VII. Die lebendige Art des Kreislaufs des Lichts

[103] Meister Lü Dsu sprach: Wenn es allmählich gelingt, den Kreislauf des Lichts in Gang zu bringen, so darf man dabei seinen gewöhnlichen Beruf nicht aufgeben. Die Alten sprachen: Wenn die Geschäfte auf uns zukommen, so muß man sie annehmen, wenn die Dinge auf uns zukommen, so muß man sie bis auf den Grund erkennen. Wenn man durch rechte Gedanken die Geschäfte in Ordnung bringt, so wird das Licht nicht von den Außendingen umgetrieben, sondern das Licht rotiert nach eigenem Gesetz. Auf diese Weise läßt sich sogar der noch unsichtbare Kreislauf des Lichts ins Werk setzen, wie viel mehr ist das bei dem echten wahren Kreislauf des Lichts, der schon deutlich in Erscheinung trat, der Fall.

Wenn man im gewöhnlichen Leben fortwährend imstande ist den Dingen gegenüber nur in Reflexen zu reagieren ohne jede Einmischung eines Gedankens an den andern und mich, so ist das ein aus den Umständen sich ergebender Kreislauf des Lichts. Das ist das erste Geheimnis.

Wenn man frühmorgens alle Verwicklungen von sich abtun kann und eine bis zwei Doppelstunden meditieren und sich dann bei allen Beschäftigungen und gegenüber von allen Außendingen auf eine rein[104] objektive Reflexmethode einstellen kann, wenn man das ohne jede Unterbrechung fortsetzt, so kommen nach zwei bis drei Monaten vom Himmel her alle Vollendeten und besiegeln ein solches Verhalten.


Der vorige Abschnitt handelt von den seligen Gefilden, die man betritt, wenn man mit der Arbeit vorwärts kommt. Dieser Abschnitt bezweckt, den Lernenden zu zeigen, wie sie ihre Arbeit täglich feiner gestalten müssen, damit sie auf eine baldige Erlangung des Lebenselixiers hoffen können. Wie kommt es da, daß der Meister gerade jetzt davon redet, daß man seinen bürgerlichen Beruf nicht aufgeben soll? Da könne man ja denken, der Meister wolle verhindern, daß der Lernende das Lebenselixier bald erlange. Der Wissende erwidert darauf: Nicht also! Der Meister ist besorgt, daß der Lernende sein Karma noch nicht erfüllt hat, deshalb redet er so. Wenn nun die Arbeit schon in die seligen Gefilde geführt hat, so ist das Herz wie ein Wasserspiegel. Wenn die Dinge kommen, so zeigt es Dinge; wenn die Dinge gehen, so vereinigen sich Geist und Kraft von selbst wieder und lassen sich nicht von den Außendingen mitreißen. Das ist, was der Meister meint, wenn er sagt: man soll jede Einmischung des Gedankens an den andern und sich selbst vollkommen aufgeben. Wenn der Lernende es fertig bringt, mit wahren Gedanken sich immer auf den Raum der Kraft zu fixieren, so braucht er nicht das Licht in Rotation zu versetzen und das Licht rotiert von selbst. Wenn aber das Licht rotiert, so erzeugt sich das Elixier von selbst und es hindert nicht, wenn man gleichzeitig noch weltliche Arbeiten verrichtet. Anders ist es ja zu Beginn der Meditationsarbeit, wenn Geist und Kraft noch zerstreut und wirr sind. Wenn man da nicht die weltlichen Geschäfte von sich fern halten kann und einen ruhigen Ort findet, wo man mit ganzer Kraft sich konzentriert, wobei man alle Störungen durch gewöhnliche Beschäftigung vermeidet, so ist man vielleicht morgens fleißig und abends sicher träge: wie lange wird es auf diese Weise dauern, bis man zu den wirklichen Geheimnissen vordringt? Darum heißt es: Wenn man anfängt sich der Arbeit zuzuwenden, soll man die häuslichen Geschäfte von sich tun. Und wenn das nicht vollständig geht, soll man jemand beauftragen, der sie für einen besorgt, damit man mit ganzer Aufmerksamkeit sich Mühe geben kann. Wenn aber die Arbeit soweit vorgeschritten ist, daß man geheime Bestätigungen erlebt, so tut es nichts, wenn man gleichzeitig wieder die gewöhnlichen Geschäfte in Ordnung bringt, um auf diese Weise sein Karma zu erfüllen. Das heißt die lebendige Art des Kreislaufs des Lichts. Vor alters hat der wahre Mensch des purpurnen Polarlichts (Dsï Yang Dschen Jen) ein Wort gesprochen: »Wenn man seinen Wandel pflegt in Vermischung mit der Welt und doch im Einklang mit dem Licht, dann ist das Runde rund[105] und das Eckige eckig; dann lebt man unter den Menschen geheimnisvoll offenbar, anders und doch gleich und keiner kann es ermessen; dann bemerkt keiner unseren geheimen Wandel.« Die lebendige Art des Kreislaufs des Lichts hat eben den Sinn, in Vermischung mit der Welt und doch im Einklang mit dem Licht zu leben.

Quelle:
Das Geheimnis der goldenen Blüte. Olten/Freiburg i. Br. 1971, S. 103-106.
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