Dreizehntes Kapitel

[26] Ueber die Notwendigkeit bei den Schlüssen, wie sie sich ergiebt und wie sie sich von dem einfachen Sein unterscheidet, habe ich wohl nunmehr das Notlüge dargelegt. Ich werde also nunmehr über das statthafte Sein sprechen und untersuchen, wenn und wie und durch welche Vordersätze sich hier ein Schlusssatz ergiebt. Ich nenne aber dasjenige statthaft und ein statthaftes Sein, was zwar nicht nothwendig ist, aber aus dessen Annahme sich auch kein unmögliches ergiebt; in einem anderen Sinne wird nämlich auch das Nothwendige als statthaft bezeichnet. Dass nun das Statthafte sich so verhält, erhellt aus den bejahenden und verneinenden Gegensätzen; denn das Nicht-statthaft-Sein und das Unmöglich-Sein und das Nothwendig-nicht-Sein bezeichnen dasselbe und können sich gegen einander austauschen; folglich gilt dies auch von ihren widersprechenden Gegensätzen, nämlich von dem Statthaft-Sein, dem Nicht-unmöglich-Sein[26] und dem Nicht-nothwendig-Nicht-sein; auch diese bezeichnen dasselbe und können mit einander ausgetauscht werden; denn von jedem Dinge gilt entweder die Bejahung oder die Verneinung. Sonach ist also das Statthafte nicht-nothwendig und das Nicht-nothwendige statthaft.

Es ergiebt sich auch, dass alle Vordersätze, welche ein statthaftes Sein ausdrücken, in den entgegengesetzten Satz umgekehrt werden können. Ich meine damit nicht, dass die bejahenden Sätze sich in bejahende umkehren lassen, sondern dass alle Sätze von bejahender Form sich in die gegensätzliche Verneinung umkehren lassen. So kann z.B. das statthafte Enthaltensein in das statthafte Nicht-enthalten-sein umgekehrt werden; ferner das statthafte In-allen-Enthalten-sein in das statthafte In-keinem-Enthalten-sein, oder in das »Nicht-in-allen-Enthalten-sein«. Eben so kann das In-einigen-Enthalten-sein umgekehrt werden in das In-einigen-Nicht-enthalten-sein. Dasselbe gilt auch von jenen anderen Ausdrücken; denn da das Statthafte nicht-nothwendig ist und das Nicht-nothwendige statthafterweise nicht-sein kann, so erhellt, dass wenn A statthafterweise in B enthalten ist, es auch statthaft ist, dass A nicht in B enthalten ist; und wenn A statthafterweise in allen B enthalten ist, so ist es auch statthaft, dass A in keinem B enthalten ist. Dasselbe gilt auch für die beschränkten Bejahungen; denn der Beweis ist derselbe. Solche Sätze sind überhaupt bejahende und nicht verneinende; denn das Statthafte wird eben so wie das Sein den Begriffen im Satze zugesetzt, wie ich schon früher gesagt habe.

Nachdem ich dies auseinandergesetzt habe, so sage ich nochmals, dass das Statthafte in einem zwiefachen Sinne gebraucht wird; einmal für das, was meistentheils geschieht und wo das Nothwendige weggelassen ist, z.B. für das grau werden des Menschen oder für sein Wachsen oder für sein Abnehmen und überhaupt für sein naturgemässes Sein (denn dieses enthält nicht ununterbrochen das Nothwendige, weil der Mensch nicht immer ist, da er nämlich bald aus Notwendigkeit, bald nur meistentheils Mensch werden kann.) Zweitens bezeichnet das Statthafte das Unbestimmte, was so und auch nicht-so sein kann, wie z.B. das Gehen bei einem Geschöpf, oder[27] das Donnern, während man geht, oder überhaupt das zufällige Geschehen; denn hier neigt das Statthafte nicht mehr zu dem Einem wie zu dem entgegengesetzten.

Das Statthafte lässt sich nun in seinen beiden Bedeutungen in die entgegengesetzten Aussagen umkehren, indess nicht in gleicher Weise; vielmehr kann das naturgemässe Sein sich in das Nicht-nothwendige Sein umkehren (denn in diesem Sinne ist es statthaft, dass ein Mensch nicht grau wird); das unbestimmte Statthafte kann dagegen in das »Nicht mehr so, wie nicht-so Sein« umgekehrt werden. Von dem solcher Gestalt Unbestimmten giebt es keine Wissenschaft und keinen beweisenden Schluss, weil hier kein fester und gewisser Mittelbegriff gesetzt werden kann, dagegen giebt es eine Wissenschaft und Schlüsse für das Naturgemässe. Die Reden und Untersuchungen behandeln meistentheils ein solches Statthafte. Bei dem unbestimmten Statthaften vermag man wohl einen Schluss zu Stande zu bringen, indess pflegt man nicht darauf auszugeben.

Vorstehendes wird in dem Folgenden näher auseinandergesetzt werden, jetzt will ich aber angeben, wenn und welcher Art ein Schluss aus statthaften Vordersätzen sich ergiebt. Da nun der Ausdruck, es sei statthaft, dass dieses in jenem enthalten ist, in zwiefachem Sinne aufgefasst werden kann, nämlich entweder so, dass dieses in jenem enthalten ist, oder dass es in jenem statthafterweise enthalten sein kann; denn der Ausdruck: dass A in den mit B bezeichneten Dingen statthaft sei, sagt entweder: dass A in den Dingen enthalten sei, von denen B ausgesagt wird, oder in denen, von welchen B statthafterweise ausgesagt werden kann; dagegen haben der Ausdruck, dass A in den mit B bezeichneten Dingen statthafterweise enthalten, und der Ausdruck, dass A in dem ganzen B statthafterweise enthalten sei, denselben Sinn; so erhellt, dass man auch in zwiefachem Sinne sagen kann, A sei statthafterweise in dem ganzen B enthalten.

Zunächst werde ich nun sagen, ob, wenn B statthafterweise in den mit C bezeichneten Dingen und A statthafterweise in den mit B bezeichneten Dingen enthalten ist, dann ein Schluss sich ergiebt und von welcher Art. Denn in dieser Weise gilt das Statthaft sein[28] von beiden Vordersätzen; wenn aber von den Dingen, in welchen B enthalten ist, A statthaft ist, so bezeichnet der eine Vordersatz das einfache Sein, der andere das statthafte Sein. Sonach habe ich, wie in den früheren Fällen, mit den gleichartig lautenden Vordersätzen zu beginnen.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 26-29.
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