Sechstes Kapitel

[86] Auch hat man zu prüfen, ob etwa die angegebene Gattung überhaupt von Nichts die Gattung ist. Denn dann wird sie offenbar auch nicht die Gattung von der angegebenen Art sein. Man kann dies daran erkennen, dass die an der aufgestellten Gattung theilnehmenden Dinge sich in keiner Weise der Art nach unterscheiden, wie das z.B. bei dem Weissen der Fall ist; denn mehreres Weisse unterscheidet sich der Art nach nicht von einander. Da nun aber bei jeder Gattung die Arten verschieden sind, so kann das Weisse nicht die Gattung von etwas sein.

Man hat ferner zu prüfen, ob nicht etwas, was von jedem Dinge ausgesagt werden kann, als Gattung oder Art-Unterschied aufgestellt worden ist, denn es giebt mehreres dergleichen; so kann z.B. das Seiende und das Eine von jedwedem ausgesagt werden. Ist also das Seiende als Gattung aufgestellt worden, so ist klar, dass es die Gattung von jedwedem ist, da es von jedwedem ausgesagt wird, während doch die Gattung nur von ihren Arten ausgesagt werden darf, und es würde dann auch das Eine eine Art des Seienden sein. Es ergäbe sich also, dass von Allem, wovon die Gattung ausgesagt würde, auch die Art ausgesagt werden könnte, während doch die Art nur von weniger Gegenständen ausgesagt werden darf. Sollte aber das jedwedem Zukommende als der Art-Unterschied aufgestellt sein, so würde offenbar der Art-Unterschied von Gleich-vielem oder Mehrerem als die Gattung, ausgesagt werden; denn wenn die Gattung ebenfalls jedwedem zukommt, so kommt dann der Art- Unterschied[86] Gleich-vielem zu; wird aber die Gattung nicht von jedwedem ausgesagt, so würde der Art-Unterschied sogar von Mehrerem, als die Gattung ausgesagt.

Ferner ist zu prüfen, ob die aufgestellte Gattung als in der unterliegenden Art enthalten so ausgesagt wird, wie z.B. das Weissin dem Schnee enthalten ist. Es ist dann klar, dass die Gattung nicht die wahre ist, da die Gattung nur von der unterliegenden Art ausgesagt werden kann.

Ferner muss man prüfen, ob auch die Gattung mit der Art einnamig ausgesagt wird; denn die Gattung muss von allen ihren Arten einnamig ausgesagt werden.

Ferner ist zu prüfen, ob nicht etwa, wenn von der aufgestellten Art und Gattung ein Gegentheil besteht, die bessere der einander entgegengesetzten Arten in die schlechtere Gattung gestellt ist; dann muss die andere Art in der entgegengesetzten Gattung enthalten sein, da Gegentheile auch zu gegentheiligen Gattungen gehören, und es würde dann die bessere Art in der schlechteren Gattung und die schlechtere Art in der besseren Gattung enthalten sein, während doch die bessere Art auch zur besseren Gattung gehört. Ebenso muss man prüfen, ob nicht etwa, wenn die zu derselben Art gehörenden Dinge sich zu beiden Gattungen gleich verhalten, dieselben in die schlechtere, statt in die bessere Gattung gestellt worden sind, wie z.B. bei der Seele, die sowohl bewegend wie bewegt genannt werden kann; denn sie scheint sowohl stillstehend wie beweglich zu sein, und ist ersteres das Bessere, so muss man dieses als die Gattung aufstellen.

Ferner kann die Widerlegung aus dem Gesichtspunkte des Mehr oder Weniger dann entnommen werden, wenn die Gattung das Mehr annimmt, aber die Art nicht und zwar weder sie selbst, noch das nach ihr benannte Einzelne. Nimmt z.B. die Tugend das Mehr an, so thut es auch die Gerechtigkeit und das Gerechte; denn man nennt ja den einen Menschen gerechter, als den anderen. Nimmt also die aufgestellte Gattung das Mehr an, die Art aber weder als solche, noch in den nach ihr benannten Einzelnen, so wird die aufgestellte Gattung nicht die wahre sein.

Ferner ist zu prüfen, ob etwa eine Gattung, die mehr, oder wenigstens ebenso viel, als die aufgestellte Gattung,[87] es zu sein scheint, doch nicht die wahre Gattung ist; denn dann ist auch die aufgestellte Gattung nicht die wahre. Dieser Gesichtspunkt ist vorzüglich in den Fällen zu benutzen, wo von der Art mehrere zu dem Was derselben gehörende Bestimmungen ausgesagt werden und nicht bestimmt ist und man auch nicht leicht selbst angeben kann, welche davon deren Gattung ist; z.B. wenn von dem Zorne sowohl der Schmerz, wie die Annahme, dass man gering geschätzt werde, als zu dem Was des Zornes gehörend ausgesagt werden können; denn der Zornige empfindet Schmerz und er nimmt auch an, dass er gering geschätzt werde. Dieselbe Prüfung kann man auch bei der Art anstellen, wenn man sie mit einer anderen vergleicht; denn wenn eine solche andere Art, obgleich sie noch mehr, oder doch ebenso sehr wie die andere zu der aufgestellten Gattung gehörig erscheint, doch nicht in der aufgestellten Gattung enthalten ist, so ist klar, dass auch die aufgestellte Art nicht in dieser Gattung enthalten sein wird.

In dieser Weise ist bei Widerlegungen von diesem Gesichtspunkte Gebrauch zu machen. Für die Begründung kann er aber nicht benutzt werden, wenn sowohl die aufgestellte Art wie Gattung das Mehr annehmen kann, denn trotzdem braucht das eine nicht die Gattung des anderen zu sein. So nimmt das Schöne ebenso wie das Weiss das Mehr an und doch ist keines die Gattung des anderen. Dagegen ist die gegenseitige Vergleichung der Arten und Gattungen ein brauchbarer Gesichtspunkt; ist z.B. sowohl das eine, wie das andere in gleicher Weise die Gattung, so ist, wenn das eine die richtige Gattung ist, es auch das andere. Ebenso brauchbar ist der Fall, wenn das eine es weniger, das andere es mehr ist, z.B. wenn von der Selbstbeherrschung die Macht mehr als die Tugend deren Gattung zu sein scheint; ist hier nun die Tugend die Gattung, so ist es auch die Macht. Dasselbe lässt sich auch auf die Arten anwenden; ist z.B. diese und jene Art gleichmässig zu einer Art des vorliegenden Gegenstandes geeignet, und ist die eine wirklich eine Art desselben, so ist es auch die andere, und ist die, welche sich als die geringere darstellt, eine wirkliche Art des Gegenstandes, so ist es auch die, welche sich als die noch mehr dazu geeignete darstellt.[88]

Auch ist behufs der Begründung zu prüfen, ob die Gattung, welche von den aufgestellten Arten behauptet wird, von dem Was derselben ausgesagt wird, und zwar nicht blos von einer der aufgestellten Arten, sondern von mehreren und verschiedenen Arten; denn dann wird sie offenbar die Gattung sein. Ist aber nur eine Art aufgestellt worden, so muss man prüfen, ob diese Gattung nicht auch von dem Was anderer Arten ausgesagt werden kann, denn dann wird die Gattung auch von mehreren und verschiedenen Arten ausgesagt werden.

Da indess Manche der Ansicht sind, dass auch der Art – Unterschied zu dem Was der Arten gehöre, so muss man die Gattung von den Art-Unterschieden absondern, indem man dazu die früher angegebenen Gesichtspunkte benutzt; also zunächst den, dass die Gattung sich weiter erstreckt, als der Art-Unterschied; ferner den, dass zur Angabe des Was einer Art die Gattung sich mehr eignet als der Art-Unterschied. So bezeichnet derjenige, welcher den Menschen ein Geschöpf nennt, mehr das Was des Menschen, als der, welcher ihn als auf dem Lande lebend bezeichnet. Ferner giebt der Art-Unterschied immer nur eine Beschaffenheit der Gattung an, aber die Gattung keine Beschaffenheit des Art-Unterschieds; denn wer sagt: Auf dem Lande lebend, giebt eine Beschaffenheit des Geschöpfes an; aber wer Geschöpf sagt, giebt damit keine Beschaffenheit des auf dem Lande Lebenden an.

In dieser Weise ist also der Art-Unterschied von der Gattung abzusondern. Da ferner der Musikalische als solcher ein Wissender ist, so wird auch die Musik eine Wissenschaft sein, und ebenso wird, wenn das Gehende durch das Gehen sich bewegt, der Gang eine Bewegung sein. Hiernach muss man also prüfen, in welche Gattung man den Gegenstand bei Aufstellung eines Satzes einreihen will. So kann man das Wissen für eine Ueberzeugung erklären, wenn der Wissende als solcher überzeugt ist; denn dann ist offenbar das Wissen eine Ueberzeugung. Dieser Gesichtspunkt ist auch in anderen solchen Fällen festzuhalten.

Da ferner etwas, was von einem Gegenstande immer ausgesagt werden kann, sich in dem Falle schwer von dessen Gattung unterscheiden lässt, sofern der dies aussprechende Satz sich nicht umkehren lässt, so kann man,[89] wenn etwas einem Gegenstande immer beifolgt, aber letzterer nicht immer dem Etwas, wie z.B. die Ruhe der Windstille und das Gesonderte der Zahl immer beifolgt, aber dies nicht umgekehrt der Fall ist (denn nicht alles Gesonderte ist die Zahl und nicht jede Ruhe ist eine Windstille) das immer Beifolgende als Gattung aufstellen, sofern es sich mit dem andern nicht umkehren lässt. Stellt aber der Gegner eine solche Behauptung auf, so muss man dies nicht überall gelten lassen; denn man kann als Einwurf dagegen geltend machen, dass jedem Werdenden das Nicht-sein zukomme (denn das Werdende ist nicht) und dass dieser Satz sich auch nicht umkehren lasse (denn nicht alles Nicht-seiende ist ein Werdendes), und dabei ist doch das Nicht-seiende keine Gattung des Werdenden; denn von dem Nicht-seienden giebt es überhaupt keine Arten.

In Bezug auf die Feststellung der Gattung ist also nach den angegebenen Regeln zu verfahren.[90]

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 86-91.
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