

209. (79.) Dass das Meer die Perle nach unten thut (geringachtet), das Gras aber oben trägt (hoch in Ehren hält), ist einzig seine Schuld: Perle bleibt Perle, Gras bleibt Gras.

210. »Was siehst du, o Weib, nach unten? Was hast du zur Erde fallen lassen?« »O du Thor, weisst du denn nicht, dass die Perle der Jugend (der Busen) dahin ist?«

211. Arme haben Verlangen nach Geld, vierfüssige Thiere nach der Sprache, Menschen nach dem Himmel, Götter nach der Erlösung.

212. Ein Armer, dem es um Geld zu thun ist, kann nicht daran denken sich Geld zu machen: Geld fängt man mit Geld, wie grosse Elephanten mit andern Elephanten.

213. (80.) Kommt ein Armer sogar in der Absicht Etwas zu geben in das Haus von Reichen, so hält man ihn für einen Bettler: Wehe rufe ich fürwahr über die Armuth der Menschen!

[40] 214. (81.) Heftiger Schmerz peinigt einen Niedrigen ärger denn einen Hohen: das Gefühl der Kälte bemächtigt sich schnell der Füsse, nicht aber der Augen.

215. Die Schlechtesten mögen den Streit, die Mittelmässigen den Frieden, die Besten die Ehre, da für Männer hoher Gesinnung Ehre Geld ist.

216. Die Schlechtesten mögen das Geld, die Mittelmässigen das Geld und die Ehre, die Besten die Ehre, da für Männer hoher Gesinnung Ehre Geld ist.

217. (3435.) Ihre Lippen haben die Farbe eines jungen Sprosses, ihre Arme gleichen zarten Zweigen, reizende Jugend ist wie eine Blüthe an ihre Glieder geheftet.

218. Ein gar grosses Unrecht aber begeht, o Schutzherr, derjenige Fürst, welcher das Sechstel als Abgabe erhebt, dabei aber (seine Unterthanen) nicht wie eigene Kinder schützt.

219. (3436.) Wenn Einer ungesetzlich antwortet und ein Anderer ungesetzlich fragt, dann findet Einer von ihnen den Tod oder ladet sich den Hass des Andern auf.

[41] 220. (3437.) Durch Unrecht gedeiht man zuvörderst, bekommt darauf Glück zu schauen, besiegt darauf seine Widersacher, geht aber schliesslich mitsammt der Wurzel zu Grunde.

221. Andere unter dem Namen von Pflegebefohlenen entreissen unrechtmässig angehäuften Reichthum dem Thörichten, wie ein Fisch dem andern das Wasser.

222. (3438.) Wer mit unrechtmässig erworbenem Gelde auf das Jenseits bezügliche fromme Handlungen vollbringt, der geniesst nach dem Tode nicht die Frucht davon, weil das Geld auf schlechte Weise in seine Hände kam.

223. Κάτω δέρμα ἐσχισμένον δυσοσμίας γέμον τούτου τοῦ οὔρω μυδῶντος ἕνεκα μὴ ἀποκτείνης, ὦ βασιλεῦ, Βραχμᾶνας.

224. Εἰ γυνὴ μὲν κάτω κειμένη, ἐραστὴς δ᾽ἄνω κείμενος τέρπεται, ἰστέον ὅτι αὕτη ἡ συνήϑης ἐστί συνουσία, φίλη τοῖς ἐν τῆ κώμη νεανίαις.

225. (3439.) Dem Manne, der nicht nach dem Gesetze lebt, unrechtmässig erworbene Güter besitzt und beständig seine Freude daran hat Andern ein Leid zuzufügen, geht es hier nicht wohl.

226. Ein Amt, eine Anleihe, Empfängniss und viertens der Hunde Begattung[42] gewähren am Anfange die höchste Lust, zum Schluss aber Nichts als Schmerz.

227. (82.) Achte die Gelehrten, welche die höchsten Wahrheiten erforscht haben, nicht gering! Der Reichthum fesselt sie so wenig wie winziges Gras: ein Strick von Lotusfasern vermag nicht Elephanten zurückzuhalten, deren Backen dunkle Streifen frischen Brunstsaftes zeigen.

228. Die Macht steht, wie ich meine, über dem Recht: aus der Macht entspringt das Recht und auf die Macht stützt sich das Recht, wie auf den Erdboden alles Lebende.

229. Einen Mann, der der Staatslehre obgelegen hat, sieht man nicht am Ruder des Staates, und aus welchem Grunde erhebt man einen Uneingeweihten zur Würde eines fürstlichen Rathgebers?

230. (3440.) Ein zur Erde blickender, hinterlistiger, nur auf das Zustandebringen seiner eigenen Sache bedachter, falscher und gutes Betragen heuchelnder Brahmane befolgt die Weise des Reihers.

231. (83.) Wer, wenn er stets abwärts sieht, erscheint sich nicht gross? Alle, die stets nach oben blicken, dünken sich arm.

[43] 232. (84.) Derselbe Vogel, der seine Beute aus einer Entfernung von anderthalb hundert Joģana erblickt, wird, da es das Schicksal so will, die neben ihm liegende Schlinge nicht gewahr.

233. (3441.) Der Thor ist zu beklagen, welcher mit dem vergänglichen, jeden Augenblick dem Tode sich nähernden Körper nicht unvergängliche Verdienste einsammelt.

234. Der Thor, welcher bei der Vergänglichkeit des Körpers sich nicht Verdienste durch Askese einsammelt, bereut es hinterdrein, wenn er nach dem Tode des sich selbst bereiteten Loses theilhaftig wird.

235. (3442.) Wer einen von der Reise ermüdeten, von Hunger und Durst gequälten unbekannten Gast nicht liebevoll ehrt, den nennt man einen Brahmanenmörder.

236. (3443.) Menschen altern durch vieles Reisen, Berge durch Wasser, Weiber durch ungestilltes Verlangen, das Herz durch der Rede Pfeil.

237. Menschen altern durch vieles Reisen, Pferde dadurch, dass sie im Stalle stehen, Weiber durch ungestilltes Verlangen, Kleider durch Sonnenschein.

[44] 238. (3444.) Dass der Liebesgott mit fünf Blumen, seinen Pfeilen, das Weltall besiegte, erscheint unmöglich, doch die Macht der Dinge ist wunderbar.

239. (3445.) Ungesalbt ist, o Schöne, dein Auge schwarz, ungeneigt die Braue gebogen, ungefärbt diese deine Lippe roth.

240. Es ist dies nichts Wunderbares in der Welt, dass ein Kraftloser, wie ein schwacher Bock beim Opfer, von emporgekommenen stärkeren Herren überwältigt wird.

241. (3446.) Vormals, als ich meinen Wunsch noch nicht erreicht hatte, verging mir die Nacht so langsam, als wenn sie hundertmal so lang gewesen wäre; wenn sie mir aber jetzt, o Schönbrauige, da ich mit dir vereint bin, ebenso langsam verstriche, dann wäre ich glücklich.

242. (3447.) Könnten wohl in Dichterwerken Unbewanderte, in der Lehrbücher Dickichten sich träge Bewegende, bei der Verdrehung von Reden keinen Schmerz Empfindende, bei Vorzügen Anderer Stumme, in Gesellschaften fein Gebildeten nicht Huldigende ein Prüfstein sein für den Kitzel, den die Beredsamkeit Anderer erzeugt?

243. (85.) Die Sprachlehre ist, wie bekannt, von unendlicher Ausdehnung;[45] dabei ist das Leben kurz und die Hindernisse zahlreich: darum lasse man das Unbedeutende weg und nehme nur das Beste daraus, wie die Flamingo die Milch aus dem Wasser scheiden.

244. (3448.) Endlos ist, o, mein Reichthum, da ich Nichts besitze; wenn Mithilâ in Flammen steht, verbrennt Nichts, das mir gehört.

245. Endlos ist die Wissenschaft, zahlreich die Lehren, die Zeit kurz und Hindernisse giebt es in Menge: was das Beste ist, dem soll man sich hingeben, wie der Flamingo die Milch aus dem Gemisch mit Wasser zieht.

246. (86.) Einem Fürsten, der Vorzüge nicht zu würdigen versteht, gehen die Diener nicht nach, selbst wenn er reich an Geld, von edler Herkunft und rechtmässiger Thronerbe ist.

247. (3449.) Nichtbegehren nach fremdem Eigenthum, Wohlwollen gegen alle Wesen und Glaube an die Vergeltung der Werke, diese drei Dinge übe man mit dem Geiste.

248. (3450.) Dadurch, dass die Menschen nicht den Wissenschaften obliegen, nicht mit Klugen verkehren und nicht die Sinne bändigen, entsteht in ihnen das Laster.

[46] 249. Heldenmuth, bei dem man Widerspänstige angreift, Geld, das man mit eigenen Händen erwirbt, und eine der eigenen Schönheit entsprechende Gattin ziemen sich hier auf Erden für einen Mann.

250. (3451.) Diese schwellenden Brüste, o Mädchen mit dem tadellosen Körper, haben ja nicht Platz auf deinem Brustbein.

251. Selbst unschätzbare Juwele bekommt man leicht für Geld; was aber für Millionen von Juwelen nicht zu bekommen ist, ist ein einziger Augenblick für den, der dem Tode verfallen ist.

252. (3452.) Wer nicht unnützer Weise ausserhalb seiner Heimath weilt, nicht mit Bösen verkehrt, nicht fremde Weiber berührt, nicht dem Betrug, dem Diebstahl, der Zuträgerei und dem Trunke ergeben ist, der ist stets froh.

253. (3453.) An einem Kuhhorn zu nagen ist unnütz und verkürzt das Leben: man reibt sich die Zähne ab und erhält doch keinen Saft.

254. (3454.) Ein Thor, der seine Sinne nicht besiegt, sieht Schaden für Vortheil und Vortheil für Schaden an und hält grosses Leid für Freude.

[47] 255. (3455.) Schaden tritt in der Gestalt von Nutzen und Nutzen in der Gestalt von Schaden auf: so gereicht ja der Verlust des Besitzes Einigen nur zum Nutzen.

256. (87.) Weiber, die sonst keine Schranken kennen, verharren in den Schranken und bleiben bei ihren Männern, wenn keine andern Männer nach ihnen begehren oder aus Furcht vor der Dienerschaft.

257. Feuer macht Kälte zu Nichte, ein Smaragd – Gift, Einsicht – den Schmerz, ein Bösewicht – Alles.

258. Wer unbeständigen Sinnes ist, der fühlt sich weder unter Menschen, noch im Walde behaglich: unter Menschen versengt ihn die Gesellschaft, im Walde der Mangel an Umgang.

259. Bei Menschen unbeständigen Sinnes bringt sogar ihre Gunst Gefahr: ein Schlangenweibchen tödtet bekanntlich seine Brut aus Liebe, nicht aus Feindschaft.

[48] 260. (3456.) Durch Kummer wird Nichts erreicht, der Körper empfindet dabei Schmerz und die Feinde freuen sich; darum sollst du dein Herz nicht dem Kummer hingeben.

261. (3457.) Wer nicht murrt, klug ist und stets edel handelt, der geräth nimmer in grosse Noth und glänzt überall.

262. (3458.) Nichtungehaltensein, gerades Benehmen, Redlichkeit, Zufriedenheit, Freundlichkeit, Selbstbeherrschung, Wahrheit und Unermüdlichkeit sind nicht bei Bösen anzutreffen.

263. (88.) Wer für die Zukunft sorgt, dem ergeht es gut; betrübt wird der, der nicht für die Zukunft sorgt. Seitdem ich hier im Walde lebe, ist das Alter über mich gekommen, aber nie habe ich eine Höhle reden hören.

264. Man denke an die Zukunft und das zunächst bevorstehende Geschäft, und versäume Nichts, was zum Ziele führen könnte, dadurch, dass man es an Nachdenken fehlen liesse.

265. (89.) Zukünftige Gefahr vor Augen habend, machte die in den Büchern der Lebensklugheit erfahrene Maus sich dort eine Höhle mit hundert Eingängen und wohnte darin.

[49] 266. (90.) Wer aber Pläne für die Zukunft macht und sich der Freude hingiebt, der wird verlacht wie der Brahmane, der seine Töpfe zerschlug.

267. (91.) Wer unausführbare Pläne für die Zukunft macht, der liegt weissgefärbt da wie der Vater des Somaçarman.

268. (92.) Wer Vorkehrungen für die Zukunft trifft und wer Geistesgegenwart hat, diesen Zweien geht es gut; der Unschlüssige kommt um.

269. (93.) Dem Manne, der Vorkehrungen für die Zukunft trifft, nicht fahrlässig und nicht zum Zorn geneigt ist, der Ausdauer hat und nicht kleinmüthig ist, steht die Glücksgöttin zur Seite.

270. Fürsten müssen in ihrem Reiche Vorkehrungen für die Zukunft treffen und auch an die Einkünfte denken, damit kein Schaden entsteht.

271. (94.) Ich weiss nicht, welchem Geniesser diese makellose Gestalt[50] hier auf Erden zu Theil werden wir, die makellose Gestalt, die wie eine Blume ist, an der man noch nicht gerochen hat, wie eine Blattknospe, welche Fingernägel noch nicht abgepflückt haben, wie eine noch undurchbohrte Perle, wie frischer Honig, dessen Saft noch nicht gekostet worden ist, wie eine unangebrochene Frucht guter Werke.

272. (3459.) Wenn zwei Personen, von denen die eine Nichts von Liebe fühlt, die andere aber vor Sehnsucht vergeht, bei zu Stande kommender Vereinigung sogar dem Liebesgenuss sich hingeben, so ist dieses in meinen Augen weniger beneidenswerth, als wenn bei Zweien von gleicher Zuneigung, die in den gegenseitigen Besitz zu gelangen verzweifeln, sogar die Leiber zu Grunde gehen.

273. (3460.) Sollte derjenige, der unverständig und der Lebensklugheit abgeneigt ist, viele Reichthümer sammeln und sogar eine grosse Macht erlangen, so geht er doch schliesslich mitsammt dieser zu Grunde.

274. (95.) Wer selbst ohne Geheiss, wenn er etwas dem Fürsten Schadenbringendes gewahr wird, dasselbe zu entfernen sich bemüht, der ist ein würdiger Diener der Fürsten.

275. (3461.) Was der Fürst nicht nehmen darf, das nehme er nicht, sei er auch noch so arm; was er aber nehmen darf, sei dieses auch noch so gering, lasse er nicht fahren, sei er auch noch so reich.

276. (3462.) Dadurch, dass der Fürst nimmt, was er nicht nehmen darf und fahren lässt, was er nehmen darf, verräth er seine Schwäche und ist dadurch für diese und jene Welt verloren.

[51] 277. (3463.) Diese im Innern des Körpers hausende Gier, die keinen Anfang und kein Ende hat, richtet, wie das aus sich selbst sich erzeugende Feuer, die Geschöpfe zu Grunde.

278. (3464.) Nichtüberlieferung ist der Fleck an den heiligen Schriften, Nichtbeobachtung der Ordensregeln der Fleck am Brahmanen, die Bâbhîka sind der Fleck an der Erde, die Unwahrheit der Fleck am Manne.

279. (96.) Man wohne nicht in einem Lande, wo Niemand, Viele, ein Weib oder ein Kind das Regiment führt.

280. (3465.) Es giebt einige Sachen, die man nie und nimmer beginnen darf: der Art sind diejenigen, auf die der Mensch seine Kraft vergeblich wenden würde.

281. (97.) Eine Sache gar nicht anfangen ist das erste Zeichen von Verstand; etwas Angefangenes zu Ende führen – das zweite.

282. (3466.) Den Unehrenhaften, den Dummen, den Murrenden, den Ruchlosen, den Groben und den Zornigen trifft alsbald Schaden.

[52] 283. (98.) Warum hast du, o Einfältige, den möglichen Wandel der Zuneigung nicht bedenkend und auf die Freunde nicht achtend, gegen den redlichen Liebsten eifersüchtigen Groll an den Tag gelegt? Du hast ja mit eigener Hand die Kohlen zusammengescharrt, deren Flammen jetzt lichterloh aufschlagen, wie das Feuer beim Untergange der Welt. So höre denn nun auf vergebens in den tauben Wald hinein zu weinen!

284. Dass die nimmer wiederkehrende Zeit unnnütz verstreicht, haben wir nicht berücksichtigt; wir haben diese und jene ob des Einbruchs hundertfachen Unglücks widerwärtigen Verhältnisse ertragen. Doch was sollen wir noch viele Worte verlieren? Alles Mögliche haben wir, o wehe, uns selbst zu Leide gethan und dennoch wird, so lange wir leben, immer und immer wieder dasselbe unternommen werden.

285. (3467.) Dass in dem ungeschlossenen Käfig, dem neunthorigen Körper, der Vogel Luft (Seele) verbleibt, ist wunderbar; dass er sich auf und davon macht, ist so natürlich, dass man darüber nicht zu reden braucht.

286. (99.) Ist ein Land von Dürre heimgesucht und ist das Korn zu Grunde gegangen, dann sind diejenigen, o Lieber, glücklich, welche des Landes Verfall und der Familie Untergang nicht sehen.

[53] 287. (3468.) Der einfältige und gemeine Mann tritt ungerufen herein, spricht ungefragt viel und traut dem, der kein Vertrauen verdient.

288. (3469.) Wer ungerufen hereintritt, ungefragt viel redet und meint, er sei des Königs Liebling, der ist ein Thor.

289. Ungerufen hereintreten, ungefragt schwatzen, sich selbst loben und Andere tadeln, diese vier Sachen kennzeichnen einen leichtfertigen Menschen.

290. (100.) Vergänglich sind Jugend, Schönheit, Leben, Reichthum, Gesundheit, Umgang mit Freunden: es hänge an ihnen nicht der Weise.

291. Diejenigen, die es erkennen, dass (der Erfolg einer Unternehmung) ungewiss ist, können das Ziel verfehlen, aber auch erreichen; diejenigen aber, die gar nicht an's Werk gehen, erreichen nimmer das Ziel.

292. (101.) Die Leiber sind nicht von Bestand, Reichthümer währen nicht ewig, der Tod ist beständig in der Nähe; darum sammle man Verdienste ein.

293. (3470.) Da das Zusammenleben mit Lieben von keinem Bestand[54] ist und das Leben wie ein Rad sich dreht, so sind Bruder, Mutter, Vater, Freund nur zufällig auf der Reise Zusammengetroffene.

294. (3471.) Weil in der Schlacht Sieg und Niederlage der beiden kämpfenden Parteien für ungewiss angesehen werden, darum soll man den Kampf vermeiden.

295. 296. 297. Die Beschäftigungen Anderer nicht tadeln, seinen eigenen Pflichten nachkommen, mit Armen Mitleid haben, an Jedermann freundliche Worte richten, einem treuen Freunde sogar mit Hintansetzung des eigenen Lebens einen Dienst erweisen, einen in's Haus getretenen Gast in seine Arme schliessen, nach Kräften spenden, nachsichtig sein, mit Verwandten in einem Verwandten angemessenen Verhältnisse stehen, den Seinigen ein »hat es euch geschmeckt« zurufen und ihnen nach dem Sinne sein, das ist die Art und Weise hochgesinnter Männer.

298. (102.) Untadelhaftes selbst tadeln sie, des Preises nicht Würdiges preisen sie laut; was wohl thun die Sterblichen dem Gelde zu Liebe nicht?

299. (3472.) Wenn Männer, die nicht mit einem Ministeramt betraut sind, Gutes beabsichtigend, reden, so ist dieses der Höhepunkt einer überfliessenden Zuneigung und Vertraulichkeit.

[55] 300. (3473.) Die Freundschaft guter Menschen ist, wie das Brahman, nicht in Worte zu fassen, ununterbrochen (nicht unterschieden), unbegrenzt, unvergänglich und schneidet den Leiden die Wurzeln ab.

301. (3474.) Nicht verzagen ist des Glückes, des Gewinnes und der Wohlfahrt Wurzel; wer nicht verzagt, wird gross und geniesst ewige Freude.

302. (103.) Nicht verzagen ist des Glückes Wurzel: mein Schnabel ist dem Eisen gleich, die Tage und Nächte sind lang, sollte das Meer nicht endlich trocken werden?

303. (3475.) Nicht verzagen ist des Glückes Wurzel, nicht verzagen ist die höchste Freude, nicht verzagen gilt ja stets bei allen Dingen.

304. Nicht verzagen ist ja stets bei allen Dingen von Nutzen und macht jedes Werk, das der Mensch unternimmt, erfolgreich.

305. (3476.) Der Unentschlossenen, Etwas muthig anzugreifen sich Scheuenden und auf Schritt und Tritt Hunderte von Nachtheilen Erblickenden Reden werden in der Welt zum Gegenstand des Gelächters, weil sie mit dem Erfolg in Widerstreit gerathen.

306. Wenn ein Mann trotz seiner schönen Gestalt einem Mädchen unangenehm ist, dann soll derjenige, der das Beste beabsichtigt, diesem die Tochter nicht zur Ehe geben.

[56] 307. (3477.) Ob der Berührung mit Unliebem und ob der Trennung von Liebem empfinden Menschen geringen Verstandes Seelenleiden.

308. (104.) Auch Angenehmes, wenn es aus unangenehmer Hand kommt, bekommt nicht gut: selbst Nectar bringt den Tod, wenn es mit Gift in Berührung kommt.

309. (3478.) Man sei nicht eifersüchtig, hüte aber die Weiber, theile mit ihnen, sage ihnen Liebes, sei zart gegen sie, führe süsse Reden, lasse sich aber nicht von ihnen beherrschen.

310. (3479.) Ein Fürst sei nicht eifersüchtig, hüte aber seine Frauen; er sei offen, nicht weich, huldige den Frauen nicht allzusehr und geniesse nichts Leckeres, das schädlich ist.

311. (3480.) Der Bösewicht und der Gute machen es wie die Spitze und das Oehr einer Nadel: der Eine macht ein Loch, der Andere aber, der Tugendhafte (mit einem Faden Versehene), schliesst es.

312. Ein Mann bekommt, wenn ihm das Glück aufgeht, eine fünflichige Frau: eine freundliche, eine reinliche, eine adeliche, eine geschickliche und eine sittliche.

[57] 313. Eine angenehme, stets zufriedene, fleissige, treue und geschickte Frau, eine mit solchen Vorzügen ausgestattete Frau ist ohne Zweifel die leibhaftige Göttin des Glücks.

314. (105.) Wenn man nicht den ganzen Weg der Guten zu wandeln im Stande ist, so soll man doch einen Theil desselben, sei er auch noch so kurz, wandeln: wer auf dem Wege bleibt, der kommt nicht in Nöthen.

315. (3481.) Angehörige, Blutsverwandte und Freunde folgen einem Manne nach dem Tode, kehren aber wieder um, wenn sie ihn in's Feuer geworfen haben.

316. (106.) Das Gehen an eine unangemessene Verrichtung, Hader mit den Angehörigen, Wettstreit mit einem Stärkeren und Vertrauen zu den Weibern sind vier zum Tode führende Pforten.

317. Verrichtet man Handlungen nicht mit den rechten Mitteln oder solche, die verkehrt sind, so wer den sie zu Schanden wie Opferbutter in den Händen von Unreinen.

318. (3482.) Der Kluge erwäge, bevor er Etwas thut oder unterlässt, die Folgen und Früchte der Handlungen, so wie auch die eigene Anstrengung.

319. (3483.) Bei Handlungen, die mit Folgen verknüpft sind, berücksichtige[58] man die Folgen, schreite nach reiflicher Erwägung zur That und gehe nicht mit Uebereilung an's Werk.

320. (3484.) Geniesset und spendet vom Reichthum, ehret die Ehrenwerthen und liebet die Guten: das Glück ist unstät wie die von heftigem Winde flackernde Flamme der Lampe.

321. (3485.) Wenn eine Frau durch eine besondere Fügung des Schicksals dem Manne durchaus nicht in den Tod folgen kann, dann soll sie nichtsdestoweniger den guten Wandel aufrecht erhalten, da sie durch einen Bruch des guten Wandels zur Hölle fährt.

322. Die Morgenröthe ist von Liebe erfüllt (roth) und der Tag folgt ihr auf dem Fusse nach: o wie wunderbar ist doch der Gang des Geschicks, dass die Beiden dessenungeachtet nicht zusammenkommen.

323. Unnütz ist die Zuneigung der Weiber und unnütz auch ihr Reden, da thörichte Männer auch diejenige für ihre Geliebte halten, die sie nicht liebt.

324. Dem Stärkeren begegne man freundlich, dem Bösewicht unfreundlich, dem Feinde gleicher Stärke mit Bescheidenheit oder mit Kraft.

[59] 325. (107.) Die Biene verfolgt die Backen des Elephanten trotz der Schläge, die sie durch's Ohr empfängt: der Gemeine, geblendet durch die Begier nach Gaben (nach dem Brunstsaft des Elephanten), achtet nicht auf die Geringachtung, die man ihm zu Theil werden lässt.

326. In wessen Hause eine Tochter die Menses bekommt ohne verheirathet zu sein, dessen Väter sinken zur Hölle, befänden sie sich auch in Folge ihrer Vorzüge im Himmel.

327. (108.) Wie können diejenigen (fem.), o Held, welche Lüge für Wahrheit und Wahrheit wiederum für Lüge erklären, hier von den Männern gehütet werden?

328. (109.) Lügenhaftigkeit, Uebereilung, Falschheit, Thorheit, Habsucht, Unreinlichkeit und Grausamkeit sind angeborene Fehler der Weiber.

329. (3486.) Eine Unwahrheit in Bezug auf eine höhere Stellung (wie wenn Einer sich fälschlich für einen Brahmanen ausgiebt), eine Hinterbringerei beim Könige und eine falsche Beschuldigung des Lehrers kommen einem Brahmanenmorde gleich.

[60] 330. (3487.) Ein Fürst, der im Rathe viele Meinungen hat, wird den Ministern verhasst: wegen der Unbeständigkeit seines Sinnes wird er, wenn es zu handeln gilt, von ihnen nicht beachtet.

331. (110.) Mit wem sich ein Sieger vieler Schlachten verbündet, dem unterwerfen sich rasch die Feinde, eingeschüchtert durch jenes Machtglanz.

332. (111.) Wem Wissenschaft abgeht, die mannichfache Zweifel löst, Unsichtbares offenbar macht und das Auge für Alles ist, der ist geradezu blind.

333. (112.) Dieser Leib des sterblichen Menschen soll, nachdem reiflich erwogen worden, das thun, was Glückseligkeit in dieser und jener Welt verleiht, eine andere Handlung dagegen meiden.

334. (113.) Ein Mann, der von seiner guten Art (runden Gestalt) nicht lässt, erscheint ohne Weiteres Jedermann lobenswerth, selbst wenn er von innen scharf und sonst auch unansehnlich ist: er gleicht hierin dem Senfkorn.

335. (114.) Die Muschel ist inwendig krumm, aussen rauh; wenn sie beim Blasen brummt, dann erst bekommt man die rechte Achtung vor ihr.

[61] 336. (115.) Wer nicht Rath pflegt mit den Dienern des Harems und den Weibern des Fürsten, der ist des Königs Liebling.

337. (116.) Wie ist daran zu denken, dass ein Ḱampaka zum Blühen kommt, wenn seine Wurzeln im glühenden Sandboden einer Wüste versengt werden? In der Regel ist es für diejenigen, denen ein unangemessener Aufenthaltsort zu Theil wurde, schon ein Glück, wenn sie nur ihr Leben fristen.

338. Jama, Sturmwind, Tod, Unterwelt, der Eingang zur Hölle im Meere, die Scheide eines Scheermessers, Gift, Schlange und Feuer einerseits und Weiber andererseits halten sich gegenseitig die Wage.

339. Ein von innen schmutziger Bösewicht wird auch durch hundertfaches Baden in heiligen Teichen nicht rein, eben so wenig wie ein Branntweingefäss, würde dieses auch gebrannt.

340. (117.) Wird wohl die Wirkung der Flammen des Liebesfeuers im Herzen durch einen Sandel-Ueberzug beseitigt? Die Thonschicht auf dem Ofen des Töpfers dient ja nur zur Verstärkung, nicht zur Milderung der Hitze.

341. (3488.) Wer von Herzen schlecht und dabei stets gerüstet ist, kann[62] uns bekanntlich jeglichen Schaden zufügen: Çakuni und Çakatâra geben, o Fürst, den Beleg dazu.

342. Kluge müssen in's Herz ihres Herrn dringen und seine Eigenthümlichkeit durchaus kennen lernen: es giebt ja Niemand, der nicht den blossen Bauch zu füllen verstände.

343. (3489.) Wen hätte ein Bösewicht, wie die Kimpâka-Gurke, die beide im Innern schmutzig, von aussen aber reizend sind, nicht angeführt?

344. (3490.) Dieselben Wassertropfen, die ohne Unterlass im Meere unbeachtet sich wälzen, empfängt der Meeresgott, wenn sie, zuvor von den Wolken auf genommen, wieder erscheinen, freundlich, umschlingt sie mit den Wogen, seinen Armspangen, und wandelt sie, wie man sieht, in kostbare Perlen um: sogar ein Mann ohne Ansehen pflegt, wenn ein Anderer ihm zuvor Rücksichten erwiesen hat, bei seinem Erscheinen von grossen Herren geehrt zu werden.

345. (118.) Wie in ein Haus, in dem Schlangen nisten, oder wie in einen Wald, der mit Raubthieren erfüllt ist, wie in einen See, der mit einer Menge schöner Wasserrosen versehen, aber zugleich voll von Krokodilen ist: so ungern und voller Angst begiebt man sich, als wenn es in's Meer ginge, in die Behausung der Fürsten hier, die mit Bösewichtern aller Art, mit Lügnern, gemeinen und unehrenhaften Menschen besetzt ist.

[63] 346. (119.) Wer hat diese Frauen geschaffen, die den Guńģâ-Beeren gleichen, indem sie im Innern voll Gift, von Aussen aber lieblich sind?

347. (120.) Wenn der Mond untergegangen ist, entzücken die bei Nacht blühenden Wasserrosen nicht mehr mein Auge und ihre Pracht lebt nur noch in der Erinnerung: die Leiden, welche die Abwesenheit des Geliebten erzeugt, sind gewiss über die Maassen schwer zu ertragen für das Mädchen.

348. (121.) Im Innern viele Höhlungen (Risse, Blössen), von aussen zahlreiche Dornen (Feinde): wie sollten die aus Lotusstengeln bestehenden Stricke (Vorzüge) nicht vergänglich sein?

349. (3491.) Was kann denen, die des inneren Gehalts ermangeln, der Gefährte nützen? Bambusrohr, stände es auch auf dem Malaja-Gebirge, bleibt Bambusrohr und wird nimmer zum Sandelbaum.

350. Für diejenigen, die des inneren Gehalts entbehren, giebt es keine Unterweisung: durch die Berührung mit dem Malaja-Gebirge wird Bambusrohr nicht zum Sandelbaum.

[64] 351. (122.) Minister, die von Herzen gesund und gerade sind, die sich keine Blössen geben (undurchlöchert sind) und wohlgeprüft sind, tragen das Königthum wie gute Pfeiler ein Haus.

352. (3493.) Die Weisen haben sich am Letzten (dem Tode), nicht an dem in der Mitte Liegenden (dem Leben) erfreut: die Erreichung des Letzten bringt, wie sie sagen, Freude, was dazwischen liegt – Leid.

353. (3492.) Die Gier hat kein Ende, die Genügsamkeit dagegen ist das höchste Glück; darum sehen die Weisen hier auf Erden nur in der Genügsamkeit einen Schatz.

354. (124.) Selbst wenn ein Mann niedrigsten Standes als Zeuge in einer Streitsache auftritt, ist ein Gottesurtheil nicht am Platz; wie viel weniger, wenn es eine Gottheit ist!

355. (125.) Ein Edler lässt, selbst wenn er in die schlimmste Lage geräth, aus Lauterkeit nicht von seinen Tugenden; die Muschel giebt ihre weisse Farbe nicht auf, selbst wenn sie vom Feuer verzehrt und dann wieder freigegeben wird.

[65] 356. (126.) Ein Blinder, ein Buckliger und eine Prinzessin mit drei Brüsten wurden alle drei auf ganz ungewöhnliche Art geheilt, weil das Schicksal günstig war.

357. (3494.) Eine Gattin, die einen blinden, buckligen, aussätzigen, von Krankheiten heimgesuchten und in's Unglück gerathenen Gatten nicht verlässt, heisst eine Hochtreue.

358. Unter den zwei Arten von Blinden ist der von der Sinneswelt Geblendete der Stockblinde: der gewöhnliche Blinde erkennt nur mit dem Auge nicht, der von der Sinneswelt Geblendete aber mit keinem Organ.

359. Der Weg gebührt einem Blinden, einem Tauben, einer Frau, einem Lastträger und einem Fürsten, wenn er nicht einem Brahmanen begegnet; begegnet er diesem, so muss er dem Brahmanen aus dem Wege gehen.

360. (3496.) Sei blind, wenn es gilt blind zu sein, stelle dich auch taub, mache deinen Bogen aus weichen Gräsern und liege ruhig wie eine Gazelle.

361. (3497.) Wenn aber der Feind in deiner Gewalt steht, dann vernichte ihn mit Güte und den übrigen Mitteln und habe kein Mitleid mit ihm aus dem Grunde etwa, weil er sich in deinen Schutz begab.

[66] 362. Es giebt keinen Feind, der dem Opfer gleich käme: ohne Speisung versengt es das Reich, ohne Spruch die Priester, ohne Gaben den Opferer.

363. Mehl ist zehn Mal besser als Reis, Milch zehn Mal besser als Mehl, Fleisch acht Mal besser als Milch und Schmelzbutter zehn Mal besser als Fleisch.

364. (3498.) Anders denken sich, o Lieber, kluge Leute die Sachen, und wieder anders gerathen sie durch des Schicksals Willen; so ist meine Ansicht.

365. (3499.) Anders schauen Wahrheit schauende Weise die Sachen im Geiste und wieder anders wenden sie sich, wie die Bewegungen des Windes.

366. (3500.) Anders meinen ja die Menschen von diesen und jenen Dingen und wieder anders bildet und verändert sie der Herr.

367. (127.) Ganz anders pflegt ja die Freundschaft eines Menschen von reinem Herzen zu sein und anders fliesst die Rede des Mannes, dessen Herz durch Falschheit befleckt ist.

[67] 368. (128.) Sonst ist Nachsicht eine Zierde des Mannes, wie Schamhaftigkeit eine des Weibes; dagegen ist einer ehrenrührigen Behandlung gegenüber entschiedenes Auftreten bei jenem am Platz, wie beim Liebesgenuss freie Ausgelassenheit bei diesem.

369. (129.) Etwas Anderes ist ein ungezügeltes und wieder etwas Anderes ein durch Vorschriften in Schranken gehaltenes Wesen: wie könnten doch Licht und Finsterniss gleiche Berechtigung haben?

370. (130.) Es kommt nicht vor, dass Eines gesäet und ein Anderes aufginge: welcher Same gesäet wird, der geht auch auf.

371. (131.) Wer bei der Berührung mit einem andern Machtglanz nicht fest wird, dem nützt ja auch das Aussehen eben so wenig wie dem Schmuck aus Lack.

372. (133.) Ἄνδρα ἕτερον ἐν τῆ καρδία ἔχουσαι ἕτερον τοῖς ὀφϑαλμοῖς παρακαλοῦσιν τῶ μὲν τὴν ἀφροδισίαν νοτίδα ἀφιᾶσι, τὸν δὲ τῶ σώματι φιλοῦσιν.

373. (3501.) Ein Winziger, der von einem Andern das ihn belebende[68] Feuer (d.i. Geld) erlangt hat, pflegt unerträglich zu sein: auch die Sonne brennt ja nicht dermaassen wie der von ihr erhitzte Sand.

374. (134.) In demselben Maasse, als der Gute Schmerz empfindet, fühlt sich der böse Mensch befriedigt, wenn er Andere tadelt.

375. (3502.) Wenn Ungenügsame stets aus einem ausgezeichneten Vermögensverhältniss in ein anderes treten, so verlieren sie die Besinnung; Weise dagegen geben sich zufrieden.

376. Selbst fromme Werke sind, wenn sie mit unrechtmässigem Gute vollbracht werden, voller Trug, so sagt Jedermann; dieselben Werke aber sind, wenn sie mit rechtmässig erworbenem Gelde vollbracht werden, ohne Trug, so sprechen ehrwürdige Männer.

377. Auf unrechtmässige Weise erworbenes Gut besteht zehn Jahre; ist das eilfte Jahr gekommen, so geht es bis auf den letzten Heller verloren.

378. (135.) O Biene, erfreue zunächst dein lüsternes Herz an anderen blühenden Pflanzen, die deinen Druck zu tragen vermögen; warum thust du vor der Zeit und unnütz der reizenden (unschuldigen), blüthenstaublosen (noch nicht menstruirenden) Knospe der Jasminstaude Gewalt an?

[69] 379. (3503.) Das sind ja andere Wolken, die, Wasser spendend, den Durst stillen; was kreischest du, o Bruder Ḱâtaka, vergebens so laut? Du bist müde, erhole dich! Diese herbstliche Wolke, weiss wie Kâça-Gras und wasserleer, lärmt ja nur gar heftig, entlässt aber auch nicht einen Tropfen.

380. (3504.) Es giebt noch andere, mit schönen Wasserrosen bekränzte und mit Flamingoreihen beringte Wasserbehälter. Es ist dies, o weh, eine unerklärliche grosse Grille des Ḱâtaka, dass er nach Indra's Wassertropfen (d.i. nach einem Tropfen der Wolke) verlangt.

381. (3505.) Auch Andern gehen Freunde und Reichthümer verloren: schau, o König, auf das eigene Unglück, als wenn du es für das der Menschheit hieltest.

382. (3506.) Als Fürsten, die Geniesser der Erde, aus diesen Schüsseln, die Andere zurückliessen, speisten, warum empfanden sie keine Scham oder dachten nicht an Reinigung?

383. (3507.) Ein Anderer geniesst des Verstorbenen Reichthümer, Vögel[70] und Feuer verzehren die Körperstoffe: mit Zweien geht er in's Jenseits, mit seinen guten und mit seinen bösen Werken, die ihn umgeben.

384. (3508.) Wenn Menschen, die sich gegenseitig befeindeten, zusammenwohnen, dann schwächt sich die Feindschaft ab und kann nicht lange bestehen, eben so wenig wie Wasser auf einer Lotusblüthe.

385. Die Feindschaft derer, die sich gegenseitig befeinden, geht auf Kinder und Kindeskinder über; sind diese zu Grunde gegangen, so geht sie auf die andere Welt über.

386. (3509.) Durch gegenseitiges Stützen und gegenseitiges Anlehnen gedeihen Verwandte, wie Wasserrosen im See.

387. (3510.) Den Sandelbaum mit seinem preisenswerthen Aussehen kann auch ein Anderer begiessen, weil sein Verlangen auf die Vorzüge desselben gerichtet ist; dem Çâkhoṭaka aber, der aller Vorzüge baar ist, gewährt ja nur diese grossmüthige Wolke ihren Schutz.

388. (3511.) Kein Anderer geniesst die Frucht einer That, die in der Welt der Menschen von einem Menschen vollbracht wurde: die Frucht jeglicher That, die dieser vollbrachte, geniesst er und keine vollbrachte That geht ohne Lohn dahin.

[71] 389. (3512.) Der niedrige Mensch, der wie ein Schutzloser und ein Schwächling einem Beleidiger Vertrauen schenkt, bleibt nicht lange am Leben.

390. (136.) Sinne niemals Böses gegen diejenigen, welche dir Etwas zu Leide thun: sie werden von selbst fallen, wie Bäume, die am Ufer stehen.

391. (137.) Von einem Edlen pflegt auch derjenige, der ihm Etwas zu Leide thut, Nutzen zu ziehen: der Ocean labt das höllische Feuer trotzdem, dass dieses ihn brennt.

392. (3513.) Hat Jemand Mächtige beleidigt, so beruhige er sich nicht mit dem Gedanken, dass er fern von ihnen sei: wie Falken fliegen sie herbei und stürzen über ihn her, wenn er nicht auf seiner Hut ist.

393. (3514.) Hat Jemand einen Klugen beleidigt, so beruhige er sich nicht mit dem Gedanken, dass er fern von jenem sei: lang sind die Arme des Klugen, mit denen er dem schadet, der ihm geschadet.

394. Es bleibt nimmer Wasser in einem ungebrannten Kruge, feines Mehl in einem Siebe und eine Neuigkeit im Herzen der Weiber.

[72] 395. (3515.) Für thöricht halte ich diejenigen Men schen, die dem Weibe und dem Glücke trauen, da das Glück und auch das Weib wie eine junge Schlange bald hierher, bald dorthin schleichen.

396. Untergebene pflegen aus Habsucht Nachtheiliges als etwas in der Zukunft Erwünschtes darzustellen; wer auf sie hört, zu dem kommt nicht das Glück.

397. Der von seiner Macht Gestürzte wird ja gering geachtet und führt ein elendes Leben; ein schmachvolles Leben aber ist wie der Tod.

398. (3516.) Sucht Jemand eine schlecht geleitete Sache festen Entschlusses durch gute Leitung wieder in die rechte Bahn zu leiten, so ist dieses Verfahren die Weise keines elenden Wichtes.

399. Wer in die Höhe zu kommen gedenkt, muss zuvor die aus seinen Fehlern bestehende Finsterniss mit Hilfe seiner Erkenntniss entfernen: auch die Sonne geht ja nicht eher auf, als bis sie die von der Nacht erzeugte Finsterniss mit ihrem Glanze verscheucht hat.

400. (138.) Der Verständige wählt Verachtung und verzichtet auf Achtung um seine Sache zu fördern: das ist ja Thorheit, wenn man seine Sache fallen lässt.

[73] 401. Ein edler Mensch redet in Folge des ihm angeborenen liebevollen Wesens auch dann nicht, wenn man gegen ihn Verachtung an den Tag legt: der auf dem Malaja wachsende Sandelbaum entlässt ja keinen übelriechenden Saft, wenn ihn die Axt niederhaut.

402. (3517.) Es ist die Schuld des Schicksals, nicht aber die der Minister, wenn bisweilen eine gut zusammengefügte Angelegenheit in der Mitte auseinanderfällt.

403. (3518.) Ein Beamter, der lange dient, ist unbesorgt, auch wenn er sich, ein Vergehen hat zu Schulden kommen lassen: er macht sich Nichts aus seinem Herrn und geht ungestört seinen Weg.

404. (139.) Wenn Jemand zu sich sagen kann »ich habe Niemand Etwas zu Leide gethan«, so ist dies für ihn noch kein Grund zum Vertrauen: auch Tugendhaften droht ja Gefahr von Bösen.

405. (140.) Man thue Nichts, was man nicht zuvor geprüft hat; nur was man gehörig geprüft hat, das soll man thun. Sonst kommt Reue nach, wie bei der Frau des Brahmanen wegen des Ichneumons.

[74] 406. (141.) Wie möchte ein Verständiger Etwas thun, wodurch er in üble Nachrede käme, wodurch er das Vertrauen einbüsste und wodurch er zur Hölle führe?

407. (3519.) Was sollten Fürsten, die die geschmackvollsten Dinge nicht sehen, aber wohl unterscheiden, was süss schmeckt, wie blinde Ochsen Anderes kennen als Essen?

408. Nur Rückzug oder Schweigen ist für den Flamingo am Platz, wenn neben ihm ein geschwätziger Spornflügler seine schrillen Laute ausstösst.

409. (3520.) Begieb dich weit weg von hier, o Biene, zur duftreichen Ketakî-Blüthe: hier ist ja nicht die geringste Spur von Honig, nur ein von Staub graues Gesicht.

410. (142.) Fliehe schon von fern, o Freund, vor dieser von Natur gefährlichen[75] Schlange Weib: seine Seitenblicke sind ihres Giftes Feuer, seine Ausgelassenheit ihre aufgeblasene Haube. Ein von einer gewöhnlichen Schlange Gebissener kann durch Arzeneien geheilt werden; wen die bewegliche Schlange Weib gepackt hat, den geben die Beschwörer auf.

411. (143.) Staatsmänner nennen eine Burg nur dann Burg, wenn sie einen Ausweg hat; hat die Burg keinen Ausweg, so ist es ein Gefängniss in der täuschenden Gestalt einer Burg.

412. (3521.) Wie die Sonne beim Aufgange glänzt, indem sie die dichte Finsterniss verscheucht hat, so glänzt der im Wasser der Gañgâ Gebadete, indem er die Sünden verscheucht hat.

413. (144.) Niemals lasse man, was ja auch die Verständigen tadeln, auf Unwürdige Gaben herabregnen: was Anderes als die Erschöpfung des Schatzes könnte aus einer solchen Verschwendung des Geldes erfolgen?

414. (3522.) Sogar der Wasserstrom der himmlischen Gañgâ nimmt, wenn er in's Meer gelangt, nothwendig dessen Geschmack an; darum soll der Kluge sich nimmer dem Bösen anschliessen.

415. (145.) Nach der Schilderung der Weisen entspringt Misslingen aus dem Erscheinen ungünstiger, Gelingen aus dem günstiger Umstände, ferner soll Beides aus der Anwendung der Regeln der Lebensklugheit sich ergeben und vor unsern Augen gleichsam aufblitzen (sich im Voraus ankünden).

[76] 416. (3523.) Vor Zeiten ward, das Meer von einem Weisen (Agastja) ausgetrunken und dann wieder durch Grenzen abgesteckt; vor Zeiten setzte ein Affe (Hanumant) über dasselbe hinüber und dann wieder steckte es der Feind von Lañkâ (Râma) in Brand; der Feind Mura's (Vischnu) quirlte es und der Feind von Lañkâ wieder fesselte (überbrückte) es: welch ein Abstand doch, o König, zwischen deines Ruhmes Meere und dem wirklichen Meere!

417. Sage es, o barmherziger Lehrer, aus Mitleid, welche Zuflucht es für mich giebt, der ich im uferlosen Meere des Erdenlebens versinke? Die Lotusblüthen der Füsse des Herrn des Weltalls bilden das lange Schiff.

418. (146.) Ein Mann, der in Diensten eines Fürsten steht, erfährt, selbst wenn er ein erbärmlicher und feiger Wicht ist, keine Demüthigung von den Menschen.

419. Den Lohn, den sogar ein erbärmlicher und feiger Wicht erlangt, wenn er im Dienste eines Fürsten steht, erhält der mit Vorzügen Ausgestattete nimmer von der Welt.

420. (147.) Selbst ein erbärmlicher Wicht gewährt als Gefährte auf der Reise Sicherheit: durch einen Krebs, der als Gefährte mitging, wurde ein Leben gerettet.

[77] 421. Des Weibes Sinn ist noch unstäter als die Ohrspitze eines Elephanten, als eine Ranke des Feigenbaums und als das Zucken des Blitzes.

422. Sogar die Schuld dessen, der einem Andern eine fürchterliche Beleidigung zufügte, wird, wenn er längere Zeit Tugend übt, verhüllt, wie ein Berg durch schwarze Wolken.

423. Sogar der Lauf des von heftigen Winden hochwogenden Meeres liesse sich hemmen, nicht aber der Lauf eines liebenden Herzens.

424. Man sieht aber Leute auch oft ein unnützes Werk thun, da die Menschen nimmer auf andere Weise (d.i. ohne Anstrengung) zu ihrem Lebensunterhalt gelangen.

425. (148.) O Wunder! Die Biene, welche niemals vor Durst ihren Fuss setzte auf den Bakula, selbst wenn seine Knospen im Aufspringen begriffen waren, begiebt sich, da das Schicksal widerwärtig ist, plötzlich zur Badarî.

426. (3525.) Die Gier allein ist es, die auch den unvergleichlich Klugen, auch den Helden, auch den Festen, ja den besten Mann in einem Augenblick zu einem Grashalm macht (d.i. vollkommen beherrscht).

[78] 427. (149.) Sogar um den Preis der Söhne oder auch der Weiber soll der Verständige sein Leben retten, da, wenn dieses bleibt, alles Andere den Menschen wieder zufallen kann.

428. (150.) Ist die Schlacht entbrannt, so sehe (der Fürst) auf seine Diener, selbst wenn sie ihm lieb sind wie das eigene Leben, wenn er sie auch vorher geschützt und gehätschelt hat, wie auf trockenes Brennholz.

429. (151.) Sogar wer an einem Brahmanen einen Mord verübt hat, wird durch eine Busse, die er dafür thut, wieder rein; auf keine Weise aber werden Verräther an einem Freunde rein.

430. (3526.) Selbst einem Bruder, Sohn, Verehrungswürdigen, Schwiegervater oder [mütterlichen] Oheim soll der König nicht die Strafe erlassen, wenn sie von ihrer Pflicht abgewichen sind.

Stenzler.

431. (3527.) Die Heftigkeit des Schmerzes steigert sich bei den Menschen beim Anblick eines geliebten Gegenstandes, selbst dann, wenn dieser Schmerz schon geringer geworden oder auch wohl ganz verschwunden war.

432. (3528.) Der kluge Feind richtet, selbst wenn er sich sanft an den Leib schmiegt, den Gegner stets zu Grunde, wie die Schlingpflanze einen mächtigen Baum.

[79] 433. (3529.) Einige wenige Gelehrte laben sich, hätten sie auch an ihren eigenen literärischen Spielen Freude, an den Reden Anderer: verlangt nicht der Mangobaum, wenn seine Wurzeln auch in herabträufelndem dickem Blüthensaft schwimmen, nach einer Begiessung aus goldenem Kruge?

434. Da man auch mit einem überaus heldenmüthigen Feinde dadurch, dass man ihn von seinem Bundesgenossen abtrünnig macht, fertig wird, deshalb soll derjenige, der seine Feinde zu besiegen im Sinne hat, diesen Weg einschlagen.

435. (152.) Alle diejenigen, welche, obgleich in Büchern bewandert, das Herkommen nicht kennen, machen sich lächerlich wie jene Thoren von Gelehrten.

436. (153.) Kluge sollen sich Freunde erwerben, selbst wenn sie vollauf haben: der Flüsse Fürst (das Meer), obgleich voll, harrt auf den Aufgang des Mondes.

437. (154.) Der Weise sitze, wenn er von Hunger gequält wird, lieber wie ein Baumstamm unbeweglich da und trockne ein, als dass er von einem Dummen seinen Lebensunterhalt begehrte.

[80] 438. Hätte ein Gegner sogar einen Vatermord begangen, so wird er dennoch, durch Geschenke gelockt, Vertrauen fassen und sich dem Feinde übergeben.

439. (155.) Auch die unbedeutendste Angelegenheit eines Fürsten soll man nicht in der Gesellschaft vor Andern zur Sprache bringen: solches hat Brhaspati gelehrt.

440. (156.) Wer selbst eine ganz unbedeutende Unwahrheit in Gegenwart von Fürsten und Göttern spricht, der geht schnell zu Grunde, auch wenn er sehr hoch steht.

441. (3530.) Wem es um Sieg zu thun ist, der ziehe gegen die Feinde so, dass er sein eigenes Heer nicht ermüde: mit einem durch lange Märsche ermüdeten feindlichen Heere wird man leicht fertig.

442. (3531.) Herzentzückend ist (ward) die Welt ob ihrer ohne Genuss berauschender Getränke trunkenen Flamingos, ob ihrer ohne Waschen fleckenlosen Gewänder (Wolken) und ob ihres ohne Klärung reinen Wassers.

[81] 443. (3532.) Nie und nimmer gelangt ein Sohnloser in den Himmel; darum wird man erst dann Asket, wenn man eines Sohnes Antlitz gesehen hat (d.i. wenn man einen Sohn gezeugt hat).

444. (157.) Leer ist das Haus dem Kinderlosen; leer die ganze Welt dem, der keine Angehörigen hat; leer das Herz dem Thoren; leer Alles der Armuth.

445. (158.) Aus wessen Hause ein Gast ungeehrt fortgeht, tief aufseufzend, aus dessen Hause entfernen sich ungnädig die Götter mit den Manen.

446. (159.) Wo Unehrenwerthe geehrt, Ehrenwerthe aber missachtet werden, da findet dreierlei Statt: Hungersnoth, Seuche und Gefahr.

447. Wo Unehrenwerthe geehrt und Ehrenwerthe missachtet werden, da fällt alsbald eine schreckliche, vom Schicksal verhängte Strafe nieder.

448. (160.) Das Zornfeuer des guten und schlechten Menschen ist gar seltsamer Art: bei dem Einen erlischt es durch Oel (Liebe), bei dem Andern wächst es durch Wasser (Thränen).

[82] 449. Eine unerhörte Art von Diebstahl verübst du, o Schöne, mit den beweglichen Augen! Am hellen lichten Tage sogar raubst du von Ferne das Herz wachender Männer.

450. (3533.) Wer eine in der Welt für tadelhaft geltende That bis dahin noch nicht vollbracht hat, der vollbringe sie auch ferner nicht; eine früher vollbrachte (tadelhafte) That aber nicht zu wiederholen ist, wie man lehrt, ein grosses Verdienst.

451. (161.) Gar seltsam erscheint das Feuer im Busen der Geliebten: ist es fern, so versengt es den Leib; berührt es den Leib, so ist es ganz kühl.

452. (162.) Auch ungefragt kann hier ein Minister dieses und jenes sagen; wird er aber gefragt, so soll er alsbald sagen, was heilsam ist, dieses mag angenehm oder unangenehm sein.

453. (163.) Der Thor, der hier, wenn er nichts zu bedeuten hat, ungefragt vor dem Könige redet, erntet nicht nur keine Ehre, sondern sogar Spott ein.

454. (164.) Auch ungefragt sage man demjenigen, dem man eine Demüthigung[83] zu ersparen gedenkt, das, was ihm frommen kann; dies ist der Brauch der Edlen und wenn anders verfahren wird, so gilt das Umgekehrte.

455. (165.) Der Vorzügliche ist wie eine Lampe, in der Edelsteine die Stelle des Feuers vertreten: um Andern stets Dienste zu erweisen, kümmert er sich nicht um Liebe (Oel), nicht um einen Würdigen (ein Gefäss) und auch nicht um den Unterschied der Lebenslage (einen andern Docht).

456. (166.) Ein Bösewicht, der am Unglück Anderer seine Freude hat, beachtet sogar den eigenen Untergang nicht: es ist etwas ganz Gewöhnliches, dass an der Spitze der Schlachtreihe ein Rumpf noch tanzt, wenn der Kopf schon fort ist.

457. (167.) Sogar die Unglückszeit des Guten erscheint des Preises werth: auch die Zeit des Ungemachs, da Râhu den Mond packt, ist schön.

458. (168.) Wer selbst vor einem gewaltigen und furchtbaren Feinde seine Ruhe bewahrt, der erfährt auch beim Erscheinen eines Fürsten keine Demüthigung.

459. (3534.) Selbst von einem faselnden Wahnsinnigen und einem plappernden Kinde, ja von Jedermann soll man das Beste entgegennehmen, wie das Gold aus dem Gestein.

[84] 460. (169.) Sogar ein Mächtiger wird von den Leuten gering geachtet, so lange er seine Macht nicht offenbart: über Feuer, das im Holze schlummert, kommt man leicht hinüber, nicht aber über das, welches flammt.

461. (170.) Einige Dichter gleichen Kindern: sie sind oberflächlich beim Setzen der Füsse (beim Niederschreiben von Versfüssen), erwecken Zuneigung (Röthe vor Scham) bei der Mutter und sind sehr geschwätzig.

462. Nicht darf ein Gast, den am Abend die untergehende Sonne bringt, von einem Hausvater abgewiesen werden: er komme zur Zeit oder zur Unzeit, so darf er nicht ungespeist in seinem Hause übernachten.

463. (171.) Nicht darf ein Gast, den am Abend die untergehende Sonne bringt, von einem Hausvater abgewiesen werden: dadurch, dass sie ihn ehren, steigen Hausväter zum Range von Göttern.

464. Allen denen, die der Stütze entbehren und nicht zur Tugend ihre Zuflucht nehmen, ist hier auf Erden die Gañgâ Stütze, Zuflucht und Schutz.

[85] 465. (172.) Ein Unbedeutender wird bedeutend, wenn er einem Fürsten dient, und selbst ein Bedeutender wird unbedeutend, wenn er keinen Dienst an nimmt.

466. (3535.) Unfreundliches Benehmen, Abwesenheit, Wegnahme des gebührenden Antheils, Aufschub und Verweigerung von Abhilfe bewirken, dass die Zuneigung (eines Heeres zum Fürsten) erkaltet.

467. Welchen Vortheil hätte man von einem ergebenen Diener, wenn er dumm und feig wäre? Welchen Nutzen hätte man aber auch von dem, der zwar Einsicht und Muth besässe, aber der Treue ermangelte? Diejenigen, welche Einsicht, Muth und Treue, die zur Wohlfahrt erforderlichen Vorzüge, vereint besitzen, sind wahre Diener eines Fürsten im Glück und im Unglück, die übrigen dagegen sind Weiber.

468. (173.) Wenn sogar Brhaspati ein Wort zur unrechten Zeit spräche, würde man, o Bhârata, seinen Verstand gering achten und ihn selbst verachten.

469. Woher kommt es, dass man eher auf einen sogar unerreichbaren Genuss, als auf moralische Verdienste bedacht ist? Wenn Einem auch Keines von Beiden zu Theil wird, so bringt doch jenes Gefahr, dieses dagegen Heil.

[86] 470. (174.) Nur hier und da findet man die Erde geschmückt mit solchen, die arm an unfreundlichen und reich an freundlichen Reden sind, die an dem eigenen Weibe Genüge finden und sich enthalten vom Tadeln Anderer.

471. (175.) Wo sich Leute finden, die bereit sind das zu sagen und zu hören, was zwar am Anfange unangenehm berührt, am Schluss aber als heilsam sich erweist, dahin setzt die Glückgöttin ihren Fuss.

472. (178.) Unser Liebling, erwiese er uns auch etwas Unliebes und redete er auch harte Worte zu uns, erfreut in allen Verhältnissen unser Herz.

473. (176.) Wer uns lieb ist, bleibt uns lieb, erwiese er uns sogar Unliebes: wer entzieht dem Feuer die Achtung, wenn es ihm auch das Beste im Hause verbrannt hat?

474. (177.) Nur diejenigen nennt man wahre Freunde, welche hier den Leuten Heilsames sagen, wäre dieses auch unangenehm zu hören; die übrigen führen nur den Namen von Freunden.

[87] 475. (3536.) Was wäre es, wenn wir solche Feinde, die keine Beschwerde zu ertragen im Stande sind, auch zermalmten? Der Wettstreit steht uns wohl an, der gegen solche gerichtet ist, die uns zu Grunde zu richten vermögen.

476. Mit Unlieben zusammen zu sein, von Lieben getrennt zu leben und mit Schlechten zu verkehren ist der Schmerz derer, die lange leben.

477. Der Erfahrenen Lehre lautet, dass auch der, den wir nicht mögen, uns nützlich sein könne, und wer diese Lehre der Erfahrenen befolgt, wird den Leuten lieb.

478. (3537.) Man betrachte nicht sein Bild im Wasser, bade nicht in einem reissenden Strome, besteige nicht ein unsicheres Schiff und schwimme nicht über einen Fluss.

479. (3538.) Der kluge Mann pflegt kein Geschäft zu unternehmen, das keinen Gewinn verspricht, dessen Ende nicht abzusehen ist, bei dem Verlust und Gewinn sich die Wage halten, oder das unausführbar ist.

480. (182.) Ein Schwacher, der, vom Wahne bethört, hingeht einen übermächtigen Feind zu bekämpfen, kehrt zurück wie ein Elephant mit zerbrochenem Zahne.

[88] 481. (183.) Denjenigen, die aus Unwissenheit fehlen, muss verziehen werden: Weisheit in allen Dingen ist ja nicht leicht zu erreichen für den Menschen.

482. Wenn aber solche, die Etwas mit Wissen thaten, erklären, sie hätten es ohne Wissen gethan, dann soll man diese Schlechten und Falschen auch für die allergeringste Beleidigung mit dem Tode bestrafen.

483. (3539.) Wem es um sein Wohl zu thun ist, der handle nicht nach eigener Willkür, bevor er nicht des Herrn Gesinnung erforscht und sein Vertrauen gewonnen hat.

484. (184.) Um Geld zu gewinnen, schmücken sich Thoren ohne Unterlass wie käufliche Dirnen und geben sich Andern als Werkzeug hin.

485. (3540.) Wer voller Mitleid allen Geschöpfen Sicherheit verleiht, für den giebt es, wenn er vom Körper erlöst worden ist, keinen Untergang.

486. (3541.) Wer Sicherheit verleiht, dem wird grosser Lohn zu Theil, da es in den drei Welten keine Gabe giebt, die der Lebensschenkung gleich käme.

487. (185.) Die Biene hier, lüstern nach dem Vergnügen auf der jungen[89] Nalina-Gruppe, sich scheuend aber vor der Trennung von der in Knospen stehenden Kairava-Gruppe, fliegt zwischen beiden hin und her und lässt sich weder auf jene, noch auf diese nieder.

488. (186.) Es giebt hier Keinen, der nicht schon angeführt worden wäre durch das gute Betragen neuer Diener, durch die Berichte eines Gastes, durch die Thränen einer Buhlerin und durch den Redefluss verschmitzter Leute.

489. (3542.) Beide, der Ocean und auch du, durchbrechen niemals die Schranken und sind tief; jener aber hat die Farbe der Augensalbe, du dagegen den Glanz des Goldes.

490. (3543.) Wer, wenn er des Herrn Wunsch erfahren hat, alle Geschäfte unverdrossen verrichtet, Heilsames redet, zugethan und ehrenwerth ist und seine Kräfte kennt, für den muss der Herr dasselbe Gefühl haben wie für sich selbst.

491. (3544.) Wer dagegen, wenn ihm Etwas befohlen wird, auf das Wort nicht achtet, und wer, wenn man ihm Etwas aufträgt, entgegenredet, ein solcher, auf seinen Verstand eingebildeter und widerredender Diener ist eiligst zu verabschieden.

492. (3545.) Wie wunderbar, dass die Erde dem Wunsche mächtiger Fürsten nachkommt, indem sie das, was ihnen lieb war, enthüllt! (Die auf der Erde erhaltenen Denkmäler zeugen von dem, was ihren Erbauern am Herzen lag.)

493. (187.) Ein Spender erwünschter Früchte bist sowohl du als auch[90] der Wunderbaum Kalpadruma; einen offen zu Tage liegenden Unterschied heben wir jedoch hier hervor: wie sollte wohl der Götterbaum, o König, deine Art zu spenden erreichen, da deine Gaben von freundlichen Worten, von Zuneigung und Ehrenbezeugungen begleitet sind?

494. (188.) Dieser schwer zu füllende Topf, Bauch genannt, äfft Andern nach: er ist wie ein Beutelschneider sehr geschickt den Knoten zu zerschneiden, der des lieben Hochmuths Schutz ist; er spielt die Rolle des hellstrahlenden Mondlichts, indem er die am Tage geöffneten Wasserrosen, die Schaar hoher Tugenden, in Schlummer bannt; er ist eine Axt zum Zerhauen der mächtigen, sich hin und her bewegenden Schlingpflanze Scham.

495. (189.) Das Gelingen des Erwünschten verdankt ja der Mensch ganz seinem eigenen Thun und auch das, was du Schicksal (von den Göttern kommend) nennst, ist eine Eigenschaft des Menschen, die das Unbekannte (das sich erst im künftigen Leben offenbarende moralische Verdienst) heisst.

496. (3546.) Männern von Selbstgefühl, die das Ziemende vom Unziemenden zu unterscheiden verstehen, steht es, o Brahmane, wohl an, wenn sie nothwendig zu tragende Leiden nicht offenbaren.

497. (3547.) Selbstgefühl bei einem Menschen geringen Verstandes untergräbt sein Glück, Schwangerschaft schändet ein Mädchen und das zu Hause Sitzen einen Brahmanen.

498. Einen hochmüthigen, leidenschaftlichen, sich selbst ehrenden, unehrlichen und zornigen Fürsten tödten bei einem Ungemach die Feinde.

[91] 499. (190.) Wer in der Schlacht von vorn verwundet wird, fragt zunächst nicht nach Sieg oder Himmel: der Beifallsruf beider Heere ist das, was er vor Allem gern hört.

500. (3548.) Den Schwachen und von Hilfsmitteln Entblössten, der von einem Stärkeren angegriffen ward, den, dem man die Habe raubte, den Verliebten und den Dieb sucht die Schlaflosigkeit heim.

501. (191.) Wer von einem Mächtigen angegriffen wird, der suche sich in der Burg zu halten und rufe zu seiner Befreiung einen Mächtigeren als jenen zu Hilfe.

502. (3549.) Weil der Angreifende ob seiner Uebermacht nicht eher heimkehrt, bis er Etwas erlangt hat, darum giebt es (in solchem Falle) keinen andern Frieden, als den »Opferbringen« genannten.

503. (3550.) Wem es um die Erreichung eines hohen Zieles zu thun ist, der begebe sich zu einem anziehenden, festen, reinen, berühmten, von guten Menschen umgebenen, preiswürdigen Herrn, wie man sich zum Vindhja begiebt, der alle jene Eigenschaften besitzt.

[92] 504. (3551.) Wer ehrfurchtsvoll seine Vorgesetzten zu begrüssen pflegt und stets den Alten huldigt, bei dem wachsen diese vier: die Lebensdauer, das Wissen, der Ruhm und die Macht.

505. (192.) Wie Kluge sich freuen, wenn sie ältere Leute freundlich begrüssen, so freut sich der Thor, wenn er einen rechtschaffenen Mann schmäht.

506. Einen neben Einem stehenden Armen hält man für bescholten: die Armuth ist in der Welt ein Verbrechen und verdient nicht gepriesen zu werden.

507. (193.) Woher wohl legen die Herrscher ein grosses Gewicht darauf, die Erde zu gewinnen, da doch kein Augenblick sogar vergangen ist, wo sie nicht (wie ein Weib) von Hunderten von Fürsten genossen worden wäre? Ueber einen Theil eines Theiles derselben, ja über den blossen Schatten eines Theiles derselben, legen die einfältigen Herren, anstatt Widerwillen zu zeigen, vielmehr Freude an den Tag.

508. (68.) Edle nähern sich nicht ohne Weiteres einem Fürsten, ständen sie mit ihm auch auf einem vertrauten Fusse, wenn er vor der Mahlzeit sich an einen einsamen Ort zurückgezogen hat und hier im Geheimen mit einem Andern sich unterhält.

[93] 509. (3552.) Mit ungetheilten Streitkräften sollen die Krieger kämpfen und sich gegenseitig schützen; alle schwachen Truppen müssen in der Mitte der Schlachtordnung stehen.

510. (3553.) Ein freundliches Wort bringt manchen Segen, ein böses Wort dagegen stiftet, o König, Unheil.

511. Wissen hat seinen Grund im Studium, Glück ist eine Folge guter Werke, Ruhm eine Folge der Freigebigkeit, Einsicht eine Folge des Schicksals (der in einem früheren Leben vollbrachten Werke).

512. Das Studium giebt uns Macht über die Veda's, das Fasten Macht über das Fieber, Liebe zu Vishnu Macht über Jama, ein guter Wandel Macht über den Feind.

513. Durch Studium wird das Wissen bewahrt, durch gute Gemüthsart das Geschlecht, durch Vorzüge werden Freunde bewahrt und durch das Auge der Zorn (d.i. das Auge ist der Behälter, der Verräther des Zornes).

[94] 514. (3554.) Einer Wolke Schatten, eines Bösewichts Freundschaft und Land am Meeresufer gehen gar leicht dahin, ebenso Jugend und Reichthümer.

515. (194.) Einer Wolke Schatten, eines Bösewichts Freundschaft, gekochter Reis und Weiber können nur eine kurze Weile genossen werden, eben so Jugend und Reichthümer.

516. Einer Wolke Schatten, Strohfeuer, eines Bösewichts Freundschaft, Wasser auf dem Erdboden, einer Buhldirne Zuneigung und ein schlechter Freund, diese sechs gleichen einer Wasserblase.

517. (3555.) Das Gazellenauge kennt kein Spiel der Brauen und ist ohne Genuss von Wein roth; dieses dein Augenpaar dagegen ist mit diesen Vorzügen geschmückt (d.i. kennt das Spiel der Brauen und wird erst durch den Genuss von Wein geröthet).

518. Wer einen Feind sich zum Freunde wählt, einen Freund anfeindet und ihm Schaden zufügt, und wer eine böse That unternimmt, den nennt man einen Dummkopf.

519. (195.) Ein vom Schicksal geschlagener Mann erwählt einen Feind[95] sich zum Freunde, feindet einen Freund an und fügt ihm Schaden zu, hält Gutes für schlecht und Schlechtes für gut.

520. (3556.) Einen Feind soll man nicht wieder freilassen, spräche er auch dieses und jenes zu seiner Entschuldigung: man tödte den ehemaligen Beleidiger und lasse sich solches nicht zu Herzen gehen.

521. (3557.) Wer durch einen Feind gestiegen ist vertraue nicht darauf, dass er hoch steht: wer durch jenen gestiegen ist, stürzt, wie eine fliegende Ameise, in's Verderben.

522. (3558.) Sogar Feinde erwähle man sich zu Freunden, wenn sie Vortheil bringen, und sogar Freunde lasse man fahren, wenn sie Schaden anrichten.

523. (3559.) Einen Feind soll man nicht freilassen, spräche er auch noch so kläglich; man habe kein Mitleid mit ihm, man tödte den Beleidiger.

524. (3560.) Ein Feind wird zum Freunde und ein Freund wird uns untreu, je nach den Umständen: die Beständigkeit ist von keinem Bestand.

525. (196.) Wie kann die Trennung von diesen Menschen, die sich nur[96] eines wenige Augenblicke währenden Bestandes zu erfreuen haben, für Verständige ein Gegenstand der Trauer werden? In einem Augenblicke werden sie geboren und vergehen auch nach einem Augenblick. Nichts wird ewig bestehen: weder Götter, noch Berge, noch Meere, noch Anderes.

526. (197.) Was haben wir Unverständige nicht Alles unternommen diesem Leben zu Liebe, das den vergänglichen Wassertropfen auf einem Lotusblatte gleicht, da wir ohne Scham vor reichen, vom Rausche des Besitzes trunken gewordenen Menschen sogar die grosse Sünde begingen, von unseren eigenen Vorzügen zu reden?

527. Nektar ist Feuer im Winter, Nektar der Genuss von Milch, Nektar des Fürsten Huld, Nektar des Freundes Anblick.

528. Nektar ist Feuer im Winter, Nektar ein gebildeter Sohn, Nektar eine tugendhafte Gattin, Nektar eines Kindes Reden.

529. (198.) Nektar ist Feuer im Winter, Nektar des Freundes Anblick, Nektar des Fürsten Huld, Nektar der Umgang mit Klugen.

530. (3561.) Unsterblichkeit und Tod, beide wohnen in unserm Körper:[97] der Tod wird uns in Folge des Irrthums, Unsterblichkeit in Folge der Wahrheit zu Theil.

531. Männer, die Nektar schlürfen (schöne Reden hören), werden nimmer zufriedengestellt: wie die Kühe im Walde stets nach neuem Grase, so begehren sie stets nach neuem Nektar.

532. (3562.) Nektar ist Nektar, darüber kann kein Zweifel herrschen; auch mit dem Honig verhält es sich nicht anders; überaus süss ist auch die Mangofrucht mit ihrem klaren Safte. Aber ein Kenner verschiedener Geschmäcke sei, wenn auch nur für ein Mal, unparteiisch und sage, was hier auf Erden süsser sei als der Geliebten Lippe.

533. (3563.) Das ist nur ein leerer Schall, wenn es heisst, der Mond habe Nektar träufelnde Strahlen: der wahren Bedeutung nach ist er ein ganz anderer: er hat Gift träufelnde Strahlen.

534. (3564.) Was nützten mir Ströme von Nektar, in denen ich meinen Leib abwaschen könnte? Die Umarmung eines Freundes, den ich lange nicht gesehen, ist mir um keinen Preis feil.

535. (3565.) Wer hat die Weiber geschaffen, diese Krüge mit Nektar, diese Berge von Freuden, diese Behälter der Liebeslust?

[98] 536. (3566.) Der Weise labt sich an der ihm bewiesenen Geringschätzung wie an Nektar: der gering Geachtete schläft ja süss, der Geringschätzer aber geht zu Grunde.

537. (3567.) Wenn dieser dein Antlitzmond da ist, der ja auch voller Nektar ist, die Tagwasserrosen (als Nebenbuhler) hasst und liebe Sterne (beim Gesicht die Augensterne, beim Monde die Mondhäuser) hat, wozu bedarf es dann noch eines andern Mondes?

538. (3568.) Wer nicht vergeblich dem Zorn oder der Freude sich hingiebt, mit Bedacht selbst an's Werk geht und wessen Schatz im Vertrauen auf sich selbst besteht, dem verleiht die Erde ihre Schätze.

539. (3569.) Der Brahmanen Schmuck besteht nicht in Perlen und Gold, sondern in (der Brahmanenschnur), mit der sie Göttern und Manen den ihnen zukommenden Theil darbringen.

540. (3570.) Die Mutter hat weder Freude an mir, noch an ihrer Schwiegertochter; auch diese weder an der Mutter, noch an mir; auch ich weder an der, noch an dieser: sprich, o König, wessen Schuld ist es? (Der Armuth und insofern auch des Königs Schuld.)

[99] 541. (199.) Ein Damm bricht durch Wasser zusammen, es bricht auch eine nicht geheim gehaltene Berathung zusammen, durch Zuträgerei bricht Liebe zusammen, durch Worte bricht ein Feigling zusammen.

542. (200.) Wasser ist der Wasserthiere, die Feste – der in Festen Wohnenden, die Heimath – der wilden Thiere und anderer Wesen, das Heer – der Könige grösste Macht.

543. (3571.) Die Sonne, sei sie auch durch dicke Wolken getrennt, erweckt die Tagwasserrosen zu neuem Leben; eine Wolke, stände sie auch noch so fern, kühlt die Sonnenhitze ab: Grosse besitzen eine uns unbekannte, ununtersuchte Macht, da vermöge ihrer Majestät, o Wunder, Angelegenheiten in weitester Ferne von selbst und ungehemmt zu Stande kommen.

544. (201.) Der Schöpfer vermag jedenfalls, wenn er erzürnt ist, dem Flamingo sein lustiges Treiben in seiner Heimath, dem Lotusteiche, zu wehren; nicht ist er aber im Stande ihm den allbekannten Ruhm der Geschicklichkeit im Scheiden der Milch vom Wasser zu entziehen.

[100] 545. (3572.) Vor dem Schicksal, nach dessen Willen das Meer zum Festland, das Festland zum Meere, ein Staubkörnchen zu einem Berge, der Meru zu einem Klümpchen Erde, ein Grashalm zu einem Donnerkeil, ein Donnerkeil zu einem schwachen Grashalm, Feuer kalt und Schnee zu Feuer wird, verbeuge ich mich, vor dem Schicksal, das, des leichten Spieles überdrüssig, auf Wunderthaten versessen ist.

546. (3573.) Wir haben, da unser Herz von Gier bewegt war, uns auf's Meer begeben, weil wir meinten, es sei der einzige Behälter der Gewässer und eine Fundgrube für Perlen: wer weiss, ob nicht alsbald ein Heiliger (wie es einst Agastja gethan hat) es in seine hohle Hand thut und mit den dabei erstickenden Ungeheuern, den Timi und Makara, austrinkt.

547. (202.) Wie Wassertropfen, die auf ein glühendes Stück Eisen fallen, nach einem Augenblick nicht mehr gesehen werden, so auch die Tugenden, welche in das Herz der Bösewichter gepflanzt werden.

548. (3574.) Die Liebe ist ein Feuer, in dem der Liebesgenuss die Flamme und die Vertraulichkeit das Brennholz ist und in dem der Männer Jugend und Schätze geopfert werden.

549. Indem der Fürst (Nala), der den alle Wünsche gewährenden Wunderbaum[101] um sein Ansehen gebracht hatte, des Bettlers Armuth in Armuth an Armuth verwandelte, machte er die vom Schicksal herrührenden, auf des Bettlers Stirn lauernden Schriftzüge »dieser wird einst ein Armer sein« nicht zur Unwahrheit?

550. (203.) »Dieser ist Einer von den Unsrigen oder ein Fremder«, so rechnen Menschen von niederem Sinne; Männer von edler Handlungsweise dagegen betrachten die ganze Erde als ihre Familie.

551. Obgleich der Mond da ein Nektarbehälter und der Führer der Kräuter ist, obgleich er einen aus Nektar gebildeten Leib hat und voller Anmuth ist, so verliert er doch seinen Strahlenglanz, sobald er in die Sonnenscheibe tritt: wer kommt nicht um sein Ansehen, wenn er ein fremdes Haus betritt?

552. Jetzt ist Gelegenheit zu helfen da, so lange diese von Natur unbeständige Wohlfahrt währt: wie böte sich aber im Unglück, das stets einzubrechen droht, Gelegenheit zur Hilfe dar?

553. (3575.) Jetzt ist für dich, o See, die Gelegenheit da, Bedürftigen ohne Rast mit Wasser auszuhelfen; auch wird bald mit dem Eintritt der Regenzeit solches Wasser leicht zu haben sein.

[102] 554. (3576.) Schön erscheint uns dieses Leben, weil wir über seine Reize nicht gehörig nachgedacht haben; für diejenigen dagegen, die die Wahrheit schauen, ist auch nicht das geringste Gute darin.

555. (3577.) Dieser vom Malaja kommende Wind, der die üppigen Zweige der Sandelbäume wiegt, verursacht Jedermann Lust.

556. (3578.) Dieser durch Weingenuss leicht geröthete Antlitzmond fordert den Mond am Himmel, wenn er mit seinem Aufgangsroth angethan ist, zum Wettkampf auf.

557. (3579.) Dieses Lager von Blüthenblättern der Wasserrose versengt meinen Leib: liegt es aber denn nicht in der Natur der Sache, dass das, was das Feuer vertritt (das Sinnbild des Feuers), brennt?

558. (204.) Eine That, durch die man Unehre einerntet, durch die man zur Hölle fährt und durch die man des Himmels verlustig geht, soll man nicht thun.

559. (205.) Wenn du, o Wolke, dem Ḱâtaka nicht einige wenige Tropfen Wassers giebst, wird er in Kurzem so weit sein, das du ihm zwei Handvoll Wasser (als Todtenspende) wirst geben müssen.

[103] 560. (3524.) Das gemeine Volk hat dich, o Moschus, liegen lassen in der Voraussetzung, du seiest Schmutz! Betrübe dich darüber nicht weiter! Giebt es denn nicht noch Fürsten auf Erden?

561. (206.) O du Mango-Blüthe des Liebesgottes, o du Geliebte, deren Augen sich bis zu den Ohren hin strecken, wo gehst du mit meinem entwandten Herzen hin? Herrscht hier etwa Anarchie?

562. Gieb auf, o Schönleibige, die du vor einer neuen Zusammenkunft dich scheust, die feste Umarmung und verlasse den Liebsten! Dort erheben sich schon die Strahlen der Morgenröthe und die Hähne krähen!

563. Was einem Niedern zusagt, sagt einem grossen Herrn nicht zu, und was jenem Schaden bringt, sagt diesem zu: Nektar war für Râhu der Tod und Gift ist Çiva's Schmuck.

564. Einen Fürsten, der keine Späher anstellt, sich dem Anblick der Leute entzieht und von Andern abhängig ist, meiden die Unterthanen aus der Ferne, wie Elephanten einen an einem Flusse gelegenen Sumpf.

[104] 565. Trunkene benehmen sich wie Fieberkranke: sie reden viel Unpassendes, schlafen, wo es sich gerade trifft, entblössen sich und strecken die Glieder.

566. (207.) Wenn der Kluge ohne Kampf kein Heil für sich sieht, dann stirbt er kämpfend zusammen mit dem Feinde.

567. (208.) Ungehütetes besteht, wenn das Schicksal es hütet; Wohlgehütetes geht zu Grunde, wenn das Schicksal es vernichtet; auch ohne Schützer bleibt ein im Walde Ausgesetzter am Leben, auch ein Wohlgepflegter findet im Hause den Tod.

568. (3580.) Von dem Fürsten, der keinen Schutz gewährt, wohl aber den Sechsten als Abgabe erhebt, sagt man, dass er alle Unreinheit der ganzen Welt auf sich nehme.

569. (3581.) Von jeglicher Sünde, die ungeschützte Unterthanen begehen, fällt die Hälfte auf den Fürsten, weil er die Abgaben erhebt.

570. (209.) Wenn man zu einem Thoren redet, so ist es, als wenn man[105] in den Wald hinein weinte, einen Leichnam mit Salben einriebe, Wasserrosen auf dem Festlande pflanzte, als wenn Regen lange Zeit auf salzigen Erdboden fiele, als wenn man einen Hundeschwanz herunterbiegen wollte, einem Tauben in's Ohr flüsterte, einem Blinden das Gesicht schmückte.

571. (3582.) Die aus der Jugend entspringende Finsterniss, die Jünglingen die Sehkraft benimmt, kann nicht durch den hellen Schein von Edelsteinen gehoben, nicht durch Sonnenstrahlen zurückgedrängt werden.

572. (3583.) Wenn die Welt der Lebenden ohne Fürsten wäre, dann würden die Schwachen von den Stärkeren bedrückt werden, da alsdann Niemand Herr über seinen Besitz wäre.

573. (210.) Sogar einem Feinde muss angemessene Gastfreundschaft erwiesen werden, wenn er in's Haus kommt: ein Baum enthält seinen Schatten sogar demjenigen nicht vor, der ihn zu fällen kommt.

574. (3584.) Die Erfahrung hat gelehrt, dass ein vom Feinde herübergekommener Diener nur daran denkt, mit jenem in Verkehr zu bleiben; wir müssen ihn fortjagen, weil er mit jenem gleichgeartet ist und uns in steter Aufregung erhält, wenn wir ihn eines Fehlers zeihen.

[106] 575. Einem zur Partei des Feindes haltenden Freunde, der unsere schwachen Seiten kennt und freundlich redet, sollen wir unser Vertrauen nicht schenken, wäre er auch der leibhaftige Brhaspati.

576. (3585.) Wisse, dass der Verletzende, Grobe, Scharfzüngige, mit stachligen Worten die Leute Geisselnde und die an seinen Mund gefesselte Genie des Verderbens Tragende der Unglückseligste unter den Menschen ist.

577. (3586.) Der Nichtzürnende wird ja der guten Werke des Zürnenden theilhaftig und die eigenen bösen Werke streift der Langmüthige von sich ab, indem er sie dem Zürnenden übergiebt.

578. (211.) He du Fisch Herz, gieb jetzt freiwillig das Umherschweifen im Meere Jungfrau mit dem Wasser Jugend auf: siehst du denn nicht, dass der Fischer Liebesgott fort und fort das Netz Söhnereihe mit den Kürbissen (die die Stelle der Klötze oder Korken vertreten) Brüste um dich ausspannt?

579. (212.) Durch die Speichen wird die Nabe getragen und die Speichen haben wieder ihren Halt in der Nabe: so ist das zwischen Herr und Diener bestehende Verhältniss, das wie ein Rad dahinrollt.

[107] 580. 581. Vorzügliche Menschen sind darüber im Zweifel, ob es nicht besser sei nur Früchte und Gemüse, die man, ohne Jemand darum anzugehen, durch eigene Anstrengung sich verschafft, im eigenen Hause im Gefühl seiner Würde zu geniessen, als in eines Fremden Hause, beständigen Demüthigungen ausgesetzt, die schönsten Leckerbissen zu kosten.

582. (3587.) Gerade das Geld (der Vortheil) bringt ja manchen Menschen Nachtheil und der am Glück des Geldes hängende Mann wird nicht des Glückes theilhaftig.

583. (213.) Geldverlust, Herzensleid, Unordnungen im Hause, so wie Betrug und Geringachtung, die er erlitt, soll der Verständige nicht kundthun.

584. Einem reichen Manne, einem Fürsten, einem Kinde, einem Greise, einem Asketen, einem Klugen, einem Weibe, einem Thoren und höher stehenden Personen soll ein Kluger nicht widersprechen.

[108] 585. (3588.) Geräth man in ein schwer zu überwindendes Unglück, das den Verlust des Geldes und des Lebens droht, so denkt man im Angesicht der nahen Gefahr nicht an die Reichthümer, sondern verlangt nur nach seinem Leben; hat man sich aber aus diesem Unglück glücklich gerettet, so begiebt man sich der Güter wegen wieder in ein anderes Unglück: so setzen Menschen geringen Verstandes sowohl Leben als Vermögen auf's Spiel, indem sie bald jenes für dieses, bald dieses für jenes zu opfern bereit sind.

586. (3589.) Betrachte das Geld (den Vortheil) stets als einen Nachtheil; fürwahr nicht die geringste Freude erwächst daraus; Besitzer von Reichthümern fürchten sich sogar vor dem eigenen Sohne: diese Weise ist aller Orten vorgeschrieben.

587. (3590.) (Der Fürst) verrathe nicht Schlechten sein Vermögen, auch verrathe er ihnen nicht seine starken Seiten; von Guten nehme er Nichts und an einen schlechten Menschen schliesse er sich nicht.

588. (3591.) Wer bescheiden auftritt, wenn er zu grossem Vermögen, zu Wissen und Herrschaft gelangt ist, der wird für gebildet erklärt.

589. (3592.) Wer, bevor er die Zweckmässigkeit davon erkannt hat, daran denkt, seine Liebe einem Freunde oder einem Feinde zuzuwenden, auch der hat sich verrechnet.

590. (3593.) Freunde soll man, ohne Rücksicht darauf, ob man Geld hat oder nicht, darum bitten: wer nicht darum bittet, erkennt nimmer der Freunde Werth oder Unwerth.

[109] 591. (3594.) Dass die Geldsucht ein Uebel ist, habe ich lange erkannt: woran du dich auch klammerst, daran hängst du auch, o Gier!

592. (3602.) Wem es um höchstes Gedeihen von Reichthümern zu thun ist, der übe vor Allem Tugend, da ja von der Tugend der Reichthum nicht weicht, eben so wenig wie von der Himmelswelt der Nektar.

593. (214.) Es ist wahr, o Grosskönig, dass der Mensch des Geldes Sclave, das Geld, aber Niemandes Sclave ist: mit Geld haben mich die Kaurava gefesselt.

594. Des Reichthums Wurzel ist Ueberlistung und Geduld, der Liebe Wurzel Schönheit und Jugend, der Tugend Wurzel Mitleid und Selbstbeherrschung, der Erlösung Wurzel aber sind vorzügliche Werke.

595. (3595.) Beim Erwerben, beim Hüten und beim Verlust des Geldes erträgt man grosse Leiden; auch mordet man des Geldes wegen.

596. (215.) Reichthümer hat er sich erworben, doch dem Genuss giebt er sich nicht hin, gleichwie der thörichte Somilaka, als er in den grossen Wald gelangte.

[110] 597. (216.) Mag auch kein Vortheil, keine Annehmlichkeit, kein Ruhm daraus erwachsen, sondern blosser Nachtheil sich ergeben; dennoch bleiben Charakterfeste ihrem Gelöbniss treu und beginnen energisch das Werk.

598. (3596.) Grosse Reichthümer sind ja allerdings ein Uebel für diejenigen, die die wahre Erkenntniss haben, aber auch ein mässiger Besitz verwirrt stets Thoren.

599. (217.) Reichthum gleicht dem Staube der Füsse, Jugend dem raschen Laufe eines Gebirgsbaches, die Menschheit ist unstät und beweglich wie ein Wassertropfen, das Leben gleicht dem Schaume: wer nicht unwandelbaren Sinnes Tugend übt, die den Riegel des Himmels wegschiebt, der wird, wenn er alt geworden, von Reue getroffen, vom Feuer des Kummers verzehrt.

600. (218.) Gutes Einkommen, beständige Gesundheit, ein Freund, eine liebenswürdige Gattin, ein gehorsamer Sohn und eine nützliche Wissenschaft sind, o König, die sechs Glücksgüter der Menschheit.

601. Die Reichthümer bleiben im Hause und die Angehörigen kehren auf der Leichenstätte um; die guten und bösen Werke aber folgen dir nach auf deinem Wege zum Jenseits.

[111] 602. (3597.) Von Geld Gequälte haben keinen Vater und keinen Freund, von Liebe Gequälte keine Furcht und keine Scham, von Sorgen Gequälte keine Freude und keinen Schlaf, von Hunger Gequälte keine Kraft und keinen Verstand.

603. (3598.) Reichthümer aufzugeben fällt schwer; hütet man sie, so werden sie zu Feinden; sie zu erwerben kostet Mühe; darum soll man sich über ihren Verlust keine Sorgen machen.

604. Aus dem Gelde geht das Gute und das Angenehme und auch der Himmel hervor, o Fürst! Ohne Geld giebt es ja auch keinen Lebensunterhalt für die Menschen.

605. (219.) Leiden beim Erwerben von Reichthümern, so auch beim Erhalten der erworbenen; grosse Leiden bei der Einnahme und bei der Ausgabe: wie kann man behaupten, dass Reichthümer Freude brächten?

[112] 606. (220.) Du gebietest über Reichthümer, wir gebieten über Reden je nach Bedürfniss; du bist ein Kriegsheld, wir besitzen eine unverwüstliche Geschicklichkeit im Besänftigen des Uebermuthsfiebers der Worthelden; dir huldigen durch Reichthümer Verblendete, mir solche, die gern das Ohr leihen, um die Geistesschlacken abzustossen; machst du dir auch Nichts aus mir, so mache ich mir doch gar viel aus dir; da habe ich mich, o Fürst, schon davongemacht.

607. (3599.) Wer Herr über Reichthümer ist, über die Sinne aber nicht Herr ist, der kommt ja, weil er nicht die Herrschaft über die Sinne hat, um die Herrschaft.

608. (221.) Wenn die Menschenkinder Geld bedürfen, so begeben sie sich sogar auf eine Leichenstätte; den Vater sogar verlassen sie und ziehen in die Ferne, wenn er Nichts hat.

609. (222.) Wenn die Menschenkinder Geld bedürfen, so nähern sie sich brennendem Feuer; ein Kalb verlässt die Mutter, wenn diese die Milch verloren hat und das Junge nicht mehr nähren kann.

610. (223.) Wenn derjenige, der nach der Erlösung trachtet, nur den[113] hundertsten Theil von den Leiden ertrüge, die dieser nach Geld trachtende Thor erträgt, er würde der Erlösung theilhaftig werden.

611. (3600.) Ist der Bedürftigen kummervolles Auge nur ein Mal auf dein Antlitz gefallen, so wird es in solcher Lage, o Fürst, nimmer eines Andern Antlitz anschauen.

612. Wer Bedürftigen, die ihm ehemals einen Dienst erwiesen, erst Hoffnungen macht, wenn sie sich an ihn wenden, und hinterdrein diese nicht erfüllt, der gilt für den niedrigsten Menschen auf der Welt.

613. (3601.) Wer Bedürftigen, Freunden und Feinden niemals den Rücken kehrt, an dem hat der Vater einen wahren Sohn, die Mutter einen wahren Helden.

614. (224.) Der Bedürftige jammert; wer Reichthümer erlangt hat, ist stolz und unzufrieden; wer sein Vermögen verloren hat, ist betrübt; wohl befindet sich der Mensch, der keine Wünsche hat.

615. (225.) Der Bedürftige geniesst kein Ansehen, der Hochgestiegene fällt, der Verliebte zieht sich einen Spitznamen zu, der Habsüchtige bedeckt[114] sich mit Unehre, wer nicht kämpft, wird geringgeachtet, der Böse hat seine Freude an den Fehlern Anderer, der Besitzlose betrügt, der Aufgeregte ist nicht bei vollem Bewusstsein, der Betrübte ist in Besorgniss, wer Böses den Leuten nachredet, macht sich verhasst, der Spieler geräth immer und immer wieder in Noth.

616. Was nützt Reichthum, der in die Hand eines Geizhalses gelangt? Was eine Lehre, die sich auf dem Verfahren vieler Schelme stützt? Was Schönheit, die der Vorzüge und des Muths entbehrt? Was ein Freund, der im Augenblick der Noth nicht herbeieilt?

617. (226.) Alle Werke eines Mannes von geringem Verstande, der des Geldes entbehrt, versiegen wie kleine Bäche in der heissen Jahreszeit.

618. (227.) Angewachsenen und von allen Seiten zusammengetragenen Reichthümern entquellen ja alle Werke, wie Bergen die Flüsse.

[115] 619. (228.) Geld fängt man mit Geld, wie grosse Elephanten mit andern Elephanten; ein Armer kann ja keinen Handel treiben nach Wunsch.

620. (3603.) Mit Geld fängt man Geld, wie mit (zahmen) Elephanten wilde Elephanten, und wenn die Arbeit vollbracht ist, kümmert sich Niemand um den, der sie vollbrachte.

621. (3604.) Kein Geld ist zusammengescharrt, kein Wissen erworben und keine Kasteiungen (als ein Vorrath verdienstlicher Werke) eingesammelt worden und dennoch ist eine ganze Lebenszeit dahingegangen.

622. (229.) Nachdem er, dem die Glieder von der Anstrengung beim ungestümen Liebesgenuss ermüdet und erschlafft sind, die halbe Nacht auf dem einsamen Söller des stattlichen Hauses verbracht hat, will er, der am Weinrausch Gefallen findende Unglückliche, jetzt, da sich ein unerträglicher Durst eingestellt hat, nicht aus dem Kruge das Herbstwasser trinken, welches ihm die schlaffen Arm-Lianen der vom Minnespiel erschöpften Geliebten darreichen, Wasser, dessen Strahl durchsichtig wie der Mond ist.

623. (230.) Die Gattin ist die eine Hälfte des Men schen; die Gattin ist der beste Freund; die Gattin ist die Wurzel des Reichthums, der Annehmlichkeiten[116] und der Tugend die Gattin ist die Wurzel für den, der seinen Lebensweg glücklich zurückzulegen gedenkt.

624. Wer bei halb vollendetem Werke sein Geheimniss kundthut, der findet den Tod, wie der Reiher durch das Krebschen.

625. Was würden Brahmanen, wie giftlose Schlangen, zu thun vermögen, wenn sie die heiligen Schriften nur zur Hälfte studirten und das Brod von Çûdra's ässen?

626. (231.) Die Weiber verfahren mit einem verliebten (rothen) Manne wie mit rothem (verliebtem) Lack: nachdem sie ihn gewaltsam ausgepresst haben, werfen sie ihn sich zu Füssen (den Lack werfen sie fort, den Mann zwingen sie sich flehend zu Füssen zu werfen).

627. Das böse Geschick bemächtigt sich des schlafenden, trägen Mannes; der Thätige dagegen erlangt sicher seinen Lohn und wird des Glückes theilhaftig.

628. Fürsten, Minister, Aerzte und Asketen schmückt das Alter, Buhldirnen, Pläne, Sänger und Diener macht es lächerlich.

[117] 629. (232.) Pfauen ziert das Geschrei, wenn es durch Liebeslust beseelt wird; Weise ziert gar sehr die Rede, wenn sie mit Freundlichkeit gepaart ist.

630. (233.) Was er (der Herrscher) noch nicht hat, suche er zu erlangen; das Erlangte soll er sorgsam hüten, das Gehütete vermehren und das Vermehrte Würdigen zukommen lassen.

631. (234.) Was er (der Herrscher) noch nicht hat, suche er mit Gewalt zu erlangen; das Erlangte hüte er sorgfältig, das Gehütete vermehre er, das Vermehrte verschenke er.

632. Was er (der Herrscher) noch nicht hat, suche er rechtmässig zu erlangen; das Erlangte hüte er sorgfältig, das Gehütete vermehre er auf kluge Weise, das Vermehrte lasse er Würdigen zukommen.

633. Was die Menschen nicht haben, darnach verlangen sie, und was sie haben, das mögen sie, ach, nicht: im Winter sehnen sie sich nach Hitze, im Hochsommer dagegen, sieh da, nach Schnee.

634. (3605.) Diejenigen, die sich in den Schutz eines Fürsten begeben, gelangen zu Wohlfahrt, erhielten sie auch keine Reichthümer von ihm: sieh dir den mächtigen Feigenbaum an, der am Ufer eines grossen Sees steht.

635. Der Verständige härmt sich nicht, er mag einer Sache theilhaftig[118] werden oder nicht, sondern richtet sich nach den Umständen und legt keinen grossen Werth auf das Leben.

636. (3606.) Dem Manne, der Etwas zu erlangen begehrt, was er nicht erlangen soll, geht es so: erlangt er es nicht, so grämt er sich; scharrt er wirklich Etwas zusammen, so geht es ihm wieder verloren.

637. Wenn wir uns auch hundertmal die Wahrheit zu Gemüthe führen, dass man den Umgang mit einem Weibe meiden müsse, weil er gar flüchtig ist, einem Traume und Zauber gleicht und schliesslich einen bittern Geschmack zurücklässt, so vergisst das Herz dennoch nimmer die Gazellenäugige.

638. (3607.) Wozu Andere tadeln und ihre Vergehen erwähnen? Thue vielmehr was Gefallen erweckt, angemessen und dir selbst heilsam ist.

639. (235.) Einen trägen, geschwätzigen, rohen, stumpfen, auf Etwas versessenen, falschen, unzufriedenen und nicht ergebenen Diener entlasse ein Fürst.

640. (236.) Berichte, o Reizende, wer ist der Glückliche hier, den du heute mit träge sich wendenden, von Liebe überfliessenden Augen anschaust, mit Augen, die immer und immer wieder sich schliessen, einen Augenblick sich auf ihn richten, dann vor Scham hin und her gehen, auf eine Weile sich[119] abwenden und die im Herzen ruhenden ersten Gefühle der Liebe unwillkührlich verrathen?

641. (3608.) Wie käme der Träge zu Wissen? Wie der Unwissende zum Gefühl der Sicherheit? Wie der Besitzlose zum Freunde? Wie der Freundlose zu Behagen?

642. Der Träge, der Einfältige, der Glückliche, der Kranke, der Schläfrige und der Verliebte, diese sechs stehen ausserhalb des Gesetzes.

643. (3609.) In dem Falle hüten Weiber sich selbst, wenn sie keiner Männer habhaft werden und sich vor der Dienerschaft, vor Todesstrafe (oder körperlicher Züchtigung) und Gefangenschaft fürchten.

644. (3610.) Wen stürzt, o Mädchen mit dem festen Busen, nicht in's Verderben dein Antlitz mit den bienenschwarzen Locken, mit den lotusfarbenen Augen und von der Pracht des Mondes?

645. Diese Biene, die, träge in Folge des Rausches, den der Honigseim einer Wasserrose bei ihr bewirkt hatte, in den Blättern dieser Blume sass, begab sich nach dem Willen des Schicksals an einen andern Ort und findet jetzt grossen Gefallen am Saft der Kuṭaģa-Blüthe (Wrightia antidysenterica R. Br.).

646. Was nützt wohl die Grösse der Grossen, die im Besitz eines vollen Schatzes von Macht sind, wenn sie nicht, sobald sie von eines Andern Leiden hören, dasselbe sofort entfernen?

[120] 647. Wer an den, der guten Rath verschmäht, wenige oder viele Worte richtet, der nimmt Schaden durch diesen, wie der Vogel Sûḱîmukha durch den Affen.

648. (237.) Das Zusammenwirken selbst unbedeutender Dinge führt zum Ziele: mit Gräsern, die zu Stricken zusammengefügt wurden, werden brünstige Elephanten gebunden.

649. (238.) Dass ein Krug schon durch eine ganz geringe Menge Wassers voll wird, ist bekannt; sehet aber die übernatürliche Macht eines Brahmanen: Agastja, obgleich nur aus einem Kruge hervorgegangen, trank das Meer aus.

650. (239.) Wer genügsam, entschlossen und verständig ist, stets wie ein Schatten folgt und sich nicht lange bedenkt, wenn ihm ein Befehl ertheilt wird, der lebe am Hofe eines Fürsten.

651. »Woher kommt es, o Mädchen, dass deine Brüste in so früher Jugend schon sich gesenkt haben?« »Stürzen denn nicht, o Thor, auch Berge zusammen, wenn man sie untergräbt?«.

652. (3611.) Selbst ein kleiner Feind wächst, wie ein auf Wurzeln sich[121] bildender Ameisenhaufe, durch Anstrengungen stark an und verzehrt (den Gegner), wie der Ameisenhaufe den angrenzenden Baum.

653. (240.) Ein König, der aus niedrigem Geschlecht stammt, ein Kluger, der eines Dummen Sohn ist, und ein Armer, der zu Geld gekommen ist, achten die Welt einem Strohhalm gleich.

654. (3612.) Der Schöpfer hat gleichsam deshalb, weil innerhalb des Herzens der Weiber kein Platz für's Abgerundete (für gute Werke) ist, ausserhalb desselben die schön gerundeten Brüste gebildet.

655. (3613.) Ein Mann beschränkten Verstandes sieht den Verlust eines Freundes für einen in's Herz geschossenen Pfeil an; der kluge Mann dagegen hält jenen Verlust, weil er die Pforte zum Heil ist, für einen herausgezogenen Pfeil.

656. Man darf Niemand eine Gabe mit Geringschätzung oder zum blossen Scheine (nicht im Ernst) reichen: wird sie mit Geringschätzung gereicht, so richtet sie den Geber zu Grunde, darüber herrscht kein Zweifel.

657. (3614.) Gar arg sind die am Reichthum haftenden Mängel wegen der tausendfachen Geringachtung, die man seinetwegen erfährt; das Bischen Freude aber, das am Reichthum haftet, gewähren auch die Leiden.

[122] 658. (241.) Legt der Fürst Geringschätzung (des Verdienstes) an den Tag, so bilden Unverständige seine Umgebung; wenn diese dann am Ruder sind, so mögen kluge Leute nicht in der Nähe weilen; wenn die klugen Leute sich von der Regierung zurückziehen, so besteht kein ordentliches Regiment; ist das Regiment zu Grunde gegangen, so muss nothwendig die ganze Welt verkommen.

659. (3615.) Nachdem man zuvor durch Andacht, Schweigen, ein rothes Gewand, Flechten und Fellbekleidung (lauter Kennzeichen eines Mannes, der der Welt entsagt hat) beim Feinde Vertrauen erweckt hat, falle man wie ein Wolf über ihn her.

660. (3616.) Verständige Frauen empfinden ja hinterher einen Seelenschmerz darüber, dass sie die demüthigen Huldigungen eines Geliebten zurückwiesen, und geben ihre Reue dadurch zu erkennen, dass sie ihn auf diese oder jene Weise zu versöhnen suchen.

661. (179.) Es giebt Nichts in der Welt, was der Verstand der Verständigen nicht zu vernichten, zu erreichen oder zu vollbringen im Stande wäre: darum soll man diesen anwenden.

[123] 662. (180.) Brahmanen, Kühe, Verwandte, Kinder, Frauen, diejenigen, deren Brod man isst, und die sich in Schutz begeben haben, dürfen nicht getödtet werden.

663. (3617.) Daraus, dass die Gluth deines Körpers, o Freundin, weder durch Mondstrahlen zu heben noch durch Sandelwasser zu heilen ist, ersieht man leicht, dass dein Herz liebeskrank ist.

664. (181.) Ein Brahmane, ein Kind, eine Frau, ein Asket und ein Kranker dürfen nicht mit dem Tode bestraft werden; bei schwerem Vergehen ist Verstümmelung derselben vorgeschrieben.

665. Gegen Hochmüthige, Thoren, Rohe, Unbesonnene und Tugendlose soll der Verständige keine Freundlichkeit an den Tag legen.

666. (3618.) Wolken mit ihren vom Winde bewegten Regen vermehren den Uebermuth des Liebesgottes, vermindern aber den der Sommerhitze.

667. (242.) Das Thun derer, die Sinne und Gedanken nicht in der Gewalt haben, ist wie das Baden der Elephanten; blosses Wissen ohne Handeln ist, wie der Schmuck eines dem Manne missfallenden Weibes, nur eine Last.

[124] 668. (243.) Die Gegenstände des Sinnengenusses gehen, wenn sie auch längere Zeit bei uns verweilen, doch nothwendig einst von dannen. Welcher Unterschied besteht bei der Trennung, dass der Mensch sie nicht selbst fahren lässt? Gehen sie von selbst davon, so bereiten sie dem Herzen unsäglichen Schmerz; giebt man sie dagegen freiwillig auf, so gewähren sie das unendliche Glück der inneren Ruhe.

669. (3619.) Nothwendig empfängt der Thäter den furchtbaren Lohn der bösen That nach Ablauf einer bestimmten Zeit, wie der Baum die der Jahreszeit entsprechende Blüthe.

670. (244.) Alle Menschen müssen hier nothwendig in den Tod gehen; eine Trauer aber um Etwas, das nothwendig erfolgen muss, giebt es nicht.

671. (245.) Verhältnisse, die nothwendig erfolgen müssen, erfolgen selbst bei Hochstehenden: so die Nacktheit Çiva's, so das Schlafen Vishnu's auf der grossen Schlange.

672. Alles, was man zu rechter Zeit spricht, wird zu einem beredten Worte: wenn man auf Reisen geht, ist ein Holzheher mit seiner rauhen Stimme von guter Vorbedeutung.

673. Ein Wort, das Männer zu rechter Zeit sprechen, hört sich prächtig an, entgingen ihm auch alle Vorzüge: wenn Weiber bei Gelegenheit des Liebesgenusses ihren Schmuck fahren lassen, so wird dieses zum Schmuck.

[125] 674. (3620.) Befindet sich der Feind in misslicher Lage und bietet er Blössen, so werden alle Jahreszeiten zum Angriff desselben für angemessen erachtet.

675. (3621.) In ein (feindliches) Heer, das aus Furcht vor einem Angriff anhaltend gewacht hat und dessen Krieger schlaftrunken sind, haue der Fürst am Tage ein.

676. (3622.) Wünsche erreichbare, nimmer aber unerreichbare Dinge, geniesse die gegenwärtigen und betrübe dich nicht wegen der zukünftigen.

677. (246.) Wenn man Jemand, der nicht nachdenkt, Beweisgründe vorführt, so ist dieses, als wenn man leere Hülsen zermalmte; gemeinen Menschen Dienste erweisen heisst, o König, ein Siegel in Sand drücken.

678. (3623.) Wer, bevor er den Sieg über sich selbst erfochten hat, seine Räthe, oder, bevor er den Sieg über diese erfochten, seine Feinde zu besiegen gedenkt, der geht, er mag wollen oder nicht, zu Schanden.

679. (3624.) Wer, bevor er sich mit der Frucht (dem Ausgang) vertraut gemacht hat, sogleich zur That schreitet, der trauert zur Fruchtzeit, wie derjenige, der einen Ki çuka (Butea frondosa) pflegt.

[126] 680. (247.) Die Worte eines guten Dichters giessen, auch wenn man ihre Vorzüge nicht erkennt, einen Strom süssen Nektars in die Ohren: ein Mâlatî-Kranz entzückt ja das Auge, auch wenn man seinen Wohlgeruch nicht empfindet.

681. Der Mann, der die Weltseele (die höchste Wonne) nicht erkannt hat, behauptet, dass nur die Sinnesgegenstände reizend seien: nur Sesamöl ist ein Leckerbissen für den, der niemals Schmelzbutter geschaut hat.

682. Diejenigen, die keinen Unterschied kennen zwischen; wissen nicht genau, was Gezisch und was Laut ist: bei ihnen schliesst man nur von den Zähnen auf einen Unterschied zwischen After- und Mundöffnung.

683. (248.) Wer, bevor er seine eigene und des Gegners Kraft erkannt hat, in der ersten Hitze dem Feinde entgegen geht, findet den Tod, wie eine Motte, die in's Feuer fliegt.

684. (269.) Zu beklagen ist ein ungebildeter Mensch; zu beklagen Liebesgenuss, bei dem keine Nachkommenschaft erzielt wird; zu beklagen sind Unterthanen, die Nichts zu essen haben; zu beklagen ein Reich ohne König.

[127] 685. (249.) Ein Leben ohne Wissen ist leer; die Welt ohne Verwandte ist leer; ein Haus ohne Sohn ist leer; Armuth ist leer durch und durch.

686. (3625.) Der Brahmane, er mag ungelehrt oder gelehrt sein, ist eine grosse Gottheit, wie auch das Feuer, es mag zu den Altären hingetragen sein oder nicht, eine grosse Gottheit ist.

687. (3626.) Die Weiber vermögen ja in der Welt sowohl den Gebildeten wie auch den Ungebildeten auf Abwege zu führen, da beide in der Gewalt der Liebe und des Zornes stehen.

688. (250.) Auch ein unwissender König gedeiht, wenn er durch Wissen hervorragenden Männern huldigt: es ergeht ihm dann wie dem Baume, der nahe am Wasser steht.

689. (251.) Wer an schlechtem Benehmen Freude findet, den bringen seine Feinde rücksichtslos und trotz seines Sträubens in ihre Gewalt; wer dagegen die vernommenen Regeln des guten Benehmens befolgt, der unterliegt, selbst wenn er schwach ist, in keinem Falle.

[128] 690. Beim Ungebildeten bleibt das Wissen nicht lange, wie die Perlenschnur, die an den Hals des Affen gebunden wurde.

691. (252.) Schlechtgeartete Dienerschaft, ein karger Fürst, falsche Freunde und eine ungesittete Frau: diese vier machen Kopfschmerz.

692. (253.) Wer einen friedlichen und im Glücke befindlichen Mann auf den Weg des Unglücks bringt, der wird ohne allen Zweifel in allen Wiedergeburten unglücklich sein.

693. (254.) Wenn ein Fürst keine Einsicht hat, sind alle Vorzüge eines vorzüglichen Mannes umsonst da, gleichwie der schwellende Busen eines treuen Weibes, wenn der Geliebte Gefallen findet in der Fremde zu leben.

694. (255.) Ohne auszuruhen trägt er seine Last, empfindet weder Kälte noch Hitze und ist stets zufrieden: diese drei Dinge lerne man vom Esel.

695. (256.) Einem mächtigern Feinde gegenüber verhalte man sich stets misstrauisch und spiele doppeltes Spiel, indem man sich sowohl zum Frieden als zum Kriege bereit zeigt.

[129] 696. Gift ist nicht Gift, so sagt man; dagegen heisst es, dass eines Brahmanen Eigenthum (wenn es ihm entzogen wird) Gift sei: Gift tödtet, wie man weiss, nur Einen, eines Brahmanen Eigenthum aber Kinder und Enkel.

697. (3627.) Wer seinem Worte treu bleibt, thätig, dankbar, klug und redlich ist, der findet ja Anhang, wäre sein Schatz auch erschöpft.

698. (3628.) Das Worthalten, Spenden, Erfüllen eines Vertrages und eine wohlangebrachte Rede führen uns die Geschöpfe zu.

699. (257.) Man verlasse eine Gegend, die keinen Lebensunterhalt gewährt; man meide einen Lebensunterhalt, der mit Gefahren verknüpft ist; man lasse von einem hinterlistigen Freunde und entsage Schätzen, die Einem das Leben rauben könnten.

700. Sogar nach langem Aufenthalt verlassen Diener einen Herrn, der keinen Lebensunterhalt mehr gewährt, Bienen einen Baum, der keine Blüthen mehr hat, und Gänse einen See, der kein Wasser mehr hat.

701. (258.) Man willfahre nach Kräften denjenigen, die von Nahrungssorgen, Krankheit und Kummer heimgesucht sind; sogar auf Würmer und Ameisen sehe man stets wie auf sich selbst.

[130] 702. (3629.) Gemeine Menschen fürchten sich vor mangelndem Lebensunterhalt, mittelmässige vor dem Tode, vorzügliche Menschen dagegen fürchten sich über Alles vor Geringschätzung.

703. Ich (Râma spricht) halte sie (Sîtâ) zwar für unschuldig, aber die üble Nachrede der Welt gilt bei mir viel: haben doch die Menschen den Schatten der Erde fälschlicher Weise zu einem Flecken des reinen Mondes gemacht!

704. (259.) Verhüllt ist der Anfang der Wesen, offen zu Tage liegt die Mitte, o Bhârata, wiederum verhüllt ist das Ende: wo ist da ein Grund zur Wehklage?

705. Gar seltsam erscheint, o Göttin der Rede, deine Schatzkammer: verausgabt man Nichts, so erschöpft sie sich; verausgabt man viel, so füllt sie sich.

706. (260.) Wie ja ein junges Weib einen alten Gatten nicht umarmen mag, so die Glücksgöttin nicht den, der Nichts unternimmt, träge, verhängnissgläubig und jeder kühnen That abgeneigt ist.

707. (261.) Ein Mann, dem es beikommt Dinge zu treiben, die nicht seines Amtes sind, findet den Tod, wie der Affe, der den Keil herauszog.

[131] 708. (3630.) Gar Nichts sagen, so heisst es, ist besser als überhaupt Etwas sagen; sagt man die Wahrheit, so ist dieses das Zweitbeste; sagt man das Rechte, so ist dieses das Drittbeste; sagt man etwas Angenehmes, so ist dieses das Viertbeste.

709. Gut pflegt ein Schwächling zu sein, keusch ein Armer, gottesfürchtig ein Kranker und treu ein altes Weib.

710. (3631.) Wenn elende Wichte ohne Macht sich ihrer Macht in Gegenwart grosser Männer rühmen, so setzen sie sich dem Gelächter aus.

711. (262.) Schwache müssen vor einem starken Feinde die Flucht ergreifen oder sich in den Schutz einer Feste begeben: einen andern Ausweg giebt es nicht für sie.

712. Der Verständige unternimmt nicht Unmögliches, thut nicht Unthunliches, spricht nicht Unwahres und giebt sich nicht der Trägheit hin.

713. (263.) Wie sollten diejenigen, die Unmögliches zu unternehmen pflegen, andern Lohn als Beschwerden einernten? Wie sollte doch derjenige, der Luft einschlürft, einen Bissen in den Mund bekommen?

714. Sei misstrauisch gegen diejenigen, die kein Misstrauen in dich[132] setzen, zumal aber gegen diejenigen, die in dich Misstrauen setzen: eine Gefahr, die von dem erwächst, in dem man kein Misstrauen setzen zu müssen glaubte, zerhaut sogar die Wurzel (d.i. vernichtet bis auf den Grund).

715. (3632.) Sei misstrauisch sogar gegen den, in den du kein Misstrauen zu setzen brauchst; gegen diejenigen aber, in die du Misstrauen setzest, sei stets misstrauisch: eine Gefahr, die von dem erwächst, in den du kein Misstrauen setztest, vernichtet dich bis auf den Grund.

716. (264.) Wenn die Glücksgöttin einen ehrlichen, geraden, genügsamen, freigebigen, anhänglichen, klugen Mann nicht aufsucht, dann ist ja sie selbst dabei die Betrogene.

717. Ein Bösewicht, der dem Lehrer nur für genossene Speise sich dankbar zeigt, kommt nicht einmal einem Hunde gleich; man erweise dem schlechten Menschen noch so viele Dienste, Freundschaft kommt bei ihm nimmer zur Erscheinung, eben so wenig wie eine Liane in der Luft.

718. (3633.) Wie das Essen auf die Sinne einwirkt, so auch auf alle Angelegenheiten: aus diesem Grunde sagt man, dass Reichthum Alles zu Stande bringe.

719. (3634.) Ein Fürst, der nicht mit dem Auge der Lehrbücher schaut,[133] wird blind genannt: es ist besser blind zu sein, als sehend in seinem Stolze den Weg der Guten zu verschmähen.

720. (3635.) Wer, o Fürst, einen Ununterweisbaren unterweist, einem Habenichts dient und sich an einen Geizhals wendet, den nennt man einen Dummkopf.

721. (265.) Der Fürst muss, wenn er auch nicht hören mag, von seinen Ministern aufgeklärt werden, wie der Sohn der Ambikâ es von Vidura wurde, damit dieser sich von jeglicher Schuld frei erhielte.

722. (266.) Nicht Beklagenswerthe beklagtest du und sprichst doch Worte der Vernunft: Verständige beklagen weder Gestorbene, noch Lebende.

723. (267.) Irdische Wesen sind nicht zu beklagen: der Thor, der sie beklagt, schafft sich aus Leid neues Leid, nimmt zwei Mal Schaden.

724. (268.) Nicht zu beklagen ist ein Armer, wenn er klug ist; nicht zu beklagen ist derjenige, welcher Gelehrte unter seinen Verwandten zählt; nicht zu beklagen ist eine Wittwe, die an Söhnen und Enkeln einen Halt hat.

725. Der schlechte Mann, der bei sich denkt: »ich habe ja Essen und[134] Kleidung« und in Folge dessen bei keiner Gelegenheit seinen Unmuth an den Tag legt, gilt für Einen der Niedrigsten.

726. (270.) Lasset uns erbetteltes Brod essen, lasset uns in das Gewand der Weltgegenden uns kleiden (d.i. nackt einhergehen), lasset uns auf der blossen Erde schlafen: was haben wir mit den vornehmen Herren zu schaffen?

727. (3636.) Wer ungelehrt und dabei hochfahrend ist, wer arm und dabei stolz ist, und wer ohne Arbeit zu Reichthümern zu gelangen gedenkt, der wird von den Weisen ein Thor genannt.

728. Je umfangreicher der Rücken eines Pferdes, die Schulter eines Elephanten, die Brust der Weiber und das Messer zum Schneiden der Zahnreiniger ist, desto angenehmer.

729. (3637.) Der Pferde Sprung, Donner im Frühling, der Weiber Sinnesart, des Mannes Schicksal so wie Mangel oder Ueberfluss an Regen kann ein Gott nicht vorhersagen, wie viel weniger ein Mensch?

730. Tausend Rossopfer und die Wahrheit wurden einst gegen einander abgewogen und es ergab sich, dass die Wahrheit schwerer wog: so wissen es die Kenner des Veda.

[135] 731. (271.) Werden tausend Rossopfer und die Wahrheit gegen einander abgewogen, so ergiebt sich ja, dass die Wahrheit besser denn tausend Rossopfer ist.

732. Tausend Rossopfer und die Wahrheit wurden gegen einander abgewogen und da ich sie gewogen, sehe ich, dass die Wahrheit schwerer wiegt.

733. Nachdem ich tausend Rossopfer und die Wahrheit gegen einander abgewogen, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob die tausend Rossopfer auch nur die Hälfte des Gewichts der Wahrheit erreichen.

734. Wenn der Lohn für tausend Rossopfer und die Wahrheit gegen einander abgewogen werden, dann wird jener Lohn, o König, zu Schanden und das grössere Gewicht ist auf Seiten der Wahrheit.

735. (272.) Ross, Waffen, Lehre, Cither, Rede, Mann und Weib pflegen, je nachdem sie diesem oder jenem zu Theil werden, unbrauchbar oder brauchbar zu sein.

736. Bei Pferden, Fahnen, Knaben, feilen Dirnen, Spassmachern und Gewändern ist Beweglichkeit ein grosser Schmuck.

[136] 737. Mit Pferden fahren nennt man wahres Fahren, mit Weibern spielen wahres Spiel, Fleisch essen wahres Essen; alles Andere ist kein Fahren, kein Spiel und kein Essen.

738. (3638.) Nicht die acht Hauptberge, nicht die sieben Meere, nicht Brahman, Indra, Sonne und Çiva, nicht du, nicht ich, nicht diese Welt werden bestehen: warum giebt man sich dennoch der Trauer hin?

739. Was ist erfreulicher, als, anstatt zu schlechten Freunden seine Zuflucht zu nehmen, im eigenen Hause für jede achte oder auch nur für jede zwölfte Mahlzeit sich ein Gemüse zu kochen?

740. (3639.) Acht Vorzüge verleihen Glanz dem Manne: Verstand, Adel, Selbstbeherrschung, Gelehrsamkeit, Muth, weniges Reden, Spenden nach Kräften und Dankbarkeit.

741. In der Welt der Menschen giebt es, o Fürst, acht Vorzeichen der Himmelswelt; unter diesen sind vier, die Gute von Andern erlernen, und vier, denen Gute von selbst nachgehen.

742. Opfer, Spenden, Studium und Kasteiungen, diese vier erlernen Gute von Andern; Selbstbeherrschung, Wahrhaftigkeit, Redlichkeit und Barmherzigkeit, diesen vieren gehen Gute von selbst nach.

[137] 743. (3640.) Wie die Sonne acht Monate hindurch mit ihren Strahlen das Wasser an sich zieht, so erhebe stets (der Fürst) die Abgabe aus dem Reiche: dieses ist ja die sogenannte Weise der Sonne.

744. (3641.) Wer nicht mit Andern theilt, bösgesinnt, undankbar und schamlos ist, ein solcher Mensch, der Niedrigsten Einer in der Welt, muss gemieden werden, o Fürst!

745. (273.) Ohne Zweifel eignet sie (Çakuntalâ) sich zur Gattin eines Kriegers, da mein edles Herz nach ihr verlangt: in zweifelhaften Dingen ist ja bei Guten die Stimme des Innern entscheidend.

746. Unzählige kennen die Fehler Anderer, nur einige Wenige die Vorzüge; ob aber irgend Jemand seine eigenen Fehler kennt, unterliegt dem Zweifel.

747. (274.) Durch Anschluss an Schlechte verändern sich Gute: Bhîschma zog auf Rinderraub aus, weil er sich dem Durjodhana angeschlossen hatte.

748. Ein untreues Weib stellt sich verschämt, salzhaltiges Wasser ist kühl, ein Heuchler klug und ein Schelm führt freundliche Worte im Munde.

[138] 749. (1893.) Leeres Geschwätz, beleidigende Worte, Hinterbringerei und Unwahrheit, diese vier, o grosser König, soll man nicht im Munde führen und auch nicht daran denken.

750. (275.) Mangel an Wahrheitsliebe, Grobheit, Undankbarkeit, Furchtsamkeit, Fahrlässigkeit, Trägheit, Kleinmuth, falscher Stolz, allzugrosse Unschlüssigkeit, so wie auch Weiber, Würfel und Anderes, untergraben das Glück.

751. (3642.) Junge Weiber sind stets unwahr, unnatürlich und von schwer zu gewinnendem (oder: schwer zu ergründendem) Herzen, schmieden böse Anschläge und erkalten alsbald in ihrer Liebe.

752. (3643.) Die Weiber sind in dieser ganzen Welt, auch wenn sie von ihren Gatten gut behandelt werden, stets untreu; geräth der Mann in's Unglück, so mögen sie ihn nicht mehr.

753. Es ist dies, o Herr, ein schlechter Brauch bei uns Weibern, dass wir mit Hintansetzung der Scham auch schlechte Männer lieben.

754. (276.) Nur schlechte Menschen geniessen der Schlechten Reichthümer: die Kimpâka-Gurke essen die Krähen und sonst Niemand.

[139] 755. (277.) Brahmanen sind verloren, wenn sie ungenügsam, Fürsten, wenn sie genügsam sind; Buhldirnen sind verloren, wenn sie verschämt, angesehene Frauen, wenn sie schamlos sind.

756. (3644.) Werden unbedeutende Männer in irgend einer Angelegenheit irgendwann von bedeutenden Männern um Etwas gebeten, so halten sie sich für bedeutend und den berühmten Mann für unbedeutend.

757. Thoren sind über die Maassen ungenügsam, während Weise genügsam sind: Ungenügsamkeit hat keine Grenze, Genügsamkeit dagegen ist das höchste Glück.

758. (3645.) Dadurch, dass die Guten sich nicht von den Bösen lossagen, sondern sich zu ihnen gesellen, trifft sie gleiche Strafe: frisches Holz wird mit dürrem verbrannt, weil es sich zu ihm gesellt. Nie und nimmer geselle man sich zu Bösen.

759. (278.) Wer, durch Stolz geblendet, sich nicht verträgt, dem ergeht es wie einem ungebrannten Kruge: wird er auch nur von Einem seines Gleichen hart angestossen, so bereitet er Beiden, sich und diesem, den Untergang.

[140] 760. (279.) Wie wird ein verständiger Mann an die Weiber denken, bevor er das Werk seines Ehrgeizes vollbracht hat? Der Sonnengott huldigt nicht der Abendröthe, bevor er die ganze Welt überschritten hat.

761. (3646.) Gewiss flieht der stolze Löwe aus dem Grunde vor der Gazelle, weil er meint, er werde bei einem Streite mit einem Unebenbürtigen diesem gleich werden.

762. (280.) Aus drei Ursachen verlässt ein Diener einen reichen Herrn: wenn er von unter ihm Stehenden wie Einer ihres Gleichen behandelt wird, wenn ihm Gleichstehende es an freundlicher Behandlung fehlen lassen und wenn man ihm nicht die oberste Stelle anweist.

763. Im Unglück höchster Gewinn, ferner Mittheilung von Geheimnissen und auch Rettung aus dem Unglück sind die drei vom Freunde kommenden Früchte.

764. (281.) Ein Mann, der Nichts zu Wege bringt (keinen Sinn giebt), weder durch Stand (einen Artbegriff, d.i. als Nomen appellativum), noch durch Handlungen (durch einen in ihm enthaltenen Thätigkeitsbegriff), noch durch Vorzüge (durch einen in ihm enthaltenen Eigenschaftsbegriff), dessen Geburt dient wie ein zufällig entstandenes Wort nur zur Gewinnung eines Namens (eines Nomen proprium).

[141] 765. (282.) Wenn die Menses bei ihr noch nicht er schienen sind, heisst sie Gaurî (die Röthliche), sind die Menses da – Rohinî (die Rothe), ohne Pubes – Kanjâ (Mädchen), ohne Brüste – Nagnikâ (die nackt Einhergehende).

766. (283.) Es kommt nicht vor, dass eine goldene Gazelle geboren würde, und dennoch setzte Râma (wie er meinte) einer solchen nach: wenn die Zeit des Unglücks bevorsteht, pflegt ja der Geist der Menschen sich zu verfinstern.

767. (284.) Wer Vorzüge preist, die nicht vorhanden sind, schämt sich hinterdrein vor sich selbst: wer wird nicht verlacht, wenn er den Karṇikâra wohlriechend nennt?

768. (3647.) Wenn es Einem sogleich in die Augen springt, dass Etwas unmöglich sei, dann sage man dieses nicht: wie mit dem Gesange des Affen, so verhält es sich, o König, auch mit dem, dass ein Stein schwimme.

769. (285.) Das Geld hat der Geizige, da er es nicht geniesst, mit Andern gemein; dass es ihm gehört, bemerkt man erst an seinem Schmerz, wenn er es verliert.

[142] 770. (286.) Was wird ein Hochstehender, selbst wenn er Macht besitzt, ohne Gefährten zu Stande bringen? Feuer, das bei Windstille brennt, löscht von selbst aus.

771. Nicht soll man ohne Gefährten ein Werk verrichten, selbst wenn man dazu die Fähigkeit besässe: Reiskörner, fehlte ihnen auch nur die Hülse, schiessen nimmer auf.

772. (287.) Verständige, Kluge und gut Unterrichtete bringen auch ohne besondere Mittel ihre Angelegenheiten schnell zu Stande, wie die Krähe, die Maus, die Gazelle und die Schildkröte.

773. (288.) Der Mensch ist fürwahr schon von Geburt böse oder gut; durch Umgang wird Niemanden weder Bosheit noch Herzensgüte zu Theil: obgleich zwischen Edelstein und Schlange die schon bei ihrer Entstehung vorhandene Verbindung mit der Zeit noch inniger wird, so eignet doch weder der Edelstein die Fehler der Schlange, noch die Schlange die Vorzüge des Edelsteines sich an.

774. Wird man gewahr, dass man mit einem Gegner nicht fertig werden kann, so suche man dessen Erben, der nach der Herrschaft begehrt und sich dazu eignet, auf seine Seite zu ziehen, wie es Râma mit Vibhîshana that.

[143] 775. (3648.) Die böse Schlange Bösewicht hat ein zweizüngiges Maul und speit ein scharfes Gift, Worte genannt, das sich durch keine bewährten Zaubermittel bannen lässt.

776. (289.) Möge die Sinnenwelt, auf die man doch schliesslich unerquickliche Mühe wendet, immerhin eitel und nichtig erscheinen, oder auch verabscheut werden, da sie ja der Sitz aller Uebel ist; dennoch bricht im Herzen, selbst bei denjenigen, welche den Geist auf das Wahre gerichtet haben, ihre ungeheure, unbeschreibliche, räthselhafte Macht hervor.

777. (290.) In dem fürwahr nichtigen Leben ist das Haus des Schwiegervaters das Beste: Çiva ruht auf dem Himâlaja (dem Vater seiner Gattin Durgâ), Vishnu ruht im grossen Ocean (dem Vater seiner Gattin Lakshmî).

778. (3649.) In dem fürwahr nichtigen Leben ist eine Gazellenäugige das Beste; ihretwegen strebt man nach Geld; was nützt aber das Geld, wenn man ihr entsagt?

779. (291.) In dem fürwahr nichtigen Leben sind diese vier Dinge das[144] Beste: der Aufenthalt in Kâçî (Benares), der Umgang mit vorzüglichen Menschen, das Wasser der Gangâ und die Verehrung Çiva's.

780. (3650.) Jener zu Höhe gelangte (aufgegangene), von seinen Unterthanen geliebte (rothscheibige) Fürst (Mond) bezaubert die Herzen der Welt durch milde Abgaben (Strahlen).

781. (292.) Ihre zusammengezogene Braue spielt den Bösewicht: sie ist schwarz (schwarzen oder ungebundenen Geistes), hochfahrend, legt unstätes Wesen an den Tag und ist kraus (falsch) wie eine Schlange.

782. (3651.) Wie zog, o Fürst, das Glück ein und wie tauchte der Ruhm auf auf dem von Feindesblut schlüpfrigen Pfade der Schwertschneide?

783. (293.) Eine Unterhaltung ohne unangenehme Störungen, ferner Mittheilung eines Geheimnisses und Rettung aus dem Unglück sind die drei Früchte der Freundschaft.

784. (3652.) Ohne Freunde und auch mit Freunden, mit Feinden und auch mit Bundesgenossen, mit Verstand und auch ohne Verstand gelangt man durch das Schicksal zu Freuden.

[145] 785. (294.) Bei einer Finsterniss, so dicht, dass eine Nadel nicht durchzudringen vermag, bei einem Himmel, der von dem Getöse dicker Wolken erfüllt wird, beim Sturz der Wassermassen von den Felsen herab, führt, so meine ich, das Zucken des Blitzes, so reizend wie das Funkeln des Goldes, den Schönäugigen, schon auf dem Wege zu ihren Geliebten, das Ergötzen, aber auch die darauf folgende Erschöpfung vor Augen.

786. (3653.) Wer da murrt, bissig, roh, zänkisch und falsch ist, geräth alsbald in grosse Noth, indem er Böses übt.

787. (3654.) Murren ist, um es kurz zu sagen, der Tod, beleidigende Worte sind des Glückes Untergang; Ungehorsam (gegen den Lehrer), Flüchtigkeit und Selbstlob sind die drei Feinde des Wissens.

788. (295.) Glücklich nenne ich das Leben jenes mir noch Unbekannten, der die Pforten der Reichen nicht besuchte, den Schmerz der Trennung nicht kennen lernte und kein unmännliches Wort redete.

789. (3655.) Untergegangen ist die Sonne da, der einzige Freund der Tagwasserrosen; über das vom Schicksal verhängte Geschick kommt Niemand hinweg. He Vogel Ḱakravâka, fasse Muth und lass die Trauer fahren: Muthige überwinden das Ungemach, nimmer aber Kleinmüthige.

[146] 790. (3656.) Anspruchlos ehre man die Ehrenwerthen, ohne Falsch warte man Aeltern auf, ohne Heuchelei verehre man die Götter und strebe nach einer untadelhaften Wohlfahrt.

791. (3657.) Man sagt, dass ein (guter) Bote acht Vorzüge besitze: dass er anspruchlos, männlich, nicht saumselig, mitleidig, sanft, unbestechlich und von kräftiger Gesundheit sei und eine edle Sprache führe.

792. (3658.) Wenn die westliche Himmelsgegend in die gesammten auf dem Gipfel des Berges Asta ausgestreuten Sonnenstrahlen gehüllt ist, gleicht sie einer Jungfrau, auf deren starkem Busen ein schönes röthliches Tuch liegt.

793. Im Meere ist Wasser, das ist salzig, was fängt man damit an? Besser ist dieser winzige Brunnen, aus dem die Leute sich bis zum Halse satt trinken.

794. (296.) Derjenige, dem Sohn, Diener und auch Frau zu Willen sind, und dem beim Mangel Zufriedenheit nicht abgeht, der ist hier auf Erden schon im Himmel.

795. Obgleich es überall Wasser giebt, das mit Wasserrosen prangt, so freut sich das Herz des Flamingo doch nicht, wenn er nicht am See Mânasa ist.

[147] 796. Von keinem Bestand ist Haus und Garten, von keinem Bestand Reichthum und Jugend, von keinem Bestand ist in der Welt das Leben; Verdienst, Ehre und Ruhm aber haben Bestand.

797. Mit dem unbeständigen Leibe vollbringe man ein beständiges Werk: die Lebensgeister gehen wie Gäste einst sicher von dannen.

798. Dein Ruhm, o Fürst, glänzt wie Knochen, wie saure Milch, wie eine Muschel, wie ein weisser Reiher und auch wie die Zähne eines Asketen.

799. »Gieb mir den Segen auf die Reise! Was weinst du, o Geliebte? Sage mir doch den Grund.« »O du mein Gatte! Es thränen mir die Augen vom Rauche, den die heftige Gluth des Trennungsfeuers erzeugt.«

800. (3659.) Meine Kleider sind, o Freundin, nicht hübsch, mein Halsschmuck nicht glänzend, mein Gang nicht tänzelnd, mein Lachen nicht laut schallend, auch bin ich frei von jedem Liebesrausch; nichtsdestoweniger sagen sogar andere Leute, dass mein Liebster, obgleich er schön sei, seinen Blick auf keine Andere werfe, und ob solchen Besitzes halte ich Jedermann für arm.

[148] 801. (297.) In dieser Familie aber kommt kein Kind ohne Vorzüge zur Welt: wie sollte in einer Mine von Rubinen ein Bergkrystall erscheinen?

802. Es geht die Sage, dass die Zeit die Geschöpfe in diesem Kessel »grosser Unverstand« am Feuer »Sonne« und mit dem Holze »Tag und Nacht« koche und mit dem Löffel »Monat und Jahreszeit« umrühre.

803. (3660.) Thörichte Herren meiden, um ihr Glück besorgt, einen Diener aus der Zeit der Noth in Betracht dessen, dass während seiner Dienstzeit ein Unglück sich ereignete.

804. Was thun nicht Alles die Gelehrten diesem bösen Bauche zu Gefallen? Sie lassen Haus für Haus die Göttin der Rede wie eine Aeffin tanzen.

805. (298.) Wozu nützt, o Freund Kokila, dein zartes Gezwitscher an diesem, von tauben Menschen bewohnten Orte? Diese vom Schicksal Geschlagenen halten ja, da sie auf liebliche Töne sich nicht verstehen, dich für eine Krähe, weil du mit dieser von gleicher Farbe bist.

806. (3661.) Angesichts der Zierlichkeit ihres Ganges kann sich der Flamingo jetzt nicht mehr brüsten; bei ihrem Gespräch müssen die Kokila sich Schweigen auferlegen; bei der Zartheit ihrer Glieder erscheint die Jasminstaude[149] steinhart; bei ihrer Schönheit muss, um es kurz zu sagen, Lakschmî zum rothen Nonnengewand greifen.

807. (3662.) Wenn nicht der Herr der Geschöpfe diesen Körper so geschaffen hätte, dass das Fleisch daran mit nichts mehr als mit einer weiten Haut, so fein wie der Rand des Blüthenblattes einer jungen blauen Wasserrose, überzogen wäre, wer würde wohl dann irgendwie Geier, Krähen und Wölfe abwehren können, wenn sie auf den Körper stürzten und einen mit frisch strömenden Blute vermischten Fleischbissen packten?

808. (3663.) Die Weiber müssen Tag und Nacht von ihren Männern in Abhängigkeit gehalten werden, und da sie an der Sinnenwelt hängen, so müssen jene sie unter ihre Botmässigkeit stellen.

809. (299.) Der Thor, welcher sich einbildet, er stehe beim Fürsten hoch angeschrieben, ist für einen Ochsen anzusehen, dem nur die Hörner fehlen.

810. (300.) O du böse Selbstsucht, mache dass du fortkommst, hier sollst du nicht weilen! Ich bin nicht zugänglich für den Hochmuth, scheere dich, du Schändlicher! He Zorn, suche dir eine andere Stätte! In unserm Herzen soll der Schützer der Dreiwelt, jener Gott Vishnu wohnen, und keinen Andern wollen wir im Sinne haben.

[150] 811. Das Selbstgefühl spricht zum Verstande: wecke nicht die schlafende Weltseele, da mit ihrem Erwachen es um dich, um mich und um die Welt geschehen ist.

812. Tag für Tag gehen Geschöpfe zur letzten Ruhestätte und dennoch wünschen sich die Uebrigen Bestand; giebt es wohl noch ein grösseres Wunder als dieses?

813. (3664.) Wozu quält sich unser Einer ab, seinen ganzen Stolz darin setzend, dass er gelehrt, der schönen Künste kundig, reich und vor allen Andern mit Schönheit ausgestattet sei, da alles dieses im Verlauf von wenigen Tagen zu Nichte wird?

814. (3665.) Bilde dir nicht ein mein Hâlâhala-Giftchen, du seiest der oberste aller Schrecken: giebt es denn nicht in dieser Welt noch Andere deines Gleichen, als da sind die Reden der Bösewichter?

815. Die Meinung, man sei stärker als ein Anderer, bringt die Menschen in's Verderben: wie Viele, die auf ihre Stärke pochten, sind nicht hier auf Erden von noch Stärkern besiegt worden?

816. Das »Ich« und das »Mein« sind der Same des weltlichen Daseins;[151] kein »Mein« und kein »Ich«, das bringt den Samen des weltlichen Daseins zur Ruhe, und mit dem Schwinden des Samens wäre von keiner Geburt mehr die Rede: Feuer ohne Holz erlischt!

817. Da die Tage gezählt werden, die Lebensfrist schwindet und das Leben verzeichnet wird, so frage ich, warum du nicht aufspringst und davonläufst.

818. (3666.) Die Tage enden mit dem Untergange und die Nächte mit dem Aufgange der Sonne: das Ende einer Freude ist stets ein Leiden und das Ende eines Leidens stets eine Freude.

819. Schonung aller Wesen ist das beste Verdienst, die beste Selbstbeherrschung, die beste Gabe und die beste Kasteiung.

820. Schonung aller Wesen ist das beste Opfer, der beste Lohn, der beste Freund und die beste Freude.

821. (301.) Da die Weisen erklärt haben, dass Schonung aller Wesen ein Verdienst ohne Gleichen sei, so schone man selbst Läuse, Wanzen, Stechfliegen und anderes Gethier.

822. (3667.) Schonung aller Wesen, Wahrhaftigkeit, das Nichtstehlen, Reinheit, Zügelung der Sinne, Freigebigkeit, Selbstbeherrschung, Mitleid und Nachsicht schaffen Jedermann Verdienst.

[152] 823. (302.) Schonung aller Wesen, Wahrhaftigkeit, Mitleid mit allen Geschöpfen, Gemüthsruhe und Spenden nach Kräften ist des Hausvaters höchste Pflicht.

824. (303.) Schonung aller Wesen, wohlwollende Rede, Wahrheit, Reinlichkeit, Mitleid und Nachsicht heissen die Pflichten, welche den Mitgliedern der vier Kasten und denen, die in einem der vier Lebensstadien sich befinden, gemein sind.

825. Wer Niemanden Etwas zu Leide thut, hat unvergängliche Kasteiungen geübt und veranstaltet Opfer ohne Unterlass; wer Niemanden Etwas zu Leide thut, ist gleichsam Mutter und Vater aller Geschöpfe.

826. (304.) Welcher Unterschied besteht zwischen einem wirklichen Vieh und einem Vieh von Menschen, dessen Geist sich nicht damit beschäftigt, über das Gute und Schlechte nachzudenken, der ausserhalb vieler Satzungen der heiligen Lehre steht und auf nichts Anderes als auf die Ernährung des Bauches bedacht ist?

827. Eine Schlange, einen Fürsten, einen Tiger, einen Greis, ein Kind, einen fremden Hund und einen Thoren, diese sieben soll man nicht wecken, wenn sie schlafen.

[153] 828. Wie schwer ist doch das Herz der falschen Bösewichter zu ergründen! Anders lautet es in der Rede, anders in der Kehle, anders wenn es auf den Lippen ist.

829. (306.) Wie seltsam ist doch die Art des Tödtens bei der Schlange Bösewicht! Diesen beisst sie in's Ohr (diesem raunt der Verläumder Etwas in's Ohr), und ein Anderer büsst dabei das Leben ein.

830. (3495.) Alles um uns herum wäre, ach, wie Finsterniss und Nichts erkennte man darin, wenn nicht ein König in der Welt wäre, der Gutes von Bösem schiede.

831. O Wunder rufe ich über die Freigebigkeit der Freigebigen, über den Heldenmuth der Heldenmüthigen und über die ungebrochene Standhaftigkeit der Standhaften: Hariçkandra ist ein Beispiel dafür.

832. (3668.) Wie der Durst nach Genuss im Leben doch kein Ende hat! Selbst Götter, von ihm ergriffen, scheuen sich nicht vor Ungebühr und Schmach.

[154] 833. (3669.) Seltsam, zuvörderst schuf der Schöpfer die Unbesonnenheit, hierauf die Weiber! Nichts giebt es hier auf Erden, das zu vollbringen ihnen von Haus aus schwer fiele.

834. O über die Frechheit der bösen Männer, wenn sie die unschuldigen Weiber tadeln! Es ist dieses gerade so, als. wenn im Diebstahl begriffene Diebe »stehe o Dieb« riefen.

835. (307.) O, wie das Benehmen des Fürsten der Sterne (des Mondes) so eigennützig ist: geht es ihm schlecht (nimmt er ab), so ist er hinterlistig (sichelförmig gebogen); hat er voll auf (ist er voll), so beträgt er sich gut (ist er schön rund).

836. (308.) Weh und abermals Weh rufe ich über diese verkehrte Welt: wessen sich der Gute schämt, dessen freut sich der Böse!

837. (305.) Wie seltsam ist doch das Verfahren der Hochherzigen: sie achten die Glücksgöttin einem Strohhalm gleich und beugen sich doch unter ihrer Last.

838. Es findet, wie seltsam, eine Aehnlichkeit statt zwischen einem Blasinstrument und einem Böse wicht: so lange sie am Munde hängen (im Angesicht sind), geben sie liebliche Töne von sich.

[155] 839. (3670.) Die hinschwindenden Tage und Nächte zehren hier aller Geschöpfe Lebenszeit auf, wie im Sommer die Sonnenstrahlen das Wasser.

840. (3671.) O wie geräumig ist, o Fürst, das Innere der drei Welten, dass die Menge deines Ruhmes, obgleich sie unermesslich ist, darin Raum findet.

841. O noch schlimmer als Gift sind liebende Weiber, wenn sie geringschätzig behandelt werden, und solchen Fürsten, die die Wahrheit nicht sehen, dürfen Gute nicht dienen.

842. (3299.) O wie ähnlich ist doch das Benehmen des Endes des Wagebalkens und das des Bösewichts: durch ein Weniges steigen sie in die Höhe, durch ein Weniges sinken sie hinab.

843. Wie ein Sturmwind das Wasser von Seen in Aufwallung versetzt, so ja das Aufhetzen der Weiber das Herz von Männern, die sonst in der Leidenschaft sich nicht zu vergessen pflegen.

[156] 844. (309.) Möchten doch meine Tage in irgend einem heiligen Walde ablaufen, wo ich Çiva! Çiva! Çiva! riefe und mit gleichem Auge schaute auf eine Schlange und eine Perlenschnur, auf einen mächtigen Feind und einen Freund, auf ein Juwel und einen Erdenkloss, auf ein Blumenlager und einen Stein, auf einen Strohhalm und die Weiber!

845. (3672.) Die Herkunft eines Menschen pflegt nicht die Ursache seiner Schlechtigkeit zu sein: das Gift Kâlakûṭa stammt aus dem Nektarmeere und raubt dennoch den Geschöpfen das Leben.

846. (3673.) Vernehmen Elephanten das donnergleiche Gebrülle des Löwen, so begeben sie sich, von Furcht gequält, in einen andern Wald; der Eber dagegen, der voller Muth ist, bleibt mit seiner Heerde an Ort und Stelle, übermüthig vor Stolz und frei von Furcht.

847. (3674.) Glücklich diejenigen, die ihrer Lieblinge klägliche Reden nicht vernehmen, indem sie deren Wünsche, sobald sie sie am Ausdruck ihres Gesichts errathen, alsbald befriedigen.

848. (310.) Die innere Gesinnung erkennt man am Aussehen, an den[157] Gebärden, am Gange, an den Bewegungen des Körpers, an der Rede und am Spiel der Augen und des Mundes.

849. (3675.) Erhebe dich zum Himmel oder gehe an's Ende der Welt, stürze dich in's Meer oder bleibe wo es dir beliebt: die Folgen der Werke, die Glück wie Unglück, das man im vorangehenden Leben einsammelte, den Menschen bringen, verlässt dich, wie der Schatten, nimmer.

850. Armuth ist eine Freude in der Welt, sie ist zuträglich, heilsam und Gesundheit schaffend; durch sie gelangt man ja, wie man annimmt, am leichtesten dazu, dass man keine Feinde hat, was sonst so schwer zu erreichen ist.

851. Armuth, vollkommene Zufriedenheit, Wunschlosigkeit und Besonnenheit, diese sind, wie man sagt, die grössten Güter eines Mannes, der sich kennt und sich zu beherrschen versteht.

852. (3676.) Armuth und Königthum wog ich auf der Wage gegen einander ab und die Armuth war schwerer, da sie mehr Vorzüge darbietet als selbst das Königthum.

853. (3677.) Zwischen Armuth und Königthum besteht dieser gewaltige Unterschied, dass der Reiche in steter Angst lebt wie der, der in des Todes Rachen gerieth.

854. Wer einen Freund sogar bei den Haaren packt, um ihn von einer[158] ungebührlichen Handlung abzuhalten, zieht sich für diesen nach Kräften an den Tag gelegten Eifer Niemandes Tadel zu.

855. (311.) Auf der Geburt lastet der Tod, die schöne Jugend wird durch das Alter verscheucht, die Zufriedenheit durch die Gier nach Besitz, das Glück der inneren Ruhe durch die Buhlkünste frecher Dirnen, Tugenden werden von Neidern benagt, Waldgegenden werden uns durch wilde Thiere verleidet, Fürsten dulden durch böse Menschen und auch Reichthümer werden von Vergänglichkeit heimgesucht: was wird nicht verzehrt und was verzehrt nicht Anderes?

856. (3678.) Wer geschmäht wird, schmähe nicht wieder: der blosse Unwille des Geduldigen versengt den Schmäher und der (Geschmähte) wird seiner guten Werke theilhaftig.

857. (3679.) Durch Schmähung und üble Nachrede verletzen Thoren Weise: der Schmäher empfängt des Geschmähten Sünde und der geduldig Tragende wird von ihr befreit.

858. Es lebe hoch dieser, durch vollkommene Gleichgiltigkeit sich auszeichnende, uns unbekannte Fürst unter den Jogin! Ueber eine Schmähung grämt er sich nicht und freut sich nicht, wenn man ihn für geschickt erklärt;[159] Gestank belästigt ihn nicht und ein Wohlgeruch nimmt ihn eben so wenig gefangen; eine Perle von Weib versetzt ihn nicht in Aufregung und das Waschen einer Leiche erregt bei ihm keinen Widerwillen.

859. (3680.) Die Wasserrosen spotten, o Schöne, der Pracht deines Antlitzes: was sollte ihnen auch schwer fallen, da sie mit Schätzen (Kelchen) und Heeren (Stengeln) reich versehen sind?

860. (3681.) Haben es die Bösen von den Mäusen oder die Mäuse von den Bösen gelernt, da sie Beide nichts Anderes thun als fremde Häuser untergraben?

861. (312.) Wer mit einem Jäger, der sich vergebens abgemüht hat, und mit einem Dummkopf, der gerade sein Steckenpferd reitet, ein Gespräch anknüpft, der erfährt eine Demüthigung.

862. (313.) Die Menschen bemächtigen sich nach Jägerart der Reichthümer: der eine hetzt die Menschenkinder, der Andere erlegt sie wie Gazellen.

863. (314.) Ein Fest erscheint, wenn es da ist, nicht so schön, wie ein herannahendes: der Mond in der Morgendämmerung glänzt nicht so wie der aufgehende am Abend.

[160] 864. (315.) Wenn ein Streit sich erhoben hat, so suche ein Verständiger ihn durch dieses oder jenes Mittel beizulegen: da der Sieg ungewiss ist, so hüte man sich allzurasch mit dem Feinde zusammenzustossen.

865. (316.) Derjenige, der da kam, aber wieder ging, nachdem er des Löwen Kraft gesehen hatte, war ein Thor ohne Ohren und Herz, da er wiederkam, nachdem er zurückgegangen war.

866. (3682.) Es werden die Zustände kommen, die für mich bestimmt sind; mir müssen sie nachgehen und nicht können sie ihren Gang anderswohin nehmen.

867. (3683.) Betrübe dich, o Rubin, nicht darüber, dass ein Affe dich berochen, beleckt, mit seinen grausigen Krallen gequetscht, an dir gekaut und, über deine Saftlosigkeit erzürnt, dich zur Erde geschleudert hat: es ist ein Glück für dich gewesen, dass er dich nicht bei seiner Hartnäckigkeit sogleich mit einem Steine zermalmt hat, um dein inneres Wesen zu untersuchen.

[161] 868. Glücklich diejenigen, die, wenn sie an einem Buche nur gerochen haben, behaupten, sie verständen Alles; wir Dummen wissen sogar nach hundertmaligem Hören nur Weniges.

869. (3684.) Was sagen wir, o Weh, zu dem heutigen Zustande dieses hohen Gipfels des einzigen Vindhja? Wo ehemals die sieben Weisen, Bussübungen obliegend, sassen, da hausen ja heute fleischfressende Wesen.

870. Die Bräuche verrathen die Familie, die Sprache verräth die Heimath, Verwirrung verräth Zuneigung und der Leib die genossene Speise.

871. (3685.) Der Lehrer ist eine Erscheinungsform Brahman's, der Vater eine Erscheinungsform des Herrn der Geschöpfe, der Bruder eine Erscheinungsform des Herrn der Winde, die Mutter eine leibhaftige Erscheinung der Erde.

872. Die Schwester ist eine Erscheinungsform des Mitleids, der Gast ist die leibhaftige Gerechtigkeit, der Ankömmling ist eine Erscheinungsform des Feuergottes, die Gesammtheit der Wesen eine Erscheinungsform der Weltseele.

873. Der Lehrer ist eine Erscheinungsform Brahman's, der Vater eine Erscheinungsform des Herrn der Geschöpfe, die Mutter eine Erscheinungsform der Erde, der leibliche Bruder eine Erscheinungsform der Weltseele.

[162] 874. Wozu verdeckst du, o Einfältige, die Lippenknospen mit dem Gewande? Helden, Lippen und Brüste steigen ja gerade durch Narben im Ansehen.

875. (317.) Ein Fürst soll wie der Regengott allen Unterthanen einen Unterhalt gewähren: gewährt er ihn nicht, so verlässt man ihn, wie Vögel einen ausgetrockneten See verlassen.

876. (318.) Was nützt es, seine Zuflucht zu nehmen zu Fürsten, denen Autorität, Ruhm, Pflege der Brahmanen, Spenden, Geniessen und Schutz der Freunde, diese sechs Vorzüge abgehen?

877. (319.) Ein Fürst dulde nicht, dass selbst die Söhne seine Befehle übertreten: was wäre wohl sonst für ein Unterschied zwischen einem wirklichen und einem gemalten Fürsten?

878. (320.) Fürsten versetzt man auch ohne Waffen den Todesstoss, wenn man ihre Befehle übertritt; Brahmanen, wenn man ihnen keine Ehrerbietung erweist; Weibern, wenn man sie allein schlafen lässt.

[163] 879. (3686.) Wer, wenn er den wichtigen Befehl, die Feinde zu vernichten, erhält, denselben alsbald ausführt, dessen Antlitz verklärt sich, sein Erscheinen wird mit lauten Freudenbezeigungen begrüsst und er fühlt sich glücklich sich zu den Lotusfüssen seines Herrn verneigen zu können.

880. (321.) Das einzige Ziel des Königthums ist Autorität, das Ziel der Askese – ein keusches Leben, das einzige Ziel der Wissenschaft – Einsicht, das Ziel des Reichthums – Spenden und Geniessen.

881. (3687.) Wer eine die Befehle ausführende, fleissige, schöne, wohlgeartete, keines Fehlers geziehene Gattin verstösst, der fährt zu einer ewigen Hölle.

882. Was nützt eine Spende einem Reichen? Was Speise einem Satten? Was der Mond einem Frierenden? Was eine Wolke beim Beginn des Winters?

883. Ein Freund ist, er sei reich oder arm, betrübt oder froh, mit oder ohne Fehl, die beste Zuflucht.

[164] 884. Ist man krank, so ist der Arzt ein Vater; ist man genesen, so ist er ein Freund; ist die Krankheit vorüber und die Gesundheit hergestellt, so ist er ein Hüter.

885. Auch die eigene, nicht bloss die fremde Sache, ist eine wichtige Sache: durch den Fehler der eigenen Sache fällt ein Mann in den Brunnen.

886. (3688.) Wen Selbsterkenntniss, Unternehmungsgeist, Geduld und treue Pflichterfüllung nicht vom Nützlichen abziehen, der heisst ein Weiser.

887. (3689.) Selbsterkenntniss, Unermüdlichkeit, Geduld, treue Pflichterfüllung, das Geheimhalten einer Rede und Spenden, diese sind, o Bhârata, nicht bei Niedrigen anzutreffen.

888. Wer ohne Kenntniss des eigenen Wesens sich weit ausbreitet, der geht zu Grunde wie der Saft in der Kokosnuss.

889. Hass gegen sich selbst bringt den Tod, Hass gegen Andere – Verlust des Vermögens, Hass gegen den Fürsten – Untergang, Hass gegen die Brahmanen – Verderben des Geschlechts.

[165] 890. (322.) Wer, wenn er seine und der Gegner Kraft oder Schwäche geprüft hat, den Unterschied nicht gewahr wird, der wird von seinen Feinden überwunden.

891. (3690.) Der Leichtsinnige vermag Nichts für sich zu thun, wie sollte er für Andere Etwas zu thun vermögen? Daher kommt es, dass der Leichtsinnige sicher alle Angelegenheiten zu Nichte macht.

892. (323.) Wer seiner Kraft sich bewusst wird und in Hochmuthsraserei geräth, der vermag sogar allein seine Feinde zu vernichten, wie es der Bhṛgu-Spross (Paraçurâma) mit der Kriegerkaste that.

893. (3691.) Suche deiner selbst habhaft zu werden, indem du Herz, Geist und Sinne bändigst: Jedermann ist ja sein eigener Freund, Jedermann sein eigener Feind.

894. Erleidet Jemand einen Schaden, so wendet sich sein Herz zum Bösen; begeht er darauf eine unlautere That, so wird er in grosses Leid versetzt.

895. (3692.) Selbst hat man seine Leiden bestimmt, selbst hat man[166] seine Freuden bestimmt: von dem Augenblicke an, dass man im Mutterleibe liegt, geniesst man den Lohn dessen, was man im frühern Leben that.

896. Sich selbst zu tadeln oder zu loben, desgleichen den Gegner zu tadeln oder zu loben, ist, so haben wir dich, o Bhîshma, sagen hören, nicht ehrenwerther Männer Brauch.

897. (3693.) Wer, ohne die eigene Kraft zu kennen, ohne Arbeit Unerreichbares, das des Verdienstes und des Nutzens baar ist, zu erreichen wünscht, der heisst hier auf Erden ein Thor.

898. (3694.) Wem es um eine hohe Stellung zu thun ist oder wer vom Feinde gedrängt wird, der beginne den Krieg, wenn er Ort, Zeit und Macht auf seiner Seite hat.

899. (324.) Dass Papageien und Predigerkrähen eingefangen werden, daran trägt ihre eigene Mundfertigkeit die Schuld; Reiher werden aus diesem Anlass nicht eingefangen: Schweigsamkeit ist zu allen Dingen nütze.

900. (325.) Zu sich selbst sogar hat man kein so grosses Vertrauen wie zu Guten; darum sucht Jedermann vor Allem mit Guten ein vertrautes Verhältniss anzuknüpfen.

901. (326.) Der Thor, welcher seine Partei verlässt und an des Gegners[167] Partei Gefallen findet, wird von den Gegnern umgebracht, wie jener blau gefärbte Schakal.

902. Sich selbst zu loben bringt den Tod, desgleichen Andere zu tadeln; nichtsdestoweniger werde ich es sagen, o Râma, dass es keinen Affen giebt, der mir gleich käme.

903. (327.) Wenn ein Mann, der durch das eigene Geschick sein Vermögen einbüsste, das Vermögen des Mitleid übenden Weibes sich schenken lässt, dann ist jener Mann in Wirklichkeit ein Weib, und dieses Weib in Wirklichkeit ein Mann.

904. (3695.) Diejenigen Menschen, die es sich zur Regel gemacht haben, sich selbst zu schonen, und die erst nach reiflicher Ueberlegung handeln, trifft kein selbstverschuldetes Ungemach.

905. Wer auf alle Geschöpfe wie auf sich selbst, auf fremdes Gut wie auf einen Erdkloss und auf eines Andern Weib wie auf seine Mutter schaut, der schaut richtig.

906. Wer seine Partei verlässt und sich einer fremden Partei anschliesst, der geht von selbst zu Grunde, wie ein Fürst, der fremden Pflichten obliegt.

[168] 907. (328.) Das eigene Selbst, welches man selbst erzeugt, nennen die Weisen Sohn; deshalb schaue der Mann auf seine Frau, seines Sohnes Mutter, wie auf seine Mutter.

908. (3696.) Menschen, die über ihre Person selbst verfügen können und schlafen, wenn es ihnen beliebt, wird sogar geringe Speise zur Götterspeise.

909. (329.) Der Verständige erhebt sich erst dann zum Kampfe, wenn er sich und den Gegner kennen gelernt hat: die wahre Klugheit besteht ja eben darin, dass man sich und Andere kennt.

910. Wer einem Zürnenden nicht wieder zürnt, der rettet sich und den Andern aus einer grossen Gefahr, der ist ein Arzt für Beide.

911. (330.) Das eigene Selbst, o Bhârata, ist ein Fluss, in dem das Verdienst den Badeplatz darstellt, die Wahrheit das Wasser, der feste Wille das Ufer, das Mitleid die Wellen. Der Tugendhafte, der hier badet, wird rein; denn rein ist die Seele, welche stets frei von allem Verlangen ist.

[169] 912. Erfahrene Männer, die durch mannichfache Beschränkungen, welche sie sich auferlegen, sich alles Ernstes peinigen, erwerben sich Verdienste; nicht durch Freuden wird man der Freuden theilhaftig.

913. (3697.) Beklage dich selbst und nicht einen Andern, da dein Leben hinschwindet, du magst stehen oder gehen.

914. (331.) Das Meer möge in sich selbst austrocknen oder die Welt mit seinen Wellen überfluthen: der Ḱâtaka, der von den Wolken lebt, leidet und gewinnt ja Nichts dabei.

915. (3698.) Durch Thaten, gute Gemüthsart, Betragen, Herkunft, durch Gutes und Böses giebt sich ja der Mann zu erkennen; auch macht ein Mann durch seine Thaten sogar ein vergessenes Geschlecht alsbald wieder berühmt.

916. (3699.) Wer zunächst sich selbst als seinen Feind besiegt, darauf die Minister und schliesslich die wirklichen Feinde, der bemüht sich nicht vergebens um den Sieg.

917. (332.) Zuerst sei (der Fürst) darauf bedacht, sich selbst mit Tugenden zu schmücken; hat er diese sich zu eigen gemacht, dann mag er die Uebrigen prüfen.

[170] 918. (333.) Zunächst eigne der Fürst sich selbst ein gutes Betragen an; dann lehre er ein solches seine Minister, dann seine Diener, dann seine Söhne und schliesslich seine Unterthanen.

919. (3700.) »Sogar ich selbst, wie ich da stehe, gehöre nicht mir«, oder auch »die ganze Erde ist mein«, oder auch »es gehört Andern so gut wie mir«; wenn ich so denke, kommt keine Betrübnis über mich.

920. (334.) Wer Thiere zu seinem eigenen Bedarf tödtet, der fährt nothwendig zur Hölle; wer aber Fleisch geniesst, nachdem er die Götter und Manen verehrt hat, der ladet keine Schuld auf sich.

921. (3701.) Wenn es die eigene Person gilt soll man Kinder, Königthum, Juwelen und Schätze fahren lassen; sogar um den Preis des ganzen Vermögens soll man sich selbst erhalten.

922. (3702.) Die Seele ist ja dein Zeuge, die Seele ist auch deine Zuflucht; achte die eigene Seele nicht gering, da sie der beste Zeuge unter den Menschen ist.

923. (3703.) Die eigene Seele ist ja dein Freund, die eigene Seele ist auch dein Feind; die eigene Seele ist ja Zeuge von dem, was gut gethan und was versehen wurde.

[171] 924. (3704.) Nicht durch das Tadeln Anderer suche man selbst mehr zu gelten als diese; durch eigene Vorzüge suche man sich über den gemeinen Mann zu erheben.

925. (335.) Eigenes Emporsteigen und des Gegners Schwächung: in diesen beiden besteht die ganze Staatsklugheit; Kluge erkennen dieses an und entfalten demgemäss ihre Beredsamkeit.

926. (336.) Wer einen Schelm nach sich selbst beurtheilt und glaubt, dass er die Wahrheit rede, der wird von ihm betrogen, wie jener Brahmane um den Ziegenbock.

927. (3705.) Empfängt ein Fürst täglich in gebührender Weise auch nur ein Weniges, so wächst er, wie der in der lichten Hälfte des Monats wandelnde Mond.

928. Wie kam es, dass Bhṛgu's Sohn dem Bettler nicht, wie die Erde, auch diese Mondscheibe als Spiegel, den Meru als Palast und die Sonne als Lampe verschenkte? Nun, wir wissen es: durch hoffnungsreiche Freude erzeugte[172] Thränen hatten seine Augenlotusse getrübt, so dass er alles dieses wahrscheinlich gar nicht bemerkte.

929. Zuvörderst sieht man diese Tochter des grossen Heiligen Ģahnu die sündentilgende hehre Gañgâ, als Wasser im Gefässe, welches der erste Ältervater (Brahman) bei seinen religiösen Obliegenheiten braucht, darauf als heiliges Fusswasser des auf einer Schlange ruhenden hehren Gottes (Vishnu's) und dann wieder als Juwel im Flechtenschmuck auf dem Haupte Çiva's.

930. (338.) Sonne und Mond, Wind und Feuer, Himmel, Erde, Wasser, Herz und Jama, auch Tag und Nacht und beide Dämmerungen, sowie auch Dharma kennen des Menschen Thun.

931. (339.) Mit der Sonne Auf- und Niedergang schwindet das Leben mit jedem Tage dahin; emsiges Treiben unter dem Druck der Last vieler Geschäfte lässt uns die Zeit nicht gewahr werden; wir sehen Geburt, Alter, Unglück und Tod, und keine Furcht regt sich: die Welt ist trunken von dem Genuss des betäubenden Trankes des Unverstandes und der Sorglosigkeit.

[173] 932. (340.) Sonnenaufgang, Gesang, Betel, eine Erzählung von den Bharata, ein liebes Weib und ein guter Freund erscheinen uns jeden Tag neu.

933. (341.) Freundschaft am Anfange, in der Mitte und am Ende findet man beim guten, nicht beim gewöhnlichen Menschen: Gold ändert sich nicht, weder durch Zerschneiden, noch durch Glühen, noch durch Reiben, noch durch Schlagen.

934. Das Abbild der Fürsten aus alter Zeit, ihr Ruhm, verschwindet nicht, sieh selbst, im Spiegel der Dichtkunst, obgleich sie selbst nicht mehr da sind.

935. (342.) Lieber möchte ich mich von einer länglichen, beweglichen, sich schlängelnden, glänzenden, geringelten, wie eine blaue Lotusblüthe schimmernden Schlange anblicken lassen, als von ihrem eben solchen Auge: ist man gebissen, so findet man meist aller Orten Aerzte, die gern ein verdienstliches Werk thäten; hat mich aber der Blick einer Schönäugigen getroffen, so giebt es ja für mich keinen Arzt und auch kein Heilmittel.

936. Umarmungen schlägt man ob der Nagelspuren hoch an, Küsse ob der dicht stehenden Zahneindrücke: der ob des Vorzugs der Zartheit berühmt gewordene Liebesgott ist sogar beim Minnespiel grausam!

[174] 937. (343.) Die Frau eines auf Reisen befindlichen Mannes schaut nach dem Pfade, auf dem ihr Geliebter kommen soll, so weit das Auge nur reicht; wie aber bei des Tages Neige und bei einbrechender Finsterniss die Pfade sich nicht mehr verfolgen lassen, da ist sie des Wartens müde und thut betrübt einen Schritt heimwärts; darauf sagt sie zu sich »sollte er nicht in diesem Augenblick gekommen sein?«, wendet rasch den Hals und schaut wieder hin.

938. (337.) Wenn das, was genommen, gegeben und gethan werden soll, nicht rasch geschieht, dann trinkt die Zeit den Saft davon.

939. (344.) Bei Klugen stellt sich das Alter zuerst am Geiste, dann am Körper ein; bei Dummen dagegen stellt es sich wohl am Körper, aber nie und nimmer am Geiste ein.

940. (345.) Die Freundschaft guter Menschen gleicht einem Flusse: am Anfange ist sie unbedeutend, in der Mitte stark angewachsen, mit jedem Schritte dehnt sie sich weiter aus, und ist sie im Gange, so geht sie nimmer rückwärts.

941. (346.) Wir sollen entweder von Anfang an mit denen, die wir[175] nicht mögen, in kein vertrauliches Verhältniss treten, oder aber, wenn wir mit ihnen in ein solches getreten sind, dasselbe jeden Tag hegen und pflegen: erst in die Höhe heben und dann wieder fallen lassen, das beschämt; wer auf dem Boden steht, hat keinen Sturz zu befürchten.

942. Ein verständiger Mann soll zuerst gute Worte anwenden: durch gute Worte zu Stande gekommene Angelegenheiten werden nimmer zu Schanden.

943. Thoren, die keine Furcht kennen, weil ihre Gedanken nur auf das Heute gerichtet sind und weil sie meinen, der morgende Tag sei noch fern, essen Alles und werden nicht gewahr, dass hier das Land der Werke ist.

944. (348.) Wer wohl möchte ein Unrecht begehen um seines Leibes wegen, der von Sorgen und Krankheit heimgesucht wird und heute oder morgen zu Grunde geht?

945. (349.) Hunderte von Sorgen und Krankheiten mannichfacher Art untergraben die Gesundheit des Menschen; wo das Glück weilt, da stürzt das Unglück herein, als wenn ihm das Thor geöffnet worden wäre; Alles was[176] geboren wird, es mag wollen oder nicht, eignet der Tod sich rasch und unvermeidlich zu: was wohl hat demnach Bestand von allem dem, was der vollkommen unabhängige Schöpfer geschaffen hat?

946. Eine Handlung, die sowohl in Bezug auf die nächste Zukunft als auch auf die Gegenwart für zweckmässig erachtet wird, soll der Fürst durchaus vollbringen: so ist die feste Meinung der Welt.

947. (3706.) Man neige einen mit Früchten beladenen Ast und pflücke alle die reifen ab: so verfahren kluge Männer in der Welt um zur Frucht zu gelangen.

948. (3707.) Wem es um Glück zu thun ist, der muss mit dem Schicksal gehen, da es schwer ist gegen das Schicksal anzukämpfen, wie gegen den Strom des Wassers.

949. (350.) Milde, Nachsicht, Wahrhaftigkeit, Schonung alles Lebenden, Selbstbeherrschung, Rechtlichkeit, Zuneigung, Gewogenheit, Liebenswürdigkeit und Sanftmuth sind die zehn Formen der Selbstverläugnung.

950. (3708.) Milde ist die höchste Tugend, Nachsicht die grösste Macht, die Kenntniss der Seele die höchste Kenntniss und etwas Höheres als die Wahrheit giebt es nicht.

951. (3709.) Milde wird bei allen Geschöpfen für die höchste Tugend erachtet; darum soll ein Fürst bejammernswerthe Menschen mit Milde schützen.

[177] 952. (351.) Wer sich als Freund erweist zur Zeit des Unglücks, der ist ein wahrer Freund; zur Zeit des Glücks kann auch ein schlechter Mensch Freund sein.

953. Unglück lastet auf meinem Haupte, die drei Falten zeigen sich auf den Wangen, die Zahnreihe ist ausgefallen und dennoch kommt keine Niedergeschlagenheit über mich; das aber ist der grösste Donnerschlag für mein Herz, dass rehäugige Jungfrauen, wenn sie mich auf der Strasse erblicken, fragen, wer ich sei.

954. (352.) Im Unglück lerne man den Freund kennen, in der Schlacht den Helden, bei Schulden den Ehrlichen, beim Verlust des Besitzes die Gattin und bei Ungemach die Verwandten.

955. Wer im Unglück den Kopf nicht verliert, gutes Muths bleibt und, wie es sich gebührt, an diejenigen Werke geht, die nothwendig zu vollbringen sind, den nennen Kluge einen weisen Mann.

956. (353.) Im Unglück, nicht im Glück, wird ja die Macht grosser Männer offenbar: wenn Aloëholz in's Feuer fällt, ist sein Wohlgeruch stärker als vorher.

957. (354.) Derjenige Diener, welcher es zulässt, dass sein Herr, vor[178] seinen Augen und so lange er noch athmet, ein Unglück erleidet, fährt zur Hölle.

958. (355.) Für den Fall eines Unglücks erhalte man sein Vermögen, die Gattin erhalte man sogar auf Kosten des Vermögens, sich selbst soll man stets erhalten, sogar mit Aufopferung der Gattin und des Vermögens.

959. »Für den Fall eines Unglücks erhalte man sein Vermögen«. »Wie sollte Reiche Unglück treffen?«. »Bisweilen schwankt das Glück«. »Dann geht auch das Zusammengescharrte verloren«.

960. (356.) Man sagt, dass das Nichtzügeln der Sinne der Weg zum Unglück, der Sieg über dieselben aber der Pfad zum Glücke sei; nun gehe des Weges, der dir gefällt.

961. (357.) Auch der, der uns wohlwill, kann die Ursache hereinbrechenden Unglücks werden: das Bein der Mutter wird ja zum Pfosten, wenn das Kalb gebunden wird.

[179] 962. (358.) Wenn ein Mann in den Fall kommt, demjenigen, der im Unglück ihm ein Leid anthat, und demjenigen, der in schwierigen Lebenslagen über ihn lachte, ein Leid anzuthun, dann wird er nach meiner Meinung zum zweiten Mal geboren.

963. Was lachst du, Thor, den der Reichthum blendet, über diejenigen, die in's Unglück geriethen? Hat man sich darüber zu wundern, dass das Glück nicht von Bestand ist? Siehst du nicht die Krüge am Schöpfrade? Die leeren werden voll und die vollen wieder leer.

964. (359.) Im Unglück, beim Betreten falscher Wege, oder wenn Gefahr im Verzuge ist, soll derjenige, der Gutes bezweckt, auch ungefragt erspriessliche Worte reden.

965. (360.) Kluge sollen, damit Missgeschick fern bleibe, ehrliche Freunde sich zu erwerben suchen: Niemand kommt über das Missgeschick hinweg, wenn er keine Freunde hat.

[180] 966. Rein ist auf der Erde stehendes Wasser, wenn eine Kuh damit ihren Durst löschen kann, wenn es nichts Unreines enthält und von gutem Geruch, guter Farbe und gutem Geschmack ist.

967. Stets rein ist die Hand des Handwerkers und die zum Verkauf ausgestellte Waare; stets rein ist auch die erbettelte Speise des Brahmanenschülers; so steht es fest.

968. Stets rein ist der Weiber Mund, ein Vogel, wenn er eine Frucht herabwirft; ein Kalb ist rein beim Saugen und ein Hund ist rein beim Packen von Wild (d.i. ein Vogel verunreinigt nicht die Frucht, die er fallen lässt, ein Kalb nicht das Euter einer Kuh, ein Hund nicht das Wild, das er packt).

969. Eine nur für den ersten Augenblick blendende Schönheit tritt uns überall entgegen, ein mit beständiger Einsicht geschmückter Mann dagegen ist schwer anzutreffen.

970. (361.) Verbindungen mit Freunden, die sofort köstlich erscheinen, wie schädliche Speisen, nehmen wie diese ein schreckliches Ende.

971. (362.) In wen alle Begierden, wie die Gewässer in das sich füllende aber fest in seinem Bette verbleibende Meer, eingehen und daselbst verschwinden, der wird der Ruhe theilhaftig, nicht aber der, welcher den Begierden fröhnt.

972. Gebunden sind alle Menschen, gefesselt an zweierlei Thaten: an das Schicksal (die Thaten im vergangenen Leben) und an die That des Menschen (in diesem Leben); es giebt nichts Mächtigeres als diese beiden.

[181] 973. Der Brahmanen Festtag ist eine Einladung zum Schmause, der Kühe Festtag frisches Gras, der Weiber Jubel ist der Gatte, mein Festtag, o Kṛshṇa, ist die Schlacht.

974. (3710.) Emporgekommene Fürsten räumen aus Furcht vor Scham solche Diener aus dem Wege, welche ihr entstelltes Wesen in Krankheiten, Leiden, Feindes- und Hungersnoth und andern Uebeln gesehen.

975. (363.) Lernen die elenden Krähen, obgleich sie bis an ihr Lebensende mit den Pfauen um die Wette schreien, den lieblichen Ruf derselben hervorbringen?

976. (364.) Der Edlen Zuneigung währt bis zum Tode, ihr Zorn vergeht im Augenblick und ihre Opfer sind uneigennützig.

977. (365.) Die süsse Wonne beim Liebesgenuss, welche die Liebenden die Augen schliessen und Alles vergessen lässt, wird von beiden Seiten des Liebespaares als der wahre Schlussact des Liebesdramas angesehen.

[182] 978. (366.) Angezogen durch den Wohlgeruch, der sich weit nach allen Himmelsgegenden verbreitet, sind wir gekommen deine Pracht, o Sandelbaum, von Angesicht zu schauen. Was erblicken wir, o Schöner! In deinem Schoosse spielt eine Schlange! Lebe wohl! entlasse uns! wir machen uns wieder auf den Weg.

979. (3711.) In der heiligen Ueberlieferung, im Gesetzbuch und nach Herkommen lehren die Weisen, dass die Gattin die eine Hälfte des Körpers sei und dass sie am Lohn für Gutes und Böses gleichen Antheil habe.

980. (3712.) Wer wird einen Mangobaum mit der Axt niederhauen und einen Nimbabaum pflegen? Und wer diesen mit Wasser begiesst, dem bringt er doch keine süssen Früchte.

981. (367.) Wer den vierten Theil von dem ausgiebt, was er einnimmt, dem geht es lange gut, wie auch einer Lampe, die hinreichend Oel hat.

982. (368.) Wer Vortheil und Schaden, welche die Zukunft birgt, voraussieht; wer im gegebenen Augenblick schnell einen Entschluss fasst, und wer da weiss, was aus der Vergangenheit her noch zu thun bleibt, den bezwingen nicht die Feinde.

983. (369.) Was in der Zukunft und in der Gegenwart angenehm zu kosten ist, das thue man Einem, nicht aber das, was den Leuten widersteht.

[183] 984. (370.) Wer da weiss, wie in der Zukunft einem Uebel entgegenzutreten ist; wer im gegebenen Augenblick schnell einen Entschluss fasst und wer da weiss, was aus der Vergangenheit her noch zu thun bleibt, ein solcher Mann kommt nicht um seinen Reichthum.

985. In allen Stellen, wo Abgaben erhoben werden, setze (der Fürst) zuverlässige und geprüfte Männer ein; mittels dieser aber ziehe er das Geld ein, wie die Sonne das Wasser mittels der Strahlen.

986. (3713.) Die Frühlingsnacht ist gekommen; kommt aber der Gatte nicht, so mögen meine Lebensgeister in's Feuer fahren! Sollte ich aber eine Wiedergeburt begehren, so möchte ich ein Jäger sein, um einen Kokila einzufangen; der Dämon Râhu, um dem Monde ein Ungemach zu bereiten; der Augenstrahl Çiva's, um den Liebesgott (zu versengen); der Liebesgott, um den Liebsten (zu peinigen).

987. (371.) Ein durch die Trennung von seinem Weibchen in der Nacht aufgeregter Ḱakravâka kommt und geht, begiebt sich von Neuem zum Wasser, bewegt die jungen Lotusknospen, schüttelt die Flügel, läuft wie wahnsinnig hin und her und pfeift leise, leise.

[184] 988. 989. (372. 373.) Ein Mann, der etwas Böses verübt hat, tritt stolpernd heran, hat ein entfärbtes Gesicht und Schweiss auf der Stirn, bringt seine Rede nur unter vielem Stottern hervor, und blickt zur Erde, wenn er in den Gerichtssaal tritt. An diesen Zeichen also sollen Kundige ihn zu erkennen sich bemühen.

990. (374.) Der Geliebte ist angekommen; unter Hunderten von Phantasiebildern hat die Geliebte den Tag mit Mühe zu Ende gebracht; die stumpfe Umgebung führt, da ihr aller Scharfsinn abgeht, lange Gespräche: da ruft die Schlankgliedrige, deren Herz an der Erreichung des Liebesgenusses schon zu verzagen beginnt, aus: »es hat mich Etwas gebissen«, schüttelt eiligst das Busentuch und bringt auf diese Weise die Lampe zum Erlöschen.

991. Ein Knabe, der plötzlich die von der Mutter gesprochenen Worte »dein Vater ist heimgekehrt« vernimmt, steht, grau von Staub, vom Spiele ab, das die Kinder begonnen haben, streckt aus der Ferne mit lächelndem Munde die lieblichen Arme aus, lässt in seiner übergrossen Freude verschiedenartige Laute ertönen, rührt sich aber nicht, um wenigstens vor einem Andern zu stehen zu kommen.

[185] 992. (375.) Lebensdauer, Beschäftigung, Reichthum, Wissen und Tod: alle diese fünf werden dem Menschen schon zu der Zeit, wenn er noch im Mutterleibe sich befindet, vorausbestimmt.

993. (376.) Das Leben ist unstät wie eine Welle, der Jugend Herrlichkeit währt nur wenige Tage, die Reichthümer kommen und gehen wie die Gedanken, die grosse Schaar der Sinnesgenüsse ist wie das Zucken der Blitze in der Regenzeit, und wenn euch die Geliebte umschlingt und an's Herz drückt, so dauert auch dieses nicht lange: heftet euren Sinn auf das Brahman, damit ihr über ein Meer von Gefahren, die Welt, glücklich hinübergelanget.

994. (377.) Dem Volke drohet fünffache Gefahr: von Beamten, Dieben, Feinden, dem Lieblinge des Fürsten und der Habsucht des Königs.

995. Diejenigen, welche langes Leben, Ruhm, Macht, Reichthum und Angenehmes sich wünschen, müssen vor Allem den Vater zu gewinnen suchen, da der Vater eine grosse Gottheit ist.

[186] 996. (378.) Der Menschen Leben ist auf hundert Jahre abgemessen; die Hälfte davon geht in Nacht (im Schlafe) dahin, die eine Hälfte der anderen Hälfte in Kindheit und Greisenalter, die übrig bleibende wird unter Krankheit, Trennung und Schmerz im Dienst und Aehnlichem verbracht. Wie können die Menschen Freude haben an einem Leben, das den Blasen einer Wasserwoge gleicht?

997. Das Leben fährt wie der Wind dahin, Macht ist wie ein Regenbogen von kurzer Dauer, Jugend ist wie ein Blitz von keinem Bestand, Reichthum verrauscht wie die Wellen eines Gebirgsflusses, Jugendfrische klappt wie Elephantenohren rasch zusammen, der Leib wird von Krankheiten heimgesucht: habt ihr alles dieses erkannt, so übet Gutes, das lauter ist und stets beharrt.

998. (379.) Lebensalter, Vermögen, eine Oeffnung in der Wand, Berathung, Beischlaf, Arzenei, Askese, Spenden und erlittene Missachtung, diese neun Dinge müssen sorgfältig geheim gehalten werden.

999. (380.) Wer den Âjurveda (das heilige Buch der Heilkunde) fleissig[187] studirt hat, von Allen gern gesehen wird, einen edlen Charakter und Vorzüge besitzt, der gilt für einen Arzt, wie er sein soll.

1000. (3714.) Viele Aerzte, die ausschliesslich den Âjurveda studiren, sieht man dennoch mitsammt ihren Angehörigen von Krankheiten heimgesucht werden.

1001. Sämmtliche Juwelen reichen nicht hin um selbst nur einen Augenblick des Lebens zu erkaufen: wenn ein solcher Augenblick umsonst vergeudet wird, so ist dieses eine gar grosse Unbesonnenheit.

1002. (381.) Unverständige unternehmen nur Unbedeutendes und gerathen dennoch in Aufregung; Gescheidte unternehmen Grosses und bleiben dabei ganz ruhig.

1003. (3715.) Nicht lasse der Mensch es an seiner eigenen Arbeit fehlen, wenn er an ein Werk geht: das Zustandekommen eines Werkes hängt sowohl vom Schicksal, als auch von des Menschen Arbeit ab.

1004. (382.) Wie der Schatten am Vormittage sich von dem am Nachmittage unterscheidet, so die Freundschaft der Bösen von der der Guten: jene ist beim Beginn gross und nimmt allmählich ab, diese ist zuerst schwach und wird später mächtig.

[188] 1005. (3716.) Gewinnt man die Fürsten und verehrt man sie wie Götter, so bedenken sie ihre Verehrer mit Gnadenbezeugungen; im entgegengesetzten Falle aber züchtigen sie.

1006. (3717.) Gewinnt man die Fürsten durch sein gutes Benehmen und dient man ihnen eifrig, so erweisen sie sich gnädig; im entgegengesetzten Falle zürnen sie.

1007. Männern, deren Sinn durch das Zeitalter Kali verwirrt wurde, geht die Zeit bis zum Tode in der Hoffnung dahin, den Fürsten zu gewinnen, von ihm Geld zu erhalten und dann gewiss für immer der Freuden zu geniessen.

1008. (383.) Wenn ein Fürst, den man mit allem Eifer zu gewinnen sucht, sich nicht befriedigt zeigt, so hat man sich hierüber nicht zu wundern; ein Fürst aber, der zum Feinde wird, wenn man ihm dient, ist eine ganz neue Art von Erscheinung.

1009. (3718.) Will ein Untergebener seinen Fürsten recht für sich gewinnen, so eigne er sich Wissen, gutes Betragen, allerlei Künste und Anderes an.

1010. (3719.) Was dem, der den Scheiterhaufen bestieg, die Umarmung[189] der ihm in den Tod zu folgen sich anschickenden Gattin, was dem, der durch eine heftige Geistesverwirrung das Gedächtniss verlor, der Trank von Zuckerrohrsaft, und was dem Entseelten die Freude an Ohrenschmuck, Kranz und Armband, das ist dem Unverständigen die schöne natürliche Grösse der Dinge.

1011. (384.) Gesundheit, Gelehrsamkeit, Freundschaft mit Guten, hohe Geburt und Unabhängigkeit machen die Menschen auch ohne Geld zu grossen Herren.

1012. Dem ob vorangegangener Verdienste Glücklichen wird hier auf Erden stets Gesundheit, Wohlfahrt, Reichthum, Führerschaft, Freude, Sieg und Erreichung der Wünsche zu Theil.

1013. (385.) Gesundheit, Freisein von Schulden, Leben in der Heimath, Verbindungen mit guten Menschen, sicherer Lebenserwerb und gefahrloser Aufenthalt sind, o Fürst, die sechs Glücksgüter der Menschen.

1014. Gesundheit, Einsicht, Zucht, Fleiss und Freude an den Wissenschaften sind die fünf inneren Hilfsmittel zum Gelingen des Studiums beim Studirenden; Lehrer, Buch, Obdach, Kamerad und Ohren aber fördern als fünf äussere Hilfsmittel das Studium.

1015. (3720.) Gesundheit ist die höchste Wonne und so ist auch ein fester Wille und die Stellung eines grossen Herrn ein Glück; aber Alles ist bedeutungslos ohne den Genuss eines Freundes.

[190] 1016. (386.) Wie ein Stein nur unter grosser Anstrengung auf einen Berg hinaufgewälzt, mit Leichtigkeit aber hinabgerollt wird, so geht es auch uns: langsam zur Tugend, rasch zu Fehlern.

1017. (3721.) Das Besteigen von Stieren, Elephanten, Palästen, Berggipfeln und Bäumen, das Einsalben mit Koth, Weinen, Tod und die Vermischung mit einer Frau, der man sich nicht nähern darf, sind in Träumen glückbringend.

1018. Man besteige den Gipfel eines Berges oder begebe sich über das Meer hinweg in die Hölle, so werden die vom Schicksal auf den Scheitel des Menschen geschriebenen Worte in Erfüllung gehen, nicht so was der Herrscher spricht.

1019. (3722.) Einen redlichen Mann, der aus Redlichkeit schüchtern ist, hudeln Bösgesinnte, weil sie ihn für schwach halten.

1020. In Noth Befindliche beten zu den Göttern, Kranke kasteien sich, ein Armer beträgt sich gesittet, eine alte Frau ist dem Gatten treu.

[191] 1021. (3723.) Eine Gattin, die leidet, wenn der Gatte leidet, die froh ist, wenn er sich freut, die schmutzig und mager ist, wenn er sich auf Reisen befindet, und die stirbt, wenn er gestorben ist, erkenne man als treue Gattin.

1022. (3724.) Ein Mann gebildeten Herzens muss einen Feind, der in der Noth oder aus Furcht vor seinen Gegnern sich in seinen Schutz begiebt, mit Aufopferung des eigenen Lebens schützen.

1023. (3725.) Weise, o Führer der Bharata, finden an einer ehrenhaften Handlung Gefallen, vollbringen Handlungen, die zum Glück führen, und schmähen nicht Heilsames.

1024. (387.) Gute Menschen betreiben eines Anderen Sache und rechnen dabei nicht auf Gegenseitigkeit, wenn sie ein Mal erkannt haben, dass ein solches Verfahren Edlen zusage und ewig bestehe.

1025. Der Geistesschwache, welcher nicht Werke der Gerechtigkeit übt, wenn er das Glück gehabt hat im Lande der Ârja als ein mit Adel, Schönheit, Kraft, langem Leben und Einsicht gezierter Mann geboren zu werden, gleicht einem Seefahrer, der sein Schiff verlässt.

[192] 1026. Vater, Mutter, Brüder, entfernte Verwandte und Söhne geniessen, o Gatte, jenseits und auch hier auf Erden, jeder für sich, den Lohn der eigenen Thaten; die Gattin allein, der der Gatte über Alles geht, wird des Loses des Gatten theilhaftig.

1027. Vater, Mutter, Bruder, Sohn und auch die Schnur geniessen, o Gatte, den Lohn der eigenen Verdienste und jeder von ihnen trägt das eigene Los; die Gattin allein wird, o Edelster der Männer, des Loses des Gatten theilhaftig.

1028. (3726.) Glücklich diejenigen, welche auf ihren Armen Schutz suchende Söhnchen, deren Zahnknospen bei grundlosem Lachen kaum sichtbar sind, und deren Lippen liebliche Worte mit undeutlichen Lauten entströmen, umhertragen und vom Staube ihrer Glieder beschmutzt werden.

1029. (388.) Trägheit, Frauenhuldigung, Kränklichkeit, Heimathsliebe, Genügsamkeit und Furchtsamkeit: diese sechs hindern uns gross zu werden.

1030. (389.) Trägheit ist ja ein im Körper der Menschen hausender arger Feind; einen Freund, der dem Fleisse gleich käme, giebt es nicht: er schafft und erschlafft nicht.

1031. Verloren ist Wissen durch Trägheit, verloren ein Weib durch[193] Geschwätz, verloren ein schlecht besäetes Feld, verloren ein Heer ohne Führer.

1032. (390.) Reiche Leute gleichen Betrunkenen: beim Gehen werden sie von Andern umfasst, auf ebenem Wege straucheln sie und Unverständliches reden sie.

1033. Wenn Jünglinge eine lieblich schnarchende, die Augen träge aufschlagende Geliebte unter Umarmungen aus dem Schlafe wecken, so ist dies der höchste Lohn im Leben.

1034. Gute, die die Besten überragen, durchwühlen alle alten Lehrbücher, sinnen nach und üben Mitleid gegen alle Geschöpfe.

1035. (391.) Das Gesicht der Schlanken, das beim Liebesgenuss über dir schwebt, das Gesicht mit den flatternden, in Unordnung gerathenen Locken, mit den schwingenden Ohrgehängen, mit den von den feinen Schweisstropfen ein wenig verwischten Stirnzeichen, mit den am Schlusse des Minnespiels ermatteten Augen – das schirme dich lange; was brauchst du Vishṇu, Çiva, Brahman und die übrigen Götter?

1036. (3727.) Ein Bündniss, bei dem die Bedingung gestellt wird, dass[194] die vorliegende Angelegenheit durch die zwei vorzüglichsten Kämpfer der beiden Parteien entschieden werden müsse, heisst Purushântara (Stellvertretung).

1037. (3728.) Dein Nabel ist ein Strudel, deine Augen sind blaue Wasserrosen, die Falten auf deinem Leibe sind Wellen: so bist du denn ein Teich und deine Anmuth ist das Wasser darin.

1038. (392.) Wer hat diesen Strudel von Zweifeln geschaffen? Wer dieses Haus voller Ungezogenheiten, diese Stadt voller Uebereilungen, dieses Lagerhaus voller Fehler, dieses mit hunderterlei Betrug besäete Feld von Unzuverlässigkeit, dieses Hinderniss an der Himmelspforte, diesen Eingang zur Höllenstadt, diesen Korb mit allen möglichen Zauberkünsten, ich meine die Kunstpuppe Weib, dieses wie Nektar erscheinende Gift, diese Schlinge für die Menschheit?

1039. (393.) Das müssige Weilen unter heiteren Spielen an der Seite der Geliebten hat ja wohl einigen Reiz; auch am zarten Gesange des Kokila ergötzt sich das Ohr; diesem gefällt eine Laube in Blüthe, jenem ein Gespräch mit ausgezeichneten Dichtern; Einige laben sich an den Strahlen des Mondes, Andern erfreuen die schönen Nächte im Monat Ḱaitra Auge und Herz.

[195] 1040. (394.) Schlage deinen Wohnsitz auf am sündentilgenden Wasser der Gañgâ oder am herzentzückenden, mit Perlen geschmückten Busen der Jungfrau.

1041. (3729.) Leider nehmen Bösgesinnte zu Tage gebrachte Vorzüge Anderer stillschweigend auf, nicht etwa, weil sie an ihnen Freude hätten, sondern um sie zu verunglimpfen: die Kirâta lauern, wie man weiss, auf den Gesang der Kokila bloss deshalb, um Vogelleim für sie hinzustellen.

1042. (395.) Wer tiefes Mitgefühl hat, der zieht einen Elenden aus der Noth: es ist ihm dabei zu Muthe, als wenn ein heftiger Seelenschmerz ihn dämonisch erfasst hätte.

1043. (396.) Erwartet sie einen Fussfall von meiner Seite, so bedeckt sie sorgfältig die Füsse mit dem Saume des Gewandes; ein Lachen, das über sie kommt, sucht sie durch eine List zu verbergen; gerade in's Antlitz schaut sie mir nicht; rede ich sie an, so wechselt sie mit der Freundin Worte und verräth dabei ihren Zorn: es ist mir an ihrer heissen Zuneigung nicht viel gelegen, auch das Schmollen nimmt einen reizenden Ausgang.

1044. Welche Gegenden auf der Erde wären nicht mit einer Menge von aufbrechenden Knospen goldener Blumen bedeckt? Welches Land wäre nicht[196] mit achtungswerthen Männern geziert, die Menschenfreundlichkeit als Nektar strömen liessen? Welche Wege wären nicht mit alten Bekannten besetzt, die durch langjährige uns erwiesene Freundlichkeiten uns zusagten? Nur für diejenigen hier auf Erden, die der Gott der Zeit bethörte, sind diese verborgenen Vorzüge nicht vorhanden.

1045. Man mache Einem Hoffnung für kommende Zeiten, für diese finde man ein Hinderniss aus, für das Hinderniss gebe man eine Veranlassung an und für diese Veranlassung wieder einen Grund.

1046. (3730.) Das Hoffen richtet die Zufriedenheit zu Grunde, der Tod den Reichthum, der Zorn das Glück, der Geiz den Ruhm, das Nichthüten, o König, das Vieh, ein einziger in Zorn gerathener Brahmane ein ganzes Reich.

1047. (397.) Es giebt einen überaus tiefen Fluss, der Hoffnung heisst: die Wünsche sind das Wasser darin, die Gier bildet die Wellen, die den Fluss bewegen; die Leidenschaft entspricht den Krokodilen, die Ueberlegung den hin und her schwimmenden Vögeln; die Standhaftigkeit ist der am Ufer stehende Baum, den der Fluss entwurzelt; der Unverstand ist der Wirbel, der den Uebergang erschwert; die Berge von Sorgen sind die hohen Ufer. Mögen die grossen Weisen, die Allem entsagt haben und nur der Beschaulichkeit leben, sich der Freude hingeben, wenn sie reines Herzens diesen Fluss überschritten haben.

[197] 1048. Die Hoffnung hat eine grosse Macht, o Fürst; das Aufgeben aller Hoffnungen aber ist das höchste Glück: Piñgalâ schläft süss, weil sie allen Hoffnungen entsagt hat.

1049. (3731.) Die der Hoffnung Sclaven sind, sind aller Menschen Sclaven; wer aber die Hoffnung geknechtet hat, dem ist die ganze Welt unterthan.

1050. Hoffen ist ja das grösste Leid, das Aufgeben aller Hoffnungen die grösste Freude: Piñgalâ schläft süss, nachdem sie die Fesseln der Hoffnung abgeworfen hat.

1051. Hoffen ist ja das grösste Leid, das Aufgeben aller Hoffnungen aber die grösste Freude: so schlief auch Piñgalâ süss, nachdem sie den Hoffnungsfaden, der sie am Geliebten hielt, zerschnitten hatte.

1052. Die Hoffnung, ja die Hoffnung, ist eine Furie für die Männer, ein giftiger Blüthenstrauss, alter Branntwein. Weh rufe ich über die Hoffnung, die Stätte aller Uebel!

1053. (398.) Von der Leichenstätte kehren Verwandte und Freunde wieder um und du musst dann ganz allein weiter gehen: verrichte also gute Werke (damit du nicht ohne Geleite seiest).

[198] 1054. (3733.) Durch den Rückhalt wird stets die grössere oder geringere Geltung eines Menschen bedingt: im Vindhja-Gebirge sind die Elephanten so hoch wie dieses Gebirge, im Spiegel dagegen winzig klein.

1055. (399.) Bei der Ernährung Untergebener, bei der Bedienung des Herrn, bei der Ausübung der Tugend und bei der Erzeugung eines Sohnes hat man keine Stellvertreter.

1056. (3734.) Wenn sich die Feinde auf das Volk stützen, gewinnen sie an Macht, und wenn sie an Macht gewonnen haben, bringen sie Verderben; darum soll (ein Fürst) seine Unterthanen nicht in Schrecken jagen.

1057. Fasse Muth, o Grossarmiger! Ungemach berührt Jedermann in der Welt, wie der Wind, und vergeht auch wieder in einem Augenblick.

1058. Man flösse dem Gegner Muth ein durch ein liebevolles, gerechtes und ihm Vortheil bringendes Benehmen; haue aber auf ihn ein zu einer gelegenen Zeit, wenn er auf seinem Wege strauchelt.

[199] 1059. (400.) Das eben ist, o Wolke, dein schönster Schmuck, dass du dadurch leer wurdest, dass du eine Menge von Bergen, die von der Sonnengluth versengt, und Wälder, die vom bösen Feuer heimgesucht worden waren, erfrischtest und Hunderte von Strömen und Flüssen fülltest.

1060. (401.) Obgleich wir diese Dreiwelt bis zu ihrem Ursprung durchsucht haben, so ist uns, o Lieber, doch Niemand zu Augen oder zu Ohren gekommen, der den Elephanten Herz, trunken von dem mächtig aufgeschossenen Verlangen nach dem Weibchen, der Sinnenwelt, an den Pfosten »Bändigung der Sinne« zu ketten vermocht hätte.

1061. Durch Sitzen, Liegen, Gehen, Verkehr und Essen verbreitet sich im Krta-Zeitalter die Sünde, wie ein Oeltropfen im Wasser.

1062. (3735.) Es weile kein Gast in unserm Hause, den wir nicht mit Sitz, Speise, Lager, Wasser, Wurzeln oder Früchten ehrten.

1063. Das Mädchen hätschele man auf dem Sitze, die Jungfrau auf dem Ruhebette, die Gattin auf dem Schoosse: von dreierlei Art ist, wie man weiss, das Hätscheln.

[200] 1064. (402.) Feinde hauen auf ihre Feinde ein, sobald diese beim Sitzen, Liegen, Gehen, bei Getränken und Speisen, bei Handlungen, die nur für dieses, so wie auch bei denen, die für jenes Leben Bedeutung haben, sich sorglos zeigen.

1065. (403.) Näher und näher rückt der Tod dem Menschen mit jedem Tage, gerade so wie dem Verbrecher, der zum Richtplatz geführt wird, mit jedem Schritte.

1066. (404.) Ein Fürst wendet dem Menschen, der ihm gerade in die Nähe gekommen ist, seine Neigung zu, mag dieser auch der Wissenschaft fremd, von unedler Abstammung sein oder gar nicht zu ihm passen: Fürsten, Weiber und Schlingpflanzen pflegen sich an das, was ihnen gerade zur Seite steht, anzuklammern.

1067. (405.) Wenn bei Regengüssen Liebhaber das Haus zu verlassen nicht im Stande sind, dann drückt die Langäugige, weil sie vor Kälte zittert, den Geliebten fest an's Herz; darauf erhebt sich ein Wind mit kühlen Wassertropfen und verscheucht die nach dem Liebesgenuss eingetretene Ermattung. So wird, sieh, den Glücklichen in Gesellschaft der Geliebten ein Regentag zu einem schönen Sonnentag.

[201] 1068. Dem Vieh ist die Mutter Mutter, so lange es die Muttermilch trinkt, gemeinen Männern, so lange bis sie ein Weib gefunden haben, mittelmässigen, so lange jene die Hausgeschäfte besorgt, den besten aber ist sie ihr Lebenlang heilig wie ein entsündigender Badeplatz.

1069. (3736.) Um kurz zu sein (und was nützte es noch eine andere Schlechtigkeit der Weiber zu nennen?): sogar den im eigenen Mutterleibe getragenen Sohn tödten sie im Zorn.

1070. (406.) Ich verzichte auf dieses Königthum, das kein Feind bedroht; sogar die Herrschaft über die Dreiwelt gilt mir nicht so viel wie ein Grashalm: nur nach den Gebirgs- und Waldgegenden, die von arglos schlafenden Gazellenheerden bevölkert sind, fühlt sich mein Herz hingezogen.

1071. (3737.) Gute Menschen finden (um Anderes nicht zu erwähnen) keinen Gefallen mehr daran Andern nur gute Dienste zu erweisen, sondern härmen sich noch, wenn die Ihrigen einem Verleumder wehe thun.

1072. (3738.) (Beamte), die sich bereicherten, schröpfe der Fürst ordentlich wie böse Geschwüre; dann werden sie ihm zugethan sein wie dem Feuer.

[202] 1073. Wer trüge wohl ein Verlangen einen Löwen gering zu achten und ihm, wenn er beim Gähnen den Rachen aufreisst, aus dem Maule einen hervorspringenden Zahn auszureissen, der vom gekosteten Blute eines Elephanten einen röthlichen Schimmer zeigt und der vom Zwielicht gefärbten Mondscheibe gleicht?

1074. (3739.) Ich spreche von den heftigen, bis in's innerste Mark dringenden Schmerzen aus eigener Erfahrung und wünsche, dass keinem Sterblichen diese, Betteln genannte Erniedrigung zu Theil werden möge. Sieh, Bruder, dieses Betteln ist ein Spielplatz, auf dem über Würde und Alter die Nase gerümpft wird, es ist die schmutzige Schwärze, die über die Ehre gegossen wird, es ist der Verlust von Selbstvertrauen und Stolz ob des dabei erfolgenden Zusammenstosses der Tugenden.

1075. (407.) Diejenigen Männer, die in der Schlacht als Helden für den Herrn ihr Leben hingeben, die dem Ernährer ergeben und die dankbar sind, gehen zum Himmel.

1076. (408.) Früchte und Wurzeln bilden die wohlschmeckende Speise,[203] der Erdboden ist das Lager, Baumrinde dient zur Bekleidung; Kuça-Gras, Brennholz und Blumen vertreten die Stelle des Hausgeräthes, Gazellen die der Söhne; die Bäume gewähren Kleidung, Nahrung, Obdach und Reichthümer zum Verschenken und Geniessen und zwar ohne alle Beschränkung; Freunde, das Einzige, was man in den Häusern vor dem Walde voraus hat, bereiten den Hausvätern nur Schmerz.

1077. (409.) Essen, Schlaf, Furcht und Begattung haben die Menschen mit den Thieren gemein; Wissen ist der Unterschied, den die Menschen voraushaben: diejenigen, denen Wissen abgeht, stehen den Thieren gleich.

1078. (410.) Einem Diener ist es nicht vergönnt in Ruhe zu essen, erst dann aufzustehen, wenn er ausgeschlafen hat, und irgend Etwas nach eigenem Gutdünken zu sagen: lebt er denn wirklich?

1079. (3740.) Sprich Freundin, bist du eine fromme Nonne geworden oder weilt dein Gatte in der Fremde, dass du der Speise dich enthältst, dass du von der Sinnenwelt dich durchaus fern hältst, dass dein Auge auf die Nasenspitze gewandt ist, dass dein Herz nur auf einen Gegenstand gerichtet ist, dass du Schweigen beobachtest und dass dir jetzt diese ganze Welt leer erscheint?

[204] 1080. (411.) Warum doch bezeugen die Menschen der von Würmern sich nährenden Bachstelze (dem Abbild eines Reichen, der sich allerlei Genüssen hingiebt) Ehrfurcht und lassen den ausgezeichneten Kokila (das Abbild eines Asketen) unbeachtet, da ihm doch eine ganze Schaar von Vorzügen eigen ist? Seine Nahrung ist rein, seine Stimme süss, er hat kein eigenes Nest, hängt nicht an seinen Verwandten, findet Gefallen am Walde und ist im Frühling gesprächig. Seltsam ist das Gebahren der Menschen!

1081. Das Essen erscheint ihr täglich wie Gift, der Perlenschmuck wie ein Geier, der Mond heissstrahlig, ein sanft wehender Wind wie ein Donnerkeil, die Wohnung wie eine Wildniss, Sandelsalbe wie brennende Funken: o weh, die Zeit, da sie vom Geliebten getrennt ist, erscheint ihr wie die des Weltunterganges.

1082. (412.) Doppelt, heisst es, ist die Nahrung der Weiber, vierfach ihr Verstand, sechsfach ihr Unternehmungsgeist, achtfach ihr Liebestrieb.

1083. Wem wären eine Buhldirne und die Glücksgöttin, die im Herzen gleichgiltig sind und keine Freundschaft kennen, je treu geblieben, wenn man ihrer auch habhaft geworden wäre und sie sorgfältig gehütet hätte?

1084. (3741.) Zwischen der Süsse des Zuckerrohrs, der Milch, des[205] Zuckers und anderer Stoffe besteht ein grosser Unterschied, diesen aber zu bezeichnen vermag selbst die Göttin der Rede nicht.

1085. Wenn man Zuckerrohr, Sesam, Çûdra's, eine Geliebte, Gold, Erde, Sandel, dicke Milch und Betel drückt, so vermehrt dieses ihre Vorzüge.

1086. Mag man auch nur Zuckerrohr, Wasser, Milch, Wurzeln, Betel, Früchte oder Arzeneien genossen haben, so muss man dennoch Waschungen, Schenkungen und andere Handlungen vollbringen.

1087. Es schütze die Dreiwelt der unbesiegbare Liebesgott, dessen Bogen ein Zuckerrohrstengel ist, dessen Pfeile aus einem Blumenstrauss bestehen, dessen Bogensehne eine Bienenreihe ist, dessen Befehlen Männer, die Königreiche beherrschten, und Andere willig folgten, und von dessen Pfeilen getroffen Brahman, Vishṇu, Çiva, Indra und andere Götter, so zu sagen, in den Besitz aller Freuden gelangten.

1088. (413.) Wie der Saft des Zuckerrohrs mit jedem Knoten (Mondwechsel), je weiter er von der Spitze (vom Anfang) entfernt ist, an Gehalt gewinnt, so auch die Freundschaft guter Menschen; mit der der Bösen verhält es sich umgekehrt.

1089. (414.) Wer Gebärden und die äussere Erscheinung zu deuten versteht, kräftig ist, ein angenehmes Aussehen hat, stets wachsam und rührig ist, der eignet sich zu einem Thürhüter.

[206] 1090. (415.) Wer Hundert hat, verlangt nach Tausend; wer im Besitz von Tausend ist, strebt nach Hunderttausend; wer über Hunderttausend zu verfügen hat, nach dem Königthum; wer im Besitz des Königthums ist, nach dem Himmel.

1091. (416.) Opfer, Studium, Spenden, Askese, Wahrheitsliebe, Nachsicht, Selbstbeherrschung, Genügsamkeit: diese acht bilden, wie man lehrt, den Weg der Tugend.

1092. Die vier ersten unter diesen übt man auch des Betruges wegen, und die vier letzten sind nicht anders als bei Männern hohen Sinnes anzutreffen.

1093. (417.) Die gewöhnlichen Früchte böser Werke lasse, o Gott Brahman, über mich ergehen, wie es dir gut dünkt: ich will sie gern dulden; aber schreibe denen, die keinen Sinn für das Schöne haben, ja nicht, das flehe ich, die Ankündigung auf die Stirn, dass sie einst dichten werden.

[207] 1094. (418.) Da der Unhold durch mich zu seinem Glück gelangt ist, so darf er nicht durch mich seinen Tod finden: sogar einen Giftbaum kann derjenige, der ihn gross gezogen, füglich nicht selbst fällen.

1095. (419.) Wie ist der Leib des Meeres doch so ausgedehnt und so kräftig, und welche Lasten er trägt! Hier schläft ja Vishnu und hier auch ist die Schaar seiner Feinde; hier auch liegen, Schutz suchend, die beflügelten Berge; hier auch ist das höllische Feuer mit allen weltzerstörenden Mächten.

1096. (420.) Verliebte achten nicht auf das, was Andern vor ihnen widerfahren ist; nicht auf die Erschöpfung der Kräfte, nicht auf den Schandfleck, den sie ihrer Familie anhängen; nicht auf den vor ihnen stehenden Tod.

1097. Hier ist Nichts und dort ist Nichts; wohin ich auch gehe, da ist Nichts; wenn ich es wohl überlege, gewahre ich, dass auch die Welt Nichts ist: mehr als die Erkenntniss des eigenen Selbst giebt es Nichts.

1098. (421.) Hier zucken die Blitzesranken, dort verbreitet sich Wohlgeruch vom Ketaki-Baum, hier ertönen donnernd aufziehende Wolken, dort erschallt das verworrene Geschrei der Pfauen bei ihrem Spiele: wie werden wohl diese Tage der Trennung jetzt, wo alles Köstliche zusammentrifft, den Frauen mit den schönen Wimpern verfliessen?

[208] 1099. So ist denn die Einsicht hier auf Erden die Hauptbedingung zum Bestehen der Welt: der an Gütern Arme bleibt wohl am Leben, nicht so der an Verstand Arme.

1100. So kommen diejenigen sicher zu Falle, welche, in die Finsterniss der Unwissenheit gehüllt, durch eigene Schuld auf Abwegen wandeln und nicht eine richtige Lehre als Leuchte vor Augen haben.

1101. So ist denn ein Unterschied zwischen einem Freunde, der uns bloss Höflichkeiten bezeigt, und zwischen einem Freunde in Wahrheit: bei gleichem Fettgehalte (bei gleicher Freundlichkeit) bleibt Oel Oel und Butter Butter.

1102. (3742.) Während ein Mensch noch manches Verlangen hat, indem er bei sich denkt: »dieses habe ich vollbracht, dieses muss ich noch vollbringen und jenes dritte ist halb vollbracht«, rafft ihn der Tod hinweg.

1103. (422.) Dieses ist unangemessen und verkehrt, dass die Männer noch im hohen Alter sogar Liebesregungen fühlen, und eben so auch dieses, dass bei schönhüftigen Weibern Leben oder Liebesgenuss nicht mit dem Schlaffwerden des Busens ihr Ende erreichen.

1104. (3743.) Diese ganze Dreiwelt würde eine dichte Finsterniss sein, wenn nicht das Licht, Wort genannt, von Anfang der Welt geleuchtet hätte.

[209] 1105. Καὶ ἔτι τοῦϑ᾽ ἕτερον πασῶν τῶν γυναικῶν ἀπόρρητον, ῶ ϑεῖε τῶν σοφῶν ἐπειδὰν γυνὴ καλὸν ἄνδρα ἴδη, τὸ ἀιδοῖον ἀυτῆς νοτίζεται.

1106. (3744.) Da, o Freundin, dein Groll (gegen den Geliebten) sich noch nicht gelegt hat, so verhülle mit dem Tuch diese frische Nagelspur, die auf deinem Busen haftet (und dich Lügen straft).

1107. (3745.) Diese von Haus aus durch die Sinnesgegenstände geknechtete Welt, in der Einer nach des Andern Weib und Vermögen trachtet, begiebt sich auf den ewigen, von Guten betretenen Pfad, wenn Furcht vor Strafe sie niederhält.

1108. (423.) Wie kommt es, Geliebte, dass der Schöpfer dein Herz aus Stein formte, da er doch die Augen aus blauen Wasserrosen gebildet hatte, das Gesicht aus einer Nymphaea, die Zähne aus Jasminblüthen, die Lippen aus einer jungen Knospe, die Glieder aus Blättern des Ḱampaka?

1109. Derjenige, welcher tausend nach dem Mondlauf sich richtende, seine Person reinigende Kasteiungen vollbringt, und derjenige, welcher Wasser aus der Gañgâ trinkt, stehen einander gleich, vielleicht aber auch nicht (d.i. vielleicht steht der Zweite noch höher als der Erste).

[210] 1110. Man sagt, dass Indra ein Eunuch, der Mond fleckig, Kṛshṇa der Sohn eines Kuhhirten, Vjâsa der Sohn eines Fisches und das Meer geschmacklos sei, dass das Feuer Alles esse, dass Vasishṭha der Sohn einer Buhldirne sei, und nach der Aussage des Volkes sind die Pâṇḍava Bastarde: erwäge solches und dann sage mir, o Fürst, wer keinen Fehler hat.

1111. (424.) Zwischen den Freuden und Leiden Indra's und eines schmutzigen Ebers besteht kein Unterschied: aus freiem Willen hat jener Nektar, dieser Koth zur Lieblingsspeise sich erwählt; die Nymphe Rambhâ und eine schmutzige Sau, beide sind Gegenstände höchster Zuneigung; auch Furcht vor dem Tode ist bei Beiden gleich; auch können Beide durch den Gang ihrer Werke dazu kommen, die Rollen zu tauschen.

1112. (425.) Wenn Jemandes Geist den frei sich ergehenden Sinnen nachfolgt, so reisst er dessen Vernunft mit sich fort, wie der Sturm ein Schiff im Meere.

1113. (3746.) Wenn sich die Sinne in den sie mit sich fortziehenden Sinnesgegenständen ergehen, dann soll der Weise sich bemühen sie zu bändigen, wie der Wagenlenker die Rosse.

1114. Wenn unter allen Sinnen ein einziger entweicht, so entweicht dem Menschen der Verstand, wie das Wasser aus dem Beine des als Schlauch dienenden Felles.

[211] 1115. Durch Zügelung der Sinne, durch das Schwinden von Liebe und Hass und dadurch, dass man den Wesen kein Leid zufügt, wird man der Unsterblichkeit theilhaftig.

1116. (3747.) Die Sinne bändigen bedeutet mehr als sterben; ihnen aber allzu freien Lauf gewähren, könnte selbst Göttern verderblich werden.

1117. (3748.) Wer den Sinnen fröhnt, kommt sicher zu Schaden; wer sie aber im Zaum hält, gelangt zum Ziel.

1118. (426.) Hat man den Sinnen wie Rossen auf der Landstrasse freien Lauf gestattet, dann suche man sie mit festem Willen zu lenken: mit festem Willen bezwingt man sie sicher.

1119. Indem ich die Sinne zu Opferthieren, die Kasteiungen zum Altar und die Schonung alles Lebenden zur Opferspende mache, bringe ich mit meiner eigenen Person ein Opfer dar.

1120. (3749.) Wer etwas Grosses anstrebt auf dem Gebiete des Nutzens[212] oder der Tugend, der bändige die Sinne: durch Bändigung der Sinne wächst die Einsicht, wie durch Holz das Feuer.

1121. (3750.) Man hänge an keinem Sinnesgegenstande dem Triebe gemäss und einem zu starken Hange an ihnen wehre man mit dem Geiste.

1122. (3751.) Durch die Sinne, wenn sie ungezügelt in den Sinnesgegenständen sich ergehen, wird diese Welt in Pein versetzt, wie die Gestirne durch die Planeten.

1123. (3752.) Diese heitere Ausgelassenheit der gazellenäugigen Mädchen mit dem frischen Dufte ihrer Jugendpracht und mit der beginnenden Gluth des üppigen Liebesgenusses begeht eine kleine Siegesfeier, da es ein Bürge dafür ist, dass dem Liebesgott der Sieg zuerkannt wird, und da es seit lange der Herzensdieb und der einzige Lehrer des bisher unbekannten Wechsels der Gemüthsstimmung ist.

1124. (427.) Das Mädchen hier stellt einen Jäger dar, ihre Braue den Bogen, ihre Seitenblicke die Pfeile und mein Herz die Gazelle.

1125. Dieser Fürstenstand, der im Gegensatz zum Volke steht, ist ja[213] von Haus aus hoch gestellt; darum soll man ihn mit Gewalt zur Zucht anhalten, da Zucht beim Zustandekommen des richtigen Benehmens Allem vorangeht.

1126. (3753.) Soll man grenzenlos und über die Maassen staunen über den Winzigen oder über den Sonderling? Ist der Eber (Vishṇu als Eber) oder der Dämon Râhu eine grössere Wundererscheinung? So frage ich, weil der Eine allein die versunkene Erde auf seinen Hauern und Borsten trug, der Dämon aber, dem nur der Kopf blieb (d.i. Râhu), den Feind (Sonne und Mond bei Finsternissen) verschluckt und dann wieder von sich giebt.

1127. (428.) Die hier mit den beweglichen, langgestreckten Augen, mit dem starken, gewölbten, festen Busen, die unter der Last der mächtigen Hüften langsam Einherschreitende ist meine Liebste, die mir das Leben raubt.

1128. (3754.) Grossen Männern hohen und edlen Wesens ist eine gewisse Hartherzigkeit eigen: wenn sie Jemanden einen Dienst erwiesen haben, halten sie sich fern aus Besorgniss, der Andere möchte ihnen einen Gegendienst erweisen.

1129. (3755.) Diese Ansiedlung ist ringsum von Wilden angefüllt, die[214] Gefallen finden an ungebührlichen Unternehmungen und eine Vorliebe haben für Pfeile, die ob ihres Giftes furchtbar sind. Verbringe, o Papagei, von Niemand gesehen, im Stamme dieses Baumes die Zeit; die Stimme kann dir nicht zum Heil gereichen, es bringt also hier nur ein Schloss vor dem Munde Rettung.

1130. (429.) Das Mädchen hier schleudert ohne Unterlass das Auge auf mich, ein Auge, das dem Blüthenblatte der blauen Wasserrose die Pracht zu rauben vermag. Was mag sie bezwecken? Gewichen ist von uns die Verblendung, verloschen sind die Fieberflammen, welche durch die Berührung mit den Pfeilen des Liebesgottes, dieses Wilden, entbrannt waren: und dennoch ruht die Elende nicht!

1131. Theure Kinder, Vermögen, liebe Freunde und auch die Gattin sind dazu da um uns aus unglücklichen Verhältnissen zu retten; so ist der Weisen Ansicht.

1132. (3756.) Wenn ihr die Götter durch Opfer ehret, werden sie euch ja erwünschte Genüsse verleihen; wer aber von ihnen gereichte Genüsse geniesst, ohne ihnen Etwas darzubringen, der ist ein Dieb.

1133. (430.) Vor die geliebte Gattin, den lieben Freund und auch den jüngeren Sohn soll man nicht mit leeren Händen treten, eben so wenig vor den Zeichendeuter und den Gebieter.

[215] 1134. (3757.) Warum verlässt du, o Gazellenkalb, den Blüthenstrauss des Reises auf dem Felde hier? Das ist ein aus Stroh verfertigter Trugmann mit strohernem Bogen und strohernem Pfeile.

1135. Die grössten Weisen haben nach sorgfältiger Prüfung verschiedener Lehren vier Spenden hier auf Erden als zum Heil in dieser und jener Welt führend erklärt.

1136. Von Furcht Ergriffenen soll man Sicherheit gewähren, Kranken Arzenei verabreichen, nach Wissenschaft Verlangende die Wissenschaft lehren und dem Hungrigen Speise reichen.

1137. (431.) Thoren mögen hier immerhin mit Hunderten von Rossen fahren und arme Weise zu Fusse gehen: eine Krähenschaar, auch wenn sie auf dem Gipfel eines Berges sitzt, kann sich doch nicht mit Flamingos vergleichen, wenn diese auch auf einer Sandbank im Flusse stehen.

1138. Den Tod erklärt man hier für ein Leid und doch ist es der Tod, der das Leid zu heben vermag: bei Leid und bei Freude soll der Tod ein Leid sein; was hält man denn bei ihm für Leid?

[216] 1139. Das Erlangen von Tugend, Reichthum und Genuss wünscht man sich hier auf Erden als Gewinn; Zweie von diesen, Reichthum und Genuss, soll man mit dem Auge der Tugend betrachten.

1140. Denn wer die Tugend aufgiebt und auf den Reichthum des Reichthums wegen schaut, oder auf den Genuss um des Genusses theilhaftig zu werden, der ist unter Verständigen nicht verständig.

1141. Wem, o Mächtiger, die Väter hier auf Erden eine Tochter unter Wasserspenden nach ihrem Gesetze zum Weibe geben, dessen Weib bleibt sie auch im künftigen Leben.

1142. Hier in der Welt fühlt sich ja ein Angehöriger von Reichen als Angehöriger; ein Angehöriger von Armen dagegen geht zu Grunde, lebten auch diese.

1143. (432.) Hier in der Welt wird ja sogar ein Fremder, wenn er nur der Reichen Einer ist, zum Anverwandten; ein Anverwandter sogar, wenn er zu den Armen gehört, alsbald zum schlechten Menschen.

1144. Ein Sohn rettet Einen, o Bhârata, hier oder jenseits aus einer Gefahr; weil ein Sohn Einen jeglichen Falles rettet, darum nennen Weise ihn Putra.

[217] 1145. (433.) Treibe, o Biene, froh unter lieblichem Gesumme dein Liebesspiel mit den Wasserrosen hier im Teiche, so lange der Jasmin da noch nicht erwacht (aufgeblüht) ist und dich durch den Wohlgeruch seines unvergleichlichen Blumensaftes ergötzt.

1146. (3758.) Wenn hier Söhne aus guter Familie mit aller ihrer Habe von Buhldirnen aufgezehrt werden, wie stattliche Bäume mit reichlichen Früchten von Vögeln, dann kommen jene wie diese dazu, dass sie so recht zu gar Nichts nutze sind.

1147. (434.) »Hier giebt es ja einen lieblichen Gesang zu hören, dort einem Tanz zuzusehen, da Etwas zu kosten, hier erhebt sich ein Wohlgeruch, dort bietet sich ein Busen zur Berührung dar«, so sprachen zu dir die fünf Sinne, denen die Erkenntniss der höchsten Wahrheit abgeht und die nur geschickt sind, das zu thun, was ihnen frommt, trieben dich hierhin und dorthin und führten dich schliesslich an.

1148. Wem werden alle ihm am Herzen liegenden Freuden zu Theil? Da Alles vom Schicksal abhängt, so nehme man zur Genügsamkeit seine Zuflucht.

1149. (435.) Der Neidische, der Mitleidige, der Unzufriedene, der Zornige, der stets Etwas Befürchtende und der von fremder Wohlfahrt Lebende, diese sechs fühlen sich stets unglücklich.

[218] 1150. (436.) Was hat man sich darüber zu wundern, dass reiche Herren stets einen Widerwillen gegen falsche Menschen an den Tag legen? Vergrabene Schätze bergen ja vorzugsweise zweizüngige Schlangen.

1151. Von Gott begünstigt, gelangt ja hier und da auch ein Knabe zur vollkommenen Ruhe des Gemüths; dagegen wird hier und da auch ein elender Wicht von Greis dieser Ruhe nicht theilhaftig.

1152. (437.) Denselben Genuss, den reiche Herren durch vieles Geld erreichen, verschafft sich ein Armer, so haben wir gehört, durch ein Otterköpfchen.

1153. (3759.) Wenn ein Mächtiger wie ein Löwe sich nur ein wenig streckt, thut er Einem, wie dieser einem brünstigen Elephanten, ein Leid an; darum soll der, dem es um Glück zu thun ist, mit ihm einen Bund schliessen.

1154. Wenn Jemand bei seinen Unternehmungen nicht zu Reichthümern gelangt, dann gebe er sich strengen Kasteiungen hin, da Ungesäetes nicht aufgeht.

1155. Durch Spenden wird man wohlhabend, durch ehrfurchtsvolles Benehmen gegen Bejahrte klug und durch Schonung alles Lebenden erreicht man ein hohes Alter; so lehren die Weisen.

[219] 1156. (3760.) Das Begehren nach Reichthümern bringt keine Freude; hat man jene erlangt, so beginnen vielfache Sorgen; der Verlust des Gewonnenen ist wie der Tod; und so ist es einerlei, ob man Etwas gewinnt oder nicht.

1157. Wozu die vielen Worte und wozu die immer wiederkehrenden Schwüre? Ich sage, und dieses ist wahr, dass nur du in meinem Herzen wohnst.

1158. Es ist besser, die gewohnte Vertraulichkeit aufzuheben – der Veranlassungen zum Bruch giebt es ja viele –, als verständigen Frauen noch grössere Höflichkeiten als zuvor, die aber der Zuneigung baar sind, zu bezeigen.

1159. (3761.) Am Orangenbaum und auch an der Ketakî sind die Dornen wohl am Platz; wozu aber hast du, o geschmack- und geruchlose Kantakârikâ, Dornen?

1160. (3762.) Der grosse Mann, der stets höher und höher zu steigen wünscht, erweitert seine Schritte; wer Sturz und Gefahr besorgt, sinkt stets tiefer und tiefer.

1161. Der Baum hier ist hoch und gross die Frucht; sobald ein Papagei[220] diese erblickt hatte, ward er froh, verliess das reife Reisfeld und begab sich in seiner Dummheit zum Kokosnussbaum; als er diesen erklommen hatte, liess er hungrigen Sinnes den Schnabel hacken: da erfolgte aber nur dieses, dass seine Hoffnung schwand und sein Schnabel zum Barte (von den Fasern der Kokosnuss) wurde.

1162. (3763.) Was bedeuten, zeigten sie auch falschen Hochmuth, jene vielen hoch am Himmel aufgegangenen Gestirne (wie die Venus und andere) mit ihren aufsteigenden Lichtstrahlen? Wie sollte, bevor du, o Mond, der du die Finsterniss der Welt verscheuchst, deine Pracht entfaltet hast, der Ocean seine höchste Höhe erreichen?

1163. Gerechtes Verfahren hört auf, gewaltiges Unrecht herrscht und Tag und Nacht spricht man von Gefahr, wenn dem Bösewicht nicht gewehrt wird.

1164. (438.) Verständige lassen bisweilen sogar einen Feind, den sie aus dem Wege schaffen müssten, an Macht wachsen, da Schleim, wenn man ihn durch Gebrauch von Zucker vermehrt, schliesslich sich vollkommen legt.

1165. Vierfach ist, wie man sagt, der Blick: strahlend, gerade, schief und geröthet; derselbe ist je nach Umständen ein anderer.

[221] 1166. Strahlend beim Zusammentreffen mit einem Freunde, gerade beim Anblick des Sohnes, schief beim Minnespiel mit der Geliebten, geröthet beim Erscheinen eines Feindes.

1167. Ein gemeiner Mensch ist durchaus nicht im Stande einen mit glänzenden Vorzügen Ausgestatteten im Glücke zu sehen: eine Lichtmotte zerstört sogar mit Hingabe ihres Leibes das glänzende Licht einer Lampe.

1168. Sogar der mit hellem Lichte ausgestattete Mond, dessen Gefolge die Sterne bilden, der das Haupt der Kräuter ist und dessen Leib aus Nektar besteht, büsst seine Strahlen ein, sobald er in die Scheibe der Sonne geräth: wer ward nicht erniedrigt, wenn er ein fremdes Haus betrat?

1169. Der Reine und bei Unterrichteten in Achtung stehende Mann, der im Augenblick des Todes im Herzen an die Gañgâ denkt, wird des schönsten Lohnes theilhaftig.

1170. (439.) In Erwartung eines Schatzes habe ich den Erdboden aufgegraben, des Berges Erze geschmolzen, den Ocean durchschifft, die Fürsten[222] mit Eifer zu gewinnen gesucht, die Nächte auf der Leichenstätte zugebracht, in Beschwörungen vertieft; aber nicht einmal ein elendes durchlöchertes Otterköpfchen habe ich gefunden: o Gier, jetzt lass mich frei!

1171. (440.) Lange währt die Freude eines Fürsten, wenn er, wie ein kunsterfahrener Gärtner, Entwurzelte wieder an ihre Stelle setzt, von Blühenden die Blüthen abliest, Schwache kräftigt, zu hoch Aufgeschossene niederbeugt, Ueppige schwächt, Verbundene trennt, winzige Stachelige (Feinde) hinausweist, Welke wiederholt besprengt.

1172. Einen Hochstehenden drücken Unfälle nicht auf gar lange Zeit stark darnieder: den von Râhu verschlungenen (d.i. verfinsterten) Mond befreit der folgende Augenblick vom Schatten.

1173. (441.) Wohl ein vorzüglicher, aber nicht ein gewöhnlicher Mensch vermag eine durch Leiden bewirkte Erschütterung zu ertragen: nur der Edelstein, nicht aber ein Lehmstück, hält die starke Reibung eines Schleifsteines aus.

[223] 1174. (442.) Dem Hohen bezeige man Unterwürfigkeit, den Heldenmüthigen entzweie man mit seinen Bundesgenossen, dem Niedrigen lasse man kleine Geschenke zukommen, dem von gleicher Macht setze man Muth entgegen.

1175. Ein Hochstehender fühlt Befriedigung, wenn seine Person gehegt und gepflegt wird: ein Baum pflegt uns nicht von selbst seine Gunst zu zeigen, sondern erst dann, wenn seine Füsse (Wurzeln) gesalbt (begossen) werden.

1176. Beim Besten währt der Zorn einen Augenblick, beim Mittelmässigen etwa sechs Stunden, beim Niedrigen einen Tag und eine Nacht; der ausgesprochene Bösewicht wird dessen nimmer frei.

1177. (443.) Wenn sogar ein Niedriger in das Haus eines Mannes aus höchster Kaste kommt, muss er nach Gebühr geehrt werden: ein Gast kommt ja in aller Götter Namen.

1178. (3764.) Die durch sich selbst Berühmten stehen am höchsten, die durch den Vater Berühmten in der Mitte, die durch einen mütterlichen Oheim Berühmten am tiefsten, aber noch tiefer als diese die durch den Schwiegervater Berühmten.

[224] 1179. Ist ein Fürst inne geworden, dass es bedeutende, niedrige und mittelmässige Angelegenheiten giebt, so übertrage er dieselben bedeutenden, niedrigen und mittelmässigen Dienern.

1180. (3765.) Der Schöpfer hat die von aussen reinen Weiber zu Weibern gemacht, weil er wusste, dass sie, sie mögen sich mit dem Höchsten oder mit dem Niedrigsten verbinden, sich auf gleiche Weise benehmen.

1181. (3766.) Wem es um seine Wohlfahrt zu thun ist, der diene nur den Besten; wenn es aber die Zeitumstände erheischen, auch Mittelmässigen, nimmer aber Niedrigen.

1182. (3767.) Am höchsten stehen die durch ihre eigenen Vorzüge Berühmten, in der Mitte die durch des Vaters Vorzüge Berühmten, am niedrigsten die durch ihres mütterlichen Oheims Vorzüge Berühmten, aber noch tiefer als diese die durch ihres Schwiegervaters Vorzüge Berühmten.

1183. Wer mit den Besten Verkehr hat, mit Gelehrten Gespräche führt und mit Uneigennützigen Freundschaft schliesst, der kommt nicht in Nöthen.

1184. Der vorzügliche Mensch pflegt nicht viele Worte zu machen, der gemeine dagegen schwatzt viel: vom Gold kommt kein solcher Klang, wie vom Messing.

[225] 1185. (444.) Auch ein Hoher streckt bisweilen vor einem Niedern bittend die Hand aus: um den Kaustubha und andere Juwelen bat der Gott Vishnu das Meer.

1186. Der vorzügliche Mensch giebt ungebeten, der mittelmässige aber gebeten, der allerniedrigste dagegen giebt auch dann nicht, wenn er von Bittenden darum angegangen wird.

1187. Am höchsten steht die Kunst Gold zu machen, in der Mitte die Scheidekunst, am niedrigsten die Zauberkunst, noch niedriger als diese aber die Lügenkunst.

1188. (445.) Redet man mit einander, so giebt ein Wort das andere, wie ja auch Samen, dem reichlicher Regen zu Theil ward, neuen Samen erzeugt.

1189. (3768.) Für diejenigen, denen es um fertig daliegende Früchte zu thun ist, sind Königsdiener besser, als deren Herren, da diese erst nach grossen Anstrengungen Früchte verleihen.

1190. (446.) »Steh auf, o Freund, und trage einen Augenblick die[226] Last meiner Armuth, indess ich Müder nach langem Harren deinen Freuden, die du dem Tode dankst, mich hingebe«, so angeredet von einem Armen, der stracks zur Leichenstätte geeilt war, blieb der Todte ruhig liegen, da er wohl erkannt hatte, dass der Tod ein grösseres Glück als Armuth ist.

1191. (447.) Steh auf, o Liebesbotin, lass uns gehen! Eine Nachtwache ist verstrichen und dennoch ist er nicht gekommen! Die auch darnach leben bleibt, über deren Leben mag er der Herr sein (d.i. deren Gatte mag er sein).

1192. (448.) Wer aber sein Wohl im Auge hat, darf einen Feind, der sich zu erheben im Begriff steht, nicht übersehen: die Weisen haben uns ja überliefert, dass Krankheit und Feind gleicher Art seien, dass sie beide wüchsen.

1193. Eine Krähe wird, so winzig sie auch ist, der Frucht eines auf dem Gipfel eines hohen Berges stehenden Baumes theilhaftig, weil sie Flügel hat; ein Löwe, der sogar die Anschwellungen auf der Stirn eines wüthenden Elephanten zu zerfleischen pflegt, erlangt bekanntlich nur Ueberbleibsel, weil er keine Flügel (keinen Anhang) hat.

1194. Man soll thätig sein, wachen und sich rüsten zu den Handlungen, die zum Glück führen, indem man stets gutes Muths sich den Gedanken vorführt, dass es gelingen werde.

[227] 1195. (3769.) Wisse, dass Thätigkeit, Selbstbeherrschung, Geschicklichkeit, Wachsamkeit, Zufriedenheit, Gedächtniss und das nach reiflicher Erwägung an's-Werk-Gehen die Wurzel der Wohlfahrt sind.

1196. Selbst richtig angewandte Bemühung geschickter Menschen erweist sich in der Welt als fruchtlos, wenn sie nicht vom Schicksal begünstigt wird.

1197. Alle Geschöpfe verstehen sich, o Bhârata, auf die Thätigkeit und geniessen die offenbare, von der Welt bezeugte Frucht ihrer Werke.

1198. Wer stets bemüht ist die Blössen Anderer auszuspüren, der Mann entledigt sich der Schuld gegen die Andern sowohl als gegen sich selbst.

1199. (3770.) Ein Mann der That steht über den Männern des Wortes: es ist die Sache der Männer des Wortes, die Männer der That aufzuheitern.

1200. (3771.) Ein Fürst, der der Thatkraft ermangelt, ist, wäre er auch klug, stets ein Spielball der Feinde, wie eine Schlange ohne Gift.

1201. (3772.) Durch Anstrengung wurde der Nektar gewonnen, durch Anstrengung wurden die Feinde der Götter geschlagen, durch Anstrengung erlangte Indra seine Obermacht im Himmel und auf Erden.

1202. (449.) Durch Anstrengung suche man Alles zu fördern, gleichwie[228] man Feuer durch Holz nährt: des Glückes wird ja sogar der Schwache theilhaftig, wenn er sich ohne Unterlass anstrengt.

1203. (450.) Die Wünsche der Armen erheben sich und schwinden auch wieder im Herzen, gerade so wie die Brüste edler Frauen, die schon als Kinder der Wittwenstand martert.

1204. (451.) So oft man aufsteht, denke man: »welches gute Werk wird heute vollbracht? Wenn die Sonne untergeht, nimmt sie auch einen Theil des mir zugemessenen Lebens mit sich fort.«

1205. (452.) So oft man aufsteht, denke man: »eine grosse Gefahr steht bevor; wird Tod, Krankheit oder Kummer heute über mich kommen?«

1206. (453.) Männer, denen es darum zu thun ist, eine Sache durchzuführen, erweisen denjenigen Ehre, die fest aufrecht stehen; wer wird sich dagegen vor einem Manne verneigen, der wie ein bezwungener Feind zu Boden liegt?

1207. (454.) Man möge in die Lüfte sich erheben, zur Erde sich herablassen, die ganze Welt durchlaufen: was Einem das Schicksal verweigert hat, wird Einem auch nicht zu Theil.

1208. (455.) Dass die Vögel in die Lüfte sich erheben und wieder zur[229] Erde niederfliegen, auch das geschieht, weil es ihnen als Los zugefallen ist: was Einem das Schicksal verweigert hat, wird Einem auch nicht zu Theil.

1209. Man breche schleunigst aus der Heimath auf, wenn sie von Seuchen oder Hungersnoth heimgesucht wird; auch soll man an einen andern Ort ziehen, wenn man nicht, beständig geehrt, zu Hause leben kann.

1210. Wer würde nicht des Glückes geniessen, wenn er dieselbe Gesinnung, welche er nach Eintritt der Reue hat, auch vorher gehabt hätte?

1211. (3773.) Den Menschen, der hier in der Welt geboren ward, treffen von der Geburt an mannichfache Leiden und Freuden.

1212. (3774.) Da er auf den einen der beiden Wege geführt wird, so jubele er nicht, wenn er der Freuden, und härme sich nicht, wenn er der Leiden theilhaftig wird.

1213. (3775.) Ist der Hirsch ein Mal da, so wächst, indem er wächst, auch sein Horn; wie für des Menschen Begehren, so giebt es auch für das Horn kein Maass und kein Ziel.

1214. (456.) Wer aber einen geschehenen Unfall wieder gut macht, der ist klug, wie die Kaufmannsfrau, die es verstand ihren ertappten Buhlen doch nicht als Buhlen erscheinen zu lassen.

[230] 1215. (457.) Und wer in Fällen, wo es sogleich zu handeln gilt, den Kopf nicht verliert, der kommt glücklich über die Klippen hinweg, wie die Hirtin über ihre zwei Buhlen.

1216. (3776.) Unter den zwei Vätern, dem Erzeuger und dem Lehrer des heiligen Wortes, ist der Lehrer der Ehrwürdigere, da die durch das heilige Wort bewirkte Geburt des Brahmanen in jener und in dieser Welt eine ewige ist.

1217. (3777.) Der vom Malaja-Gebirge wehende Wind bereitet Freude der Welt: der Rücksichtsvolle (von Süden Kommende) ist ja Jedermann lieb.

1218. (3778.) Die Wälder mit dem aufspriessenden Laube, die Teiche mit den blühenden Wasserrosen und den Vollmond hat der Liebesgott zum Augengift der Reisenden gemacht.

1219. (3779.) Böse Mäuler können mit Leichtigkeit schwatzen, dass ihnen die Backen bersten; aber nur der Dichter kennt recht des Dichters Mühe.

1220. (3780.) Von einem Feste zum andern, von einem Himmel zum[231] andern, von einer Freude zur anderen gehen Gläubige, Gezügelte, Reiche, Gutes Thuende.

1221. (458.) Wer bei Festen und im Unglück, bei Hungersnoth, im Gedränge mit dem Feinde, am Thore eines fürstlichen Palastes und auf der Leichenstätte uns treu zur Seite steht, der ist ein Freund.

1222. (5385.) Die Bhâradvâģa sagen, dass ein Kleiner, der mit Willenskraft ausgestattet ist, einen grossen Feind zu tödten vermag, wie der Löwe den Elephanten.

1223. (459.) Ein Greis und ein Siecher, Beide wer den, weil ihnen alle Willenskraft abgeht, (als Regenten) schon von den Ihrigen ohne Zweifel geringschätzig behandelt.

1224. (460.) Den Willenskräftigen, den rasch zu Werke Gehenden, den Geschäftskundigen, den nicht an bösen Gewohnheiten Hängenden, den Heldenmüthigen, den Dankbaren und den treuen Freund sucht das Glück selbst auf um bei ihnen seine Wohnstatt aufzuschlagen.

[232] 1225. Alle Geschöpfe würden zu Grunde gehen, wenn sie nicht hier auf Erden thätig wären; desgleichen würden sie nicht gedeihen, wenn die Arbeit keine Früchte trüge.

1226. (3781.) Verwandte, Freunde und Söhne kehren heim und verlassen (den Todten), mein Sohn, wie Vögel Bäume, die weder Blüthen noch Früchte haben.

1227. Vor Wasser, Feuer, Dieben, insbesondere aber vor Mäusen soll man ein mit Mühe geschriebenes Lehrbuch sorgfältig hüten.

1228. Aller Same ist im Wasser enthalten, alle Götter im Heiligen der Ģaina, alle Freuden im Weibe, alle Tugenden im Mitleid.

1229. (461.) Die Erde wird vom Meere begrenzt und dieses Meer erstreckt sich auch nur auf hundert Jogana; den Umkreis des Himmels misst immer wieder die wandernde Sonne. So sind die Dinge gewöhnlich durch vorspringende Schranken wie mit einem Siegel geschlossen; unbegrenzt aber ist die Entfaltung des Geistes der Weisen, ihr bringe ich ein Hoch!

1230. (3782.) Giebt es wohl eine andere Schande für Diener, die ihren Herrn als unerschütterlich wie das Meer kennen, als die, dass ein solcher Herr vor ihren Augen gedemüthigt wird?

[233] 1231. (3783.) Wer fühlte sich nicht zu Soldaten hingezogen, die vereint zum Siege und auch vereint in den Tod gehen?

1232. (462.) Wenn auch die Sonne im Westen aufginge, der Berg Meru erzitterte, das Feuer kalt würde, die Wasserrose auf Bergesgipfel auf einem Felsen blühte: die Rede edler Menschen würde kein leeres Wort sein.

1233. (3784.) Wenn die Sonne hier emporsteigt, bringt sie Segen den Tagwasserrosen: den Freunden einen Dienst erweisen zu können ist der Vortheil des Wohlstandes.

1234. (3785.) Der um eine Gabe angesprochene Geizhals ist freigebiger als der edel handelnde Mann: dieser giebt zuerst das Geld her und dann das Leben, jener zuerst das Leben und dann das Geld.

1235. (3786.) In wessen Herzen stellt sich nicht Freude ein, wenn der Mond aufgegangen ist? Dass du, o Tagwasserrose, zusammenschrumpfst, daran ist, o Weh, dein widerwärtiges Schicksal Schuld.

[234] 1236. (463.) Was man mit Worten ausspricht, versteht sogar das Vieh: Pferde sowohl, als auch Elephanten ziehen, wenn man sie dies thun heisst. Der kluge Mensch erräth sogar Unausgesprochenes: dazu dient ja der Verstand, dass man auch die Gebärden Anderer versteht.

1237. (464.) Roth geht die Sonne auf, roth geht sie auch unter: im Glück und im Unglück bleiben Grosse sich gleich.

1238. (3787.) Dass in einem Käfig (im Körper) mit neun geöffneten Thüren (den Nasenlöchern u.s.w.) der Vogel Lebensodem bleibt, das ist ein Wunder; wie kann man darüber staunen, dass er davon fliegt?

1239. Stolze sind im Stande den Stolz schlechter Menschen zu Nichte zu machen: nur Potasche vermag die Flecken in Kleidern zu entfernen.

1240. (465.) Wenn sogar die Schwerter gezogen sind, wenn sogar der Verwandten Schaar getödtet wird, dürfen Gesandte, selbst wenn sie harte Worte reden, vom Fürsten nicht am Leibe gestraft werden.

[235] 1241. (466.) Wer fühlt sich behaglich, wenn er in Berührung kommt mit einem gemeinen Menschen, der alle Bösewichter verherrlicht, zügellos ist, in seinen niedrigen, aus einem früheren Leben zu Tage tretenden Handlungen sich bewegt, durch des Schicksals Gunst in den Besitz von Reichthümern gelangt ist und sich als Feind jeglicher Tugend zeigt?

1242. Wenn man die Waffen erhoben sieht, ist man bestürzt und geräth in Verzweiflung, indem man für sein Leben zittert: keine Furcht kommt der vor dem Tode gleich.

1243. (3788.) Ein sich darbietendes Vergnügen zurückzuweisen heisst man ja selbst bei dem nicht gut, der alle ihn an die Welt fesselnden Bande gelöst hat, wie viel weniger bei dem, der am Vergnügen noch Gefallen findet.

1244. (467.) Selbst wenn die Waffen erhoben sind, spricht der Gesandte nicht anders, als wie es in Wirklichkeit sich verhält: weil er unverletzlich ist, sagt er ja stets die reine Wahrheit.

1245. (468.) Mögen jene unzähligen grossen Lichter immerhin aufgehen; doch auch der Mond ist schon im Stande den ganzen Erdkreis zu schmücken; ausser der Sonne aber geht kein Gestirn so auf und unter, dass mit seinem Aufgange Tag, mit seinem Untergange aber Nacht wird.

[236] 1246. Je mehr man dem Fleisse, dem Zanke, dem Kratzen (der Stelle, wo es juckt), dem Glücksspiel, berauschenden Getränken, fremden Weibern, dem Essen, dem Beischlaf und dem Schlaf sich hingiebt, desto mehr wächst das Verlangen darnach.

1247. (469.) Wer Fleiss, Verwegenheit, Ausdauer, Kraft, Verstand und Muth, diese sechs besitzt, vor dem fürchtet sich sogar ein Gott.

1248. Ohne Anstrengung gehen, o Fürst, Wünsche nicht in Erfüllung; Kleinmüthige sprechen: es kommt, was kommen muss.

1249. (470.) Durch Anstrengung kommen ja Werke zu Stande, nicht durch Wünsche: es laufen ja die Gazellen nicht in den Rachen eines schlafenden Löwen.

1250. Bei Fleiss giebt es keine Armuth, bei Gebet keine Sünde, bei Schweigen keinen Zank, bei Wachsamkeit, keine Gefahr.

1251. (3789.) Der Blüthenstaub der Mangobäume und der Ḱampaka,[237] den die Winde in einem Lustgarten aufwirbeln, erfüllt der Wanderer Augen mit Thränen, auch wenn er sie nicht berührt (d.i. mit Thränen der Sehnsucht nach der Geliebten).

1252. (3790.) Der Blüthenstrauss der Mangobäume im Lustgarten ist hervorgekommen, bringet also den Frauen der Wanderer eine Handvoll Wasser mit Sesamkörnern als Todtenspende dar.

1253. (3791.) Warum meiden Weise Kâçî (Benares) und wohnen an einem andern Orte, da doch in den Lustgärten von Kâçî es mannichfache Arten zu speisen giebt, da dort die allerstrengsten Kasteiungen geübt werden, ein Schurz um die Lenden ein schönes Gewand vertritt, das Betteln ein unvergleichlicher Schmuck ist und der bevorstehende Tod zu einem wahren glückverheissenden Ereigniss wird?

1254. Wer es nicht an Anstrengung fehlen lässt, einen guten Gefährten hat und Einsicht besitzt, dem folgt stets wie der Schatten die Wohlfahrt als seine Lebensgefährtin.

1255. (471.) Das Glück kommt zum herzhaften Manne, der Mühe nicht scheut; »das Schicksal muss es geben«, so sprechen nur elende Wichte. Schlage das Schicksal nieder und thue nach Kräften, was du als Mensch selbst zu thun vermagst: wenn es trotz angewandter Mühe nicht gelingt, welche Schuld trifft dich dann?

[238] 1256. (3792.) Ohne Anstrengung kommt nimmer irgend eine Angelegenheit zu Stande: es laufen ja die Gazellen nicht in den Rachen eines schlafenden Löwen.

1257. Was mag der Grund sein, dass der Leib trotz vielfachen Salbens und Einreibens mit Sandel, Aloe und andern wohlriechenden Wassern dennoch einen üblen Geruch hat?

1258. (3793.) Vor einem Manne, der die Unwahrheit redet, schrickt man wie vor einer Schlange zurück: Wahrhaftigkeit steht in der Welt unter den Tugenden oben an und heisst die Wurzel von Allem.

1259. (472.) Diese wogende Busenfülle, die hinundherfahrenden Augen, die unstäten Brauen-Lianen und die von Leidenschaft erregten (gerötheten) Lippen-Sprossen mögen immerhin Leiden verursachen; woher kommt es aber, dass diese Härchenreihe, die der Liebesgott selbst gleichsam als Urkunde künftigen Glückes auf des Weibes Leib schrieb, heftige Qualen bereitet, da sie doch unbetheiligt in der Mitte steht?

1260. Ein boshafter Frevler, vor dem die Geschöpfe zittern, besteht nicht lange, wäre er auch Gebieter über alle drei Welten.

[239] 1261. (473.) Durch zu strenge Strafe verbreitet (der Fürst) Schrecken, durch zu milde setzt er sich der Geringachtung aus: darum strafe er nach Verdienst und nehme für Niemand Partei.

1262. (474.) Durch zu strenge Strafe verbreitet der Fürst Schrecken, durch zu milde setzt er sich der Geringachtung aus: darum lobt man einen Fürsten, der auf angemessene Weise straft.

1263. (475.) Ein Fürst, der zu strenge Strafen verhängt, jagt die Unterthanen in Schrecken; in Schrecken gejagte Unterthanen aber begeben sich in den Schutz seiner Feinde.

1264. (3794.) »Wenn ein Unbedeutender zu hoher Stellung gelangt, so stürzt er leicht«, mit diesen Worten rollt ein auf Bergesgipfel liegendes Steinchen, von einem sanften Winde bewegt, in die Tiefe.

1265. Die Wünsche der Armen erheben sich beständig und schwinden alsbald wieder im Herzen, wie die Brüste einer Wittwe.

1266. (476.) Was die Weiber im Wahnsinnsanfalle der Liebe beginnen, dem Etwas in den Weg zu legen hat fürwahr selbst Brahman nicht den Muth.

[240] 1267. Die Gesänge Verrückter, das Geplapper der Kinder und was die Weiber reden, das trifft ein.

1268. (3795.) Nur diejenigen, deren Lebenszeit abgelaufen ist, pflegen Verrückten, Schlangen, Trunkenbolden, Elephanten, Weibern und Fürsten zu trauen.

1269. (477.) Dieser Fluss vor uns, der die Gestalt der Geliebten annahm – die an ihrem Leibe sich zeigenden drei Falten sind seine Wellenringe, ihre hohen und vollen Brüste stellen das auf ihm schwimmende Ḱakravâka-Pärchen dar, ihr Antlitz ist die ihm Glanz verleihende Wasserrose – dieser Fluss birgt schreckliche Ungeheuer (Absichten). Wollt ihr, o Leutchen, nicht in das brausende Meer des Lebens stürzen, so meidet diesen Fluss schon von fern.

1270. (478.) Wenn ein Beamter Dienste erweist, rechnet er die Beleidigungen nicht, die er zufügt: die guten Dienste braucht er als Aushängeschild und fällt über Jedermann her.

1271. (479.) Ein Grosser ist nicht in demselben Maasse wie ein Kleiner im Stande uns einen Dienst zu erweisen: ein Brunnen pflegt den Durst zu löschen, nimmermehr aber das Meer.

[241] 1272. (480.) Dienste erweisen, Freundliches reden, unerkünstelte Liebe zeigen, dies ist guten Menschen schon von Natur eigen: wer hat dem Monde sein kühles Wesen verliehen?

1273. (481.) Ein Bündniss mit einem Feinde, der uns Dienste erweist, ist zulässig, nicht aber mit einem Freunde, der uns Schaden zufügt: nur Diensterweisung und Schadenzufügung sind ja als die eigentlichen Merkmale dieser Beiden anzusehen (dass der Eine Feind und der Andere Freund heisst, ist Nebensache).

1274. (3796.) Dem klugen Manne, der wie eine Wolke auf die Schaar der Freunde Hilfe und auf die Feinde Schaden regnet, wünscht man stets eine hohe Stellung.

1275. (3797.) Sogar Wesen ohne Bewusstsein gehen den Weg ihrer Wohlthäter (verfahren wie diese), indem sie des ihnen geleisteten Dienstes gedenken und sich vom Gefühl der Dankbarkeit leiten lassen.

1276. (1611.) Sobald die Sonne erloschen ist, erlischt auch der Sonnenstein, und sobald der Mond anfängt zu schwinden, fängt auch der Mondstein an zu schwinden.

1277. (3798.) Ein Dienst, den man Dankbaren erweist, zieht einen Gegendienst nach sich; erzeigt ein Undankbarer keinen Gegendienst, so verletzt dieses der Edlen Herz.

[242] 1278. (482.) Diensterweisung ist das höchste Verdienst, Geschicklichkeit der höchste Nutzen, Spende an einen Würdigen die höchste Annehmlichkeit, Zufriedenheit die höchste Erlösung.

1279. (483.) Man vertreibt einen Feind mit Hilfe eines andern Feindes, den man durch einen Dienst gewonnen hat, gleichwie man einen im Fusse steckenden Dorn mit Hilfe eines in der Hand befindlichen herauszieht.

1280. (484.) Heilige Erde, wie trägst du doch den falschen Menschen, der an einem Wohlthäter, der kein Arg hat und reines Sinnes ist, übel thut?

1281. (485.) Wer gegen Wohlthäter wohlwollend ist, in dessen Wohlwollen liegt kein Verdienst; wer gegen Beleidiger wohlwollend ist, der gilt bei den Weisen für wohlwollend.

1282. (3799.) Durch einen ihm geleisteten Dienst fühlt sich der brave Mann zu einem Gegendienst verpflichtet: der Undankbare, der den Gegendienst nicht leistet, verletzt der Edlen Herz.

[243] 1283. (486.) Schlechte nehmen niemals darauf Rücksicht, dass ihnen Jemand einen grossen Dienst erwies: das Feuer, welches des Priesters Obhut übergeben wurde, verbrennt ihm die Hand, wenn er es hält.

1284. (3800.) Bestechung, langwierige Belagerung, Ueberfall und grosser Heldenmuth werden als die vier Mittel, die zur Einnahme einer Burg führen, genannt.

1285. (487.) Männern, die guten Rath geben, weil sie das Wohl Anderer im Auge haben, stösst weder in dieser, noch in jener Welt ein Unglück zu.

1286. (488.) Man soll nicht dem ersten Besten einen Rath ertheilen: sieh, ein Thor von Affe hat (ein Sperlingsweibchen), welches schön gebettet war, um sein Haus gebracht.

1287. (489.) Belehrung reizt Thoren ja nur zum Zorn, beruhigt sie aber nicht: Genuss von Milch vermehrt nur das Gift der Schlangen.

[244] 1288. (490.) Diejenigen, denen Gefahr droht, müssen jeden Weg, der zum Heil führt, er mag erhaben oder gemein sein, verständigen Sinnes einschlagen: hat doch Arģuna seine Arme, die Elephantenrüsseln glichen, die durch der Bogensehne Anschlag gezeichnet und in grossen Dingen erfahren waren, wie ein Weib mit künstlich geformten Armspangen umbunden.

1289. Wie ein gebrauchtes Kleid oder wie zerdrückte Kränze, so ist ein um seine Herrschaft gekommener Fürst: wenn er auch Etwas vermöchte, so nützt er doch zu Nichts.

1290. (491.) Ueber ihm eine dicke Wolkendecke, ihm zur Seite Berge mit tanzenden Pfauen, der Erdboden unter ihm weiss von Kandalî-Blüthen: wohin soll der Wanderer das Auge richten?

1291. Ἄνω κειμένη εἰ ἡ γυνὴ τέρπει τὸν φιλοῦντα ἄνδρα, ἰστέον ὅτι αὕτη ἡ ἀνατετραμμένη ἐστὶ συνουσία, φίλη πᾶσι τοῖς ἐρωτικοῖς ἀνϑρώποις.

1292. (3801.) Jedermann verlangt es hoch über den Köpfen der anderen Menschen einherzuschreiten; er bemüht sich darum nach besten Kräften und dennoch geschieht es nicht so.

[245] 1293. (3802.) Wer in der Gerichtsversammlung sitzt und nicht klar und deutlich redet, der muss dieserhalb abgewiesen werden, es sei denn, dass die Untersuchung die Wahrheit offenbare.

1294. (493.) Was ist dabei für ein Wunder, wenn das Beginnen derer, die aus dem Samenkorn Wissenschaft, dem Ruhe des Gemüths als Frucht entspricht, andere Frucht zu erzielen wünschen, fruchtlos bleibt? Die Dinge hier haben ja ein ganz bestimmtes Gebiet, in dem sie sich bewegen, und schlagen nicht in ihren Gegensatz um, da ein Reiskorn nie und nimmer einen Gersten-Sprössling erzeugt.

1295. Wer vor einer Noth, vor einem feindlichen Heere, vor einer fürchterlichen Hungersnoth und vor einer Gesellschaft schlechter Menschen flicht, der bleibt am Leben.

1296. (3803.) Man hat es nicht erlebt, dass Jemand ein sich darbietendes Vergnügen zurückgewiesen hätte, nicht ein Mal bei dem, der sich vom Körper befreit hat, viel weniger bei dem, der am Vergnügen noch Gefallen findet.

1297. Was hat, wenn der das Leben raubende Todesgott vor ihm steht, der Verständige alsbald und alles Ernstes zu thun? Er soll mit Wort, That und Gedanken nur an den Freude bringenden und den Todesgott schlagenden Fuss-Lotus des Feindes des Mura (d.i. Vishṇu's oder Kṛshṇa's) denken.

[246] 1298. (494.) Da ein Minister, wenn er im Stillen mit dem Könige spielt, sich selbst für einen König hält, so achtet er ihn, wegen der genauen Bekanntschaft, sicher stets gering.

1299. Ein Lehrer, ein Arzt, ein Bürge, benutzte Führer, Hebammen und Liebesbotinnen sind nach vollbrachtem Geschäfte einem Grashalm gleich.

1300. (3804.) Zehn Lehrer überragt ein Erzieher an Würde, hundert Erzieher ein Vater, tausend Väter eine Mutter.

1301. (3805.) Welche Mittel ein Diener anwendet, wenn er seinem Herrn dient, nur in denen hält ja dieser, da er keinen Unterschied zu machen versteht, ihn für geschickt.

1302. (495.) Den Nutzen erwäge der Kluge, er erwäge aber auch den Schaden: vor den Augen des thörichten Reihers tödtete der Ichneumon die Reiher.

1303. (496.) Unter allen Mitteln zum Gelderwerb wird der Handel ja als das einzige gepriesen: jedes andere Mittel ist unsicherer Natur.

[247] 1304. (497.) Ein Sieg über den Feind, wie er durch List gelingt, gelingt nicht durch Waffen: wer die List kennt, wird, wenn er auch winzigen Körpers ist, von Helden nicht überwunden.

1305. (498.) Was man nicht durch Gewalt zu erreichen vermag, führe man durch List aus: eine Krähe brachte eine schwarze Schlange durch eine Goldkette um's Leben.

1306. (498.) Was ja durch List vollbracht werden kann, das kann nicht durch Gewalt vollbracht werden: ein Schakal, der durch den Morast ging, tödtete einen Elephanten.

1307. (499.) Das Hingeben aufgesammelter Schätze ist ja die beste Art ihrer Aufbewahrung: so lässt man mit dem in Teichen aufgestauten Wasser die Felder überrieseln.

1308. Wie von Hunger gequälte Kinder eine Mutter umlagern, so umlagern nach Heil verlangende Menschen hier auf Erden die Gañgâ.

[248] 1309. (500.) Sogar ein schwacher Feind, den durch Wahn verblendete Menschen aus Sorglosigkeit nicht beachten, kann, wenn er am Anfange auch zu besiegen war, später, wie es auch mit einer Krankheit geht, nicht mehr besiegt werden.

1310. (3806.) Bei Fürsten steht, damit nur ihre Sache gelinge, die Ehre auf der Liste der nicht beachtungswerthen Dinge; bei Menschen von Sinn und Herz dagegen – auf der Liste der vor Allem zu berücksichtigenden Dinge, so dass sie ihretwegen sogar auf das Leben nicht achten.

1311. (3807.) Der vor Leidenschaft roth gewordene Mond griff nach dem Antlitz der Nacht (nach der beginnenden Nacht) mit ihren beweglichen Augensternen der Art, dass diese, obgleich es vor ihren Augen geschah, nicht gewahr ward, dass ihr ganzes Gewand, die Finsterniss, ob der Leidenschaft (Röthe) entsunken war.

1312. (3808.) Die Menschen säen Schmerzen, Liebes genannt, die fürchterlich sind wie der Same der Giftpflanzen; aus diesem Samen spriessen alsbald Keime in der Gestalt von Liebe, die das Feuer eines Donnerkeils in sich bergen; aus diesen Keimen wachsen wiederum hundertweise diese Bäume des Grames empor, die Tausende von leuchtenden Flammen zu Gipfeln haben und wie Spreufeuer den Leib versengen.

1313. (3809.) Ein Acker, der immer und immer wieder besäet wird, erschöpft sich von selbst: er trägt keine Frucht mehr und der auf ihn gesäete Same geht zu Grunde.

[249] 1314. Die Ṛshi hatten beide Welten im Auge, als sie den Fürsten, das überaus grosse Wesen, schufen, indem sie dachten, er werde das verkörperte Gesetz sein.

1315. (492.) Glücklich diejenigen, welche den Honig trinken von den Lippen der Weiber, die auf ihrer Brust liegen mit herabgesunkenen Haaren, mit geschlossenen, nur ein wenig sich öffnenden Augen und mit Schweisstropfen auf den Wangen von der Erschöpfung, die das Minnespiel erzeugte.

1316. (501.) An die Brust hast du eine klingende Perlenschnur gehängt, um die prallen Hüften hast du einen gellenden Glockengürtel befestigt, die Füsse tragen tönende Zierathen aus Edelsteinen. Wenn du, o Einfältige, auf diese Weise wie unter Trommelschlag den Angriff auf den Geliebten machst (zum Geliebten schleichst), warum erzitterst du vor Furcht so heftig und schaust nach allen Seiten hin?

1317. (3810.) In's Herz eines Fürsten, in einen Bergkrystall und in's Herz eines schlechtgearteten Weibes dringt bald diese, bald jene Farbe (Leidenschaft), weil es für keine ein stetes Verbleiben darin giebt.

[250] 1318. Dafür, dass du auf Erden spielend einen ganz leichten Berg (den Govardhana) auf deinen Armen getragen hast, wirst du im Himmel und auf Erden stets als Govardhana-Träger besungen; dass ich dich, den Träger der Dreiwelt, auf meinen Brustwarzen trage, bleibt unbeachtet. Doch wozu, o Kṛshṇa, der vielen Reden? Durch verdienstliche Werke erlangt man Ruhm. (Worte der Râdhâ, einer Geliebten Kṛshṇa's.)

1319. (502.) Die Lehre, welche Uçanas kennt, und die, welche Bṛhaspati kennt, stehen nicht höher als der Weiber Verstand: wie sollen nun diese von den Männern gehütet werden?

1320. (503.) In der heissen Jahreszeit soll man Einem Wasser geben, in der kalten Feuer, in der Regenzeit Obdach; zu allen Zeiten aber Speise.

1321. (3811.) Wenn der, dem es um Milch zu thun ist, das Euter der Kuh aufschneidet, dann erhält er keine Milch: so gedeiht auch ein Reich nicht, wenn es auf ungebührliche Weise gedrückt wird.

1322. (505.) Den Liebesgott zum König zu weihen ist Alles vorbereitet: der Gazellenäugigen Lenden stellen zwei Pisang-Stämme dar, ihres Leibes Mitte einen Altar, ihr unvergleichliches Brüstepaar zwei goldene Krüge, gefüllt mit dem Wasser Anmuth.

[251] 1323. (506.) Wird der Unedle einen braven Mann gewahr, dem es wohlgeht, so feindet er ihn ohne Unterlass an: Râhu verschlingt den Mond am Himmel, wenn dieser voll ist.

1324. (3812.) »Er giebt keine Wolle und eignet sich weder zum Fahren, noch zum Melken; sein grosser Bauch wird von vielem Futter, sei es auch Laub, nicht satt; wie soll man, o Weh, auf seinen hohen Rücken einen Sack hinaufschaffen? Wer kauft ihn um einige Otterköpfchen? Wir wollen Nichts von ihm wissen.« Mit solchen Worten spotten Bauern eines Elephanten.

1325. (3813.) »Aus der Tugend geht sowohl das Nützliche als auch das Angenehme hervor; warum übt man sie dennoch nicht?« So rufe ich hier laut mit erhobenen Armen, aber Niemand hört auf mich.

1326. Ein Fürst schlägt den nieder, der ihm beim Emporsteigen als Stütze diente: auf gleiche Weise verfährt der Holzhacker mit dem Baumstamme, wenn er im Begriff ist hinunterzusteigen.

1327. Wie ja Samen, der auf salzhaltige Felder gesäet wird, keine[252] Frucht trägt, so geht es auch mit einer gemeinen Menschen erwiesenen Wohlthat.

1328. (504.) Schon die blosse Gluth, die dem Gelde entstrahlt, erhöht der Menschen Lebenskraft; wie viel mehr der Genuss und das Spenden desselben!

1329. (3814.) Zu dem Manne, der Jedermann gerade anblickt, mit dem Auge ihn gleichsam einschlürfend, fühlen sich die Menschen hingezogen, spräche er auch kein Wort.

1330. (507.) Ein Vater, der Schulden macht, ist ein Feind; so auch eine liederliche Mutter; ein hübsches Eheweib ist ein Feind; ein Feind ist ein unwissender Sohn.

1331. (508.) Der Kluge, der einen Schuldenrest, einen Feuerrest, desgleichen einen Feindesrest und auch einen Krankheitsrest bis auf den letzten Rest entfernt, kommt nicht in Nöthen.

1332. (509.) Ein Schuldenrest, ein Feuerrest und auch ein Feindesrest wachsen ohne Unterlass; darum leide man keinen Rest.

[253] 1333. (510.) Da ein Schuldenrest, ein Feuerrest und auch ein Krankheitsrest beständig wachsen, so lasse man keinen Rest.

1334. (511.) Hat man die drei Schulden abgetragen, so richte man den Geist auf die Erlösung; wer aber vor Abtragung dieser Schulden der Erlösung nachgeht, der fährt zur Hölle.

1335. (512.) Wenn aber ein Mädchen mannbar ist, so ist es ihr gestattet nach eigenem Wunsch sich einem Gatten hinzugeben; darum soll man, wie Manu, der Sohn Svaja bhu's, erklärt hat, das Mädchen verheirathen, so lange es noch unreif ist.

1336. (3815.) Die alten Weisen und auch die Götter haben ja nur die Wahrheit hoch geachtet: wer in dieser Welt die Wahrheit redet, geht (im künftigen Leben) zur höchsten Wohnung ein.

1337. (3816.) Die alten Weisen und auch die Götter achten nur auf die Wahrheit: wer in dieser Welt die Wahrheit redet, der wird nach dem Tode eines schönen Loses theilhaftig.

1338. (513.) Heilige, Götter, mächtige Dämonen, in der Kenntniss der drei Veda hoch stehende Männer und Einsiedler im Walde, oder wen sonst[254] wohl trifft in der Welt nicht Unglück? Diejenigen aber, die den Zusammenhang von Ursache und Wirkung kennen, lassen sich dadurch nicht irre machen.

1339. (3817.) Der Ursprung von alten Weisen, von Flüssen, von vornehmen Geschlechtern und von der Weiber bösem Treiben ist nicht zu ergründen.

1340. (514.) Lange lebe der Ḱâtaka, der einzige stolze Vogel! Er stirbt entweder vor Durst, oder er geht Indra, den Regenspender, um Wasser an.

1341. (3818.) Nur ein Makel haftet an der Selbstbeherrschung, einen zweiten giebt es nicht, dass nämlich die Menschen den, der mit Nachsicht ausgerüstet ist, für schwach halten.

1342. (3819.) Doch könnte dieser Fehler, o Einsichtsvoller, ein grosser Vorzug sein, da für den Alles Ertragenden durch seine Nachsicht geräumige Welten leicht zu gewinnen sind.

1343. (515.) Wer sein Heil vor Augen hat, esse nicht ganz allein: in Gesellschaft von Zweien, Dreien oder Vielen halte der Mensch seine Mahlzeit.

[255] 1344. Auf ein und dasselbe Ding pflegt man auf dreifache Weise zu schauen: Mönche halten es für einen Leichnam, Verliebte für eine Geliebte, Hunde für Fleisch.

1345. (516.) Nur einen Freund giebt es, der uns auch im Tode folgt, die Tugend; alles Andere fällt ja mit dem Körper der Vernichtung anheim.

1346. (517.) Ein mächtiger Alleinherrscher bringt Segen dem Lande: viele Herrscher dagegen stiften hier, wie die vielen Sonnen am Weltende, nur Unheil.

1347. Ein unfruchtbares Weib hat ja nur diesen einen Seelenschmerz, dass sie eben kinderlos ist; einen andern Kummer hat sie ja nicht, o Sohn!

1348. (3820.) Nach unserer Meinung giebt es nur ein Bündniss, »das Opferbringen«; alle übrigen, mit Ausnahme des »Freundschaft« genannten, sind Abarten vom »Opferbringen«.

1349. (518.) Nur Einen tödtet der Gifttrank, nur Einen erschlägt die Waffe, das Kundwerden einer geheimen Berathung aber richtet König, Reich und Volk zu Grunde.

[256] 1350. (519.) Der Pfeil, den der Bogenschütze abschiesst, tödtet vielleicht Einen, vielleicht aber auch Keinen; des Verstandes Pfeil, den der Verständige schleudert, vernichtet Reich und Fürst.

1351. (520.) Ein Makel haftet an den Nachsichtigen, einen zweiten giebt es nicht, dass nämlich die Menschen den Nachsichtigen für schwach halten.

1352. (521.) Doch ist dieses an ihm nicht für einen Makel anzusehen, da die Nachsicht das höchste Gut ist: die Nachsicht ist zugleich eine Tugend der Schwachen und ein Schmuck der Mächtigen.

1353. (522.) Einer thut die bösen Werke, Viele aber kosten die Frucht; die da die Frucht kosten, gehen frei aus, am Thäter aber klebt die Schuld.

1354. (3821.) Allein hütet man die Welt, allein hütet man das Geschlecht, allein fährt man zur Hölle, allein lebt man im Himmel selig.

1355. (3822.) Allein kommt der Mensch zur Welt, allein stirbt er, allein geniesst er den Lohn für seine guten und allein den Lohn für seine bösen Thaten.

[257] 1356. Der Eine wird, wenn er ein solches Vermögen gemacht hat, ruhig im Gemüth; ein Anderer legt ungestüme Freude an den Tag und weiss nicht, dass dieser Reichthum nach seinem Tode in eines Andern Schatzkammer fliessen wird: pfui über die verkehrte Vorstellung, die, eine alles Maass übersteigende Verirrung des Geistes in Dunkel hüllte!

1357. (3823.) Einrädrig ist sein Wagen, ein Krüppel sein Wagenlenker, widerspänstig (unpaar) seine Pferde und dennoch ersteigt der glanzvolle Sonnengott den Himmelsplan.

1358. Wenn Fürsten diese Erde als Alleinherrscher geniessen, wenn vorzügliche Weise im Göttersaale des Himmels sich vergnügen und wenn die Besten der Sterblichen im Nirvâna unvergleichlicher Freuden theilhaftig werden, so offenbart sich darin nichts Anderes als die Macht des reinen Spendens.

1359. (523.) Sämmtliche Opfer mit vollem und bestem Opferlohne auf der einen und die Lebensrettung eines vor Furcht vergehenden Geschöpfes auf der an deren Schale halten sich gegenseitig die Wage.

1360. Vollständiges Wissen auf der einen und Geschicklichkeit auf der anderen Schale halten sich gegenseitig die Wage: jegliche Kunst bleibt unvollkommen, wenn sie nicht mit Geschicklichkeit gepaart ist.

[258] 1361. Steht auf der einen Schale die ganze Familie und auf der anderen die eigene Person, welche das Geschlecht fortpflanzt, so wiegt jenes Alles nicht so viel wie diese nach der feststehenden Ansicht der Einsichtigen.

1362. (3824.) Auf der einen Seite sämmtliches Ungemach der Unterthanen, als da sind Krankheiten, Hungersnoth u.s.w.; auf der anderen Seite aber einzig nur die Habgier eines Fürsten!

1363. (524.) Ein Zusammensitzen auf der Ruhebank hintertrieb sie, indem sie schon aufstand, als er noch fern war, und ihm entgegenging; eine leidenschaftliche Umarmung verhinderte sie dadurch, dass sie vorgab, sie wolle Betel herbeischaffen; seine Reden brauchte sie nicht anzuhören, da sie die Dienstboten in ihrer Nähe beschäftigte: durch Höflichkeiten, die die Verschlagene dem Geliebten erwies, liess sie den Groll zu seinem Ziele kommen.

1364. (525.) Ein Fürst bekriege nicht mit einem Male viele Feinde: sogar eine trotzige Schlange wird von Insecten, wenn ihrer viele sind, getödtet.

[259] 1365. (3825.) Dass sie dem empfindungslosen Monde die Anmuth ohne Gleichen stahl und dass ihre Augen der blauen Wasserrose die Farbe entwandten, hat aller Wahrscheinlichkeit nach seine Richtigkeit. So weiss auch der bemitleidenswerthe brünstige Elephant nicht, dass sie ihm den Gang entwandte; dass aber die Schlankgliedrige mit meinem Wissen sogar das Herz mir raubte, ist gar wunderbar.

1366. Eine einzige Wohlthat, die man Guten erweist, verbreitet sich wie Oel, das in's Wasser gegossen wird; hundert Dienste, die man Schlechten erweist, schrumpfen zusammen wie Schmelzbutter in der Kälte.

1367. Wenn ein Lehrer einen Schüler auch nur eine einzige Silbe lehrt, so giebt es nicht Reichthümer genug auf Erden, durch deren Hingabe der Schüler seiner Schuld sich zu entledigen vermöchte.

1368. (3826.) Nur Einen tödtet eine Giftschlange und auch durch ein Schwert kommt nur Einer um's Leben; ein erzürnter Brahmane aber richtet Städte und Reiche zu Grunde.

1369. (526.) Eines ist von der Sehnsucht in Beschlag genommen, ein zweites ist von der Geliebten geraubt worden, ein drittes schliesst das Bewusstsein in sich: wie viele Herzen habe ich denn?

[260] 1370. (3827.) Das Feuer verbrennt nur den Einen, der unvorsichtiger Weise ihm zu nahe tritt; des Königs Feuer dagegen versengt ein ganzes Geschlecht mit allem Vieh und allen Schätzen.

1371. (3828.) Zehn Menschen leben dadurch, dass sie Einen vorangehen lassen; ohne diesen haben sie eben so wenig zu bedeuten, wie Nullen (ohne eine vorangehende Eins).

1372. (527.) Was einzig dasteht und seines Gleichen nicht hat, das wirst du, o König, nicht gewahr: dass nämlich die Wahrhaftigkeit die Leiter zum Himmel ist und demselben Zwecke dient wie das Schiff auf dem Meere.

1373. (528.) Wenn ein Fürst Einen Minister an die Spitze der Regierung stellt, dann kommt über diesen in seiner Verblendung ein Taumel; in diesem Taumel wird er der Knechtschaft überdrüssig; ist er dieser überdrüssig, so fasst das Verlangen nach Unabhängigkeit festen Fuss in seinem Herzen; aus Verlangen nach Unabhängigkeit trachtet er alsdann nach dem Leben des Fürsten.

1374. Mit dem Einen (dem Verstande) erwäge die Zwei (das Recht und das Unrecht), mit den Vieren (gute Worte, Geschenke, Entzweiung von Bundesgenossen und Gewalt) mache dir die Dreie (Freunde, Gleichgiltige und[261] Feinde) zu Willen, besiege die Fünfe (die Sinne), mache dich vertraut mit den Sechsen (Bündniss, Krieg, Feldzug, Haltmachen, Theilung der Streitkräfte und Schutzsuchen bei einem Mächtigeren), meide die Sieben (Verkehr mit Weibern, Würfelspiel, Jagd, Trunk, Beleidigungen durch Worte, Beleidigungen durch Thaten und Aneignung fremden Besitzes) und lebe dann glücklich.

1375. Wie alle Milch, so verschiedenfarbig auch die Kühe sind, immer dieselbe Farbe hat, so giebt es bei aller Mannichfaltigkeit der Pflicht nur eine oberste Wahrheit.

1376. Vögel von allen Farben, die auf einem und demselben Baume sitzen, fliegen am folgenden Morgen nach allen Weltgegenden hin: was soll man darüber klagen?

1377. (529.) Ein einziger Bogenschütze bekämpft hundert, wenn er auf einem Festungswalle steht; hundert solcher – zehn tausend: deshalb baut man eine Festung.

1378. (530.) Mann und Frau ruhen auf demselben Lager mit abgewandtem Gesichte, reden nicht mit einander und geben kein Lebenszeichen von sich; obgleich in Beider Herzen Zuneigung vorhanden ist, so bewahren sie doch die angenommene Würde; allmählich wenden sich die Augenwinkel[262] und wie ihre Blicke zusammentreffen, da ist ihr Groll gebrochen, so dass sie unter Lachen sich leidenschaftlich umarmen.

1379. (531.) Bei der Nennung des Namens der Nebenbuhlerin dreht die auf demselben Lager ruhende Schöne plötzlich aus Aerger dem Geliebten den Rücken; ungeachtet der freundlichen Worte, die er an sie richtet, weist sie ihn in ihrer Aufregung zurück: wie er sich aber nun still zu verhalten beginnt, da wendet sie sogleich rasch den Hals und schaut wieder nach ihm, weil sie befürchtet, er möchte eingeschlafen sein.

1380. (3829.) Wenn dadurch, dass Ein Missethäter zum Tode befördert wird, für Viele Sicherheit erwächst, dann ist die Tödtung verdienstlich.

1381. (532.) Wird Jemand eines Andern schlechte That gewahr, so thut er sie ihm nach: die Welt pflegt in des Vorangehenden Fussstapfen zu treten, um die Wahrheit ist es der Welt nicht zu thun.

1382. (534.) Die bösen Werke, welche Thoren Einem Leben zu Liebe begehen, schaffen ihnen Leiden in tausend folgenden Geburten.

1383. (533.) Bevor ich noch das Ende des ersten Leidens, die jenseitige[263] Küste des Meeres gleichsam, erreicht habe, ist schon ein zweites Leiden über mich gekommen: wo einmal ein Riss ist, da mehren sich die Uebel.

1384. (536.) Wer nicht im Stande ist sogar das eine Herz niederzudrücken, wie will der die meerumgürtete Erde erobern?

1385. (535.) Wer nicht einmal im Stande ist einem einzigen Gaste Speise zu reichen, was für einen Vortheil hat der davon, dass er im Hause wohnen bleibt, da dieses doch mancherlei Beschwerden hat.

1386. (3830.) Wer Eines wegen, gleichviel ob seiner selbst oder eines Andern wegen, viele Geschöpfe oder auch nur eines um's Leben bringt, der ladet sich eine Todsünde auf.

1387. (3831.) Wenn aber dadurch, dass Jemand getödtet wird, Viele wohl gedeihen, dann ist es, meine Beste, weder eine Todsünde, noch überhaupt eine Sünde, dass dieser getödtet wird.

1388. Es lebt nur der eine Râhu, der, obgleich er kein Herz hat, doch beherzt ist, und der keinen Bauch zu ernähren hat, der sonst so schwer zu füllen ist und Einem Geringschätzung aller Art zuzuziehen pflegt.

[264] 1389. Unter den Feinden der Götter ist der Sohn der Si hikâ (Râhu) der einzige von Muth und Kraft Erfüllte, da er, obgleich ihm nur der Kopf übrig blieb, seine Feinde besiegt.

1390. (537.) Wer ist wohl niederträchtiger als der, welcher Leckerbissen allein geniesst und allein in schöne Gewänder sich kleidet, ohne mit seinen Dienern zu theilen?

1391. (538.) Etwas Wohlschmeckendes esse man nicht allein, nicht sinne man allein über seine Angelegenheiten nach, nicht reise man allein und nicht wache man allein, wenn alle Uebrigen schlafen.

1392. Kasteiungen übt man für sich allein, das Lesen geschieht zu Zweien, das Singen zu Dreien, das Reisen zu Vieren, das Feldbebauen zu Fünfen, das Kämpfen zu Vielen.

1393. Allein soll man nicht gehen, hätte man auch hundert Geschäfte: durch einen einzigen Hahn (den er zum Gefährten hatte) ward ein Brahmane gerettet.

1394. (3832.) Allein soll man nicht gehen, hätte man auch hundert Geschäfte: durch ein einziges Krebsweibchen (das Jemand zum Gefährten hatte) ward eine schwarze Schlange umgebracht.

[265] 1395. (539.) Beim überaus muthigen Fürsten der Thiere, der einsam im Walde lebt, keine königlichen Abzeichen trägt und auch mit den Lehren der Staatsweisheit nicht vertraut ist, erhält der Titel »König« seine volle Bedeutung.

1396. 1397. (3833. 3834.) Wer anders ist zu bedauern als derjenige, welcher, wenn er ein schwer anzutreffendes Weib an einsamem Orte allein und berauscht antrifft, aus Schüchternheit mit ihr nicht der Liebe pflegt, Tages darauf aber durch eine Unterhändlerin um sie wirbt, so wie derjenige, welcher, wenn er durch rasches Verfahren der Macht theilhaftig geworden ist, dieselde alsbald aufgiebt, sie aber andern Tages durch kluges Benehmen erstrebt?

1398. (540.) Selbst der einsam Lebende, der sein Haus aufgegeben hat, die Hand als Trinkschale braucht und Nichts als die Himmelsgegenden zum Gewande hat, wird in der Welt, o schaue das seltsame Wunder, von der Begierde gepeinigt.

1399. (541.) Wann, o Çiva, werde ich, einsamle bend, ohne irgend ein Verlangen, innerlich beruhigt, die Hand als Trinkschale brauchend, in das Gewand der Himmelsgegenden gekleidet, im Stande sein alle Werke in mir auszurotten (d.i. in vollständigem Quietismus zu verharren)?

[266] 1400. Wer denjenigen, der ihm eine einzige Silbe beibringt, nicht für seinen Lehrer ansieht, wird, nachdem er zuvor hundert Mal in den Leib einer Hündin gefahren, unter Ḱâṇḍâla's wiedergeboren.

1401. (3835.) Man richte, o König, seine Aufmerksamkeit stets auf Einen Punkt, zeige nie seine eigenen Blössen, spähe aber stets nach den Blössen Anderer und sei im Verkehr mit Feinden in steter Angst.

1402. (3836.) Man fühle sich behaglich an einsamem Orte, richte seinen Geist auf das Höhere, denke fleissig an die Allseele, sehe diese Welt als von ihr erfüllt an, gebe durch die Macht des Geistes ein früheres Werk auf und klammere sich auch nicht an ein künftiges, ein begonnenes aber geniesse man hier und begebe sich mit der Seele zum höchsten Brahman.

1403. (542.) Einen Bruder gebiert uns die Mutter, einen andern die (freundliche) Rede; der Bruder, welcher der Rede sein Dasein verdankt, steht, wie man gesagt hat, sogar noch über dem leiblichen.

1404. (543.) Die eine Gattin (Sarasvatî) ist von Natur geschwätzig, die andere (Lakshmî) unstät; der eine Sohn aber, der Weltbesieger Manmatha (der Liebesgott), ist unbändig; der Schlangendämon Çesha bildet das Lager, die Ruhestätte ist im Meere, der Schlangenfeind (Garuḍa) ist das Reitthier: Mura's Feind (Kṛshṇa-Vishṇu) ist durch das beständige Nachdenken über dieses Treiben in seinem Hause zu einer Bildsäule geworden.

[267] 1405. (544.) Reis und Hirse wachsen in demselben Boden, haben gleiche Blätter und Halme, an der Frucht aber erkennt man ihre Verschiedenheit.

1406. (3837.) Dass gerade über eine gemeinsame Lockspeise in der Welt unter leiblichen Brüdern Feindschaft entsteht, ist allbekannt: so erhob sich des Landes wegen zwischen den Kuru und Pândava ein Streit, der der Welt den Untergang bereitete.

1407. (3838.) Wenn Zweie in Verfolgung genau desselben Zweckes an eine Sache gehen, so heisst eine solche Vereinigung zu gemeinsamem Vorgehen Sa joga »Verbindung«.

1408. Ein zum zweiten Male Geborener (Bezeichnung der drei oberen Kasten), der sich mit Einer Mahlzeit am Tage begnügt, an den sechs Beschäftigungen, (dem Studiren und Lehren, dem Veranstalten eines Opfers und dem Versehen eines Opfers für Andere, dem Spenden und der Entgegennahme von Gaben) Gefallen findet und an den zum Beischlaf sich eignenden Tagen seinem Weibe beiwohnt, heisst ein Brahmane.

1409. (3839.) Erinnere dich doch, o Herz, wie oft dich diese Gespenster[268] (die Sinne) angeführt haben, indem sie sich vereinigten, gleichsam offen Etwas thaten und darauf verschwanden. Gieb darum den vertrauten Umgang mit ihnen auf und denke an deine eigene Lage! Ist dir der Spruch nicht bekannt, dass man durch Schaden klug wird?

1410. (545.) Den Unterschied zwischen Geber und Bitter verrathen schon die Hände: bei diesem nimmt die Hand den unteren Platz ein, bei jenem den oberen.

1411. (546.) Mit dem Einen schwatzen sie gar viel und zeigen dabei Lippen von der Farbe einer aufgegangenen Pâṭalâ-Blüthe; einen Andern blicken sie an mit strahlenden Augen, die weit geöffnet sind wie aufbrechende Lotusblumen; bei einem Dritten, dem edles Benehmen fern liegt, der aber Reichthümer mannichfacher Art besitzt, weilen sie mit ihren Gedanken. Wie kann bei solchem Treiben von wirklicher Liebe im wahren Sinne des Wortes bei den schönbrauigen Weibern die Rede sein?

1412. (547.) Ein einziger schlechter Baum versengt mit dem Feuer in seiner Höhlung den ganzen Wald, wie auch Ein schlechter Sohn das ganze Geschlecht zu Grunde richtet.

1413. (548.) Ein einziger mit Vorzügen ausgestatteter Sohn von reinem[269] Stamme und edlen Thaten ziert sein ganzes Geschlecht, wie eine Perle ein ganzes Diadem.

1414. (549.) Durch einen einzigen Standhaften und zum Kampfe Entschlossenen wird das ganze Heer ein entschlossenes; zeigt Einer sich feig, so erleidet das ganze Heer eine Niederlage.

1415. (550.) Darum eben wünschen sich ja Fürsten kräftige, heldenmüthige, mannhafte, entschlossene Streiter und meiden Feige.

1416. Ein einziger wohlgerathener Sohn, der mit Wissen ausgestattet und guten Herzens ist, verklärt die ganze Familie, wie der Mond die Nacht.

1417. Mit ihrem Einen Prachtsohne schläft die Löwin ohne Furcht; mit ihren zehn Söhnen trägt die Eselin Lasten.

1418. (551.) Ein einziger in Blüthe stehender, schön duftender Prachtbaum erfüllt den ganzen Wald mit Wohlgeruch, wie auch Ein wohlgerathener Sohn das ganze Geschlecht ziert.

1419. (552.) Wenn ein einziger Held von mächtigem Glänze, der Sonne[270] gleich mit seinem Fusse (ihren Strahlen) den Erdboden berührt, so erzittert er (wird er hell).

1420. (553.) Bei Einigen, wie bei den Papageien, klingen die schönen Reden lieblich auf der Zunge; bei Andern, wie bei den Stummen, im Herzen; wieder bei Andern auf der Zunge und im Herzen.

1421. (554.) Die Sinnesgebiete, die dem Gifte ähnlich wirken, bringen schon jedes für sich den Tod; wie sollte nun wohl derjenige sich sicher fühlen, der sich in allen fünfen zugleich ergeht?

1422. (555.) Grosse Charaktere entscheiden sich entweder für diese oder für jene Lebensweise: sie tragen entweder feine Gewänder, oder schlechte Lumpen; an ihrer Hand hängt entweder ein junges Mädchen, oder ein Rosenkranz, mit dem sie in den Wellen der Gañgâ baden.

1423. Aus demselben Mutterleibe Stammende und unter demselben Gestirn Geborene sind im Charakter einander doch nicht gleich, wie am Judendorn die Brustbeeren und die Dornen.

1424. (556.) Uneinige gehen zu Grunde wie die Vögel Bhâraṇḍa, welche bei gemeinschaftlichem Magen, aber gesonderten Hälsen, Einer für den Andern Früchte verspeisen.

[271] 1425. (557.) Ein Gott: Vishṇu oder Çiva; Ein Freund: Fürst oder Mönch; Eine Wohnung: in der Stadt oder im Walde; Ein Weib: eine Schöne oder eine Höhle.

1426. (3840.) Die Tugend allein ist das grösste Gut, die Geduld allein ist der höchste Grad der Gemüthsruhe, das Wissen allein ist die höchste Befriedigung, allein die Schonung aller Geschöpfe bringt Freude.

1427. Bevor noch die eine Wunde geheilt wurde, ist hier schon eine andere erschienen: wahr ist das Sprichwort, dass, wo einmal ein Riss ist, die Uebel sich mehren.

1428. Neunzehn Frauen gingen in den Wald um zu spielen; zwanzig kehrten wieder heim, der Rest ward von einem Tiger aufgefressen.

1429. (558.) Eine einzige Verbeugung, die man vor Kṛshna macht, gilt so viel als das Reinigungsbad nach zehn Rossopfern: wer zehn Rossopfer darbringt, wird wiedergeboren; wer aber vor Kṛshna sich verbeugt, entgeht der Wiedergeburt.

[272] 1430. (559.) Wer, wie die Sonne den Mond, jeden Heruntergekommenen in aller Ruhe wieder jung und frisch macht, dem soll man dienen, gäbe es auch nur Einen solchen und sei er wer er wolle.

1431. Wenn ein einziger beherzter Sohn einer Sache vollkommen gewachsen ist, so reicht dieses hin; was nützt es viele Söhne gezeugt zu haben? Der Mond erhellt die nach allen Himmelsgegenden gelegenen Länder, was sogar die gesammte Schaar der Sterne nicht vermag.

1432. Ein einziger Löwe vermag eine Heerde von tausend Elephanten aufzureiben; darum soll man, sobald man gewahr wird, dass man (dem Gegner) überlegen ist, wie ein Löwe (auf ihn) losgehen.

1433. (3841.) Wenn Ein Weiser unter viele Thoren geräth, so ist er sicher verloren, wie eine Wasserrose, die auf den Pfad der Wellen geräth.

1434. (560.) Einfalt (Treuherzigkeit) wird bei Asketen, deren Geist geläutert ist, stets gerühmt, nicht aber bei Menschen, die dem Glücke nachjagen; am wenigsten aber bei Fürsten.

1435. Die überaus glanzvolle Sonne steht allein da, der überaus muthige Löwe wohnt im Walde, der überaus weite Luftraum ist ja leer und das überaus tiefe Meer salzig.

[273] 1436. (3842.) Unter den Leidenschaftlichen ragt Çiva allein hervor, da er der Liebsten die Hälfte ihres Leibes raubte (um doppelten Genuss zu haben); unter den Leidenschaftlosen steht wiederum, was das Aufgeben des Umganges mit Weibern betrifft, Niemand über ihm: die übrigen, am reichlichen Gifte einer Schlange, des unwiderstehlichen Liebesgottes, hängenden thörichten Menschen vermögen ja, vom Liebesgott gefoppt, wohl die Sinnesgegenstände zu geniessen, nicht aber sie fahren zu lassen.

1437. (561.) »Ich stehe allein, habe keinen Gefährten, bin schwach, habe kein Gefolge«, ein solcher Gedanke kommt dem Fürsten der Thiere nicht einmal im Traume.

1438. (562.) Wenn du meinst, du seiest allein, so kennst du den im Herzen sitzenden alten Weisen nicht (das Gewissen): du begehst ja die Sünde in Gegenwart dessen, der die böse That kennt.

1439. (563.) Wenn du, mein Bester, meinst, du seiest allein, so wisse, dass jener Weise, der Gutes und Böses schaut, stets in deinem Herzen weilt.

[274] 1440. (564.) Schon eine schöne Bachstelze, die man auf einem Lotusblatte erblickt, bringt uns ja den Oberbefehl über ein vollständiges Heer aus vier Gliedern (Fussvolk, Reiter, Elephanten, Wagen); was mir dieses Bachstelzenpaar, die Augen, auf dem Lotus deines Antlitzes bringen wird, das weiss ich nicht.

1441. (565.) »In einer Menge von Vorzügen verschwindet ja ein einzelner Fehler, (wie in den Strahlen) des Mondes (sein Fleck)«. Wer solches gesprochen, der hat gewiss, obgleich er ein Dichter war, den Fehler der Armuth nicht gesehen, der ja eine Anzahl von Vorzügen zu Nichte macht.

1442. (566.) Die Antilope spielt, der Eber wühlt, der Panther brüstet sich, der Schakal heult, der Hase springt, der Hirsch fliegt rasch dahin, das Elephantenkalb reisst zu seiner Belustigung ohne Besorgniss die Schlingpflanzen von den Bäumen herab: he, was das heute ohne dich, o Löwe, für ein Treiben im Walde ist!

1443. (3843.) Ein Verlangen nach Gazellenäugigen besteht durchaus[275] nicht mehr, weil uns die wahre Einsicht aufging; im Himmel würden wir, ob der ewigen Besorgniss seiner verlustig zu gehen, keinen Augenblick uns der Freude hingeben können; eben so wenig empfinden wir ein Begehren nach den mannichfachen Sinnesgegenständen mit ihrem vergänglichen Genusse: auf einer Sandbank des Himmelsflusses (der Gañgâ) sich mit den Gedanken in Hari's Füsse zu vertiefen, ist das Einzige, was unser Herz wünscht.

1444. (567.) Das ist der Liebe Frucht in der Welt, dass Zweie eines Sinnes werden; pflegen Uneinsgesinnte der Liebe, so ist es, als wenn zwei Leichname zusammenkämen.

1445. Bedenke dieses, dass der Lichtbehälter (die Sonne) erglänzt, um das Herz der Ḱakravâka zu erheitern, um die Schaar der Sterne zu verschlingen, um die strahlende Mondscheibe zu verspotten, um den vollen Busen seiner Geliebten, des Ostens, mit Saffranstaub zu überziehen, um die am Tage blühenden Wasserrosen zu ermuntern und die in der Nacht blühenden, seine offenbaren Feinde, zu erschrecken.

1446. (568.) O du mit den langen Augen von der Farbe der blauen Wasserrose, warum bist du beim Anblick dieses herabgesunkenen Busens ohne Grund so trübe gestimmt? Was hat man sich darüber zu wundern, dass ein steifer, der Einsicht Ermangelnder (dicht zusammengedrängter) Volksbedrücker (Männerquäler) fällt, wenn er zu hoch gestiegen ist?

[276] 1447. (569.) Deshalb ziehen Fürsten Männer aus edlem Geschlecht zu sich heran, weil ja diese weder im Beginn, noch in der Mitte, noch am Ende ihnen untreu werden.

1448. (570.) Das ist ja des Weibes höchste und ewige Pflicht, dass sie selbst mit Aufopferung ihres Lebens des Gatten Wohl schafft.

1449. (3844.) »Dieses habe ich gewonnen und jenes kann ich noch hinzugewinnen; darauf kann ich auf dieses gewonnene Kapital wieder gewinnen und dann noch Anderes gewinnen«. So denkst du leider ohne Unterlass an die Güter, die du gewinnen kannst; das aber weisst du nicht, dass dieser Hoffnungskobold dich, der du in die Finsterniss grosser Geistesverwirrung gehüllt bist, gar bald gewaltsam mit Haut und Haar verschlingen wird.

1450. (571.) Lass ab von diesem undurchdringlichen Dickicht der Sinnenwelt, das nur Erschlaffung bringt; begieb dich auf den Weg des Heils, der geeignet ist augenblicklich alle Schmerzen zu entfernen; vereinige dich mit der Allseele; gieb deinen eigenen Gang auf, der unstät wie die Woge ist; fröhne nicht wieder der vergänglichen Lust an der Welt; werde jetzt ruhig, o Herz!

[277] 1451. (572.) Darin besteht der ganze Zweck des Daseins, dass man ein unabhängiges Leben führt; wenn diejenigen, die von Andern abhängen, leben, wer ist dann todt zu nennen?

1452. Darin besteht der ganze Zweck des Daseins der Menschen hier auf Erden, dass man mit seinem Leben, seinen Gütern, seinen Gedanken und Worten den Menschen stets nur Gutes erweist.

1453. (3845.) Nur der ist ein ganzer Mann, bei dem eine That nicht verloren ist (nicht unvergolten bleibt) und der mehr thut, als ein Anderer ihm that.

1454. (3846.) Der ganze Mann besteht, wie die Weisen sagen, aus der Gattin, aus sich selbst und der Nachkommenschaft; auch sagen sie, dass man den Gatten zugleich für die Gattin halte.

1455. (3847.) Nur dann ist man ein ganzer Mann, wenn man sich Nichts gefallen lässt und Nichts erträgt; wer nachsichtig ist und Alles erträgt, ist gerade kein Weib, aber auch kein Mann.

1456. (573.) Diese Jungfrauen, welche mit dem Aneinanderschlagen der zitternden Armbänder, mit dem vom Gürtel ertönenden Geklingel und mit den Fussspangen Flamingos besiegen, wessen Herz nehmen sie nicht gefangen mit ihren Augenwinkeln die denen reizender Gazellen gleichen, wenn diese sich vertrauensvoll nahen?

[278] 1457. (574.) Die Weiber haben stets nur ihren Vortheil im Sinne und finden nur an der eigenen Freude Gefallen, da ihnen sogar der eigene Sohn nicht lieb ist, wenn er ihnen keine Freude bereitet.

1458. (575.) Bunldirnen lachen und weinen um's Geld; sie verstehen es beim Manne Vertrauen zu er wecken, schenken aber selbst Niemanden Vertrauen; deshalb soll ein Mann von guter Familie und achtbarem Charakter sie meiden, wie den Jasmin, der auf einer Leichenstätte wächst.

1459. (3848.) Darum werden, o Wasserrose, deine Vorzüge, obgleich sie da sind, nicht offenbar, weil die Bienen dir, der Wohnstätte der Glücksgöttin, an der Schatzkammer (am Kelche) zehren.

1460. (576.) Das sind edle Menschen, die mit Hintansetzung ihres[279] Vortheils für Andere sich abmühen; gewöhnliche aber sind die, welche ohne dem eigenen Vortheil zu schaden für Andere arbeiten; Unholde in Menschengestalt sind die, welche zu ihrem Vortheil das Wohl Anderer zerstören; wie aber diejenigen zu nennen wären, welche ohne allen eigenen Vortheil das Wohl Anderer zu Grunde richten, das wissen wir nicht.

1461. (577.) Wie Eranda, Bhindâ, Arka und Nala (die alle nur dünne Reiser geben), wenn sie auch in grosser Menge auf einander geschichtet werden, nicht die Stelle von Holz zu vertreten vermögen, gerade so ist es mit dem Nutzen, den Thoren bringen können.

1462. So reift Jedermanns böse That an ihm selber zur Frucht; denn wer irgend einen Samen säet, der erntet auch die Frucht von diesem Samen.

1463. (578.) Und so sagen die Leute: Sandel ist allerdings kühlend, den Sohn aber an sich zu drücken ist besser denn Sandel.

1464. (3849.) Hat der Fürst Solches erkannt, so muss er Kluge, aus edler Familie Stammende, Heldenmüthige, Starke, Ergebene und von seinen Vorgängern auf ihn Uebergegangene zu seinen Dienern machen.

1465. So vollbringen hier im Leben Unverständige, wenn sie Etwas nicht ganz zu vollbringen vermögen, auch nicht ein Mal einen Theil davon, so weit ihre Kräfte reichen würden.

[280] 1466. (3850.) So verüben die von Natur leichtsinnigen Weiber eine ununterbrochene Reihe mannichfacher Schandthaten, die eine Gleichgiltigkeit für die richtige Erkenntniss bewirken. Unter ihnen giebt es aber hier und da auch eine Treue, die ihr hohes Geschlecht ziert, wie die neue Mondsichel den Himmelsraum.

1467. So verlassen, o Geliebte, sogar Thiere, wenn sie edlen Stammes sind, weder ihren Herrn noch einen Freund in der Noth, retten ihn vielmehr aus derselben.

1468. Bei Wesen niedrigen Stammes dagegen, die unstäten Geistes sind, schlägt weder Muth noch Liebe jemals an's Herz.

1469. So ist Verstand, nicht aber Kraft, die grösste Macht: durch des Verstandes Macht brachte sogar ein Häschen einen Löwen um's Leben.

1470. (3851.) In wessen Herzen erregt nicht, o Schlanke, diese deine korallenfarbige Lippe, wie ein schattenloser Weg in der Wüste, heftigen Durst?

1471. (3852.) Dies ist der Weiber angeborenes Wesen, dass sie, wenn[281] sie auch zuvor Freuden gekostet haben, beim kleinsten Ungemach sich vergehen und sogar (den Gatten) verlassen.

1472. Dies ist ja, o Râma, der Weiber Natur seit Erschaffung der Welt, dass sie einem in glücklichen Verhältnissen lebenden Manne anhängen, einen im Unglück befindlichen aber verlassen.

1473. Es ist eine grosse Schande für einen Fürsten, der sich eines guten Wandels befleissigt, wenn der Tod seine Unterthanen vor der Zeit ereilt.

1474. Man soll sich viele tugendhafte und gelehrte Söhne wünschen: vielleicht, dass Einer von allen diesen einst nach Gajâ wallfahrtet.

1475. Man soll sich viele Söhne wünschen: vielleicht, dass Einer von ihnen einst nach Gajâ wallfahrtet, oder ein Rossopfer darbringt, oder einen dunklen Stier in Freiheit setzt.

1476. Man soll sich viele Söhne wünschen: vielleicht, dass Einer von ihnen einst nach Gajâ wallfahrtet, wo jener bei aller Welt berühmte Feigenbaum mit den unvergänglichen Organen steht.

[282] 1477. (579.) »Komm her! geh fort! falle nieder! steh auf! sprich! schweig!«. So spielen Reiche mit Armen, die durch das Ungeheuer Hoffnung sich verschlingen lassen.

1478. (580.) »Komm! Tritt heran! Nimm Platz auf diesem Sitze! Warum hat man dich so lange nicht gesehen? Welche Neuigkeit? Du siehst sehr elend aus! Ich wünsche dir alles Gute! Ich bin erfreut dich zu sehen!« Solche Ansprache kommt stets auch einem Niedern zu, wenn er in's Haus braver Leute tritt. Dieses haben Kenner der heiligen Ueberlieferung für eine Pflicht der Hausväter erklärt: sie ist leicht und verleiht doch den Himmel.

1479. Der Rath, über den die Räthe sich freuen, weil sie auf dem in den Lehrbüchern anerkannten Wege zu einerlei Meinung kamen, heisst der beste Rath.

1480. Der Rath, bei dessen Beschliessung die Räthe wohl vielfache Meinungen abgeben, der aber zur Einigung führt, gilt für einen mittelmässigen Rath.

1481. Der Rath aber, bei dem die Räthe ohne Ende reden, indem der[283] Eine des Andern Meinung tadelt, und bei dem es schliesslich nicht zur Einmüthigkeit kommt, heisst der schlechteste Rath.

1482. (3853.) Dieser Verliebte, der ausser sich ist vor Schmerz, den ihm die Trennung vom Weibe bereitet, hält Feuer für kälter als die Strahlen des Mondes.

1483. Man hat es ja gesehen, dass Herrschaft, Habe und Juwelen, die auf einen Feind übergegangen waren, wieder zurückgekehrt sind (zu den früheren Besitzern), wenn diese am Leben geblieben sind; so haben wir gehört.

1484. (3854.) Unter allen Räuschen, wie Weinrausch u.s.w., ist der Herrschaftsrausch der schlimmste: wer durch den Herrschaftsrausch berauscht ist, erwacht ja nicht vor dem Sturze.

1485. Es kommt vor, dass achtsame, ehrliche, heldenmüthige und kräftige Männer solchen dienen, die ein Herrschaftsrausch, oder auch ein Weinrausch berauscht.

1486. Herrschaft, Neid, Hartherzigkeit, Rausch und Unüberlegtheit vermögen schon jedes für sich Alles zu bewirken, wie viel mehr, wenn diese fünf Feuer zugleich lodern!

[284] 1487. (581.) Der Herrschaft Zierde ist Leutseligkeit, der Mannhaftigkeit – der Rede Zaum, des Wissens – Ruhe des Gemüths, des Geschlechts – gutes Betragen, des Reichthums – das Spenden an Würdige, der Askese – Gelassenheit, des Mächtigen – Nachsicht, der Tugend – Wahrhaftigkeit; aller Zierden höchste Zierde aber ist eine edle Gemüthsart, der Grund von Allem.

1488. (3855.) Mit der Herrschaft schliesse man nimmer einen Bund: geht sie, so schwindet das Ansehen; kommt sie, so schwindet das Vermögen.

1489. (3856.) Sowohl zur ausgedehntesten Herrschaft wie zum furchtbarsten Unglück schleppt das Schicksal den Menschen, wie wenn es ihn mit einem Stricke gebunden hätte.

1490. Ueberaus gottlose Menschen tragen Verlangen nach einer Zunahme an Fleisch und Blut, was zu dieser Welt in Beziehung steht, schlafen aber in Angelegenheiten der anderen Welt.

[285] 1491. (3857.) Suche bei der wahren Leuchte, der Silbe Om, den kleinen Hausherrn im Innern, indem du den vor der Thür wehenden Wind und den Lenker der Sinne (das Manas) beständig im Zaume hältst. Wozu machst du viele Worte? Durch Reden bekommt man Nichts zu Gesicht. Erblicke den Herrn im Körper! Wozu wandelst du ferner in der Finsterniss des von den Lehrbüchern kommenden Irrthums.

1492. Blosse Erfahrung auf der einen und eine Menge von Vorzügen auf der anderen Schale halten sich gegenseitig die Wage: eine Schar von Vorzügen wird zu Gift, wenn sie nicht von Erfahrung begleitet ist.

1493. (582.) Eine hohe Stellung stillt nur ein heisses Verlangen; gerade das Hüten des Gewonnenen bringt Beschwerde. Das Königthum ist wie ein Sonnenschirm, dessen Stiel man selbst in der Hand hält: es dient eher zur Ermüdung, als zur Verscheuchung grosser Ermüdung.

1494. Edles Wesen, rücksichtsvolles Benehmen, Abscheu vor dem Bösen, fleckenlose Erkenntniss und allgemeine Beliebtheit pflegen die Anzeichen vollendeter Tugend zu sein.

1495. (583.) Wisse, dass es Freunde vierfacher Art giebt: blutsverwandte, verschwägerte, ererbte und aus Gefahren errettete.

[286] 1496. (3858.) Fürsten verstossen ja sogar leibliche Söhne, wenn diese Schaden bringen, und nehmen sogar Fremde freundlich auf, wenn diese tüchtig sind.

1497. (584.) Hier auf Erden giebt es kein Ding der Welt, das nicht durch Arzenei, Zaubersprüche oder den Verstand Hochbegabter zu erreichen wäre.

1498. Arzeneien, Zaubersprüche, Sterne, ein gutes Omen und Planeten pflegen im Glücke uns gewogen, im Unglück aber ohne Nutzen zu sein.

1499. Ka sa, Râvana, Râma und der König Durjodhana, alle vier waren grosse Thoren; als fünfter kommt Çâlivâhana hinzu.

1500. (3859.) Wer ist des Andern Angehöriger? Was kann Einer durch den Andern erlangen? Allein kommt ja der Mensch zur Welt und allein scheidet er von ihr.

1501. (3860.) Darum ist, o Râma, der Mann, der sich an Jemanden klammert, weil dieser seine Mutter oder sein Vater ist, für verrückt zu halten: Niemand gehört ja einem Andern.

[287] 1502. Zeit, Freunde, Ort, Ausgabe, Einnahme, die eigene Person und seine Kräfte soll man immer und immer wieder (bei jedem Unternehmen) in Betracht ziehen.

1503. Wer ist ehrenwerth? Dessen Wandel gut ist. Wen nennt man gemein? Dessen Wandel auf Abwege gerieth? Wer hat diese Welt gewonnen? Der wahrhaftige und geduldige Mann?

1504. Wer wird, würde er auch darum gebeten, auch nur so viel, als das Gewicht eines Grashalmes oder einer Hülse beträgt, mehr geben, als die furchtbaren Schriftzüge in der Höhlung der Stirn angeben?

1505. (585.) Hartherzige, lass den auf falschen Berichten beruhenden Irrthum fahren! Auf die Worte von Hinterbringern hin darfst du mich nicht in Schmerz versetzen! Oder hältst du etwa, o Einfältige, dieses wirklich für Wahrheit? Nun dann thue an mir, o Geliebte, was dir gut dünkt und gehabe dich wohl!

1506. (586.) Einen abgebrochenen (im Fleische sitzenden) Dorn, einen[288] wackligen Zahn und einen schlechten Minister ist es am besten mit der Wurzel auszuziehen.

1507. Schon der von einem Dorn Gestochene leidet heftigen Schmerz, wie viel mehr derjenige, welchen Schwert und andere Waffen, furchtbar wie der Discus, tödten.

1508. Wem naht nimmer die Allseele, steckten die Lebensgeister ihm auch schon in der Kehle? Dem Thoren, dem Kleinmuth, dem Hochmuth und dem Undankbaren.

1509. Manche mit wohlriechenden Blüthen und saftigen Früchten besetzte Bäume neigen sich zur Erde, erfüllen aber nicht einen andern Baum mit Wohlgeruch: dieser Ruhm kommt nur dir, o Sandelbaum, zu.

1510. Wie könnte ein Fürst, der in der Tugend verharrt, einem fremden Weibe Gewalt anthun? Eines Fürsten Gattin aber muss, o Mächtiger, vor allen andern gehütet werden.

1511. (587.) Warum sollte man doch grossen Herren nicht eifrig dienen, da sie, befriedigt, alsbald unsere Wünsche erfüllen?

[289] 1512. (588.) Kaum hatte ich nach der Rückkehr des Geliebten, der in seinen Antworten sich verwirrte, abgezehrt durch die Trennung, verstellter Weise diese Thränen vergossen, als ich wieder im leeren Gemache tief aufseufzte: dieses wurde ich gewahr, als ich die Augen unruhig umhergehen liess, da ich vorher nicht bedacht hatte, dass mein Weinen zu den Ohren der strengen Freundin gelangen könnte.

1513. (589.) Kaum hatte ich, o Freundin, im verstellten Zorne das Wort »gehe« ausgesprochen, als der Hartherzige das Lager verliess und gewaltsam sich lossreissend davoneilte. Was kann ich dafür, dass das schamlose Herz schon wieder hineilt zum grausamen Geliebten, dem auf solche Weise plötzlich die Liebe entschwand?

1514. Woraus entspringt moralisches Verdienst? Wodurch wächst moralisches Verdienst? Wodurch wird moralisches Verdienst befestigt? Wodurch schwindet moralisches Verdienst?

1515. Aus der Wahrhaftigkeit entspringt moralisches Verdienst; durch Mitleid und Spenden wächst moralisches Verdienst; durch Nachsicht wird moralisches Verdienst befestigt; durch Zorn und Habsucht schwindet moralisches Verdienst.

1516. (590.) »Woher kommt es, o Schöne, dass dieses dein Brüstepaar sich gesenkt hat?« »Sieh, o Thor, es stürzen sogar Berge zusammen, wenn man sie untergräbt.«

[290] 1517. Wie kann, o Herr, ein Gatte der Tugend, des Reichthums und der Annehmlichkeiten ohne die Gattin theilhaftig werden? Auf ihr beruhen diese drei.

1518. So vermag aber auch eine Gattin ohne den Gatten nicht die Tugend und das Andere zu Wege zu bringen: diese drei wurzeln im ehelichen Verhältnisse.

1519. (591.) Setzt man einem Standhaften auch hart zu, so kann die ihm eigene Tugend Standhaftigkeit doch nicht verwischt werden: stellt man das Feuer auch zu unterst, die Flamme geht doch nimmer nach unten.

1520. (3861.) Einen Geizigen, einen Schimpfenden, einen Ungelehrten, einen Waldbewohner, einen Betrüger, einen Verehrer Ehrloser, einen Groben, einen Feindseligen und einen Undankbaren soll man nimmer mit einer Bitte angehen, befände man sich auch in grosser Noth.

1521. Reichthümer, die ein Geizhals zusammenscharrt, pflegen (andere) Glückliche zu geniessen: was die Zähne mit Mühe zerkauen, verschlingt die Zunge mit Leichtigkeit.

1522. (592.) Wann werde ich, im Gemache der Geliebten auf einem[291] Lager von schönduftenden Blumen ruhend, den Busen der Geliebten auf der Brust tragend und laut rufend »o Geliebte, Schöne, Bogenäugige, Mondantlitzige, sei mir gnädig« Tage wie einen einzigen Augenblick verbringen?

1523. (3862.) Ein Mädchen, das da sah, dass der Geliebte bei der Menge von Menschen nicht gut fragen konnte, wann sie Beide zusammenkommen würden, schloss eine bei Tage blühende Wasserrose, mit der sie spielte (wodurch sie zu verstehen gab, dass die Zusammenkunft bei Sonnenuntergang stattfinden würde).

1524. (593.) Wann wird durch den Genuss erbettelten Brodes, das auf dem in der Hand gehaltenen Wasser der Gañgâ umherschwimmt, mein Körper in dem Zustande sich befinden, dass die Freuden sämmtlicher Sinne für ihn werden verschwunden sein? Wann werden die Vögel des Waldes, durch die unbewegliche Stellung meines Leibes beim Studium der heiligen Schrift von dem Wahne ergriffen, dass ich ein Pfosten sei, sich auf meine Schulter niederlassen?

1525. (594.) Wann werde ich, am Ufer des Götterflusses (der Gañgâ) in Vârânasî (Benares) weilend, nur mit einem um die Schamtheile geworfenen Lappen bekleidet, die hohl an einander gelegten Hände über dem Kopfe haltend und laut rufend »o Schutzherr der Gaurî, Zerstörer von Tripura, Ça bhu, Dreiäugiger (Çiva), sei mir gnädig« Tage wie einen einzigen Augenblick verbringen?

1526. (595.) Wenn ein Edelstein, der es verdiente in einen goldenen[292] Schmuck aufgenommen zu werden, in Zinn gefasst wird, so klingt er nicht und strahlt auch nicht: der Tadel trifft den, der ihn fasste.

1527. (3863.) Wie ein gegen eine Wand geworfener Ball wieder zurückprallt, so pflegt ein Schade, den man einem Andern zuzufügen gedachte, Einen selbst zu treffen.

1528. (3864.) Ein Mädchen wählt sich eine schöne Gestalt, eine Mutter sieht auf Vermögen, ein Vater auf Gelehrsamkeit, den Angehörigen ist es um eine edle Familie zu thun, den Uebrigen um ein leckeres Mahl.

1529. Einen gar starken Betrug merkt ja Niemand: ein Weber in Vishnu's Gestalt pflegt der Liebe mit einer Königstochter.

1530. (3865.) Unter Kapâla-Bündniss hat man nur dasjenige Bündniss zu verstehen, welches auf gleichen Verhältnissen beruht; ein in Folge eines Geschenkes zu Stande gekommenes Bündniss heisst Upahâra.

1531. (3866.) An den Mondstrahlen auf einer Schüssel leckt eine Katze,[293] in der Meinung, es sei Milch; in Baumspalten eingedrungene Mondstrahlen hält ein Elephant für Wurzelschosse von Wasserrosen; so greift nach beendigtem Liebesgenuss auch ein Weib nach den Mondstrahlen auf einem Bette, weil sie sie für ihr Tuch hält: seltsam, der von seinem Glanze trunkene Mond verwirrt diese Welt.

1532. (596.) Wie die Finsterniss beim Sonnenaufgange, so weicht bei Pferden ein vom Verbrennen kommender Schmerz durch Affenfett.

1533. (597.) Der Aerger, o Unfreundliche, ist dein Liebster geworden, nicht aber ich: die Hand hat, indem sie die Wange zuhielt, die farbigen Zeichen auf ihr verwischt; Seufzer haben der Lippen Nass, süss wie Nektar, hinabgeschlürft; Thränen, die immer und immer wieder in der Kehle stecken bleiben (an den Hals sich hängen), bringen den Busen zum Wogen.

1534. (598.) Die Erde wankt, obgleich eine Schildkröte, Hauptberge, Weltelephanten und ein Schlangenkönig sie halten; die Zusage von Männern reinen Sinnes wankt nicht, auch wenn die Welt zu Grunde geht.

1535. (599.) Ein Minister gleicht einem Wassertopfe: er giebt wenig und nimmt viel; ein König, der den Augenblick, und ein Armer, der ein Otterköpfchen gering achtet, sind Thoren.

1536. (3867.) Dein Haupt hat bienengleiches (bienenschwarzes) Haar, dein Gesicht erregt Eifersucht bei den Wasserrosen; wen bringst du, wie die Göttin der Schönheit, nicht dahin, dass er zu den Verrückten gezählt wird?

[294] 1537. (3868.) Wen fragen wir (die Götter sind im Himmel, wir wohnen auf Erden), ob der Dichtung Saft oder Nektar süsser sei?

1538. (3869.) Der Mond da legt seine Hand (Strahlen) auf des Aufgangsberges (der Berg, hinter dem Sonne und Mond aufgehen sollen) Brust, der das Busentuch, der Schleier der Finsterniss, entsinkt, und küsst das Gesicht der östlichen Weltgegend, das Gesicht mit den geöffneten Augen, den Wasserrosen.

1539. (600.) Der Zustand, welcher aus der Liebe zum Branntwein (Westen) hervorgeht, erfährt sogar die Sonne an sich: ihre Hände (Strahlen) zittern, sie wirft die Kleider ab (verlässt das Himmelszelt), verliert die Willenskraft (den Glanz) und ist geröthet.

1540. (3870.) Dadurch, dass die Sonne ihre Hände (Strahlen) ausstreckte und sich auf die südliche Weltgegend lehnte, hat sie nicht nur sich selbst, sondern auch den Tag um die Würde gebracht.

1541. (3871.) Wer Werke der Tugend, der Annehmlichkeit oder des Nutzens zu thun gedenkt, plaudere sie nicht aus, zeige sie aber, sobald sie vollbracht sind; auf diese Weise wird ein Plan nicht verrathen.

[295] 1542. Wenn ein Asket mit seiner Hand eine Gabe entgegennimmt, so thut er (stillschweigend) dem ihm Zugeneigten folgenden Vertrag kund: hiermit erhebe ich meine rechte Hand darauf, dass ich die Lösung der in Bezug auf beide Welten gestellten Fragen zu geben bereit bin.

1543. (601.) An der Hand preist man Freigebigkeit, am Kopfe eine Verbeugung zu den Füssen des Lehrers, am Munde wahre Rede, an den Armen des Siegers unvergleichliche Mannhaftigkeit, am Herzen lauteres Wesen, an den Ohren das Auffassen der Lehren: solches bildet auch ohne hohe Stellung den Schmuck Hochbegabter.

1544. (602.) Ein reiner Behälter verleiht auch einem nichtigen Dinge grossen Werth: sogar ein kleiner Wassertropfen wird in einer Muschel zur Perle.

1545. (603.) Der Lebenskluge mag immerhin dieses oder jenes unternehmen, der Erfolg aber wird der sein, den der Schöpfer im Sinne hatte.

1546. (604.) Was thun nicht Alles die thörichten Menschen, von dem in's Ohr geträufelten Gift (verkehrter Lehren) gebrochen? Sie erwählen sogar den Stand der nackten Bettler und trinken Branntwein aus Menschenschädeln.

[296] 1547. (605.) Karṇa gab seine Haut, Çibi sein Fleisch, Ģîmûtavâhana sein Leben, Dadhîḱi seine Knochen hin: für Männer von hoher Gesinnung ist kein Opfer zu gross.

1548. (3872.) Der Böse lässt den Saft schöner Reden, diesen Nektar für die Ohren, unbeachtet, kümmert sich aber sehr um ihre Fehler; wenn ein Kameel in einen Lusthain tritt, richtet es seine Aufmerksamkeit nur auf die Dorngewächse.

1549. (606.) Pfeile wie Karnin, Nâlîka und Nârâḱa zieht man wieder aus dem Körper heraus; aber der Pfeil des verletzenden Wortes kann nicht wieder herausgezogen werden, da er im Herzen steckt.

1550. »Man soll thätig sein«, so lautet Manu's Bescheid; wenn der Mensch durchaus kein Streben zeigt, dann geht es ihm ja schlimm.

1551. (607.) Man soll stets Vorräthe machen, aber nicht zu grosse: jener Schakal, dessen Art es war zu grosse Vorräthe zu machen, fand durch einen Bogen seinen Tod.

[297] 1552. (608.) Freunde soll man sich erwerben, sowohl schwache als starke: sieh, der König der Schildkröten, der gefesselt war, wurde durch eine Maus be freit.

1553. Freunde soll man sich erwerben, sowohl starke als auch schwache: eine Elephantenheerde, die in einem Walde gefesselt war, wurde durch Mäuse befreit.

1554. (609.) Tief verneigen soll man sich vor dem Liebesgotte von unwiderstehlicher Mannhaftigkeit, der, obgleich er wie Kampfer verbrannt wurde, noch Macht über Jedermann hat.

1555. Wer Einsicht hat, muss ja, o Bewältiger der Feinde, hier auf Erden thätig sein: ohne Arbeit lebt ja nur das, was sich nicht regt, nicht aber die übrigen Geschöpfe.

1556. (3873.) Eine Handlung, die zu unserem Frommen dient, sollen wir vollbringen, sie heisse Gewalt oder Güte: der Unthätige wird stets von Schaden heimgesucht und gelangt zu keinem Besitz.

1557. (3874.) Die reifgewordene Frucht einer That geniesst der Thäter selbst: was in der Welt gethan und was versehen worden ist, springt sogleich in die Augen.

[298] 1558. (3875.) Das Schicksal hat wohl Macht über den Verstand, nimmer aber dieser über das Schicksal, da Râma, so verständig er auch war, einer goldenen Gazelle nachsetzte.

1559. (3876.) Mit That, Gedanken und Worten bemühe man sich das Rechte zu thun; was aber nicht zum Himmel führt und den Menschen verhasst ist, das thue man nicht, auch wenn es recht ist.

1560. (3877.) Was Jemand mit That, Gedanken und Worten beständig treibt, das reisst ihn mit sich fort; darum thue man Gutes.

1561. (3878.) Durch jede beliebige Handlung, sie heisse Güte oder Gewalt, rette man sich, wenn man in schlimmer Lage ist; vermag man es aber, so übe man Recht.

1562. Das Schicksal (die in einem früheren Leben vollbrachten Werke) ist ja mächtiger als alles Andere; was vermögen glückliche Planeten? Râma wanderte in den Wald, obgleich Vasishtha ihm das Horoskop gestellt hatte.

1563. (3879.) Wie Väter die Ursache sind, dass eine durch eigene Werke erlangte Geburt wirklich in die Erscheinung tritt, so sind auch Andere die Ursache, dass der Könige Königthum zur Wahrheit wird.

[299] 1564. (3880.) Wer dieses Land der Werke betritt, muss gute Werke vollbringen: der Gott des Feuers, der des Windes und auch Soma (der Mond) geniessen die Früchte ihrer Werke (d.i. verdanken ihre Stellung vorangegangenen guten Werken).

1565. Den unwirschen Mann, welcher, o Nachtwandler (der Râkshasa Khara wird angeredet), eine der Welt feindliche Handlung vollbringt, tödtet Jedermann wie eine böse Schlange, die sich naht.

1566. (610.) Von den Thaten eines Mannes kann man stets auf die uns nicht vor Augen liegende Natur seiner Eigenschaften schliessen; darum suche man die Thaten derjenigen, die nicht vor unseren Augen leben, aus ihren Folgen zu erkennen.

1567. Die in einer früheren Geburt vollbrachten guten oder bösen Werke bilden das Schicksal, und dieses allein ist bei der Geburt, z.B. in einer vornehmen Familie, das Bestimmende; aber schon von der ersten Kindheit an hängen Bildung und Tüchtigkeit einer Person, wie der Ackerbau, zugleich vom Menschen und vom Schicksal ab; darum lasse man es nicht an Bemühung fehlen.

1568. (611.) Der Lohn, der den Menschen zu Theil wird, hängt vom Schicksal (von den in einem früheren Leben vollbrachten Werken) ab, und[300] auch die Vernunft folgt dem Zuge des Schicksals; trotz dem soll der Verständige erst nach reiflicher Ueberlegung handeln.

1569. Wer die Organe für sinnliche Verrichtungen hemmt, im Herzen aber über die Sinnesgegenstände nachzudenken fortfährt, von dem Thörichten heisst es, dass er verkehrt handle.

1570. Wer dagegen, o Arguna, die Sinne mit dem Herzen im Zaum haltend, mit den Organen für sinnliche Verrichtungen sich zur Thätigkeit anschickt, ohne daran zu hängen, der steht über Jenem.

1571. (3881.) Ein verliebter Täuberich lässt liebliche Töne in der Gurgel ertönen, bewegt die Augen, geht von einem Platz zum andern und küsst sein Liebchen.

1572. (3882.) Wen anders als dich (o Büsser) versetzen (der Weiber) lieblich klingende Reden und ihr die Körpermitte beugendes Brüstepaar nicht in Aufregung? Daher kommt es ja aber auch, dass, wenn man mit dir die Zählung beginnt, der namenlose Finger (der Ringfinger, beim Zählen der zweite) auf kein makelloses Wesen stösst (d.i. dass du unter deines Gleichen allein stehst).

1573. Weiber gleichen Windsbräuten: sie sind überaus unstät, mit starker Leidenschaft (vielem Staube) ausgestattet, besudeln die auf gutem Wege Wandelnden und belästigen sie gar sehr.

1574. Darum sollen charakterfeste und kluge Männer nicht an ihnen hängen, wohl aber ihre Natur studiren, um zu der Stellung eines Vîtarâga (dessen Leidenschaften vollständig geschwunden sind) zu gelangen.

[301] 1575. (612.) Streit vernichtet Paläste, ein böses Werk die Freundschaft, schlechte Könige vernichten ganze Reiche, böse Thaten den Ruhm der Menschen.

1576. Wenn der Mond seine Sichel, der Freigebige seine Hand und die Wolke ihren Regenstrom uns verkürzen sollten, wie würde alsdann die Welt bestehen?

1577. Im Zeitalter Kali lässt Vishnu die Erde für zehntausend (Jahre) im Stich, das Wasser der Gañgâ für die Hälfte dieser Zeit und die Dorfgottheiten für die Hälfte dieser letzten Zeit.

1578. (3883.) Wunderbäume und Edle dürfen nimmer einander gleichgestellt werden, da jene gebeten, diese aber von selbst Bedürftigen Früchte gewähren.

1579. (613.) Der Alles spendende Wunderbaum hat keine Einsicht und der in Alles Einsicht habende Bṛhaspati spendet nicht; dieser Gemahl der Erde (König) aber hat Einsicht und spendet zugleich.

1580. (3884.) Wenn auch der Wunderbaum zu rechter Zeit keine Früchte trüge, welcher Unterschied bestände dann zwischen ihm und den andern Bäumen des Waldes?

[302] 1581. (614.) Denjenigen Vorzug, durch den man sein Brod hat und um dessen Willen man in der Gesellschaft von Guten gerühmt wird, soll der Besitzer hüten und mehren.

1582. (615.) Was sehen nicht Dichter? Was fressen nicht Krähen? Was schwatzen nicht Trunkene? Was thun nicht Weiber?

1583. (616.) Nur Dichter, nicht gewöhnliche Menschen, werden erfreut durch die schönen Aussprüche eines Dichters: schwellen doch Brunnen nicht an wie das Meer durch die Strahlen des Mondes.

1584. Der Dichter verfasst die Dichtwerke, der Gebildete aber erkennt den Reiz derselben: auch einer Schönen Anmuth erkennt der Gatte, nicht der Vater.

1585. Dichtergabe, Gesundheit, grosser Verstand, Gunst der Frauen, Goldgewinn, Wahrheit gegen Jedermann und Achtung der Angehörigen: dieses sind ja Anzeichen, dass man den Himmel gewonnen hat.

[303] 1586. (3885.) Ich preise Vâlmîki, den Mond unter den Dichtern, dessen Erzählung von Râma Edle auflesen, wie die Vögel Ḱakora die Mondstrahlen.

1587. Wer vermag, o Lakshmana, mit dem Schicksal zu kämpfen, da es hier auf Erden kein Mittel giebt es niederzudrücken?

1588. (617.) Jeder ist immer nur Eines Freund und Vertrauter: die Sonne öffnet die Padma- und schliesst die Kairava-Blüthe.

1589. (3886.) Fährt Jemand auf einem Holzstücke über einen sehr tiefen grossen Strom, so bringt er dieses Holzstück hinüber, aber auch er wird vom Holzstücke hinübergebracht.

1590. (618.) Jemand schleudert harte Worte auf mich; ich begebe mich in das Haus der Geduld und werde froh; dann verfalle ich aber wieder in Kummer bei dem Gedanken, dass ich die Veranlassung war, dass dieser Arme auf solche Weise von seinem guten Wandel wich.

1591. (3887.) Wenn Jemand einen Wald von Mangobäumen niederhaut und einen Wald von Palâça (Butea frondosa) begiesst, dann trauert er beim Anblick der Blüthen im Herbst, da es ihn nach Früchten verlangt.

[304] 1592. (619.) Mancher garstige Mensch gewinnt ein Ansehen durch die Anmuth dessen, an den er sich lehnt: er gleicht hierin der schmutzigen Salbe, die auf's Auge eines reizenden Weibes aufgetragen wird.

1593. (620.) Welcher anständige Mann küsst einer Buhldirne Lippenknospen, wenn sie auch reizend sein sollten, da sie ja der Spione, Soldaten, Diebe, Sclaven, Schauspieler und Schmarotzer Spucknapf sind?

1594. Wie vermöchte Indra, wie der Schöpfer, wie der elende Jama ein Gebot fest an der Wahrheit haltender Fürsten zu übertreten?

1595. (3888.) Wer wird es glauben, dass die Sache sich wirklich so verhält? Jedermann wird mich mit den Augen messen. Die Armuth, aller Würde baar, erregt ja in der Welt Verdacht.

1596. Ein Uebel fürwahr ist Thorheit, ein Uebel auch Armuth in der Jugend, der Uebel grösstes aber ist der Aufenthalt in einem fremden Hause und in der Fremde.

1597. Ein Uebel fürwahr ist Thorheit, ein Uebel auch Jugend, der Uebel grösstes aber ist der Aufenthalt in einem fremden Hause.

[305] 1598. Ein schweres Leben haben ein Astrolog, eine Buhldirne, ein Erzähler, ein Diener und ein Arzt: der Beruf anderer Menschen Herzen zu erfreuen heisst so viel als täglich sterben.

1599. (621.) Ein Uebel ist ein von Andern abhängiges Leben, ein Uebel eine Wohnstatt ohne Schutz und ein Unternehmen ohne Geldmittel: die Armuth ist mit jeglichem Uebel behaftet.

1600. Trage, o Mädchen, ja nicht ein Mal von Moschus auf deine Stirn auf: Râhu würde in der Meinung, dass es der Fleck (im Monde) sei, dein Gesicht verschlingen.

1601. (622.) Die vielen mit schönstem Moschus aufgetragenen Zeichen auf deinen Wangen sind nicht verschwunden; auch ist, o Freundin, der Sandel auf deiner Brust nicht verwischt, die Augenschminke nicht abgewaschen, die durch Betel erhöhte Farbe auf deinen Lippen nicht gewichen. Schmollst du vielleicht mit dem Liebsten, o du mit dem gemessenen Gange des Elephanten, oder ist dein Gatte noch ein Kind?

1602. (3889.) »Wer bist du, mein Bester?« »Ich bin der Fürst der Bösen«. »Wozu weilst du hier im fürchterlichen Walde?« »In der Hoffnung, dass mich Tiger oder andere reissende Thiere fressen.« »Was bezweckst du mit[306] diesem grässlichen Entschluss?« »Ich möchte, dass die Thiere, wenn sie meinen Leib fressen, auf den Gedanken kommen, das Fleisch aller jetzt lebenden Menschen zu kosten, und dass sie auf diese Weise alle Menschen umbringen.«

1603. (3890.) »Wer bist du, Freund?« »Ich will es dir sagen: wisse, dass ich ein vom Schicksal geschlagener Çâkhoṭaka bin.« »Du sprichst, als hättest du der Welt entsagt.« »Du hast es gut getroffen.« »Woher diese deine Stimmung?« »Das will ich dir berichten: dort zur Linken steht ein Feigenbaum, den Wanderer von ganzem Herzen gern besuchen; ich aber habe, obgleich ich am Wege stehe, nicht einmal Schatten, mit dem ich Andern einen Dienst erweisen könnte.«

1604. Woher droht Gefahr? Vor dem Tode? Wer ist noch blinder als der Blinde? Der von der Leidenschaft Beherrschte. Wer ist ein Held? Der sich nicht durch die Augenpfeile der Weiber verwirren lässt.

1605. Vor wem verbeugen sich sogar die Götter demüthig? Vor dem, dem Barmherzigkeit über Alles geht. Wovor muss Einem bangen? Dem Klugen bangt es vor dem Walde, Leben genannt.

1606. An wessen Familie haftet kein Makel? Wer wird nicht von Krankheit geplagt? Wer hat kein Unglück erfahren? Wer empfindet ununterbrochenes Wohlbehagen?

[307] 1607. In wessen Gewalt stehen die Menschen? In der Gewalt des Wohlerzogenen, der Wahres und Liebes spricht. Wo soll man bleiben? Auf dem rechten Pfade, um des Lohnes in dieser und jener Welt theilhaftig zu werden.

1608. Was geht zu Grunde? Das Herz durch Ueberschreitung der Schranken. Wobei ist durchaus keine Gefahr? Bei der Erlösung. Was ist der schlimmste Pfeil? Die eigene Thorheit. Wen soll man verehren? Aeltere und edle Menschen.

1609. (3891.) Wer würde den von Natur tiefen Menschen ein Unglück an der äusseren Erscheinung anmerken, wenn nicht unmündige Kinder oder Dienstboten dieses verriethen?

1610. (3892.) Das Schicksal leert oder füllt Einige, befördert Andere in die Höhe, bringt Einige zu Fall und wieder Andere, die voll sind, führt es hinweg: indem es uns daran mahnt, dass der Bestand dieser Welt eine Verbindung einander feindlich Gegenüberstehender sei, treibt es mit uns sein Spiel, als wenn es mit Krügen an einem Brunnenrade zu thun hätte.

1611. (3893.) Ein verständiger Mann beginnt einige Dinge, die am Anfange unbedeutend sind, aber grossen Lohn versprechen, alsbald zu betreiben und legt ihnen keine Hindernisse in den Weg.

[308] 1612. (623.) Schwarz ist die Krähe und schwarz auch der Kokila; welcher Unterschied besteht zwischen Kokila und Krähe? Wenn der Frühling kommt, dann ist die Krähe Krähe und der Kokila Kokila.

1613. Eine Krähe fühlt sich nicht behaglich unter Lotusblumen und ein Flamingo nicht im Wasser eines Brunnens; ein Hund findet kein Gefallen an der Höhle eines Löwen und ein Niedriger nicht am Throne; ein schlechtes Weib erfreut sich nicht an einem guten Manne, sondern verlangt nach einem gemeinen: schwer macht man sich von dem Wesen frei, das Einem von Natur angeboren wurde.

1614. (624.) Wenn das Schicksal auch ganz unerwartet, wie in der Geschichte von der Krähe und der Palmnuss, einen Schatz vor sich liegen sieht, greift es nicht selbst darnach, sondern wartet auf des Menschen Arbeit.

1615. (625.) Das Fleisch einer Krähe lässt ein Hund liegen, weil es ein gar zu kleiner Bissen ist und überdies keine Kraft giebt: was nützt es auch Etwas zu essen, wovon man nicht satt wird?

1616. (626.) Wenn der Krähe Schnabel mit Gold belegt wäre, wenn ihre Füsse mit Rubinen verziert würden und wenn auf jedem Flügel eine Perle sich befände, wie man sie bisweilen in den Schläfen eines Elephanten antrifft: die Krähe bliebe doch Krähe und wäre kein Flamingo.

[309] 1617. (3894.) »Welches Weib immer, nach dem Liebesgenuss von Müdigkeit gequält, in Schlaf versunken ist, umwunden von den Armlianen des Geliebten, das gehe nach Haus! Der Sonnenaufgang da ist die Losung.« So sprechen die Krähenscharen.

1618. (627.) Bei der Krähe Reinlichkeit, bei Spielern Ehrlichkeit, bei der Schlange Nachsicht, bei Weibern ein Nachlassen des Liebestriebes, beim Eunuchen Muth, beim Trunkenbolde Forschen nach Wahrheit, ein König als Freund: wer hat solches je gesehen oder gehört?

1619. (628.) Glas erhält durch Berührung mit Gold einen smaragdenen Schein; so wird auch ein Thor durch den Umgang mit Weisen zu Vielem geschickt.

1620. »Wozu soll ich mir Gedanken machen über meinen Lebensunterhalt, wenn ich Vishṇu, den Allernährer, lobsinge? Wie hätte er, wenn es sich anders verhielte, zum Lebensunterhalt des Kindes die Muttermilch geschaffen?« Indem ich immer und immer wieder so bei mir denke, verbringe ich, o Fürst der Jadu, o Gatte der Lakshmî, stets die Zeit nur damit, dass ich deiner Füsse Lotusse verehre.

1621. (629.) Diejenigen, welche Glas für Edelstein und Edelstein für[310] Glas halten, in deren Nähe mag ein Diener, wenn er es auch nur dem Namen nach wäre, nicht weilen.

1622. (630.) Als ein Geliebter an die Dienerin der Geliebten leise die Frage richtete, warum die Schönäugige mit dem Gürtel den Saum des Gewandes fest zugezogen hätte und schon wieder schliefe, da rief diese in ihrem Aerger aus: »Mutter, auch hier stört er mich im Schlafe!« drehte sich um, als wenn sie schlafen wollte, und machte auf diese Weise Platz auf dem Ruhebette.

1623. (3895.) Wer ist deine Geliebte? Wer dein Sohn? Das Leben hier ist überaus bunt! Oder wessen Sohn bist du? Woher bist du gekommen? Ueber diese Wahrheit, über diese, denke, o Bruder, nach!

1624. (631.) Die Pâṇḍava sind Enkel eines Weisen (Vjâsa), der von einem Mädchen geboren wurde und den Wittwenstand des Weibes seines Verwandten brach, sind Söhne eines Mannes, der einer Wittwe das Leben verdankte, sind selbst in der Ehe von Fremden gezeugte Kinder und vergnügen sich alle fünf mit einem und demselben Weibe; das Preisen ihrer Tugenden soll nichtsdestoweniger ein unvergängliches und volles Maass von guten Werken uns schaffen: gar fein und schwer zu fassen ist das Wesen des Verdienstes!

[311] 1625. (632.) In der Angst ihres Herzens spricht eine Taube zum Geliebten: »Gatte! Die Todesstunde ist jetzt gekommen: unten steht ein Jäger mit Bogen und geschärftem Pfeile in der Hand, hier kreist ein Falke.« So war es; da biss aber eine Schlange den Jäger und dieser traf den Falken mit seinem Geschosse; da gingen beide rasch zu Jama's (des Todesgottes) Wohnung: wunderbar ist des Schicksals Gang!

1626. (633.) Der ist ein Held und erobert diese ganze Dreiwelt, dessen Herz die Pfeile der Geliebten, ihre Seitenblicke, nicht durchwühlen, Reue, die auf den Zorn folgt, nicht versengt und die vielen Sinnesgegenstände an den Banden der Gier nicht hin und her ziehen.

1627. (3896.) Eine Geliebte, Mondaufgang und der fünfte Ton auf der Laute, diese erfreuen Glückliche und betrüben Unglückliche.

1628. (3897.) In einem Urwalde, in unwegsamen Dickichten, in schlimmen Nöthen, bei Schrecknissen und bei erhobenen Waffen kennen Beherzte keine Furcht.

1629. Auch ist für den Mann auf Reisen (das Weib) eine Erholung in den Wäldern. Wer eine Gattin hat, dem kann von ihr Muth zugesprochen werden; darum ist die Gattin das höchste Los.

[312] 1630. Trennung von der Geliebten, Geringachtung von Seiten der Angehörigen, ein Schuldenrest, Dienst bei einem schlechten Fürsten und ein Freund, der unserer Armuth wegen uns den Rücken kehrt, diese fünf versengen ohne Feuer den Leib.

1631. (634.) »Geliebte! Verlebe einige Tage, als wenn sie Augenblicke wären.« »Schon gut, schon gut! wie Augenblicke will ich die Tage verleben, so lange die Weltgegenden mir nicht leer erscheinen (so lange du noch da bist).« »Ich komme ja bald wieder.« »Der Gatte wird wiederkehren um der Schar der Freunde Glück zu bringen.« »Sprich, welchen Auftrag hast du mir zu geben?« »Zwei Handvoll Wasser (die Todtenspende) an heiligen Badeplätzen.«

1632. Eine Gazellenäugige, deren Liebesgefühl erregt war, legte ihrem Geliebten gegenüber beim Liebesgenuss in gewisser Beziehung eine solche Geschicklichkeit an den Tag, dass Hunderte von Haustauben sich in ihre Schule begaben, indem sie zu wiederholten Malen ihr Girren nachahmten.

1633. (635.) Selbst der Verständige, wenn er eine Jungfrau erblickt, die genau angesehen nichts weiter als eine unreine Puppe ist, nennt sie Geliebte, Lotusäugige, preist die Wucht ihrer mächtigen Hüften, den starken und hohen Busen, vergleicht ihr schönes Antlitz mit einer Wasserrose, lobt[313] ihre schönen Brauen, ist voll Verlangen nach ihr, rast, freut sich, ist in Entzücken und beginnt sein Spiel: Weh rufe ich über das tolle Gebahren des Unverstandes!

1634. (636.) Heute in der Abenddämmerung hat mich der Schelm von Geliebten hintergangen: ich hatte ihn, weil er gegen mich gefehlt, zu Bette geschickt; da legt er die Kleider meiner geliebten Freundin an und kommt wieder. Im Wahne, dass es diese Freundin sei, umarme ich ihn und theile ihm als Geheimniss mit, dass ich mit ihm zusammenzukommen wünschte. Darauf erwiedert er: »O Einfältige! das ist gar schwer auszuführen«, lacht auf und schliesst mich gewaltsam in seine Arme.

1635. Kann Freundschaft mit Katzen, mit einem Fürsten, mit einer Buhldirne oder mit Bettlern bestehen?

1636. (637.) Wohl leben die Gazellen im Walde nur von Gras, das sie ohne Anstrengung leicht erlangen, dafür erniedrigen sie sich aber auch nicht vor Reichen: sie sind bekanntlich Thiere, wir dagegen vernünftige Wesen.

1637. (638.) Gern kleidete ich mich im Walde in ein elendes Gewand, das aus einem Haufen abgefallener Blätter zusammengefügt wäre; gern[314] fristete ich mein Leben sogar mit Wasser, das mir lieb wäre, weil ich es nicht zu erbetteln brauchte; nicht aber vermöchte ich erschöpften Körpers, unter Zittern und Beben und mit Fiebergluth im Innern, das erniedrigende Wort »gieb« weinerlich hervorzubringen.

1638. (639.) Liebe, Zorn, Habgier, übermässige Freude, Stolz und Dünkel: dieser Gruppe von Sechsen entsage ein Fürst; hat er diese aufgegeben, so ist er glücklich.

1639. (3898.) Mache den festen Willen zu einem Schiffe und setze hinüber über die Gefahren der Geburt, über den Fluss, dessen Ungeheuer Liebe und Zorn und dessen Wasser die fünf Sinne sind.

1640. Diejenigen, die von Liebe, Zorn und Dünkel berauscht sind und in der Gewalt der Weiber stehen, werden durch kein Wasser rein, badeten sie sich auch an hundert heiligen Badeplätzen.

1641. Nur denjenigen hält man, o grosser Fürst, für einen Brahmanen, vor dem sich Liebe, Zorn, Lüge, Hass, Gier, Irrthum, Dünkel und andere Untugenden (machtlos) verneigen.

1642. Lass, o Bester der Bharata, Liebe und Zorn fahren und hüte nur das Recht, da das Recht Fürsten den grössten Segen bringt.

[315] 1643.(3899.) Zu dem Fürsten aber, der, Liebe und Zorn unterdrückend, die Angelegenheiten nach dem Rechte beurtheilt, strömen die Unterthanen, wie zum Meere die Flüsse.

1644. (3900.) Der thörichte Fürst, der bei der Betreibung einer Sache sich von Liebe und Zorn leiten lässt, erntet weder Tugend, noch Nutzen.

1645. (3901.) Liebe und Zorn ziehen ja den Menschen von den Sachen ab; der Fürst aber, der jene zwei Feinde besiegt, gewinnt die ganze Erde.

1646. (3902.) Wenn dem, der einen Wunsch hegt, ein Wunsch in Erfüllung geht, dann dringt in sein Herz, wie ein Pfeil, ein neuer Wunsch, die Gier.

1647. (3903.) Lass Liebe, Zorn, Gier und Irrthum fahren und schaue in die Seele um zu erfahren, wer du bist. Die Thörichten, die keine Kenntniss von der Seele haben, werden, den Augen der Andern entzogen, in der Hölle gebraten.

1648. (3904.) Der Fürst, der Liebe, Zorn, Gier, Heuchelei und Hochmuth vollkommen zu überwinden versteht, ist dazu bestimmt, die ganze Erde zu besitzen.

1649. Liebe, Zorn, Habgier, Süssigkeiten, Putz, Festlichkeiten, übermässiges[316] Schlafen und Dienst, diese acht muss derjenige, dem es um Wissen zu thun ist, meiden.

1650. (3905.) Ich kenne, o Gier, deine Wurzel: du entspringst, wie man weiss, aus dem Willen; ich werde dich nicht wollen und so wirst du mit der Wurzel vernichtet sein.

1651. Wissen besitzt die Vorzüge der alle Wünsche erfüllenden Zauberkuh, da es Früchte zu allen Zeiten trägt; in der Fremde vertritt es die Mutter; Wissen gilt für einen wohlverborgenen Schatz.

1652. (2608.) Diese ganze Welt, die nur ihren Gelüsten fröhnt, richtet sich nach Andern: wie sich die Fürsten betragen, so betragen sich auch die Unterthanen.

1653. (640.) Der Liebe soll man aus ganzer Seele entsagen; vermag man ihr nicht zu entsagen, so richte man sie auf die eigene Frau: diese allein kann uns davon heilen.

1654. (3906.) Eigennützigkeit wird nicht gelobt und dennoch besteht[317] hier auf Erden keine Uneigennützigkeit: in eigennütziger Absicht liest man die heilige Schrift und unternimmt man ein in der heiligen Schrift vorgeschriebenes heiliges Werk.

1655. Die Weiber können den eigenen Gatten durchaus nicht leiden, mag er auch ihre Wünsche erfüllen, thun was ihrem Herzen lieb ist und sie schützen.

1656. (3907.) Der Mann, der den Wünschen fröhnt, geht mit den Wünschen zu Grunde (geht zu Grunde, wenn seine Wünsche vereitelt werden); der Mann aber, der die Wünsche aufgiebt, schüttelt jeglichen Staub von sich ab.

1657. (3908.) Wer, von Liebe oder von Zorn überwältigt, mit den Seinigen oder mit Andern unwahr verfährt, der hat keine Anhänger.

1658. (641.) Selbst das gebändigte Herz des verständigen Mannes verlangt nach Liebe: selbst der auf der Strasse gelenkte Stier fängt an zu laufen, wenn er auf Gras stösst.

1659. (3909.) Der Mann, der mit einer von Liebe gequälten, von selbst zu ihm kommenden Schönhüftigen nicht der Liebe pflegt, fährt sicher, durch ihre Seufzer getödtet, zur Hölle.

1660. (642.) O Wanderer Herz! lustwandle nicht im dichten Walde,[318] dem Körper der Geliebten, und nicht in den unwegsamen Schluchten der Berge, ihren Brüsten: dort haust ein Räuber, der Liebesgott.

1661. O Wanderer Herz, lustwandle nicht auf dem unwegsamen Berglande, den Brüsten der Geliebten, auch nicht in dem Dickicht ihrer Härchenreihe; dort im Nabel befindet sich eine Höhle, in der der Sohn Madhusûdana's (der Liebesgott) im Versteck liegt; dieser Räuber da beraubt ja, o Freund, sogar am hellen lichten Tage den Mann der Kleider, was soll man da noch von der Nacht reden?

1662. Es steht fest, dass die Weiber wie Flüsse dem Niedrigen nachgehen, da sogar die Gattinnen eines Fürsten, des Mondes, nämlich die Sterne, sich zum Untergang neigen.

1663. Den Lohn, dessen der Mann unter grossen Beschwerden des Körpers theilhaftig wird, erlangt die Frau ohne Mühe, indem sie den Gatten ehrt.

1664. (643.) Dem Körper drohen Gefahren, dem Glücke folgt auf dem Fusse das Unglück, Vereinigung ist mit Trennung verbunden: Alles was entsteht muss auch zu Grunde gehen.

1665. Mit dem Körper verübt man etwas Böses, nachdem man es zuvor[319] im Geiste beschlossen hat, und mit der Zunge spricht man eine Unwahrheit: so ist eine sündhafte That von dreierlei Art.

1666. (3910.) Aus irgend einem Grunde wird man den Leuten lieb und aus irgend einem Grunde verhasst: eigennützig ist diese Welt der Lebenden, Niemand ist dem Andern lieb.

1667. (644.) Aus irgend einem Grunde wird man Freund und aus irgend einem Grunde wird man auch Feind; darum soll der Kluge in Rücksicht darauf nur Freundschaft, nicht Feindschaft an den Tag legen.

1668. (645.) Aus irgend einer Veranlassung entstehen Freunde sowohl als Feinde: nun meide man dasjenige, was Veranlassung sein könnte, dass Feinde entständen.

1669. (646.) Ein Fürst, der Mitleid zeigt gegen seine Diener und mit ihnen theilt, vermöchte sogar die Dreiwelt zu beschützen.

1670. (647.) Härte wird man an ihrem Busen gewahr, unstätes Wesen an ihren Augen, eine Stirn (Unwahrheit) an ihrem Gesicht (in ihrem Munde), Krausheit (Falschheit) an ihren Haaren, Gemessenheit (Trägheit) an ihrer Rede, Derbheit an ihren Hüften, Aengstlichkeit wird von ihrem Herzen ausgesagt,[320] dem Geliebten gegenüber entfalten sie ihre Zauberkünste. Können, so frage ich, die Gazellenäugigen, deren eben genannte Vorzüge ja nur eine Reihe von Fehlern bilden, Männern lieb sein?

1671. (3911.) Im Monat Kârttika oder Kaitra, nicht aber zu anderer Zeit, empfiehlt man einem auf Eroberung Ausgehenden, wenn er an Kraft überlegen ist, einen Marsch in Feindes Land.

1672. Obgleich die Langäugigen die Gestalt derer, mit denen sie zum ersten Mal zusammentreffen, gern mit ihren Augen durchdringen möchten, so ruhen diese Augen dennoch nicht unverwandt auf dem Geliebten.

1673. (3912.) Geiz, Hochmuth, Stolz, Furcht und Unruhe erkennen Weise als der Menschen Leiden, die der Reichthum erzeugt.

1674. (648.) Geiz untergräbt den Ruhm, Zorn eine Menge von Tugenden, Heuchelei die Wahrheit, Hunger den Wandel innerhalb der gesetzlichen Grenzen, Liebhabereien untergraben das Vermögen, Unglück die Standhaftigkeit, Fahrlässigkeit richtet den Brahmanen zu Grunde, Zuträgerei eine Familie, ein Rausch macht anständiges Betragen zu Nichte, Niederträchtigkeit die männliche Würde, Armuth die Achtung bei den Leuten, Selbstsucht einen guten Namen.

1675. Wenn uns die Macht gegeben ist, müssen wir denjenigen, der[321] sich in unsern Schutz begab, sogar mit Hintansetzung des eigenen Lebens retten: schützt nicht ein erklärender Commentar eine Wurzel, indem er ihr stets auf dem Fusse folgt?

1676. (3913.) Der Diener, welcher im Augenblick, wo es zu handeln gilt, im Unglück, erst Geld fordert, muss von staatsklugen Fürsten alsbald hinausgewiesen werden.

1677. Man kann Gutes und Böses, Recht und Unrecht vollbringen lassen oder selbst vollbringen; doch sei man nur dann unbesorgt, wenn man Gutes vollbracht hat, und gebe sich nicht der Ruhe hin, wenn man Böses vollbracht hat.

1678. (3914.) Wer sich auf den passenden Augen blick versteht, wird im Hinblick auf einen wichtigen Zweck selbst bei Niedrigen Fehler verdecken, wenn sie auch da sind, und von Vorzügen reden, wenn sie auch nicht da sind.

1679. Wenn im Hinblick auf einen bestimmten Zweck sogar Gift, das man geniesst, zu Nektar wird für alle Geschöpfe, dann soll man sich nicht lange bedenken (und das Gift hinunterschlucken).

1680. (3915.) Diejenigen, die keine Staatsklugheit besitzen, die ungehemmt auf Abwegen sich ergehen, denen die Einsicht schwindet und die keine Ohren haben, hören nicht, was zu thun oder zu lassen ist, sagten ihnen dieses auch auf passende Weise die Aussprüche der Staatsweisheit.

1681. (649.) Ein König, dem es um Wohlfahrt in der Zukunft zu thun[322] ist, soll nicht ein Auge zudrücken, wenn sein Minister, mag dieser ihm sonst auch ganz ergeben sein, bei seiner Geschäftsführung Geld verschleudert.

1682. (3916.) Diejenigen, welche, der Staatsweisheit kundig, Angelegenheiten, die die höchsten Strafen in ihrem Gefolge haben und nur mit grosser Anstrengung in Ordnung zu bringen sind, mit ihrem Verstande in Güte beilegen, sind die rechten Räthe; diejenigen aber, welche gegen alle Ordnung Angelegenheiten, die nichtige und geringe Folgen haben, durch Anwendung von Gewalt zu Ende zu bringen bestrebt sind, stellen durch ihr unkluges Benehmen des Fürsten Glück auf die Wage (auf's Spiel).

1683. (650.) Diejenigen Menschen, die einen bestimmten Zweck vor Augen haben, pflegen in vollem Maasse Freundlichkeit an den Tag zu legen: ein Schenkwirth, dem es um Wolle zu thun ist, füttert seinen Bock mit saftigen Gräsern.

1684. Wer nach Ausführung eines ihm obliegenden Geschäftes noch viele andere vollführt, ohne dass dadurch das erste Geschäft leidet, der ist der rechte Mann ein Geschäft zu vollbringen.

1685. Da ja beim Zustandekommen sogar des unbedeutendsten Geschäftes hier im Leben mehr als eine Ursache wirksam ist, so ist derjenige, welcher eine Sache nach ihren vielen Seiten kennt, besonders befähigt eine Sache in's Werk zu setzen.

[323] 1686. Ein braves Weib bringt schon hier auf Erden sechsfachen Segen sie ist ein Rathgeber in Geschäften, eine Magd bei häuslichen Verrichtungen, eine Mutter in Bezug auf Liebe, eine Buhldirne beim Schlafengehen, sie ist der Pflicht ergeben und gleicht an Geduld der Erde.

1687. Von Hunger herrührende Magerkeit, schlechte Speise als Nahrung, das Ertragen von Kälte und Hitze, Struppigkeit der Haare und das Schlafen auf dem blossen Erdboden bringen im Hause Erniedrigung, gelangen aber im Walde zu hoher Bedeutung: so werden Mängel zu Vorzügen, wenn Weise sie an den entsprechenden Platz setzen.

1688. (3917.) Die Zeit bringt die Geschöpfe zur Reife, die Zeit rafft die Geschöpfe auch weg, die Zeit wacht, wenn die Andern schlafen, der Zeit vermag man ja nicht zu entgehen.

1689. (3918.) Dinge, die ursprünglich überaus nichtig sind, werden im Laufe der Zeit in Folge von Veränderungen unschätzbar: sogar ein ganz feiner Wassertropfen einer Wolke wird in der Höhlung eines alten Bambusrohrs zu einer Perle.

[324] 1690. (3919.) Lass die Zeit nicht unnütz verstreichen! Das Leben schwindet Tag für Tag und König Jama blickt auf die mannichfachen Wege der Tugend.

1691. (651.) Hinhalten, Steigerung der Hoffnungen und Verkürzung des Lohnes erkenne der verständige Mann als Anzeichen eines erkalteten Herrn.

1692. Wenn der glückliche Fall eintritt, dass der Regengott zu rechter Zeit den Regen sendet und der Fürst Gerechtigkeit übt, dann geschieht die Erhaltung der Unterthanen ohne Mühe.

1693. (3920.) Die Zeit macht Ebenes und Unebenes, die Zeit macht schliesslich Alles gleich, die Zeit macht, dass ein Mann bald spendet, bald bettelt.

1694. Jetzt ist das Kali genannte Zeitalter: wahrhaftige Männer sind schwer anzutreffen, die Länder sind durch die grosse Last der Abgaben zu Grunde gegangen, die Fürsten sind habgierig geworden, Räuberscharen verschiedener Art plündern die Erde, ehrenwerthe Leute verkümmern, Väter trauen nicht einmal den Söhnen, Elend herrscht in diesem Zeitalter!

[325] 1695. (652.) Die Zeit wacht, wenn die Andern schlafen, der Zeit vermag man nicht zu entgehen, unaufhaltsam und gleichen Ganges schreitet die Zeit über alle Geschöpfe dahin.

1696. (653.) Die Zeit schafft die Geschöpfe und rafft sie wieder hinweg, die Zeit bringt auch die Zeit, welche die Geschöpfe hinrafft, wieder zur Ruhe.

1697. (654.) Einen König, der es nicht versäumt, zu rechter Zeit den Sold zu zahlen, verlassen die Diener niemals, würden sie auch hart angefahren.

1698. (655.) Kâlidâsa's Dichtergabe, frische Jugend, saure Milch von der Büffelkuh, süsse Kuhmilch mit Zucker, Fleisch von der schwarzen Antilope und ein zartes Weib mögen mir in jeder Geburt zu Theil werden.

1699. (656.) Zu tadeln ist ein Vater, der seine Tochter nicht zu rechter Zeit verheirathet; zu tadeln auch ein Gatte, der seinem Weibe nicht beiwohnt; zu tadeln auch ein Sohn, der nach dem Tode des Gatten die Mutter nicht schützt.

1700. (3921.) Mit der Zeit werden die Nächte dunkel und hell; mit der Zeit steht der Mond mit voller Scheibe da; ausser der Zeit giebt es keine Blüthen und keine Früchte auf den Bäumen; ausser der Zeit haben die Flüsse keine Bewegung und strömen auch nicht.

[326] 1701. (3922.) Mit der Zeit brausen die Winde schnell dahin; mit der Zeit zieht der Regen in die Wolken; mit der Zeit schmückt sich das Wasser mit Lotussen verschiedener Art; mit der Zeit blühen die Bäume in den Wäldern.

1702. (3923.) Wer zu rechter Zeit mild und zu rechter Zeit streng ist, der bringt seine Sache zu Stande und wird auch des Feindes Meister.

1703. Wer zu rechter Zeit mild und zu rechter Zeit streng ist, der wird der Freuden theilhaftig in jener Welt und auch in dieser.

1704. (657.) Zu rechter Zeit, nachdem man zuvor vollständige Nachrichten über den Zorn des Fürsten und Anderes, wie es sich gebührt, eingezogen hat, soll man in den Palast eines Fürsten treten und zwar in gebeugter Haltung, mit aufgebundenem Gewande und gemessenen Schrittes.

1705. Die Wolken mögen zu rechter Zeit ununterbrochenen Regen entlassen, das Land gebe eine reichliche Ernte, die Fürsten mögen sich bestreben, ihre Pflicht in Acht zu nehmen, die Brahmanen seien vom heiligen Wissen, den drei Veda, erfüllt, die Kühe mögen, von keinem Unfall getroffen, täglich von süsser Milch geneigte Euter tragen, edle Menschen auf die Ruhe ihres Gemüths bedacht sein und verständige Männer Leutseligkeit an den Tag legen.

[327] 1706. (3924.) Wie es die Zeit erfordert, sei man geduldig wie ein Berg oder lasse sich Nichts gefallen wie das Feuer, trage Feinde sogar auf der Schulter und spreche Liebes zu ihnen.

1707. Sicher kommt ein Mal, sei es so oder anders, der rechte Augenblick für den Menschen; nimmer aber wird dieser desselben dadurch theilhaft, dass er ihn ungeduldig erwartet: eine Boa wartet nicht darauf, dass die Speise in ihren Bereich kommt, und gelangt, trotz ihres langsamen Kriechens, dennoch zum Ziele.

1708. (658.) Die Zeit macht die Dinge in der ganzen Welt, die guten und die schlechten; die Zeit rafft alle Geschöpfe hinweg und schafft sie auch wieder.

1709. (3925.) Die Zeit verändert die bestimmenden Umstände, der eigene Vortheil richtet sich nach diesen Umständen, der Einsichtsvolle kennt seinen Vortheil und die Welt richtet sich nach dem Einsichtsvollen.

1710. Was ist Wissen ohne Dichtergabe? Was Reichthum ohne Spenden an Bedürftige? Was Tugend ohne Mitleid? Was ist wohl ein Fürst ohne kluges Benehmen? Was ein Sohn ohne gesittetes Benehmen? Was eine achtbare Frau ohne Liebe zu ihrem Herrn? Was Genuss ohne ein reizendes Weib? Was das Leben auf Erden ohne Ruhm?

[328] 1711. (659.) Den Verständigen geht die Zeit dahin in Unterhaltung mit Dichtung und Wissenschaft, den Thoren aber in albernen Liebhabereien, in Schlaf oder in Zank.

1712. (660.) Sogar im schönsten Gedichte, an dem eine Schar von Kennern immer und immer wieder Genuss findet, nur nach Mängeln zu spüren ist eine tadelnswerthe Liebhaberei, die neidischen Menschen von Natur eigen ist: auch in einem Teiche, der blühende Lotusblumen in Menge darbietet und auf dem sich Flamingo's wiegen, sucht ein Brachvogel mit seinem Schnabel, gekrümmten Halses, emsig nach einer Muschel.

1713. Der alle Wünsche erfüllende Zauberbaum ist ein Stück Holz, der (goldreiche) Meru ein unbeweglicher Berg, das Zauberjuwel ein Stein, die Sonne hat stechende Strahlen, der Mond ist ein Krüppel, das Meer salzig, der Liebesgott hat seinen Körper eingebüsst, der (freigebige) Bali ist ein Sohn der Diti, Nandin ein frei einhergehendes Vieh: diese kann ich, o Râma, dir nicht gleichstellen; mit wem könnte man dich vergleichen?

[329] 1714. Wer Bilder von Holz, Stein oder Metall mit warmem Herzen und im Glauben verehrt, dem wird durch Vishnu's Gnade Gelingen zu Theil.

1715. (662.) Ein mit Husten Behafteter meide das Stehlen, ein Schläfriger das Entwenden eines Felles (weil er in den Fall kommen könnte darauf einzuschlafen und ertappt zu werden), ein Kranker der Zunge Gier, ein Reicher einen Streit um eine Kleinigkeit.

1716. (661.) »Pfui darüber, dass man sogar vor niedrigen Teichen, Flüssen und Strömen das Haupt beim Wasserschöpfen verneigt! Was sollten Stolze wohl eher vermeiden?« So denkt bei sich ein junger Ḱâtaka, giebt alles Ernstes das Verlangen nach jenen auf und schaut mit emporgehobenem Halse nach dir, o Regen spendende Wolke.

1717. Woran soll man Tag und Nacht denken? An die Nichtigkeit des Lebens, nicht aber an ein Weib. Wen soll man zur Geliebten erheben? Die Tugenden Mitleid, Freundlichkeit und Wohlwollen.

[330] 1718. (663.) »Hat ihn eine Geliebte zurückgehalten oder meine Freundin zurückgeschreckt? Oder ist irgend ein wichtiger Grund da, dass der Geliebte heute nicht gekommen ist?« Unter solchen Betrachtungen drückt eine Gazellenäugige ihr Lotusantlitz in die geöffneten Hände, seufzt tief auf, weint anhaltend und wirft die Blumenkränze von sich.

1719. Was redet man von geringem und hohem Ansehen, da auch der Niedrigste, wenn er Vorzüge besitzt, in Ansehen steht? Sieh, die Kekatî-Blüthe steht in Ansehen, obgleich ihre Blätter unansehnlich sind.

1720. Was ist wohl der Himmelsraum ohne Sonne? Was ein Teich ohne Wasser? Was ein Königthum ohne Rath? Was eine Rede ohne Wahrheit?

1721. (664.) Was nützen uns die Veden? Was die Gesetzbücher? Was das Lesen der Purâna? Was die dickleibigen wissenschaftlichen Bücher? Was das bunte Gewirre von Werken und heiligen Handlungen, das uns als Lohn ein Plätzchen in einer Hütte eines Dorfes im Himmel verspricht? Nur Eines nehme ich aus, das Alles zerstörende Feuer am Ende der Welt, welches[331] das künstliche Gebilde der Schmerzensbürde des Daseins wegfegt und unserer Seele den Eingang in die Stätte der höchsten Wonne (das Brahman) verschafft: alles Andere ist nur Schacher.

1722. Was ist zu beklagen? Armuth. Was ist zu preisen bei Reichthum? Freigebigkeit. Geduld ist aber beim armen Manne nicht in dem Maasse anerkennenswerth wie beim grossen Herrn.

1723. Welches Wohlbefinden kennt ein Diener? Wer ist Fürsten auf die Dauer lieb? Welcher Dürftige ist nicht der Geringschätzung ausgesetzt? Wer steht nicht in der Gewalt der Zeit?

1724. Was mag mit seinen vier Silben eine blaue Wasserlilie sein, mit dreien ein Schmuck, mit der ersten die Erde, wieder mit dreien eine Frucht, mit den zwei mittleren Leben verleihend, mit versetzten Silben Familie, Pferdefutter und Blume, mit der Schlusssilbe ein Vocativ? Wer von den klügsten Männern auf Erden dieses wissen sollte, dessen Diener will ich sein.

1725. (665.) Sind etwa die Wurzeln aus den Schluchten oder die Giessbäche aus den Gebirgen verschwunden, oder sind etwa an den Bäumen keine[332] Aeste mehr, die saftige Früchte tragen und Bast zu Gewändern geben, dass man mit aller Macht zum Anblick des Antlitzes schlechter Menschen, denen jegliche Ehrerbietigkeit abgeht, sich drängt, eines Antlitzes, auf dem die Brauenranken tanzen vom Winde, den ihre selbstgefällige Aufgeblasenheit über die winzige, aber mit Mühe errungene Habe erzeugt?

1726. (3926.) Was wird die Berührung mit Andern nützen, da man über das angeborene Wesen nicht hinwegkommt? Sieh, wie sollte wohl ein herber Geschmack durch Verbindung mit der Mangofrucht süss werden?

1727. (666.) Was nützen Sprecher, wenn kein Hörer da ist? Was nützt ein Wäscher an einem Orte, der nur von nackt einhergehenden Bettelmönchen bewohnt ist?

1728. (667.) Was vermag ein kluger Mann, wenn er durch sein Geschick getrieben wird? Die Vernunft der Menschen pflegt ja dem Zuge des Geschickes zu folgen.

1729. Was vermag ein kluger, heldenmüthiger oder gelehrter Mann, wenn das Schicksal, auf Täuschung bedacht, seine Bemühungen fruchtlos macht?

[333] 1730. (668.) Was vermag wohl Gelehrsamkeit, wenn sie am falschen Orte angebracht wird? Sie gleicht einer Lampe, die man in einen in Finsterniss gehüllten Topf setzt.

1731. Was ist ein wahres Werk? Was dem Feinde Mura's (Vishṇu) Freude schafft. Worauf soll man sein Sinnen und Trachten nimmer richten? Auf das Meer des weltlichen Daseins. Woran soll man Tag und Nacht denken? An die Nichtigkeit des Lebens und an die Wirklichkeit der Heil bringenden Weltseele.

1732. Was nützt das Gedicht eines Dichters und der Pfeil eines Bogenschützen, wenn sie nicht in des Gegners Herz dringen und ein Kopfschütteln bewirken?

1733. (669.) Was beginnen wir oder wem sagen wir es? Râma wandelt nicht mehr hier auf Erden und kein Anderer kennt den Schmerz, den eine Trennung von der Geliebten erzeugt.

1734. (670.) Was nützt ein berühmtes Geschlecht einem Manne, dem Wissenschaft abgeht? Ein Kenner der Lehrbücher wird, wäre er auch aus niedrigem Geschlechte, sogar von den Göttern geehrt.

[334] 1735. (3927.) Was nützt ein hohes Geschlecht, da es hier auf eine gute Gemüthsart ankommt? Zeigen sich denn keine Insecten auf wohlriechenden Blumen?

1736. (671.) Was nützt es von edlem Geschlecht zu reden, da es hier auf eine gute Gemüthsart ankommt? Auf einem guten Felde findet man recht üppige Bäume mit Dornen.

1737. (672.) Fühlt die Schildkröte etwa keinen Schmerz am Körper von der auf ihr lastenden Bürde, dass sie die Erde nicht abwirft? Oder wird das Tagesgestirn etwa nicht müde, dass es nicht stille da sitzt? Allerdings, aber wird sich der preiswürdige Mann nicht alsbald schämen, wenn er seiner Zusage untreu wird? Ein übernommenes Werk zu Ende zu führen ist ja bei Edlen ein Familiengesetz.

1738. Wer ist grausam? Des Weibes Herz? Was gereicht einem Hausherrn zur Freude und zum Heile? Der Gattin Vorzüge. Was ist Liebe? Einbildung. Wer vollbringt Schwieriges? Der Verstand.

1739. (673.) Was nützt ein brünstiger Elephant, wenn er dem Fürsten keinen Dienst leistet? Ein Mann, der seine Arbeit thut, er sei gross oder klein, ist immer besser.

[335] 1740. (3928.) »Was nützt es, dass ich hingehe, wenn sie nicht mehr am Leben ist? Aber auch wenn die Liebste noch athmet, so frage ich dennoch so.« Als bei solcher Betrachtung ein Wanderer den ersten Kranz von Wolken erblickt, lenkt er die Schritte nicht zu seinem Hause hin.

1741. Was ist undurchdringlich? Der Weiber Treiben. Wer ist geschickt? Der, den dieses nicht täuscht. Was ist Armuth? Unzufriedenheit. Was ist die Wurzel der Geringschätzung? Das Betteln.

1742. (674.) Wozu Sandel und Kampher? Wozu kühlender Schnee? Alles dieses verschwindet in Nichts vor der Wonne bei der Umarmung eines Freundes.

1743. Was hat man sich zu wundern, wenn ein im Veda und in den Wissenschaften erfahrener Brahmane weise ist? Was hat man sich zu wundern, wenn ein in den Lehren der Staatsklugheit erfahrener Fürst gerecht ist? Zu wundern hat man sich, wenn eine mit Schönheit und Jugend ausgestattete Geliebte treu ist; zu wundern hat man sich, wenn sogar ein armer Mann niemals Böses verübt.

[336] 1744. (3929.) Hat Einer irgend Etwas in eigennütziger Absicht unternommen, so kommt dieses Alles zu Stande um bei ihm Reue zu erzeugen.

1745. Wozu sollst du fasten, wenn du nur ein Mal am Tage speisest? Wozu sollst du keusch sein, wenn du nur deinem eigenen Weibe beiwohnst? Wozu dient dir das Spenden, wenn du Niemanden ein Leid anthust? Wozu das Schweigen, wenn du nur die Wahrheit redest?

1746. (675.) Wozu nützt es, dass viele Söhne geboren werden, wenn sie nur Gram und Kummer bereiten? Besser ein einziger Sohn, der die Stütze der Familie bildet und durch den die Familie zur Ruhe gelangt.

1747. Welches Leben verdient den Namen Leben? Das tadellose. Was ist Stumpfheit? Faulheit trotz aller Anlagen. Wer wacht? Der richtig unterscheidet. Was ist Schlaf? Die Dummheit des Menschen.

1748. (676.) Was nützt uns eine Kuh, wenn sie weder kalbt, noch Milch giebt? Was haben wir davon, wenn uns ein Sohn geboren wird, wenn er nicht klug und in Liebe uns zugethan ist?

1749. (677.) Was nützt Reichthum, der wie ein Eheweib nur Einem[337] ausschliesslich gehört, der nicht wie eine allgemeine Buhldirne auch von vorübergehenden Wanderern genossen wird?

1750. (678.) Sehen meine Augen dort in der Ferne im Teiche eine Wasserrose oder eines Mädchens Gesicht? So zweifelte Jemand einen Augenblick, kam aber bald mit sich in's Reine, da den Hausgenossinnen der Reiher (den Wasserrosen) Ziererei fremd ist.

1751. (3930.) Was nützen dir, o Brahmane, Reichthümer, was Angehörige, was eine Gattin, da du doch sterben wirst? Suche die Seele auf, die die Höhle (das Herz) betrat! Wohin sind deine Ahnen, wohin dein Vater gegangen?

1752. (679.) Was nützt es, dass Jemand überhaupt geboren wird und der Mutter die Jugend raubt, wenn er nicht wie eine Fahne hoch an die Spitze seines Geschlechts (des Fahnenstockes) zu stehen kommt?

1753. (680.) Was nützt es, dass du dich neigst und dass du dich erhebst, was nützt dein dichter Schatten, was das Spiel deiner jungen Blätter und jene Pracht der Blüthen, o Açoka, da der Wanderer, der erschöpft auf[338] deine Wurzeln sich niederlässt und täglich dich mit Lobgedichten preist, doch nicht zum Genuss süsser, zarter Früchte gelangt, mag er auch schmachtend das Gesicht nach oben richten?

1754. (681.) Was soll uns der Berg von Gold (der Meru) oder der von Silber (der Kailâsa), wo die Bäume trotz ihrer nahen Berührung mit ihnen das bleiben, was sie von Anfang an waren? Hoch stellen wir den Malaja, auf dem auch gemeine Bäume, wie Çâkhoṭa, Nimba und Kutaģa, durch ihre Berührung mit ihm zu Sandelbäumen werden.

1755. Was nützen gute Menschen, wenn sie nicht ihre milde Hand aufthun und uns unter die Arme greifen? Was nützen eben so Wolken, ständen sie auch noch so hoch, wenn sie kein Wasser spenden?

1756. Welche Gabe verdient den Namen einer Gabe? Die Nichts erwartet. Wer ist ein Freund? Der Einen vom Bösen abhält. Was ist Schmuck? Ein edler Charakter. Was ist der Rede Zier? Wahrheit.

1757. Was vermöchten Geduldige nicht zu ertragen, Böse nicht zu verüben,[339] Freigebige nicht zu spenden und wer wäre denjenigen, die auf Alles mit gleichem Auge schauen, ein Fremder?

1758. Was findet man nicht leicht? Einen vorzüglichen Lehrer in der Welt, Verkehr mit vorzüglichen Menschen, dass Jemand das heilige Wort genau prüft, Alles aufgiebt und die zum Heile führende Weltseele erkennt. Was ist für Jedermann schwer zu überwinden? Die Geschlechtsliebe.

1759. Was vermöchten Gute nicht zu ertragen? Was hätten diejenigen, die die Wahrheit erkannten, erwartet? Was vermöchten Habsüchtige nicht zu verüben? Was fiele denjenigen, die die Weltseele in ihrem Herzen tragen, schwer aufzugeben?

1760. (3931.) Was nützt eines Fürsten Gottesdienst, wenn er mit den Bewohnern seines Reiches im Streite liegt? Das ist Gottesdienst, Gebet, Darbringung und Brandopfer, wenn in eines Fürsten Reiche keine Thränen fliessen.

1761. Sehet ihr nicht, o Leute, dass Tag für Tag aus eurem Körper übelriechender Unrath hinausgeht? Wie könnte der Behälter solchen Unrathes rein sein?

1762. (3932.) Was geschähe mir, wenn ich es thäte, was – wenn ich es liesse? So soll ein Mann seine Handlungen erwägen und dann sie thun oder lassen.

[340] 1763. (682.) Was ist für ein Wunder dabei, dass Edle nur daran denken, Andern zu Diensten zu sein? Es wachsen ja die Sandelbäume nicht zur Kühlung des eigenen Leibes.

1764. (3933.) Was könnten wir mehr über die Grösse des Meeres da sagen, als dass Vishṇu ungekannt in dessen Bauche ruht mitsammt den Welten, die er hineinwarf?

1765. Was bringt Schaden? Ein ungebändigtes Herz. Was bringt Freude? Wohlwollen. Wer ist vor Allen befähigt, alles Unglück fern zu halten? Der da entsagt.

1766. (683.) Giebt es Etwas, das an sich schön oder hässlich wäre? Was gerade Jemanden gefällt, das ist für ihn auch schön.

1767. (684.) Was ist Klugen unmöglich? Was sollten diejenigen, die fest bei ihrem Entschluss verharren, nicht vollbringen? Was fügt sich nicht zu Willen denen, die freundliche Rede im Munde führen? Was sollten diejenigen hier nicht erlangen, die sich gehörig anstrengen?

1768. (3934.) Was soll man sich stets angelegen sein lassen? Das Gute. Welcher Sache soll man obliegen? Der guten Lehre. An wen soll[341] man denken? An den hehren Vishṇu. Wonach soll man Verlangen tragen? Nach der höchsten Stätte.

1769. (3935.) Welchen Ort sollen Männer besuchen? Die tadellose Nähe des Götterflusses (der Gañgâ). Woran soll man ausschliesslich (oder in der Einsamkeit) denken? An Vishṇu's Füssepaar. Was soll man sich angelegen sein lassen? Das Gute. Wo nach soll man Verlangen tragen? Nach Mitleid. Giebt sich das Herz diesen hin, so kann es der unbegrenzten Erlösung theilhaftig werden.

1770. (3936.) Wozu sollte ein Mann hohen Sinnes von seinen Vorzügen reden, da schon die ganze Welt ihrer rühmend gedenkt? Ein unbedeutender Mensch dagegen spricht selbst von seinen Vorzügen, weil kein Anderer von ihnen redet.

1771. (685.) Was nützt hier das viele Geschwätz ohne alle Beweisgründe? Nur zweien Dingen auf Erden sollen die Männer stets huldigen: entweder dem jungen Volke der Schönen, das stets nach neuem Liebesrausch und Spiel Verlangen trägt und durch der Brüste Last ermüdet wird, oder aber – dem Walde.

1772. (686.) Haben die Weiber im Himmel etwa nicht Augen wie blaue Lotusblüthen, dass der Fürst der Dreiunddreissig (Indra) mit der Büsserin[342] Ahaljâ Umgang pflog? Wenn die Strohhütte Herz am Feuer der Liebe in Brand geräth, wer weiss dann, sei er auch sonst ein kluger Mann, was sich schickt und was nicht?

1773. Was ist das Heilsamste? Moralisches Verdienst. Wer ist hier rein? Der, dessen Herz rein ist. Wer ist weise? Der richtig unterscheidet. Was ist Gift? Geringschätzung der Lehrer.

1774. (3937.) Wozu geht noch dieser andere kaltstrahlige Mond auf, da schon dein Antlitzmond da ist, der die Farbe der Wasserrose vernichtet, den Augen Entzücken schafft und den Fischträger (Meer und zugleich Liebesgott) durch seinen blossen Anblick schwellen lässt? Sollte er sich auf den Nektar Etwas einbilden, so ist auch dieser auf der Bimba-Lippe hier.

1775. (687.) Was nützt ein Ergebener, der Nichts vermag? Was ein Vermögender, der uns Schaden bringt? Mich, der ich ergeben bin und auch Etwas vermag, darfst du, o König, nicht gering schätzen.

1776. (3938.) Was ist hier dauerhafter Schmuck? Ruhm, nicht Juwelen. Was hat man zu thun? Das von Edlen geübte Gute, nicht Schlechtes. Welches Gesicht stösst auf kein Hinderniss? Die Vernunft, nicht das leibliche Auge: wer anders als jene weiss das Wahre vom Falschen zu scheiden?

1777. Was ist die höchste Zierde? Ein edler Charakter. Welches ist[343] der heiligste Badeplatz? Das reine Herz. Was soll man meiden? Gold und eine Geliebte. Was soll man sich stets angelegen sein lassen? Das Wort des Lehrers und der heiligen Schrift.

1778. Was ist Schmuck? Ein beredter Mund, Tugenden, ferner Kühen und andern Geschöpfen erwiesene Wohlthaten. Was zu meiden bringt Freude? Das Weib in gebührender Weise. Was ist die beste Gabe? Das Gewähren allgemeiner Sicherheit.

1779. Was ist Tod? Thorheit. Was ist unschätzbar? Was im rechten Augenblick gegeben wird. Was nagt am Herzen bis zum Tode? Eine Unthat, die man im Geheimen verübte.

1780. (688.) Was kommst du zu mir und küssest mir gewaltsam den Mund, du Schamloser, der du Scham nur heuchelst! Lass los, lass los den Saum des Gewandes, du Falscher! Was hintergehst du mich, Schelm, mit deinen Schwüren? Durch dein Nachtwachen (bei einer Anderen) bin ich ganz von Kräften gekommen! Geh doch hin zu jener Geliebten! Welche Freude haben Bienen an Blumengewinden, die man als verbraucht weggeworfen hat?

1781. Ein Mann wird nicht eher des Glückes theilhaftig, bis er seinen Fuss auf die strahlenden, von den Juwelen in den Diademen bunt schimmernden Häupter der Feinde gesetzt hat.

[344] 1782. (689.) Eine Raupe sogar kommt, wenn sie an eine Blume sich klammert, auf's Haupt Edler zu stehen. Ein Stein sogar wird zum Gotte, wenn Grosse ihn, wie es sich gebührt, aufrichten.

1783. (3939.) »Die Himmelsströme deines Ruhmes, o Fürst, haben Vaikuṇṭha (Vishṇu's Himmel) von allen Seiten überschwemmt und die Gluth deines Machtglanzes hat das Milchmeer erhitzt.« Als mit diesen Worten Vishṇu mit seinen beiden Gattinnen dich um ein Obdach für sich bat, da gabst du ihm den Herzlotus, der Çrî deinen Palast und der Sarasvatî die Kehle.

1784. Treffen eine schlechte Hausfrau und schlechte Schüler irgendwo zusammen, dann giebt es grosses Unheil, wenn der Lehrer nicht aufpasst.

1785. (690.) Der Aufenthalt in einem elenden Dorfe, der Dienst bei schlechten Menschen, schlechte Nahrung, eine Gattin mit zornigem Gesichte, ein dummer Sohn und ein Mädchen im Wittwenstande versengen den Leib ohne Feuer.

1786. Der Aufenthalt in einem elenden Dorfe, der Dienst bei einem[345] schlechten Fürsten, schlechte Nahrung, eine Gattin mit zornigem Gesichte, viele Töchter und Armuth sind sechs Höllen in der Welt der Lebenden.

1787. (691.) Eine Schöne, deren Leib von Safransalbe gefleckt ist, an deren weissem Busen die Perlenschnur zittert, an deren Lotusfüssen vom Schmuck Laute wie des Flamingo erschallen, wen auf Erden bringt die nicht in ihre Gewalt?

1788. Die Glücksgöttin verliesse sogar Vishṇu, wenn er sich schlecht kleidete, Schmutz auf den Zähnen hätte, gefrässig wäre, harte Worte ausstiesse und beim Auf- und Untergange der Sonne schliefe.

1789. (3940.) Wozu steckst du, o Lispelnde, eine blaue Wasserrose an's Ohr? Meinst du, der äussere Augenwinkel vermöge nicht dasselbe (was die Wasserrose) zu bewirken?

1790. (692.) Woher sollte denen, die sich nicht dem Dienste weihen, das hohe Glück des Fliegenwedels zu Theil werden? Woher ein weisser Sonnenschirm mit aufgerichtetem Stiele? Woher eine Schar von Pferden und Elephanten.

1791. (3941.) Wie sollte ein vor Schlechtigkeit toller Herr einen Unterschied machen zwischen thunlich und unthunlich? Einem vom Winde angefachten Waldbrande gilt Grashalm und Wald gleich viel.

[346] 1792. Wovor hat man sich stets zu fürchten? Vor übler Nachrede und vor dem Walde Dasein. Wer wohl ist unser Freund? Der Genosse im Unglück. Wer wohl unsere Eltern? Die uns behüten.

1793. Was soll man sich angelegen sein lassen? Studium, gute Arzeneien und Spenden. Was soll man nicht beachten? Böse, fremde Weiber und fremdes Gut.

1794. Das Beste am tadelhaften Körper sind zwei Vorzüge: die Andern erwiesene Hilfe und die Verehrung des höchsten Wesens.

1795. (693.) Wenn man schlecht gesehen, schlecht erkannt, schlecht gehört oder schlecht geprüft hat, dann soll man nicht zum Werke schreiten, wie es der Barbier hier that.

1796. (694.) Ein schlechtes Land, einen schlechten Lebenserwerb, eine schlechte Frau, einen schlechten Fluss, schlechten Reichthum und schlechte Speise soll der Verständige meiden.

1797. (695.) Wie sollte uns Reichthum zu Theil werden, wenn wir in ein schlechtes Land kämen? Wie eine Wasserspende nach dem Tode, wenn wir einen schlechten Sohn hätten? Wie Glück im Hause, wenn wir ein schlechtes Weib bekämen? Wie Ruhm, wenn wir einen schlechten Schüler unterrichteten?

[347] 1798. (3942.) Ein schlechtes Land, einen schlechten Lebenserwerb, eine schlechte Gattin, einen Mann mit schlechten Nägeln, einen schlechten Freund und schlechte Speise haben Kluge stets gemieden.

1799. (696.) Wenn du ihm zürnst, o Schlanke, so bringe ihm eine Wunde mit dem Fingernagel bei und schlinge ihm fest um den Hals den Strick – die Arme.

1800. (3943.) Zu einem schlechten Sohne hat man kein Vertrauen, an einem schlechten Weibe keine Freude, bei schlechtem Regiment kein Wohlbehagen, in einem schlechten Lande keinen Lebenserwerb.

1801. (697.) Selbst ein schlechter Sohn bereitet Freude dem Herzen der Eltern, selbst ein schlecht gezogener, ein hässlicher, ein thörichter, ein tadelnswerthen Leidhabereien fröhnender, ein böser.

1802. (3944.) Eine schlechte Gattin, einen schlechten Sohn, einen schlechten König, einen schlechten Freund, einen schlechten Verwandten und ein schlechtes Land soll man schon von fern meiden.

[348] 1803. Durch schlechte Speise ist der Tag verloren, durch ein schlechtes Weib die Nacht, durch einen schlechten Sohn die Familie; verloren ist, was nicht gespendet wird.

1804. (3945.) Mit einem schlechten Freunde lässt sich nicht verkehren, da seine Freundschaft beständig schwankt; ein schlechter Verwandter zeigt Geringschätzung, sobald sich die Vermögensverhältnisse ungünstig gestalten.

1805. (3946.) Bei einem schlechten Freunde ist keine Freundschaft zu finden, an einem schlechten Weibe hat man keine Freude, von einem schlechten Sohne hat man keinen Todtenkuchen zu erwarten, bei einem schlechten Fürsten ist keine Wahrheit zu treffen.

1806. (3947.) Der Mond erweckt nur die Nacht-, und die Sonne nur die Tag-Wasserrosen: Männer, die sich in der Gewalt haben, schrecken vor der Umarmung eines fremden Weibes zurück.

1807. Wie ein Töpfer hier auf Erden aus Lehm mit Hilfe einer Scheibe einen Topf bildet, gerade so verleiht der Schöpfer den Lohn nach dem Faden der (früher vollbrachten) Werke.

[349] 1808. (698.) Heil euch, Gazellen! Gesundheit jedem deiner Zweige, o Wald! Ruhe und Frieden dir, o Fluss! Wohl ergehe es dir, o Sandbank! Alles Gute euch Steinen! Mit genauer Noth hat jetzt unser Herz aus dem Hause, das unser Leben bedrohte, sich losgemacht und verlangt nach einem langwährenden vertrauten Umgange mit euch.

1809. Wie sollten Unterthanen zu Glück gelangen unter der Regierung eines schlechten Fürsten? Wie käme man zu Wohlbehagen bei einem schlechten Freunde? Wie zur Freude am Hause bei einem schlechten Weibe? Wie zu Ruhm beim Unterrichten eines schlechten Schülers?

1810. (3948.) »Nur diese Sünde wollen wir begehen«, so denken Buhldirnen und Fürsten und begehen dieselbe, pfui rufe ich über den Leichtsinn (der Buhldirnen) und die Grausamkeit (der Fürsten), Ein Mal aus Lust am Ungewohnten; darauf bemächtigt sich das Böse ihres Geistes dermaassen, dass sie in ihrer Schamlosigkeit, jene sogar bei der Berührung der Niedrigsten, diese sogar bei der Ermordung ihrer Eltern, keine Gewissensbisse mehr empfinden.

1811. (3949.) Mache deinen Bogen aus weichen Gräsern, liege ruhig wie eine Gazelle, sei blind, wenn es gilt blind zu sein, und stelle dich auch taub.

1812. (3950.) Wenn du klug bist, trittst du erst dann muthig auf, wenn[350] du Ort und Zeit gefunden hast; ein muthiges Auftreten an unrechtem Ort und zu unrechter Zeit schafft keinen Nutzen.

1813. Darüber, o Bhârata, dass eine Sache trotz unserer Anstrengung uns nicht gelingt, dürfen wir nicht den Muth verlieren, da ja das Schicksal hierbei die wirkende Ursache ist.

1814. Wer sich anstrengt, dem gelingt es, o Judhishṭhira, hier auf Erden in der Regel; der Träge dagegen erlebt nimmer die vollkommene Reife der Frucht.

1815. (699.) Die Weiber thun zuerst freundlich, aber nur so lange, als sie sehen, dass der Mann ihnen noch nicht anhängt; sehen sie den Mann mit der Liebe Banden gefesselt, dann ziehen sie ihn wie einen Fisch, der den Köder verschluckt hat, hinauf an die Luft.

1816. Sogar die Götter legen Parteilichkeit an den Tag: wenn Fürsten das Regiment führen und Feuer und Anderes sich ruhig verhält, so erklären sie dieses für die Frucht wahrer Rede.

1817. Männer von ernstem Geiste handeln ohne zu reden, o König! Leichtfertige lärmen nur, vollbringen aber nie und nimmer Etwas.

[351] 1818. (700.) Wer uns lieb ist, bleibt uns lieb, bereitete er uns sogar Schmerz: wem ist der eigene Leib, würde er auch durch mannichfache Mängel verunziert, nicht werth?

1819. (3951.) Ein Mann bedeutenden Geistes zollt einem Andern erst dann die gehörige Achtung, wenn er sein Geschlecht, seine Gelehrsamkeit, seine Mannhaftigkeit, seine gute Gemüthsart, seine früheren Verhältnisse und sein Lebensalter in Betracht gezogen hat.

1820. (701.) Auf Geschlecht, Betragen, Gelehrsamkeit, Mannhaftigkeit, auf alles dieses wird keine Rücksicht genommen: zum Freigebigen fühlen sich die Menschen hingezogen, wäre dieser auch von schlechtem Betragen und aus unedlem Geschlecht.

1821. Sogar ein sehr altes Gechlecht entbehrt des Ansehens, wenn kein Sohn da ist: ein voller See macht keinen Eindruck, wenn er nicht mit Lotusgruppen besetzt ist.

1822. (702.) Ich halte dafür, dass ein Mann, der aus der Familie und der Kaste gestossen ist, der gemein und bösen Wandels ist und den Andere nicht berühren mögen, weil der Tod schon auf ihn lauert, den Weibern noch ein lieber Buhle ist.

[352] 1823. (703.) Geschlecht, Gemüthsart, Gönnerschaft, Wissen, Reichthum, Körperschönheit und Jugend: auf diese sieben Vorzüge sollen Verständige ihr Augenmerk richten, wenn sie die Tochter verheirathen; das Uebrige braucht man nicht zu beachten.

1824. Ein untreues Weib ist grausamer und boshafter als Mörder, da es des Buhlen wegen den eigenen Sohn mordet, wie viel eher noch einen entfernten Verwandten.

1825. Untreue Weiber kennen keine Wahrheit, keine Pflicht, keine Furcht, kein Mitleiden, keine Sitte und keine Scham: ihre Gedanken sind ohne Unterlass auf den Buhlen gerichtet.

1826. Im Schlafe und im Wachen, beim Essen und stets auch beim Liegen denken sie ununterbrochen an den Liebsten und fühlen zu Niemanden anders Zuneigung als zum Buhlen.

1827. (704.) Eine Frau, die in einen andern Mann verliebt ist, lässt der Familie Fall, der Leute Tadel, ja Gefängniss und Lebensgefahr sich sogleich gefallen.

1828. (705.) Wer auf dem Wege der Väter zu bleiben sich bemüht,[353] wer unter Allen der beste ist, wer gehorsam gegen die Eltern und reines Herzens ist und wer auf der in den Lehrbüchern vorgeschriebenen Bahn wandelt, der Tugendhafte sammelt Verdienst ein.

1829. Wenn einem Manne eine Frau zu Theil wird, die die gute Sitte der Familie aufrecht erhält, dann ist das Glück sein Lehrer, die Wissenschaft sein Genosse und sein Los sein Freund.

1830. (706.) Wer aus edlem Geschlecht, von guter Gemüthsart und mit Tugenden geziert ist, wer alle Gesetze achtet und dabei gewandt ist, den macht man zum Obersten über Verwaltung und Gerichtspflege.

1831. Eine gute Gemüthsart ist besser als ein vornehmes Geschlecht, Armuth besser als Krankheit, Wissen besser als Königthum und Nachsicht besser als Kasteiungen.

1832. (3952.) Es ist angenommen, dass der Donnerkeil (Diamant) von keinem Metall und dass steinerne Dämme nicht von Wasser durchbrochen werden können; Bösen aber widersteht Nichts.

1833. Ob Jemand aus edlem Geschlecht ist oder nicht, ob Jemand ein[354] wahrer Mann ist oder sich nur dafür hält, und ob Jemand rein ist oder nicht, das thut erst sein Betragen kund.

1834. Uebrigens sieht ein Unehrenwerther wie ein Ehrenwerther aus, ein Unreiner wie ein Reiner, ein Mann ohne Gutes verheissende Merkmale wie ein Mann mit solchen, ein Schlechtgearteter wie ein Gutgearteter.

1835. Wenn ein Mann aus edlem Geschlecht, o Peiniger der Feinde, zwischen Schande und Tod zu wählen hat, so erscheint ihm, o König, der Tod vorzüglicher als die Schande, die nur ein elendes Dasein ist.

1836. (3954.) An einem Minister rühmt man es, wenn er aus edlem Geschlecht, beherzt und sittlich rein ist; mit denselben Vorzügen muss auch ein Feldherr ausgestattet sein.

1837. (3953.) Ein Gesandter muss mit sieben Vorzügen ausgestattet sein: er muss aus edlem Geschlecht, beherzt, beredt und geschickt sein, freundliche Worte sprechen, genau wiederberichten und ein gutes Gedächtniss haben.

1838. (3955.) Gegen Männer aus edlem Geschlecht, die sich gebührlich betragen und verständig sind, lege man keine Geringschätzung an den Tag: solche lassen den Geringschätzer im Stich und bringen ihn aus Stolz auch wohl um.

1839. Edelgeborene, schöne und vom Gatten geschützte Frauen bleiben nicht innerhalb der Schranken: dies ist, o Nârada, der Frauen Fehler.

[355] 1840. (3956.) Die Räthe eines Fürsten müssen aus edlem Geschlecht, ehrlich, heldenmüthig, gelehrt und dem Herrn zugethan sein und gerechte Strafen verhängen.

1841. (707.) Wer mit Männern aus edlem Geschlecht Verbindungen, mit Gelehrten Freundschaft und mit Verwandten Umgang pflegt, der ist nicht verloren.

1842. Giebt es wohl etwas Traurigeres, als dass Männer aus edlem Geschlecht leiden, weil sie sich in den Willen von Männern aus niedrigem Geschlecht fügen müssen, und als dass Arme von Reichen geringschätzig behandelt werden?

1843. (3957.) Mit einem Feinde, der aus edlem Geschlecht stammt, wahrhaftig, von vorzüglicher Tapferkeit, fest, erkenntlich, entschlossen, mächtig, überaus freigebig und liebevoll gegen Schutzflehende ist, wird man, wie man sagt, sehr schwer fertig.

1844. Schlechte Kleidung richtet die Würde zu Grunde, eine schlechte Gattin das Haus, schlechte Nahrung die Zeugungskraft, ein schlechter Sohn das Geschlecht.

1845. (708.) Wie des Blumenbüschels, so ist auch des verständigen[356] Mannes Lebensweise zweifach: entweder sieht man ihn hoch über alle Welt ragen, oder er verwelkt im Walde.

1846. (709.) Dass Blume auf Blume wüchse, hat man weder gehört noch gesehen: woher, o Mädchen, die zwei blauen Wasserrosen (Augen) auf dem Lotus deines Gesichts?

1847. (3958.) Wie sollte man zu einem schlechten Freunde Vertrauen haben? In einem schlechten Lande lässt es sich nicht leben; unter einem schlechten Könige ist man in beständiger Gefahr; bei einem schlechten Sohne kommen Leiden von allen Seiten.

1848. Durch falsche Schriftstücke und durch Bestechungen suche man den ersten Minister auf der Seite des Feindes zu verdächtigen, wie es Vishṇugupta mit Râkshasa (dem Minister Nanda's) that.

1849. Der falsche Zeuge, der Lügner, der Undankbare und der Nachtragende sind die vier Ḱâṇḍâla der That nach, denen sich als fünfter der Ḱâṇḍâla der Geburt nach anschliesst.

1850. (710.) Brunnenwasser, der Schatten eines Feigenbaumes, ein schwarzes Weib und ein Haus aus Backsteinen wärmen im Winter und kühlen im Sommer.

[357] 1851. (711.) In des Mutterleibes unreiner Behausung wohnen wir in Pein mit gefesseltem Körper; im Jünglingsalter wird uns der Genuss verkümmert, indem wir mit Schmerzen über die Trennung von der Geliebten zu schaffen haben; auch das Greisenalter ist abscheulich, da es der Gegenstand des verächtlichen Gelächters der Schönäugigen ist. Nun sagt mir, o Leute, ob es in der Welt irgend eine, wenn auch noch so geringe, Freude giebt?

1852. Auch die Arbeit des Menschen gelingt erst durch das Schicksal und anderseits kommt auch die Frucht des Schicksals erst durch des Arbeitenden Arbeit zur Reife.

1853. Aber die Arbeit des Menschen hängt ganz vom Schicksal ab und anderseits vermag das Schicksal Niemanden Etwas zu geben, wenn die Arbeit unterblieb.

1854. Eine vollbrachte That kann nicht ohne Folgen bleiben, gingen auch viele Millionen von Weltaltern darüber hinweg: der Lohn einer vollbrachten That, diese sei gut oder böse, muss man nothwendig empfangen.

1855. (712.) Die Leistungen eines Untergebenen, der seine Pflicht that, soll man nicht verloren gehen lassen: durch Lohn, Gesinnung, Worte und Blick soll man ihn erfreuen.

[358] 1856. (3959.) Wer, wenn ihm nicht die Besinnung schwand, ist der Ansicht, dass er dieses undankbaren Körpers wegen sicher zum Ziele führende Wege verlassen müsse?

1857. Ein erkenntlicher und nachsichtiger Fürst einerseits und ein ergebener und von Anmaassung freier Minister anderseits bilden eine unlösbare Verbindung, die hier und da in Folge (vorangegangener) guter Werke uns zu Gesicht kommt.

1858. (3960.) Man wünscht sich zum Freunde einen Mann, der erkenntlich, tugendhaft, wahrhaftig, nicht gemein und anhänglich ist, der seine Sinne zügelt, beständig und nicht treulos ist.

1859. Ein Mann, der sich an einen erkenntlichen Herrn schliesst, eine vorzügliche Frau heimführt und einen uneigennützigen Freund sich wählt, kommt nimmer in Noth.

1860. (713.) Entschlossene sind zu preisen, hoher Stand dagegen wird nicht gerühmt: was ist dieser Ḱâtaka für ein winziger Kerl und dennoch bringt Indra ihm das Wasser!

1861. Ein Kluger unterliegt, o Fürst, nie und nimmer dem Unglück; sogar Thieren gereicht ja Klugheit, nicht Uebermacht, zum Heil.

[359] 1862. Man sieht Hunderte von Menschen, die trotz aller Mühe, die sie sich geben, keine Früchte ernten; anderseits sieht man aber auch viele Menschen, denen es ohne alle Anstrengung wohlgeht.

1863. (3961.) Sogar ein gelehrter Mann lässt sich offenbar von einer mächtigen Leidenschaft hinreissen, und welches Ungebührliche vermöchte der, dessen Herz der Leidenschaft hingegeben ist, nicht zu begehen?

1864. (3962.) Wir sollen im Leben nie dem trauen, der uns einst anfeindete, wäre er (im gegenwärtigen Augenblick) auch unser Freund: verborgen ruht (in ihm) die Feindschaft, wie im Holze das Feuer.

1865. (714.) Hundert Wohlthaten sind verloren an Schlechten, hundert schöne Reden sind verloren an Dummen, hundert Ermahnungen an dem, der auf Ermahnungen nicht hört, hundertfacher Verstand ist verloren an Unvernünftigen.

1866. (715.) Was gethan ist, braucht nicht mehr gethan zu werden; wer todt ist, braucht nicht mehr zu sterben; über Vergangenes trauert man nicht: so denken die Kenner des Veda.

1867. Zwischen der vollbrachten That (dem Beleidigten) und dem Thäter (Beleidiger) stellt sich Freundschaft wieder her: man hat es erlebt, dass Feindschaft sich legte und dass man nicht von Neuem Böses erfuhr.

[360] 1868. (3963.) Ehe der Mensch noch den Lohn für schon Gethanes erhalten hat, während er noch dabei ist, Ungethanes zu thun und während er auf dem Felde, auf dem Markte oder im Hause beschäftigt ist, führt ihn der Tod hinweg.

1869. (716.) Selbst der Verstand bedeutender Männer pflegt, wenn diese in des Todes Schlingen gefangen sind und wenn deren Geist vom Schicksal geschlagen ist, krumme Wege zu gehen.

1870. (717.) Eine That, die das Schicksal angeordnet hat und die vorher schon bestimmt ist, können selbst alle Götter, wenn sie sich zusammenthun, nicht anders machen.

1871. (718.) Arme bitten um ein Almosen, der Fürst spendet aber leider keine angemessene Gabe; der Ackerbau ist mit Beschwerden verbunden; das Studium ist gar unbequem wegen des dem Lehrer gegenüber erforderlichen bescheidenen Benehmens; der Wucher führt zur Armuth, da er das eigene Geld in fremde Hände bringt: kein Lebenserwerb ist hier, meine ich, so leicht wie der Handel.

[361] 1872. (3964.) Sogar erfahrene Leute sehen sich nach einem Gefährten um, damit ihre Sache zu Stande komme: selbst ein Sehender wird ohne Licht keines Dinges gewahr.

1873. (3965.) Der Thätige erlangt überall eine mit Glück gesegnete Stellung; der Unthätige dagegen erfährt es, dass, wenn er stürzt, ihm noch ätzendes Salz in die Wunde gestreut wird.

1874. (719.) Eine Wohlthat vergelte man mit einer Wohlthat, eine Beleidigung mit einer Beleidigung: ich sehe kein Unrecht darin, dass man gegen Böse böse verfährt.

1875. (720.) Haben Menschen einen festen Entschluss gefasst, so werden Götter ihre Bundesgenossen: man denke nur an Vishnu's Discus und an Garuda beim Kampfe des Webers.

1876. (721.) Dass du, als ich noch fern war, schon aufstandst und mir freundlich lächelnd entgegenkamst, dass du meine Befehle ehrerbietig aufnahmst, dass du laut eine Antwort gabst und dass dein Blick bei der Begegnung fest war, dieses versengt mir das Herz: da du, o Hartherzige, den innern Zorn verbirgst, so ist alles dieses nur Verstellung.

[362] 1877. (3966.) »Den lieben Freund, der uns Gutes erwies, den Sonnengott, möchten wir nicht strahlenlos hinabsinken sehen.« So dachten gleichsam seine Frauen, die Tagwasserrosen, und schlossen ihre Augen, die Blüthen.

1878. (722.) Eine Sache der Götter, Brahmanen, seiner selbst und auch des Lehrers soll man ehrlich und offen betreiben; alles Andere beruht auf List und Verstellung.

1879. (723.) Ein Krieger, der Verstand hat, fragt nicht nach Recht oder Unrecht: Droṇa's Sohn Açvatthâman brachte vor Zeiten den Dhrshtadjumna im Schlafe um.

1880. Ausgezeichnete Menschen verstehen von selbst Recht von Unrecht zu scheiden; mittelmässige erst dann, wenn sie belehrt werden; die schlechtesten aber auch dann nicht, wenn sie belehrt werden.

1881. Nachdem (ein Fürst) zuvor alle Angelegenheiten, die Einnahmen und Ausgaben, sowie einen angemessenen Lebensunterhalt (der Diener) erwogen hat, wähle er sich angemessene Gefährten, da schwierige Sachen nur mit Hilfe von Gefährten zu Stande zu bringen sind.

1882. (724.) Eine Feindschaft, die durch eine Gelegenheit hervorgerufen wurde, verschwindet rasch durch die der Gelegenheit angepassten Mittel; angeborene Feindschaft schwindet nimmer ohne Hingabe des Lebens.

[363] 1883. Denjenigen Abgesandten, der nach Vollbringung des ihm aufgetragenen Geschäftes noch ein anderes Geschäft, das dem ersten nicht widerstreitet, vollbringt, nennt man einen vorzüglichen Abgesandten.

1884. Wenn sachkundige Späher mit Hilfe der nächsten Umgebung des Fürsten im Innern Fuss gefasst haben, dann sollen sie den Grund des tiefen Wassers der Feinde erforschen.

1885. (725.) Hat Jemand einem Andern eine Beleidigung zugefügt und sich dann aus dem Staube gemacht, so beruhige er sich nicht mit dem Gedanken, dass er nun weit weg sei: die langen Arme des klugen Mannes ziehen ihn ja heran, wenn er nicht auf seiner Hut ist.

1886. (3967.) Hat man eine Sünde begangen, so befreit man sich von dieser Sünde dadurch, dass man Reue empfindet, und rein wird der, der ihr entsagt, indem er zu sich spricht: so will ich nicht wieder handeln.

1887. (3968.) Wenn Jemand, nachdem er mit einem Mächtigen ein Bündniss geschlossen hat, nicht auf seiner Hut ist, so ist dieses, als wenn er etwas Schädliches genossen hätte: es frommt ihm nicht.

1888. Wer die von ihm als Menschen geforderte Arbeit that und den Wettlauf vollendete, der hat seiner Pflicht Genüge gethan und braucht sich keine Vorwürfe zu machen.

[364] 1889. (726.) Wer, Schrecken verbreitend durch Waffen, in wenigen Dörfern armselige Unterthanen bedrückt, das sind, wie wir wissen, durch das Geschwätz von Schranzen verführte Fürsten; wer aber, indem er diesen huldigt, den Herrn über Werden, Bestehen und Vergehen der Dreiwelt, den Nârâjaṇa, unbeachtet gelassen hat, das sind ja wir, die wir doch Weise heissen.

1890. (3969.) Man traue dem Feinde nicht, hätte man sich auch mit ihm verschwägert: den Puloman erschlug Indra im Kampfe, obgleich er sein Schwiegersohn war.

1891. Wenn man Elenden, Hilflosen und Greisen die Thränen trocknet und den Menschen Freude bereitet, so heisst dieses Fürstenpflicht.

1892. (3970.) Einen so freigebigen Mann, wie es der Geizhals ist, giebt es auf Erden nicht, da er ja seine Reichthümer, ohne sie sogar zu berühren, Andern hingiebt.

1893. (727.) Selbst ein Geizhals, selbst ein Mann aus niedrigem Geschlecht wird von abhängigen Menschen in der Welt stets mit Aufmerksamkeit behandelt, wenn er ein grosses Vermögen hat.

[365] 1894. (728.) Wenn ein Hund, der an einem von Würmern wimmelnden, mit Speichel benetzten, stinkenden, widerwärtigen, fleischlosen Menschenknochen nagt und an dessen unvergleichlichlichem Geschmack sich ergötzt, selbst den Fürsten der Götter neben sich erblickt, so empfindet er keine Scheu: ein gemeines Geschöpf kümmert sich ja nicht um die Nichtigkeit seines Besitzes.

1895. (729.) Ein magerer, einäugiger, lahmer, ohrenloser, am Schwanze verstümmelter, räudiger, von Eiter feuchter, mit Hunderten von Würmern bedeckter, durch Hunger ausgemergelter, alter Hund, den eine Topfscherbe in der Kehle plagt, läuft noch einer Hündin nach: auf einen Todten sogar schlägt der Liebesgott noch los!

1896. (3971.) Feldarbeit richtet die Schönheit zu Grunde, Pferde das Vermögen, ein Frauenbruder das Haus, Feuer richtet Alles zu Grunde.

[366] 1897. Wer, Acker und Gattin vernachlässigend, andere Geschäfte unternimmt, der empfindet, von Ermüdung gequält, beständig Schmerz und geräth in eine Menge von Leiden aller Art.

1898. (3972.) Ackerbau, Wissen, Handel, eine Gattin, Vermögen und Wohlfahrt des Reiches muss man festhalten (d.i. nach diesen muss man beständig sehen), wie den Kopf einer Giftschlange.

1899. (3973.) Wer sind doch die Blinden? Die eine andere Welt nicht sehen? Sage, o sage, wer sind die Stocktauben? Die ein heilsames Wort nicht hören.

1900. (730.) Einige Gebildete mögen eine offene, andere eine zweideutige Rede, wieder andere eine geschmackvolle Erzählung; darum wird Alles gereicht.

1901. (3974.) Einige erwarten den Erfolg vom Schicksal, oder vom natürlichen Gange einer Sache, oder von der Zeit, oder von der eigenen Arbeit, Andere, Leute reifer Einsicht, erwarten ihn von allen zusammen.

1902. Einige denken nur daran, dass sie im Essen gestört werden könnten; Andere sind träge vor Schläfrigkeit, Manche sind nur im Zerpflücken von Kränzen geschickt, Andere sehnen sich nach Gesang, wieder Andere hängen am Spiel, an Erzählungen, an der Jagd, an geistigen Getränken, an Tanz u.s.w.; noch Andere finden Vergnügen am Reiten auf Rossen, Elephanten[367] und Stieren: glücklich sind aber diejenigen, die an der Tugend ihre Freude haben.

1903. (3975.) Einige zeichnen sich durch den Inhalt, nicht durch die Form (ihrer Dichtungen) aus; Andere durch die Form, nicht durch den Inhalt; Manche sowohl durch die Form, als auch durch den Inhalt; wieder Andere weder durch die Form, noch durch den Inhalt.

1904. Wer sind die Räuber? Die bösen Verstellungen. Wer wird aufgeklärt? Der in eine Gesellschaft tritt Wer gleicht einer Mutter? Die Freuden bringende gute Wissenschaft. Was gedeiht dadurch, dass man es weitergiebt? Gute Wissenschaft.

1905. (3976.) Was sind es für Bäume, o Gatte, und in welchem Dorfe stehen sie, und von wem wurden sie gepflanzt, die Bäume, deren Frucht die in mein Armband eingefügte Perle ist?

1906. (731.) Irgend ein Schadenfroher hat uns diesen mannichfachen Betrug mit den Freunden, Söhnen und Verwandten gespielt. Wer ist hier des Andern Diener, Angehöriger oder Nächster? Die Welt der Lebenden gleicht ja einem Traume und Zauberwerk.

1907. (732.) Wer wohl geht nicht zu Grunde, wenn er aus Unverstand ein Weib für reizend hält und ihr nahe kommt? Ihm ergeht es wie der Motte, die zur Flamme fliegt.

[368] 1908. (733.) Wer hat diesen Nektar, das zweisilbige Wort Mitra (Freund) geschaffen, dieses Schutzmittel gegen Ungemach, diesen Heiltrank gegen des Kummers Qualen?

1909. (734.) Was könnt ihr uns und was können wir euch helfen in dem Meere Welt? Durch das wilde Wogen der Wellen des irdischen Treibens sind wir wie Schaum zusammengespült. Darum werfet, o Söhne, nur einen kurzen Blick auf den vergänglichen Haufen und dann klammert euch mit allen Kräften an die unsterbliche Weltseele.

1910. (735.) Nicht Armbänder schmücken den Mann, nicht Perlenschnüre so strahlend wie Mondeslicht, nicht Bäder, nicht Salben, nicht mit Blumen geschmücktes Haar; schmucke Rede allein, die er im Munde führt, ziert den Mann: aller Schmuck vergeht, nur der Rede Schmuck ist Schmuck für alle Zeiten.

1911. (3977.) Tändeleien (des Mannes) versengen der untreuen Frau[369] das Mark, Liebe – die Knochen, Schmeichelworte erscheinen ihr beissend: Eheleute, die sich nicht mögen, finden nimmer Befriedigung.

1912. (736.) Das einzige Heilmittel gegen Unglück ist, wie Kenner der Lebensklugheit erklärt haben, das Darangehen es zu entfernen und das Aufgeben der Verzweiflung.

1913. (737.) Welcher Wasserbehälter auf Erden ist wohl nicht mit Wasserrosen bekränzt und mit Flamingoreihen beringt? In Erwartung welches Lohnes hat sich der Vogel Ḱâtaka zu des Regenspenders frischem Wasserstrom begeben?

1914. (3978.) Wer in der Welt heilt Gazellen, Vögel, wilde Thiere und Arme, wenn diese von Krankheit heimgesucht werden? Sie pflegen gar nicht krank zu sein.

1915. (738.) Der Wind, den wir jetzt in der kalten Jahreszeit haben, pflegt den Schönen gegenüber den Liebsten zu spielen: er verwirrt ihnen das Haar, lässt sie die Augen schliessen, zupft gewaltsam an ihrem Gewande, erzeugt ein allgemeines Rieseln der Haut, presst sich fest an sie, bringt sie allmählich zum Zittern und setzt den hörbar bebenden Lippen ohne Unterlass zu.

[370] 1916. (739.) Die Haare sind aufgebunden (zügeln ihre Leidenschaften); auch reichen die Augen bis zur äussersten Grenze der Ohren (haben die heilige Schrift vollkommen durchforscht); auch ist das Innere des Mundes voller Zähne (Brahmanen), die von Natur rein sind; das Urnenpaar der Brüste strahlt als beständiger Sitz der Perlen (Erlösten): zeigt auch dein Körper, o Schlanke, auf diese Weise die Ruhe eines Mannes, der die Welt überwunden hat, so versetzt er uns doch in die grösste Aufregung.

1917. Τῶν μὲν ἐφόδιόν ἐστιν ἡ ἐπιστήμη, τῶν δὲ ἐφόδιον χρήματα, τῶν δὲ γυναικῶν, ἕως γοῦν νεότης πάρεοτι, ἐφόδιόν ἐστιν ὁ κύσϑος.

1918. (740.) Ein armer Karpfen entschlüpfte der rauhen Hand eines Fischers, die ihn gepackt hatte, fiel aber wieder in's Netz; dem Netze entkam er wieder, wurde aber darauf von einem Reiher verschluckt: wenn, o Weh, das Schicksal feindlich ist, wie sollte man dann dem Unglück entrinnen?

1919. (741.) Bei den Kokila vertritt die Stimme die Stelle der Schönheit, bei Weibern die Treue gegen den Gatten, bei Hässlichen das Wissen, bei Asketen die Geduld.

[371] 1920. (3979.) Die durch den Gesang der Kokila schönen Tage im Frühling mit den schön duftenden Waldwinden wachsen zugleich mit dem Entzücken der Menschen.

1921. Der Kokila verstummte aus Schamgefühl zur Regenzeit, indem er bei sich dachte: wie dürfte unsere Stimme ertönen, wenn der Frosch die seinige erhebt?

1922. (742.) Ein Kokila bin ich, eine Krähe du; beide sind wir gleich schwarz, den Unterschied aber werden Kenner des Gesanges uns angeben.

1923. (743.) Wer geht in Jama's Behausung und fordert selbst furchtlos den Todesgott auf, dass er ihm das Leben nehmen möge, wenn er irgend Macht dazu habe?

1924. Wie Feuer in der Höhlung eines Baumes den ganzen Baum mitsammt seinen Wurzeln verbrennt, so richtet selbst ein geringer Fehler, die Liebe, Tugend und Reichthum zu Grunde.

1925. Feuer in der Höhlung eines Baumes wird nur Einen Baum verbrennen, aber ein schlechter Sohn, der in der Familie geboren wird, richtet in der Folge seine ganze Familie zu Grunde.

1926. (744.) Welche Last ist Kräftigen zu gross? Was ist Entfernung[372] für Unternehmende? Was ist Fremde für Gelehrte? Wer ist Feind Männern von freundlicher Rede?

1927. (745.) Auf den Ruf »he, wer da«, antworte (der Untergebene) »ich bin es, befiehl genau, was ich zu thun habe«, und erfülle dann den Befehl nach Kräften und ohne Verzug.

1928. (746.) Wer wird dadurch glücklich, dass er viele Söhne hat, wenn sie nur Scheffel sind, die die Kornkammer füllen? Besser ein einziger Sohn, der der Familie Stütze ist und durch den der Vater berühmt wird.

1929. (747.) Was ist Tugend? Mitleid mit allen Geschöpfen. Was ist Glück? Gesundheit des Menschen hier auf Erden. Was ist Liebe? Eine gute Gesinnung. Was ist Gelehrsamkeit? Ein richtiges Urtheil.

1930. (748.) Wer in der Welt wird uns nicht zu Willen, wenn wir ihm einen Bissen in den Mund stecken? Ein Blasinstrument giebt, wenn man ihm das Mundstück bestreicht, einen lieblichen Ton von sich.

[373] 1931. Was ist Hölle? Abhängigkeit von Andern. Was ist Behagen? Das Aufhören jeglichen Hanges. Was ist zu erstreben? Das Wohl der Geschöpfe. Was ist allem Lebenden das Liebste? Die Lebensgeister.

1932. Wer ist blind? Der seine Lust hat an dem, was er nicht thun sollte. Wer ist taub? Der auf heilsame Worte nicht hört. Wer ist stumm? Der zu rechter Zeit nicht Liebes zu sagen versteht.

1933. (3980.) Wer anders vermag es eine vergangene Zeit uns vor Augen zu führen, als die schöpferischen Dichter, die es verstehen Reizendes zu schaffen?

1934. (749.) Diener, die sich in der Nähe des Fürsten halten und genau achten auf das, was Zorn und gute Laune bei ihm bewirkt, setzen, auch wenn er sich sträubt, sich ihm allmählich auf den Rücken.

1935. Unter Auslassungen des Zornes oder der guten Laune gegen ein geliebtes weibliches Wesen, unter Haschen nach Pferde- und ähnlichen Geschichten, unter Befolgen des Willens der Dienerschaft und unter Unterhaltungen über Jagd geht Fürsten wie Knaben die Zeit dahin.

1936. Der Zorn macht Kasteiungen zu Nichte, der Zornige kommt um[374] ein hohes Alter, dem Zornigen entrinnt das Wissen, der Zornige geht des Vortheils verlustig.

1937. (750.) Wenn du, o Lotusäugige, den Zorn in dein Herz geschlossen hast, so mag er dein Liebster sein; was ist dabei Anderes zu machen? Gieb mir nur kräftig die Umarmungen, gieb mir nur kräftig die Küsse zurück, die ich dir einst gab.

1938. (751.) Glücklich der Geliebte hier, den die Geliebte im Zorn mit ihren Fesseln, den zarten, beweglichen Armlianen, fest umschlingt, am Abend in das Lusthaus vor die Freundinnen führt, dem sie dort mit den zarten Worten »schon wieder so«, die sie herausstammelt, seine Sünden vorhält und den sie schliesslich weinend schlägt, während er lacht und nur darauf bedacht ist Alles zu leugnen.

1939. (752.) O sieh, wie unser schönes Liebesverhältniss von ehemals heute zu Schanden geworden ist: ein Runzeln der Brauen war damals schon Zorn, Stillschweigen schon Strafe, gegenseitiges Lächeln schon Versöhnung, ein Blick schon Gunst; heute dagegen wälzest du dich zu meinen Füssen und ich Böse kann vom Zorn nicht lassen.

1940. (753.) Was nützt es, dass uns ein Sohn geboren wurde, wenn er[375] nicht klug und tugendhaft ist? Was haben wir wohl von einem blinden Auge? Nichts als Augenschmerz.

1941. Was nützt es, dass uns ein Sohn geboren wurde, wenn er nicht klug und tugendhaft ist? Was fängt man mit einer Kuh an, die keine Milch giebt und auch nicht trächtig ist?

1942. (754.) Giebt es einen Reichgewordenen, der nicht hochmüthig wäre? Giebt es einen den Sinnesgenüssen fröhnenden Menschen, dessen Ungemach ein Ende erreicht hätte? Giebt es auf Erden ein Herz, das Weiber nicht getäuscht hätten? Giebt es wohl für Fürsten einen Freund? Giebt es Jemanden, der nicht in dem Bereich der Alles vernichtenden Zeit stände? Giebt es einen Dürftigen, der zu Ansehen gelangt wäre? Wer entkam wohl glücklich, wenn er in die Netze böser Menschen gerathen war?

1943. (755.) Was ist Gewinn? Umgang mit Tugendhaften. Was Leid?[376] Bei Thoren Hilfe suchen müssen. Was Verlust? Zeitversäumniss. Was Bildung? Freude an wahrer Tugend. Wer ist ein Held? Der seine Sinne bändigt. Wer die Geliebteste? Die treue Gattin. Was ist Reichthum? Wissen. Was Behagen? Das Verbleiben in der Heimath. Was Königthum? Autorität.

1944. Wer ist wohl Lehrer? Der uns das Erspriessliche anweist. Wer ist Schüler? Der von Liebe zum Lehrer erfüllt ist. Was ist eine langwierige Krankheit? Der Verkehr mit einem Schlechten. Was ist Arzenei? Der Umgang mit Guten.

1945. Was ist wohl Fieber? Die Sorgen der Menschen. Wer ist ein Thor? Der kein Unterscheidungsvermögen besitzt. Wen soll man zur Liebsten erwählen? Die Hingebung an Çiva und Vishnu. Welches Leben verdient diesen Namen? Das tadellose.

1946. Wer ist wohl arm? Der von allzu heftigem Verlangen Gequälte. Wer ist reich? Dessen Herz zufrieden ist. Wer ist todt bei lebendigem Leibe? Der Träge. Was ist wohl Tod? Verzweiflung am Schlechten.

1947. (756.) Was gilt dem verständigen Helden als Heimath und was wohl als Fremde? Gerade das Land, das er betritt, macht er sich durch seiner Arme Macht zu eigen. Der Löwe löscht gerade in dem Walde, in den er, mit Zähnen, Klauen und Schweif kämpfend, dringt, seinen Durst mit dem Blute des von ihm erlegten riesigen Elephanten.

[377] 1948. Diejenigen, deren Herz am Kampfe hängt, erschöpfen ihren Schatz, finden keinen Schlaf, tragen kein Verlangen nach heiterem Spiel und haben an gar Nichts Freude.

1949. (3981.) »Diese Wasserrose hat zwei Knospen, die eines Flamingos Schnabel verwundet hat; die Mangoranke hat einen jungen Spross, an dem ein Kokila-Männchen gekostet hat.« Als sie ein solches Zwiegespräch der Freundinnen am Ufer des Teiches vernahm, verhüllte sie ihren Busen mit dem Zipfel des Tuches und ihre Bimba-Lippen mit der Hand (weil sie errieth, dass diese gemeint waren).

1950. (3982.) »Der Schatz ist des Fürsten Wurzel«, solcher Ausspruch ist überall gang und gäbe. Erleidet ein Fürst ein Ungemach mit seinem Schatze, so verliert er Alles, was er hier hat.

1951. (3983.) Wenn man, um die übrigen Bestandtheile des Staates zu retten, den Frieden um den Preis eines Theils des Schatzes, oder der Hälfte, oder auch des ganzen Schatzes abschliesst, so heisst ein solcher Friedensschluss Parikraja (Loskauf).

1952. (3984.) Welcher anständige Mann möchte wohl, durch ein winziges Bischen Behagen angelockt, schwache Geschöpfe, ohne sich lange zu bedenken, quälen?

1953. (3985.) Krausheit (Falschheit) wird man an deinen Haaren gewahr,[378] Röthe (Leidenschaft) an deinen Händen, Füssen und Lippenknospen; Härte an deinem Brüstepaar, ein unstätes Wesen wohnt in deinen Augen.

1954. (3986.) Böse Menschen suchen, wenn ein Unglück kommt, stets nach einer Belustigung, wie jene Kupplerin, als der Kaufmannssohn bei den Haaren gepackt wurde.

1955. Neugier ist der Schandfleck einer treuen Gattin, Aufenthalt in der Fremde der Schandfleck der Weiber, Silber der Schandfleck des Goldes, Zinn der Schandfleck des Silbers.

1956. (757.) Was liegt uns an der Herrschaft über die Dreiwelt, wenn wir einen in hundert Fetzen herabhängenden Schurz und ein eben solches Gewand haben, wenn uns keine Sorgen drücken, wenn leicht zu erhaltende Almosen unsere Speise bilden, wenn wir ein Lager auf der Leichenstätte oder im Walde finden, wenn wir ungehemmt nach eigenem Belieben lustwandeln können, wenn das Gemüth stets ruhig ist und wenn wir ausharren beim grossen Feste der Versenkung des Geistes?

1957. (758.) Wie eine Schildkröte zieht sich der Verständige zusammen[379] und nimmt sogar Schläge geduldig dahin; ist aber die rechte Zeit gekommen, so richtet er sich auf wie die schwarze Schlange.

1958. (759.) Seide kommt von einem Wurm, Gold aus Stein, Dûrvâ-Gras aus Kuhhaaren, der Lotus aus Schlamm, der Mond aus dem Meere, die blaue Wasserrose aus Kuhmist, Feuer aus Holz, ein Juwel aus der Haube einer Schlange, die Salbe Roḱanâ aus Kuhgalle; alle diese haben durch eigene Vorzüge einen hohen Werth erlangt; was nützt die Herkunft?

1959. (760.) Für ein Opfer, für eine Hochzeit, bei Unglücksfällen, bei Vernichtung eines Feindes, bei einer ruhmvollen That, bei Gewinnung von Freunden, für geliebte Weiber und für arme Angehörige: in diesen acht Fällen kann man, o Fürst, nicht zu viel verausgaben.

1960. (761.) Führt man vor einem ehrenwerthen guten Menschen die zusammengelegten Hände zur Stirn, so muss man dieses noch sorgfältiger vor einem schlechten Menschen thun, wenn man sein eigenes Wohl im Auge hat.

[380] 1961. (762.) Erkennt man, dass ein Mann im Handeln, im Reden oder im Wissen sich hervorthut, so beobachte man ihn in diesen Lagen; wird man dann seine Macht gewahr, so meide man ihn.

1962. (3987.) Wenn die verführerischen Sinnesgegenstände, die am Ende der Sache geschmacklos sind, eines Fürsten Herz mit sich fortreissen, dann geräth er wie ein Elephant in Gefangenschaft.

1963. (763.) Untergebene, die an ein Geschäft gestellt werden, dürfen, o König, ihre Gebieter nicht hintergehen, da diese durch Späher ihre Augen überall haben; deshalb mögest du zu Gute halten, was recht gemacht und was verfehlt ist. Ein heilsames Wort, das zugleich das Herz erfreut, ist schwer zu haben.

1964. (764.) Mit Schlangen spielen sie, mit fremden Weibern ergötzen sie sich, einem Fürsten sogar dienen sie: o wie verwegen die Männer sind!

1965. Eine Katze kauft man sogar von Andern für Geld und füttert sie, weil sie Nutzen bringt; eine Maus sucht man auf jegliche Weise zu tödten, obgleich sie im Hause geboren ward, weil sie Schaden anrichtet.

[381] 1966. Ein zorniger Mann thut Böses, ein Zorniger schlägt sogar achtungswerthe Männer, ein Zorniger legt durch grobe Reden sogar gegen die Besten Geringschätzung an den Tag.

1967. Selbst wenn du zornig bist, sollst du nicht zornig erscheinen, vielmehr lächelnd zu Andern reden; auch heisse, wenn du im Zorn bist, nimmer einen Andern seiner Wege gehen.

1968. Der Zornige erkennt ja, o Schönhüftige, nicht, was er thun soll; der zornige Mann erwägt auch nicht das zu Meidende und auch nicht die Schranken.

1969. (765.) Da zuerst Vergänglichkeit wie eine Amme das neugeborene Kind in ihre Arme schliesst, und dann erst die Mutter, so frage ich, welche Veranlassung zum Kummer sei.

1970. Der Zorn ist ein lebensgefährlicher Gegner, der Zorn ist ein Feind unter der Maske eines Freundes, der Zorn ist ja ein überaus scharfes Schwert, der Zorn reisst Jeden mit sich fort.

1971. Das Holz für das Feuer des Zornes ist der Leib, das Holz für das Feuer der Liebe das Geld, das Holz für das Feuer der Wahrheit die Wissenschaft, das Holz für das Feuer der Erkenntniss die Welt.

[382] 1972. Wenn ein Mensch sich dem Zorne hingiebt, wird er in einem Geschlechte von Tigern, Löwen oder andern bösen Raubthieren wiedergeboren; darum soll man keinen Zorn an den Tag legen.

1973. Der Zorn ist ja ein Feind, der aus des Menschen Leibe entspringt und seinetwegen verlässt man die Freunde und kommt um seine guten Werke.

1974. Der Zorn ist König Jama, die Gier – der Höllenfluss, Wissen – die alle Wünsche gewährende Kuh, Genügsamkeit – der Götterhain.

1975. Da der Zorn die Menschen tödtet und sie auch fördert (wenn er überwunden wird), so erkenne, o Hochweiser, dass Wohlfahrt und Verderben im Zorn wurzeln.

1976. (3988.) Wen Zorn, Freude, Hochmuth, Scham, Anmaassung und das Ehren Ehrenwerther nicht vom Nützlichen abziehen, der heisst ein Weiser.

1977. Der Zorn macht ja den Lohn, den der Mensch schon in der Hand hält, zu Nichte; der Zorn ist ja die Ursache, dass alle Kasteiungen zu Schanden werden. Wer den Zorn durch Ruhe des Gemüths für einen Augenblick besiegt, der wird in der Folge ein Sieger über alle seine Feinde.

1978. (766.) Der Verständige führe, auch wenn er dabei leidet, ein reines Leben: so erntet er hier auf Erden Ruhm ein und geht auch der künftigen Welten nicht verlustig.

[383] 1979. (3989.) Schwächlinge preisen ja nur das Schicksal, nicht die Menschenarbeit; Helden schlagen durch Menschenarbeit das Schicksal nieder, indem sie ohne Unterlass sich anstrengen.

1980. (767.) Auf ganz leichte Weise, ohne dass man seinen Körper Beschwerden aussetzte, erlangt man hier keine Freuden: der Besieger des Madhu (d.i. Vishnu) umfängt die Lakshmî mit Armen, die vom Quirlen des Oceans ermüdet sind.

1981. (3990.) Bei Einigen gehen Leiden unbeachtet vorüber, bei Andern dagegen findet man nichts Gesundes.

1982. Wer, wenn ihm die Feinde heftige Leiden verursachen, Geduld übt und die Zeit ruhig abwartet, indem er sich wie ein unbedeutendes Feuer (allmählich) kräftigt, der geniesst die Erde ganz allein (ohne Nebenbuhler).

1983. (768.) Wohin sind die Fürsten der Erde mit ihren Heeren, ihrer Macht und ihrem Tross gegangen? Die Erde, die Zeuge ihres Hingangs war, steht noch heute.

1984. (769.) Giebt es wohl einen Ort, wo die Gazelle nicht ihr Leben[384] erhalten könnte mit einem Mundvoll Wasser und einer Handvoll Gras? Dennoch verlässt sie, selbst wenn man sie geringschätzig behandelt, nicht den Wald, in dem sie geboren ward, weil sie so lange ihn bewohnt.

1985. (770.) »Wohin gedenkst du, o Bruder, zu gehen?« »Wo reiche Leute wohnen.« »Wozu?« »Um irgendwie mit erbetteltem Gelde das Leben zu fristen.« »Ist nicht Verachtung der Lohn des Bettelns?« »Zuerst Kränkung, Geld hinterdrein.« »O Liebster, das ist ja der Tod!«

1986. (771.) Wenn auf dem Lotusgesicht neuvermählter Frauen die unstäten Augen bald ein Runzeln der Brauen zeigen, bald vor Scham sich zur Seite wenden, bald vor Furcht erzittern, bald lieblich sich hinundher bewegen, dann hat es den Anschein, als wenn der ganze Horizont mit einer Menge funkelnder, hinundher wogender Bienen erfüllt wäre.

1987. (772.) Ein verständiger Mann kümmert sich, wenn er ein bestimmtes[385] Ziel zu erreichen strebt, weder um Leid noch um Freude: bald hat er sein Lager auf der blossen Erde, bald ruht er auf einem Bette; bald nährt er sich von grünem Gemüse, bald lässt er sich Reisbrei schmecken; bald trägt er ein zerlumptes Kleid, bald wieder ein prachtvolles Gewand.

1988. (773.) Bald unwirsch und bald gnädig, bei jeder Gelegenheit zuerst unwirsch und dann gnädig: bei einem Menschen von unbeständigem Sinne bringt sogar seine Gunst Gefahr.

1989. (3991.) Hier der Klang einer Laute und dort Wehgeschrei, hier eine Unterhaltung Gelehrter und dort ein Zank Betrunkener, hier eine reizende Schöne und dort ein vom Alter gebrochener Körper: ich weiss nicht, ob das Dasein aus Nektar oder aus Gift besteht.

1990. (3992.) Wo ist, o König, jetzt dein Vater, wo sind jetzt deine Grossväter? Nicht siehst du sie jetzt, nicht sehen sie dich, o Reiner!

1991. (774.) »Wohin eilst du, o Rüssellendige, in finsterer Mitternacht?«[386]

»Dahin, wo mein Geliebter weilt, der mir theurer als das eigene Leben ist.« »Woher kommt es, sag', o zarte Jungfrau, dass du dich nicht fürchtest, da du doch allein bist?« »Der Liebesgott mit den befiederten Pfeilen ist ja mein Begleiter.«

1992. (775.) »Wohin eilst du, o Bruder?« »Zum Hause des Arztes.« »Was da?« »Ich suche Linderung meiner Schmerzen.« »Hast du, o Freund, keine Liebste im Hause, die jegliche Krankheit bannt? Den Wind (Nervenschmerz) vertreibt sie durch Reiben mit ihrem vollen Busen, die Galle verscheucht sie mit ihres Mundes Nektar und den Schleim (das Stocken der Säfte) durch die vom Liebesgenuss entstandene Ermüdung.«

1993. Wohin richten wir unsere Schritte und wen befragen wir, – die Götter sind im Himmel, wir auf Erden –, ob der Geschmack schöner Aussprüche oder Nektar süsser sei?

1994. Wohin richten wir unsere Schritte? Wo bleiben wir stehen? Was thun wir? Was lassen wir? So denken bei sich die in der Gewalt der Leidenschaft Stehenden; der Leidenschaftlose fühlt sich behaglich.

[387] 1995. (776.) Wohin ist Daçaratha gegangen, der im Himmel des grossen Indra Freund gewesen ist? Wohin König Sagara, der die Ufer des Meeres errichtet hat? Wohin Prthu, der aus der Handfläche entsprossene Sohn Vena's? Wohin Manu, des Sonnengottes Sohn? Der Gott der Zeit hat sie hinweggetrieben und ihnen die Augen geschlossen.

1996. Wie weit ist doch die Sonne vom Dickicht der Tagwasserrosen im Teich entfernt und der Mond, der Freund der Nachtwasserrosen, von diesen! Die nach langer Bekanntschaft geknüpfte Freundschaft guter Menschen pflegt ja auch dann, wenn diese weit von einander sind, nicht zu Schanden zu werden.

1997. (777.) Wie kann die Umarmung eines Mädchens mit langgestreckten Augen, die dadurch besonderen Reiz erhält, dass der hohe Busen, von den Armen gedrückt, seitwärts zur Achselhöhle gedrängt wird, verglichen werden mit jenem Treiben Unverständiger, die durch erbettelte Speise, Fasten, Kasteiungen und der Sonnenstrahlen Gluth ihren Leib ausdörren?

1998. Man vergegenwärtige sich, wo man ist, wohin man gehen wird, wer man ist, was man hier treibt und weshalb man über Etwas trauern soll.

1999. Welche Entfernung besteht nicht zwischen der Mondscheibe und dem Meere, zwischen der Sonne und einem Teich mit Tagwasserrosen, zwischen einer Wolkenmasse und einem Trupp Pfauen, zwischen einer Biene[388] und einer Jasminstaude, zwischen einem unvergleichlich schönen Schwarme in weite Fernen gezogener Flamingos und dem klaren See Mânasa! Was man in Folge vorangegangener Werke lieb hat, das bleibt Einem lieb trotz aller Entfernung.

2000. (778.) »Wo ist jener Antlitzlotus? Wo jener Lippenhonig? Wo sind jene langen Seitenblicke? Wo jene zarten Reden? Wo jener Bogen des Liebesgottes, die hinundher gehenden gekrümmten Brauen?« So spottet laut der oben auf dem Stabe des Asketen befestigte Todtenkopf über das Netz des grossen Unverstandes, indem er nach Art der von Liebe Geblendeten die Zähne sehen lässt und einen lieblich summenden Windhauch ausathmet.

2001. Vorzügliche fühlen sich nicht hingezogen zu einem vergänglichen und mit Gefahr verbundenen Genusse: eine Biene trägt kein Verlangen nach einer Vallisneria und verlässt ihrethalben nicht die Staubfäden einer Wasserrose.

2002. Gedanken, Reichthum und eines Menschen Leben währen nur einen Augenblick; Jama kennt kein Mitleid und rasch ist der Gang des Gesetzes.

2003. Verkünde, da mir erwünscht ist, was der Zuneigung erwünscht ist, dass diese sich auf Reisen begebe, diese Zuneigung, die schon über das Blinzeln der Augenlider, dieser flüchtigen Störung für's Sehen, zürnt. (Worte, die eine Geliebte an ihren zur Reise sich rüstenden Geliebten richtet.)

[389] 2004. (779.) Der Mensch ist eine Weile Kind und eine Weile verliebter Jüngling, eine Weile von Geld entblösst und eine Weile über die Maassen reich; am Ende des Lebens, da seine Glieder vom Alter entkräftet sind und sein Körper mit Runzeln geschmückt ist, tritt er wie ein Schauspieler hinter den Vorhang, in des Todesgottes Behausung.

2005. (780.) Dass alle Zustände nur einen Augenblick währen, ist ein von Buddha ausgesprochenes falsches Wort, da, wenn wir an die Geliebte denken, wir stets lange in diesem Zustande verharren.

2006. (781.) Die Schläge fallen immer wieder auf die wunde Stelle; das Feuer im Magen brennt stärker, wenn das Geld zu Ende ist; im Unglück tauchen Feindschaften auf: wo einmal ein Riss ist, da mehren sich die Uebel.

2007. Ein hundertjähriger Krieger und ein zehnjähriger Brahmane sind als Vater und Sohn anzusehen, so nämlich, dass der Brahmane unter ihnen der Vater ist.

[390] 2008. Der Krieger Macht ist der Kampf, der Vaiçja Macht – das Geschäft, der Bettler Macht – das Betteln, der Çûdra Macht – Brahmanendienst.

2009. (3993.) »Wohin hat sich jetzt der Sonnengott begeben, nachdem er die Nächte verkürzt, das Wasser der Flüsse gewaltsam entführt, die gesammte Erde erhitzt und das ganze Waldesdickicht verdörrt hat?« So fragen gleichsam die Wolken und wandern von Ort zu Ort, beim Schein der Blitzesfackeln ihm eifrig nachspürend.

2010. Nachsicht ist ja ein Vorzug der Schwachen und ein Schmuck der Starken; Nachsicht macht die Welt sich unterthan; was bringt man nicht durch Nachsicht zu Stande?

2011. Ueber die Nachsicht geht keine Kasteiung, über die Zufriedenheit keine Freude, über die Gier keine Krankheit und über die Erlösung keine Stellung.

2012. (782.) Nachsicht gegen Feind und Freund ist ein Schmuck nur für Weise, die der Welt entsagt haben; bei Fürsten dagegen ist Nachsicht gegen Beleidiger ein Fehler.

[391] 2013. (783.) Einen nachsichtigen, freigebigen und Vorzüge schätzenden Herrn findet man nicht leicht; doch glaube ich, dass auch ein ehrlicher, rühriger und ergebener Diener schwer zu finden ist.

2014. (3994.) Der Schwache sehe Jedermann nach, der Starke thue es aus Pflicht; wer davon Vortheil und Nachtheil in gleichem Maasse erwartet, dem ist Nachsicht stets heilbringend.

2015. (784.) Wir haben Manches erduldet, aber dabei doch keine Geduld gezeigt; wir haben uns mancher Freude, an die man im Hause gewohnt ist, begeben, aber nicht gern; wir haben schwer zu tragende Leiden wie Kälte, Wind und Sonnengluth ertragen, aber keine Busse geübt; wir haben Tag und Nacht mit angehaltenem Athem an Schätze gedacht, nicht aber an Çiva's Stätte: dieselben Thaten, welche die der Welt entsagenden Weisen thun, haben auch wir gethan; um dieselben Früchte, die ihnen zu Theil werden, sind wir betrogen worden.

[392] 2016. (785.) Wenn Nachsicht da ist, wozu dann der Panzer? Wozu Feinde, wenn schon der Zorn in den Menschen tobt? Wenn Verwandte da sind, wozu noch Feuer? Wenn ein Freund uns zur Seite steht, was sollen uns dann noch himmlische Kräuter nützen? Wozu Schlangen, wenn schon böse Menschen nicht fehlen? Wozu Reichthümer, wenn schon untadelhaftes Wissen da ist? Wenn Scham da ist, wozu noch ein Schmuck? Wenn Dichtergabe uns gegeben ist, wozu bedarf es dann noch der Herrschaft?

2017. Der Mond mag mir immerhin Leid zufügen, aber warum versengt mich der Frühling? Eine Handlung, die ein Befleckter vollbringt, schickt sich doch nicht für einen Hochgepriesenen (den Frühling).

2018. (786.) Das Feuer der Pfeile Çiva's (welche Tripura zerstörten) möge eure Sünden versengen, jenes Feuer, das von den Jungfrauen Tripura's wie ein Liebhaber, der sich eben verging, behandelt wurde: als sie es schmähten (fortstiessen), klammerte es sich an ihre Hand; obgleich sie mit Gewalt auf dasselbe losschlugen, erfasste es doch den Saum ihres Gewandes; als es sie bei den Haaren ergriff, stiessen sie es von sich; als es zu ihren Füssen stürzte, beachteten sie es nicht in ihrer Verwirrung; als es sie umschlang, wiesen sie es zurück mit Thränen in den blauen Lotusaugen.

2019. (3995.) Daran erkennt man vor Allem den Klugen, dass er schnell begreift, lange hört, nicht, sobald er Etwas begriffen hat, dem Triebe gemäss sich an eine Sache macht, und nicht ungefragt sich um eine fremde Angelegenheit kümmert.

[393] 2020. (787.) Jener Mann, so reich wie Kubera, wird bald zum Bettler, wenn er, ohne auf seine Einkünfte Rücksicht zu nehmen, nach Herzenslust verschwendet.

2021. (788.) Obgleich der Mond stets abnimmt, so wächst er doch fürwahr immer wieder: höre auf (zu schmollen), o Schöne, werde mir wieder gut, die geschwundene Jugend kehrt ja nimmer zurück.

2022. (3996.) Ist der Mond abgezehrt, so nähert er sich der Sonne (wenn sie von Râhu verschlungen wird); ist er voll, so füllt er den Herrn der Gewässer (das Meer): Einige sind Gefährten im Unglück, Andere geniessen das Glück Reicher.

2023. Alle Gaben, Trankopfer, Brandopfer und Spenden sind vergänglich; unvergänglich aber ist die einem Würdigen gereichte Gabe und die allen belebten Wesen gewährte Sicherheit.

2024. (789.) Die Weisen rühmen eine Freundschaft, wie sie zwischen[394] Milch und Wasser besteht: das Wasser wird in der Milch zu Milch und schützt dafür die Milch vor dem Feuer.

2025. (3997.) Mögen die Kühe milchreich sein, das Getraide überall auf Erden gerathen, Indra zu rechter Zeit regnen lassen, mögen Winde wehen, die aller Menschen Herz erfreuen, möge Alles was lebt sich freuen, gelehrte Brahmanen stets in Ehren stehen und reiche, auf dem Pfade des Gesetzes wandelnde Fürsten die Erde beschützen, nachdem sie die Feinde zur Ruhe gebracht haben werden.

2026. (790.) Die Milch giebt ja zuvörderst dem Wasser, das sich zu ihm gesellt hat, alle seine guten Eigenschaften; wird das Wasser die Qualen der Milch (beim Kochen) gewahr, so bringt es sich selbst im Feuer zum Opfer; sobald die Milch das Unglück des Freundes merkt, wallt sie auf um selbst in's Feuer zu gehen, beruhigt sich aber, wenn sie wieder mit dem Wasser verbunden wird: gerade so ist der Edlen Freundschaft.

2027. (791.) Frisst wohl der Stolzeste unter den Stolzen, der Löwe, der[395] sein Verlangen einzig auf das Verschlingen eines Bissens aus der geöffneten Anschwellung auf der Stirn eines brünstigen Elephantenfürsten gesetzt hat, frisst, so frage ich, ein Löwe wohl dürres Gras, selbst wenn er vom Hunger verzehrt wird, vor Alter ausgemergelt ist, beinahe auseinanderfällt, in der schrecklichsten Lage sich befindet, wenn sein Glanz dahin ist und seine Lebensgeister zu entfliehen drohen?

2028. (3998.) Hunger, Durst und Verlangen sind meine drei Hausfrauen, die zu keinem Andern gehen, so lange ich lebe; ein Muster ehelicher Treue unter ihnen ist aber das Verlangen, das mich niemals verlässt.

2029. (792.) Ein Hase und der Sperling Kapingala fanden ehemals beide den Tod, als sie, einzig darauf bedacht Recht zu suchen, an einen elenden Herrn kamen.

2030. (793.) Einen winzigen Feind kann man nicht mit Gewalt beugen: ihn aus dem Wege zu schaffen muss man einem ihm gleichen Streiter auftragen.

2031. (3999.) Die Liebe und der Zorn, die im Körper wohnen, sind wie zwei grosse Fische, die in einem feinmaschigen Netze stecken: sie zerreissen (wie jene das Netz) die Einsicht.

[396] 2032. (794.) Zu Tausenden findet man elende Wichte, die keinem andern Geschäfte eifrig obliegen, als sich selbst zu ernähren; der Mann allein, dem des Andern Sache für die eigene gilt, steht an der Spitze der Edlen. Das höllische Feuer trinkt das Meer um seinen schwer zu füllenden Bauch anzufüllen, die Wolke aber, um der Erde und ihrer Bewohner quälende Hitze, die sich vom Sommer her angesammelt hat, zu verscheuchen.

2033. (795.) Dem Hunger und einer Krankheit wehre man; Tag für Tag esse man erbetteltes Brod als Arzenei; um leckere Speise dagegen mühe man sich nicht ab; man begnüge sich mit dem, was das Schicksal bringt; Kälte, Hitze und Anderes ertrage man; unnützer Weise komme kein Wort aus dem Munde; vollkommene Gleichgiltigkeit erstrebe man; man meide sowohl Mitleid mit den Menschen als auch rohes Benehmen.

2034. Einen Hungrigen, einen Durstigen, einen Verliebten, einen Lernbegierigen, einen Landmann, einen Schatzmeister und einen Reisenden, diese sieben soll man wecken, wenn sie schlafen.

2035. Ein Feld, das die gehörige Feuchtigkeit und guten Boden hat und dabei gut bestellt ist, wird ja, o Sohn der Kuntî, ohne Regen nimmer Frucht tragen.

[397] 2036. (4000.) Wenn du, o Göttin Gier, den Menschen wohlwillst und ihre Leiber rund und voll machst, dann ist keine Rede davon, dass sie sogar durch den Besitz von hunderttausend Welten zur Ruhe gelangten, da die Hoffnung ein Feld, ein Dorf, einen Wald, einen Berg, einen Flecken, eine Stadt, einen Welttheil, ja den ganzen Erdkreis zu besitzen wie ein fester Strick ihre Geister fesselt, so dass ihr Sinn stets auf mehr, als sie schon erlangten, gerichtet ist.

2037. (796.) Des Menschen Arbeit ist das Feld, das Schicksal bezeichnet man als den Samen: durch die Verbindung von Feld und Samen gelangt das Korn zur Reife.

2038. Wenn ein Feld keine Frucht trägt, obgleich es gut gepflügt und Samen eingesäet wurde und Indra Regen sandte, so denke ich, dass ohne das Schicksal Nichts zu Stande kommt.

2039. (797.) Selbst ein wohnliches Land, das stets reiche Ernten giebt und dem Vieh gedeihlich ist, soll ein Fürst, wenn es sich um seine Rettung handelt, ohne sich lange zu bedenken verlassen.

2040. Bald fehlt dem Monde ein Stück und bald ist er wieder voll, dann fehlt ihm wieder ein Stück und dann wird er wieder voll: Glück und Unglück pflegen ja bei Niemanden von Bestand zu sein.

[398] 2041. (798.) Ein Löwe, der ein Mäuseloch aufgräbt, das mit kleinen Steinchen angefüllt ist, bricht dabei seine Krallen oder ein Mäuschen fällt ihm als Lohn zu.

2042. Einen Esel, einen Hund, einen Elephanten, einen Verrückten, eine geschwätzige Vettel, einen Radschput und einen schlechten Freund meide man schon von fern.

2043. (4001.) Wer im Traume auf einem Esel, einem Kameel, einem Büffel oder einem Tiger reitet, der wird binnen sechs Monaten sicher des Todes theilhaftig.

2044. (799.) Ein Bösewicht begeht ein Verbrechen und sicher büssen es Gute: Râvana raubt die Sîtâ und das Meer wird dafür gefesselt (überbrückt).

2045. (800.) Ein Bösewicht sieht bei Andern Gebrechen von der Grösse eines Senfkorns, seine eigenen dagegen, die so gross wie Bilva-Früchte sind, sieht er wohl, will sie aber nicht sehen.

2046. (4002.) Bösewichte und Dornen unschädlich zu machen giebt es nur zwei Mittel: entweder schlägt man mit dem Schuh auf sie, oder man meidet sie von fern.

[399] 2047. (801.) Ich habe, so schwer es mir auch wurde, harte Worte von schlechten Menschen mir gefallen lassen, da ich nur darauf bedacht war sie zu gewinnen; ich habe Thränen unterdrückt und sogar gelacht, obgleich das Herz nicht dabei war; ich habe mich zusammengenommen und Leute beschränkten Verstandes ehrerbietig begrüsst. O Gier, o eitle Gier, willst du etwa nach allem diesem auch ferner noch mich zwingen zu tanzen?

2048. (802.) Einen Kahlköpfigen, dem die Strahlen des Tagesgestirns das Haupt versengten, verlangte es nach einem schattigen Orte und er begab sich nach dem Willen des Schicksals unter einen Bilva-Baum; aber auch hier erging es ihm übel: eine herabfallende grosse Frucht zerschlug ihm unter lautem Gekrach den Schädel. So pflegt es zu geschehen: wohin ein vom Glück Verlassener die Schritte richtet, dahin gerade geht das Ungemach.

2049. (803.) Von Indra weiss man, dass er mit Zeichen, die an einen[400] von ihm verübten Ehebruch erinnern sollen, bedeckt ist; der Mond hat schmutzige Flecken; Kṛshna ist der Sohn eines Hirten, Vasistha der einer Buhlerin, Jama hat kranke Füsse, der Gott des Feuers verschmäht keine Speise, Vjâsa entsprang aus dem Bauche eines Fisches, das Meer ist salzig, die Pânduiden wurden von Nebenmännern ihrer Mutter erzeugt, Rudra (Çiva) trägt Gebeine Verstorbener als Schmuck: wer unter den Bewohnern der Dreiwelt hätte keinen Fehler?

2050. (804.) Unter allen Geschmäcken gilt ja der salzige für den vorzüglichsten; Salz führe man bei sich, ohne dieses schmeckt eine Brühe wie Kuhmist.

2051. (806.) Wisse, dass das Zusammentreffen mit Lieblingen wie die Erscheinung einer Stadt am Himmel (Fata morgana) ist, dass Jugend sowohl als Reichthum einer Wolkenmasse gleicht, dass Angehörige, Söhne, Leiber und noch vieles Andere unstät wie der Blitz sind, ja dass alle Erscheinungen im Leben nur einen Augenblick bestehen.

2052. (805.) Unheimlich wie ein sternenloser Himmel, wie ein ausgetrockneter Teich, wie eine Grauen erregende Leichenstätte ist das Haus eines Armen, sollte es sonst auch lieblich anzuschauen sein.

2053. (807.) Sind etwa die vom Staubregen, den die (herabstürzenden) Wogen der Gañgâ erzeugen, gekühlten Stätten im Himâlaja verschwunden, die Stätten mit den reizenden Felsflächen, auf denen die Vidjâdhara ihre Wohnung aufgeschlagen haben, dass die Menschen Freude haben am fremden Bissen, den man ihnen mit Verachtung reicht?

[401] 2054. (808.) Werden wohl die schönen Tage für mich kommen, wo ich am Ufer der Gañgâ auf einem Felsblock des Himâlaja mit gekreuzten Beinen sitzen und durch beständig fortgesetztes Nachsinnen über das Brahman in einem schlafähnlichen Zustande von Versenkung mich befinden werde, die schönen Tage, wo alte Gazellen unbesorgt ihre Hörner an meinem Körper reiben werden?

2055. (809.) Todt ist eine Gegend ohne Gañgâ, todt eine Familie ohne Wissen, todt ein unfruchtbares Weib, todt ein Opfer, das nicht von Geschenken begleitet ist.

2056. Wenn ein von den Wellen der Gañgâ bestrichener Wind einen Menschen berührt, dann führt er alsbald dessen Sünden mit sich fort.

2057. (810.) Geh, wenn du, o Geliebter, zu gehen gedenkst! Glückliche Reise! Was mich betrifft, so möchte ich (die ich aus Gram jetzt sterbe) dort wiedergeboren werden, wo du sein wirst.

[402] 2058. (4003.) Wohl wünsche ich »geh«, was dir lieb wäre, zu sagen, aber aus dem Munde dringen, was kann ich dafür, die Worte »geh nicht«, die mein Bestes beabsichtigen.

2059. Tausende von Elephanten und Pferden, eine Rinderherde, Land, Gefässe von Gold und Silber, die meerumgürtete Erde und zehn Millionen Mädchen, die himmlischen Frauen gleichen, hinzugeben, gilt ja nicht so viel als das Darreichen von Speise, das über Alles geht.

2060. (811.) Sehe ich, dass sogar Elephanten und Schlangen gefangen werden, dass Mond und Sonne vom Drachen Râhu gequält werden und dass Kluge in Armuth leben, so denke ich bei mir: das Schicksal ist, o Weh, doch mächtig!

2061. (812.) Der Elephant, obgleich er eine ungeheure Kraft besitzt, geräth nicht in Zorn, wenn Bienen, versessen auf den Brunstsaft, der auf seinen Backen steht, in ihrer Trunkenheit ihn umschwirren und mit Füssen treten; gewahrt aber der Kräftige eine gleiche Kraft vor sich, dann wird er über die Maassen zornig.

2062. (813.) Dahin ist jene Zeit, wo wir »Heil« rufend vor dem zweibeinigen Vieh, den Fürsten der Erde, die Freuden der Gegenstände des[403] Sinnengenusses kosteten; jetzt, da wir Alles einem Strohhalm gleich achten, erfüllt sogar die Sorge um Almosen unser Herz mit einiger Scham.

2063. (814.) Dahin ist jene Zeit, o Geliebte, wo ein krauser Seitenblick der Liebe, beweglich wie eine leichte Welle der Jamunâ, über mich Gewalt hatte; jetzt ist mein Herz unempfindlich wie der Rücken einer alten Schildkröte; wozu quälst du mich also vergebens, o Unglückliche?

2064. Verloren ist, o Schüchterne, die Jugend und nutzlos das Leben derjenigen, welche nicht immer und immer wieder die Minneart verschmitzter Männer kennen lernt.

2065. Der Körper ist beinahe hingeschwunden, auch ist die Göttin des Glücks von Haus aus unbeständig, der Aufenthalt im Hause eine Fessel und der Genuss des Zusammenseins wird durch Trennung schal: gieb darum allen Hochmuth auf, die Thätigkeit des eigenen Geistes schafft Wohlbehagen, begieb dich unverdrossen zur ruhigen, höchstes Glück gewährenden Stätte Vishnu's.

2066. (815.) Männer, die Geld haben, gelten für jung, auch wenn sie die Jugend schon lange hinter sich haben; diejenigen dagegen, welche kein Geld haben, gelten sogar im Jünglingsalter für Greise.

2067. Wenn die Menschen wähnen, es gäbe Freuden im nichtigen Leben,[404] so gleichen sie Kindern, die, wenn sie ihren Speichel am Daumen einsaugen, im Wahne sind, dass es Muttermilch sei.

2068. (816.) Die Leute folgen dem alten Schlendrian und pflegen in Sachen des Rechtes auf die Stimme einer Kupplerin, wenn sie wirkliche Belehrung ertheilt, weniger Gewicht zu legen als auf die eines Brahmanen, hätte dieser auch eine Kuh getödtet.

2069. (4004.) Vorzügliche Menschen sind der Verständigen Zuflucht, Vorzügliche sind der Vorzüglichen Zuflucht, Vorzügliche sind auch der Unbedeutenden Zuflucht; nimmer aber sind Unbedeutende der Vorzüglichen Zuflucht.

2070. (4005.) Die erste Zuflucht des Weibes ist der Gatte, die zweite – der Sohn, die dritte, o König, die Blutsverwandten; eine vierte giebt es nicht.

2071. (817.) Der Liebe Band ist zerrissen, die aus der Zuneigung entspringende Achtung verschwunden, das freundliche Wesen dahin, der mir zunächst Stehende bricht vor meinen Augen auf, als wäre er ein mir Fremder: so oft ich daran und an jene dahingeschwundenen Tage zurückdenke, kann ich nicht begreifen, warum das Herz mir nicht in hundert Stücke zerspringt.

[405] 2072. Um Vergangenes soll man nicht trauern, an Zukünftiges nicht denken: Weise leben in der Gegenwart.

2073. (818.) Um Vergangenes soll man nicht trauern, an Zukünftiges nicht denken, nur um das, was die Gegenwart heischt, sollen Weise sich kümmern.

2074. (4006.) Befinden sich Leute in schlimmer Lage, so kann auch ein Winziger ihnen ein Leid zufügen: ist ein Elephant in Schlamm versunken, so setzt sich ein Frosch auf seinen Kopf.

2075. (819.) Vor Durst begab ich mich an das Ufer des Meeres, aber auch dieses war ausgetrocknet, so dass ich es mit einem Male verschluckte: am Ocean ist auch nicht die geringste Schuld zu entdecken, nur meiner Thaten Lohn thut sich hier auf.

2076. Ich muss auf die Strasse gehen, dort habe ich ein Weib mit vollem, schönem Busen erblickt: kommt es auch nicht zum Liebesgenuss, so kann mir doch Niemand die Augenweide versagen.

2077. Ihr müsst in die vom König abgehaltene Gerichtssitzung gehen und die beim König in Ehren stehenden Personen kennen lernen: wenn euch auch keine Vortheile daraus erwachsen, so ergiebt sich euch doch ein Heilmittel gegen Nachtheile.

[406] 2078. (4007.) Wenn du reisen willst, so reise eiligst, bevor die Widersacher deiner Reise, die Laute, welche der Mund, dieser Freund der Bedrängten, ausstossen könnte, zu deinen Ohren gelangen. (Worte, die eine Geliebte an ihren zur Reise sich rüstenden Geliebten richtet.)

2079. (4008.) Die Erde wird untergehen und der Ocean und die Götter; wie soll die schaumähnliche Welt der Sterblichen nicht untergehen?

Stenzler.

2080. (820.) Eine Biene, lüstern nach dem Geruch und dürstend nach dem Genuss des Brunstsaftes eines Elephanten, begiebt sich zwischen seine beständig zusammenschlagenden Ohren, wo es doch nicht leicht ist sich zu ergehen.

2081. Für das Gold ward kein Wohlgeruch erschaffen, für das Zuckerrohr keine Frucht, für den Sandelbaum keine Blüthe, ein Gelehrter wurde nicht reich, ein Fürst nicht lange lebend geschaffen: ehemals war Niemand da, der dem Schöpfer Einsicht hätte verleihen können.

2082. (821.) Eine Biene verlässt eine wohlriechende Navamallikâ und begiebt sich zu einer Jûthikâ; da will das Schicksal, dass sie auch diese wieder aufgiebt und sich zunächst in einen Ḱampaka-Wald, darauf zu einer Wasserrose begiebt; da nach des Schicksals Willen der Mond sie hier zur Gefangenen macht, so erhebt die Thörichte eine Wehklage: auch ein lüsterner Mensch, der sich niemals zufrieden giebt, setzt sich Demüthigungen aus.

[407] 2083. (822.) Weltbekannt ist die wohlriechende goldfarbige Ketakî; eine leichtfertige Biene flog in eine solche Blume im Wahne, es sei eine Wasserrose. Der Blüthenstaub machte sie blind, die Stacheln rissen ihr die Flügel ab; es kann, o Freund, die Imme weder bleiben noch fliehen.

2084. (832.) Kühe sehen mittels des Geruchs, Brahmanen mittels des Veda, Fürsten mittels der Späher, gewöhnliche Menschen mittels der Augen.

2085. (823.) Was soll eine Wittwe mit Wohlgerüchen, Kränzen, Räucherwerk, mit verschiedenartigem Schmuck, mit Kleidern und Ruhebetten anfangen?

2086. Dichter fühlen sich ja meist zu tiefen Dichtungen hingezogen und legen gegen flache Verachtung an den Tag.

2087. (4009.) Geht man in eines Löwen Behausung, so findet man eine Perle aus der Wange eines Elephanten; geht man dagegen in eines Hundes Wohnung, so findet man einen Haufen Knochen, Hufe und Schwänze.

[408] 2088. Sogar Gift wird bei der Kuh zu Milch und sogar Milch bei der Schlange zu Gift, je nachdem die Gabe einem Würdigen oder einem Unwürdigen gereicht wird; darum ist die einem Würdigen gereichte Gabe die beste.

2089. Im Herbst donnert eine Wolke ohne zu regnen, in der Regenzeit regnet sie ohne zu donnern: der Gemeine redet ohne zu handeln, der Vorzügliche handelt ohne zu reden.

2090. (824.) Donnere oder regne, o Indra, oder schleudere hundert Mal den Blitz: Weiber, die ihren Geliebten zu besuchen im Begriff stehen, lassen sich durch Nichts abhalten.

2091. (825.) Du donnerst, o Wolke, spendest aber kein Wasser; ich, der Vogel Ḱâtaka, bin ganz ausser mir. Wenn es das Schicksal wollte, dass ein Wind aus Süden bliese, wie stände es dann um dich, um mich und um den Regen?

2092. Die Geburtswehen eines Weibes sind, so meine ich, dann von Nutzen gewesen, wenn der Sohn entweder die Feinde besiegt oder in der Schlacht getödtet wird.

2093. (4010.) Wie ein Mensch später, wenn er geboren ist, die Schmerzen, die er im Mutterleibe ertrug, vergisst, so vergisst sicherlich ein König, wenn er die Herrschaft erlangt hat, die früheren Sorgen.

[409] 2094. Der unwiderstehliche Todesgott rafft lachend Jeden hinweg: das Kind im Mutterleibe, den Singenden, den auf dem Lager Ruhenden, den auf der Mutter Schoos Gebetteten, den Knaben, den Jüngling, den Greis, den Mann reifen Alters, den Armen, den Reichen, den Bösewicht und den Edlen, den, der sich auf einem Baume, auf eines Berges Gipfel, im Luftraum, auf der Strasse, im Wasser, im Käfig oder in einer Baumhöhle befindet, ja auch den, der in die Unterwelt sich begab.

2095. Keinen Hochmuth an den Tag legen, Andere nicht tadeln, keine harten Worte ausstossen, geduldig tragen und sich nicht dem Zorn hingeben, wenn Einem etwas Unliebes gesagt wird, sich wie ein Stummer verhalten, wenn man ein unbedeutendes Gedicht hört, das ein Anderer verfasste, die Fehler Anderer verhüllen und selbst nichts Böses verüben: dieses sind die Merkmale guter Menschen.

2096. (826.) Was treibst du, o Schöne, diesen ungeziemenden Hochmuth mit deinem Augenpaar? Findet man denn nicht überall in Teichen ähnliche blaue Wasserrosen?

2097. Der Kühe und anderer Thiere Milch wird den Tag darauf oder[410] wohl auch denselben Tag sauer, was mit der des Milchmeeres bis heute noch nicht geschehen ist: wie könnten Grosse einen Wandel erfahren?

2098. Wer im Kampfe für eine Kuh oder einen Brahmanen sein Leben opfert, der durchbricht der Sonne Scheibe und wird der höchsten Stellung theilhaftig.

2099. (827.) Wer im Kampfe für eine Kuh, für einen Brahmanen, so auch wenn man ihm Weib oder Gut rauben will, das Leben einbüsst, dem werden ewige Welten zu Theil.

2100. (828.) Wer für eine Kuh, einen Brahmanen, seinen Herrn, sein Weib, seinen Wohnort das Leben einbüsst, dem werden unvergängliche Welten zu Theil.

2101. (829.) Das Wasser der Gañgâ ist hell, das der Jamunâ schwarz wie Lampenruss: du magst, o Flamingo, in dieses oder jenes tauchen, dein blendendes Weiss nimmt weder zu, noch ab.

2102. (830.) Ὑπὸ τῆς σφοδρᾶς πεδιβολῆς οἱ μαστοὶ αὐτῆς καταπεπιεσμένοι εἰσίν, τὰ δὲ τρίχια ὀρϑὰ ἕστηκε, τῆ δ᾽ ὑπερβολῆ τῆς ἐπιϑυμίας τὸ καλὸν παραμυρίδιον καταρρεῖ »μὴ μή, ὦ ἐμὸν ἀγλάισμα, μὴ ἄγαν ἐμέ – ἅλις« οὕτω κεκλασμένη τῆ φωνῆ φϑεγγομένή πότερον καταδεδάρϑηκεν ἤ τέϑνηκεν ἤ είς τὴν ἐμὴν καρδίαν εἰσδέδυκεν ἤ τέτηκεν.

[411] 2103. (831.) Der Körper ist zusammengeschrumpft, der Gang unsicher, die Reihe der Zähne ausgefallen, das Gesicht schwindet, die Harthörigkeit nimmt zu, der Mund kann den Speichel nicht mehr halten, die Angehörigen achten nicht mehr auf die Rede, die Frau gehorcht nicht. O Weh über das Missgeschick des altgewordenen Mannes! Selbst der eigene Sohn benimmt sich gegen ihn wie ein Feind!

2104. (4011.) Am Körper bilden sich Runzeln, die Haupthaare werden weiss; wie soll ein durch's Alter abgenutzter Mensch sich dagegen helfen?

2105. (4012.) Tief bist du wie das Meer, gewichtig wie ein Berg, die Wünsche des Volkes befriedigst du wie der Alles gewährende Wunderbaum.

[412] 2106. Schau auf die Allmacht vereinter Kräfte: Wasser, das Berge spaltet und den Erdboden zerreisst, wird durch Gräser gehemmt!

2107. (833.) Man halte Rath, wo man nicht beobachtet wird: entweder auf einem Berge, oder an einem abgelegenen Orte auf der Zinne eines Palastes, oder an einem sicheren Platze im Walde.

2108. (834.) Ein Elephant, hoch wie der Gipfel eines mächtigen Berges, der früher spielend Bäume entwurzelte, lässt sich, wenn ihn der Wahn ergreift ein Weibchen zu berühren, an einen Pfosten ketten.

2109. (835.) Der Pfau ist auf dem Berge, die Wolken sind am Himmel; die Sonne ist hunderttausend (Joģana) weit, die am Tage blühenden Wasserrosen sind im Teiche; der Mond, der Freund der in der Nacht sich öffnenden Wasserrosen, ist zweimal hunderttausend (Joģana) von ihnen entfernt: wer Jemandes Freund ist, für den giebt es ja keine Entfernung.

2110. Wer da singt, zu sehr eilt, mit dem Kopfe zittert, abliest, den Sinn nicht versteht und eine schwache Stimme hat, diese sechs sind die schlechtesten Hersager von Gebeten.

[413] 2111. Beim Singen, bei theatralischen Vorstellungen, bei einem Vortrage, bei einer Disputation, im Kampfe, beim Minnespiel, beim Essen und beim Handel soll man die Scham stets bei Seite lassen.

2112. Man mag Vorzüge anerkennen, dankbar, von edler Herkunft, gross, liebenswürdig und fleissig sein, so macht man es der Welt doch nicht zu Dank, wenn man dabei arm ist.

2113. (836.) Elende Wichte, die über ihre Armuth an Vorzügen schlaflose Nächte haben und selbst Nichts schaffen, hängen noch am Leben, bloss weil sie tüchtigen Männern den Ruhm streitig machen und ihre Missgunst an den Tag legen.

2114. (4013.) Wie soll ein mit den Wissenschaften nicht vertrauter Mann Vorzüge und Mängel unterscheiden? Besitzt etwa ein Blinder die Befähigung, die verschiedenen Farben wahrzunehmen?

2115. (837.) Bevor man über Jemandes Vorzüge oder Mängel auf's Reine gekommen ist, darf man weder Gunst noch Ungunst zeigen; es wäre, als wenn man zu seinem eigenen Verderben die Hand in den Rachen einer Schlange steckte.

[414] 2116. (838.) Durch häufigen Verkehr mit Menschen stossen Weise auf Vorzüge und auf Mängel: als die Götter das Meer quirlten, erhielten sie Nektar und Gift.

2117. (839.) Wird ein Weiser Vorzüge und Mängel gewahr, so thut er wie Çiva mit dem Monde und dem Gifte: jene (jenen) ehrt er mit dem Haupte, diese (dieses) hält er in der Kehle zurück.

2118. (840.) Wie Vögel sich gern in den Schutz eines Baumes begeben, so Freunde in den des Ehrenmannes: den jungen Blättern entsprechen die Vorzüge, den Zweigen der Anstand, den Wurzeln das Zutrauen erweckende Wesen, den Blüthen das was an dem Ehrenmanne hochgeschätzt wird; wie jener an Früchten, so ist dieser an Vorzügen reich.

2119. Frage nach Tugenden, nicht nach Schönheit; frage nach Charakter, nicht nach Geschlecht; frage nach Leistungen, nicht nach Wissen; frage nach Genuss, nicht nach Reichthum.

2120. (841.) Durch Verkehr mit vorzüglichen Menschen erhält sogar ein Unbedeutender Ansehen: ein Faden kommt hoch auf's Haupt zu stehen durch seinen Anschluss an einen Blumenkranz.

2121. (842.) Ein Würdigerer verhüllt die Vorzüge Würdiger: bei Nacht strahlt der Kerze Flammenglanz, nicht aber nach Sonnenaufgang.

[415] 2122. (843.) Ein kluger Mann soll, wenn er an irgend ein Werk geht, es sei ein gutes oder ein böses, sorgfältig an die Folgen denken: die Folgen von Thaten, die in der Uebereilung vollbracht wurden, schmerzen wie ein Pfeil im Herzen bis an den Tod.

2123. (844.) Männer mit Vorzügen haben in der Regel zu leiden, Männer ohne Vorzüge leben froh und glücklich: Papageien gerathen in Gefangenschaft, Krähen treiben sich frei herum.

2124. (4014.) Man stelle einen Mann mit Vorzügen an und meide den, der keine Vorzüge besitzt; beim Gebildeten findet man alle Vorzüge, beim Thoren Nichts als Fehler.

2125. (4015.) Ein Fremder sei mit Vorzügen ausgestattet und ein Eigener besitze sie nicht, so ist doch der Eigene, der keine Vorzüge besitzt, besser als jener: der Fremde bleibt immer ein Fremder.

2126. (845.) Es kommt kein mit Vorzügen reich Ausgestatteter zur Welt, selbst kein Gott, um gar lange zu bestehen: mit voller Scheibe steht der prächtige Mond nur eine Nacht am Himmel.

2127. (4016.) Der Boshafte wird an dem, der hundert Vorzüge besitzt, nur den Fehler gewahr: ein Eber spürt im Lotusteich nur Schlamm auf.

[416] 2128. (846.) Bei Ausgezeichneten, wohnten sie auch fern, verrichten die Vorzüge das Botenamt: sobald Bienen den Duft der Ketakî riechen, machen sie sich von selbst auf den Weg.

2129. Vorzüge sind bekanntlich nur Vorzüge und nicht die Ursache irgend eines Vortheils: Reichthümer bringt ja das Schicksal ganz unabhängig davon.

2130. (847.) Vorzüge sind an denen, die Vorzüge zu würdigen verstehen, Vorzüge; kommen sie an Jemanden, der keine Vorzüge hat, so werden sie zu Mängeln: Flüsse führen, wenn sie entspringen, schönes schmackhaftes Wasser; haben sie das Meer erreicht, so werden sie ungeniessbar.

2131. (4017.) Zehn Vorzüge werden dem zu Theil, der sich regelmässig badet: Kraft, schöne Gestalt, Reinheit der Stimme und der Hautfarbe, Zartheit der Haut, eine angenehme Ausdünstung, Reinheit, Anmuth, Jugendlichkeit und der Besitz vorzüglicher Frauen.

2132. (848.) Vorzüge achtet man bei den Menschen, nimmer den blossen Stand: für ein krystallenes Gefäss, das zerbrochen ist, giebt man nicht ein Mal ein Otterköpfchen.

[417] 2133. (849.) Ein Sachkenner, nicht ein gewöhnlicher Mensch, pflegt ein Urtheil über den Unterschied der Vorzüge zu haben: den Wohlgeruch der Mâlatî und Mallikâ kennt die Nase, nicht das Auge.

2134. (4018.) Diejenigen, die eine Sache verderben, weil sie die verschiedenen Mittel der Staatskunst nicht richtig verstehen, haben nur die äusseren Abzeichen von Ministern, sollten eigentlich Feinde heissen und von den Fürsten an den Pranger gestellt werden.

2135. (850.) Ein Zugochs hat es nur der Tücke seiner Vorzüge zu danken, dass er in's Joch gespannt wird: der junge Stier schläft in aller Ruhe und keine Schwiele kommt auf seine Schultern.

2136. Wo aber Vorzüge geschätzt werden, wo Korn in Menge aufgespeichert ist und wo es Einem wohlergeht, den Ort betrete man.

2137. Wozu sollen mit Vorzüge Ausgestattete dahin gehen, wo Vorzüge nicht geschätzt werden? Was fängt ein Wäscher in einem Dorfe an, das von nackt einhergehenden Mönchen bewohnt ist?

2138. (851.) Was haben die Menschen für einen Grund sich darüber zu wundern, dass Mängel im Munde eines guten Menschen zu Vorzügen und[418] Vorzüge im Munde eines bösen Menschen zu Mängeln werden, da ja eine Wolke, wenn sie aus dem Meere salziges Wasser saugt, süsses Wasser von sich giebt, eine Schlange dagegen, wenn sie Milch trinkt, noch gefährlicheres Gift speit?

2139. (852.) Ein Fürst, der böse Räthe hat, wird, selbst wenn er viele Vorzüge besitzt, gemieden wie ein See mit klarem und süssem Wasser, der schlimme Krokodile birgt.

2140. (4019.) Sechs Vorzüge werden dem zu Theil, der massig im Essen ist: Gesundheit, langes Leben, Kraft und Freude; auch hat er gesunde Kinder und man schimpft ihn nicht einen Fresser.

2141. (853.) Weiber verlassen einen tugendhaften, berühmten, schönen, fügsamen, reichen, liebestüchtigen Gatten und gehen, ohne sich lange zu bedenken, zu einem andern Manne, dem gute Gemüthsart, Tugenden und noch vieles Andere abgeht.

2142. Vorzüge werden überall geschätzt, nicht aber Reichthümer, wären sie auch noch so gross: verdient der Vollmond so gepriesen zu werden wie der abgemagerte, aber fleckenlose?

2143. (854.) Vorzüge werden überall geschätzt, des Vaters Stamm hilft zu Nichts: den Sohn des Vasudeva verehren die Menschen, nicht den Vasudeva.

[419] 2144. (855.) Sollte eines Sohnes wegen, dessen Händen, wenn er sich anschickt die Schar tugendhafter Männer herzuzählen, die Kreide vor grosser Verwirrung nicht entfällt, ein Weib schon Mutter eines Sohnes heissen, wie müsste, sprich, wohl dann ein Weib beschaffen sein, um unfruchtbar genannt zu werden?

2145. (4020.) Wenn, o König, die Glücksgöttin einen Mann mit Vorzügen (oder mit einem Stricke, d.i. einen Jäger) gewahr wird, flieht sie wie eine Gazelle weit weg aus Besorgniss gefesselt zu werden.

2146. Wer sich in der Nähe eines mit Vorzügen Ausgestatteten befindet, steht, entbehrte er auch der Vorzüge, bei der Welt in Ehren: (schmuzzige) Salbe erlangt ja Glanz durch die nahe Berührung mit reinen Augen.

2147. Zwischen denen, die mit Vorzügen (Schnüren) ausgestattet sind, und denen, die deren baar sind, gewahrt man einen grossen Unterschied: Perlenschnüre hängen am Halse und Fussringe an den Füssen der Weiber.

2148. (4021.) Selbst Männer mit Vorzügen, lernen ihr eigenes Wesen[420] erst durch Andere kennen, wie ja auch die Augen ihre eigene Grösse erst im Spiegel sehen.

2149. (856.) Wer Vorzüge zu schätzen versteht, freut sich über den, der solche besitzt; wer selbst keine Vorzüge hat, findet keinen Gefallen an dem, der sie besitzt: die Biene verlässt den Wald und kommt zur Wasserrose, nicht so der Frosch, obgleich er mit dieser an einem und demselben Orte lebt.

2150. Für den mit Vorzügen Ausgestatteten giebt es keine Fremde, für den Zufriedenen kein Leid, für den Weisen kein Unglück, für den Unternehmenden nichts Unmögliches.

2151. (4022.) Sogar Leute mit Vorzügen sind verloren, wenn Niemand da ist, der Vorzüge zu würdigen versteht; ein voller Eimer sogar, der mit einem Stricke (mit Vorzügen) versehen ist, sinkt in einem Brunnen unter.

2152. (857.) Wer selbst Vorzüge besitzt, kennt die Vorzüge Anderer, nicht der, welcher selbst ohne Vorzüge ist; der Starke kennt die Stärke Anderer, nicht der Schwache: der Kokila kennt die Vorzüge des Frühlings, nicht die Krähe; der Elephant kennt die Stärke des Löwen, nicht die Maus.

2153. (858.) Man fühlt sich zum tugendhaften Manne hingezogen, nicht[421] zum schönen: eine Blume ohne Duft, sei sie noch so schön, mag man nimmer pflücken.

2154. (4023.) Der Mensch soll auf Vorzüge bedacht sein, da es Nichts giebt, was nicht durch Vorzüge leicht zu erreichen wäre: in Folge seiner ausserordentlichen Vorzüge ist es dem Monde gelungen, sich auf Çiva's unantastbares Haupt zu schwingen.

2155. (859.) Ein König, der Liebe zu Tugenden, keinen Hang zu Lastern und Freude an guten Dienern hat, geniesst lange das Herrscherglück als Eheweib, das den flatternden Fliegenwedel zum Ueberwurf, den weissen Sonnenschirm zum Schmuck hat.

2156. Schätze, o Bruder, hättest du auch Glücksgüter in Fülle, Vorzüge nicht gering: sogar ein voller Krug stürzt in den Brunnen hinab, sobald seine Vorzüge schwinden (der Strick reisst).

2157. (4024.) Die Menschen sollen ja stets nur auf Vorzüge bedacht sein, da sogar ein Armer, wenn er mit Vorzügen ausgestattet ist, mehr werth ist, als grosse Herren ohne Vorzüge.

2158. Nur auf Vorzüge soll man Rücksicht nehmen; was nützt Aufgeblasenheit? Kühe, die keine Milch geben, verkauft man nicht um ihrer Schellen willen.

[422] 2159. (860.) Die Ehre, die wir den Menschen erweisen, beruht auf ihren Vorzügen, kommt nicht bloss vom hohen Geschlecht: der Mond bildet das Diadem auf Çiva's Haupte, Uḱḱaiḥçravas ist das Reitpferd Indra's.

2160. Durch Vorzüge gelangt man zu Höhe, nicht durch die Macht der Geburt: steht das Gift Kâlakûta, das aus dem Milchmeer hervorging, hoch in Ehren?

2161. (861.) Durch Vorzüge gelangt man zu Höhe, nicht dadurch, dass man auf hohem Throne sitzt: wird eine Krähe, sässe sie auch auf dem Giebel eines Palastes, zum Garuda?

2162. (862.) Männer, die eine mittelmässige oder eine niedrige Stellung einnehmen, soll der Fürst erheben, wenn sie mit hohen Eigenschaften ausgestattet sind; erlangen sie Grösse, so heben sie wieder den Fürsten.

2163. (4025.) Alle Geschöpfe werden verschiedener Zustände theilhaftig und gehen ihrer auch wieder verlustig; es ist demnach kein Grund zur Trauer für den Einzelnen gegeben.

2164. Wer an Vorzügen sogar einem Allwissenden gleich käme, ist verloren, wenn er allein steht und des Haltes entbehrt: sogar ein unschätzbarer Rubin verlangt in Gold gefasst zu werden.

[423] 2165. (863.) Ein Vorzug setzt einen andern voraus, damit das Naturgemässe desselben zu Tage trete: die natürliche Anmuth des kindlichen Wesens erhält ihren Reiz durch die Jugend.

2166. (864.) Hier und da wird ein Vorzug zum Fehler und ein Fehler zum Vorzug: so ist zum Beispiel Demuth (Welkheit) ein Fehler und anspruchvolles Wesen (Steifheit) ein Vorzug bei den Brüsten.

2167. Tugend schmückt Schönheit, eine gute Gemüthsart schmückt die Familie, Leistungen schmücken Wissen, Genuss schmückt Reichthum.

2168. Wo ehrwürdige Personen geehrt werden, wo Korn in Menge aufgespeichert ist und wo es weder Prügel noch Zank giebt, da schlage ich, o Indra, meine Wohnstatt auf.

2169. (865.) Mit der schweren (mit Jupiter) Last der Brüste, mit dem glänzenden Antlitzmonde und mit den langsam einherschreitenden (mit Saturn) Füssen strahlte sie, als wenn sie aus Planeten gebildet gewesen wäre.

[424] 2170. (866.) Zum Ziele des Liebesgottes ward sogar der Gebieter der Nacht (der Mond), als er die Frau seines Lehrers (Bṛhaspati), und Indra, als er das Weib eines Brahmanen (Ahaljâ) erblickte; brauche ich da wohl noch zu sagen, dass es Andern nicht besser ergeht?

2171. (867.) Eines Zweckes wegen, nicht aus Liebe, ehrt man einen Lehrer: man füttert eine Kuh im Hause, weil sie Milch giebt, nicht aus Pflichtgefühl.

2172. (868.) Das Feuer ist ein Gegenstand der Verehrung für Brahmanen, der Brahmane für die übrigen Kasten, der Gatte, und zwar nur dieser allein, für die Frauen, der Gast ist es überall.

2173. (4026.) Wohlgesinnte straft der Lehrer, Bösgesinnte der Fürst, diejenigen aber, die im Verborgenen Böses thun, straft Jama, Vivasvant's Sohn.

2174. (4027.) Einen schlechten Lehrer soll man verlassen, desgleichen eine schlechte Mutter und einen schlechten Vater, da ja derjenige, der Schaden bringt, Feind, nicht Freund ist.

2175. (4028.) Wer, wenn er an ein Werk geht, nicht die wahre Bedeutung[425] der Sachen, auch nicht den Lohn oder Nachtheil der Handlungen kennt, der wird ein Thor genannt.

2176. (869.) Geld wiegt viel, mehr als dieses der Bundesgenosse, mehr als dieser Land, mehr als Land sämmtliche Machtvollkommenheiten, mehr als diese die Schar der Anverwandten und Freunde.

2177. (870.) Gegen ein Vieh von Menschen vertauscht man keinen edlen Stier, der an einen schweren Karren gespannt wird, von Gras sich nährt, über ebenen und unebenen Boden den Pflug hinzieht, ein nützliches Werkzeug der Menschen und von reiner Herkunft ist.

2178. (871.) Durch Gehorsam gegen den Lehrer, durch reichliches Geld oder durch Mittheilung einer anderen Wissenschaft gelangt man in den Besitz einer Wissenschaft; ein viertes Mittel giebt es nicht.

2179. (872.) Wenn ein Herr da ist, braucht man vor Bösewichtern nur den Namen des Ehrwürdigen zu nennen und sofort ist Sicherheit da.

2180. (873.) Es ist ganz in der Ordnung sogar den Lehrer (oder Vater, älteren Bruder u.s.w.) zu züchtigen, wenn er hochmüthig ist, Recht von Unrecht nicht zu unterscheiden vermag und sich auf Abwege begeben hat.

[426] 2181. (4029.) Wo man dem Lehrer etwas Böses nachsagt oder ihn tadelt, da soll man die Ohren zuhalten oder von dannen gehen.

2182. (874.) Wer zu seines Lehrers Tochter, zu seines Freundes Gattin, zu seines Herrn oder Dieners Hausfrau geht, den nennt man einen Brahmanenmörder.

2183. (875.) Im Geheimen geübten Beischlaf, Dreistigkeit, das Einsammeln immer zu rechter Zeit, Wachsamkeit und Unverdrossenheit, diese fünf Dinge lerne man von der Krähe.

2184. Man schaue in die Ferne wie der Geier, halte sich versteckt wie der Reiher, sei wachsam wie der Hund, muthig wie der Löwe, unerschrocken, misstrauisch wie die Krähe und verfahre wie die Schlange.

2185. (876.) Sogar einem geierartigen König kann man dienen, wenn seine Beisitzer im Gericht flamingoartig sind; sogar einen flamingoartigen König muss man meiden, wenn jene geierartig sind.

[427] 2186. Lieber dient man sogar einem geierartigen Fürsten mit flamingoartiger Umgebung als einem flamingoartigen Fürsten (um von einem schlimmeren nicht zu reden) mit geierartigem Gefolge.

2187. Es giebt auf Erden kein Haus, keinen Palast, keinen Tempel, keine Stadt und keinen Wald, wo nicht ein Bösewicht wäre, der ohne Grund seinen Zorn ausliesse.

2188. (877.) Wenn sich ein Streit erhoben hat über ein Haus, ein Feld, einen Teich, einen Brunnen, einen Lustgarten oder über Land, dann gilt das Zeugniss des Nachbarn.

2189. (878.) Wenn Leute in Folge des Geldes, das in ihrem Hause vergraben liegt (und nicht benutzt wird), reich genannt werden, warum sollten nicht auch wir in Folge eben dieses Geldes reich heissen?

2190. Wer an den Beschäftigungen im Hause hängt und dabei nicht Tugend übt, der empfängt die Sünde als Wegkost und wird als ein Gruben bewohnendes Thier wiedergeboren.

2191. Am Fleische thörichter Männer, welche die Liebe zum Hause fesselt, nagt ein böses Weib, wie am Krebsweibchen die junge Brut.

[428] 2192. (879.) Der Bau eines Hauses bringt Leid, nimmer aber Freude: eine Schlange dringt in ein von Andern erbautes Haus und gedeiht hier wohl.

2193. Wer am Hause hängt, dem fehlt Wissen; wer sich von Fleisch nährt, dem fehlt Mitleid; wer gierig nach Besitz ist, dem fehlt Wahrheit; wer den Weibern nachgeht, dem fehlt Reinheit.

2194. Priester verlassen den Opferherrn, sobald sie den Opferlohn empfangen haben; Schüler verlassen den Lehrer, sobald sie die Wissenschaft erlernt haben; so verlassen auch Gazellen einen Wald, wenn er verbrannt ist.

2195. (880.) Diejenigen, welche ein Haus betreten, in dem der Hausherr beim Anblick eines Gastes in's Blaue oder zur Erde schaut, sind Ochsen, denen nur die Hörner fehlen.

2196. (881.) Hört Jemand, es sei im benachbarten Hause eine Kleinigkeit gestohlen, so stellt er bei seinem Hause eine Wache aus; das ist der gewöhnliche Gang. Und vor dem Todesgotte fürchtet man sich nicht, der doch täglich aus diesem oder jenem Hause Menschen mit sich fortführt? Wachet, o ihr Leute!

[429] 2197. (882.) Wer denjenigen tödtet, und wäre es auch ein Feind, der vertrauensvoll und ohne alle Besorgniss zu ihm in's Haus kam, dessen Sünde ist so gross, als wenn er hundert Brahmanen getödtet hätte.

2198. (1990.) Für einen Kuhmörder, einen Säufer, einen Räuber und einen Gelübdebrecher haben Weise eine Sühne vorgeschrieben; für einen Undankbaren aber giebt es keine Sühne.

2199. Ein vom Zorn hingerissener Mann erwägt nicht, was er thun und was er lassen soll, und beachtet nicht seine Familie, nicht sein reines Geschlecht, nicht seinen glänzenden Stand, nicht Gott und Lehrer, nicht Vater, nicht Mutter, nicht seinen Herrn, nicht Freunde, Brüder, Weib, Söhne, Schwestern und ältere Leute.

2200. (883.) Der Hüter der Erde (der Fürst) soll wie der Hüter von Kühen auf eine passende Weise verfahren: wie dieser die Kühe hütet, füttert und ganz allmählich von ihnen die Milch gewinnt, so soll jener die Unterthanen schützen, hegen und ganz allmählich den Reichthum von ihnen holen.

[430] 2201. (4030.) Die Glücksgöttin, der Fürsten Geliebte, ist auf Elephantenrücken gehätschelt worden; sie verdirbt Männer von hoher Gesinnung, indem sie in ihnen ein Verlangen erzeugt.

2202. (4031.) Es giebt Niemanden, den sie nicht schliesslich, wie die Freundschaft mit Gemeinen, in Schmerz versetzt hätte, nachdem sie zuvor ihre Gunst gezeigt hatte.

2203. (4032.) Da sie zusammen mit den himmlischen Freudenmädchen im Meere aufwuchs, wie sollte sie das Benehmen einer treuen, nur Einem anhängenden Gattin gelernt haben?

2204. (4033.) Da sie keine Liebe fühlt, so ist sie, trotz der langen Bekanntschaft, keinem Fürsten gefolgt, wenn er ohne Wegkost und ohne Freunde zur anderen Welt wanderte.

2205. Kuhmilch geht sogar über hundert Kühe, ein Scheffel Korn sogar über hundert Scheffel und eine halbe Bettstelle sogar über einen Palast: alles Uebrige ist fremder Reichthum.

2206. (884.) Ein Gildemeister, der mit der Führung der Geschäfte der Gesellschaft betraut worden ist, denkt froh bei sich im Herzen: »heute habe ich die Erde mit allen ihren Schätzen gewonnen, was brauche ich mehr?«

[431] 2207. Wenn du einen mit einer gelblichen Haut überzogenen, mit Kleidern und Schmucksachen verzierten Behälter, eine weibliche Gestalt, gewahr wirst, so ziehe ja das Innere in Betracht.

2208. Ein Mann geringen Standes gelangt durch besondere Vorzüge zu Ansehen: wem ist der vom Bisamthier kommende Moschus seines Wohlgeruchs wegen nicht lieb?

2209. Durch Spenden, nicht durch Sammeln von Reichthümern, gelangt man zu Ansehen: Wolken stehen als Wasserspender oben, Meere aber als Wasserbehälter unten.

2210. (4034.) Eine wohl gefügte Rede ist, wie die Weisen lehren, eine Kuh, die alle Wünsche gewährt; eine übel gefügte Rede dagegen verräth die Ochsennatur dessen, der sie fügte (d.i. des Dichters).

2211. (885.) Warum giebt man Bedürftigen nicht wenigstens von einem Bissen die Hälfte? Wann wird Jemand so viel Reichthum besitzen, dass dieser seinen Wünschen entspräche?

2212. Man meide den Umgang mit Bösen wie eine von den Sonnenstrahlen im Sommer durchglühte, Schrecken erregende, keinen Schutz gewährende, hochgelegene Wüste.

[432] 2213. Wer möchte wohl, würde er auch von der Sonnenhitze im Sommer gepeinigt, in einer Wildniss, gewährte diese auch keinen Schutz durch Bäume oder Anderes, in den Schatten des Körpers eines durch Brunst geblendeten Elephanten sich begeben?

2214. Wir kennen fürwahr nicht den Grund, warum beim Beginn der Regenzeit ein Wasserbehälter austrocknet, warum bei Tagesanbruch die Eule nicht sieht und warum ein Bösewicht an bedeutenden Menschen keine Freude hat.

2215. (886.) Die Wonne, welche ein Bad in frischem Wasser, eine Perlenschnur, oder eine Sandelsalbe, die auf jeden Theil des Körpers aufgetragen wird, einem von der Hitze Gequälten bereitet, lässt sich nicht mit der Freude des Herzens vergleichen, welche eine Rede edler Menschen hervorzubringen pflegt; wird eine solche Rede noch von guten Gründen begleitet, so gleicht sie einem Zauberspruch, der gar kluge Männer anzieht.

2216. Mit einem Weichherzigen, einem Fürsten, einem liederlichen Frauenzimmer, einem Fürstendiener, einem Sohne, einem Bruder, einer Wittwe mit unerwachsenen Kindern, einem Soldaten und einem um sein Glück Gekommenen soll man sich in keine Geschäfte einlassen.

2217. (887.) Das Weib gleicht einem Topfe mit zerlassener Butter, der[433] Mann einer brennenden Kohle; deshalb wird ein verständiger Mann Butter und Feuer nicht zusammenbringen.

2218. Wie ein Topf mit zerlassener Butter trotz seiner Schwärze rein ist ohne Wasser, so verhält es sich auch, das erkenne man, mit grossen Weisen, die durch Wissen und Wandel fleckenlos dastehen.

2219. Sandel behält seinen lieblichen Geruch trotz alles Reibens, ein Zuckerrohrstengel bleibt wohlschmeckend trotz alles Schneidens und Gold bewahrt seine schöne Farbe trotz alles Brennens: bei Hochstehenden erfolgt sogar im Tode kein Wandel ihres angeborenen Wesens.[434]

Quelle:
Indische Sprüche. Osnabrück/Wiesbaden 1966. Bd. 1.
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