Siebzehntes Kapitel

[36] Sowie man einen nur glaubwürdigen Schluss manchmal einem wahren vorziehen muss, so muss man als erste Vorschrift, auch mitunter bei Auflösung der sophistischen Widerlegungen, mehr das Glaubwürdige als das Wahre benutzen. Ueberhaupt hat man Streitsüchtige nicht als solche, welche wahrhaft widerlegen, zu bekämpfen, sondern als solche, welche nur den Schein dessen erstreben, da man ja nicht anerkennt, dass sie wirkliche Schlüsse bilden,[36] und es daher genügt, den blossen Schein derselben aufzudecken. Wenn also die wahre Widerlegung in dem unzweideutigen Beweis des Entgegengesetzten aus bestimmten Vordersätzen bestellt, so braucht der Gegner bei Bekämpfung eines sophistischen Schlusses nicht über die Zweideutigkeit und Gleichnamigkeit im Allgemeinen zu sprechen, da er selbst keinen Schluss aufstellt; sondern er hat nur den verschiedenen Sinn der Sätze darzulegen, damit der gezogene Schluss sich als eine blos scheinbare Widerlegung ergebe. Man hat sich deshalb hier nicht vor der wirklichen Widerlegung, sondern vor der blos scheinbaren in Acht zu nehmen, da Fragen mit zweideutigen Worten und mehrfachem Sinne, sowie andere dergleichen verfängliche Mittel sowohl die wahre Widerlegung verdunkeln, wie nicht erkennen lassen, ob der Antwortende widerlegt ist, oder nicht; denn zuletzt ist es dann dem Widerlegten immer noch erlaubt, zu sagen, dass dasjenige nicht widerlegt worden sei, was er behauptet habe, da das betreffende Wort Verschiedenes bezeichne. Wenn er daher auch noch so sehr dasselbe wie der Gegner gemeint hat, so bleibt es doch ungewiss, ob er widerlegt worden, da man nicht wissen kann, ob er jetzt es ernstlich meint. Wären dagegen bei einer Frage die verschiedenen Bedeutungen vorher auseinandergelegt worden, so wäre die sophistische Widerlegung leicht erkannt worden. Das was früher die auf den Streit Ausgehenden mehr, als jetzt, verlangten, nämlich dass der Gegner blos mit Ja oder Nein das Gefragte beantworten solle, würde dann auch jetzt geschehen können. Da aber jetzt nicht mehr richtig gefragt wird, müssen die Befragten einen Theil der Frage in ihre Antwort mit aufnehmen, um den Mangel der Frage zu beseitigen; wird jedoch gehörig bei der Frage unterschieden, so muss allerdings der Antwortende darauf mit Ja oder Nein antworten. Wenn man annähme, dass die auf eine Zweideutigkeit sich stützende Widerlegung eine wahre Widerlegung sei, so könnte der Antwortende kaum der Widerlegung entgehen; denn bei sichtbaren Gegenständen muss er bald das Wort, was er gebraucht hat, verneinen, bald das, was er verneint hat, gebrauchen. Auch nützt das Mittel, womit Manche sich hier helfen wollen, nichts. Sie sagen nämlich nicht, Koriskos ist gebildet und ungebildet, sondern dieser Koriskos[37] ist gebildet und dieser Koriskos ungebildet. Allein die Rede bleibt dieselbe, ob ich »Koriskos«, oder »diesen Koriskos« gebildet oder ungebildet nenne, denn es bleibt immer bei der, beide zugleich treffenden Verneinung oder Bejahung. Indess bezeichnet der letztere Ausdruck doch wohl nicht dasselbe, und wohl auch der blosse Name vorher nicht; es ist also allerdings ein Unterschied vorhanden. Wollte man aber sich so helfen, dass man bei dem ersten einfach Koriskos sagte und bei dem andern das »ein« oder »dieser« hinzusetzte, so wäre dies verkehrt; denn diese Bezeichnung kommt auch dem ersten zu, und es kommt kein Unterschied heraus, mag man das »dieser« dem einen oder dem andern zusetzen.

Da indess, wenn der Antwortende die Zweideutigkeit nicht aufdeckt, es ungewiss bleibt, ob er widerlegt worden ist, oder nicht, so ist, da in den Disputationen diese Aufdeckung erlaubt ist, klar, dass es ein Fehler ist, wenn er diese Aufdeckung nicht vornimmt, sondern die Frage einfach zugiebt, und es gleicht dann seine Rede einer widerlegten, wenn auch nicht er selbst widerlegt worden ist. Indess kommt es oft vor, dass der Antwortende zwar die Zweideutigkeit bemerkt, aber zaudert, sie aufzudecken, wegen der Mienen derer, welche mit dergleichen Zweideutigkeiten sich wappnen, und weil er den Schein vermeiden will, als sei er über alles unzufrieden; auch glaubt er wohl nicht, dass daraus die Widerlegung entnommen werden dürfte, und so begegnet es ihm, dass etwas Unglaubwürdiges gegen ihn bewiesen wird. Ist also die Aufdeckung der Zweideutigkeit gestattet, so darf er, wie ich vorher gesagt habe, damit nicht zögern.

Wenn der Fragende aus zwei Fragen nicht eine machte, so würde auch der auf die Zweideutigkeit gestützte Fehlschluss nicht gelingen, sondern es würde sich entweder eine wahre Widerlegung oder gar keine ergeben. Denn was ist da für ein Unterschied zwischen dem Fall, wo gefragt wird, ob Kallias und Themistokles gebildet seien, und dem Fall, dass Beide denselben Namen führen, aber doch verschiedene Personen sind? Denn wenn der Name mehr als Eines bezeichnet, so ist auch mehr als Eines gefragt worden. Wenn es also unrichtig ist, auf zwei Fragen eine Antwort mit einfachem Sinn zu verlangen, so erhellt, dass Niemand auf eine zweideutige[38] Frage einfach zu antworten braucht, selbst wenn auch die Antwort für alle Bedeutungen derselben richtig wäre, für welchen Fall es Manche verlangen. Denn dies ist ebenso, als wenn man früge: Sind Koriskos und Kallias zu Hause, oder nicht zu Hause? mögen nun beide zu Hause sein oder nicht beide; denn in beiden Fällen sind es mehrere Sätze, und wenn man auch beide Fragen mit einer Antwort richtig beantworten kann, so wird dadurch die Frage doch nicht zu einer. Es ist ja möglich, dass man selbst zehntausend gestellte verschiedene Fragen mit einem Ja oder Nein richtig beantworten kann; allein deshalb darf man sie doch nicht mit einer Antwort beantworten, da das Zwiegespräch dadurch aufgehoben wird. Es ist dies ebenso, als wenn man verschiedenen Dingen denselben Namen gäbe. Darf man also auf mehrere Fragen nicht mit einer Antwort antworten, so erhellt, dass man auch zweideutige Fragen nicht mit Ja oder Nein beantworten darf; denn wenn dies geschieht, hat der Betreffende nicht geantwortet, sondern nur gesprochen. Trotzdem wird bei dem Disputiren dies verlangt, weil von dem Gefragten nicht immer bemerkt wird, was daraus gefolgert werden kann.

So wie nun nach dem Bisherigen manche Widerlegungen keine sind, aber den Schein solcher haben, so giebt es auf dieselbe Weise auch Auflösungen derselben, welche zwar solche zu sein scheinen, aber keine sind, und ich habe bereits gesagt, dass man diese scheinbaren Lösungen mitunter als die wirklichen bei dem streitsüchtigen Disputiren und bei Aufdeckung der Zweideutigkeiten benutzen solle. Auf Fragen, die etwas Wahrscheinliches betreffen, hat man mit den Worten: Es mag so sein, zu antworten; dann wird man sich am wenigsten einer sophistischen Widerlegung aussetzen; muss man aber etwas Unglaubwürdiges sagen, so muss man da besonders hinzufügen, dass es so scheine, denn dann wird weder eine sophistische Widerlegung erfolgen, noch etwas Unglaubwürdiges nachgewiesen werden können. Da bekannt ist, wie das erst zu Beweisende in den Vordersätzen als schon bewiesen aufgenommen zu werden pflegt, und Alle glauben, dass, wenn die Widerlegung nahe bevorsteht, man Einzelnes umstossen und nicht einräumen müsse, weil es erst zu beweisen sei und nicht als schon[39] bewiesen behandelt werden dürfe, so muss man, wenn der Fragende etwas behauptet, was zwar eine nothwendige Folge des Streitsatzes, aber falsch oder unglaubwürdig ist, von demselben Mittel Gebrauch machen; denn das, was nothwendig aus dem Streitsatze sich ergiebt, gehört ja auch zu dem Streitsatz selbst. Wenn ferner der Fragende das Allgemeine nicht mit einem bestimmten Namen, sondern vergleichsweise bezeichnet, so muss man geltend machen, dass er das Allgemeine nicht in dem Sinne nehme, wie es zugestanden und wie es von ihm zunächst aufgestellt worden sei; denn auch auf solche Weise wird oft eine sophistische Widerlegung herbeigeführt. Wenn aber alle diese Mittel nicht anwendbar sind, so muss man zu der Behauptung schreiten, dass der Beweis nicht richtig geführt sei, indem man dem Gegner unter Benutzung der früher von der Widerlegung angegebenen Definition entgegentritt.

Bei den im eigentlichen Sinne gebrauchten Worten muss man entweder einfach, oder mit Unterscheidung der einzelnen Fälle antworten; bei dem aber, was man noch in einem anderen Sinne verstehen kann, also wo nicht deutlich, sondern unvollständig gefragt worden, da kann eine Widerlegung zu Stande kommen; so kann z.B. bei der Frage: Ist das, was zu Athen gehört, Eigenthum von Athen? eine solche Widerlegung geschehen, wenn der Gefragte darauf mit Ja antwortet. Aehnlich stellt man Fragen, z.B. die andere Frage: Ob der Mensch zu den Geschöpfen gehört? Antwort: Ja; also schliesst der Fragende, ist der Mensch das Eigenthum der Geschöpfe. – Denn vom Menschen sagt man, er gehört zu den Geschöpfen, weil er ein Geschöpf ist und von dem Lysander sagt man, er gehört zu den Lacedämoniern, weil er ein solcher ist. Es ist also klar, dass man unklar gestellte Fragen nicht einfach zugestehen darf.

Wenn von zwei Bestimmungen, sofern die eine besteht, nothwendig auch die andere bestehen muss, umgekehrt aber aus dem Bestehen der letzteren nicht das der ersteren nothwendig folgt, so hat man in solchen Fällen eher das Geringere zuzugeben, da dem Fragen den es schwer fällt, aus mehreren Sätzen seinen Beweis zu führen. Wenn aber der Fragende einwendet, dass für[40] die eine Bestimmung ein Gegentheil bestehe, aber nicht für die andere, so muss der Antwortende, wenn dies richtig ist, behaupten, dass auch für letztere ein Gegentheil bestehe, nur fehle der Name dafür.

Es giebt Manches, wo die Menge, wenn der Antwortende es nicht zugesteht, sagen dürfte, dass er unwahr spreche; bei Anderem ist dies aber nicht der Fall, wie da, wo die Meinungen getheilt sind (so gilt es für die Menge nicht als ausgemacht, ob die Seelen der Thiere vergehen oder unsterblich sind). Wo es nun ungewiss ist, wie die alternative Frage von der Menge entschieden zu werden pflegt, da muss man eher so, wie die Sinnsprüche es thun antworten; denn Sinnsprüche nennt man sowohl die richtigen Aussprüche, wie die allgemeinen Verneinungen, z.B. dass für die Diagonale und die Seiten eines Quadrats kein gemeinsames Mass bestehe. Auch kann der Antwortende da, wo über eine Frage verschiedene Ansichten bestehen, der Widerlegung am leichtesten entgehen, wenn er in den Worten des Streitsatzes wechselt. Hier wird man sein Verfahren nicht für sophistisch halten, weil es unklar ist, auf welcher Seite die Wahrheit ist, und bei der Verschiedenheit der Ansichten wird er nicht als einer gelten, der Falsches behauptet, während der Wechsel in den Worten seinen Ausspruch unwiderlegbar machen wird.

Ferner muss der Antwortende in Bezug auf die Fragen, welche er voraussieht, im voraus Einwürfe machen und sie im voraus aufstellen; denn auf diese Weise wird er dem Fragenden am besten entgegentreten.

Quelle:
Aristoteles: Sophistische Widerlegungen. Heidelberg 1883, S. 36-41.
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