Neuntes Buch

[199] Du hast mir mein Heilige gesandt,

Die treubewährte an des Duldens Proben.

Sie hat für mich ihr flehend Herz erhoben

Bei meiner Sünden hartem Widerstand.

Da du erhörend dich zu ihr gewandt,

Und ich gerettet jauchzte, dich zu loben,

Da war sie reif für deine Liebe droben,

Und nichts mehr, das sie an die Erde band.

Was hast du mit der Einen mir gegeben,

Ach Mutter, Priesterin und Engel mir,

Der liebe Dienst, und Macht und Sieg und Leben!

Zum zweitenmal gebar sie mich, und dir,

Und mußte lang in Mutterwehen schweben,

Doch eine ew'ge Freude ward ich ihr.[199]


I.

O Herr, ich bin dein Knecht und der Sohn deiner Magd! Du hast zerbrochen meine Bande, dafür will ich dir darbringen das Opfer meines Lobes. Es sollen dich loben mein Herz und meine Zunge und sagen sollen alle meine Gebeine: Herr, wer ist wie Du? So sollen sie sagen und du mögest mir antworten, und meiner Seele verkünden: ich bin dein Heil. Wer bin ich und was bin ich? Was war nicht böse an meinen Thaten, und waren es meine Thaten nicht, so waren es meine Worte, und waren es diese nicht, so war es mein Willen. Aber, du Herr, bist gut und erbarmend, deine Rechte langte nach der Todestiefe, in der ich lag, und aus dem Grunde meines Herzens schöpfte sie weg den Pfuhl des Verderbens. Und befreit wurde ich, da ich ganz nicht mehr wollte, was ich gewollt, und nur noch wollte, was du wolltest. Aber wie lange säumte ich, während so hoch und tief mein Willen berufen wurde, den Nacken unter dein sanftes Joch zu beugen, und die Schulter unter deine leichte Last, o Jesus Christus, mein Helfer, mein Versöhner! Und wie geschah mir auf einmal so lieblich, daß ich entbehren konnte der nichtigen Ergötzung, und mit Freuden verlaßen, das ich zu verlaßen mich gefürchtet hatte. Denn du warest es, der aus mir warf, du wahre und höchste Lieblichkeit; du warest es aus und tratest dafür ein, der du süßer bist denn alle Lust, nur nicht dem Fleische und Blute; der du heller bist, denn jedes Licht, aber innerlicher als Alles, das verborgen ist; der du höher bist, als alle Herrlichkeit, doch denen nicht, die sich selber herrlich dünken. Schon war meine Seele frei von den nagenden Sorgen des Beifallhasches und Erwerbens, des Wälzens und Scharrens im Aussatze[201] der zügellosen Lust, und kindlich sprach ich mit dir, meiner Ehre, meinem Reichthum, meinem Heil, meinem Herrn und meinem Gott.


II.

Allmählich, nicht gewaltsam auffallend, wollte ich meinem Lehramte der Beredsamkeit mich entziehen, diesem Markte der Geschwätzigkeit , in welchem in den sich ihrer befleißenden Knaben weder dein Gesetz noch deinen Frieden, in welchem ich ihnen den unsinnigen Trug und der Gerichte Streitfertigkeit, als Waffen für die Sündenwuth, verkaufte. Noch waren es wenige Tage bis zu den Ferien der Weinlese; in ihnen beschloß ich noch auszuharren, und dann förmlich abzutreten und von dir erkauft, nicht käuflich mehr zurückzuweichen. Doch diese Vorhaben war nur dir und den Meinen bekannt, ohne daß wir es weiter verbreiteten, obwohl du uns, die wir in Lobgesängen wandelten durch's Thränenthal, scharfe Geschoße gabst und versengende Kohlen gegen jede trügliche Sprache, die unsrem Vorhaben widersprechen und uns ihre Lockspeise wieder bieten konnte. Mit deiner Hand ja hattest du unser Herz bewahrt, wir fürchten deine, das Innerste durchbohrende Wort; die Vorbilder deiner Knechte, die du aus Schatten zu Kindern des Lichtes, aus Todten zu Lebendigen gemacht, entflammten unser Herz und machten uns fester gegen jeden Rückfall, so daß uns der trüglichen Sprache Widerrede, statt uns auszulöschen, nur noch mehr entflammen konnte. Doch weil deines Namens wegen, den du überall auf Erden heilig gemacht, unser Gelübde und Vorhaben allenthalben Loben gefunden hätte, so wären wir großsprecherisch erschienen, wenn wir die so nahe Zeit der Ferien nicht erwartet hätten, sondern aus unserem öffentlichen Beruf zuvor schon vor den Augen der Welt geschieden wären. Und Alle, vor deren[202] Augen ich meine That vollbracht, ehe die Weinlese kam, hätten mir nachgefragt: ich wolle groß erscheinen. Was könnte freilich mich es kümmern, wie über meine Gesinnung hin und wieder geurtheilt und unser Gutes verlästert wurde. Auch war durch zu angestrengtes litterarisches Arbeiten im Sommer meiner Lunge angegriffen und hatte mir Heiserkeit, erschwerten Athem und Brustschmerzen zugezogen, was mich ohnehin genöthigt haben würde, mein Lehramt aufzugeben, oder wenigstens bis zur Genesung einzustellen. Da ich aber mit fest gewordenem Willen mein Amt aufgeben wollte, um zu sehen, daß du der Herr bist, dem ich nun dienen sollte, so freute ich mich auch über diesen nicht unwahren Grund meines Zurücktretens, weil sich nun die Menschen weniger daran stießen, die ihrer Kinder wegen nie wollten, daß ich dein Kind würde. Voll dieser Freude, fügte ich mich nun in die Zwischenzeit, die gegen zwanzig Tage betragen mochte, denn wenn auch die Liebe zu dieser schweren Beschäftigung erloschen war, so war mir doch Geduld geworden, ohne die ich mich jetzt sehr gedrückt gefühlt hätte. Vielleicht mag einer deiner Knechte, meiner Brüder einer sagen, ich habe gesündigt, daß ich, mit vollem Herzen mich deinem Dienst ergeben, nur eine Stunde noch auf dem Lehrstuhle der Lüge geseßen, und ich kann nichts dagegen vorbringen. Aber du Herr, Erbarmungsvollster, hast du nicht auch diese Sünde mit den übrigen schrecklichen und trauervollen in deinem heiligen Wasser verziehen und erlassen?


III.

Aber Verecundus, unserer Freunde einer, wurde von Bangigkeit bei unserem Glücke verzehrt, weil er seiner Bande wegen, die ihn so fest hielten, an unserem heiligen Bunde nicht theilnehmen konnte; denn der Mann einer glaubigen Christin,[203] war er selbst kein Christ geworden. Eben aber sein christliches Gemahl hielt er für die hauptsächlichste Feßel, die ihn vom Mitgehen auf unserem Pilgerwege trennte; denn er wollte nur auf eine Weise Christ werden, auf die er es nicht vermochte, wollte es durch Befreiung von den sinnlichen Banden der Ehe. Er machte uns das gütige Anerbieten, auf seinem Landgute zu wohnen, so lange wir uns noch in der Gegend aufhielten. Du wirst es ihm wiedererstatten, Herr, bei der Auferstehung der Gerechten, der du ihm sein Erbe im Licht schon gegeben hast. Denn da wir bereits in Rom waren, wurde er in unserer Abwesenheit von einer Krankheit ergriffen, und, in ihr zum glaubigen Christ geworden, wanderte er aus diesem Leben. So hast du dich seiner und unser erbarmt, damit wir, seiner Freundesliebe denkend, nicht von unerträglichem Schmerz gemartert würden, wenn wir ihn nicht zählen dürften zu deiner Herde. Dank sei dir, unserem Gott, wir sind dein, und das sagen uns deine Mahnungen und Tröstungen, du treu er Verheißer, vergelten wirst du den Verecundus für Cassiacum, sein Landgut in den friedlichen Bergen, wo wir vom Treiben der Welt ruhten in dir; vergelten wirst du ihm dafür mit den Wonnen deines ewig grünenden Paradieses, auf dem Berge, da die ewigen Hütten stehn, auf deinem wonnenträufenden Berge, denn vergeben hast du ihm die Sünden der Erde. Damals wurde Verecundus bange, Nebridius aber, sein Gehülfe im Lehramt der schönen Wißenschaft, wurde mit Freude begnadigt. Kein Christ noch, war er, wie ich früher, in den Abgrund jenes verderblichsten Irrthums gefallen, daß er deines Sohnes Leib für einen Scheinkörper hielt; und aus diesem Irrthum sich erhebend war er noch kein Glied deiner Kirche, kein Theilnehmer ihrer Segnungen geworden, sondern suchte nur für sich mit brennendem Eifer nach Wahrheit. Aber[204] kurze Zeit nach unserer Bekehrung und Wiedergeburt durch deine Taufe, wurde auch er ein glaubiges Glied deiner Kirche, und bewahrte sich in vollständiger Zucht und Reinheit. Nach Afrika zu den Seinen zurückkehrend, bekehrte er sein ganzes Haus zum Christenthum, wurde durch dich gelöst von des Leibes Banden, und lebt nun in Abrahams Schooße. Was wird mit diesem Schooße bezeichnet, in dem mein Nebredius lebt, mein holder Freund, Herr, einst ein Freigelaßener von der Sünde, nun von dir an Kindesstatt angenommen? Dort lebt er nun; welch andern Ort sollte solch eine Seele finden? Er lebt an dem Orte, über den er einst mich unerfahrenes Kind so Vieles fragte. Nun neigt er das Ohr nicht mehr zu meinem Munde, seines Geistes Mund neigt er ewig selig jetzt zu deinem Quell, in dürstendem Verlangen sich mit deiner Weisheit nährend. Doch in der Fülle des Genußes wird er mein nicht vergeßen, denn du, aus dessen Fülle er trinkt, bist unser eingedenk, und wir sind vereinigt in dir. So lebten wir, da wir den Verecundus trösteten in seiner Trauer, denn auch nach unserer Bekehrung hielt unsere Freundschaft fest und ermahnten wir ihn, den Glauben zu suchen im Bande seiner Ehe. Des Nebridius aber hatten wir geharrt, da er so nahe schon der Wahrheit mit dem verlangenden Herzen kam; und endlich kam auch ihm sein Tag, auf den wir, ihm die friedenvolle Freiheit wünschen, lang geharrt, an dem er aus vollem Herzen in den Lobgesang einstimmte: Dir sagt mein Herz, o Herr, daß ich dein Antlitz suche.


IV.

Endlich kam die Zeit, in welcher ich auch in der That, wie schon im Geiste es geschehen war, von dem Berufe des Redners befreit werden sollte; frei, wie mein Herz, hattest du[205] nun auch meine Zunge gemacht, und, freudig dir dankend, zog ich mich mit all den Meinen auf das Landgut zurück. Ich ergab mich dort wissenschaftlichen Arbeiten, die dir schon dienten, aber gleichsam der Schule Stolz vollends ausschnaubten. Es entstand dort meine Schrift der Dialogen mit den Akademikern, sowie die meiner Selbstgespräche, sammt meinen Briefen an den abwesenden Nebridius. Die Zeit reicht nicht zu, um alle deine großen Wohlthaten zu preisen, die du uns erwiesen in jener Zeit, welche uns deinen höhern ewigen Wohlthaten zugeführt. Süß, o Herr, ist mir die Erinnerung, in der ich vor dir bekenne, mit welchen innerlichen Stacheln du mich bändigtest, wie du die Berge und Hügel meiner Gedankenwelt erniedrigtest, das Krumme richtig und das Unebene eben machtest; wie du Alypius, den Bruder meines Herzens, dem Namen deines eingeborenen Sohnes, unsers Herrn und Heilands Jesu Christi, unterthänig machtest, welchem er anfänglich unsere christliche Thätigkeit nicht weihen wollte; denn er wollte sich mehr am Dufte der stolzen Cedern unserer alten Bestrebungen, die der Herr schon gefällt hatte, laben, als an den Heilkräutern der Kirche, den Gegenmitteln gegen das Schlangengift der Sünde. – Wie pries ich dich, mein Gott, da ich die Psalmen Davids las, die glaubensvollen Gesänge, die mit ihrem frommen Schall den Geist des trotzigen Uebermuthes austreiben. Ich las sie, da ich noch, ein Neuling in deiner innigen Liebe, als Katechumene mit dem Kateschumenen Alypius auf dem Landgute der Ruhe lebte und die Mutter uns anhieng mit stiller Weiblichkeit, mit männlichem Glauben, mit des Alters Frieden, der Mutter Liebe und der Gottseligkeit des Christen. Wie pries ich dich bei diesen Psalmen, wie wurde ich von ihnen für dich entflammt und hätte sie gerne dem ganzen Erbkreis gegen den Stolz seines Menschengeschlechts verkündigt. Und werden sie denn nicht in aller Welt[206] gesungen, und breitest du nicht aus mit ihnen deine allumfaßende Wärme? Voll Schmerz zürnte ich den Manichäern, die deine Schrift verwerfen, und bemitleidete sie wieder, daß sie nichts wüßten von diesem himmlischen Heilmittel und im Unsinn verschmähten, was sie heilen kann. Ich wollte, daß sie damals ohne mein Wißen in meiner Nähe gewesen wäre, mein Antlitz gesehen und meine Stimme gehört hätten, als ich in jener Ruhezeit den vierten Psalm las, damit sie bemerkten, was aus mir jene Psalmworte gemacht hatten: »als ich rief, erhörte mich der Gott meiner Gerechtigkeit. Der du mich tröstetest in Angst, sei mir gnädig und erhöre mein Gebet.« Sie hätten es gehört, ohne daß ich gewußt, was für einen Menschen sie gehört, damit sie nicht auf die Meinung gekommen wären, ich hätte ihretwegen gesagt, was ich unter jenen Worten sprach, weil ich es wahrhaftig gar nicht, oder nicht so gesagt hätte, wenn von mir bemerkt worden wäre, daß sie mich hörten und scheuten. Und wenn ich es auch gesagt hätte; so hätte sie es nicht so aufgenommen, wie ich mit mir und für mich vor dir in der traulichen Andacht meiner Seele sprach. Denn ich schrak in Furcht auf und wurde doch von Hoffnung und Freude entflammt über dein Erbarmen, Vater. Das sprach siech aus in meinen Augen und in meiner Stimme, während dein Geist, in Güte zu uns gewendet, spricht: »Lieben Herren, wie lange soll meine Ehre geschändet werden, wie habt ihr das Eitle so lieb und die Lügen so gerne?« (V. 3.) Denn ich hatte das Eitle lieb und die Lügen gerne. Und du, Herr, hattest erhöht schon deinen Heiligen, ihn erweckt von den Todten, ihn gesetzt zu deiner Rechten, von wannen er niedersendet den verheißenen Geist der Wahrheit. Und schon hatte er ihn gesandt und ich wußte es nicht; er hatte ihn gesandt, da er schon durch seine Auferstehung von den Todten und seine Auffahrt in den Himmel verherrlicht[207] war. Denn vorher war der Geist noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war. Doch die Weissagung rief: »Wie lange soll meine Ehre geschändet werden? Wißen sollt ihr, daß der Herr seinen Heiligen verherrlicht« (B. 4.) Sie rief: »wie lange?« sie rief: »wißen sollt ihr es!« Und ich, in banger Unwißenheit, hatte das Eitle lieb und die Lüge gerne; und darum hörte ich mit Zittern das Wort; zu solchen ja wird es gesagt, wie ich wußte, daß ich gewesen war. Denn Eitelkeit und Lüge war in jenen Trugbildern, die ich für die Wahrheit hielt; und laut klagte ich im Schmerz meiner Erinnerung: O hätten sie es vernommen, die das Eitle noch lieben und der Lüge noch anhängen! Sie wären erschüttert worden und hätten von sich geworfen ihre Verblendung, und du hättest sie erhört, wenn sie zu dir gerufen hätte, weil der für uns den wahren Leibestod gestorben ist, der für uns redet zu dir. Weiter las ich: »Zürnet ihr, so sündiget nicht.« Wie wurde ich bewegt, mein Gott, der ich gelernt hatte, auf mich zu zürnen über das Vergangene, damit ich fortan mich nicht versündigte. Ja wohl galt es, mir mit Recht zu zürnen, weil keine fremde Natur aus dem Volk der Finsterniß sich an mir versündigt hatte, wie diejenigen sagen, die sich selbst nicht zürnen und sich den Zorn häufen auf den Tag des Zorns und der Offenbarung deines gerechten Gerichtes. Meine Güter waren keine mehr von denen, die draußen sind in der Sinnenwelt; nicht mit fleischlichen Augen, nicht unter dieser Sonne hatte ich sie mehr zu suchen. Ach, die sich freuen wollen draußen, wie leicht werden sie eitel und in das geworfen und zerstreut, was nur scheinbar und zeitlich ist, an dessen trüglichem Schaugericht sie mit hungernden Gedanken lecken. O würden sie matt von Hunger und riefen dann: wer zeigt uns das Gute? Wir wollen ihnen Weiteres sagen und möchten sie es vernehmen: »Herr, erhebe über uns das Licht deines Antlitzes.« (B. 7.)[208] Denn wir selbst sind nicht das Licht, das jeden Menschen erleuchtet, wir werden erleuchtet von dir, daß wir, die wir einst Finsterniß waren, Licht werden in dir. O daß sie sähen das innere, ewige Licht, das ich kostete und doch zürnte, weil ich es ihnen nicht zeigen konnte, wenn sie auch zu mir kamen und nach dem Guten fragten, mit nach Außen gekehrten Gedanken. Denn erst, da ich im Innersten mir zürnte, da ich getroffen war und meinen Alten Menschen zum Opfer schlachtete, und auf dich hoffte in meines Geistes Erneuerung, da erst begannst du süß mir zu werden und gabest Freude in mein Herz. Und mein Freudenruf erschallte, da ich das Wort las von Außen und es geschrieben sah in meinem Innern, und nimmer wollte ich reich werden an irdischen Gütern, das Zeitliche verschlingend und von ihm verschlungen; denn in ewigem Genügen hatte ich andere Früchte, andern Wein und anderes Oel. Und laut rief mein Herz beim folgenden Vers: o im Frieden, o in dir selbst darf ich ruhen und schlafen. (B. 9) Denn wer mag wider uns sein, seit geschrieben steht: der Tod ist verschlungen in den Sieg? In dir, der nicht wandelt, der du über Allem bist, in dir ist Ruhe, die aller Müh' vergißt, da man nicht suchen geht nach andern Dingen, die doch nicht sind, was du bist, und darum, Herr, hilfst du allein uns, daß wir sicher werden. – So las ich und entbrannte, und fand nicht, wie ich helfen möchte jenen fühllosen Todten, deren einer ich gewesen war, o ein verpestender Verpesteter, ein unwirscher Beller, ein Blinder gegen die Worte, die da süß sind von himmlischem Honigsein, und lichtvoll von deinem Lichte. Und der Schmerz verzehrte mich über die Feinde dieser Schrift.

Nicht zu zählen ist, was ich von dir empfing in jenen Tagen ländlicher Ruhe; aber ich vergaß deiner nicht, noch will ich verschweigen deiner Geißel Zucht und die wunderbare Eile[209] deines Erbarmens. Damals war es auch, daß du mich mit Zahnschmerzen züchtigtest, deren heftige Zunahme mich der Sprache unfähig machte, und da kam es mir in's Herz, alle anwesenden Lieben zu ermahnen, sie sollten für mich zu dir beten, du Gott eines jeglichen Heiles. Ich mußte ihnen, in meiner Sprachunfähigkeit, mein Verlangen niederschreiben. Und alsbald, da wir die Kniee beugten in innigem Flehen, floh der Schmerz. Welch ein Schmerz, und wie ist er geflohen! Mein Herr und mein Gott, ich schauderte; denn nie, seit ich lebte, nie hatte ich Solches erfahren. Und ich erkannte deinen wundervollen Wink und lobte in des Glaubens Freude deinen Namen; aber dieser Glaube gab mir noch keine Ruhe über die Sünden meiner Vergangenheit, denn noch waren sie mir nicht durch deine Taufe vergeben; noch hatte ich es nicht empfangen[210] dieß Unterpfand der Aufnahme in den Bund deiner Erlösten.


V.

Nach den Ferien der Weinlese entsagte ich meinem mailändischen Lehramte und ließ sie sich nach einem andern Wortverkäufer für ihre studierende Jugend umsehen, weil ich mich entschieden habe für deinen Dienst und meinem Lehramt wegen Athmungsbeschwerden und Brustschmerzen nicht mehr genügen könne. Nun machte ich deinen Bischof, den heiligen Mann Ambrosius, in einem Schreiben mit meinen ehemaligen Irrthümern bekannt, und bat um seinen Rath, was für ein Buch deiner Schrift mich vor allen bereitwilliger und geschickter für die Gnade der Aufnahme in deiner Kirche machen würde. Er rieth mir den Propheten Jesaias, wohl deswegen, weil dieser vorzüglich der Verkündiger des Evangelismus und der Berufung der Wörter ist. Da ich jedoch diese Schrift schon von vorne herein nicht verstand, und mich für das Verständnis auch des Uebrigen noch für zu unreif hielt, so schob ich sie auf spätere Zeit auf, in der ich geübter in deinem Worte wäre.


VI.

Als nun die Fastzeit kam, in welcher man um die Gnade der Taufe anzusuchen hatte, verließen wir das Land und kehrten zurück nach Mailand. Alypius wollte mit mir wiedergeboren werden, schon erfüllt mit der für deine Segnungen fähig machenden Demuth, mit Muth des Leibes niedere Lüste bändigend, so daß er den Winter hindurch, der unserer Taufe vorangieng, barfuß, was er nie gewöhnt war, auf dem Boden Italiens zu wandeln wagte. Auch den Knaben Adeodatus nahmen wir mit, den Sohn meiner Sünde, den mir die Afrikanerin[211] geboren hatte. Und wohlgebildet hattest du ihn; denn erst fünfzehn Jahre alt, übertraf er an Geist viele Männer. Deine Gabe war es, Herr mein Gott, du Urheber von Allem, der du wiederherstellst, was die Sünde an uns entstellt hat, denn ich hatte kein Verdienst an dem Knaben, als die Sünde; und wenn wir ihn in deiner Zucht erzogen, so hattest nur du es uns eingegeben. Ich verfaßte ein Buch, das den Titel führt: »der Lehrmeister«. In diesem laße ich Adeodatus mit mir sprechen. Und Alles, was er dort spricht, bewegte er auch wirklich schon in seiner Seele, im sechzehnten Lebensjahre. Ich erschrack über das schnelle Reifen seines Geistes, das du so wunderbar hervortreten ließest. Aber nicht lange nachher nahmst du sein Leben von der Erde weg, und ruhiger denke ich sein nun, nichts fürchtend mehr für seine Knaben- und Jünglingsjahre, und für sein ganzes Leben. Wir hatten ihn als unsern Lehrling uns zugestellt, und doch war er, was die Gnade anbelangt, mit uns gleichen Alters, denn er war gleicher Gnade voll. So empfiengen wir zusammen die Taufe und von uns floh der Kummer und der Schmerz über unsere Vergangenheit. Ach, nicht satt war ich in jenen Tagen, voll wundervoller Wonne den hohen Rathschluß deiner Liebe für das Heil der Menschheit zu betrachten. Heiße Thränen weinte ich bei deinen Lobgesängen, tief ergriffen von dem Wohllaut, mit dem sie deine Kirche sang. In meine Ohren drangen die Töne und mit ihnen strömte deine Wahrheit in mein Herz und weckte in ihm die fromme Beseligung; reicher floßen meine Thränen, und mir war selig wohl in ihnen.


VII.

Vor Kurzem erst hatte die mailändische Kirche dieses Mittel der Erbauung aufgenommen, und mit heiligem Eifer waren Stimme und Herzen ihrer Glaubigen dabei. Denn ein Jahr[212] etwa vor unserer Bekehrung verfolgte Justina, die Mutter des unmündigen Kaisers Valentinian, deinen Ambrosius ihrer Ketzerei wegen, zu der sie von den Arianern verführt worden war. Da flüchtete sich das Volk deiner Frommen in die Kirche, zu sterben bereit mit seinem Bischof, deinem Knecht; unter ihnen auch meine Mutter, deine Magd, die sich in diesen kirchlichen Nachtwachen als eine der Eifrigsten zeigte, und sich am Troste deines Wortes aufrichtete. Und auch wir, die wir noch nicht erwärmt waren von deiner Geistesglut, wurden doch von dem[213] Bangen und der Beunruhigung deiner Gemeinde tief ergriffen. Damals wurden jene Lobgesänge, nach dem Gebrauche der morgenländischen Kirche, eingeführt, damit sie das Volk in seiner Trauer aufrecht hielten, und bis heute dauern sie beinahe überall in allen deinen Kirchen fort. Aber in jener Zeit seiner Noth hattest du deinem Bischof durch ein Gesicht geoffenbart, wo die Leiber der mailändischen Märtyrer und Brüder Protasius und Gervasius ruhten, die du so viele Jahre hindurch verborgen hattest, damit du sie zur rechten Zeit, zur Stillung der Wuth jenes Weibes, der Kaiserin herausgebest. Sie wurden ausgegraben und feierlich in die ambrosianische Kirche, welche der Bischof kurz zuvor erbaut hatte, gebracht, und da wurde nicht nur von bösen Geistern Beseßene, nach dem Bekenntnis ihrer bösen Geister selbst, getheilt, sondern auch ein seit vielen Jahren blinder, allgemeiner bekannter Bürger. Als er die laute Freude des bewegten Volkes und ihre Ursache hörte, sprang er auf und ließ sich von seinem Führer in die Kirche geleiten, bat dort, mit seinem Schweißtuche die Bahre deiner heiligen Todten berühren zu dürfen, und als er dieses auf seine Augen drückte, wurden sie ihm aufgethan. Der Ruf dieser Dinge verbreitet sich mit deinem Lobe, und hielt die Feindin von ihrer Verfolgungswuth ab, wenn er sie auch nicht im wahren Glauben genesen ließ. Dank sei dir, Herr, mein Gott! Wie wecktest du meine Erinnerung, daß ich das auch dir bekenne! So Großes konnte ich vergessen, das ich erwähnen gesollt, als ich dir die Zeit bekannte, die meiner Bekehrung vorgegangen. Und doch, da der Weiheduft deiner Salben brannte, machten wir uns nicht auf zu dir[214] und darum weinte ich mehr unter deinen Lobgesängen. Aber der einst niedergedrückt war in Seufzen, in ihm athmete endlich die Freude auf, wie die Luft athmet in des Grafen Blumen.


VIII.

Der du Frieden bringst in die Wohnungen der Menschen, du verbandest mit uns den Evodius, einen jungen Mann aus unserer Vaterstadt. Er war kaiserlicher Sachwalter und hatte sich früher, als wir, zu dir bekehrten und früher auch die Taufe empfangen, den Weltdienst verlaßend und sich zu deinem Dienste gürtend. In heiligem Wohlwollen lebten wir zusammen, und da wir uns eine Stätte suchten, an der wir ungestörter dir dienen möchten, beschloßen wir miteinander nach Afrika zurückzureisen. Als wir bei Ostia, an der Tiber, waren, starb die Mutter. Vieles übergehe ich, weil ich sehr in Eile rede. Nimm hin meine Bekenntnisse und meinen Dank, mein Gott, nimm sie aus meinem Schweigen auch hin über unzähliche Wohlthaten. Doch das kann ich nicht verschweigen, was mir in der Seele auflebt über deine Magd, die mich in's Leben, dem Leibe nach für's zeitliche, dem Herzen nach für's ewige Licht, gebar. Nicht ihre, deine Gaben waren es, in ihr mir gewähret. Denn nicht hatte sie selbst sich also gemacht und erzogen, du schufest sie, da Vater und Mutter nicht wußten, welch einem Herzen sie das Leben gaben. In deiner Furcht erzog sie der Hirtenstab deines Gesalbten, das Walten deines eingeborenen Sohnes; er erzog sie in einer glaubigen, deiner Kirche treuen Familie. Doch nahm sich weniger ihre Mutter ihrer Erziehung an, als eine alte Dienerin, welche schon ihren Vater in seiner Kindheit als junges Mädchen auf den Armen getragen hatte. Deswegen und wegen ihres Alters und ihrer reinen Sitten wurde sie von ihrer christlichen Herrschaft werth[215] gehalten, so daß man ihr die Aussicht über des Hauses Töchter überließ, die sie mit treuem Eifer, und wo es für ihre Zucht nöthig war, mit heiliger Strenge und besonnener Umsicht führte. So erlaubte sie ihnen, außer den Stunden ihrer mäßigen Mahlzeiten, selbst wenn sie dürsteten, nicht einmal Wasser, um für die Zukunft einer bösen Gewohnheit vorzubeugen, und sie sprach dabei das verständige Wort: »Jetzt trinket ihr Waßer, weil ihr noch keinen Wein habt; wenn ihr aber einmal verheirathet und Herinnen über Speise-und Vorrathskammer sein werdet, da wird euch das Waßer zu schlecht sein und euch die angewöhnte Trinklust doch bleiben.« – So zügelte sie die Gier des zarten Alters, und half den Mädchen zu mäßigem Dürften, auf daß sie nur das Schickliche wollen sollten. Und dennoch schlich sich bei meiner Mutter, wie sie mir erzählte, die Lust zum Weine ein. Die Aeltern pflegten ihr das Herbeiholen des Weines aus der Kufe aufzutragen; ehe sie nun die Flasche mit dem an der Kufe hängenden Schöpfbecher füllte, nippte sie ein wenig daran, nicht in roher Begierde, nur in kindischer Naschsucht, wie sie der Muthwillen erzeugt, den das Gewicht älterer Personen in den Kinderherzen zu unterdrücken pflegt. Zu diesem Wenigen, das sie nippte, fügte sie täglich noch ein Weniges hinzu, denn wer Mäßigkeit nicht achtet, der kommt allmählich zu Falle. Und so kam es mit ihrer Gewohnheit bald dahin, daß sie ganze Becherchen Weines gierig austrank. Wo war da die verständige Alte mit all ihren strengen Verboten? Was hilft uns gegen die verborgene Krankheit der Sünde, wenn deine heilende Macht nicht über uns wacht? Auch da Vater, Mutter und Pflegerin ferne waren, warest du da, Schöpfer und warnender Rufer, ob du wohl uns auch Menschen versetzest zu unserm Heil. Und was thatest du damals, mein Gott, wie halfest und heiltest du? Du machtest eine harte Schmährede einer Andern zum heilenden[216] Eisen und schnittest mit einem Schnitt die Fäulnis aus; denn eine Magd, mit welcher sie zur Kufe zu gehen pflegte, gerieth, wie das oft so geschieht, in Streit mit der kleinern Gebieterin, warf ihr ihr Vergehen vor und schalt sie eine Weinsäuferin. Von diesem Schimpf getroffen, erkannte sie ihr Vergehen, verdammt es sogleich und machte sich frei davon. So wie uns schmeichelnde Freunde verderben, beßern uns gewöhnlich zankende Feinde; aber nicht das Gute, das du durch sie vollbringst, nur das Böse, das sie aus üben wollten, vergiltst du ihnen. Jene wollte in ihrem Zorn die kleine Herrin nur aufbringen, nicht beßern. Sie that es heimlich, denn sie war allein mit ihr, entweder weil ihr Ort und Zeit zu Händeln gelegen schien, oder damit sie nicht selbst bestraft würde, wenn sie so spät erst Anzeige machte. Aber, Herr, du Lenker von Allem, was im Himmel und auf Erden ist, der du zu deinen heiligen Zwecken die Wogen der tiefe aufregst, und den stürmischen Lauf der Zeiten ordnest, du auch hast mit der Heillosigkeit der Einen nur die Andere geheilt, damit Niemand, der dieß bedenkt, auch wenn er es gut gemeint, seiner Macht es zuschreibe, wenn durch sein Wort Jemand, den er beßern will, gebeßert wird.


IX.

Züchtig und verständig, mehr von dir den Eltern als von den Eltern dir untergeben, erreichte sie die jungfräulichen Jahre und wurde an einen Mann vermählt, dem sie als ihrem Herrn diente, und den sie dir zu erwerben sich bemühte, dich mit ihren Sitten ihm verkündend, mit welchen du sie verschönt und ihrem Manne so liebenswürdig und bewunderswerth gemacht hattest. Sie mußte seine eheliche Untreue ertragen, und that es, ohne je mit ihm deshalb sich in Hader einzulaßen; denn sie hoffte durch dein Erbarmen auch ihn im Glauben gereinigt zu sehen.[217] Zudem war er, obwohl in hohem Grade gutmüthig, doch äußerst jähzornig; aber sie befolgte die Regel, einem zornigen Manne weder mit That noch Wort zu widerstreben. Erst wenn er sich wieder von seiner heftigen Uebereilung gefaßt hatte, suchte sie sich gelegentlich mit ihm zu verständigen. Wenn daher manche Frauen sanftmüthigere Männer mit den Spuren erlittener Misshandlungen auf dem beschimpften Angesichte, in traulichem Gespräche sich über ihre Männer beschwerten, so nannte sie scherzend ihre Zunge die Ursache des Erlittenen, und mahnte sie ernstlich an die ihnen bei ihrer Verheirathung vorgehaltene eheliche Ordnung, nach welcher sie Dienerinnen geworden seien und sich daher gegen ihre Herrn nicht ungeberdig stellen dürften. Und an diesen ihren Grundsatz mahnte sie auch jene Frauen, wenn sie sich wunderten, daß man noch nie vernommen habe, sie sei von Patricius, ihrem so zornmüthigen Gatten, je misshandelt worden, habe je mit ihm auch nur einen Tag lang in häuslichem Unfrieden gelebt. Die ihr folgten, wünschten sich Glück zu der gemachten beßern Erfahrung, die ihre Worte aber nicht beachteten, blieben der alten Unbill unterworfen. Auch ihre Schwiegermutter, die anfänglich durch Zuflüsterungen boshafter Mägde gegen sie eingenommen war, gewann sie so sehr durch Hingebung, anhaltende Verträglichkeit und Sanftmuth, daß sie aus freien Stücken ihrem Sohne die Zuflüsterungen der Mägde verrieth, durch welche der Friede zwischen ihr und der Schwiegertochter gestört wurde und Bestrafung verlangte. Er aber, der Mutter zu Willen, des Hauses Zucht im Auge behaltend, für die Eintracht der Seinen sorgend, hielt die Mägde durch Streiche im Zaum und verhieß ihnen, das werde fortan die Belohnung für Jede sein, welche über seine Gattin, sei es wo es wolle, Uebles rede. Keine wagte es mehr und sie lebten nun in lieblichstem Wohlwollen zusammen. Auch die[218] große Gabe hattest du, mein Gott und mein Erbarmer, deiner treuen Magd, durch die du mir das Leben gabest, verliehen, daß sie, wo sie konnte, zur Friedensstifterin der Herzen wurde, und nichts der Andern wieder sagte, als was die Versöhnung förderte, wenn auch die beiden in Zwietracht Lebenden in den bittersten Reden über die Gegnerin wechselseitig zu ihr sprachen; wie das die ergrimmte, unversöhnte Zwietracht zu thun pflegt, wo so oft durch feindselige Gespräche der Haß der anwesenden Freundin gegen die abwesende Feindin gesteigert wird. Wohl schiene mir dieß eine kleine Gabe, wenn ich nicht selbst zu meiner Trauer so unzählige Feindseligkeiten erfahren hätte, da sich die abscheuliche Sündenpest so allgemein verbreitet, mit der man dem zürnenden Feinde nicht nur die Worte seines Feindes hinterbringt, sondern noch Erdichtetes dazu häuft; während der Menschenfreundliche es sich nicht nur angelegen sein laßen muß, die Feindseligkeit der Menschen durch böse Reden weder zu wecken, noch zu mehren, sondern sie auch durch freundliche Rede auszulöschen. Das lernte meine Mutter; ihr Herz war die Schule, du warst der Lehrer. Endlich hat sie auch ihren Gatten noch am Ende seines Zeitlichen Lebens dir gewonnen, und seit er glaubig geworden, hatte sie nicht mehr über das zu weinen, was sie nur in der Zeit seines Unglaubens von ihm ertragen mußte. Auch war sie die Magd deiner Knechte. Wer von ihnen sie kennen lernte, der mußte dich in ihr loben, ehren und lieben, denn er sah dich gegenwärtig in ihrem Herzen, unter dem Zeugnis der Früchte ihres heiligen Wandels. Sie war eines Mannes Weib gewesen, hatte ihrer Eltern Liebe vergolten, fromm ihr Haus verwaltet und das Zeugnis guter Werke, hatte treu erzogen ihre Söhne, und sie so oft im Schmerz geboren, als sie sie von dir weichen sah. Und für uns Alle, die wir vor ihrem Entschlafen, nach unserer Gnadentaufe, in dir zusammenlebten,[219] sorgte sie, als hätte sie uns Alle geboren, und diente uns, als wäre sie von uns Allen gezeugt worden.


X.

Als aber der Tag nahte, nun dir, nicht uns bekannt, an dem sie scheiden sollte aus diesem Leben, begab es sich, durch dein verborgenes Walten, daß ich und sie allein an einem Fenster stunden, vor uns der Garten des Hauses, indem wir uns aufhielten bei Ostia, vom Sturme nach langen Reisebeschwerden zurückgeworfen, und uns auf's Neue zur Schiffahrt bereitend. Da sprachen wir so süß mit uns, vergaßen alles Vergangene, nur nach dem uns streckend, das vor uns ist, und befragten uns bei der ewigen Wahrheit, die du bist, wie das ewige Leben deiner Heiligen sein möge, das kein Auge sieht, kein Ohr vernimmt und zu dem kein Menschenherz sich erheben kann. Aber unseres Herzens dürftigender Mund schmachtet nach der himmlischen Flut deiner Quelle, nach der Quelle des Lebens, die bei dir ist, damit wir, nach unserem Vermögen, von ihr besprengt, den erhabenen Gegenstand sorgsam bedächten. Alls nun unsere Rede dahin gelangte, daß uns auch die höchste sinnliche Freude, wie sie das leibliche Auge nur zu schauen vermag, vor der Wonne jenes Lebens keiner Vergleichung, ja keiner Erwähnung werth schien, suchten wir uns, glühenden Sehnens voll, zum Gegenstande unserer Betrachtung selbst zu erheben, und durchgiengen stufenweise alles Körperliche, den Himmel selbst, von dem sie sonne, der Mond und die Sterne zur Erde niederleuchten. Weiter bringend im Bedenken, Versprechen und Bewundern deiner Werke, kamen wir auf unsere Geister, und auch über diese erhoben wir uns, damit wir gelangten in's Reich der unverwelklichen Fülle, wo du Israel weidest mit der wahren Nahrung ewiglich, und wo die Weisheit ist[220] durch die Alles gemacht ist, was da war und sein wird. Aber sie selber wird nicht, sie ist, wie sie war, und wird so immer sein; denn Gewesensein und Seinwerden sind nicht in ihr, sondern das Sein allein, weil sie ewig ist, und Gewesensein und Seinwerden nicht das Ewige wäre. Und während wir so sprachen und nach ihr verlangten, berührten wir sie leise mit voll schlagendem Herzen, seufzten auf und ließen dort geborgen die Erstlinge unseres Geistes zurück; denn nur kurz dauerte die Entzückung der ihre Himmelswonne vorausahnenden Seele. Und wir wendeten uns zurück zum Laut unseres Mundes, wo das Wort beginnt und endet. Und was gleicht deinem Wort, unserem Herrn, das in sich bleibt, ohne zu altern, und Alles erneut? Wir sprachen nun: wenn Jemand schwiege der Tumult seines Fleisches, sammt den Vorstellungen von der Erde, den Waßern und der Luft, und Allem, was im Raume ist, wenn selbst die Seele sich schweigend und nicht mehr sich denkend sich über sich selbst erhöbe, wenn auch die Träume und die Bilder der Einbildungskraft schweigen würden, ja wenn die Worte und Zeichen schwiegen und Alles, was vorübergeht – denn wer sie hört, dem sagen sie: wir machten uns nicht selbst, uns machte, der da bleibt in Ewigkeit – wenn sie schweigen und unser Gehör nur zu dem erhöben, der sie schuf; und wenn er selbst nun spräche allein, nicht durch sie, durch sich selbst, auf daß wir hörten sein Wort, nicht mit Menschenzungen, nicht durch eines Engels Stimme, noch durch der Wolke Schall, noch durch irgend eines Gleichnisses Räthsel, sondern ihn selbst, den wir lieben in jenen; wenn wir hörten ihn selbst ohne diese, so wie wir uns jetzt erhoben und im reißenden Fluge der Gedanken an die ewige Weisheit rührte, die über Allem bleibt; und wenn dieß fortdauerte, und keine andern ihr fremdartigen Vorstellungen sich einmischten, und ach, diese eine die Schauenden hinriße, und[221] verschlänge und versenkte in die innigste Wonne, wenn das, wenn das geschähe, wenn so das ewige Leben wäre, wie dieser Augenblick der Erkenntnis war, bei dem wir in Seligkeit aufseufzten; – wären wir da nicht, wo es heißt: geh ein in deines Herrn Freude? Und das, wann wird es sein? Wird es sein, wenn wir Alle auferstehen, aber nicht Alle verwandelt werden? – So sprach ich; wenn nicht auf diese Weise und nicht mit diesen Worten, doch sprach ich es, das weist du, Herr, da unter solchen Worten diese Welt uns zurückwich mit allen ihren Freuden. Und darauf sprach meine Mutter: Sohn, ich habe keine Lust mehr an irgend etwas dieses Lebens. Was ich noch thun soll hienieden, und warum noch hier sein, weiß ich nicht; ich habe nichts zu hoffen mehr für diese Welt. Nur Eines war, warum ich noch zu weilen wünschte – daß ich dich sehen möge einen glaubigen Christen, ehe denn ich sterbe. Und reichlicher hat mein Gott mir dieß gewährt, da ich dich sehen darf als seinen Knecht, der nimmer achtet das Glück dieser Erde. Was thu ich hier?


XI.

Ich weiß nicht mehr, was ich hier darauf antworte. Fünf Tage etwa nachher erkrankte sie an Fieberanfällen. Während ihrer Krankheit sank sie einst in Ohnmacht und verlor auf kurze Zeit das Bewußtsein. Wir eilten herbei, aber bald erlangte sie das Bewußtsein wieder, sah mich und meinen Bruder Navigius, die wir um sie waren, an, und fragte uns: wo war ich? Als sie unsere Trauer sah, sprach sie: ihr werdet hier eure Mutter begraben. Ich schwieg und bezwang meine Thränen. Mein Bruder aber erwiederte: er wünschte, daß sie nicht in der Fremde, daß sie im Vaterland sterbe, es wäre ihr Sterben dort wohl glücklicher. Als sie dieß vernahm, legte sich Kummer auf ihre[222] Mienen, und sie strafte den Bruder mit den Augen über solche Gedanken, sah dann mich an und sprach: hör doch, was der spricht! Und darauf zu uns Beiden: Begrabt diesen Leib, wo es auch sei, und laßet euch deßhalb von keiner Sorge beunruhigen. Nur darum bitte ich euch: gedenket mein, am Altare des Herrn, wo ihr auch wandelt. Mit Mühe brachte sie diese Worte hervor, und erschwerender ward ihre Krankheit. Ich aber dachte deiner Gaben, du unsichtbarer Gott, die du in die Herzen deiner Glaubigen legst, damit aus ihm ihre wunderbare Früchte sproßen; ich freute mich und dankte dir, weil mir einfiel, wie ängstlich sie immer um ihr Grab besorgt war, das sie sich neben der Leiche ihres Gatten bestimmt und bereitet hatte. Denn weil sie friedlich mit ihm gelebt hatte, so wollte sie auch hier mit ihm verbunden werden, wie denn des Menschen Seele ist, so lange für das Göttliche noch weniger empfänglich bleibt; sie wollte, es möge den Menschen im Gedächtnis bleiben, wie ihr gewährt worden sei, daß nach ihrer Wanderung über Land und Meer vereinte Erde beider Gatten Erde decke. Nicht erfuhr ich, wann deine Güte diesen Wunsch der Schwachheit von ihr nahm und freudenvoll staunte ich, daß sie sich also gegen mich ausgesprochen, obwohl sie schon damals nicht verlangte im Vaterlande zu sterben, als sie während unseres Gespräches am Fenster zu mir sprach; was thu ich noch hier? Doch hörte ich nachher, daß sie, da wir in Ostia waren, mit einigen meiner Freunde in mütterlicher Traulichkeit von der Verachtung dieses Lebens und dem Gute des Todes in meiner Abwesenheit sprach. Und als sie die Tugend, die du ihr gegeben hattest, bewunderten und sie fragten: ob ihr nicht bange sei, so ferne von ihrer Heimath begraben zu werden, gab sie zur Antwort: »Nichts ist fern von Gott, und nicht ist zu fürchten, er werde am Ende der Zeit die Stätte nicht kennen, von der er mich auferweckte.« Ihre gottselige,[223] treue Seele wurde am neunten Tage ihrer Krankheit, im sechs und fünfzigsten Jahre ihres Alters, und im drei und dreißigsten des meinen vom Leibe gelöst.


XII.

Ich drückte ihr die Augen zu. Große Trauer ergoß sich in mein Herz und wollte in Thränen überströmen; aber ich that mir Gewalt an, ihren Quell zurückzudrängen, und sehr übel ward meine Seele in diesem Ringen mit ihrem Schmerz. Bei ihrem letzten Athemzug weinte Adeodatus, der Knabe, laut auf, und wurde von uns mit Mühe zum Schweigen gebracht. Und so wurde auch in mir das knabenhaft Empfindsame, das sich bei des Herzens jugendlautem Klageton in Thränen ergießen wollte, zurückgedrängt und mußte schweigen. Denn wir hielten es für unwürdig, eine solche Leiche mit thränenden Klagen und Seufzern zu betrauern, mit welchen man die Sterbenden nur beklagen mag, deren Elend im Tode, oder deren gänzliches Erlöschen man beweint. Sie ist nicht elend gestorben, sie ist nicht ganz gestorben, davon gab uns sichern Beweis ihr Leben und ihr ungeheuchelter Glauben. Aber tiefen Schmerz brachte die neue Wunde mir, die ich empfieng durch die plötzliche Zerreißung des süßen, lieblichen Umgangs mit ihr. Wohl fand ich trost in dem Zeugniß, das sie mir noch in ihrer letzten Krankheit gab, mit Zärtlichkeit meine Sorge für sie sehend, da sie mich ihren treuen Sohn nannte und mit aller Innigkeit ihrer Liebe aussprach: ich habe sie nie mit einem harten oder schmähenden Wort beleidigt. Doch was will das sagen, mein Gott, der du uns schufest? Wie konnte ich die Ehre, die ich ihr erwies, mit der Hingebung vergleichen, die sie mir gewährte? Darum, verlaßen[224] von ihrer hilfreichen Nähe, wurde meine Seele verwundet und mein Leben zerrißen; es war ja ein Leben worden aus dem ihren und dem meinen. Als aber der Knabe sein lautes Weinen ließ, ergriff Evodius die Harfe und begann den Psalm zu singen, in den wir Alle einstimmten: »Von Gnade und Recht will ich singen, Herr, und dir lobsingen!« (Psalm 101, 1.) Da ihr Abschied bekannt wurde, kamen viele Brüder und fromme Frauen, und während, am die Leiche besorgte, sprach ich zu denen, die sich zu mir versammelt hielten, was dieser Stunde gemäs war. Durch dieses Linderungsmittel, das aus der Wahrheit kommt, die von dir ist, suchte ich meine Qual zu mildern, die dir nur, nicht Jenen bekannt war, welche aufmerksam auf meine Rede hörten und mich ohne Schmerzgefühl wähnten. Aber zu dir, da Niemand es vernahm, flehte ich um die Linderung meiner Herzensqual und preßte der Trauer Flut zurück; sie wich ein wenig und wogte wieder auf in ihrem Drang, nicht bis zum Ausbruch von Thränen, nicht bis zur Aenderung meiner Mienen, aber ich wußte, was ich hinabdrücken mußte in mein Herz. Und weil mir so sehr misfiel, daß das Menschliche, das unser Aller nothwendiges Loos ist, so viel über mich vermöge, so wurde ich noch von Schmerz über meinen Schmerz erfüllt und von zwiefacher Trauer gemartert. Wir hatten die Leiche eingesargt, waren mit ihr zu ihrem Grabe gegangen und von dort zurückgekehrt ohne Thränen. Und auch da weinte ich nicht, als man sie, ehe sie bestattet wurde, nach der Sitte am Grabe ausstellte und wir für sie das Opfer unserer Gebete brachten. Aber den ganzen Tag brachte ich in verschloßener Trauer zu und bat dich, mit bestürmtem Gemüthe, um die Heilung meines Schmerzes. Du thatest es nicht, wohl um mich zu erinnern, wie wir gebunden seien an der Gewohnheit Band, selbst gegen des Geistes Billigung, der schon von deinem untrüglichen[225] Worte genährt wird. Es dünkte mir auch gut, mich zu baden, weil ich gehört hatte, die Griechen nannten das Bad deswegen Balaneion, das ist, Trauertilger, weil es den pressenden Schmerz aus dem Herzen nehme. Auch das bekenne ich deiner Barmherzigkeit, du Vater der Waisen, ich blieb nach dem Bade derselbe wie zuvor, denn der Trauer Bitterkeit entzog sich meiner Seele nicht; darauf legte ich mich schlafen, erwachte mit besänftigtem Gram; und allein auf meinem Lager, suchte ich Ruhe in dem frommen Liebe deines Ambrosius:


Gott, du bist Schöpfer aller Welt,

Der alle Himmel lenkend hält,

Dem Tage gibt des Lichtes Pracht,

Des Schlummers Gnade jeder Nacht;

Da sich die Ruh dem Müden beut,

Für seine Pflicht die Kraft erneut,

Erleichtert den bedrängten Geist,

Zum Frieden seinen Kummer weist.

Dank sei dir, da der Tag vergeht,

Und Flehen, da die Nacht ersteht.

Wir singen dir des Lobes Pflicht,

O hilf uns, unsre Zuversicht.

Vom Herzen tief erschall' es dir,

Es rausche sanft dein Lied aus mir –

Dich wähle keusche Liebe sich,

Und Geistesreinheit ehre dich.

Und ob uns tiefe Nacht umfängt,

Des Tages letzte Spur verdrängt,

Der Glaube weiß von keiner Nacht,

Ihm müße weichen ihre Macht.

Laß meinen Geist enschlafen nicht,

Entschafen Schuld nur und Gericht,

Sie weichen vor des Glaubens Hut,

Der hütet jeden Schlummer gut.

[226] Fern von der Sinne Trug und Raum,

Sei du des Herzens hoher Traum.

Vom Neid des falschen Feindes sei,

Von seinem Schreck die Ruhe frei. –

Den Christ und Vater flehend preist

Des Sohnes und des Vaters Geist:

Dreieiniger, unser dich erbarm,

Schließ uns in deiner Allmacht Arm!


Und allmählich dachte ich wieder deiner Magd mit der Empfindung, mit welcher ich immer ihrer gedacht hatte; dachte an ihren gottseligen Wandel vor dir, und an ihren lieberfüllten, reinen Wandel vor uns, von dem ich so plötzlich getrennt wurde, und um sie und für sie, um mich und für mich floßen vor dir meine Thränen. Jetzt ließ ich ihnen den freien Lauf, und mein Herz schwamm in ihnen und ruhte in ihnen: denn da warest nur du, nicht ein Mensch, der mit kalter Geringschätzung meine strömenden Thränen beurtheilt hätte. Hier bekenne ich es dir, mag es lesen, wer da will, und es beurtheilen, wie er will. Der lächle mein nicht, der es mir zurechnet, daß ich eine Stunde lang um meine Mutter weinte, um meine Mutter, die auf ein Kleines nur meinen Augen gestorben war, und viele Jahre lang um mich geweint hatte, daß ich ewig leben möge vor deinen Augen. Und wenn ihm reiche Liebe ward, so weine er selbst, weine über meine Sünde zu dir, dem Vater aller Brüder deines Gesalbten.


XIII.

Aber, da mein Herz von dieser Wunde geheilt war, an welcher ich des Fleisches und der Erde zu überwindenden Schmerz erkannte, vergoß ich vor die, unserm Gott, noch ganz andere Thränen für deine Magd, wie sie rinnen aus dem zerschlagenen[227] Geist, der die Gefahren jeder Seele betrachtet, die in Adam gestorben ist. Denn ob sie wohl von Christus neu belebt war, und, auch von des Leibes Banden nach nicht befreit, doch so gelebt hatte, daß über ihr Leben und ihre Sitten dein Name zu preisen war, so wage ich doch nicht zu behaupten, es sei, seit ihrer Wiedergeburt durch die Taufe, auch nie ein Wort gegen dein Gebot aus ihrem Munde gegangen. Und er hat es gesagt dein Sohn, die Wahrheit selbst; wer zu seinem Bruder sagt: du Narr! der ist höllischen Feuers schuldig. Wehe auch dem lobwürdigsten Leben des Menschen, wenn du es beurtheilen wolltest, ohne dein Erbarmen in dein Urtheil zu legen! Und nur, weil du nicht mit Strenge unsere Fehler ansiehst, hoffen wir vertrauend, Schonung finde der Mensch bei dir. Wer dir sein Verdienst vorhält, kann dir damit nichts vorhalten, als nur deine Gaben. O würden sich die Menschen als Menschenerkennen, so würde Jeder, der sich rühmen wollte, sich nur des Herrn rühmen. Darum du, mein Lob und mein Leben, du Gott meines Herzens, will ich ihre guten Thaten, für die ich dir danke mit Freuden, ein wenig zur Seite legen, und will zu dir um Vergebung flehen für die Sünden meiner Mutter. Erhöre mich bei dem Heiland unserer Wunden, der am Holze hieng, und zu deiner Rechten sitzend uns vertritt. Ich weiß von ihr, daß sie erbarmend handelte, und von Herzen denen die Schuld vergab, die sich an ihr verschuldet hatten; vergib auch du ihr ihre Schuld, die sie in der langen Zeit nach ihrer Gnadentaufe noch über sich gebracht haben mag. Vergib, Herr, vergib, ich beschwöre dich im Flehen meiner Liebe – gehe nicht mit ihr in's Gericht! Es erhebe sich dein Erbarmen über dein Gericht, weil wahr deine Worte sind und du Erbarmen verhießest, den Erbarmenden. Und daß sie das wurden, haben sie von dir allein, der du gnädig bist dem, welchem du gnädig sein[228] willst, und dich dessen erbarmest, welches du dich erbarmest. (Röm. 9, 15.) Ich glaube es, du habest schon gethan, um was ich dich bitte, aber, Herr, nimm gnädig auf meines Mundes williges Opfer! Denn da ihr nahte der Todestag, dachte sie nicht des Gepränges ihrer Verstattung, nicht wünschte sie ihrer Leiche köstliche Specereien und ein auserlesenes Denkmal, verlangte nicht nach dem Grabe ihrer Väter; sie bat nur, wir sollten eingedenk sein an deinem Altare, vor dem sie dir gedient hatte, ohne nur an einem Tage auszusetzen, an deinem Altare, von dem ihr das heilige Opfer gespendet wurde, das die Handschrift austilgte, die gegen uns war; das den Feind überwand, der unsre Sünden aufrechnet, der sucht, was er gegen uns finde, und an Dem nichts gefunden hat, in welchem wir siegen. Wer kann ihm erstatten sein schuldloses Blut, wer ihm den Preis erstatten, um den er uns losgekauft, damit er dem Feinde uns entreiße? An dieses Gnadengut band sich deine Magd mit dem Band des Glaubens und Niemand entreißt sie deinem Schutz, nicht mit Gewalt und List kann sich der Löwe und Drache entgegensetzen; nicht kann sie zwar antworten, sie schulde nichts, an dem sich zu halten vermöge der listige Ankläger, aber antworten wird sie, die Schuld sei ihr von dem erlaßen, dem Niemand wiedererstatten kann, was er für uns, selbst nichts schuldend, erstattet hat. Sie ruhe im Frieden mit ihrem Gatten, vor dem und nach dem sie keinem vermählt war; dem sie unterthänig war, da sie dir Frucht brachte in Geduld, und auch ihn dir gewann. Und du, Herr, mein Gott, lege es[229] in's Herz deinen Knechten, meinen Brüdern, deinen Söhnen, meinen Herren, welchen ich diene mit Wort und Herz und Schrift, daß sie, so oft sie dieß lesen, eingedenk seien vor deinem Altar Monica's, deiner Magd, und Patricius, ihres einstigen Gatten, durch deren Fleisch du mich in dieß Leben eingeführt, ich weiß nicht wie. Laß sie mit frommer Liebe ihrer denken, die meine Eltern waren in diesem vergänglichen Lichte, meiner Eltern, die zugleich mir Geschwister sind unter dir, dem Vater, in der Mutter der Kirche, und meine Mitbürger in der himmlischen Jerusalem, nach der dein Volk seufzet auf seiner Pilgrimschaft vom Ausgang bis zum Eingang. So wird meiner Mutter letzte Bitte an mich ihr reichlicher gewährt werden durch die Fürbitten Vieler, die durch meine Bekenntnisse dazu bewegt wurden, als sie ihr gewährt würde durch meine Bitten allein![230]

Quelle:
Augustinus: Die Bekenntnisse. Stuttgart 41863, S. 199-231.
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