Sechsundzwanzigstes Kapitel

[145] Der Einwurf ist ein Satz, welcher das Gegentheil eines Vordersatzes aussagt. Von dem Vordersatze eines Schlusses unterscheidet er sich darin, dass der Einwurf beschränkt lauten kann, während bei dem Vordersatze dies entweder überhaupt nicht statthaft ist oder wenigstens nicht bei Schlüssen, die allgemein lauten. Der Einwurf kann auf doppelte Weise und in zwei Figuren angebracht werden; doppelt, weil jeder Einwurf entweder allgemein oder beschränkt lauten kann, und in zwei Figuren, weil er als Gegensatz gegen den Vordersatz aufgestellt werden muss, und Gegensätze nur in der ersten und dritten Figur gefolgert werden können. Denn wenn der Vordersatz behauptet, dass Etwas in allen enthalten sei, so kann man einwerfen, dass es in keinem enthalten oder in einigen nicht enthalten sei und davon kann das »in keinem« nur in der ersten Figur, und das »in einigen nicht« nur in der dritten Figur geschlossen werden. Es sei z.B. A der Satz: Eine Wissenschaft sein, und B seien: Gegentheile. Wenn nun Jemand behauptet, von[145] Gegentheiligem gebe es nur eine Wissenschaft, so macht man entweder den Einwurf, dass überhaupt es nicht ein und dieselbe Wissenschaft über Entgegengesetztes gebe und zu dem Entgegengesetzten gehörten die Gegentheile, so dass also die erste Figur sich ergiebt; oder dass es von Bekanntem und Unbekanntem nicht eine Wissenschaft gebe, was die dritte Figur ist; denn von dem C, welches das Bekannte und Unbekannte bezeichnen soll, ist es zwar wahr, dass es Gegentheile enthält, allein falsch ist es, dass es davon eine Wissenschaft gebe.

Eben so verhält es sich auch, wenn der Vordersatz verneinend lautet. Denn behauptet Jemand, dass es von den Gegentheilen nicht ein und dieselbe Wissenschaft gebe, so könne man einwerfen, entweder: dass von allen widersprechenden Gegensätzen oder von einigen Gegentheilen es eine Wissenschaft gebe, z.B. von dem Gesunden und Kranken; das Erstere wird nun in der ersten und das Letztere in der dritten Figur bewiesen. Ueberhaupt muss man, wenn man den Einwurf allgemein aufstellen will, den Gegensatz gegen den allgemein gefassten Vordersatz aufstellen; wenn also behauptet wird, dass es von allen Gegentheilen eine Wissenschaft nicht gebe, so muss man einwerfen, dass es von allen Gegensätzen eine Wissenschaft gebe; dann muss der Einwurf nothwendig in der ersten Figur aufgestellt werden; denn Mittelbegriff wird hier der allgemeine, in Verhältniss zu dem in der Behauptung gesetzte Begriff. Lautet aber der Einwurf nur beschränkt, so muss er sich auf das Allgemeine, von dem der Vordersatz ausgesagt wird, beziehen; z.B. dass es von Bekanntem und Unbekanntem nicht eine Wissenschaft gebe; denn der Begriff: »Gegentheil« ist dazu das Allgemeine, und es ergiebt sich dann die dritte Figur. Der Mittelbegriff ist hier der beschränkte Begriff, wie hier das Bekannte und das Unbekannte. In den Figuren, in welchen das Entgegengesetzte geschlossen werden kann, in diesen versucht man auch die Einwürfe einzukleiden, und deshalb kann man sie nur in diesen beiden Figuren anbringen, denn nur in diesen gehen die Schlüsse auf das Entgegengesetzte, da in der zweiten Figur die Schlusssätze nicht bejahend lauten. Dies gilt auch dann, wenn der in der zweiten Figur aufgestellte Einwurf etwa einer weiteren Begründung bedürfte;[146] wenn z.B. nicht zugegeben würde, dass A in B enthalten sei, weil das C von dem A nicht ausgesagt werde; denn dies kann erst aus anderen Vordersätzen dargelegt werden. Allein man darf den Einwurf nicht auf Anderes ausdehnen, sonderen den anderen Vordersatz, der zum Beweis des Einwurfs nöthig ist, als einen selbstverständlichen bei der Hand haben. Deshalb kann auch kein Zeichen aus der zweiten Figur erschlossen werden.

Man muss jedoch auch auf die anderen zu erhebenden Einwürfe Acht haben, wie z.B. auf die aus dem Gegentheilen und aus dem Aehnlichen und aus der Meinung; eben so ob man nicht den beschränkten Einwurf in der ersten Figur und dem verneinenden in der zweiten Figur begründen könne.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 145-147.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Organon
Philosophische Bibliothek, Bd.13, Sophistische Widerlegungen (Organon VI)
Organon Band 2. Kategorien. Hermeneutik oder vom sprachlichen Ausdruck. Griechisch - Deutsch
Das Organon (German Edition)