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[26] Von dem was ist, ist einiges von Natur, anderes durch andere Ursachen. Von Natur: Die Thiere und ihre Theile, und die Pflanzen, und die einfachen Körper, wie Erde und Feuer und Luft und Wasser. Denn von diesen und ihres gleichen sagen wir, sie seien von Natur. Alles das genannte aber erscheint als unterschieden, gegen das was nicht von Natur ist. Das von Natur seiende nämlich erscheint sämtlich als enthaltend in sich den Ursprung der Bewegung und des Stillstandes, theils nach dem Raume, theils nach Vermehrung und Verminderung, theils nach Umbildung. Denn ein Stuhl und ein Kleid und was sonst noch dergleichen Gattungen sind, hat, wie fern es das ist was es genannt wird, und sein Sein der Kunst verdankt, keinen Antrieb zu einer Veränderung inwohnend. Wiefern es aber etwa zugleich steinern oder irden ist, oder gemischt aus diesem, so hat es insoweit einen solchen. So ist also die Natur ein Ursprung und Ursache des Bewegens und Ruhens in demjenigen, worin dieß ursprünglich auf wesentliche, nicht auf beiläufige[26] Weise stattfindet. Ich sage aber darum nicht auf beiläufige Weise, weil einer wohl sich selbst Ursache der Gesundheit werden und dabei ein Arzt sein kann, ohne doch, insofern er gesund wird, seine Heilkunde zu besitzen; sondern in beiläufigem Zusammentreffen des Arztseins und des Gesundwerdens, weshalb auch beides getrennt gefunden wird. In gleichem Falle ist jedes andere Ding, das da gemacht wird. Denn keines von diesen hat den Ursprung des Machens in sich selbst, sondern theils in andern und außer sich, wie das Haus und jedes andere mit Händen gefertigte Ding; theils in sich selbst zwar, aber nicht wiefern es dieses selbst ist; nämlich alles was nebenbei Ursache sich selbst werden kann. Eine Natur nun ist das angegebene; eine Natur aber hat, was einen solchen Ursprung in sich hat. Und dieß alles ist Wesen. Denn ein zum Grunde liegendes, und in einem zum Grunde liegenden ist die Natur jederzeit. Naturgemäß aber ist theils dieses, theils was diesem zukommt an sich, wie dem Feuer die Bewegung nach oben. Dieß nämlich ist zwar weder eine Natur, noch hat es eine Natur; natürlich aber und naturgemäß ist es. Was also die Natur ist, ist nun erklärt, und was das Natürliche und das Naturgemäße.
Daß die Natur ist, beweisen wollen, wäre lächerlich; denn es liegt am Tage, daß solcherlei viele unter den Dingen sind. Beweisen aber das Deutliche durch das Undeutliche mag, wer nicht versteht zu unterscheiden, was durch sich und nicht durch sich verständlich ist. Daß dieß indessen gar leicht begegnen kann, ist bald ersichtlich. Denn durch Schlüsse könnte wohl ein Blindgeborener die Farben erkennen wollen. Freilich werden solche nur mit Worten ihren Begriff bilden, ohne eigentliche Erkenntnis. – Es halten nun Einige für die Natur und für das Wesen in dem was Natur ist, das ursprünglich in jedem Vorhandene, an sich form- und ordnungslose; wie des Stuhles Natur das Holz, der Bildsäule das Erz ist. Als[27] Beweis erwähnt Antiphon, daß, wenn ein Stuhl in die Erde vergraben wird, und die Fäulnis dergestalt Platz ergreift, daß ein Keim daraus hervorgeht, hieraus kein Stuhl, sondern nur Holz wird. Hier also wäre das nebenbei Vorhandene, der nach Satzung und Kunst herbeigeführte Zustand; das Wesen aber jenes, welches unausgesetzt bestehen bleibt, indem es dieß erleidet. Wofern aber auch jedes von diesen im Verhältnis zu einem anderen dasselbe zu erledigen pflegt, z.B. das Erz und das Gold im Verhältnis zum Wasser, die Knochen und Holze im Verhältnis zur Erde, auf gleiche Weise auch jedes andere Ding: so sei jenes die Natur und das Wesen derselben. Darum nennen einige Erde, Andere Feuer, Andere Luft, Andere Wasser, Andere einiges von diesem, noch Andere alles dieß die Natur der Dinge. Denn was einer hievon in diesem Sinne auffaßt, sei es eines oder mehres, das giebt er für den Inbegriff alles Wesens aus, das übrige aber für seine Zustände, Eigenschaften und Verhältnisse. Und jenes sei alles ewig, denn es könne dasselbe nicht aus sich herausgehen, das übrige aber entstehe und vergehe in's unbegrenzte.
Auf eine Art also heißt die Natur diesergestalt der erste, allem demjenigen zum Grunde liegende Stoff, was in sich einen Ursprung von Bewegung und Veränderung trägt. Auf andere Art aber: die Form und wesentliche Gestalt nach dem Begriffe. Denn gleichwie man Kunst nennt das Kunstgemäße und das Künstliche, so auch Natur das Naturgemäße und das Natürliche. Und wir würden weder da etwas kunstgemäßes oder Kunst erblicken, wo nur die Möglichkeit eines Stuhles vorhanden ist, aber die Gestalt des Stuhles noch fehlt, noch auf entsprechende Weise in dem von Natur bestehenden. Denn was bloß der Möglichkeit nach Fleisch oder Knochen ist, hat weder seine Natur, bevor es nicht die Gestalt nach dem Begriffe angenommen hat, deren Bestimmung[28] uns das Fleisch zum Fleische, oder den Knochen zum Knochen macht, noch ist es von Natur ein solches. So daß auf gewisse Weise die Natur wäre, von dem was in sich einen Ursprung der Bewegung hat, die Gestalt und die Formbestimmung, wie diese nicht trennbar ist, außer etwa dem Begriffe nach. Was von diesem kommt, ist nun nicht mehr eine Natur, wohl aber von Natur. – So der Mensch. Und diese Natur ist gleichsam mehr Natur als der Stoff. Denn etwas, das der Wirklichkeit nach ist, ist in vollkommnerem Sinne es selbst, als was nur der Möglichkeit nach. Auch wird ein Mensch aus einem Menschen, aber nicht ein Stuhl aus einem Stuhle; weshalb man hier auch sagt, nicht die Gestalt sei die Natur, sondern das Holz, weil, wenn es zum Keimen gebracht wird, nicht ein Stuhl, sondern Holz daraus wird. Unterscheidet sich nun dergestalt Kunst und Natur, so kann auch die Form Natur sein; denn es wird aus einem Menschen der Mensch. Ferner was man Natur nennt als Werden, ist ein Weg zur Natur. Denn nicht wie, was man Heilung nennt, nicht zur Heilkunst der Weg ist, sondern zur Gesundheit, da die Heilung zwar von der Heilkunst aus, nicht aber zu der Heilkunst gehen muß: nicht also verhält die Natur sich zu der Natur. Denn die Natur in jenem Sinne ist ein Werden nicht nur aus etwas, sondern auch zu etwas. Und zu was? Nicht zu dem, woraus es kommt, sondern zu dem, was es selbst schon ist. Darum ist die Form Natur. – Die Form aber und die Natur bedeutet zweierlei. Denn auch die Verneinung ist gewissermaßen Formbestimmung. Ob aber die Verneinung auch ein Glied des Gegensatzes ist in Bezug auf den einfachen Begriff des Werdens, oder nicht ist, soll später untersucht werden.[29]
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