Erstes Buch

Kapitel I.

[15] Oft und angelegentlichst ward ich von vielen angegangen, mündlich wie schriftlich, daß ich die Beweisgründe, welche ich in Bezug auf einen bestimmten Punkt unseres Glaubens den Fragenden gewöhnlich entgegenstellte, durch ein Werkchen noch späteren Zeiten zugänglich mache; denn, so meinen sie, dieselben gefielen ihnen und wären zugleich ausreichend. Indes leitet sie bei ihren Bitten keineswegs die Vorstellung, als ob man mittelst der Vernunft zum Glauben gelange; vielmehr möchten sie bloß durch das nähere Verständnis und die Betrachtung des Glaubensinhaltes erquickt, und soviel möglich gerüstet sein, jedem, der da Rechenschaft fordert über den Gegenstand unserer Hoffnung, Rede zu stehen. Die große Frage pflegen nämlich die Ungläubigen, während sie die christliche Einfalt als Thorheit verhöhnen, aufzuwerfen, und auch die Gläubigen beschäftiget diese Frage in ihrem Innern vielfach: welches die bewirkende oder nötigende Ursache gewesen, um deren willen Gott Mensch wurde und, wie wir glauben und bekennen, durch seinen Tod der Welt das Leben gab; während er das nämliche ja auch durch eine andere Persönlichkeit: durch einen Engel, einen Menschen; oder auch durch seinen bloßen Willen erreichen konnte. Nicht bloß Gebildete, sogar Ungebildete denken viel über diese Frage nach und wünschten ihre Begründung zu kennen. Und da nun also viele an dieser Frage Interesse zeigen, und ihre Beantwortung auch, so erheblich die entgegenstehenden Bedenken scheinen, für alle faßbar und wegen der Förderung und Ausschmückung durch den Vernunftbeweis geradezu anziehend ist, so will ich, wiewohl die heil. Väter bereits Hinlängliches ausgeführt,[15] dennoch auch meinerseits, was Gott mir in Gnaden eingibt, für alle sich Rats Erholenden bekanntgeben. Und weil zumal die Form des Zwiegesprächs namentlich der langsameren Fassungskraft mehr entgegenkömmt, so wähle ich mir aus der Zahl meiner Mahngeister einen besonders Ungestümen heraus, in der Weise, daß Boso frägt und Anselm antwortet.


Kapitel II.

BOSO: Sowie die rechte Ordnung heischt, daß wir die Geheimnisse des christlichen Glaubens annehmen, bevor wir dieselben mit unserer Vernunft zergliedern; so erschiene es mir auf der anderen Seite als Denklässigkeit, wenn wir, nachdem wir einmal im Glauben befestiget sind, uns nicht die Mühe gäben, das, was wir glauben, nun auch mit der Vernunft anzufassen. Denn eben weil ich gewiß bin, daß die dem Glauben an unsere Erlösung vorauseilende Gnade mich so sicher halte, daß ich in diesem Glauben nicht wanke, auch wenn ich mit keinem Vernunftgrund dessen Inhalt zu fassen vermöchte; so bitte ich dich, wie dir wohlbekannt, zugleich als einer im Namen vieler, sage mir, welche nötigende oder wirksame Ursache konnte Gott, der doch allmächtig ist, haben, daß er die niedrige und schwache Menschennatur behufs deren Wiederherstellung an sich nahm?

ANSELM: Was du mich da frägst, übersteigt meine Fassungskraft; und ich nehme deshalb Anstand, mich an allzu Erhabenes zu wagen, damit nicht ein anderer, wenn ich seine Erwartungen unbefriedrigt lasse, glaube, daß die Wahrhaftigkeit der Thatsache mir nicht zu hinlänglich feststehe, da doch nur mein Verstand zu schwach ist, um selbe zu begreifen.

BOSO: Das hast du weniger zu fürchten; im Gegenteile wirst du dich erinnern, wie Gott uns oftmals bei Besprechung einer Frage Dinge aufdeckt, welche zuvor verborgen lagen; und wirst du darum getrost auf Gottes Gnade bauen, weil, indem du das umsonst Empfangene bereitwillig mitteilst, dich würdig machst, auch noch Höheres zu empfangen, was du bisher noch nicht erlangt.

ANSELM: Sodann obwaltet noch ein anderes Hemmnis, weshalb es kaum oder vielleicht gar nicht zu einer vollständigen Abhandlung über dieses Thema zwischen uns kommen mag, soferne[16] die Vorkenntnis von Möglichkeit, Notwendigkeit, Wille und anderen derartigen Begriffen erforderlich ist, die so innig unter einander zusammenhängen, daß sie sich nicht trennen lassen. Die Behandlung dieser aber fordert wiederum einige, wie ich übrigens gerne glaube, leichte und äußerst nutzbringende Mühewaltung; denn ausgerüstet mit dieser Kenntnis finden wir unschwer, was uns außerdem sehr schwer erschiene.

BOSO: Du wirst auch hierüber gegebenen Ortes dich kurz verbreiten können, indem du das für unseren Zweck Nötige anführst, alles Weitere aber auf gelegenere Zeit versparst.

ANSELM: Auch das noch schreckt mich von Gewährung deiner Bitte ab, daß der Gegenstand unserer Abhandlung nicht allein an sich ein erhabener ist, sondern daß derselbe, wie er (concret gedacht) hinsichtlich des Glanzes der Form die übrigen Menschenkinder übertrifft, so (abstract gefaßt) hinsichtlich der glänzenden Vernunftbegründung den menschlichen Verstand übersteigt. Und wie ich mich selbst über die ungeschickten Maler ärgere, welche unsern Herrn in unschöner Form darstellen, so fürchte ich, könnte es mir ergehen, indem ich einen so erhabenen Gegenstand meinem schmucklosen, unbeholfenen Räsonnement unterwerfe.

BOSO: Auch das dürfte dich nicht abschrecken, weil du ja einem jeden, der es besser machen kann und dem dein Räsonnement nicht genügt, die Möglichkeit offen läß'st, eine vollendetere Darstellung zu veröffentlichen. Uebrigens, um alle deine Einreden abzuschneiden – du hast es ja nicht mit Gelehrten aufzunehmen, sondern mit mir und mit den von mir vertretenen Bittestellern.

ANSELM: Da ich nun einmal dein und deiner Gesinnunsgenossen Ungestüm sehe, welche sich dabei lediglich von Liebe und religösem Eifer leiten lassen, so will ich nach meiner schwachen Kraft versuchen (unter dem Beistande Gottes und im Vertrauen auf euer Gebet, das ihr mir zu diesem Ende so oft versprochen), nicht so fast eure Fragen aufzuzeigen, als zugleich mit dir selbst Fragen zu stellen, indes mit dem Vorbeding, wie ich das zu Sagende aufgenommen wissen möchte: Nämlich sobald ich etwas sage, was nicht eine höhere Autorität bestätiget, so soll es, mag es der Vernunft auch noch so einleuchtend dünken, doch mit keiner anderen Gewißheit aufgenommen[17] werden, als dieses einstweilen meine persönliche Anschauung sei, bis daß Gott auf irgend eine Art mir Vollkommenes offenbaret. Sollte ich daher auch deine Fragen einigermaßen befriedigend lösen können, so bleibt doch immer gewiß, daß einem Einsichtsvolleren das noch besser hätte gelingen können; überhaupt stehe fest, was auch der Mensch äußern oder wissen mag, immer werden noch höhere Vernunftgründe verborgen bleiben.

BOSO: Gestatte denn, daß ich mich der Worte der Ungläubigen bediene! Denn billig müssen wir, wo es die Begründung unseres Glaubens anzustreben gilt, die Einwände derer kennen, welche erst nach dieser Begründung sich unserm Glauben nähern wollen. Wiewohl nun zwar jene eine solche Begründung verlangen, weil sie nicht glauben; wir aber, weil wir glauben; so bleibt es doch ein und dasselbe, was wir gemeinschaftlich verlangen. Im Falle du indes etwas antwortest, was einer heiligen Autorität scheinbar widerstreitet, wird mir diese Autorität vorzukehren gestattet sein, damit du Gelegenheit hast zu zeigen, daß es in Wirklichkeit jener Autorität nicht widerstreitet.

ANSELM: Laß denn hören, was dir auf dem Herzen liegt!


Kapitel III.

BOSO: Unter Verspottung unserer Einfalt rücken uns die Ungläubigen vor, daß wir Gott ein Unrecht und die Unbill zufügen, wenn wir behaupten, er sei in den Schoß der Jungfrau herabgestiegen, vom Weibe geboren worden, durch Milch und menschliche Speisen ernährt herangewachsen und, um anderes, was sich für Gott nicht ziemt, zu verschweigen, der Erschöpfung, dem Hunger, Durst, den Geißelstreichen und zuletzt dem Kreuztode zwischen Verbrechern unterworfen gewesen.

ANSELM: Wir sind weit entfernt, Gott ein Unrecht oder eine Unbill zuzufügen, da wir vielmehr mit heißestem Herzensdanke die unaussprechliche Tiefe seiner Barmherzigkeit loben und preisen; denn je wunderbarer, je überraschender[18] er uns aus dem schwersten und verschuldetsten Verluste, worin wir waren, zu den größten, unverdientesten Besitztümern zurückführte, welche wir verloren hatten; eine um so größere Liebe und Zuneigung hat uns bewiesen. Würden sie nur sorgfältig erwägen, wie angemessen auf diesem Wege die Wiedereinsetzung des Menschen erfolgt ist; sie hörten wahrlich auf, unsere Einfalt zu belächeln, und vereinigten sich mit uns zum Lobpreis der Weisheit und Güte Gottes. War es ja notwendig, daß, gleichwie durch den Ungehorsam eines Menschen der Tod in das Menschengeschlecht eingebrochen war, so auch durch den Gehorsam eines Menschen das Leben wiederum hergestellt würde; daß, gleichwie die Sünde, die Ursache unserer Verdammnis, vom Weibe ihren Ausgang genommen hatte, so der Urheber der wahren Gerechtigkeit und unseres Heiles vom Weibe geboren würde; daß schließlich der Satan, welcher den Menschen dadurch besiegt hatte, daß er ihn zu überreden vermochte, vom Baume zu genießen, dadurch besiegt würde, daß der Mensch am Baume ein Leiden erduldete, wovon gleichfalls der Satan die Schuld getragen. Übrigens gäbe es noch viel anderes, was näher betrachtet die ganze unsagbare Schönheit unserer auf diesem Wege veranstalteten Erlösung offenbarte.


Kapitel IV.

BOSO: All' das hört sich gut an und mag so zu sagen als Ausmalung sogar wohl gefallen; allein wenn solche Ausmalungen nicht auf fester Grundlage ruhen, so werden sie den Ungläubigen nicht zugänglich erscheinen zum Erweis unseres Glaubens daran, daß Gott all' das Gesagte habe leiden wollen. Wer ein Gemälde[19] entwerfen will, nimmt doch eine feste Unterlage, worauf er malt, damit das, was er malt, bleibe. Denn niemand malt auf das Wasser oder in die Luft, weil alsdann das Gemalte sofort sich verflüchtigte. Und da wir die von dir angezogenen Congruenzgründe den Ungläubigen so zu sagen nur die Ausmalungen einer wirklichen Thatsache entgegensetzen könnten, so glauben diese, um so mehr als sie hierin nicht eine Thatsache, sondern bloß eine Dichtung erblicken, wir malten unsern Glauben gleichsam in die Wolken. Es wird darum vor Allem die Festigkeit der vernunftgemäßen Wahrheit, genauer die Notwendigkeit zu erweisen sein, daß Gott zu dem unsrerseits Behaupteten sich habe erniedrigen müssen oder können. Dann erst, um die volle Wahrheit in desto hellerem Lichte glänzen zu lassen, werden jene Congruenzgründe als ebensoviele Ausmalungen dieser Wahrheit die ihnen gebührende Würdigung finden.

ANSELM: Mithin schiene das kein genugsam nötigender Grund dafür, daß Gott das von uns behauptete thun mußte, weil sonst das Menschengeschlecht, das kostbare Werk seiner Hände, zu Grunde ging, und es sich doch gewiß nicht ziemte, das dasjenige vollends vereitelt würde, was Gott in betreff des Menschen vorhatte; dieses sein Vorhaben jedoch nur zu Ende geführt werden konnte, wenn das Menschengeschlecht durch seinen Schöpfer selbst befreit wurde?


Kapitel V.

BOSO: Wäre ebendiese Befreiung nur nicht durch eine göttliche, sondern durch irgend eine andere Person (sei es durch einen Engel, sei es durch einen Menschen) auf irgendeinem Wege erfolgt, der Menschengeist könnte das begreiflicher finden. Denn Gott konnte ja auch einen sündelosen Menschen schaffen, den er also nicht aus der Masse der Sünder, noch von irgend einem Menschen hernahm, so wie er den Adam geschaffen hatte, um durch ihn alsdann jenes Werk vollbringen zu lassen.

ANSELM: Begreifst du nicht, daß, woferne irgend eine andere Person den Menschen vom ewigen Tode loskaufte, der Mensch mit Recht als deren leibeigener Diener anzusehen wäre? Das zugestanden, würde er aber dann nimmermehr in jene Würde zurückversetzt, die ihm zugedacht war, im Falle er nicht sündigte; da derjenige, der nur Diener Gottes und Ebenbürtiger der guten Engel in aller Zukunft sein sollte, nun zum Diener dessen würde, der nicht Gott ist, und dem die Engel nicht dienen.
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Kapitel VI.

BOSO: Ganz besonders erregt ihren Anstoß, daß wir diese Befreiung Erlösung nennen. In welcher Gefangenschaft, Haft oder Botmäßigkeit wurdet ihr denn, rufen sie uns entgegen, festgehalten, daraus euch Gott nicht anders befreien konnte, außer daß er durch so viele Leiden und endlich durch sein Blut euch erlöste? Entgegnen wir ihnen: Er hat uns von Sünden, von seinem Zorn, von der Hölle und der Gewalt des Satans erlöst, den er selbst an unserer Statt überwand, weil wir uns dessen zu schwach fühlten; auch hat er uns das Reich der Himmel erkauft, und uns, weil er all' dies solcherweise gethan, seine hochgradige Liebe bewiesen; alsdann halten sie die Antwort bereit: Vermochte Gott all' das nicht mit einem Machtworte zu erwirken, nachdem er, wie ihr sagt, mit einem Machtworte alles ins Dasein gerufen, so verfallt ihr in Widerspruch mit euch selbst, indem ihr ihn als Unmächtigen hinstellt. Oder im Falle ihr euch ausredet, daß er zwar auch auf andere Weise jenes wirken konnte, aber gerade auf diese Weise selbes wirken wollte; wie könnet ihr dann noch länger seine Weisheit verteidigen, da er nach eurer eigenen Behauptung so viel Unwürdiges ohne irgend einen vernünftigen Grund erdulden wollte? Denn auf seinem Willen beruht das alles, was ihr eben aufstellt; auch der Zorn Gottes ist ja nichts anderes, als sein Wille, zu strafen. Gott braucht einfach die Sünden der Menschen nicht strafen zu wollen, und der Mensch ist von Sünden frei und vom Zorne Gottes und von der Hölle und von der Botmäßigkeit unter den Satan, was er alles nur seiner Sünden wegen erduldet, wogegen er hinwieder alles zurückempfienge, dessen er um eben jener Sünden willen beraubt ist. Denn wessen Gewalt ist zuletzt Hölle und Satan unterworfen? Und wer schaltet über das Reich der Himmel, wenn nicht derjenige, welcher alles gemacht hat? Was ihr daher euch fürchtet oder hoffet, seinem Willen untersteht es, dem selber nichts widersteht. Daher müßt ihr, vorausgesetzt, daß er das menschliche Geschlecht nur in der angegebenen Art retten wollte, da er durch einen bloßen Akt des Willens das Gleiche erreichen konnte, wohl einsehen, daß ihr,[21] gelinde gesagt, seiner Weisheit nahetretet. Denn gewiß dürfte ein Mensch der, was er leicht vollbringen könnte, ohne besonderen Grund nur unter schwerer Bemühung vollbrächte, von niemanden als weise beurteilt werden. Saget ihr aber, Gott habe auf diese Weise seine Liebe bewähren können, so ließe sich das nur festhalten, wenn bewiesen würde, daß er den Menschen nicht auch auf andere Weise zu retten vermochte. Nur dann, wenn er ihn nicht auch auf andere Weise zu retten vermochte, ließe sich vielleicht die Notwendigkeit erklären, auf diese Weise seine Liebe zu beurkunden. Nun er ihn aber auf andere Weise zu retten vermochte, was übriget für ein Grund, daß er zur Beurkundung seiner Liebe das, was ihr saget, thue und trage? Oder läßt er die guten Engel seine Liebe nicht erkennen, für die er nichts derart trägt? Und welchen Sinn soll es vollends haben, wenn ihr sagt, daß er gekommen sei, um an eurer Statt den Satan zu überwinden? Oder herrscht Gott nicht überall in Kraft seiner Allgewalt? Wiefern bedurfte er daher, um den Satan zu überwinden, vom Himmel herniederzusteigen? All' das, scheint mir, können die Ungläubigen uns einwenden.


Kapitel VII.

Ferners kann ich auch darauf kein großes Gewicht legen, was wir ihnen gewöhnlich erwidern, daß Gott mehr auf dem Wege Rechtens gegen den Satan vorgehen mußte, um den Menschen zu befreien, als auf dem Wege der Gewalt, so daß dann der Satan, indem er denjenigen tötete, der den Tod nicht verdiente, und der Gott war, mit Recht die Gewalt einbüßte, welche er über die Sünder inne hatte; ansonst Gott ungerechte Gewalt dem Satan zugefügt hätte, weil dieser mit Recht den Menschen zu eigen besaß, den er nicht mit Gewalt an sich gerissen, sondern der sich freiwillig ihm ergeben. Ja wenn der Satan oder der Mensch sich selber oder irgend jemand anderen als Gott gehörte, oder wenn sie irgend einer anderen als der göttlichen Gewalt unterstünden, möchte so etwas vielleicht mit Recht geltend gemacht werden. Nun aber der Satan und der Mensch Eigentum Gottes sind, und keiner von beiden sich der Herrschaft Gottes zu entziehen vermag; was brauchte Gott mit dem Seinigen wegen des Seinigen an dem Seinigen weiter zu thun, als daß er seinen Knecht züchtigte, der seinen Mitknecht verleitete, den gemeinschaftlichen Herrn zu verlassen und zu ihm überzugehen; der auch als Verräter den Fahnenflüchtigen, als Dieb den[22] Genossen zusamt dem Diebstahle am Eigentume seines Herrn in die Gewalt bekam? Beide nämlich waren sie Diebe, soferne der eine auf die Ueberredung des anderen hin seinem rechtmäßigen Herrn sich entzog. Was hätte gerechter sein können, als wenn Gott also verfahren wäre? Oder wäre es eine Ungerechtigkeit zu nennen gewesen, im Falle Gott – der Richter über alles – den vom Satan angeeigneten Menschen aus den Händen seines unrechtmäßigen Besitzers entrissen hätte, sei es, um ihn doch anders als durch den Satan strafen zu lassen, sei es auch um seiner ganz zu schonen? Denn gesetzt auch, daß der Mensch mit Recht vom Satan gequält wurde, so hatte dieser wenigstens kein Recht, ihn zu quälen. Wohl hatte der Mensch Strafe verwirkt und erlitt er diese mit vollstem Rechte seitens desjenigen, der ihn zur Sünde zu verführen wußte. Allein der Satan besaß kein Recht, jene Strafe zu vollstrecken, und zwar dies um so weniger, als nicht Liebe zur Gerechtigkeit, sondern einzig der Trieb zur Bosheit hiebei ihn leitete. Zudem vollstreckte er jene Strafe nicht auf Befehl, sondern bloß unter Zulassung Gottes, dessen unergründliche Weisheit auch das Böse zum Guten wenden kann. Und ich glaube auch, daß jene, welche dem Satan einem Rechtstitel auf den Besitz des Menschen zuerkennen, nur dadurch auf diese Vorstellung geführt werden, weil sie den Menschen verdientermaßen der Ahndung durch den Satan unterworfen sehen, einer Ahndung, welche Gott mit recht zuläßt; so eben glauben sie, daß der Satan mit Recht diese Ahndung vollstrecke. Kann ja ein- und dasselbe, von verschiedenen Gesichtspunkten aus angesehen, gerecht oder aber ungerecht sein, worauf sodann von einem minder sorgfältigen Beobachter sogleich das Ganze für gerecht oder aber für ungerecht gehalten wird. Es kann ja doch zutreffen, daß jemand einen Unschuldigen ungerechter Weise schlägt, so daß er nun selber mit Fug geschlagen zu werden verdiente; wenn aber dann der Geschlagene sich nicht zur Wehr setzen soll, und dennoch seinen Vergewaltiger wieder schlägt, so begeht er jetzt ein Unrecht. Dieser Schlag erscheint nunmehr auf Seiten des Wiederschlagenden als ein Unrecht, da er sich nicht hätte zur Wehr setzen sollen; auf Seiten des Geschlagenen jedoch als ein Recht, nachdem der ungerecht Schlagende mit Fug geschlagen zu werden verdiente. So zeigt sich ein- und dieselbe Handlung von verschiedenen Gesichtspunkten aus angesehen, als gerechte oder aber als ungerechte, während sie leicht[23] von einem bloß als gerechte, von einem andern hinwieder bloß als ungerechte beurteilt werden könnte. Aehnlich sagt man vom Satan, daß er mit Recht den Menschen züchtige, einmal, weil Gott mit Recht solches zulasse; sodann, weil der Mensch mit Recht solches leide. Indessen mag man auch sagen, daß der Mensch mit Recht solches leide, so darf das doch keineswegs so verstanden werden, wie wenn er kraft seiner (des Satans) Gerechtigkeit mit Recht solches litte, als daß er vielmehr gestraft wird nach einem gerechten Urteile Gottes. Und verweist man uns auch auf jene Handschrift des Beschlusses, welche laut Zeugnis des Apostels wider uns gezeugt hat und durch Christi Tod getilgt worden ist; und wollte einer hieraus ableiten, der Satan fordere – vor Christi Tod – so zu sagen auf Grund einer Vertragshandschrift mit Recht vom Menschen die Sünde, gleichsam als Zins für jene erste Sünde, zu welcher er ihn verleitete, und als Strafe für jene Sünde, um dadurch scheinbar sein Anrecht auf den Menschen zu beweisen, so könnte ich einer derartigen Auslegung meinen Beifall nicht gewähren. Denn nicht auf den Satan lautete jene Handschrift, da sie Handschrift des Beschlusses heißt, jener Beschluß aber nicht vom Satan herrührte, sondern von Gott. Nämlich durch ein gerechtes Gottesurteil war beschlossen und so zu sagen handschriftlich beurkundet worden, es solle der Mensch, nachdem er aus freien Stücken gesündiget hatte, nun auch aus sich nicht mehr wie der Sünde, so der Strafe entrinnen können; »dieweil der Geist geht und nicht mehr wiederkehrt«; und »ein jeglicher, der Sünde thut, auch der Sünde Knecht ist,« und endlich, wer sündiget, nicht länger ungestraft bleiben darf, es sei denn, daß die Barmherzigkeit des Sünders schone und ihn erlöse und zurückbringe. Folglich müssen wir glauben, daß aus der fraglichen Handschrift ein Rechtstitel Satans auf die Züchtigung des Menschen nicht erfindlich sei. Kurz wie beim guten Engel keinerlei Ungerechtigkeit, so zeigt sich beim bösen Engel keinerlei Gerechtigkeit als vorhanden. Dann stand aber auch bezüglich des Satans nichts im Wege, daß Gott wider ihn zum Zwecke der Befreiung des Menschen nicht von seiner Gewalt hätte Gebrauch machen dürfen.


Kapitel VIII.

ANSELM: Es muß unserer Vernunft genügen, daß es der Wille Gottes ist, so oft Er etwas thut, mögen wir auch[24] nicht einsehen, warum Er es so will; denn der Wille Gottes ist niemals vernunftwidrig.

BOSO: Das hat seine Richtigkeit, sobald erwiesen ist, Gott wolle das, um was es sich handelt; allein viele können sich nicht überreden, daß Gott das will, was der Vernunft zu widerstreiten scheint.

ANSELM: Was scheint dir der Vernunft zu widerstreiten an unserer Behauptung, Gott habe das gewollt, was wir betreffs seiner Fleischwerdung glauben?

BOSO: Um es kurz zu sagen, dies – das der Höchste zu so Niedrigem sich herablasse; daß der Allmächtige mit so schwerem Opfer etwas vollbringe.

ANSELM: Die so reden, wissen nicht, was wir glauben. Denn daß die göttliche Natur leidensunfähig sei, behaupten wir sonder Zweifel, wie auch, daß sie von ihrer Höhe nicht herabsteigen, noch in dem, was sie vollbringen wolle, eine Beschwernis finden könne. Allein wir sagen, daß der Herr Jesus Christus wahrer Gott und zugleich wahrer Mensch sei, Eine Person in zwei Naturen und zwei Naturen in Einer Person. Folglich wenn wir sagen, daß Gott etwas Niedriges oder Schwaches erleide, verstehen wir das nicht von der erhabenen, leidensunfähigen Natur, sondern von der schwachen menschlichen Wesenheit, die er an sich trug; und so ist es alsdann deutlich, daß durchaus keine Vernunftinstanz unserem Glauben hinderlich würde. Verzeichnen wir ja nicht eine Erniedrigung der göttlichen Wesenheit, indem wir auf die Eine Person des Gott-Menschen verweisen. Durch die Menschwerdung ist nicht etwa Gott irgend eine Erniedrigung zugegangen, sondern wurde die menschliche Natur erhöht; so lehrt es der Glaube.

BOSO: Zugegeben; nichts werde der göttlichen Natur beigelegt, was von der menschlichen Schwachheit bei Christus ausgesagt ist! Allein wie sollte es als gesetz- oder vernunftmäßig sich darthun lassen, daß Gott jenen Menschen, welchen er, der Vater, »seinen geliebten Sohn nannte, woran er sein Wohlgefallen finde,« und zu dem in der That der Sohn sich selbst gemacht hatte, so behandelte oder auch nur behandeln ließ? Oder ist das eine Gerechtigkeit, den gerechtesten aller Menschen anstatt des Sünders dem Tode zu überliefern? Wo wäre selbst der Mensch, welcher für nicht verurteilungswürdig gälte, sobald er einen Unschuldigen verurteilte, um einen Schuldigen zu befreien? Auf dieselbe Ungereimtheit scheint es, läuft hinaus, was[25] oben behauptet wurde. Denn woferne Gott nicht anders die Sünder retten konnte, als indem er einen Gerechten verurteilte, wo bleibt alsdann seine Allgewalt? Konnte er es aber und wollte er es nicht, wie werden wir alsdann seine Weisheit und Gerechtigkeit verteidigen?

ANSELM: Gott der Vater hat keineswegs, wie du die Sache zu verstehen scheinst, jenen Menschen hart behandelt oder einen Unschuldigen statt des Schuldigen dem Tode überantwortet. Denn nicht etwa gegen seinen Willen hat er jenen zum Tode gezwungen oder ihn zu töten befohlen, sondern aus freien Stücken nahm jener selbst den Tod auf sich, um die Menschheit zu erretten.

BOSO: Und dennoch scheint er ihn, wenn auch nicht gegen seinen Willen, da er dem Willen seines Vaters zustimmte, gewissermaßen durch einen Befehl gezwungen zu haben; heißt es ja, daß Christus sich selbst erniedrigte, indem er seinem Vater gehorsam war bis zum Tode, ja bis zum Tode des Kreuzes, weshalb Gott ihn auch erhöhte; ferner: »Er lernte Gehorsam aus dem, was er erlitten« und wiederum: »Seines eigenen Sohnes hat der Vater nicht geschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben.« Auch erklärt derselbe Sohn: »Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu thun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat;« und beim Betreten seines Leidensweges spricht er: »Gleichwie der Vater mir geboten, also thue ich;« desgleichen: »Der Kelch, den der Vater mir gegeben, werde ich ihn nicht austrinken?« und an einer anderen Stelle: »Vater, wenn es möglich ist, so laß ihn vorübergehen, diesen Kelch; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst«; abermals: »Vater, wenn er denn nicht vorübergehen kann, dieser Kelch, ohne daß ich ihn trinke, so geschehe dein Wille!« Nach all' diesen Aeußerungen scheint denn Christus doch mehr in Folge zwingenden Gehorsams als einer frei verfügenden Willensmeinung den Tod erlitten zu haben.


Kapitel IX.

ANSELM: Wie mir deucht, unterscheidest du zu wenig zwischen dem, was er gethan, weil der Gehorsam es forderte, und zwischen dem, was er an sich thun ließ, ohne daß der Gehorsam es forderte, bloß weil er freiwillig im Gehorsam verharrte.[26]

BOSO: Das mußt du mir schon deutlicher erklären.

ANSELM: Warum verfolgten ihn die Juden bis zum Tode?

BOSO: Aus keinem anderen Grunde, als weil er Wahrheit und Gerechtigkeit in Wort und That unwandelbar festhielt.

ANSELM: Dies, glaube ich, fordert Gott von jeder vernünftigen Kreatur, und dies schuldet sie Gott in Kraft des Gehorsams.

BOSO: So lehrt es uns der Glaube.

ANSELM: Diesen Gehorsam nun schuldete auch jener Mensch Gott dem Vater, sowie überhaupt die Menschheit der Gottheit, und einzig diesem Gehorsam hatte der Vater von ihm gefordert.

BOSO: Kein Zweifel hierüber.

ANSELM: Da siehst du jetzt, was er gethan, soferne der Gehorsam es forderte.

BOSO: Ganz richtig; und nun erkenne ich auch, was er an sich geschehen ließ, soferne er im Gehorsam verharrte. Denn nur deshalb ward ihm der Tod zugefügt und ertrug er ihn, soferne er im Gehorsame verharrte. Wie indes der Gehorsam solches nicht hätte fordern sollen, das leuchtet mir noch nicht ein.

ANSELM: Gesetzt, der Mensch hätte nie gesündigt, müßte er gleichwohl den Tod erleiden, oder müßte ihn Gott gleichwohl von ihm fordern?

BOSO: Nach unserm Glauben würde der Mensch in diesem Falle nicht sterben, und würde solches von ihm auch nicht gefordert. Allein die Begründung dessen möchte ich gerne von dir hören.

ANSELM: Daß die vernünftige Kreatur gerecht erschaffen wurde und zu dem Ende, im Genusse Gottes selig zu sein, wirst du kaum leugnen.

BOSO: Nicht im mindesten.

ANSELM: Du würdest es aber auch Gottes nicht würdig erachten, wenn er die gerechte und für die Seligkeit erschaffenne Kreatur zwänge, ohne Verschuldung unglücklich zu sein; und gewiß wäre es ein Unglück für den Menschen, gegen seinen Willen sterben zu müssen.

BOSO: Es ist offenbar, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte, müßte Gott den Tod nicht von ihm fordern.

ANSELM: Dann hat aber Gott auch Christum, in dem keine Sünde war, nicht gezwungen zu sterben, sondern hat dieser selbst aus freien Stücken den Tod auf sich genommen, nicht aus Gehorsam, das Leben zu verlassen, sondern wegen des Gehorsams, die Gerechtigkeit zu bewahren, worin er so standhaft verharrte, daß er zufolge dessen in den Tod ging. Man könnte auch sagen: Weil der Vater ihm zu sterben befahl, so befahl er sich selbst – mit jenem –, in den Tod zu gehen. Also that er, »gleichwie der Vater ihm aufgetragen«, und »trank er den Kelch, welchen dieser ihm dargereicht;« und »ward er gehorsam dem Vater[27] bis zum Tode« und »lernte er aus dem, was er erlitten, Gehorsam«, das will sagen, bis zu welchem Grade man Gehorsam üben müsse. Das hier stehende Wort: »er lernte« läßt übrigens eine doppelte Deutung zu. Entweder steht es für: »er ließ Andere lernen« oder »er lernte nun auch noch durch die Erfahrung, was der Erkenntnis nach ihm längst bekannt war.« Daß aber der Apostel den Worten: »Er hat sich erniedriget, indem er gehorsam war bis zum Tode, ja bis zum Tode des Kreuzes« beifügte: »Weswegen ihn Gott auch erhöhte und ihm einen Namen gab, der über alle Namen ist«, ähnlich wie David sagte; »Vom Bache am Wege wird er trinken, weswegen er das Haupt erheben wird«, so hat das jedenfalls nicht den Sinn, als ob er zu jener Erhöhung gar nicht anders hätte gelangen können, außer durch den Gehorsam bis zum Tode; oder daß ihm jene Erhöhung nur als Belohnung seines Gehorsames zu teil geworden wäre; (denn ehe er litt, bekannte er selbst, daß »ihm alles vom Vater sei übertragen worden«), und »er alles mit dem Vater gemein habe«, sondern es hat lediglich den Sinn, daß er selber gemeinsam mit dem Vater und hl. Geiste beschlossen hatte, nicht anders denn durch den Tod die Erhabenheit seiner Allmacht der Welt zu bekunden; was nun aber beschlossenermaßen nur durch jenen Tod erfolgen sollte, läßt sich füglich als wegen desselben geschehen darstellen, sobald es durch denselben geschieht. Wenn wir etwas zu unternehmen beabsichtigen, jedoch eine Handlung vorausgehen lassen, durch welche das Beabsichtigte hernach möglich gemacht werden soll, so sagt man ja auch, wenn nun nach Eintritt der vorausgehenden Handlung das Beabsichtigte wirklich geschieht, ebenso sehr mit Recht, es geschehe deshalb, weil nämlich das geschah, um dessen willen das Beabsichtigte hinausgeschoben wurde, und das Beabsichtigte überhaupt nur auf diesem Wege geschehen sollte. Ein Beispiel möge die Sache klar machen. Wenn ich einen Fluß, über den ich auch zu Pferde oder mittelst eines Kahnes setzen könnte, nur mittels eines Kahnes passieren will, und wenn ich deshalb das Hinübersetzen verzögere, weil im Augenblicke[28] kein Schiff zu Gebote steht; so sagt man mit Recht von mir, wenn ich nun hinübersetze, sobald ein Schiff zur Stelle gekommen: das Schiff lag bereit, darum setzte er über. Und wir drücken uns so aus, nicht bloß wenn wir durch eine vorausgehende, sondern auch, wenn wir nach einer vorausgehenden Handlung etwas Bestimmtes eintreten zu lassen vorhaben. Wer z.B. deshalb nichts genießt, weil er an diesem Tage der Meßfeier noch nicht angewohnt, zu dem mag man füglich, sobald einmal das vorüber ist, was er vorausgehen lassen wollte, sagen: »Iß jetzt, weil du das bereits gethan, um deswillen du zu essen gezögert!« Noch weniger darf die Redeweise befremden, wenn wir von Christus sagen, er sei erhöht worden deshalb, weil er den Tod auf sich genommen, durch welchen und nach welchem er jene Erhöhung zu gewinnen vorhatte. Es kann auf dieselbe Weise verstanden werden, wonach es von demselbem Herrn heißt: »er hätte zugenommen an Weisheit und Gnade bei Gott«, nicht, weil dem so wäre, sondern weil er sich so gab, wie wenn dem so wäre. So wurde er nach dem Tode erhöht, gleichwie wenn das wegen des Todes geschehen wäre. Was aber seinen Anspruch betrifft: »Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu thun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat,« so verhält es sich mit ihm, wie mit jenem andern: »Meine Lehre ist nicht meine Lehre;« was jemand nicht von sich, sondern von Gott hat, darf er nicht so fast sein, als Gottes Eigentum nennen. Kein Mensch aber hat von sich die Wahrheit, welche er vorträgt, oder den gerechten Willen, sondern von Gott. Folglich kam Christus nicht, seinen Willen zu thun, sondern den des Vaters, da der gerechte Wille, den er besaß, nicht von der Menschheit herrührte, sondern von der Gottheit. »Seines eigenen Sohnes hat Gott nicht geschont, sondern für uns alle ihn dahingegeben« will nichts anderes heißen, als: Er befreite ihn nicht. Derlei findet sich vielfach in der heiligen Schrift. Wo er ferners sagt: »Vater, falls es möglich ist,[29] möge von mir vorübergehen jener Kelch; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!« und: »Wenn dieser Kelch nicht vorübergehen kann, es sei denn, daß ich ihn trinke, so geschehe dein Wille«, drückt er bloß das seinem Willen eigentümliche, naturmäßige Begehren nach Errettung aus, zufolge dessen das menschliche Fleisch vor dem Todesschmerze erbebte. Von dem Willen des Vaters vollends redet er nicht, als hätte der Vater den Tod seines Sohnes lieber gewollt denn dessen Leben; sondern soferne der Vater die Wiederherstellung des Menschengeschlechtes an die Eine Bedingung knüpfte, daß der Mensch etwas so Großes vollführte, wie jener Tod es war. Weil indes die Vernunft nicht fordern konnte, was jeder andere zu thun außer stand war, darum behauptet der Sohn, daß jener (der Vater) gerade seinen Tod wolle; um so mehr er selbst lieber diesen erleiden, als die Erlösung des Menschengeschlechtes hintansetzen wollte. Es ist, als sagte er: Im Falle du die Versöhnung der Welt an diese Bedingung knüpfest, so muß ich bekennen, daß du auf diese Weise meinen Tod willst; so geschehe denn dein Wille, ich sterbe, wenn nur die Welt mit dir versöhnt wird. Denn oft sagen wir, daß jemand etwas will, weil er etwas anderes nicht will, das, wenn er es wollte, den Eintritt dessen verhindern würde, was er, wie wir sagen, wirklich will; so wenn wir sagen, derjenige wolle eine Lampe auslöschen, welcher das Fenster nicht schließen will, wodurch der die Lampe auslöschende Luftzug hereindringt. In diesem Sinne allerdings wollte der Vater den Tod des Sohnes, daß er die Welt um keinen anderen Preis erlöst sehen wollte, es sei denn, daß der Mensch das angedeutete große Werk vollbrächte. Für den Sohn hinwieder, welcher das Heil der Menschen wollte, hatte das, indem kein zweiter jene Leistung zu vollbringen vermochte, die gleiche Bedeutung, als ob jener ihm zu sterben befahl, und deshalb that er, sowie der Vater ihm Auftrag gegeben, und trank er den Kelch, welchen der Vater ihm dargereicht, trank er ihn, gehorsam bis zum Tode.


Kapitel X.

Richtig wäre auch die Vorstellung, daß vermittelst der frommen Willensrichtung, in deren Kraft der Sohn für das Heil der Welt sterben wollte, der Vater ihm (natürlich mit Ausschluß alles Zwanges) das Gebot und den Kelch der Leiden gab, und sein nicht schonte, sondern ihn für uns dahingab und seinen Tod wollte; und daß der Sohn hierauf gehorsam war bis zum[30] Tode, und aus dem, was er litt, Gehorsam lernte. Gleichwie er ja seiner Menschheit nach nicht aus sich den Willen besaß, gerecht zu leben, sondern vom Vater her, so konnte er auch jene Willensgeneigtheit, vermöge deren er, um so viel Gutes zu stande zu bringen, sterben wollte, »vom Vater der Lichter« haben, »von dem jede gute Gabe stammt und jedes vollkommene Geschenk;« und so gut es vom Vater heißt, er ziehe, weil er den Willen verleiht; darf man von ihm wohl auch behaupten, er treibe an. Sowie nämlich der Sohn vom Vater aussagte: »Niemand kömmt zu mir, es sei denn der Vater hätte ihn gezogen;« konnte er auch sagen, es sei denn, er hätte ihn getrieben. Ähnlich durfte er weiterfahren: Niemand eilt in den Tod um meines Namens willen, wenn nicht der Vater ihn angetrieben oder gezogen. Und da ein jeglicher durch den Willen zu dem, was er unbeugsam festhält, gezogen oder getrieben wird, so läßt sich ja wohl füglich sagen, Gott ziehe oder treibe, indem er eine derartige Willensrichtung zuteilt; nur daß freilich bei solchem Zuge oder Triebe keine Gewalt anthuende Nötigung, vielmehr freiwillige und bereitwillige Beharrlichkeit des entgegenkommenden guten Willens vorauszusetzen bleibt. Läßt sich demnach nicht leugnen, daß der Vater durch Verleihung jenes Willens den Sohn zum Tode gezogen oder angetrieben; wer sieht nicht ein, daß er auf gleiche Weise das Geheiß ihm gegeben, freiwillig den Tod auf sich zu nehmen, und den Kelch, welchen dieser nicht wider Willen trinken sollte? Und ist der Ausdruck richtig, daß der Sohn seiner selbst nicht schonte, sondern freiwillig für uns sich dahingegeben; wer möchte die Richtigkeit des andern Ausdruckes beanstanden, daß der Vater, von dem er solche Willensrichtung hatte, seiner nicht schonte, sondern ihn für uns dahingab und seinen Tod wollte? Auf die bezeichnete Art, war der Sohn, indem er unentwegt und freiwillig den vom Vater zugekommenen Willen bewahrte, diesem gehorsam bis zum Tode, und lernte er aus dem, was er litt, Gehorsam, d.h. wie viel sich Großes erreichen lasse durch Gehorsam. Denn nur dann ist der Gehorsam recht und schlecht, sobald die vernünftige Kreatur nicht gezwungen, sondern frei den von Gott zugegangenen Willen festhält. Noch anders könnten wir richtig verstehen, daß der Vater[31] den Tod seines Sohnes gewollt habe, obschon das Angeführte bereits ausreichen möchte. So gut wir nämlich sagen, derjenige wolle, welcher doch nur bewirkt, daß ein anderer will; mit demselben Rechte sagen wir, derjenige wolle, welcher zwar nicht bewirkt, daß ein anderer will, aber doch es gutheißt, daß derselbe will; so wenn wir jemanden mutig eine Beschwerde tragen sehen, damit er, was er löblich anstrebt, zu Ende führe; so wollen oder wünschen wir sicherlich nicht seine Beschwerde, wohl aber seine Willensausdauer, obschon unser Geständnis lautet, wir wollen, daß er jene Beschwerde auf sich nehme. Auch im Falle jemand etwas hindern könnte, und gleichwohl es nicht hindert, pflegen wir zu sagen, er wolle, was er nicht hindert. Indem also dem Vater der Wille des Sohnes gefiel, und er diesen nicht hinderte, zu wollen, oder auch, das Gewollte zu erfüllen: besteht denn gewiß der Ausdruck zu Rechte, er habe gewollt, daß der Sohn so verdienstlich als kindlich den Tod über sich ergehen ließ, mochte ihn gleich dessen Opfer noch so sehr schmerzen. Daß der Kelch aber getrunken werden mußte, meinte er nicht in dem Sinne, wie wenn er dem Tode nicht hätte entrinnen können, falls er gewollt hätte; sondern weil, wie gesagt, die Welt anders nicht erlösbar war; und da wollte er selbst unbeugsam eher den Tod erdulden, als die Welt unerlöst lassen. So bediente er sich obiger Worte bloß, um das Menschengeschlecht zu belehren, wie es lediglich durch seinen Tod erlöst werden konnte; nicht um dadurch zu bekunden, er hätte dem Tode verfallen müssen. Und was übrigens noch anderes hiemit Verwandtes über ihn behauptet werden mag, es ist immer so auszulegen, daß man nicht glauben darf, er sei irgendwie gezwungen, statt mit freier Willensentschließung gestorben. Er war ja allmächtig, und steht von ihm geschrieben, »daß er geopfert wurde, weil er selbst wollte«. Und er selber bekennt: »Ich gebe mein Leben hin, um es wieder zu nehmen; niemand nimmt es von mir, sondern ich gebe es von mir selbst. Ich habe Gewalt, mein Leben hinzugeben, und wieder es zurückzunehmen.« Demgemäß hat man gewiß kein Recht zu sagen, er werde zu dem, was er doch aus eigener Macht und Willensentschließung thut, gezwungen.[32]

BOSO: Dies allein, daß ihn Gott, obschon mit seinem Willen, so behandelt werden ließ, scheint einem solchen Vater gegenüber einem solchen Sohne nicht zu ziemen.

ANSELM: Im Gegenteile ziemte es einem solchen Vater ganz und gar, beizustimmen einem solchen Sohne, sobald derselbe, löblich zur Ehre Gottes und nutzbringend für das Heil der Menschen, etwas anstrebt, was auf anderem Wege unerreichbar war.

BOSO: So stehen wir also noch immer auf dem Punkte, wie sich jener Tod als vernünftmäßig und notwendig darthun lasse. Anderen Falles, so scheint es, hätte weder der Sohn ihn wollen, noch der Vater dazu zwingen oder auch nur die Erlaubnis geben sollen. Die Frage lautet: Weshalb Gott den Menschen nicht auf andere Weise retten konnte, oder wenn er das konnte, warum er auf diesem Wege es wollte? Auf der einen Seite ist es scheinbar Gottes nicht würdig, daß er auf diesem Wege den Menschen rettete; auf der andern Seite ist nicht klar, was jener Tod zur Errettung des Menschen beiträgt. Denn es wäre doch eigentümlich, wenn Gott so sehr Freude an und Bedürfniß nach dem Blute der Unschuld empfände, daß er erst bei vorausgehender Tötung eines solchen Opfers den Schuldigen verschonen wollte oder könnte.

ANSELM: Da du bei dieser Streitfrage die Rolle derer übernimmst, welche nichts glauben wollen, ohne daß es ihnen durch die Vernunft zuvor bewiesen wurde; so will ich einen Vertrag mit dir eingehen, daß an Gott auch nicht das mindeste Unziemliche von uns vorausgesetzt werde, sowie daß der schwächste Vernunftgrund, bis ein stärkerer ihm entgegentritt, als zulässig befunden werde. Denn wie bei Gott selbst die geringste Unziemlichkeit zur Unmöglichkeit gehört, so pflegt der schwächste Vernunftgrund, bis ein stärkerer ihn entkräftet, seine Annahme zu erzwingen.

BOSO: Nichts will ich mir lieber gefallen lassen, als daß dieser Vertrag zwischen uns beiderseits gelte.

ANSELM: Nur um die Fleischwerdung Gottes und um das, was wir in betreff jenes von ihm angenommenen Menschen glauben, dreht sich die Frage.

BOSO: So ist es.

ANSELM: Setzen wir nun, die Fleischwerdung Gottes, und was wir von jenem Menschen aussagen, entbehre der Wirklichkeit; und es sei unter uns nur ausgemacht, daß der Mensch zu einer Seligkeit geschaffen, welche er in diesem Leben nicht finden kann; sowie daß niemand ohne Vergebung der Sünden zu jener Seligkeit gelangen könne; ferners, daß kein Mensch in[33] diesem Leben sündelos sein könne, und noch einiges andere, was unter Bedingung der Seligkeit zu glauben geboten wird!

BOSO: Gut; denn bei all' dem zeigt sich nichts, was für Gott unziemend oder gar unmöglich wäre.

ANSELM: Die Vergebung der Sünden ist mithin für den Menschen notwendig, auf daß er zur Seligkeit gelange.

BOSO: Daran halten wir alle fest.


Kapitel XI.

ANSELM: Die Frage ist nun, auf welche Weise Gott den Menschen die Sünde nachlasse. Und um hiebei sicherer zu gehen, so wollen wir zuerst erfahren, was es heiße: sündigen, und was es heiße: für die Sünden Genugthuung leisten.

BOSO: An dir ist es, zu bemerken; an mir, aufzumerken.

ANSELM: Gäbe der Engel und der Mensch Gott stets, was ihm gebührt, so sündigte er niemals.

BOSO: Ich kann dem nicht widersprechen.

ANSELM: Dann ist aber auch Sündigen nichts anderes, als Gott das Schuldige vorenthalten.

BOSO: Was ist aber das Schuldige, das was wir Gott schulden?

ANSELM: Der gesamte Vernunftwille der Kreatur muß Gottes Willen unterworfen sein.

BOSO: Nichts wahrer[34] als das.

ANSELM: Da hätten wir denn die Gebühr, welche Engel und Mensch Gott schulden; durch deren Entrichtung die Sünde vermieden wird, indes ein jeder, der sie nicht entrichtet, sündiget. Hierin ruht die Gerechtigkeit oder die rechte Beschaffenheit des Willens, welche eben gerecht macht, oder, was das selbe ist, rechten Herzens, d.h. Willens; das ist die eine und ganze Ehre, welche wir Gott zollen und welche Gott auch thatsächlich von uns fordert. Einzig solche Willensgesinnung macht die Werke vor Gott wohlgefällig, wenn man sie vollbringen kann; und kann man sie nicht vollbringen, so ist jene Willensgesinnung für sich schon wohlgefällig, indes ohne sie nie ein Werk gefällt. Wer aber diese schuldige Ehre Gott entzieht, der raubt, was sein ist, und entehret Gott, und das heißt Sündigen. Solange er dann das Geraubte nicht erstattet, bleibt die Schuld auf ihn lasten; und es genügt nicht, bloß das Genommene zurückzugeben, sondern er ist wegen der zugefügten Kränkung gehalten, mehr zu erstatten, als er genommen hat, gleichwie derjenige, der die Wohlfahrt eines Anderen schädigt, nicht genug thut, wenn er für die Herstellung der geschädigten Wohlfahrt Sorge trägt, sondern auch noch zur Erlegung eines Schmerzengeldes verpflichtet ist; ebenso muß, wer die fremde Ehre angegriffen, nicht allein diese Ehre wieder herstellen, sondern zugleich eine von dem Gekränkten näher zu bestimmende angemessene Genugthuung hinzufügen. Auch das ist zu beachten, daß, im Falle einer das ungerechter Weise Genommene zurückerstattet, er etwas geben muß, das von ihm nicht gefordert werden könnte, woferne er nicht Fremdes sich angeeignet. So muß demnach jeder, welcher sündigt, die geraubte Ehre Gott zurückgeben; und hierin besteht die Genugthuung, die jeder Sünder Gott zu leisten hat.

BOSO: Auf all dieses wüßte ich, da wir lediglich der Vernunft zu folgen uns vornahmen, trotz kleiner Bedenklichkeiten gleichwohl eine erhebliche Erinnerung nicht vorzubringen.


Kapitel XII.

ANSELM: Kehren wir nun zurück und sehen wir zu, ob es Gott würdig wäre, aus reiner Erbarmung ohne irgend eine Sühne für die ihm entzogene Ehre die Sünde nachzulassen.

BOSO: Warum dem nicht so wäre, vermöchte ich kaum einzusehen.[35]

ANSELM: In solcher Weise die Sünden nachlassen, hieße dieselben nicht strafen; und da es nicht angeht, ohne Strafe die ungesühnte Sünde ordnungsgemäß beizulegen, so wird eine Sünde, welche nicht gestraft ist, ordnungswidrig erlassen.

BOSO: Es ist vernunftmäßig, was du da behauptest.

ANSELM: Gott aber ziemt es nimmer, in seinem Reiche etwas ordnungswidrig zu erlassen.

BOSO: Für eine Sünde hielte ich es, das Gegenteil zu behaupten.

ANSELM: Demzufolge ziemt es Gott nicht, die Sünden ungestraft zu erlassen.

BOSO: Eine richtige Folgerung.

ANSELM: Noch eine zweite Folgerung steht zu verzeichnen: Falls die Sünde ungestraft erlassen würde, gälte der Sündhafte bei Gott so viel als der Sündelose.

BOSO: Unleugbar.

ANSELM: Erwäge nun auch dieses! Wer weiß nicht, daß die menschliche Gerechtigkeit dem Gesetze unterliegt, so daß in Übereinstimmung mit seiner Strafausmessung auch das Maß der Vergeltung von seiten Gottes beglichen wird?

BOSO: So unser Glaube.

ANSELM: Wenn nun aber die Sünde weder gutgemacht, noch auch gestraft wird, so steht sie ja außerhalb des Gesetzes.

BOSO: Auch ich kann es nicht anders verstehen.

ANSELM: Sonach wäre die Ungerechtigkeit, im Falle sie durch die[36] bloße Erbarmung vergeben würde, freier als die Gerechtigkeit, was doch sehr unzukömmlich scheint. Ja so weit erstreckt sich diese Unzukömmlichkeit, daß sie die Ungerechtigkeit zur Gottähnlichkeit erhebt; weil, wie Gott niemandens Gesetz unterworfen ist, so alsdann auch die Ungerechtigkeit.

BOSO: Ich muß deine Folgerung anerkennen. Allein nachdem Gott uns befiehlt, den gegen uns Fehlenden schlechthin zu vergeben, so scheint es widersprechend, daß er uns befiehlt, was ihm selbst zu thun ziemt.

ANSELM: Es liegt hier gar kein Widerspruch vor, weil Gott uns nur befiehlt, daß wir uns nicht herausnehmen, was ihm allein zusteht. Niemanden steht es eben zu, Recht zu nehmen, außer dem, der Herr aller ist; und wenn auch die irdischen Gewalten jenes mit Recht thun, so thut es Gott selbst, von welchem sie zu diesem Ende eingesetzt sind.

BOSO: Damit hast du den Widerspruch beseitigt, welcher mir vorzuliegen schien, allein auf einen andern Punkt begehrte ich deine Antwort. Denn wenn Gott so sehr frei ist, daß er keinem Gesetze, noch auch jemandens Urteil untersteht; und wenn er so sehr gütig ist, daß eine größere Güte nicht denkbar, und wenn endlich nichts anderes recht und ziemlich ist, außer was Er will: so deucht es mich doch sonderbar, woferne wir behaupten, daß er eine ihm zugegangene Beleidigung nicht erlassen will, ja nicht einmal darf, obschon wir von ihm Vergebung zu erbitten gewohnt sind sogar betreffs jener Beleidigungen, welche wir anderen zufügen.

ANSELM: Wahr ist, was du von seiner Freiheit, seinem Willen und seiner Güte aussagst; indes vernünftiger Weise dürfen wir jene Begriffe doch nur so fassen, daß wir nicht seiner Würde zu verstoßen scheinen. Denn die Freiheit findet ihre Begrenzung in dem, was zuträglich oder ziemend ist; auch läßt sich von keiner Güte sprechen, welche etwas Gottes Unwürdiges bethätigte. Was aber die Behauptung anlangt, daß, was Gott will, gerecht, was Er nicht will, nicht gerecht ist, so hat man das noch nicht so anzufassen, wie wenn im Falle Gott irgend etwas Unziemendes wollte, dieses nun auch gerecht wäre, weil Er es will. Denn es folgt nicht, daß, wenn Gott lügen wollte, es nun auch gerecht wäre, zu lügen; sondern vielmehr, daß er dann nicht Gott wäre. Nur derjenige Wille kann lügen wollen, in welchem die Wahrheit verkümmert ist, ja der durch das Verlassen der Wahrheit selber verkümmert ist. Sagt jemand: Wenn Gott lügen will, so bedeutet das soviel als: Wenn Gott eine solche[37] Natur ist, daß sie lügen will, und es folgt hieraus nicht im mindesten, das Lügen sei etwas Gerechtes; höchstens in dem Sinne, wie wir etwa von zwei Unmöglichkeiten aussagen: Wenn das, wenn jenes ist, freilich ohne daß dies oder jenes wirklich ist; z.B. wenn das Wasser trocken und das Feuernaß ist, während keines von beiden zutrifft. Daher läßt sich nur von solchen Dingen in Wahrheit aussagen: »Wenn Gott dieses will, so ist es gerecht,« welche Gott ohne eine Ungereimtheit wollen kann. Will nämlich Gott, es solle regnen, so ist es gerecht, daß es regne; will er, daß ein Mensch getötet werde, so ist es gerecht, daß er getötet werde. Weil es sich dagegen nicht ziemt, daß er etwas wider Recht und Ordnung thue, so schließt seine Freiheit, Güte oder Willensmeinung nicht auch das ein, daß er den Sünder, der Gott das Entzogene vorbehält, ungestraft lasse.

BOSO: Du schneidest mir alle Einwendungen ab, welche ich meinte dir machen zu können.

ANSELM: Vernimm nun noch, weshalb es Gott nicht ziemt, so zu handeln!

BOSO: Ich bin ganz Ohr.


Kapitel XIII.

ANSELM: Nichts ist weniger zulässig in der Ordnung der Dinge, als daß das Geschöpf dem Schöpfer die gebührende Ehre entziehe und nicht wieder erstatte, was es entzieht.

BOSO: Sehr klar.

ANSELM: Nichts aber wird mit mehr Unrecht gedultet, als was ganz und gar nicht geduldet werden soll.

BOSO: Auch das ist einleuchtend.

ANSELM: Du wirst also nicht sagen, Gott dürfte dulden, was offenbar das Ungerechteste wäre, daß nämlich das Geschöpf Gott zu erstatten unterließe, was es genommen.

BOSO: Das läßt sich am wenigsten in Abrede stellen.

ANSELM: Ferner, wenn es nichts Größeres oder Besseres gibt als Gott; dann auch nichts Gerechteres als jene höchste Gerechtigkeit, welche seine Ehre in der Weltordnung wahrt, und welche schließlich mit Gott selbst zusammenfällt.

BOSO: Was könnte klarer sein?

ANSELM: Nichts wahrt Gott folglich mit mehr Recht, als die Ehre seiner Würde.

BOSO: Einverstanden.

ANSELM: Scheint mir nun, daß er sie fleckenlos wahrte, wenn er sich dieselbe entreißen ließe, ohne auf ihre Rückerstattung zu dringen, ja ohne nur den Entreißenden zu ahnden?

BOSO: Das getraute ich mir nicht zu behaupten.

ANSELM: So muß denn die entrissene Ehre wieder erstattet werden, oder Bestrafung erfolgen; anderen Falles müßte Gott gegen sich selber ungerecht oder nach beiden Seiten hin unmächtig[38] sein, was auch nur zu denken sündbar wäre.

BOSO: Ich sehe wohl, daß sich nichts der Vernunft mehr Entsprechendes aufstellen läßt.


Kapitel XIV.

BOSO: Ich möchte indes von dir erfahren, ob denn die Bestrafung des Sünders für ihn (Gott) überhaupt eine Ehre sei; und wenn dies, bis zu welchem Grade? Denn ist die Bestrafung des Sünders für ihn keine Ehre, so verliert Gott, im Falle der Sünder das Entrissene nicht zurückgibt, sondern einfach bestraft wird, unwiederbringlich seine Ehre, was doch deiner Ausführung scheinbar widerstreitet.

ANSELM: Gott kann seine Ehre unmöglich verlieren; denn entweder tilgt der Sünder seine Schuld freiwillig, oder er wird gegen seinen Willen von Gott dazu gezwungen. Entweder leistet der Mensch die Gott schuldige Unterwürfigkeit freiwillig, indem er nicht sündigt, oder das, was er sündigt, tilgt; oder aber Gott unterwirft sich ihn gegen seinen Willen, indem er ihn züchtigt und dadurch als seinen Herrn sich bekundet, woferne der Mensch freiwilliger Anerkennung sich weigert. Hiebei kömmt zu erwägen, daß, sowie der Mensch durch die Sünde dasjenige entreißt, was Gottes ist, so hinwieder Gott durch die Strafe das entzieht, was des Menschen ist. Man sagt ja, daß nicht allein das jemanden gehöre, was derselbe bereits besitzt, sondern auch schon das, was er noch in seinen Besitz bringen kann. Da nun der Mensch so erschaffen ist, daß er im Falle des Nichtsündigens die Seligkeit besitzen könnte, so büßt er, da er im Falle des Sündigens der Seligkeit und aller Güter verlustig geht, obgleich wider Willen mit dem Seinigen für dasjenige, was er entrissen; wiewohl ferners Gott das, was er entzieht, nicht für seine Zwecke verwendet, indes der Mensch, welcher einem andern Geld entwendet, es zugleich für seine Zweck verwendet, so fördert er doch durch das, was er entzieht, seine Ehre – dadurch eben, daß er entzieht. Denn durch solches Entziehen beweist er, daß der Sünder mit all dem Seinigen ihm unterstellt ist.


Kapitel XV.

BOSO: Ich stimme dem bei, was du sagst. Allein auf einen andern Punkt erbitte ich mir deine Antwort. Denn wenn Gott also, wie du beweisest, seine Ehre wahren muß, weshalb läßt er dieselbe, sei es auch nur im beschränktesten Maße, überhaupt angetastet werden? Was man nämlich irgendwie betasten läßt, das wird schon nicht vollständig und sorgfältig genug behütet.[39]

ANSELM: Gottes Ehre an sich ist weder des Wachstums, noch der Minderung fähig. Er nämlich ist sich selbst die unverletzliche, auf keine Weise wandelbare Ehre. Wenn nun aber auch ein Geschöpf die ihm zukommende und gewissermaßen vorgezeichnete Ordnung, sei es von der Natur-, sei es von der Vernunftseite aus betrachtet, wahrt, so sagt man von ihm, es gehorche Gott und ehre ihn; und ganz im besonderen gilt das vom vernunftbegabten Wesen, dem es seinen Pflichtumfang zu kennen vergönnt ist. Findet sich bei ihm Wollen und Sollen in Einklang, so ehrt es Gott, nicht wie wenn es demselben etwas hinzugäbe, sondern insofern es aus freien Stücken seinen Willen und Geheiß sich unterordne, und in der Dinge Gesamtheit die zugewiesene Ordnung und, was an ihm liegt, die Schönheit eben jener Gesamtheit aufrecht erhält. Kreuzt sich dagegen sein Wollen mit seinem Sollen, so entehrt es Gott, inwieweit das von ihm abhängt, da es nicht aus freien Stücken sich in einem Geheiße unterordnet, und auch die Ordnung und Schönheit der Gesamtheit stört, soviel das an ihm liegt, obschon es Gottes Macht und Würde auf keinerlei Wiese antasten oder entstellen kann. Denn gesetzt, daß die Körper, welche innerhalb der himmlischen Sphäre liegen, nichtmehr unter dem Himmel verbleiben oder sich von ihm entfernen wollten, sie müßten doch immer unter dem Himmel verbleiben, und sie könnten dem Himmel auf der einen Seite nur entfliehen, um sich auf der anderen ihm zu nähern. Woher und wohin und wo sie sich bewegten, immer befänden sie sich unter dem Firmamente; und je mehr sie von der einen Seite des Firmamentes sich entfernten, desto mehr würden sie bei der entgegengesetzten anlangen. Mag darum auch der Mensch oder der böse Engel sich sträuben, Gottes Fügung und Anordnung unterthan zu sein, entrinnen kann er ihr nicht; will er dem befehlenden Willen entrinnen, so läuft er dem strafenden in die Arme. Und frägst du, in Kraft welchen Willens jene Bewegung überhaupt möglich? Es ist der zulassende Wille Gottes; was er auch (der Mensch oder der böse Engel) Verkehrtes anstrebt und ausführt, die höchste Weisheit lenkt es zu Gunsten der Ordnung und Schönheit in der vorerwähnten Gesamtheit. Denn sowohl die freiwillige Sühne für die Verirrung, als auch beziehungsweise der Strafzwang, da wo die Genugthuung verweigert wird; sie behaupten (unangesehen dessen, daß Gott vielfältig das Böse zum Guten[40] wendet) in eben jener Gesamtheit ihre Stellung und die Schönheit der getroffenen Ordnung. Würde die göttliche Weisheit, im Falle Verkehrtheit die rechte Ordnung zu stören strebt, auf jenen beiden Forderungen nicht bestehen, es würde in der Gesamtheit selbst, welche Gott zu ordnen hat, aus der Verletzung der schönen Ordnung eine Unschönheit hervorgehen, und Gott in seiner Anordnung unvollkommen erscheinen. Nachdem dies aber wie zwei Unzukömmlichkeiten so zwei Unmöglichkeiten sind, muß der Sünde notwendig entweder Genugthuung oder Strafe folgen.

BOSO: Du entferntest meine Bedenken.

ANSELM: Es liegt am Tage, daß Gott an und für sich selber keiner weder ehren, noch entehren kann; allein soweit es von letzterem abhängt, scheint er Eines oder das Andere zu thun, je nachdem er seinen eigenenen dem göttlichen Willen unter– oder aber überordnet.

BOSO: Ich wüßte nicht, was sich hiegegen erinnern ließe.

ANSELM: Noch einen weiteren Punkt möchte ich hinzufügen.

BOSO: Rede, solange dich zu hören mich freut!


Kapitel XVI.

ANSELM: Bekanntermaßen wollte Gott aus der sündelos geschaffenen Menschennatur die Zahl der gefallenen Engel ergänzen!

BOSO: So glauben wir; indes ich wünschte, das begründet zu wissen.

ANSELM: Du führst mich vom Ziele ab; wir wollten ja ausschließlich von der Fleischwerdung Gottes handeln, und nun mengst du auch andere Fragen darunter.

BOSO: Halte mir das zu gute! »Den fröhlichen Geber hat Gott lieb!« Nun aber beweist jemand nicht besser, daß er fröhlich gibt, was er verspricht, als wenn er über das Versprochene gibt; beantworte folglich meine Fragen mit Geneigtheit!

ANSELM: Es untersteht wohl keinem Zweifel, daß die vernunftbegabte Kreatur, welche in der Betrachtung Gottes teils schon selig ist, teils es noch werden soll, in einer vernunftmäßigen und vollkommenen Zahl von Gott vorausgewußt wird, so daß weder ein Darüber, noch Darunter ferner ziemend wäre. Man müßte nur annehmen, Gott wüßte nicht, in welcher Menge die vernunftfähige Kreatur füglich erschaffen würde, und das ist von vorneherein falsch; weiß Gott aber, so wird[41] er sie auch in der Zahl erschaffen, welche ihm die meist angemessene zu sein scheint. Deswegen sollten auch die gefallenen Engel entweder innerhalb jener Zahl miteinbegriffen sein, oder aber sie hätten, weil außerhalb jener Zahl sie nicht existieren konnten, fallen müssen, was unannehmbar bleibt.

BOSO: Offenbar richtig.

ANSELM: Weil sie also zu jener Zahl gehören mußten, so ist entweder notwendig jene Zahl zu ergänzen, oder die Vernunftkreatur bliebe in einer unvollkommenen Zahl existent, da sie doch in der vollkommenen Zahl vohergewußt ist, was wiederum nicht statthaft.

BOSO: Die Notwendigkeit einer Wiederherstellung unterliegt keinem Zweifel.

ANSELM: Demgemäß mußte sie aus der Menschennatur erfolgen, weil sie aus einer andern nicht erfolgen konnte.


Kapitel XVII.

BOSO: Warum können die gefallenen Engel nicht selbst wiederhergestellt, oder andere Engelstatt ihrer eingestellt werden?

ANSELM: Wenn du die Schwierigkeit unserer Wiederherstellung sehen wirst, dann begreifst du die Unmöglichkeit ihrer Wiederversöhnung; andere Engel aber können an ihrer Statt nicht eintreten, weil (um davon nichts zu sagen, wie das mit der Vollkommenheit der ersten Schöpfung verstoßen würde) auf diese alle Merkmale treffen müßten, welche auf jene getroffen, falls sie nicht gesündigt, indem sie, ohne daß eine Sündenstrafe überhaupt ersichtlich geworden, ausgeharrt hätten; was nun nach dem Falle der ersteren für andere, die an ihre Stelle einrücken sollten, nicht mehr gegeben ist. Denn nimmer verdient den gleichen Preis für das Beharren in der Wahrheit derjenige, welcher die Bestrafung der Sünde noch nicht kennt, und derjenige, welcher ihre ewige Bestrafung stets vor Augen sieht. Man darf ja durchaus nicht glauben, die guten Engel seien etwa erst durch den Fall der bösen bewährt worden, sie wurden das vielmehr in Folge eigenen Verdienstes. Sowie die guten, wenn sie mit den bösen gesündiget hätten, auf gleiche Weise wären verurteilt worden; so würden die ungerechten, wären sie mit den gerechten standhaft geblieben, auf gleiche Weise bewährt worden sein. Denn müßten die einen erst durch den Fall der anderen (im Guten) bewährt werden, so würde entweder keiner bewährt oder aber, es müßte wenigstens einer fallen, um durch seine Bestrafung die anderen zu bewähren, was doch beides undenkbar. So wurden demnach die standhaft Gebliebenen auf dieselbe[42] Art bewährt, in welcher alle zumal bewährt worden wären, ihre Beharrlichkeit vorausgesetzt. Ich habe das, soweit meine Kraft ausreichte, dort nachzuweisen versucht, wo ich die Frage erörterte, weshalb Gott dem Teufel die Beharrlichkeit nicht verleihen.

BOSO: Du hast in der That bewiesen, daß für die bösen Engel der Ersatz aus der menschlichen Natur genommen werden mußte; und es ist sofort klar, daß der erwählten Menschen nicht weniger sein dürfen, als der verworfenen Engel. Ob ihrer indes nicht mehr sein können, das wirst du erst noch zu beweisen haben.


Kapitel XVIII.

ANSELM: Waren die Engel vor ihrem teilweisen Abfalle in der besprochenen Vollzahl vorhanden, dann wurden die Menschen lediglich behufs Ersatz für die verloren gegangenen Engel erschaffen, und wird klar, daß die Zahl beiderseits gleich groß. War aber jene Zahl bei der Gesamtheit der Engel noch nicht voll, dann muß aus den Menschen ergänzt werden, einmal, was zu Grunde gegangen; sodann aber auch, was vordem abgegangen, so daß nun der erwählten Menschen mehr sein müßten, als der verworfenen Engel; und wir müßten weiter sagen, die Menschen werden nicht bloß erschaffen, um die verringerte Zahl auszufüllen, sondern auch, um die noch nicht volle Zahl voll zu machen.

BOSO: Was ist nun mit höherer Wahrscheinlichkeit festzuhalten, daß die Engel früher schon in der vollen Zahl erschaffen worden, oder als Gegenteil?

ANSELM: Ich will dir hierüber meine Ansicht mitteilen.

BOSO: Mehr kann ich von dir nicht verlangen.

ANSELM: Wurde, wie einige aus der Genesis ableiten, der Mensch nicht vor dem Falle der bösen Engel erschaffen, so sehe ich kaum, wie sich eine von beiden Annahmen mit Sicherheit verteidigen ließe. Denn es ist möglich, daß Engel zuvor in der Vollzahl erschaffen wurden, und daß später der Mensch erschaffen wurde, deren verringerte Zahl zu ergänzen; es ist aber auch möglich, daß jene nicht in der Vollzahl erschaffen wurden, indem Gott, wie thatsächlich noch geschieht, mit Vollmachung jener Zahl zuwartete, während er die menschliche Natur seiner Zeit ins Dasein zu rufen gedachte, sei es nun, um jene noch lückenhafte Zahl zu vervollständigen, sei es auch, um für etwaigen Abgang sofort einen Ersatz zu haben. Wurde dagegen alle Kreatur zu gleicher Zeit[43] erschaffen; und sind die Tage, während deren die Welt, wie es nach Moses übrigens scheint, kaum mit Einem Male erschaffen wurde, anders zu nehmen als unsere jetzigen Tage, so vermag ich schlechterdings nicht abzusehen, wie die Engel in jener Vollzahl wären erschaffen worden. Denn bei dieser Annahme, scheint mir, hätten entweder notwendig einige Menschen oder Engel fallen müssen, oder aber in der himmlischen Gemeinde sind mehr, als die Gemäßheit jener Vollzahl erheischte. Bei der Annahme, daß alles zugleich erschaffen worden, scheinen die Engel samt dem ersten Menschenpaar in der unvollendeten Zahl sich befunden zu haben, damit dann aus den Menschen, falls kein Engel fiele, bloß das noch Mangelnde ergänzt; falls indes einige fielen, zugleich auch die entstandenen Lücken ersetzt würden; wohl auch, damit die schwächere Menschennatur, falls sie trotz ihrer größeren Schwäche standhaft verbliebe, wie Gott zur Rechtfertigung, so dem Satan zur Anklage gereichte, woferne derselbe seinen Fall durch seine Schwachheit entschuldigen wollte; und schließlich damit, falls auch sie selber fiele, sie desto mehr dem Satan und sich selbst gegenüber Gott rechtfertigte, da sie, die um vieles schwächer und sterblich erschaffene, dennoch bei den Auserwählten von eben dieser Schwachheit zu einer Erhabenheit emporsteigen sollte, welche die vormalige Höhe des gestürzten Satan gerade so viel überragte, als die guten Engel, denen Satan im Range gleich zu sein hätte, nach dem Verderben der bösen Geister zum Lohne ihrer Beharrlichkeit erhöht wurden. Aus den angegebenen Gründen wird mir einleuchtender, es sei bei den Engeln keineswegs jene Vollzahl vorhanden gewesen, in welcher die himmlische Gemeinde bevölkert sein sollte; wurde nämlich der Mensch nicht zugleich mit den Engeln erschaffen, so bleibt diese Annahme wenigstens möglich; wurden sie aber beide mit einander erschaffen, was vielen wahrscheinlicher klingt wegen des Schrifttextes: »Der da lebet in Ewigkeit, erschuf Alles mit Einem Male,« so ist sie geradezu geboten. Und gesetzt, die Vollendetheit der Weltschöpfung bezöge sich weniger auf die Zahl der Einzelnwesen, als auf jene der verschiedenen Naturgattungen, so mußte wiederum die menschliche Natur zur Ergänzung dieser selben Vollendetheit geschaffen worden sein, oder sie wäre überzählig, was wir doch nicht[44] einmal von der Natur des ärmsten Würmleins auszusagen uns getrauten. Sie hat darum gewiß ihre selbständige Bedeutung, und ist sie nicht zur bloßen Ergänzung der Einzelnwesen einer anderen Naturgattung ins Dasein gesetzt worden. Dann herrscht kein Zweifel, daß, wäre auch kein Engel gefallen, die Menschen nichtsdestoweniger ihre Stelle im himmlischen Staate eingenommen hätten. Wir ziehen nunmehr den Schluß, daß bei den Engeln noch vor ihrem teilweisen Abfalle jene Vollzahl nicht vorhanden war; hätten doch sonst notwendig einige Menschen oder Engel fallen müssen, da keiner außerhalb jener Vollzahl fortbestehen konnte.

BOSO: So manches hast du nun erwiesen.

ANSELM: Es gibt übrigens noch einen weiteren Grund, welcher der Hypothese, die Engel seien nicht in der Vollzahl erschaffen worden, eine gewichtige Stütze leiht.

BOSO: Laß ihn hören!

ANSELM: Wären die Engel in jener Vollzahl erschaffen worden, die Menschen jedoch ausschließlich zum Ersatze für die gefallenen Engel; so hätten, falls die Engel ihre Seligkeit nicht verloren, augenscheinlich die Menschen selbe nicht gefunden.

BOSO: Das ist klar.

ANSELM: Wenn nun jemand sagte, die auserwählten Menschen seien deshalb über den Sturz der Engel gerade so entzückt, wie über ihre eigene Erhöhung, soferne diese durch jenen bedingt war, wie ließe sich eine so verkehrte Freude in Schutz nehmen? Oder wie ließe sich behaupten, es seien die gefallenen Engel durch die Menschen ersetzt worden, da zwar die Engel, wenn sie nicht fielen, von der Sünde der Schadenfreude über denn Fall anderer sich rein erhalten konnten, nicht so aber auch die Menschen? Diese im Gegenteile nur mit Anklebung jener Makel selig sein könnten? Wie dreist vollends erschiene die Behauptung, Gott wollte sogar oder könnte überhaupt unter Vorschub zu einer solchen Sünde jenen Ersatz bewerkstelligen.

BOSO: Hat es mit den Heiden nicht eine ähnliche Bewandtnis, die zum Glauben erst berufen wurden, als die Juden denselben verworfen hatten?

ANSELM: Keineswegs; denn hätten auch alle Juden geglaubt, an die Heiden wäre darum nicht minder die Berufung ergangen, weil »unter jedwedem Volke, wer Gott fürchtet und Gerechtigkeit übt, ihm genehm ist«. Aber freilich, nachdem die Juden die Apostel verachtet, war es für die letzteren angezeigt,[45] nunmehr an die Heiden sich zu wenden.

BOSO: Darauf wüßte ich nichts entgegenzuhalten.

ANSELM: Woher müßte deines Dafürhaltens jene eigentümliche Freude über den Fall anderer überhaupt herrühren?

BOSO: Woher anders, als indem ein jeder gewiß wäre, nur deshalb sei er an diesem erhabenen Platze, weil ein anderer von ihm herabgestürzt.

ANSELM: Woferne indes keiner diese Gewißheit hätte, fiele für ihn wohl auch die Ursache zur Schadenfreude hinweg.

BOSO: So scheint mir.

ANSELM: Meinst du, daß einer aus ihnen jene Gewißheit hätte, im Falle ihre Zahl die der gefallenen Engel beträchtlich überstiege?

BOSO: Ich kann mir nicht denken, wie sie in diesem Falle einer hätte oder gar haben müßte. Denn wie könnte einer alsdann entscheiden, ob er wegen Ausgleichs der Verringerung oder wegen Abschlusses der noch offen stehenden Lücken unter den Mitgliedern jener erst zu vollendenden Gottesgemeinde erschaffen wurde? Im Gegenteile wohnt ihnen allen das Bewußtsein inne, daß sie nur für die Vollendung jenes Gottesstaats erschaffen wurden.

ANSELM: Sind ihrer also mehr, als die Anzahl der gefallenen Engel beträgt, so wird keiner aus ihnen wissen können, geschweige denn wissen müssen, er habe erst infolge des Sturzes eines andern hier Aufnahme gefunden.

BOSO: Allerdings.

ANSELM: Da wir mithin fürs erste sehen, wie die Annahme, es seien der auserwählten Menschen mehr als der verworfenen Engel, vor jener Ungereimtheit bewahrt, zu welcher die Annahme des Gegenteiles führen würde; und da es undenkbar bleibt, daß in jener Gottesgemeinde eine Unzukömmlichkeit je einmal Platz greife: so scheint es geboten festzuhalten, die Engel seien nicht in jener Vollzahl erschaffen worden, und es übersteige die Zahl der glückseligen Menschen jene der unglückseligen Engel.

BOSO: Ich sehe wirklich nicht, mit welchem Rechte man das in Abrede stellen könnte.

ANSELM: Zudem glaube ich, noch eine weitere Begründung derselben Hypothese erbringen zu können.

BOSO: Verhehle mir auch diese nicht!

ANSELM: Es ist unser Glaube, die Körpermasse dieser Welteile einer Verklärung entgegen, welche jedoch nicht früher eintritt, als bis die Zahl der auserwählten Menschen voll geworden und jene Gemeinde der Seligen vollendet erscheint, welche jedoch auch nicht über jene Vollendung hinausgerückt würde. Man darf hieraus erschließen, Gott habe von Anfang an gewollt, daß die beiderseitige Vollendung [46] zusammenfalle, daß eben die niedrigere Natur, welche ohne Erkenntnis Gottes, nicht vor der höhern, welche Gott zu genießen bestimmt ist, ihre Vollendung erhielte; daß sie vielmehr, erst bei Vollendung der höheren mitverklärt, nun in ihrer Art eine Beglückwünschung darbrächte; daß zuletzt alle Kreatur in der ob ihrer wunderbar herrlichen Vollendung dem Schöpfer und sich selbst wechselseitig dargebrachten Huldigung ihre ewige Beseligung fände, soferne dasselbe, was bei der vernunftbegabten Natur der Wille mit Freiheit thut, bei der empfindungslosen Kreatur kraft göttlicher Anordnung von Natur geschieht. Pflegen doch auch wir an der Erhöhung unserer Vorvordern freudigen Anteil zu nehmen, so wenn wir an den Gedächtnistagen der Heiligen festlichem Jubel uns hingeben, indem wir ob ihrer Verherrlichung frohlocken. Eine abermalige Stütze der Hypothese dürfte in der Erwägung liegen, daß Gott wohl, auch woferne Adam nicht gesündiget hätte, die Vollendung jener Gemeinde hinausrückte, bis die aus den Menschen erhoffte Zahl voll geworden und diese selbst gewissermaßen zur unsterblichen Unsterblichkeit ihrer Leiber gelangen würden. Zwar eignete ihnen schon im Paradiese eine Art Unsterblichkeit, die Fähigkeit nämlich, nicht zu sterben; aber das war noch nicht die Sterbensunfähigkeit, weil die Möglichkeit des Sterbens gegeben war, auf daß die Sterbensunmöglichkeit erworben würde. Wenn indes Gott von Anfang an beschlossen hatte, die Vollendung jener vernunftbegabten, seligen Gemeinde mit dieser irdischen, erkenntnisunfähigen Natur zu gleicher Zeit eintreten zu lassen, so scheint ein Mehrfaches möglich: Entweder war jene Gemeinde hinsichtlich der Engelzahl vor dem Sturze der bösen Geister nicht voll, sondern Gott behielt sich vor, aus den Menschen die Ergänzung auszuwählen, sobald er die Körperwelt ihrer Verklärung zuführte; oder aber jene Gemeinde war, wenn auch der Zahl nach vollendet, so doch ihrer Bewährung nach unvollendet, und es sollte diese Bewährung, selbst im Falle keine Sünde dazwischen trat, bis zur erwarteten Weltverklärung aufgeschoben sein; beziehungsweise, woferne jene Bewährung nicht weiter verzögert sein sollte, mußte die Weltverklärung in gleichem Grade beschleuniget werden, damit sie mit jener Bewährung zu gleicher Zeit statthätte. Allein nun läßt sich kein vernünftiger Grund denken, weshalb Gott die gerade zuvor neugeschaffene Welt sogleich in der Verklärung wieder hätte[47] erneuern und die infolge dieser Verklärung augenscheinlich nichtmehrin der ursprünglichen Gestalt verbliebenen Dinge sogleich bei deren Beginn hätte zerstören wollen, ehe noch ersichtlich ward, wozu sie geschaffen worden. Mithin folgt, weil die Engel nicht so in der vollkommenen Zahl aller das Gottesreich bildenden Glieder vorhanden waren, daß auch ihre Bewährung sich nicht weiter verzögerte, ansonst die Erneuerung der selbst noch neuen Welt alsbald hätte erfolgen müssen, was wenig annehmbar. Das Gott aber diese selbe Bewährung bis zur kommenden Welterneuerung hätte aufschieben wollen, erscheint unannehmbar, da er sie ja an mehreren so schnell vollendete; und es auch recht wohl denkbar bleibt, daß er sie bei den ersten Menschen, im Falle sie nicht sündigten, gerade so wie bei den gut gebliebenen Engeln vorgenommen hätte, in demselben Augenblicke, als sie freilich der Sünde wirklich erlagen. Denn waren sie auch keineswegs schon auf die gleiche Stufe mit den Engeln emporgehoben, zu welcher die Menschen allerdings gelangt sein werden, sobald die aus ihnen zu entnehmende Zahl voll geworden: wenigstens in der ihnen zuständlichen Gerechtigkeit würden sie, so scheint es, im Falle eines Sieges über die Versuchung samt ihren Nachkommen derart bewährt worden sein, daß sie fortan nichtmehr hätten sündigen können; gleichwie sie als überwundene Sünder nunmehr so sehr geschwächt sind, daß sie, soweit das an ihnen liegt, nichtmehr ohne Sünde bestehen können. Oder wer möchte etwa behaupten, die Ungerechtigkeit besitze mehr Kraft, den bei der ersten Lockung ihr beistimmenden Menschen in der Knechtschaft zu fesseln, als die Gerechtigkeit Kraft besäße, den Menschen in der Freiheit zu bewähren, falls er anders bei der nämlichen ersten Versuchung ihr sich zuwandte? Sowie nämlich, weil die menschliche Natur ganz in den Stammeltern war, dieselbe ganz in ihnen besiegt wurde, so daß sie dem Sündigen verfiel (jenen einen Menschen ausgenommen, den Gott, wie ohne Mannes Samen aus einer Jungfrau hervorgehen zu lassen, so von der Adamssünde fern zu halten wußte); ebenso würde sie [48] ganz in ihnen gesiegt haben, falls sie nicht gesündiget hätten. Demnach übriget zu sagen, es sei der himmlische Staat mit jener ersten Engelschaar nicht bereits vollendet worden, derselbe habe vielmehr erst aus den Reihen der Menschen seine Vollendung gewinnen sollen. Das aber als richtig zugegeben, so muß die Zahl der auserwählten Menschen größer sein als jene der gefallenen Engel.

BOSO: Deine Aufstellungen scheinen mir höchst vernunftgemäß; allein wie werden wir nun zu erklären haben, was bezüglich Gottes geschrieben steht: ›Er hat die Grenzen der Völker festgesetzt nach der Zahl der Söhne Israels?‹ Einige wenigstens legen, weil anstatt ›Söhne Israels‹ auch gefunden wird: ›Engel Gottes‹ die Stelle so aus, als müßte man hiebei denken, daß nach der Zahl der guten Engel auch die Zahl der auserwählten Menschen sich bestimmte.

ANSELM: Das verträgt sich ganz gut mit der vorbesprochenen Meinung, sobald nur nicht gewiß ist, daß genau soviel Engel gefallen, wie treu geblieben sind. Übersteigt nämlich die Zahl der erwählten Engel jene der verworfenen, und müssen die verworfenen Engel aus der Zahl der erwählten Menschen ersetzt werden, so kann es hiebei geschehen, daß sie der Zahl der seligen Engel gleichgemacht werden, immer aber werden es so der gerechten Menschen mehr sein als der ungerechten Engel. Übrigens vergiß nicht, unter welcher Bedingung ich mich dazu verstand, auf deine Fragen Rede zu stehen! Wenn ich nämlich etwas sagte, was keine höhere Autorität bekräftigt, so darf es, möchte auch mein Vernunftbeweis noch so zwingend erscheinen, gleichwohl nicht mit einer höheren Gewißheit aufgenommen werden, als daß dieses einstweilen so meine persönliche Anschauung ist, bis Gott Vollkommeneres auf irgend eine Art mir offenbart. Denn dessen bin ich gewiß, sollte ich irgend etwas behaupten, was mit der hl. Schrift in offenkundigem Widerspruche stünde, so wäre das falsch: und nimmer gedächte ich derartiges festzuhalten, sobald ich den Widerspruch entdeckte. Hingegen wenn wir bei Dingen, worüber man gefahrlos abweichende Ansichten vertreten kann, wie bei unserm vorwürfigen Thema – denn obschon niemand weiß, ob es der erwählten Menschen mehr sein werden als der gefallenen Engel, oder umgekehrt, und man je nachdem die eine oder die[49] andere Annahme glaubwürdiger findet; so erblicke ich darin keine Gefährdung des Seelenheiles – wenn wir, sage ich, bei solchen Dingen die göttlichen Aussprüche derart auslegen, daß sie entgegengesetzte Auffassungen zu begünstigen scheinen, während eine unanfechtbare Lösung nicht zu erhoffen steht, so meine ich nicht, daß da ein Tadel angebracht wäre. Den Schrifttext selbst betreffend: »Er hat die Grenzen der Völker festgesetzt nach der Zahl der Engel Gottes,« was in anderer Übertragung lautet: »nach der Zahl der Söhne Israels,« so muß man, da beide Übertragungen entweder ein- und dasselbe, oder, wenn auch Verschiedenes, doch keinenfalls Widersprechendes bedeuten, denselben so verstehen, daß durch die Engel Gottes und die Söhne Israels entweder nur die guten Engel bezeichnet werden, oder nur die auserwählten Menschen, oder endlich die Engel und die auserwählten Menschen zusammengefaßt, d.i. die ganze obere Gemeinde. Möglich, daß durch die Engel Gottes nur die heiligen Engel, durch die Söhne Israels dagegen nur die gerechten Menschen bezeichnet werden sollten; oder vielleicht umgekehrt, nur allein die Engel durch die Söhne Israels, und die gerechten Menschen durch die Engel Gottes. Sollten durch beide Ausdrücke nur allein die guten Engel bezeichnet sein, so bedeutet das dann ebensoviel, als wenn sie schlechthin durch Engel Gottes bezeichnet sind; soll aber die ganze himmlische Gemeinde damit angedeutet sein, so ist der Sinn der, daß eben so lange Völker aufgenommen werden, d.i. Scharen auserwählter Menschen, oder daß so lange Völker in dieser Welt sein werden, bis sie hinsichtlich der Menschen bestimmte, jedoch noch nicht vollgemachte Zahl jener Gemeindeglieder geschlossen sein wird. Zwar sehe ich auf den ersten Blick nicht, wie die Engel allein oder auch die Engel und die heiligen Menschen zusammen unter den Söhnen Israels begriffen werden; gleichwohl enthält es nichts Befremdliches, heilige Menschen Söhne Israels oder wohl auch Söhne Abrahams zu nennen. Mit demselben Rechte können sie aber auch Engel Gottes heißen, sofern sie das Leben der Engel nachahmen; ihnen ferners auch Ähnlichkeit, ja Gleichheit mit den Engeln im Himmel in Aussicht gestellt ist, und schließlich, soferne alle gerecht Lebenden Engel Gottes sind.[50] Daher führen auch die Bekenner und Martyrer diese Bezeichnung; denn wer die Wahrheit bekennt und für sie Zeugnis ablegt, ist ein Bote Gottes oder, was dasselbe besagt, sein Engel. Und wenn der böse Mensch Teufel genannt wird, wie denn der Herr von Judas um der Ähnlichkeit in der Bosheit willen diesen Ausdruck gebraucht, weshalb sollte nicht auch der gute Mensch als Engel gepriesen werden um der Nachahmung der Gerechtigkeit willen? Füglich dürfen wir daher, glaube ich, sagen: Gott habe die Grenzen der Völker festgesetzt nach der Zahl der erwählten Menschen, weil es so lange Völker geben wird und eine Fortpflanzung der Menschheit in dieser Welt, bis daß die Zahl jener auserwählten Menschen geschlossen ist; und erst wenn sie geschlossen, hört auch die gegenwärtige in diesem Leben statthabende Fortzeugung des Geschlechtes auf. Sollten wir aber unter den Engeln Gottes lediglich die heiligen Engel zu verstehen haben, und unter den Söhnen Israels lediglich die gerechten Menschen, so erweist sich eine doppelte Auffassung statthaft rücksichtlich des Textes, daß ›Gott die Grenzen der Völker festgesetzt habe nach der Zahl der Engel Gottes‹: sei es, daß ein ebenso großes Volk, d.h. ebenso viele Menschen aufgenommen sein werden, als es heilige Engel Gottes gibt; sei es, daß ebensolange Völker existieren werden, als die Zahl der Gottesengel aus der Menschen noch nicht voll ergänzt ist. Und diese letztere Weise der Auslegung erscheint mir als die einzig stichhaltige, wenn es sich um die Deutung des Textes handelt: ›Er hat die Grenzen der Völker festgestellt nach der zahl der Söhne Israels,‹ d.h. nach der obenberegten Auslegung: Es werden so lange Völker existieren in dieser Welt, bis die Vollzahl der heiligen Menschen aufgenommen ist. Und so ergäbe sich aus beiderlei Übertragungen, daß ebenso viele Menschen aufgenommen werden, als Engel treugeblieben sind; keineswegs aber folgt daraus, mochte auch der Ersatz für die verworfenen Engel aus den Menschen zu entnehmen sein, daß gerade so viele Engel fielen, als ihrer standhaft blieben. Denn im Falle gegenteiliger Annahme müßte erst der Beleg erbracht werden, wieferne unsre oben angereihten Gründe entkräftet seien, welche uns zu beweisen schienen, daß vor dem teilweisem Abfalle der Engel die oben besprochene Vollzahl bei ihnen nicht vorhanden war, und daß die[51] Zahl der auserwählten Menschen jene der bösen Engel überrage.

BOSO: Nun reut es mir nicht, daß ich in dich gedrungen, über die Engel diese Ausführungen vorzutragen; es war das in der That nicht ohne Nutzen. Nunmehr jedoch kehre dahin zurück, wovon wir abgeschweift.


Kapitel XIX.

ANSELM: Bekanntermaßen beschloß Gott, aus den Menschen die gefallenen Engel zu ersetzen.

BOSO: Das steht unzweifelhaft fest.

ANSELM: Dann aber müssen die Menschen in jenem obern Staate, welche an Stelle der Engel Aufnahme in denselben finden, ganz so sein, wie jene dort gewesen wären, deren Stelle sie nunmehr einnehmen, mit anderen Worten, so, wie jetzt die guten Engel sind; anderen Falles wären die Gefallenen nicht ersetzt, und müßte man schließen, entweder könne Gott das angefangene Gute nicht vollenden, oder es habe ihn gereut, etwas so Gutes angefangen zu haben, zwei sehr ungereimte Voraussetzungen.

BOSO: In der That müssen die Menschen den guten Engeln gleich sein.

ANSELM: Haben die guten Engel je einmal gesündiget?

BOSO: Nein.

ANSELM: Vermagst du dir vorzustellen, daß der Mensch, welcher einmal gesündigt, für diese seine Sünde indes Gott niemals Genugthuung geleistet, der vielmehr einfach straflos geblieben, dem sündelosen Engel gleich sei?

BOSO: Die Worte zwar kann ich mir vorstellen und sie aussprechen; ihren Sinn aber so wenig mir denken, als ich den Irrtum für gleichbedeutend nehmen kann mit der Wahrheit.

ANSELM: Also ziemt es Gott nicht, den sündhaften Menschen ohne vorausgehende Genugthuung zum Ersatze für die verworfenen Engel hinzunehmen, da die Wahrheit es nicht erträgt, daß er auf gleiche Stufe mit den Seligen erhoben werde.

BOSO: Das lehrt die gesunde Vernunft.

ANSELM: Erwäge ferner, den Menschen für sich betrachtet, davon abgesehen, daß er den Engeln, gleichgesetzt werden sollte, ob Gott ihn überhaupt zu irgend einer oder gar zu der nämlichen Seligkeit, welche ihm vor der Sünde beschieden war, erheben konnte.

BOSO: Laß mich hierüber deine Ansicht vernehmen, und ich will nach Kräften aufmerken.

ANSELM: Setzen wir den Fall, ein reicher Mann besitze eine kostbare Perle in Händen, die noch keine Makel bisher berührt hat, und die ihm auch, ohne seine Einwilligung, keiner entreißen könnte, und er gedenke selbe in seiner Schatzkammer aufzubewahren, wo er auch alle übrigen Kostbarkeiten und Kleinodien einschließt.

BOSO: Das kann[52] ich mir so deutlich vorstellen, wie wenn wir's vor Augen sähen.

ANSELM: Was nun, wenn er sich diese nämliche Perle von einem Neider entreißen und in den Kot treten ließe, obschon er es hindern konnte; und wenn er dann hinterher die durch den Kot verunreinigte, ohne sie vorher gewaschen zu haben, in eine reinliche, kostbare Lade legte, solchergestalt sie aufzubewahren; hieltest du ihn für vernünftig?

BOSO: Wie könnte ich? Denn wäre es nicht weit vernünftiger, er hätte seine Perle in reinlichem Zustande erhalten und aufbewahrt, statt nach geschehener Verunreinigung?

ANSELM: Handelte Gott nicht ähnlich, der den für die Gesellschaft der Engel bestimmten Menschen sündelos so zu sagen in seiner Hand hielt im Paradiese, und dann zugab, daß der vom Neid angestachelte Teufel ihn, freilich mit dessen eigenen Einwilligung, in den Schlamm der Sünde warf? Wenn er nämlich den Teufel hindern wollte, konnte dieser den Menschen nicht versuchen. Handelte, wiederhole ich, Gott nicht ähnlich, woferne er den durch die Sünde verunreinigten Menschen ohne jegliche Reinigung, d.h. ohne jegliche Genugthuung, als einen für immer in diesem Zustande verbleibenden auch nur in das verlorene Paradies wiederum zurückbrächte?

BOSO: Die Ähnlichkeit, falls Gott wirklich so handelte, wage ich nicht zu leugnen; stelle es aber gerade deshalb in Abrede, daß er so handelte. Schiene es sonst doch, als habe er das Beschlossene nicht zu Ende führen können, oder als wäre er eines guten Vorsatzes reuig geworden, was beides auf Gott nicht zutreffen kann.

ANSELM: Halte darum für unumstößlich gewiß, daß ohne Genugtuung, das will sagen – ohne freiwillige Zahlung für die Schuld weder Gott eine unbestrafte Sünde erlasse, noch auch der Sünder selbst nur zu derjenigen Seligkeit gelange, welche er vor der Sünde innehatte; denn bei dieser Voraussetzung würde der Mensch nicht einmal in seinem vorsündlichen Zustande hergestellt.

BOSO: Ich kann deinen Begründungen ganz und gar nicht widersprechen; allein welchen Sinn hat es dann, wenn wir zu Gott beten: »Vergib uns unsere Schulden«? Und jedes Volk betet zu Gott, an den es glaubt, daß es ihm seine Sünden vergebe. Denn tragen wir unsere Schuld ab, wozu bitten wir um ihren Erlaß? Ist Gott etwa so ungerecht, ein zweites Mal zu fordern, was bereits getilgt[53] ist? Tragen wir aber nichts ab, wozu dann vergeblich bitten, daß er thue, was er als seiner unwürdig doch nicht thun kann?

ANSELM: Wer nicht tilgt, ruft vergeblich: »Vergib«! wer dagegen tilgt, bittet, weil dies zur Tilgung selbst gehört, daß er bitte; Gott schuldet nämlich keinem, ihm aber schuldet alle Kreatur; und deshalb steht es dem Menschen nicht zu, mit Gott, als wäre er seinesgleichen, zu verhandeln. Hierüber brauche ich dir übrigens jetzt keinen Bescheid zu geben. Denn sobald du eingesehen, warum Christus starb, wirst du vielleicht von selbst verstehen, wonach du fragst.

BOSO: Ich will mich also einstweilen mit dem zufrieden geben, was du auf meine Frage erwiderst. Daß aber mit der Sünde behaftet keiner selig werden, sowie auch, daß keiner seiner Sünde ledig werden kann, es sei denn, er statte zurück, was er durch die Sünde widerrechtlich an sich gerissen; das hast du so überzeugend dargethan, daß ich beim schlimmsten Willen es nicht anzweifeln könnte.


Kapitel XX.

ANSELM: Auch das, dächte ich, wirst du nicht bezweifeln, daß sich die Genugthuung nach dem Maße der Sünde richten müsse.

BOSO: Andern Falles würde die Sündenangelegenheit ungeordnet bleiben, was nicht der Fall sein kann, wenn anders Gott in seinem Reiche nichts ungeordnet beläßt. Und das steht ja im vorhinein fest, daß bei Gott sogar die geringfügigste Unzukömmlichkeit ausgeschlossen bleibt.

ANSELM: So laß denn hören, was du für deine Sünde Gott entrichten wirst!

BOSO: Reue, ein zerknirschtes und gedemütigtes Herz, Entsagungen und vielfache Körperbeschwernisse, ein weiches Herz zum Geben und Vergeben, endlich noch Gehorsam.

ANSELM: Und was bietest du Gott mit all' diesem?

BOSO: Nun ehre ich etwa Gott nicht, da ich aus Furcht vor ihm und aus Liebe zu ihm in Herzenszerknirschung mich aller Weltlust begebe, in mühevoller Entsagung die Genüsse und Gemächlichkeit dieses Lebens mit Füßen trete, im Geben und Vergeben, was mir gehört, hinschenke und zuletzt im Gehorsam selbst mich ihm unterwürfig mache?

ANSELM: Indem du Gott bloß erstattest, was du ohnehin schuldest, auch wenn du nicht[54] gesündiget hättest, darfst du das nicht in Ansatz bringen für jene Schuld, welcher du durch die Sünde verfallen. All' das von dir Angeführte aber bist du Gott ohnehin schuldig. Denn einen so hohen Grad muß die Liebe erreichen in diesem Leibesleben und die mit Gebet verbundene Sehnsucht, an den Ort deiner Bestimmung zu gelangen; der Schmerz ferners, noch nicht dorthin gelangt zu sein, und die Furcht, vielleicht nie dahin zu gelangen: daß all' deine Freude auf das beschränkt sein muß, was dir Erleichterung oder Aussicht verheißt, dorthin zu gelangen. Denn nimmer verdienst du zu besitzen, was du nicht an sich liebst und begehrst und über dessen Nichtbesitz oder auch nur möglichen Verlust du keinen Schmerz empfindest. Hierher gehört denn auch, daß man die Bequemlichkeit und die weltlichen Ergötzlichkeiten, welche das Gemüt von der wahren Ruhe und Ergötzlichkeit so leicht abziehen, vermeide; es sei denn, inwieweit du erkennst, daß sie dem Streben nach Erreichung deiner Bestimmung nicht hinderlich sind. Mildthätigkeit ferners mußt du nicht weniger pflichtschuldig bezeigen, indem du wohl erkennst, das Geschenkte stamme nicht sowohl von dir selber als von jenem her, dessen Diener du zusamt dem Beschenkten bist; und nun lehrt dich die Natur, deinem Mitknechte, d.h. dem Nebenmenschen, zu thun, was du willst, daß er dir thue; auch soll, wer nicht geben will, was er hat, vergeblich erharren, was er nicht hat. Bezüglich der Versöhnlichkeit aber behaupte ich einfach, eine Rache steht dir durchaus nicht zu, wie wir bereits oben ausgeführt, da weder du dein, noch jener, der dir ein Unrecht zugefügt hat, dein oder sein Eigentümer ist, ihr vielmehr beide Knechte des Einen Herrn seid, welcher aus dem Nichts euch hervorbrachte; rächst du dich aber an deinem Mitknechte, so maßest du dir freventlich ein Urteil über ihn an, was dem Herrn und Richter aller allein zu befinden zusteht. Und vollends im Gehorsame, was gibst du Gott damit, das du ihm nicht zuvor schuldest, nach dem du seinem Befehle alles schuldest, was du bist und hast und kannst?

BOSO: Da wage ich jetzt freilich nicht mehr, in den angegebenen Punkten zu sagen, daß ich Gott schenke, was ich ihm ohnehin schulde.

ANSELM: Was[55] wirst du also Gott zahlen für deine Sündenschuld?

BOSO: Wenn ich mich selbst und all' mein Können, auch für den Fall, daß ich nicht sündige, Gott schulde, damit ich nicht sündige; so übriget mir nichts, was ich für meine Sündenschuld ihm erstatten könnte.

ANSELM: Welches wird aber dein Los dann sein? Auf welche Art wirst du gerettet werden können?

BOSO: Erwäge ich deine Gründe, so sehe ich nicht ein, wie das möglich. Halte ich mich jedoch an meinen Glauben, so vertraue ich, daß ich in dem »durch die Liebe wirksamen christlichen Glauben« gerettet werden kann, und weil wir lesen, daß »wenn sich der Ungerechte bekehrt hat von seiner Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit geübt hat, all' seine Ungerechtigkeit der Vergessenheit übergeben ist.«

ANSELM: Das gilt wohl von jenen, welche auf Christum hofften vor seiner Ankunft, oder welche an ihn glauben nach seiner Ankunft. Allein wir dachten uns den Fall so, wie wenn Christus und der christliche Glaube niemals vorhanden gewesen wäre, als wir uns die Aufgabe stellten, einzig mittels der Vernunft zu untersuchen, ob dessen Ankunft zur Erlösung der Menschheit notwendig war.

BOSO: So ist es.

ANSELM: Gehen wir darum lediglich mit der Vernunftbegründung vor!

BOSO: Auch ich wünsche, magst du mich noch so sehr in die Enge treiben, nur, daß du fortfahrst, wie du angefangen.


Kapitel XXI.

ANSELM: Nehmen wir an, daß du alles dasjenige, was du für die Sündenschuld zahlen zu können vorher angabst, nicht schuldest und sehen wir zu, ob es genügen könnte, zur Sühne einer einzigen so geringfügigen Schuld, wie ein einziger Blick gegen Gottes Willen das wäre!

BOSO: Würdest nicht du dieses in Zweifel ziehen, ich glaubte, durch die bloße Zerknirschung eine solche Sünde gutzumachen.

ANSELM: Du hast eben die Tragweite der Sünde noch nicht bedacht.

BOSO: Zeige sie mir jetzt.

ANSELM: Versetze dich in Gottes Gegenwart, und nun geböte dir jemand: Siehe dahin! Gott hingegen: Ich will einmal nicht, daß du dahin sehest; frage dich alsdann selbst in deinem Herzen, was von allem Bestehenden gälte dir so viel, gegen Gottes Willen jenen Blick dennoch zu wagen?

BOSO: Ich finde nichts,[56] was mich hierzu vermöchte, es müßte nur sein, daß ich gezwungen wäre, entweder diese, oder aber eine andere noch größere Sünde zu begehen.

ANSELM: Einen solchen Zwang hinweggedacht, frage dich in betreff dieser Sünde allein, ob du sie begehen und hernach dich widerum rein machen kannst!

BOSO: Deutlich sehe ich, daß ich solches zu thun nicht imstande bin.

ANSELM: Um dich nicht länger aufzuhalten, was dann, wenn entweder die ganze Welt und alles, was Gott nicht ist, zu Grunde gehen und vernichtet werden sollte; oder aber du eine so geringfügige Sache gegen Gottes Willen unternehmen müßtest?

BOSO: Betrachte ich die Handlung an sich, so erscheint sie mir als etwas höchst Geringfügiges; erwäge ich aber, daß sie Gottes Willen zuwiderläuft, so erkenne ich sie als etwas sehr Schweres und mit keinem anderen Schaden Vergleichbares; indes wir pflegen manchmal etwas gegen jemands Willen zu thun, ohne deshalb Tadel zu verdienen, zu seinem eigenen Interesse, was späterhin demjenigen genehm ist, wider dessen Willen wir handelten.

ANSELM: Das trifft nur beim Menschen zu, der nicht immer seinen Nutzen einsieht, oder seinen Verlust nicht immer wiederum ersetzen kann; Gott aber ist auf niemanden angewiesen und könnte, auch wenn alles zu Grunde gienge, in seinem ursprünglichen Zustande es wiederherstellen.

BOSO: Ich muß bekennen, daß ich, und wenn es die Erhaltung alles Erschaffenen gälte, nichts gegen Gottes Willen thun dürfte.

ANSELM: Wenn es nun aber mehrere Welten gäbe, voll von Geschöpfen, so wie diese?

BOSO: Und wenn es zahllose gäbe, und sie mir alle auf ähnliche Weise entgegengehalten würden; ich müßte auf derselben Antwort beharren.

ANSELM: Da wärst du vollkommen im Rechte; erwäge nun aber auch, im Falle du gegen Gottes Willen jenen Blick wagtest, was könntest du für eine solche Schuld bezahlen?

BOSO: Nichts stünde mir weiter zu Gebote, als was ich bereits nannte.

ANSELM: So schwer sündigen wir folglich jedesmal, so oft wir wissentlich auch nur das geringste gegen Gottes Willen thun, da wir ja immer vor seinem Angesichte stehen, und er uns immer befielt, nicht zu sündigen.

BOSO: Wie ich da höre, schweben wir wirklich in gar großer Gefahr.

ANSELM: Und offenbar verlangt Gott, der Größe der Sünde entsprechend, die Sühne.

BOSO: Ich muß das zugeben.

ANSELM: Mithin leistest du keine Genugthuung, woferne du nicht etwas Bedeutenderes erstattest,[57] als das ist, um dessen willen du die Sünde nicht hättest begehen sollen.

BOSO: Ich sehe ebenso gut, daß die Vernunft dieses fordert, daß aber auch die Leistung desselben nicht möglich.

ANSELM: Auch kann Gott keinen, der einigermaßen durch die Sündenschuld gebunden ist, zur Seligkeit aufnehmen, weil sie ihm nicht gebührt.

BOSO: Nur zu ernst ist die Wahrheit dieses Ausspruches.


Kapitel XXII.

ANSELM: Noch einen anderen Umstand vernimm, weshalb die Aussöhnung mit Gott für den Menschen so schwer ist!

BOSO: Würde nicht der Glaube mich trösten, das allein schon könnte mich zur Verzweiflung treiben.

ANSELM: Dennoch höre!

BOSO: Fahre weiter!

ANSELM: Der paradisische, sündelos erschaffene Mensch war für Gott zwischen Gott und den Satan gleichsam hineingestellt, auf daß er, durch seinen Widerstand gegen den Versucher zur Sünde, den Satan überwände, wie zur Rechtfertigung und Ehre für Gott, so zur Beschämung für den Satan, im Falle er, der Schwächere, auf Erden Befindliche, nicht sündigte, trotz Verführung durch denselben Satan, welcher, wiewohl stärker und im Himmel wohnend, sündigte, ohne daß ihn hiezu jemand verführte. Allein während der Mensch dieses leicht hätte vollführen können, ward er, ohne durch eine Gewalt gezwungen zu sein, in Kraft bloßer Überredung verführt, aus freien Stücken gehorsam gegen den Satan zu sein, und ungehorsam und unehrerbietig zu sein Gott gegenüber.

BOSO: Worauf willst du damit abzielen?

ANSELM: Urteile einmal selbst, ob es nicht wider Gottes Ehre wäre, würde der Mensch trotz der Gott zugefügten Schmach mit ihm wieder vereiniget, ohne zuvor durch Überwindung des Satans ebenso Gott geehrt zu haben, wie er in seiner Überwindung durch den Satan Gott verunehrte? Und zwar müßte dieser Sieg zugleich von der Art sein, daß derselbe Mensch, welcher in seiner früheren Kraft und Unsterblichkeitsanlage gleichwohl gerne dem Satan zur Sünde beipflichtete, weshalb er mit Recht die Strafe der Sterblichkeit erwirkte; daß derselbe Mensch, sage ich, in seiner nunmehrigen Schwachheit und selbstverschuldeten Sterblichkeit unter Todesnöten den Satan überwände, ohne irgend einer Sünde zu erliegen. Nimmer indes wird er das vermögen, solange er unter den Wehen der ersten Schuld empfangen und in Sünden schon geboren wird.

BOSO: Ich kann nur wiederholt versichern, daß die[58] Vernunft eine solche Forderung bekräftigt, das Unmögliche ihrer Ausführung jedoch gleich sehr gewiß ist.


Kapitel XXIII.

ANSELM: Noch ein Moment erfahre, ohne was der Mensch nicht rechtmäßig mit Gott versöhnt würde, wobei übrigens die gleiche Unausführbarkeit vorliegt.

BOSO: Du hast uns dessen, was wir zu thun gehalten sind, nunmehr schon so vieles vorgetragen, daß auch eine neue Beigabe mich nicht mehr schrecken kann.

ANSELM: So höre denn!

BOSO: Ich thue es!

ANSELM: Was entriß der Mensch Gott, als er sich vom Satan überwinden ließ?

BOSO: Fahre du fort, wie du begonnen; denn ich wüßte wahrlich nicht, was er außer dem von dir besprochenen Bösen weiter noch hätte thun können.

ANSELM: Entriß er Gott nicht, was dieser aus der Menschennatur zu machen vorhatte?

BOSO: Unleugbar.

ANSELM: Achte auf eine strenge Gerechtigkeit und urteile ihr gemäß, ob der Mensch im Verhältnis zur Sünde Gott genugthäte, wofern er nicht dasjenige, was er zufolge seiner Niederlage durch den Satan Gott entzog, durch einen Sieg über den Satan ihm ersetzte, so daß dann durch diesen Sieg der Satan verliert, Gott gewinnt, während bei der vorausgehenden Niederlage der Satan an sich riß, was Gott eignete, Gott aber zur Verlust kam.

BOSO: Genauer Zutreffendes und Gerechteres läßt sich nicht denken.

ANSELM: Hältst du dafür, daß die höchste Gerechtigkeit von dieser Gerechtigkeit Umgang nehmen konnte?

BOSO: Das getraute ich mich nicht.

ANSELM: So darf oder kann also der Mensch in keinem Falle von Gott erlangen, was ihm Gott zu geben einstens beschlossen, bis er Gott alles wiederum erstattet hat, was er ihm entzogen, so daß Gott durch ihn wiederum in seinen Besitzstand zurücktritt, sowie er durch ihn einen Verlust erfahren. Das mag indes doch auf keine andere Weise zu stande kommen, als daß gerade wie durch den überwundenen Menschen die ganze menschliche Natur verschlimmert und so zu sagen sauerteigartig zersetzt ward mittels der Sünde, bei deren Vorhandensein Gott keinen zur Vollmachung jener himmlischen Gemeinde zuläßt; so hinwieder durch den überwindenden Menschen ebenso viele von der Sünde frei werden, als jene Zahl ausfüllen sollten, zu deren Vollmachung[59] der Mensch erschaffen wurde. Solches auszuführen ist nun aber der sündhafte Mensch nicht imstande, weil doch nicht ein Sünder den anderen rechtfertigen kann.

BOSO: Nichts ist gerechter, nichts aber auch unmöglicher; allein nach all' dem Gesagten scheint Gottes Erbarmen und des Menschen Hoffnung in die Brüche gegangen, soweit letztere sich auf die dem Menschen zugedachte Seligkeit bezieht.

ANSELM: Habe noch ein wenig Geduld!

BOSO: Was wirst du weiter vorbringen?


Kapitel XXIV.

ANSELM: Heißt ein Mensch schon ungerecht, wenn er seinen Mitmenschen die Schuld vorenthält, so noch mehr derjenige welcher Gott seine Schuld nicht abträgt.

BOSO: Wenn er erstatten kann, und dennoch es unterläßt, so ist er in Wahrheit ungerecht. Wenn er es aber nicht kann, wie sollte er auch dann noch ungerecht heißen?

ANSELM: Möglich, daß er einigermaßen entschuldbar, wenn die Schuld der Unvermögenheit nicht an ihm liegt. Ist er jedoch an der Unvermögenheit selbst schuld, so zeigt sich seine Schuld ungemildert und die Nichtentrichtung des Schuldigen unentschuldbar. Denn woferne jemand seinem Diener eine Arbeit aufträgt und ihn warnt, sich ja nicht in eine Grube zu stürzen, auf welche er ihn aufmerksam macht, da ein Herauskommen für ihn nicht mehr möglich; und der Diener würde sich nun mit Hintansetzung des Geheißes und der Warnung seines Herrn aus freien Stücken in die vorbezeichnete Grube hinunterstürzen, so daß er jetzt freilich die aufgetragene Arbeit nicht mehr verrichten könnte; glaubst du, jene Unvermögenheit werde ihn irgendwie entschuldigen, wenn er nun die aufgetragene Arbeit nicht verrichten kann?

BOSO: Im Gegenteile, sie vergrößert seine Schuld, nachdem er selbst jene Unvermögenheit herbeiführte. Er fehlte zweimal; einmal, weil er nicht that, was ihm zu thun befohlen war; sodann weil er that, was ihm zu thun verboten war.

ANSELM: Und ebenso wenig ist der Mensch entschuldbar – welcher sich freiwillig in jenes Schuldverhältnis begeben, was er nun nicht mehr lösen kann, und der durch sein eigenes Verschulden jene Unvermögenheit herbeiführte, so daß er nicht einmal dasjenige leisten kann, was er bereits vor[60] der Sünde schuldete, nämlich nicht zu sündigen; geschweige dasjenige, was er seit der Sünde schuldet. Die Unvermögenheit selbst begründet seine Schuld, weil er sie nicht haben muß, im Gegenteile von ihr frei sein soll; wie es nämlich eine Schuld begründet, indem man nicht hat, was man haben sollte, – so ingleichem, indem man hat, was man nicht haben sollte. Gleichwie es mithin dem Menschen zur Schuld angerechnet wird, daß er die empfangene Fähigkeit nicht mehr besitzt, sich von der Sünde frei zu erhalten; so gereicht es ihm zur Schuld, mit jener Unvermögenheit behaftet zu sein, kraft deren er weder die Gerechtigkeit behaupten und die Sünde vermeiden, noch auch die durch die Sünde erwirkte Schuld berichtigen kann. Es war eben ein Akt freien Willens, als er jene Fähigkeit einbüßte und zugleich dieser Unfähigkeit verfiel. Es läuft aber auf dasselbe hinaus, eine Fähigkeit nicht besitzen, welche man besitzen sollte, und eine Unfähigkeit besitzen, welche man nicht besitzen sollte. Die Unfähigkeit, Gott das Schuldige zu erstatten, welche die wirkliche Nichterstattung im Gefolge hat, entschuldiget darum den Menschen nicht, wenn er nun wirklich nicht erstattet; die Folge der Sünde entschuldiget ja doch nicht die Sünde selbst, welche er begeht.

BOSO: Das ist härter als hart, aber es muß doch wohl so sein.

ANSELM: ungerecht ist folglich der Mensch, welcher Gott seine Schuld nicht entrichtet.

BOSO: Zweimal richtig; er ist ungerecht, weil er nicht entrichtet; und ungerecht, weil er nicht entrichten kann.

ANSELM: Kein Ungerechter aber wird teilhaben an der Seligkeit; sowie nämlich die Seligkeit eine Vollkommenheit ist, bei welcher keine Lücke entdeckbar, so gebührt sie selbst hinwiederum nur solchen, an welchen die Gerechtigkeit so rein erscheint, daß eine Ungerechtigkeit bei ihnen nicht denkbar.

BOSO: Ich wage nicht anders zu glauben.

ANSELM: Wer mithin Gott seine Schuld nicht entrichtet, wird hiemit von der Seligkeit auszuschließen sein.

BOSO: Auch diese Folgerung kann ich nicht verneinen.

ANSELM: Hieltest du nun aber entgegen, daß der barmherzige Gott dem Bittenden, was er schuldet, nachlasse, weil derselbe nicht erstatten kann; so könnte nur von einem Nachlasse dessen die Rede sein, was der Mensch aus freien Stücken zu geben gehalten, jedoch nicht fähig ist; d.h. was die Sünde aufwöge, die da ungeschehen bleiben sollte, und gälte es den Preis von allem in der Welt, was nicht Gott ist; oder aber dessen, was[61] Gott auf dem Strafwege wider seinen Willen dem Menschen entziehen wollte, d.i. wie ich früher ausführte, die Seligkeit. Allein ließe Gott nach, was der Mensch freiwillig leisten sollte, deshalb weil er es nicht leisten kann; hieße dies etwas anderes, als Gott läßt nach, was er eben doch nicht erlangen kann? Und gewiß wäre es Blasphemie, Gott eine derartige Barmherzigkeit beizulegen. Erließe Gott dagegen, was er dem Menschen wider Willen entziehen sollte, anbetrachts der Unvermögenheit desselben, zu erstatten, was er bereits aus freien Stücken zu erstatten gehalten wäre; so tilgte Gott den Strafcharakter und machte er den Menschen selig bei all' seiner Sündhaftigkeit, soferne dieser hat, was er nicht haben soll. Denn gerade jene Unvermögenheit soll er ja nicht haben, und darum lastet, solange er sie ohne dazwischen getretene Sühne hat, auf ihm die Sünde. Eine Barmherzigkeit Gottes aber von solchem Grade widerstrebe allzusehr seiner Gerechtigkeit, die da Bestrafung heischt für die Sünde. Mithin kann Gott so wenig barmherzig sein bis zu diesem Grade, als er in Widerspruch treten kann mit sich selber.

BOSO: Ich sehe wohl, eine andere Barmherzigkeit Gottes muß sich finden lassen, als die besprochene.

ANSELM: Gut; angenommen, Gott erlasse dem, welcher nicht zahlt, seine Schuld, aus dem Grunde, weil er sie zu zahlen unfähig ist. –

BOSO: Das nun meine ich.

ANSELM: Solange er dann nicht erstattet, läßt sich ein Doppeltes denken: Entweder er hat den Willen zu erstatten, oder er wird diesen Willen nicht haben. Will er, ohne indes zu können, so wird ihn das Gefühl einer Unbefriedigtheit nicht verlassen; fehlt ihm aber selbst der gute Wille, so ist er offenbar ungerecht.

BOSO: Nichts klarer als dieses.

ANSELM: Mag er aber mit jener Unbefriedigtheit, oder mit dieser Ungerechtigkeit behaftet sein, in beiden Fällen ist er unselig.

BOSO: Auch das ist einleuchtend.

ANSELM: Folglich wird er nicht selig sein können, solange er nicht wird erstatten können.

BOSO: Wahrhaftig, wenn Gott seine Gerechtigkeit walten läßt, so zeigt sich kein Ausweg für das arme Menschengeschöpf und muß es scheinen, als ob Gottes Barmherzigkeit verschwände.

ANSELM: Vernunftbegründung hast du gefordert; so laß' dir denn auch die Vernunftbegründung gefallen! Ich leugne am allerwenigsten, daß[62] Gott barmherzig ist; er, der Menschen und Tiere errettet, wie er denn seine Barmherzigkeit vervielfältiget hat. Allein wir sprechen von jener endgültigen Barmherzigkeit, womit er nach diesem Leben den Menschen selig macht; daß diese Seligkeit jedoch keinem verliehen werden dürfte, dem nicht die Sünden vollends vergeben sind, und daß diese Vergebung nur erfolgen dürfe nach Abtragung der Schuld, welche für die Sünde und im Verhältnisse zur Größe der Sünde schwebend ist, das meine ich durch die oben entwickelten Gründe denn doch ausreichend gezeigt zu haben. Glaubst du übrigens, wider jene Gründe Einwendungen erheben zu können, so brauchst du sie nur vorzubringen.

BOSO: Meinesteils sehe ich nun allerdings nicht, wie irgend einer deiner Gründe auch nur irgendwie zu entkräften wäre.

ANSELM: Ich hege selbst, im Falle sie nur richtig erwogen werden, dieselbe Ansicht. Indes wenn auch nur einer aus sämtlichen vorgebrachten mit unanfechtbarer Beweiskraft versehen wäre, so müßte das ja wohl genügen. Denn ob nun die Wahrheit durch einen oder durch mehrere Beweisgründe als eine unumstößliche dargethan ist; im einen wie im andern Falle erscheint sie über jeden Zweifel gleichmäßig erhaben.


Kapitel XXV.

BOSO: Ei so ist es. Wie nun aber soll der Mensch gerettet werden, wenn er selbst seine Schuld nicht abträgt, ohne Schuldabtragung aber nicht gerettet werden darf? Oder mit welcher Stirne werden wir behaupten, daß der über menschliche Vorstellung an Barmherzigkeit reiche Gott eine solche Barmherzigkeit nicht bethätigen könnte?

ANSELM: Da mußt du jetzt diejenigen (welche Christus nicht für unentbehrlich halten zur Erlösung des Menschengeschlechts), deren Partei du vertrittst, auffordern zu sagen, wie der Mensch ohne Christus gerettet werden könne. Sind sie es nicht imstande, so mögen sie aufhören, uns zu verhöhnen; herbeikommen und uns sich anschließen, die wir nicht bezweifeln, daß der Mensch durch Christus könne gerettet werden; oder sie müssen verzweifeln, daß solches auf irgend eine andere Weise möglich sei. Schaudern sie aber davor zurück, so mögen sie mit uns an Christus glauben, auf daß sie gerettet werden können.

BOSO: Dich werde ich, wie bisher, ersuchen, mir zu zeigen, auf welche Weise der Mensch durch Christus gerettet wird.

ANSELM: Ist es nicht hinlänglich erwiesen, daß durch Christus der Mensch gerettet werden kann, wenn sogar die Ungläubigen einräumen, daß der[63] Mensch auf irgend eine Art gerettet werden könne, zugleich aber auch der Nachweis geliefert ist, daß bei der Annahme, Christus existiere nicht, das Heil des Menschen auf keine Art sich finden läßt? Entweder wird nämlich der Mensch durch Christus, oder auf irgend eine andere oder überhaupt auf gar keine Art gerettet werden können; ist es nun falsch, daß dies auf gar keine, oder auf irgend eine andere Weise stattfinden kann, so muß es notwendig durch Christus geschehen können.

BOSO: Wenn nun jemand, der einsieht, weshalb das auf irgend eine andere Art nicht geschehen kann, zugleich nicht einsieht, auf welche Art es durch Christus geschehen könnte; wenn ein solcher behaupten wollte, daß es weder durch Christus noch auf irgend eine andere Art geschehen könnte, was würden wir ihm entgegnen?

ANSELM: Was würde man demjenigen antworten, der etwas, was notwendig sein muß, deshalb für unmöglich erklärte, weil er nicht weiß, wie sich dasselbe näher verhält?

BOSO: Daß er ein Thor sei.

ANSELM: Seine Aufstellung wäre also verwerflich?

BOSO: Gewiß; allein man wird ihm doch zeigen müssen, wie sich das näher verhält, was er für unmöglich befindet.

ANSELM: Siehst du denn nicht ein, nach dem, was wir früher entwickelten, daß notwendigerweise einige Menschen zur Seligkeit gelangen? Denn es ist Gottes unwürdig, den mit irgend einer Sünde behafteten Menschen dahin gelangen zu lassen, wohin seine Bestimmung lautete, da er noch von jeder Sünde frei war, damit es nicht den Anschein gewinne, als hätte er das angefangene Gute bereut, oder als könnte er seinen Plan nicht vollenden; so ist es ja wegen derselben Unzukömmlichkeit noch weniger denkbar, daß kein Mensch bei seiner ursprünglichen Bestimmung angelange. Daher muß die Sühne für die Sünde entweder außerhalb des christlichen Glaubens zu suchen sein, wovon wir eben gesprochen haben, ohne daß ein Vernunftgrund hiefür gezeugt hätte; oder dieselbe ist unzweifelhaft innerhalb des christlichen Glaubens vorauszusetzen. Was aber durch einen zwingenden Vernunftgrund sich als wahr ergibt, das darf nimmermehr in Zweifel gezogen werden, mag auch die Begründung des nähern Verhältnisses unsere Fassungskraft übersteigen.

BOSO: Richtig ist, was du sagst.

ANSELM: Was fragst du dann noch weiter?

BOSO: Ich bin gar nicht deshalb hier, um mir einen Glaubenszweifel von dir benehmen zu lassen, sondern um die Begründung des mir als gewiß Geltenden[64] von dir zu lernen; sowie du auf dem Wege der Vernunftbegründung mich jetzt dahin gebracht hast, daß ich einsehe, der sündige Mensch schulde Gott eben um der Sünde willen soviel, daß er nicht zurückerstatten kann, er könne aber im Falle der Nichterstattung auch nicht gerettet werden: so wünschte ich von dir noch dahin geführt zu werden, daß ich mit vernünftiger Nötigung einzusehen wüßte, alles das müsse sich so verhalten, was uns der katholische Glaube über Christus zu glauben vorhält, im Falle wir gerettet werden wollen; ferners, welche Bedeutung dem zur Rettung des Geschlechtes zukomme; endlich wie Gott gemäß seiner Barmherzigkeit den Menschen rette, wenn gleich er ihm die Sünde nicht vergibt, bevor derselbe erstattet, was er ihm ihretwegen schuldet; und damit deine Begründungen um so stichhaltiger seien, so magst du weit ausholen, um sie auf eine feste Grundlage zu stützen.

ANSELM: So möge denn Gott mir jetzt seine Gnade leihen, da du meiner so wenig schonst und nicht auf die Schwäche meiner Erkenntnis Rücksicht nimmst, welcher du vielmehr eine so schwere Arbeit auflastest! So will ich denn einen Versuch machen, nachdem ich einmal angefangen, nicht im Vertrauen auf mich, sondern im Vertrauen auf Gott, und was ich unter seinem Beistande vermag, will ich leisten. Indes wollen wir, damit nicht dereinst der geneigte Leser ob der allzu langen Aneinanderreihung Überdruß empfinde, den zweiten vom ersten Teil durch einen eigenen Eingang abgrenzen.[65]

Quelle:
Anselm von Canterbury: Warum Gott Mensch geworden. Regensburg, Rom, New York, Cincinnati 21902, S. 15-66.
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