Fünftes Capitel

[154] Da alles was sich verändert, aus etwas in etwas sich verändert, so muß, was sich verändert hat, sobald es sich verändert hat, darin sein, worein es sich veränderte. Denn das sich Verändernde, woraus es sich verändert, daraus entfernt es sich und verläßt dasselbe. Und entweder einerlei ist das sich Verändern und das Verlassen, oder unzertrennlich verbunden mit dem sich Verändern das Verlassen. Mit dem sich Verändert haben aber das Verlassen haben; denn gleich verhält sich beides zu beidem. Da nun eine unter den Veränderungen die nach dem Widerspruch ist, wenn etwas überging aus dem Nichtseienden in das Seiende: so wird hier verlassen das Nichtseiende. Es wird also sein in dem Seienden. Denn alles muß entweder sein oder nicht sein. Offenbar nun wird in der Veränderung nach Widerspruch das was sich verändert hat, sein in dem, worein es sich verändert. Wenn aber in dieser, auch in den anderen. Denn auf gleiche Weise verhält es sich mit einer und mit den anderen. Und auch wenn man es im Einzelnen durchgeht, erhellt dieß; dafern nämlich das was sich verändert hat, irgendwo sein muß, seitdem es sich veränderte, oder in etwas. Da es nämlich dasjenige, aus dem es sich veränderte, verlassen hat, aber nothwendig irgendwo sein muß, so wird es entweder in diesem, oder in einem Anderen sein. Wenn nun in einem Anderen, z.B. in C, so wird, was in B überging, wiederum C übergehen in B: denn nicht war es anstoßend an B. Denn die Veränderung ist stetig. Also veränderte sich das was sich verändert, nachdem es sich verändert hat, in das, worein es sich verändert hat. Dieß aber ist unmöglich. Nothwendig also muß, was sich verändert hat, sein in dem, worein es sich verändert hat. – Es ist nun ersichtlich, daß das Gewordene, als es ward, sein muß,[155] und das Untergegangene nicht sein. Denn im Allgemeinen ist es gesagt von aller Veränderung; am deutlichsten aber erhellt es an der nach Widerspruch. Daß nun also das was sich verändert hat, sobald es sich verändert hat, in jenem ist, ist klar.

Worin aber zuerst sich verändert hat, was sich verändert hat, dieses muß untheilbar sein. Ich nenne aber Zuerst was nicht dadurch, daß ein anderes zuerst ist, ein solches ist. Es sei nämlich theilbar das A C und getheilt nach dem C. Wenn nun etwas in A B sich verändert, und wiederum in B C, so wird es nicht zunächst in A C sich verändert haben. Wenn es aber in jedem von beiden sich verändert hat, (denn es muß entweder sich verändert haben oder sich verändern in beiden), so möchte es wohl auch in dem Ganzen sich verändern. Allein es hatte schon sich verändert. Das nämliche ist auch zu sagen, wenn es in dem einen sich verändert, in dem andern sich verändert hat: es würde nämlich dann etwas eher als das Erste sein. Also möchte nicht theilbar sein das Erste, worin es überging. Man sieht demnach, daß sowohl was unterging als was entstand, in Untheilbarem unterging, oder entweder entstand.

Es bedeutet aber das: worin es zunächst sich verändert hat, zweierlei: einmal, worin zuerst vollendet war die Veränderung; hier nämlich kann man mit Recht sagen: es hat sich verändert; sodann, worin es zuerst anfing sich zu verändern. Was nun in Bezug auf das Ende der Veränderung das Erste genannt wird, dieß ist etwas Daseiendes und Vorhandenes. Denn es ist der Vollendung fähig die Veränderung, und es giebt ein Endziel der Veränderung, von dem auch bereits gezeigt ward, daß es untheilbar ist, indem es Begrenzung ist. Das aber in Bezug auf den Anfang, ist schlechthin nicht. Denn nicht giebt es einen Anfang der Veränderung,[156] noch eine Zeit, worin etwas zuerst sich verändert. Es sei nämlich das Erste A D. Dieses nun wird untheilbar zwar nicht sein; denn es begegnet, daß an einander grenzend sind die Jetzt. Ferner wenn es in der ganzen Zeit C A ruhet, (man setze nämlich es ruhe), so wird es auch in A ruhen. So daß, wenn untheilbar ist das A D, es zugleich ruhen und sich verändert haben wird. In A nämlich ruht es, in D aber hat es sich verändert. Wenn es aber nicht untheilbar ist, so muß es theilbar sein, und in jedwedem Theile davon Veränderung stattfinden. Denn wird A D, getheilt, und ist in keinem Theile die Veränderung geschehen, so auch nicht in dem gesammten; wenn aber in beiden, so auch in dem ganzen. Wenn aber in einem von beiden Theilen die Veränderung geschah, so nicht in dem ganzen zunächst: also muß sie in jedem geschehen sein. Man sieht sonach, daß es nichts giebt, worin zunächst die Veränderung geschah; denn unbegrenzt sind die Theilungen. – Auch nicht an dem, was sich verändert hat, ist etwas, das zuerst sich verändert hat. Es habe nämlich D F zuerst sich verändert von D E. Denn es ist gezeigt, daß alles, was sich verändert, theilbar ist. Die Zeit aber, in welcher D F sich verändert, sei H I. Wenn nun in der ganzen das D F sich verändert, so wird, was in der halben sich verändert, kleiner sein und eher als das D F. Und wiederum ein anderes eher als dieses, und noch ein anderes als jenes, und stets so weiter. So daß nichts Erstes sein wird von dem sich Verändernden, was sich veränderte. – Daß es nun weder in dem sich Verändernden, noch in der Zeit, in welcher Veränderung geschieht, etwas Erstes giebt, ist ersichtlich aus dem Gesagten. Das Ding selbst aber, das sich verändert, oder in Bezug worauf es sich verändert, verhält sich nicht mehr gleichergestalt. Dreierlei nämlich ist es, das in Betracht kommt bei der Veränderung: das was sich verändert, das worin,[157] und das in Bezug worauf es sich verändert; z.B. der Mensch, und die Zeit, und das Weiß. Der Mensch nun und die Zeit sind theilbar; das Weiß aber erfordert eine andere Untersuchung. Indessen nebenbei ist alles theilbar. Denn welchem anhängt die Beschaffenheit, oder das Weiß, dieses ist theilbar. – Denn was an und für sich theilbar heißt, und nicht nebenbei, auch hierin findet nicht das Zunächst statt: z.B. in der Ausdehnung. Es sei nämlich A B eine Ausdehnung, und sie gehe über aus B nach C zunächst. Wird nun nicht, wenn untheilbar ist das B C, ein Theilloses an ein Theilloses anstoßen? Wenn aber theilbar, so wird etwas eher als C sein, worein sie überging, und wiederum ein anderes eher als jenes, und stets so fort, weil nie ausgeht die Theilung. Also wird es nichts Erstes geben, worin die Veränderung geschah. Auf gleiche Weise nun auch bei der Veränderung der Größe. Denn auch diese geschieht in Stetigem. Man sieht also, daß allein unter den Bewegungen in der nach der Beschaffenheit ein Untheilbares an und für sich stattfinden kann.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 154-158.
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