Dreiundzwanzigstes Kapitel

[142] Die Induktion und der Schluss aus der Induktion ist nun ein Schliessen des Oberbegriffs durch den Unterbegriff vermittelst des Mittelbegriffs. Wenn z.B. von den Begriffen A und C, B der Mittelbegriff ist, so ist die Induktion[142] ein Zeichen vermittelst des Begriffes C, dass A in B enthalten ist; denn so vollzieht man die Induktionen. Es sei z.B. A das Langlebende, B das keine Galle Habende und C das einzelne Langlebende, wie der Mensch, das Pferd, das Maulthier. In dem ganzen C ist nun das A enthalten, denn alles Einzelne, was keine Galle hat, ist langlebend; allein auch B, das keine Galle Habende ist in dem ganzen C enthalten. Wenn nun C mit B sich austauschen lässt und C nicht über den Mittelbegriff hinausgeht, so muss A in B enthalten sein; denn ich habe vorher gezeigt, dass, wenn zwei Begriffe demselben dritten zukommen und mit einem dieser beiden Begriffe der Aussenbegriff ausgetauscht werden kann, dass dann in dem austauschbaren Begriffe auch der andere von den beiden ausgesagten Begriffen enthalten ist. Man muss aber unter C den Inbegriff aller einzelnen darunter enthaltenen Dinge verstehen; denn die Induktion geschieht durch alle diese Einzelnen.

Ein solcher induktiver Schluss geht von einen ersten und unvermittelten Vordersatz aus; denn bei Sätzen, die einen Mittelbegriff haben, geschieht der Schluss durch diesen; wo aber dieser Mittelbegriff fehlt, geschieht der Schluss durch Induktion. Auch bildet in einer Art die Induktion einen Gegensatz zum Schluss; letzterer zeigt vermittelst des Mittelbegriffs, dass der Oberbegriff dem Unterbegriff zukomme; die Induktion zeigt dagegen durch den Unterbegriff, dass der Oberbegriff dem Mittelbegriff zukomme. Der Natur nach früher und begreiflicher ist der Schluss durch den Mittelbegriff, für uns ist aber der Schluss durch Induktion der deutlichere.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 142-143.
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