Sechstes Buch.

[113] Du führtest mich in deinen Tempel ein,

Wo mich beglückte deines Redners Treue.

Vor deinem Worte meine schnöde Scheue –

Sie wich, es klang mir himmlisch wahr und rein.

Und meiner Sünden Freundin wurde dein,

Sie gieng von mir in rührend tiefer Reue,

Daß sie ihr Herz in Tugend dir erneue,

Und ließ in meinen Thränen mich allein.

So locktest du mich an die Vaterhand,

So stund vor mir die Wahrheit und die Buße,

Der deine hohe Ladung nicht verstand.

Die böse Lust mit dem vertrauten Gruße

Sie zog mich wieder in ihr Zauberland,

Und ließ mich liegen wund vor deinem Fuße.[113]


I.

Du meine Hoffnung von meiner Jugend an, wo warest du mir und wohin hattest du dich zurückgezogen? Hattest denn nicht du mich erschaffen und mich unterschieden von den Thieren des Feldes und von den Vögeln des Himmels? Du hattest mich weiser gemacht, aber ich wandelte auf dunkeln, schlüpfrigen Wegen, suchte dich außer mir und fand den Gott meines Herzens nicht; in die Tiefen des Zweifelmeeres gerieth ich, da versank mein Glauben und ich verzweifelte am Finden der Wahrheit. Schon war meine glaubensstarke Mutter zu mir gekommen, war mir gefolgt über Land und Meer, ruhig in dir bei allen Gefahren. Denn auch über die Bedrängnisse der See tröstete sie die Schiffleute, von welchen sonst die geschreckten, unkundigen Wanderer der Waßerwüste getröstet werden, und verhieß ihnen glückliche Ankunft, die du ihr in einem Gesichte verheißen. Sie fand mich bedrängt wohl von Zweifeln, und als ich ihr gesagt, daß ich zwar kein Manichäer mehr, aber noch kein rechtgläubiger Christ sei, brach sie nicht in Freuden aus, als ob sie Unerwartetes vernommen hätte. Aber diese Veränderung gab ihr Frieden in's Herz, denn vorher hatte sie mich wie einen, von dir zu erweckenden, Todten beweint und mich hinausgetragen auf der Bahre ihrer Gedanken, daß du sprechest zu der Wittwe Sohn: »Jüngling, ich sage dir, stehe auf!« und daß er wieder lebendig werde und zu reden beginne, und du ihn seiner Mutter gebest. Von keiner ungestümen Freude also wurde ihr Herz erschüttert, als sie gehört, von so Vielem, um daß ich zwar der Wahrheit noch nicht errungen, aber der Falschheit entrungen sei. Doch gewis, du werdest auch das Uebrige verleihen, der du das Ganze[115] verheißen, antwortete sie mir in Sanftmuth aus dem vertrauenden Herzen: sie glaubte im Herrn, mich noch als rechtgläubigen Christen zu sehn, ehe sie wandere aus diesem Leben. Dieses mir; dir aber, du Quell der Erbarmungen, anhaltendere Bitten und Thränen, auf daß du beschleunigen mögest deine Hilfe und erleuchten meine Finsternisse. Und sie gieng um so eifriger zur Kirche, an des Ambrosius Munde hangend, der Quelle, deren Wasser ins ewige Leben quillt. Sie liebte ihn wie einen Engel Gottes, weil sie erkannte, daß ich inzwischen zu jenem schwankenden Wogen gebracht worden, worin sie meinen Uebergang von Krankheit zur Gesundheit durch herzutretende dringendere Gefahr, wie durch jenen Zustand erwartete, den die Aerzte die Krisis nennen.


II.

Als sie daher einst zu den Kirchen der Heiligen, wie sie in Afrika pflegte, Brot und Wein brachte und vom Thürsteher der Kirche abgewiesen wurde, der ihr sagte, der Bischof habe solches verboten, fügte sie sich so willig und gehorsam, daß ich selbst mich verwunderte, wie leicht sie eher eine Anklägerin ihrer Gewohnheit, als eine ungünstige Beurtheilerin jenes Verbots geworden war. Denn ihren Geist beherrschte die Trunkliebe nicht, und die Liebe zum Wein reizte sie nicht zum Haß gegen die Wahrheit, wie so viele Männer und Frauen, welche zu der Mäßigkeit empfehlend Predigt kommend schon angetrunken nach dem Weine des Liebesmahles lechzten. Wenn meine Mutter ihren Korb mit den Weihegaben zum Verkosten und Mittheilen brachte, brachte sie nur ein kleines, ihrer Mäßigkeit angemeßenes Becherchen, in dessen Inhalt sie sich mit den Anwesenden theilte. Und wenn es auch viele Gedächtnißkirchen der Verstorbenen gibt, welche man mit solchen Libationen ehren wollte, sie brachte in[116] alle nur ihr Becherchen mit dem stark gewässerten oft schon lauen Getränk für sich und die Ihrigen, weil sie Gottseligkeit, nicht aber Vergnügen dabei suchte. Als sie nun erfuhr, solches sei vom Bischof selbst denen verboten, welche es nüchtern und mäßig vollzögen, damit den Trunksüchtigen nie eine Gelegenheit zur Ausschweifung gegeben würde, und weil ohnehin diese todten Ceremonien dem heidnischen Aberglauben so ähnlich wären, so enthielt sie sich ihrer sehr gutwillig und lernte, für den von Erdenfrüchten vollen Korb, ein von reineren Gelübden volles Herz zum Gedächtnis der Märtyrer darbringen, damit sie ihr Uebriges den Armen übergebe. So wurde durch Liebe von ihr die Gemeinschaft des Leibes Christi gefeiert, durch dessen Leidensnachfolge die Märtyrer geopfert und gekrönt wurden. Doch scheint es mir, daß sie nicht leicht von dieser Gewohnheit abgegangen wäre, wenn sie ihr von einem Andern wäre verboten worden, den sie nicht, wie den Ambrosius – allermeist um meines Seelenheils willen – geliebt hätte. Aber auch er liebte sie wegen ihres gottseligen Wandelns, in welchem sie in guten Werken voll Geistesglut sich unabläßig zur Kirche hielt, so daß er oft, meiner ansichtig werdend, in ihr Lob ausbrach und mir Glück wünschte, solch eine Mutter zu haben, ohne daß er wußte, was für einen Sohn sie hatte, der ich an allem Heiligen zweifelte und nicht an den Weg glaubte, der zum Leben führt.


III.

Noch flehte ich nicht seufzend zu dir, daß du mir zu Hilfe kämest, nur aufs Forschen und Grübeln legte sich mein ruheloses[117] Gemüth. Den Ambrosius hielt ich der Welt nach wohl für einen glücklichen Mann, da ihn die Mächtigen der Erde so sehr in Ehren hielten; nur sein eheloses Leben schien mir geplagt. Was für Hoffnungen er in sich trug, wie er kämpfte gegen die Anfechtungen des Bewußtseins seiner eigenen Vortrefflichkeit, welche Trost er in Widerwärtigkeiten hatte, und welch köstliche Freuden seines Herzens verborgener Mund von deinem Lebensbrote kostete, das konnte ich nicht ahnen, denn ich hatte es selbst nicht erfahren. Und auch er wußte nichts von meinen Unruhen, nichts von dem gefahrvollen Abgrunde, vor dem ich stand; denn nicht konnte ich, wie ich es wünschte, seinen Rath einholen, da mich der Haufen geschäftiger Leute, deren geistiger Schwachheit er aufhalf, von seinem Ohr und seinem Munde trennte. Die wenige Zeit über, die er nicht mit ihnen zubringen mußte, labte er entweder den Körper mit der nöthigen Nahrung, oder den Geist mit Lesen. Und wenn er las, schweifte sein Blick über des Buches Seite und forschte sein Geist nach dem Sinn, während er schwieg. Oft wenn wir gegenwärtig waren – denn Niemanden wurde der Eingang verwehrt, auch war es nicht Sitte, die Kommenden anzumelden – sahen wir ihn in ernster Stille lesen, und anders nie, und entfernten uns wieder, nachdem wir in langem Schweigen geseßen; denn wer hätte sich unterstanden, dem also Vertieften zur Last zu werden. Und wir schloßen, er wolle in der ihm zu seiner geistigen Erholung so knapp zugemessen Zeit von der Unruhe fremder Angelegenheiten ungestört ausruhen. Er mochte sein leises Lesen wohl auch deshalb sich angewöhnt haben, damit er nicht genöthigt werde, einem neugierigen aufmerksamen Zuhörer dunkle Stellen des von ihm eben gelesenen Buches zu erklären, oder sich auf schwierige Fragen einzulassen und so im Vollbringen dessen, was er zu lesen unternommen hatte, bei der ihm gegönnten Zeit verhindert[118] zu werden. Vielleicht las er aber leise, um seine Stimme zu schonen, die leicht heiser wurde. Aus welchem Grunde er es gethan haben mag, er that wohl. So wurde mir keine Gelegenheit, von seinem Herzen, deinem heiligen Orakel, zu erfahren, was ich wünschte, und nur kurzes Gehör erlangte ich zuweilen. In einer ruhigen Stunde sich vor ihm auszuschütten, wünschte mein bedrängtes Herz so sehr, und fand ihn nie in einer solchen. Aber an jedem Sonntag hörte ich ihn, wie er in der Gemeinde das Wort der Wahrheit so lauter auslegte, und überzeugte mich mehr und mehr, daß alle Knoten der hinterlistigsten Lästerungen, welche unsere Betrüger gegen deine heiligen Bücher flochten, gelöst werden konnten. Da erfuhr ich denn auch, daß das göttliche Ebenbild, nach dem du den Menschen erschufest, von deinen Geisteskindern, die du aus Gnade durch die Mutter Kirche gebarest, nicht so verstanden werde, als glaubten und dächten sie dich von einer menschlichen Gestalt begränzt. Ob ich wohl noch nicht dunkel ahnte, wie das Wesen des Geistes sei, so mußte ich doch freudig erröthen, daß ich nicht den ächten Kirchenglauben, sondern Hirngespinste fleischlicher Gedanken angebellt hatte, und darin fand ich verwegen mich gottlos, daß ich das angeklagt, worüber mir nach reiflicher Erwägung erst ein Urtheil zugestanden wäre. Du aber, Erhabenster und Nächster, Verborgenster und Gegenwärtigster, du hast keine verschiedene, größere und kleinere Glieder, ganz bist du überall und doch keinem Ort; bist jene Körpergestalt nicht, die ich mir einbildete, und doch schufst du den Menschen nach deinem Bilde, und siehe, der ist vom Kopfe bis zum Fuße an seinem Orte, daß du ihn dort übest und dir heiligest.
[119]

IV.

Da ich nicht wußte, wie dieses dein Ebenbild beschaffen sei, so hätte ich mit der Frage anklopfen sollen, wie davon zu glauben sei und nicht das verspotten, was ich mir als den Kirchenglauben einbildete, ohne daß er es gewesen wäre. Eine desto größere Sorge über das, was ich festhalten sollte als das Rechte, nagte an meinem Herzen, je mehr ich mich schämte, daß ich so lange durch trügliche Verheißungen war verschloßen und betrogen worden und in knabenhaftem Irrthum und Uebermuth soviel Ungewisses auf eine Weise herausschwatzte, als wäre es gewis; ach später erst ward mir seine Falschheit klar. Soviel war mir nun doch gewis, daß das nicht von mir für gewis Gehaltene ungewis sei, als ich deine Kirche mit blindem Eifer angeklagt, die ich zwar noch nicht als die Lehrerin der Wahrheit anerkannte, von der ich aber soviel endlich wußte, daß sie das nicht lehre, wegen dessen ich sie so schwer angeklagt. So wurde ich verwirrt und bekehrt, und ich freute, mein Gott, mich, daß deine einige Kirche, deines Einigen Leib, in welcher mir als Kind Christ Namen beigelegt ward, keine kindische Nichtswürdigkeiten aushegte, und mit ihrer gesunden lehre dich, den Schöpfer von Allem, nicht in einem Raum, wenn auch in den herrlichsten, doch überall begränzten – daß sie dich nicht in die Menschengestalt einschloß. Auch freute ich mich, daß mir nicht mehr zugemuthet wurde, die Schriften des Gesetzes und der Propheten in der Auslegung zu lesen, in welcher sie mir früher unsinnig erschienen waren, so lange ich geschloßen, nach dieser Auslegung sei der Sinn und Wandel deiner Heiligen gewesen;[120] aber so meinten sie es nicht. Als wollte er damit uns die Regeln des Verständnisses angelegentlich empfehlen, so hörte ich oft den Ambrosius öffentlich sagen: der Buchstabe tödtet, der Geist aber macht lebendig. Er selbst befreite das, was, buchstäblich verstanden, Verkehrteres zu lehren schien, von seiner geheimnisvollen Hülle und erklärte es geistig, und so trug er nichts vor, das mir anstößig gewesen wäre, wenn ich auch die Wahrheit des von ihm Vorgetragenen noch nicht verstund. Denn mein Herz hielt ich von aller Beistimmung zurück, aus Furcht, in die Tiefe zu fallen, und wurde doch durch diese Zurückhaltung weit eher in den Tod gestürzt. Ich wollte mich von der Wahrheit der unsichtbaren Dinge so gewis überzeugen, als ich überzeugt war, daß Sieben und Drei Zehn seien. So unsinnig war ich jedoch nicht, daß ich geglaubt hätte, auch das sogar lasse sich nicht begreifen, aber gleich diesem wünschte ich auch das Andere zu verstehen, sei es nun etwas Körperliches und meinen Augen Abwesendes, sei es etwas Körperliches und meinen Augen Abwesendes, sei es etwas Geistiges, an das ich nur denken konnte, wie ich an körperliche Dinge dachte. Geheilt konnte ich werden durch den Glauben, durch den mein geläuterter Geist zu deiner immer bleibenden, in nichts irrenden Wahrheit gelenkt worden wäre. Aber wie der einem schlechten Arzte in die Hände Gefallene auch einem guten sich anzuvertrauen fürchtet, so that es meine kranke Seele; allein nur durch den Glauben konnte sie geheilt werden, und aus Furcht, Falsches zu glauben, verschmähte sie die Heilung und that deinen Händen Widerstand, der du die Heilmittel des Glaubens bereitet, der du sie über die Krankheiten der Erde gegoßen und ihnen solche Wirksamkeit zugewiesen hast.


V.

[121] Auch darum zog ich die Lehre der Kirche vor, weil in ihr so mild und arglos verordnet wurde, man solle glauben, was nicht erklärt werde, sei es nun etwas, was wirklich erklärt werden könnte, nur daß ein dafür Empfänglicher fehlte, oder sei es etwas, das man nicht zu erklären vermöchte; während bei den Manichäern solch ein Glaube in den vermeßenen Verheißungen tiefern Wissens verlacht ward, und hierauf doch der blinde Glaube an so viel Fabelhaftes und unsinniges, das gar keine Erklärung zuließ, befohlen wurde. Nach diesem aber hast du, Herr, mit deiner sanften, erbarmenden Hand mein Herz behandelt und belehrt, und mich erwägen laßen, wie unzählig Vieles ich glaubte, ohne daß ich es sah, ohne daß ich bei seinem Verlaufe gegenwärtig war; wie so Vieles in der Geschichte der Völker, so Vieles von Orten und Städten, die ich niemals gesehen, so Vieles von Freunden, von Aerzten, von diesen und von jenen Menschen, ohne dessen glaubige Annahme wir überhaupt gar nichts im Leben zu thun wüßten. Du ließest mich erwägen, wie unerschütterlich fest ich glaube, von meinen Eltern entsprungen zu sein, das ich doch nur wißen könnte, wenn ich es aufs Wort hin glaubte. So überzeugtest du mich, daß nicht diejenigen anzuklagen seien, welche an die heilige Schrift glauben, die du mit so großem Ansehen fast in allen Völkern Grund faßen ließest, sondern Diejenigen, die nicht an sie glauben, und daß ich Denen kein Gehör leihen dürfe, die etwa mir sagten: »Woher weißest du, daß diese Bücher durch den Geist des Einen, wahren wahrhaftigen Gottes dem Menschengeschlechte mitgetheilt wurden?« Um so mehr mußte ich das glauben, als ja auch kein Gezänke der Philosophen mich so weit hatte bringen können, daß ich auch nur einmal nicht geglaubt hätte, du seiest, während ich doch nicht[122] wußte, was du sein mochtest, oder daß ich den Glauben aufgegeben hätte, die Lenkung der menschlichen Dinge gehöre dir zu. Wohl glaubte ich das bald stärker, bald schwächer, aber immer doch glaubte ich, du seiest und sorgest für uns, wenn ich auch nicht wußte, wie ich mir dein Wesen vorstellen sollte und den Weg nicht kannte, der zu dir führt und den Verirrten zurückführt. Wenn nun in solcher Schwachheit unsere Vernunft nicht klar genug zum Finden der Wahrheit ist, und uns darum das Ansehen deiner heiligen Schrift nöthig wird, so hättest du, das war meine Meinung, keineswegs dies hohe Ansehen der Schrift in allen Landen verbreitet, wenn du nicht gewollt hättest, man solle durch sie an dich glauben und solle dich suchen durch sie. Was mir früher ungereimt an ihr geschienen, hatte mir nun die Würde eines göttlichen Heiligthums; und um so ehrwürdiger und des heiligen Glaubens werther schien es mir, je offener sie aller Welt zum Lesen lag und ob auch die Herrlichkeit ihrer Geheimnisse nur tieferem Sinn bewahrend, doch mit der verständlichsten Sprache und den schlichtesten Worten sich Allen erschloß, den Eifer Aller übte, die nicht leichtfertigen Herzens waren, damit sie Alle ans weite freundliche Herz willig aufnehme und auf der engen Bahn Wenige zu dir hinüberführe, und doch weit Mehrere, als sie thäte, wenn sie nicht mit solchem Ansehen hervorleuchtete und die Menge nicht zuließe in ihren heiligen, demuthsvollen Schoß. Das bedachte ich, und du stundest mir bei; ich seufzte, und du vernahmest mich; umher stürmte ich, und du lenktest mich; ich gieng auf dem breiten Wege der Welt, und du verließest mich nicht!


VI.

Ich trachtete gierig nach Ehre, Gewinn und ehelicher Lust, und du lachtest mein. In diesen Begierden erlitt ich die bittersten[123] Nöthe, denn du warest mir um so günstiger, je weniger du mir das, was du nicht warst, zur Wonne machtest. Sieh in mein Herz, Herr, der du wolltest, daß ich dieß bedenke und dir bekenne! Nun soll dir anhangen meine Seele, die du gezogen hast aus dem enggezogenen Netze des Todes. Wie elend sie war, du warst es, der sie mit dem Gefühl ihrer Wunde stach, damit sie Alles verlaße und sich zu dir wende, der du über Allen bist, ohne den Alles, was ist, Nichts wäre, damit sie sich zu dir wende und getheilt werde.

Wie elend ich war, und wie du mich mein Elend fühlen lassen wolltest, das merkte ich an jenem Tage, an welchem ich mich bereitete, auf den Kaiser Valentinian in Mailand eine Lobrede zu halten, in der ich viel lügen und mir durch meine Lügen Lob bei denen bereiten wollte, die sie durchschauten. Von diesen Sorgen und herzverpestenden Gedanken umhergetrieben, wandelte ich einst durch einen Flecken bei Mailand und bemerkte dort einen armen Bettler, der, schon betrunken, scherzte und guter Dinge war. Da seufzte ich und sprach mit den Freunden, die mit mir waren, von den vielen Nöthen unseres unnöthigen Strebens, da wir mit all diesem Trachten, dessen Last mir, je mehr ich sie zog, desto schwerer wurde, nur zu sorgenloser Freude gelangen wollten, in der es uns jener Bettler schon zuvorthat, während wir sie vielleicht nie erlangten. Denn was der sich verschafft hatte mit wenigem, erbettelten Groschen, die Lust des zeitlichen Behagens, darnach trachtete ich durch so mühsame Umwege und Umschweife. Wohl hatte er keine wahre Freude, doch eine weit trüglichere suchte ich mit meinen Planen; aber er freute sich doch, und ich war bange; sorgenlos war er und ich geängstet. Und wenn mich Jemand gefragt hätte, ob ich lieber mich ängsten, oder mich freuen wolle, so hätte ich gewiß geantwortet: mich freuen; hätte er mich aber gefragt: ob ich lieber sein möchte wie[124] dieser Bettler, oder wie ich damals war, so hätte ich mich, den von Sorgen und Angst Gepeinigten, gewählt. Hätte ich recht gewählt? Dem Bettler durfte ich mich nicht meiner Gelehrsamkeit wegen vorziehen, da ich mich ja über sie nicht freute, sondern mit ihr selbst ein Bettler nur Wohlgefallen vor den Menschen suchte, ohne nur den Zweck zu haben, sie zu belehren. Ach meine ganze Absicht gieng nur aus auf Menschengunst, darum hast du mit deinem Zuchthause meine Gebeine zerschlagen. Und deshalb sollen von mir weichen, die da sagen: »es handelt sich davon, woran man sich freuen will; der Bettler freute sich der Trunkenheit, du wolltest dich des Ruhmes freuen.« Welch eines Ruhmes, o Herr? Eines Ruhmes, ach, der nicht in dir ist! Denn wie des Bettlers Freude nicht die wahre war, so war auch das nicht der wahre Ruhm und verkehrte nur noch mehr mein Gemüth. Jener mußte in derselben Nacht seinen Rausch ausschlafen, ich mußte mit dem meinen mich schlafen legen und aufstehen, siehe Herr, wie viele Tage lang! Freilich handelt es sich davon, woran man sich freue, ich weiß das wohl; aber die Freude der glaubensvollen Hoffnung ist so weit von jener nichtswürdigen verschieden, daß sie sich gar nicht mit ihr vergleichen läßt, und so war jene nichtswürdige die Scheidewand zwischen dir und mir. Ohne Zweifel war der Bettler glücklicher, nicht nur weil er voll guter Laune war, während ich von Sorgen zerrißen wurde, sondern auch, weil er durch Glück im Betteln sich doch etwas Wein verschafft hatte, indem ich durch Lügen nichtigen Ruhm suchte. Vieles in diesem Sinn sagte ich damals meinen Freunden, oft überlegte ich dabei, wie mir sei, grämte mich, daß mir so übel zu Muth war und verdoppelte dadurch nur das Uebel. Und wenn mir etwas Freude Verheißendes zuwinkte, so war ich zu verdroßen, um darnach zu greifen, während es doch, ehe es festgehalten werden konnte, entflog.


VII.

[125] Darüber trauerten wir, die wir zusammen Freundschaft hielten, aber am vertrautesten pflegte ich solches mit Alypius und Nebridius zu besprechen, von welchen Alypius aus meiner Vaterstadt, der Sohn angesehener Aeltern, und jünger als ich war. Er ließ sich von mir unterrichten, sowohl da ich in unserer Vaterstadt, als später, da ich in Karthago lehrte, liebte mich innig, weil er mich für gut und gelehrt hielt; ich aber liebte ihn wegen seiner vielversprechenden Richtung auf die Tugend, die ihn schon in frühem Alter auszeichnete. Doch die Tiefe des Sittenverderbens in Karthago, in der nichtswürdige Schauspiele eine so große Rolle spielten, hatte auch ihn zur leidenschaftlichen Neigung für die Spiele der Wettkämpfer in der Rennbahn hingerißen. Er aber hörte in dieser Zeit seiner Verirrung noch nicht auf mich, wie auf seinen Lehrer, eines Zwistes wegen, der zwischen mir und seinem Vater ausgebrochen war; mich jedoch erfüllte seine Leidenschaft schon mit der Angst, solch einen hoffnungslosen Jüngling zu verlieren, ja ich meinte, ihn schon verloren zu haben. Aber weder durch die Gunst der Freundschaft, noch durch des Lehramts Recht erlangte ich die Gelegenheit, ihn zu ermahnen und zu beschränken, ich war ja der Meinung, er sei wie sein Vater gegen mich gesinnt. Doch dem war nicht so; denn des Vaters Willen hintansetzend, fieng er an, mich zu grüßen, besuchte meinen Hörsaal, hörte einige Zeit zu und setze wieder aus. Indessen vergaß ich, ihn zu vermögen, daß er seine gute geistige Natur nicht durch die blinde, verderbliche Leidenschaft für die nichtswürdigen Spiele verderbe. Aber du Herr, der du das Leben aller lenkest, die du schufest, du hattest sein nicht vergessen, der einst ein Vorsteher deines Heiligthums unter deinen Kindern werden[126] sollte. Und damit seine Beßerung offenbar nur dir zugeschrieben würde, so bewerkstelligtest du sie zwar durch mich, aber ohne daß ich es wußte. Denn einst, da ich auf meinem gewöhnlichen Lehrstuhle saß und meine Schüler um mich waren, kam auch er, grüßte, setzte sich und schenkte dem, was verhandelt wurde, seine Aufmerksamkeit. Während ich nun die Schrift erkläre, die ich eben in Händen habe, finde ich eine Vergleichung mit den Spielen der Rennbahn passend, und um das, was ich erweisen will, annehmlicher und klarer zu machen, spreche ich mit beißendem Spott gegen die leidenschaftlichen Freunde dieser Spiele; doch das weißest du unser Gott, ohne daß ich daran gedacht hätte, den Alypius von dieser Sucht heilen zu wollen. Er aber bezog es auf sich, und meinte, ich hätte es seinetwegen allein gesagt. Und was ein Anderer nur auf sich angewandt hätte, um mir zu zürnen, das wandte der edle Jüngling zum Zürnen gegen sich selbst und zur glühenderen Liebe gegen mich an, nach deinem Worte: strafe den Weisen und er wird dich lieben. (Sprüchw. 9, 8.) Ich war es nicht, der ihn strafte; nur du, der du Alle, mögen sie wißen davon oder nicht, nach deinem bestimmten Plan, der stets der rechte ist, verwendest, du bereitest aus meinem Herzen und aus meiner Rede glühende Kohlen, mit welchen du das hoffnungsvolle, dem Erlöschen nahe Gemüth wieder entzündest und heiltest. Dein Lob verschweige, wer deine Erbarmungen nicht beherzigt, zu denen vor dir sich mein tiefstes Herz bekennt! Denn Jener riß sich nach meinen Worten aus der tiefen Grube, und reinigte mit muthiger Enthaltsamkeit seine Seele aus. Aller Unrath des Circus fiel von ihm, ihn selbst betrat er nie mehr. Hierauf brachte er den widerstrebenden Vater dahin, daß er ihm erlaubte, ganz[127] mein Schüler zu werden. Aber nun ward er mit mir in den gleichen Aberglauben gestürzt, weil er an den Manichäern die zur Schau getragene Enthaltsamkeit liebte und sie für wahr und ächt hielt, während sie sinnlos und verführerisch die edlen Seelen fieng, wel che die Erhabenheit der Tugend noch nicht an sich erfahren hatten, und sich leicht vom äußerlichen Schein verstellter Tugend blenden ließen.


VIII.

Nicht um den eiteln Weg zu verlassen, auf den ihn seine Aeltern gelockt hatten, zog er vor mir nach Rom, um dort der Rechtsgelehrsamkeit sich zu widmen. Und dort wurde er mit unglaublicher Hinreißung, ich möchte sagen, auf unglaubliche Weise zu den Fechterspielen hingerißen. Denn zu ihm, der sie anfangs verabscheute, traten einige Freunde und Mitschüler, denen er eben, als sie vom Frühmale zurückkehrten, begegnete, und führte ihn, wie er sich sträubte, mit vertraulicher Gewaltthätgkeit in's Amphitheater, da eben die Zeit dieser grausamen Spiele war. Er sprach dabei zu ihnen: »möget ihr meinen Leib an diesen Ort schleppen und festhalten, könnt ihr damit auch meine Seele und meine Augen auf diese Spiele lenken? So will ich denn abwesend gegenwärtig sein und euch und diese Spiele überwinden!« Nichts desto weniger führten sie ihn mit sich fort, zu erfahren wünschend, ob er durchsetzen werde, was er gesagt hatte. Als sie dort anlangten und auf den gemietheten Sitzen Platz nahmen, brause schon Alles in blutdürstiger Lust auf. Er aber verbot mit geschlossenen Augen seiner Seele, sich dieser Sünde hinzugeben; o hätte er doch auch seine Ohren verstopft! Denn als bei eines Fechters Fall im Kampfe das wilde Geschrei alles Volks ihn überraschte, öffnete er von Neugier besiegt die Augen, als wäre er bereit, auch den[128] Anblick, möge er zeigen was er wolle, zu verachten und zu besiegen; aber er wurde von einer schwereren Wunde in die Seele getroffen, als in den Körper jener Kämpfer, den er zu sehen wünschte, und stürzte kläglicher als jener. Getroffen und gefällt zeigte er, daß sein Muth nicht Stärke, und er selbst um so schwächer gewesen sei, je mehr er sich das selbst zutraute, was er nur von dir hätte erwarten sollen. Denn als er das Blut sah, sog er den Blutdurst zugleich mit ein, wandte sich nicht ab, heftete darauf die Augen, die Geister der Wuth in sich aufnehmend, ohne es zu wißen; und sich nun ergötzend an den verbrecherischen Kämpfen, wurde er trunken von blutdürstiger Freude. Nun war er Der nicht mehr, welcher er gekommen war, er war der Rotte einer, zu der er kam, der ächte Genoße derer, die ihn herbeigeführt hatten. Was soll ich mehr davon sagen? Er schaute, rief Beifall, entbrannte und trug mit sich den wilden Wahnsinn von dannen, durch den er gereizt wurde, wieder zu kommen, nicht nur mit denen, die ihn hingezogen, nein, vor ihnen, Andere nach sich ziehend. Und von dort auch hast du ihn mit deiner starken, erbarmenden Hand entrißen und ihn gelehrt, nicht sich, nur dir zu vertrauen; aber erst lange nachher erfuhr er dieß.


IX.

Doch auch folgende Begebenheit wurde zu seiner einstigen Heilung in seinem Gedächtnis bewahrt. Als er einst in Karthago, noch las mein Zuhörer, eines Mittags im Forum, nach der Weise der Studierenden, auf eine Rede sich vorbereitete, ließest du zu, daß ihn die Diener des Forums ergriffen, als wäre er ein Dieb. Auch das hast du, mein Gott, nur zugelassen, damit er, der später so wichtige Mann, frühzeitig lerne, daß beim Urtheilfällen kein Mensch so leicht von seinem Mitmenschen[129] in unbesonnener Leichtgläubigkeit verdammt werden dürfe. Einsam nämlich gieng er mit Griffel und Schreibtafel vor der Gerichtsbühne auf und nieder, während ein anderer Jüngling aus der Zahl der Studierenden, der wahre Dieb, mit einem verbogenen Beil, ohne daß mein Freund davon etwas wußte, sich an das bleierne Geländer machte, welches über dem Platze der Geldwechsler angebracht war, und das Blei dort abblieb. Die Wechsler, durch den Klang des Beiles aufmerksam gemacht, besprachen sich drunten an ihrem Ort und sandten Häscher aus, die ergreifen sollten, wen sie fänden. Jener aber bloß, da er seine Stimme hörte, und ließ, aus Furcht, damit ergriffen zu werden, das Beil zurück Alypius, welcher ihn nicht hatte eintreten sehen, aber bemerkte, wie er sich schnell davon machte, wollte die Ursache wißen, betrat den Ort und blieb verwundert stehen, während er das gefundene Beil betrachtete. Die Häscher finden nur ihn, mit dem Beil in der Hand, dessen Klang sie herbeigezogen. Sie nehmen ihn fest, führen ihn fort, unter dem Zusammenlauf des Forums, und rühmen sich, den Dieb auf der That ertappt zu haben. Und so wurde er dem Richter zugeführt. Aber nur bis dahin sollte er belehrt werden, denn plötzlich kamst du, Herr, seiner Unschuld zu Hilfe, deren Zeuge du allein warst. Als man ihn hinführte, entweder zum Gefängniß, oder zum Tode, begegnete ihnen ein Baumeister, der die Aussicht über die öffentlichen Gebäude führte. Die Häscher freuten sich, eben ihm zu begegnen, der sie im Verdacht hatte, als pflegten sie das vom Forum abhanden Kommende zu entwenden; sie freuten sich, daß er nun endlich erkennen möchte, wer der Thäter sei. Aber er hatte den Alypius oft im Haufe eines Senators gesehen, dem er aufzuwarten pflegte; sobald er ihn daher erkannte, entriß er ihn eigenhändig der Schaar, erfuhr von ihm, was geschehen war, und befahl dem lärmenden,[130] drohenden Haufen ihm zu folgen. Und sie kamen vor des Jünglings Wohnung, der die That verübt hatte. Dort war ein Knabe vor der Thüre, zu klein noch, als daß er für seinen Herrn – denn er war in des Jünglings Diensten – etwas zu fürchten vermocht hätte, so daß er Alles leicht angeben konnte. Alypius erkannte ihn und vertraute seinen Verdacht dem Baumeister; dieser zeigte dem Knaben das Beil und fragte ihn, wem es gehöre. Sogleich antwortete er: es gehört uns zu, und weiter ausgefragt, eröffnete er Alles. So kam der Proceß über jenes Haus und wurde der Haufen beschämt, der schon über Alypius triumphirt hatte. Er aber, der künftige Verwalter deines Wortes, der Schiedsmann so vieler Angelegenheiten deiner Kirche, gieng erfahrener und belehrter von dannen.


X.

Ihn also traf ich in Rom. Mit der innigsten Freundschaft hieng er an mir und wanderte mit mir nach Mailand, sowohl um bei mir zu sein, als um die Rechtswissenschaft auszuüben, die er mehr nach dem Willen seiner Eltern, als nach seinem eigenen erlernt hatte. Vorher hatte er dreimal das Amt eines Beisitzers in den Gerichten mit der edelhaften Uneigennützigkeit bekleidet, über die sich seine Kollegen wunderten, während er selbst sich noch viel mehr über sie verwunderte, daß sie das Gold der Unbestechlichkeit vorzogen. Dort wurde seine Jugend nicht nur durch lockenden Gewinn, sie wurde auch durch Anfechtung zur Furcht versucht. In Rom nemlich bekleidete er einst die Stelle eines Beisitzers im Schatzmeisteramte für Italien. Und damals war dort ein sehr angesehener Senator, dem Viele durch empfangene Wohlthaten verpflichtet, aber aus Furcht dienstwillig waren. Der machte einst, nach seiner gewaltthätigen Weise, ein gesetzwidriges Ansinnen, dem Alypius entgegen war,[131] dargebotene Belohnung verlachend und angewandte Drohung verachtend, so daß Jedermann den ungewöhnlichen Muth bewunderte, mit dem er solch einen Mann weder zum Freunde wollte, noch als Feind fürchtete. Der Richter aber, dessen Rath Alypius war, verweigerte das Ansinnen nicht offen, ob er es gleich nicht gewähren wollte, sondern schob alle Schuld auf Alypius, der nicht einwilligen, und wenn der Richter selbst einwillige, gegen ihn stimmen würde. In dieser Stellung wurde er einmal bei einer literarischen Arbeit fast versucht sich um prätorianische Gerichtsgelder zu lassen, aber sein Rechtssinn brachte ihn auf beßeren Entschluß und er hielt die Billigkeit, die ihn abhielt für nutzbringender, als seine Gewalt, die ihm Jenes erlaubte. Das ist eine Kleinigkeit, aber wer im Kleinen treu ist, der ist auch im Großen treu. Und kein leeres Wort sprach der Mund deiner Wahrheit: wenn ihr im ungerechten Mammon nicht treu seid, wer wird euch das Wahrhaftige anvertrauen? Und wenn ihr im Fremden nicht treu seid, wer wird euch geben was euer ist? (Lut. 16, 10-12.) Ein Mann solcher Besinnungen hieng er an mir und berieth sich mit mir über die Wahl unserer Lebensweise.

Auch Nebridius hatte seine Heimath bei Karthago und Karthago selbst verlaßen, wo er sich aufzuhalten pflegte, und war von dem reichen väterlichen Erbe aus seinem andern Grunde nach Mailand gereist, als um mit mir im Feuereifer nach Wahrheit und Weisheit zu streben. In gleicher Seelennoth wurde er umhergetrieben, glühend das selige Leben suchend, der scharfsinnigste Erforscher der schwersten Fragen. Drei Hungernde klagten sich da ihre Noth, und sie erwarteten von dir, daß du ihnen Speise gebest zu rechter Zeit. Aber in aller Unannehmlichkeit, welche nach deiner Erbarmung auf unser weltliches Trachten folgte, legte sich Finsterniß über uns, wir nach[132] dem Zwecke dieser Leiden fragten; seufzend widerstrebten wir und sprachen: wie lange soll das währen? So oft wir das sprachen, wir ließen doch nicht von unserem weltlichen Trachten ab, weil nichts Zuverläßiges aus Licht trat, das wir zu erfaßen vermocht hätten, wenn wir jenes verließen.


XI.

Mit Schmerz bedachte ich die lange Zeit, welche nun von meinem neunzehnten Lebensjahre an verstrichen war, seit welchem ich in brennendem Eifer die Weisheit mit dem Vorhaben gesucht, wenn ich sie gefunden hätte, alle meine verwerfliche Begierden und lügnerische Albernheiten aufzugeben; denn siehe, ich lebte im dreißigsten Jahre und klebte noch an diesem Unrath, voll Gier nach dem flüchtigen, zerstreuenden Genuß der Gegenwart. Und das waren in der langen Zeit meine Gedanken: »Morgen werde ich es finden, es wird sich mir darbieten und fest werde ichs halten; siehe, Faustus wird kommen und wird mir Alles erklären. – Und ihr große Akademiker, sollte wirklich nichts zu erfragen sein, nach dem man sein Leben einrichte? Nein, wir wollen um so eifriger suchen und nicht verzweifeln. Siehe, schon ist nicht mehr sinnlos in den heiligen Büchern der Kirche, was wir für sinnlos hielten; anders kann es und würdig verstanden werden. So will ich meine Schritte lenken auf die Bahn, auf die mich als Kind schon die Eltern stellten, bis ich sie finde dort, die einleuchtende Wahrheit. Und wo und wann werde ich sie finden? Es fehlt nicht an Ambrosius, es mangelt nicht an zu lesenden Schriften. Wie wollen wir nur die Zeit eintheilen fürs Heil unserer Seele? Große Hoffnung ist uns aufgegangen; nicht lehrt der katholische Glauben, was wir in solcher Meinung ihm vorwarfen. Seine Lehrer halten es für sündhaft, an einen in Menschengestalt eingeschlossenen[133] Gott zu glauben, und wir zweifeln noch, in ihm das Licht für alles zu finden? Die Stunden des Vormittags müßen wir unsern Schülern widmen; was thun wir in den übrigen Stunden? Warum nicht das, was allein Noth thut? Aber wann sollen wir den Gönnern dann aufwarten, deren Kunst wir bedürfen? Wann uns auf das vorbereiten, was von uns die Studierenden um Lohn suchen? Wann uns von der Arbeit erholen? Weg mit dem Allen, wir wollen es verwerfen als eitel und unnütz, und uns allein der Erforschung der Wahrheit weihen. Des Elends voll ist dieses Leben und ungewiß ist die Stunde des Todes. Wie müßten wir aus diesem Leben scheiden, wenn er plötzlich über uns käme? Wo wollten wir erlernen noch, was wir hier versäumten? Müßten wir nicht weit eher die Strafe dieser Vernachläßigung büßen? Aber wie, wenn der Tod all unser Streben mit unserem Bewußtsein abschnitte und vernichtete? Auch das ist die Frage. Doch ferne sei, daß es also sei. Nicht leer, nicht ohne Wahrheit ist, was als der herrlichste Gipfel des christlichen Glaubens auf der ganzen Erde verbreitet ist und Geltung hat. Nimmermehr würde so Großes und so Herrliches für uns von Gott vollbracht, wenn bei des Leibes Tod auch der Seele Leben verzehrt würde. Nun, was zaubern wir, die Hoffnung aufzugeben auf diese Welt und uns von ganzer Seele dem Suchen Gottes und eines seligen Lebens zu weihen! Doch gemach! Auch das Weltliche reizt, und nicht klein ist sein süßer Genuß, nicht leicht ist's, das Trachten nach ihm aufzugeben, während es schändlich ist, den Rückschritt wieder dahin zu nehmen. Siehe doch, wie viel daran liegt, daß uns Ehre werde! Der Gönner Menge fördert uns schnell vorwärts, selbst zu Amt und Ehren kommen wir dadurch; ein Weib läßt sich heimführen, mit erklecklichem Vermögen, damit sie uns im Aufwand für sie nicht lästig werde. Viele große,[134] höchst nachahmungswürdige Männer weihten sich ja, trotz ihres Ehebündnisses, mit Eifer der Weisheit!« – Während ich also zu sprechen pflegte und solche Winde der Eitelkeit ihr wechselndes Spiel mit mir trieben, und hierhin mein Herz rißen, verstrich die Zeit, zauderte ich, mich, Herr, zu dir zubekehren, säumte von einem Tag zum andern, in dir zu leben und säumte doch nicht, täglich in mir selbst zu sterben. Ich liebte das selige Leben, und fürchtete, es in seiner Wohnung zu finden, ich floh vor ihm, da ich es suchte. Denn ich wähnte, ich würde gar zu elend werden, wenn ich des Weibes Umarmungen entbehren müßte, und dachte nicht an das Heilmittel deiner Erbarmung, das mich von diesem Uebel erlösen konnte, denn ich hatte es nie noch versucht. Ich hielt die Enthaltsamkeit für Sache der eigenen Kraft, von der ich wußte, daß sie mir fehlte, da ich in Thorheit nicht wußte, was geschrieben steht: »ich kann nicht anders züchtig sein, es gebe mirs denn Gott.« (Weish. 8, 21.) Wahrlich, mir hättest du es gegeben, wäre ich mit Seufzen zu dir gekommen und hätte mit festem Glauben mein Anliegen auf dich geworfen.


XII.

Wohl suchte mich Alypius von der Heimführung einer Gattin abzuhalten und mich zu überzeugen, wenn ich das ausgeführt hätte, könnten wir nicht ungestört der Liebe zur Weisheit leben, der wir schon so lange verlangten. Er selbst lebte rein, während er sich in der ersten Jugend befleckt, aber dem Laster nicht hingegeben hatte, und es in schmerzendem Gedächtnis seines Falls um so mehr verachtete und um so enthaltsamer lebte. Ich hielt ihm das Beispiel derer entgegen, welche sich auch in der Weisheit befleißigt, Gott erworben und ihre Freunde treu und werth gehalten hätten; und[135] doch war ich weit entfernt von dem Seelenadel solcher Männer, war gebunden von der krankhaften Sinnenlust nach tödlichem Genuße und schleppte mich an meiner Kette. Ich fürchtete, von ihr gelöst zu werden, und da mir schon die Wunde geschlagen war, verschmähte ich die Worte des freundlich Rathenden, die doch einer heilenden Hand glichen. Ja, durch mich sprach die Schlange selbst zu Alypius und umstrickte mit meinen lockenden Worten seinen bisher reinen Pfad. Er selbst wurde mehr aus Neugier, als aus sinnlichen Frieden heirathslustig, da ich, den er so hoch achtete, ihm betheuerte, gar nicht ohne ehelichen Umgang leben zu können und als ich ihn versicherte, der Ehe Freuden seien etwas ganz Anderes, als jene von ihm genoßene, vorübergehende Lust. So wurde er nach dem begierig, ohne dessen Genuß ich mein Leben, das ihm so wohlgefiel, kein Leben, sondern eine Strafe nannte. Seine noch freie Seele wunderte sich über meine Sklaverei, im Verwundern schritt sie zur Neugier und war nahe am Fall und an der Verlobung mit dem Tode. Denn wer die Gefahr liebt, den stürzt sie. Keinen von uns veranlaßte ja das Würdige des Ehestandes, häusliches Walten, Kindes- und Elternliebe, kaum nebenbei dachten wir des; mich trieb gewöhnte Gier, ihn ihre neugierige Verwunderung. So waren wir, bis du Höchster, der du unser niedriges Leben nicht verließest, dich der elenden erbarmtest und wunderbar und verborgen halfest.


XIII.

Ohne Rast wurde nun darauf hingewirkt, daß ich eine Gattin heimführen möge. Schon freite ich und erhielt das Jawort, wobei sich meine Mutter die größte Mühe gab; denn sie hoffte, nach meiner Verehelichung sollte mich die heilsame Taufe reinigen, für die sie mich mit Freuden täglich tauglicher werden[136] sah. Und fest war ihr Hoffen; wurde ja doch durch meine Bekehrung sowohl ihr Flehen, als deine Verheißung erfüllt. Da sie aber, sowohl auf meine Bitten, als nach ihrem Verlangen zu dir flehte, du mögest in einem Gesichte ihr Einiges von meiner künftigen Ehe offenbaren, erfülltest du niemals ihren Wunsch. Sie sah nur einige nichts bedeutende Traumgeschichte, die durch den Drang ihres mit dieser Ungelegenheit so sehr beschäftigten Geistes entstunden, und erzählte sie mir, aber nicht mit dem Vertrauen, das sie gewöhnlich hatte, wenn du ihr etwas offenbartest, sondern ohne Werth auf sie zu legen. Denn sie äußerte, sie wiße durch eine Empfindung, die sie mit Worten nicht auszusprechen vermöge, deine Offenbarungen von ihren natürlichen Träumen zu unterscheiden. Doch blieben wir bei unserer Wahl, die auf eine Jungfrau gefallen war, wegen deren Jugend wir mit der Vollziehung der Ehe noch zwei Jahre zu warten gedachten.


XIV.

Wir erwogen, viele Freunde zusammen, die lästigende Beschwerde des Menschenlebens; indem wir sie verwünschten, waren wir schon beinahe fest entschlossen, fern vom Weltgetümmel uns der Ruhe zu weihen und hofften sie zu erreichen, wenn wir das, was wir erwerben konnten, zusammenlegten und eine gemeinsame Familie bildeten, so daß in einem Freundesbund jeder eigene Besitz aufhöre und Alles Allen gehöre. Wir hofften unsere Verbindung auf zehn Männer zu bringen und sehr Begüterte waren unter uns, vor Allen unser Landsmann Romanianus, mein vertrautester Freund von Jugend an, den damals schwierige Geschäfte aus Hoflager nach Mailand gezogen hatten. Er nahm sich auch der Sache am meisten an, und bei seinem großen Vermögen hatten seine Rathschläge das meiste Gewicht.[137] Wir bestimmten, daß je Zwei ein Jahr lang, wie es bei den Magistraten der Fall ist, das Nöthige besorgen sollten, während die Uebrigen in Ruhe leben möchten. Aber als wir endlich bedachten, ob das den Frauen wohl gefallen möchte, die Einige von uns schon hatten, und welche wir andern uns wünschten, da verschwand der ganze Plan, den wir so fein ausgesponnen hatten, aus unsern Händen. So giengen wir wieder trauervoll auf den breiten, zertretenen Wegen dieser Welt, während gar vielerlei Gedanken in uns wechselten. Denn Herr, nur dein Rath bleibt in Ewigkeit! Mit deinem Rathe lachtest du des unsern und bereitetest den deinen, daß du uns ernährest zu rechter Zeit, daß deine Hand du aufthuest und unsere Seelen erfüllest mit deinen segnenden Gaben.


XV.

Inzwischen mehrten meine Sünden sich. Und da Sie, ein Hinderniß gegen meine Vermählung, von meiner Seite gerißen wurde, mit welcher ich mein Lager zu theilen gewöhnt war, wurde mein ihr anhängliches Herz getroffen, verwundert und wollte in Schmerzen verbluten. Sie aber war nach Afrika zurückgekehrt und hatte dir gelobt, nie mehr von einem andern Manne zu wißen. Mir wurde von ihr ein natürlicher Sohn zurückgelassen. Ich Elender aber konnte nicht einmal eines Weibes Nachahmer werden, und den Aufschub nicht ertragen, durch welchen ich die Verlobte erst nach zwei Jahren heimführen sollte; denn ich war nicht ein Freund der Ehe, ein Knecht der Lust war ich; und so nahm ich eine Andere zu mir, ohne sie zum Weibe zu nehmen. Nicht wurde diese neue Wunde geheilt, wie die erste, deren Gift ausgeschnitten wurde, sondern nach Brand und Qal ging sie in Fäulnis über, schmerzte gleichsam kühler, aber hoffnungsloser.


XVI.

[138] Dir sei Preis, dir sei Ehre, du Quell der Erbarmungen! Elender ward ich, da kamst du näher! Schon nahte sich mehr und mehr deine Rechte, mich aus dem Pfuhle zu reizen und mich zu reinigen, und ich wußte nicht davon. Nichts hielt mich vom tiefern Abgrund der fleischlichen Lust zurück, als Furcht vor dem Tode und vor dem Gerichte, die auch bei meinen wechselnden Meinungen nie aus meiner Brust verschwand. In dieser Furcht besprach ich mit meinen Freunden Alypius und Nebridius über das höchste Gut und das größte Uebel, und hätte dabei dem griechischen Philosophen Epikur, der im Vergnügen das hüchste Gut fand, den Preis zuerkannt, wenn ich nicht an ein anderes Leben und an eine Vergeltung nach dem Tode gedacht hätte, was Epikur läugnete. Da stellte ich die Frage auf, ob wir denn nicht glückselig wären und noch etwas zu wünschen hätten, wenn wir, ohne je zu sterben, in beständiger Sinnenlust, sonder Furcht vor ihrem Verluste, lebten. Nicht wußte ich, wie das meines Elendes Elend war, da ich zu versunken und zu verblendet war für die Gedanken an das Licht der Tugend, an eine um ihrer selbst willen zu umfassende reine Schönheit, die kein leibliches Auge schaut, da sie sich offenbart im Innersten der Seele. Aus der Liebe himmlischem Born quillt auch die Freundesliebe, aber nur im Befleckenden uns gefallend, erkannten wir ihr Edles nicht. Nicht konnte ich ohne Freunde glücklich, selbst nach der Besinnung sein, die mich damals in jeden Strom sinnlicher Lüfte riß; und ich liebte führwahr diese Freunde ohne Nutzen, und wußte, daß ich von ihnen auch ohne Nutzen geliebt wurde. O über den schlangengleich sich windenden Weg! Weh dem frechen Gemüthe, das da hofft, es werde etwas Besseres besitzen, wenn es von dir gewichen sei. Mag[139] es sich wenden und drehen, rückwärts, zur Seite oder vorwärts, überall findet es nur den rauhen Weg seines Elends. Du allein bist die Ruhe; und siehe, da bist du und machst uns frei von den kläglichen Irrthümern, setzest uns in dein Leben ein, und richtest uns auf mit dem trötzlichen Wort: »Voran! Ich will euch tragen; will es ausführen, da ich euch trage.«[140]

Quelle:
Augustinus: Die Bekenntnisse. Stuttgart 41863, S. 113-141.
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