1. Allgemeines.

[531] Während die Upanishad's der drei ersten Veden, von einigen Ausnahmen abgesehen, die, mit den Brâhmaṇa's zusammenhängenden und ihnen als Ergänzung dienenden, dogmatischen Textbücher wirklicher Vedaschulen sind, nach deren Namen sie daher auch benannt werden, so hat es mit den zahlreichen zum Atharvaveda gerechneten Upanishad's eine wesentlich andre Bewandtnis. Zwar sollen nach den Angaben Colebrooke's, misc ess. I, 93, die ersten fünfzehn der zweiundfünfzig von ihm aufgezählten Atharva-Upanishad's in den besten Handschriften der Çâkhâ der Çaunakîya's die übrigen der der Paippalâdi's und andrer zugeschrieben werden, und auch Nârâyaṇa erwähnt in seinem Kommentar zu den Atharva-Upanishad's gelegentlich, dass eine Upanishad »ekâdaçî Çaunkîye« (p. 260,5 der Ausgabe der Bibl. Ind)., »ashṭâdaçî Çaunaka-grantha-vistare« (p. 78,10), »ashṭâviṅçî granthasa ghe, çâkhâ Çaunaka-vartitâ« (p. 299,5), »ashṭamî Paippalâda-abhidhâ« (p. 60,6), »die siebenunddreissigste Taittirîyake« (p. 394,13), »die sechsundvierzigste Âtharva-Paippale« sei (ed. Pun. p. 183,5), aber schon der Widerspruch dieser Angaben mit denen Colebrooke's weist darauf hin, dass wir in ihnen schwerlich etwas mehr zu erkennen haben werden als späte Zusammenfassungen von Upanishadgruppen unter berühmten Namen der Vorzeit; zumal sich die Atharva-Upanishad's (mit wenigen und verdächtigen Ausnahmen wie Mâṇḍûkya, Jâbâla) nicht mehr, wie die früheren, nach vedischen Çâkhâ's, sondern mit Namen benennen, welche dem Inhalte oder irgend einem sonstigen Umstande entnommen sind. Allem Anscheine nach sind die Atharva-Upanishad's, soweit sie nicht ganz individuelle Produkte sind, der Ausdruck der Anschauungen mannigfacher neuvedântischer, mystischer, asketischer und sektarischer Gemeinschaften, welche ihren Gegensatz gegen die altvedischen Çâkhâ's dadurch bekundeten, dass sie die von denselben überkommene Upanishadform benutzten, um auch ihrerseits eine »Upanishad« gleichsam als ihr symbolisches Buch, aufzustellen; und wenn alle diese[531] Upanishad's dem Atharvaveda angeschlossen wurden, so hat dies seinen Grund zumeist nicht in einem innern Zusammenhang mit demselben, sondern nur darin, dass dieser vierte Veda, von Haus aus halb apokryph, nicht so wie die drei andern durch eine zünftige Überwachung von seiten der Çâkhâ's vor fremden Eindringlingen geschützt war. Die meisten dieser neuentstandenen Upanishad's sind überhaupt wohl erst dadurch zu Atharva-Upanishad's geworden, dass man später, und nachdem ihre ursprünglichen Träger vielfach schon verschollen waren, anfing, dieselben zu sammeln und diese Sammlungen dann einem schon vorhandenen, mit Muṇḍaka und Praçna beginnenden Grundstocke wirklicher und relativ alter Upanishad's des Atharvaveda angliederte. Bei der grossen und zur Zeit des Entstehens der Sammlungen wohl immer noch zunehmenden Anzahl der Upanishad's (Weber zählte 1876 alles in allem 235 Namen), und bei der Einschmuggelung ganz apokrypher Produkte unter diesem Namen (sogar eine islamische Allopanishad ist vorhanden), konnte das Streben der Sammler niemals auf Vollständigkeit gerichtet sein, sondern immer nur auf eine Auswahl derjenigen Upanis had's, welche durch ihren Inhalt oder ihre Verbreitung der Aufnahme in den Veda, und zwar den allein hierfür offenstehenden Atharvaveda, für würdig befunden wurden. Diese Sammlungen sind somit ein wichtiges Kriterium, wenn nicht um den Wert, so doch um die mehr oder weniger allgemeine Wertschätzung der verschiedenen Upanishad's zu bestimmen; und eine Upanishad wird umsomehr (zunächst historische) Beachtung verdienen, je allgemeiner sie in den Sammlungen vorkommt, und in dem Masse weniger, als sie nur in der einen oder andern derselben Aufnahme gefunden hat. Wir wollen die vier uns näher bekannten Sammlungen, sei es aller Upanishad's, sei es nur der des Atharvaveda, kurz überblicken.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 531-532.
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