|
[93] Zunächst untersuche man, ob die Eigenthümlichkeit gut, oder nicht gut ausgedrückt worden ist. Dies bestimmt sich einmal nach dem Umstand, ob die Eigenthümlichkeit durch etwas Bekannteres ausgedrückt ist, als der Gegenstand selbst für uns ist, dessen Eigenthümlichkeit sie sein soll, oder ob dies nicht der Fall ist. Ist ersteres nicht geschehen, so kann dies zur Widerlegung benutzt werden; ist es aber geschehen, so dient dies der Begründung des Satzes. Die Eigenthümlichkeit ist nicht durch Bekannteres ausgedrückt, wenn dabei die Eigenthümlichkeit überhaupt unbekannter ist oder unbekannter als der Gegenstand, dessen Eigenthümlichkeit sie sein soll; denn dann ist sie nicht gut ausgedrückt; da man die Eigenthümlichkeit der besseren Erkenntniss des Gegenstandes wegen hervorhebt; deshalb muss sie bekannter sein, als der Gegenstand, da er dann besser erkannt werden wird. Wenn man z.B. als Eigenthümlichkeit des Feuers angäbe, dass es der Seele am ähnlichsten sei, so gebraucht man die Seele als etwas, was weniger bekannt ist, wie das Feuer (denn man weiss mehr was das Feuer, als was die Seele ist), und es würde die Eigenthümlichkeit des Feuers nicht gut ausgedrückt sein, wenn man sagte, es sei das der Seele Aehnlichste.
Sodann ist weiter die Eigenthümlichkeit nicht gut ausgedrückt, wenn nicht das Einwohnen derselben in dem Gegenstand ebenfalls bekannter, als dieser selbst, ist; denn die Eigenthümlichkeit muss nicht allein selbst bekannter sein, als ihr Gegenstand, sondern auch ihr Einwohnen muss bekannter, als der Gegenstand sein; denn wer nicht weiss, ob sie dem Gegenstande einwohnt, wird auch nicht wissen, ob sie dem Gegenstande allein einwohnt. Somit wird in diesen beiden Fällen die Eigenthümlichkeit nicht deutlich ausgedrückt sein. Wenn z.B. jemand als eine Eigenthümlichkeit des Feuers aufstellte, dass es das ursprünglichste Element sei, aus welchem die Seele entstanden sei, so würde er mit diesen Bestimmungen, wonach die Seele in dem Feuer enthalten und ursprünglich in ihm enthalten sein solle, etwas Unbekannteres, als das Feuer selbst ist, aufstellen, und es wäre die Eigenthümlichkeit des Feuers damit nicht gut ausgedrückt, dass[94] man sagte, sie sei das, aus welchem ursprünglich die Seele entstanden sei. Dagegen lässt sich mittelst dieses Gesichtspunktes ein Streitsatz begründen, wenn die Eigenthümlichkeit durch etwas Bekannteres und zwar in beiderlei Hinsicht ausgedrückt wird. Das Eigenthümliche wird dann für diesen Gegenstand gut ausgedrückt sein; denn von den zur Begründung benutzbaren Gesichtspunkten für die Frage, ob die Eigenthümlichkeit gut ausgedrückt sei, ergeben manche nur das Richtige für den in Frage stehenden Gegenstand, andere führen aber allgemein zu einer richtigen Angabe des Eigenthümlichen. Wenn also jemand als die Eigenthümlichkeit lebender Wesen angegeben hat, dass sie wahrnehmen, so hat er die Eigenthümlichkeit durch Bekannteres und in bekannterer Weise nach beiden Gesichtspunkten ausgedrückt, und es wird also dann das Wahrnehmen in guter Weise als die Eigenthümlichkeit lebender Wesen ausgedrückt sein.
Ferner kann man es zur Widerlegung benutzen, wenn eines von den Worten, mit denen die Eigenthümlichkeit ausgedrückt worden ist, zweideutig ist, oder wenn die ganze Rede doppelsinnig ist; denn die Eigenthümlichkeit ist dann nicht gut ausgedrückt. So ist das Wort: Wahrnehmen zweideutig; es bezeichnet einmal den Besitz der Sinne und dann auch den Gebrauch derselben; deshalb würde die Eigenthümlichkeit des lebenden Wesens nicht gut ausgedrückt sein, wenn als solche das Wahrnehmen angegeben wäre. Deshalb muss man für die Bezeichnung der Eigenthümlichkeit sich sowohl der zweideutigen Worte wie der doppelsinnigen Reden enthalten, denn das Zweideutige macht den Ausspruch unklar, und wer den Satz angreifen will, weiss dann nicht, in welchem Sinne er denselben nehmen soll. Das Eigenthümliche soll ja die Kenntniss erweitern. Dazu kommt, dass der, welcher die Eigenthümlichkeit so ausdrückt, eine Widerlegung erfahren muss, insofern jemand gegen den nicht passenden Sinn der zweideutigen Rede seine Schlüsse richtet. Für die Begründung müssen deshalb weder die Worte noch die ganze Rede eine Doppelsinnigkeit enthalten; erst dann ist die Eigenthümlichkeit gut ausgedrückt. So ist z.B. weder das Wort: Körper, noch der Ausdruck: am meisten nach oben sich bewegend, noch der daraus gebildete Satz mehrdeutig, und deshalb wird die Eigenthümlichkeit des[95] Feuers, als eines am meisten nach oben sich bewegenden Körpers, dadurch gut ausgedrückt sein.
Ferner dient es zur Widerlegung, wenn der Gegenstand, dessen Eigenthümlichkeit angegeben wird, zweideutig ausgedrückt und nicht bestimmter gesagt ist, von welchem der mehreren Gegenstände die Eigenthümlichkeit behauptet wird; denn dann ist die Eigenthümlichkeit mangelhaft angegeben. Weshalb sie dies ist, erhellt aus dem früher Gesagten, denn die dort sich ergebenden Mängel müssen auch hier eintreten. So bedeutet z.B. das: »Dieses wissen« mehreres (denn einmal bedeutet es, dass einer das Wissen hat, dann, dass er das Wissen gebraucht, dann, dass er das Wissen von diesem Gegenstande hat und dann, dass er das Wissen an demselben gebraucht); wäre also mit diesem Ausdruck der Gegenstand des Eigenthümlichen bezeichnet und nicht angegeben, in welchem Sinne der Ausdruck gemeint sei, so wäre das Eigenthümliche schlecht ausgedrückt. Dagegen dient es zur Begründung eines Satzes, wenn der Gegenstand, von dem die Eigenthümlichkeit angegeben wird, nicht zweideutig, sondern nur als einer und einfach bezeichnet wird; denn dann ist die Eigenthümlichkeit von ihm gut bezeichnet. So ist z.B. das Wort: Mensch nur eindeutig, und es wird deshalb die Eigenthümlichkeit ein von Natur zahmes Geschöpf zu sein, in Bezug auf den Menschen gut ausgedrückt sein.
Ferner muss man behufs der Widerlegung auch darauf achten, ob bei der Bezeichnung der Eigenthümlichkeit ein und dasselbe mehrfach gesagt worden ist. Dies wird oft, sowohl bei Aufstellung der Eigenthümlichkeiten, wie bei den Definitionen versehen. Eine so ausgedrückte Eigenthümlichkeit ist nicht gut aufgestellt; denn der Zuhörer wird durch solche Widerholung gestört, und es muss deshalb die Sache unklar werden, und ausserdem den Schein eines blossen Possenspiels annehmen. Dieser Fehler wird auf zweierlei Weise begangen; einmal dann, wenn man dasselbe Wort wiederholt gebraucht; z.B. wenn jemand als die Eigenthümlichkeit des Feuers angiebt, dass es ein Körper sei, welcher der leichteste von allen Körpern sei (denn hier ist das Wort: Körper mehrmals gesagt), zweitens wenn jemand die Worte mit dem Begriffe vertauscht; z.B. wenn jemand als die Eigenthümlichkeit der Erde[96] angäbe, sie sei ein Ding, was seiner Natur nach am meisten von allen Körpern nach unten treibe und dann statt des Wortes: Körper, den Ausdruck »solcher Dinge« einschöbe; denn der Körper und ein solches Ding sind ein und dasselbe. Dann wäre auch das Wort: Ding mehrfach gebraucht und deshalb in keiner von beiden Weisen die Eigenthümlichkeit gut ausgedrückt. Für die Begründung dient es aber, wenn dasselbe Wort nicht wiederholt gebraucht wird; denn dann ist die Eigenthümlichkeit gut ausgedrückt. Wenn also z.B. jemand als die Eigenthümlichkeit des Menschen bezeichnet, dass er ein der Wissenschaft fähiges Geschöpf sei, so gebraucht er dasselbe Wort nicht wiederholt, und die Eigenthümlichkeit wird dann in diesem Punkte gut ausgedrückt sein.
Es kann ferner für die Widerlegung benutzt werden, wenn bei Angabe der Eigenthümlichkeit ein solches Wort gebraucht worden ist, was von jedwedem ausgesagt werden kann; denn das, was sich von anderen Dingen nicht unterscheidet, kann hier nicht benutzt werden, da das als Eigenthümlichkeit Angenommene den Gegenstand so bezeichnen muss, dass man ihn von allen anderen unterscheiden kann, sowie dies auch die Definition thun muss, und deshalb wird ein solches Eigenthümliches nicht gut ausgedrückt sein. Wenn z.B. jemand als Eigenthümlichkeit der Wissenschaft angäbe, dass sie in einer durch Gründe nicht zu erschütternden Annahme, die Eines sei, bestehe, so gebrauchte er bei dieser Bezeichnung des Eigenthümlichen das: Eines, was jedwedem Dinge zukommt. Deshalb gehört es zu dem Begründen, dass man kein solches gemeinsames Wort benutzt, sondern nur ein solches, welches die Eigenthümlichkeit von Anderem abscheidet; dann wird die Eigenthümlichkeit gut aufgestellt sein. Benennt also z.B. jemand als Eigenthümlichkeit des Geschöpfes, dass es eine Seele habe, so benutzt er kein allen gemeinsames Wort und es wird deshalb die so ausgedrückte Eigenthümlichkeit des Geschöpfes in diesem Punkte gut bezeichnet sein.
Ferner kann es für die Widerlegung benutzt werden, wenn von einem Gegenstande mehrere Eigenthümlichkeiten aufgestellt worden sind, ohne dass dies ausdrücklich gesagt worden ist; denn dann ist die Eigenthümlichkeit nicht gut ausgedrückt, da ja auch bei den Definitionen[97] dem das Wesen ausdrückenden Begriffe nichts weiter hinzugefügt werden darf. Ebenso darf auch bei den Eigenthümlichkeiten neben dem Satze, welcher die betreffende Eigenthümlichkeit ausdrückt, nichts weiter daneben gesagt werden, denn dies wäre nutzlos. Bezeichnet jemand als die Eigenthümlichkeit des Feuers den feinsten und leichtesten Körper, so hat er mehrere Eigenthümlichkeiten genannt (denn jedes von beiden kann in Wahrheit nur von dem Feuer ausgesagt werden) und deshalb würde der Ausdruck, dass das Eigenthümliche des Feuers darin bestehe, dass es der feinste und leichteste Körper sei, nicht gut sein. Dagegen nützt es für die Begründung, wenn man Eigenthümlichkeiten des Gegenstandes aufstellt, sondern nur eine; denn dann ist in dieser Beziehung die Eigenthümlichkeit gut ausgedrückt. Giebt also z.B. jemand als die Eigenthümlichkeit des Feuchten an, dass es ein Körper sei, welcher sich jeder Gestalt füge, so hat er nur eine und nicht mehrere Eigenthümlichkeiten angegeben, und die Eigenthümlichkeit des Feuchten wird dann in diesem Punkte gut aufgestellt sein.
Ausgewählte Ausgaben von
Organon
|
Buchempfehlung
Anatol, ein »Hypochonder der Liebe«, diskutiert mit seinem Freund Max die Probleme mit seinen jeweiligen Liebschaften. Ist sie treu? Ist es wahre Liebe? Wer trägt Schuld an dem Scheitern? Max rät ihm zu einem Experiment unter Hypnose. »Anatols Größenwahn« ist eine später angehängte Schlußszene.
88 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro