Viertes Kapitel

[76] Die Untersuchung ist auch weiter auf das einander Aehnliche zu richten; so verhält sich z.B. das Angenehme ebenso zur Lust, wie das Nützliche zum Guten; denn jedes von beiden bringt das andere hervor. Ist nun die Lust das Gute, so ist auch das Angenehme das Nützliche; denn es wird dem offenbar etwas Gutes bewirken, wem die Lust ein Gut ist. Aehnlich ist die Prüfung auf die Entstehung und den Untergang zu richten; ist z.B. das Haus-Bauen eine Thätigkeit, so ist das ein-Haus-gebaut-haben ein Thätig-gewesen-sein, und ist[76] das Lernen ein Erinnern, so ist auch das Gelernt-haben ein Sich-erinnert-haben; und wenn das Auflösen ein Untergang ist, so ist das Sich-aufgelöst-haben ein Untergegangen – sein, und die Auflösung ein Untergang. Ebenso verhält es sich mit dem, was ein Entstehen oder Untergehen bewirkt, und mit dem Vermögen und dem Gebrauch. Ueberhaupt hat man sowohl bei dem Widerlegen wie bei dem Begründen auf jedwede Aehnlichkeit so Acht zu haben, wie ich es hier für die Entstehung und den Untergang dargelegt habe. Denn wenn das, was den Untergang bewirkt, etwas ist, was die Auflösung bewirkt, so ist auch das Untergehen ein Aufgelöst-werden und wenn das, was erzeugt, ein Thätiges ist, so ist auch das Erzeugen eine Thätigkeit und die Erzeugung eine That. Aehnlich verhält es sich mit dem Vermögen und dem Gebrauch desselben; denn wenn das Vermögen ein Zustand ist, so ist auch das ein – Vermögen – haben ein Zustand – haben, und wenn der Gebrauch eines Vermögens eine Thätigkeit ist, so ist auch das Gebrauchen ein Thätig-sein und das Gebraucht-haben ein Thätig-gewesen-sein.

Ist das dem aufgestellten Gegenstande Entgegengesetzte eine Beraubung, so kann man die Widerlegung in zwiefacher Weise führen; einmal, wenn das Entgegengesetzte zu der aufgestellten Gattung gehört; denn die Beraubung kann mit ihrem Gegensatze, dem Haben, überhaupt nicht in derselben Gattung enthalten sein, oder wenigstens nicht in der Gattung, welche der Art am nächsten steht; so ist z.B. das Gesicht eine Art des Wahrnehmens als der ihr am nächsten stehenden Gattung, aber die Blindheit ist kein Wahrnehmen. Zweitens kann die Widerlegung geschehen, wenn die Beraubung sowohl der aufgestellten Art, wie der aufgestellten Gattung entgegengesetzt ist, aber das Entgegengesetzte der Art nicht in dem der Gattung Entgegengesetzten enthalten ist; denn dann wird die aufgestellte Art auch nicht in der aufgestellten Gattung enthalten sein. Bei der Widerlegung sind also diese besagten Gesichtspunkte zu benutzen; bei der Begründung kann aber nur ein Gesichtspunkt benutzt werden. Ist nämlich die entgegengesetzte Art in der entgegengesetzten Gattung enthalten, so wird auch die aufgestellte Art in der aufgestellten Gattung enthalten sein; ist z.B. die Blindheit die Beraubung[77] eines Sinnes, so ist auch das Gesicht das Haben eines Sinnes.

Ferner muss man auch umgekehrt das Entgegengesetzte prüfen, wie schon bei Behandlung des Nebensächlichen gesagt worden; ist nämlich das Süsse ein Gutes, so ist auch das Nicht-Gute kein Süsses; denn wenn dies sich nicht so verhielte, so wäre auch ein Nicht-Gutes süss; allein dies ist unmöglich, da das Gute die Gattung des Süssen ist; denn das, von dem die Gattung nicht ausgesagt werden kann, kann auch zu keiner ihrer Arten gehören. Auch für die Begründung kann dieser Gesichtspunkt ebenso benutzt werden; denn wenn das Nicht-Gute kein Süsses ist, so ist das Süsse ein Gutes, so dass das Gute die Gattung für das Süsse ist.

Besteht die Art in einer Beziehung, so muss man prüfen, ob auch die Gattung eine Beziehung ist; denn ist es jene, so muss es auch diese sein, wie z.B. von dem Doppelten das Vielfache die Gattung ist; beide gehören zu den Beziehungen. Ist dagegen die Gattung eine Beziehung, so braucht deren Art es nicht zu sein; denn die Wissenschaft gehört zu den Beziehungen, die Sprachlehre aber nicht. Ja selbst das vorgehende Beispiel ist wohl nicht richtig; denn die Tugend befasst das Sittliche und das Gute, und die Tugend gehört zu den Beziehungen, während das Sittliche und das Gute nicht, sondern zu den Beschaffenheiten gehören. Auch ist zu prüfen, ob die Art sowohl als solche wie nach ihrem Gattungsbegriff auf denselben Gegenstand bezogen werden kann; so heisst z.B. das Doppelte das Doppelte von der Hälfte. Deshalb muss auch das Vielfache, als die Gattung des Doppelten, das Vielfache von der Hälfte heissen; geht dies nicht an, so wird auch das Vielfache nicht die Gattung von dem Doppelten sein.

Ebenso ist dies dann nicht der Fall, wenn die aufgestellte Art nach ihrem Gattungsbegriff nicht dieselbe Beziehung hat, wie nach ihren sämmtlichen höheren Gattungsbegriffen; denn wenn das Doppelte das Vielfache der Hälfte ist, so muss es auch das die-Hälfte-Uebertreffende sein und überhaupt nach allen höheren Gattungsbegriffen von der Hälfte ausgesagt werden können. Als ein Einwurf, dass die Art als solche und nach ihrem Gattungsbegriff nicht dieselbe Beziehung zu behalten[78] brauche, kann benutzt werden, dass die Wissenschaft von dem Wissbaren ausgesagt wird, das Haben und der Zustand aber nicht von dem Wissbaren, sondern von der Seele.

Ferner ist zu prüfen, ob die Gattung und die Art gleichmässig von den Beugungen des Bezogenen ausgesagt werden, also z.B., ob sie gleichmässig von dem einen, und von des einen und sonst noch von anderen Beugungen ausgesagt werden. Denn wie die Art, so muss auch die Gattung sich aussagen lassen; wie es z.B. bei dem Doppelten geschehen kann, so muss es auch bei den oberen Gattungen desselben geschehen können, denn von etwas wird sowohl das Doppelte wie das Vielfache ausgesagt. Dies gilt auch für die Wissenschaft; denn sowohl sie, als ihre Gattungen, der Zustand und das Haben sind solche von etwas. Doch kann man einwerfen, dass dies mitunter nicht der Fall sei, denn das »Verschiedene« und das »Gegentheil« sind es von Etwas, das »Andere« aber, welches die Gattung von ihnen ist, ist das Andere eines Etwas; denn man sagt, das Andere dieses Gegenstandes.

Ferner muss man prüfen, ob, wenn die Beziehung der Art und ihrer Gattung und höheren Gattungen zu dem betreffenden Gegenstande in derselben Wortbeugung ausgedrückt wird, sich diese Sätze auch in gleicher Weise umkehren lassen, wie dies bei dem Doppelten und Vielfachen der Fall ist; denn beide werden sowohl selbst, wie auch umgekehrt das Bezogene als das eines Gegenstandes ausgesagt; denn sowohl das Halbe wie die kleinern Bruchtheile werden als die eines anderen, nämlich des von ihnen bezogenen ausgesagt. Dies gilt auch von der Wissenschaft und von der Vorstellung; denn beide sind es von etwas und auch bei der Umkehrung bleibt die Wortbeugung bei beiden die gleiche, denn das Wissbare und das Vorstellbare ist es für etwas. Bleibt bei der Umkehrung die Wortbeugung des Bezogenen in Bezug auf die Art und Gattung nicht die gleiche, so erhellt, dass die Gattung und die Art nicht zu einander gehören.

Man muss ferner prüfen, ob die Art und die Gattung nach gleichen Wortbeugungen des Bezogenen ausgedrückt werden; denn beide müssen gleichmässig und nach gleich viel Beugungen ausgedrückt werden, wie dies z.B. bei[79] dem Geschenk und der Gabe der Fall ist. Denn man sagt vom Geschenk, es ist das Geschenk von etwas an jemand und ebenso von der Gabe, sie ist die Gabe von etwas an jemand. Die Gabe ist hier die Gattung und das Geschenk die Art; denn das Geschenk ist eine Gabe, die nicht zurückgegeben zu werden braucht. In manchen Fällen findet indess diese Gleichmässigkeit nicht statt, denn das Doppelte ist das Doppelte eines Gegenstandes, das Ueberragende und das Grössere ist aber das eines Gegenstandes und an einem Gegenstande; denn alles Ueberragende und Grössere ist das Ueberragende eines Gegenstandes und auch an einem Gegenstande. Sie sind deshalb nicht die Gattungen des Doppelten, da sie nicht in der gleichen Wortbeugung des Bezogenen wie die Art ausgedrückt werden; oder es ist nicht allgemein richtig, dass die Beziehung der Art und der Gattung zu der gleichen Wortbeugung des Bezogenen erfolgt.

Man muss auch prüfen, ob bei den Beziehungen das Entgegengesetzte von der aufgestellten Gattung auch die Gattung von der entgegengesetzten Art ist; wenn z.B. das Vielfache die Gattung von dem Doppelten ist, so muss auch das Vielgetheilte die Gattung von dem Halben sein; denn das Entgegengesetzte von der Gattung muss die Gattung von dem der Art Entgegengesetzten sein. Auch wenn jemand die Wissenschaft für eine Wahrnehmung erklärte, müsste das Wissbare auch ein Wahrnehmbares sein. Dies ist indess nicht der Fall, denn nicht alles Wissbare ist wahrnehmbar; da auch von dem durch die Vernunft Erkannten einiges wissbar ist. Deshalb ist das Wahrnehmbare nicht die Gattung vom Wissbaren und ist dies richtig, so ist auch die Wahrnehmung nicht die Gattung von der Wissenschaft.

Von den auf einander Bezogenen ist bei einem Theile derselben das eine nothwendig in dem anderen oder an dem anderen, auf das es bezogen wird, enthalten; z.B. der Zustand und das Haben und das Ebenmass (denn diese sich Beziehenden können in keinem anderen Gegenstand, als in dem, auf welchen sie sich beziehen, bestehen); ein anderer Theil muss zwar nicht in dem, auf welchen er sich bezieht, enthalten sein, allein er kann es doch, z.B. wenn das Wissbare die Seele ist, denn die Seele kann zwar das Wissen von ihr selbst haben,[80] aber es ist dies keine Nothwendigkeit, denn es kann ja das Wissen von ihr auch in einem Anderen enthalten sein; ein dritter Theil endlich kann nicht in dem enthalten sein, auf welchen er sich bezieht, wie z.B. das Gegentheil nicht in seinem Gegentheile oder die Wissenschaft nicht in dem Wissbaren, ausgenommen wenn das Wissbare die Seele oder ein Mensch wäre. Deshalb muss man Acht haben, ob der Gegner das sich Beziehende der einen Art in die Gattung einer anderen Art stellt, z.B. wenn er das im Gedächtniss-Haben ein Bleiben des Wissens nennte; denn jedes Bleiben ist nur in dem bleibenden Gegenstande und an demselben; und deshalb ist das Verbleiben des Wissens nur in dem Wissen selbst. Das im Gedächtniss-Haben wäre also darnach in dem Wissen enthalten, wenn es ein Bleiben des Wissens sein sollte. Allein dies kann nicht sein; denn alles im Gedächtniss-Haben ist in der Seele. Dieser Gesichtspunkt kann auch für ein nebensächliches Ausgesagtes benutzt werden, denn es ist gleichgültig, ob man das Bleiben für die Gattung des im Gedächtniss-Haben erklärt, oder ob man sagt, dass dem im Gedächtniss-Haben das Bleiben nur nebensächlich zukomme; denn mag das Gedächtniss in irgend welcher Weise ein Bleiben des Wissens genannt werden, so kann immer derselbe Grund dagegen geltend gemacht werden.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 76-81.
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