Zehntes Kapitel

[66] Da die Bejahung etwas von einem Gegenstande aussagt und letzterer entweder einen Namen hat oder ein Namenloses ist, so muss in jeder Bejahung eins von Einem ausgesagt werden. (Ueber Namen und Namenloses habe ich schon früher gesprochen; denn Nicht-Mensch gilt mir nicht als ein Name, sondern nur als ein unbestimmter Name, da auch das unbestimmte irgend Eines bezeichnet; ebenso ist auch das: er geneset nicht, kein Zeitwort, wohl aber ein unbestimmtes Zeitwort.) Hiernach wird jede Bejahung und Verneinung entweder aus einem Namen und einem Zeitwort oder aus einem unbestimmten Namen und einem unbestimmten Zeitwort bestehen. Ohne ein Zeitwort giebt es weder eine Bejahung noch eine Verneinung; denn das ist und das wird-sein und das war und das wird, sind wie alle andern Worte dieser Art, nach dem, was ich früher hierüber aufgestellt habe, Zeitworte, da sie die Zeit hinzufügen. Deshalb wird die erste Bejahung und Verneinung sein: der Mensch ist; – der Mensch ist nicht; dann: der Nicht-Mensch ist; – der Nicht-Mensch ist nicht; weiter: jeder Mensch ist; – nicht jeder Mensch ist; und: jeder Nicht-Mensch ist; – nicht jeder Nicht-Mensch[66] ist. Dasselbe gilt für die nicht gegenwärtigen Zeiten.

Wenn aber das ist als ein drittes hinzugefügt wird, so können die Gegensätze zweifach ausgesagt werden. Ich meine das so, wie z.B.: der Mensch ist gerecht; dieses ist kann in der Bejahung dem Hauptworte oder Zeitworte hinzutreten. Sonach werden dadurch vier Aussagen entstehen, von denen zwei in Bezug auf Bejahung und Verneinung der Zusammenstellung gemäss, sich wie Beraubungen verhalten werden und zwei nicht so. Ich meine das ist kann entweder dem gerecht, oder dem nicht-gerecht zugehören: und ebenso kann dies bei den verneinenden Sätzen geschehen, so dass sich also vier Sätze ergeben werden.

Dies wird man deutlicher aus den figurenartig neben einander gestellten Sätzen erkennen, wie folgt:


Der Mensch

Der Mensch

ist gerecht

ist-nicht gerecht

×

Der Mensch ist

Der Mensch ist-nicht

nicht-gerecht

nicht-gerecht


Hier gehört das Ist und das Nicht-ist einmal zu dem Gerechten und einmal zu dem Nicht-gerechten. Diese Sätze werden so geordnet, wie in den Analytiken dargelegt worden ist.

Ebenso verhält es sich, wenn die Bejahung des Hauptworts allgemein geschieht; also;


Jeder Mensch

Nicht-jeder Mensch

ist gerecht

ist gerecht.

×

Jeder Mensch ist

Nicht-jeder Mensch

nicht-gerecht

ist nicht-gerecht.


Nur stimmen hier die einander diametral gegenüberstehenden Sätze nicht ebenso in ihrem Inhalte überein, wie in der vorigen Zusammenstellung; doch kann auch dies manchmal der Fall sein.

Diese beiden Arten von Urtheilen in der Zusammenstellung bilden also Gegensatze; zwei andere Arten beziehen sich auf den Nicht-Menschen, als Unterliegendem, nämlich:[67]


Der Nicht-Mensch

Der Nicht-Mensch

ist gerecht

ist nicht-gerecht.

×

Der Nicht-Mensch

Der Nicht-Mensch

ist – nicht gerecht

ist-nicht nicht-gerecht.


Mehr Gegensätze, als diese hier aufgeführten, wird es nicht geben; indess werden diese letzten Arten von Urtheilen von jenen beiden gesondert für sich bestehen, da sie sich des Nicht-Menschen als Hauptwortes bedienen.

Wo aber bei einzelnen Worten das ist nicht anwendbar ist, wie z.B. bei dem Urtheil: Er befindet sich wohl, oder: Er geht, da bewirkt das so beigefügte Wort dasselbe, als wenn das ist hinzugesetzt wäre; z.B.: Jeder Mensch befindet sich wohl, – jeder Mensch befindet sich nicht wohl – jeder Nicht-Mensch befindet sich wohl, – jeder Nicht-Mensch befindet sich nicht wohl. Man darf nämlich hier nicht sagen: nicht-jeder, sondern das nicht muss als Verneinung dem: Mensch hinzugesetzt werden, weil das jeder nicht den allgemein Gegenstand bezeichnet, sondern nur, dass etwas allgemein von ihm ausgesagt wird, wie sich aus folgenden Sätzen ergiebt: Der Mensch befindet sich wohl; – der Mensch befindet sich nicht wohl; – der Nicht – Mensch befindet sich wohl; – der Nicht-Mensch befindet sich nicht wohl. Diese Sätze unterscheiden sich von jenen nur dadurch, dass sie nicht allgemein lauten. Sonach besagt das jeder und das keiner nur, dass die Bejahung oder Verneinung von dem Hauptworte allgemein gelten solle, dagegen ist das Uebrige in gleicher Weise beizufügen.

Da von dem Satze: Jedes Geschöpf ist gerecht, diejenige Verneinung das Gegentheil ist, welche ausdrückt, dass kein Geschöpf gerecht ist, so ist klar, dass solche gegentheilige Sätze niemals beide zugleich von demselben Gegenstände wahr sein können; dagegen können Sätze, welche zu diesen sich widersprechend verhalten, manchmal zugleich wahr sein; so z.B. die Urtheile: Nicht-jedes Geschöpf ist gerecht; – und: ein Geschöpf ist gerecht.

Das Urtheil: kein Mensch ist gerecht, tauscht sich mit dem: jeder Mensch ist nicht-gerecht aus; ebenso tauscht sieh mit dem Urtheile: Ein Mensch ist gerecht,[68] das entgegenstehende Urtheil: nicht jeder Mensch ist nicht-gerecht aus, denn dann muss nothwendig einer gerecht sein.

Auch erhellt hieraus, dass man bei Einzel – Urtheilen dann, wenn man das Gefragte in Wahrheit verneinen kann, die Antwort auch bejahend in Wahrheit ausdrücken kann; so z.B. auf die Frage: Ist Sokrates weise? – Nein; – also ist Sokrates nicht-weise. Aber bei allgemeinen Sätzen gilt nicht das Gleiche; sondern bei diesen ist in solchem Falle die Verneinung wahr; z.B.: Ist jeder Mensch weise ? – Nein; – also, könnte man meinen, ist jeder Mensch nicht-weise; allein dieser Satz wäre falsch; dagegen ist der Satz; Nicht-jeder Mensch ist weise hier der wahre. Dies ist der widersprechend entgegenstehende Satz, jener aller der gegentheilige.

Die Sätze, welche mit unbestimmten Haupt- oder Zeitwörtern einander entgegenstehen, wie z.B. die mit Nicht-Mensch oder nicht-gerecht, könnte man vielleicht für Verneinungen ohne Hauptwort oder Zeitwort halten; allein dies sind sie nicht; denn der verneinende Satz muss immer entweder wahr oder falsch sein; wenn aber Jemand nur sagt: Nicht-Mensch, so hat er nicht mehr, sondern eher weniger etwas wahres oder falsches ausgesagt, als Derjenige, welcher Mensch sagt, sofern nichts hinzugesetzt wird. Auch bezeichnet der Satz: Jeder Nicht-Mensch ist gerecht, nicht dasselbe, wie jene früheren Sätze; und dies gilt auch von dem diesen entgegengesetzten Satze: nicht-jeder Nicht-Mensch ist gerecht; dagegen besagt der Satz: Jeder Nicht – Mensch ist nicht – gerecht, dasselbe wie der Satz: kein Nicht-Mensch ist gerecht.

Blosse Umstellungen der Hauptworte und der Zeitworte in einem Satze ändern dessen Bedeutung nicht; z.B.: weiss ist der Mensch – und: der Mensch ist weiss. Wäre die Bedeutung beider nicht dieselbe, so gäbe es mehrere Verneinungen ein und desselben Satzes, während doch gezeigt worden ist, dass es von jeder Bejahung nur eine Verneinung giebt; denn von dem Satze: weiss ist der Mensch, ist die Verneinung: nicht-weiss ist der Mensch. Wenn nun aber der Satz: der Mensch ist weiss, nicht dasselbe bedeutete, wie der Satz: weiss ist der Mensch, so müsste die Verneinung desselben entweder[69] lauten: der Nicht-Mensch ist nicht-weiss, oder: der Mensch ist nicht-weiss. Allein der erstere ist die Verneinung des Satzes: der Nicht-Mensch ist weiss, und der andere ist die Verneinung des Satzes: der Mensch ist weiss, und es gäbe dann ja zwei Verneinungen von einem Satze.

Danach ist klar, dass auch bei Umstellung des Hauptwortes und Zeitwortes die Bejahung und Verneinung dieselben bleiben.

Quelle:
Aristoteles: Kategorien oder Lehre von den Grundbegriffen. Aristoteles: Hermeneutica oder Lehre vom Urtheil. Leipzig 1876, S. 66-70.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Organon
Philosophische Bibliothek, Bd.13, Sophistische Widerlegungen (Organon VI)
Organon Band 2. Kategorien. Hermeneutik oder vom sprachlichen Ausdruck. Griechisch - Deutsch
Das Organon (German Edition)

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon