|
[27] Mir bricht das Herz um meine Jugendzeit,
Wo ich die Sünde liebte, weil sie Sünde,
Wo ich nur dunkle Todeswege finde;
Ich hatte lachend ihnen mich geweiht.
Wagt ihr ihn auch, den frühentbrannten Streit,
Im unheilvollen Wirbeltanz der Winde,
Im Schwärmen um die nachtumwölkten Gründe,
Und lacht ihr mein, als säh' ich euch zu weit?
Ich lachte so bei meiner Mutter Mahnen.
Durch ihre Stimme riefst du Herr zu mir,
Sanft wie im Lied aus lichten Engelplanen.
Nie sahst du still auf meine Sündengier,
Dann schrie dein Donner mich aus meinen Bahnen –
Dein bin ich endlich, und mir graut vor mir![27]
Ich will beherzigen meine verübten Befleckungen und die fleischlichen Verderbnisse meiner Seele, nicht weil ich sie liebe, sondern damit ich dich liebe, mein Gott. Aus Liebe zu deiner Liebe thue ich das, und durchgehe meine schändlichen Wege in der Bitterkeit meiner Selbstprüfung, daß du mir süße werdest, o Süßigkeit, die nicht trügt, Süßigkeit, die Glück und Trieben bringt; daß du sammelst mich von meiner Zerstreutheit, in der ich stückweise zerrißen wurde, da ich abgewandt von dir, dem Einzigen, mich verflüchtigte in Vieles. Gierig wollte ich, ein Jüngling, einst mich sättigen an dem, das drunten ist; in meinen unsteten Neigungen wagte ich in's Holz zu schießen, wie eine nicht beschnitte Rede. Und meine Gestalt zerfiel, und faul ward ich vor deinen Augen, mir selbst gefallend, und den Augen der Menschen gefallen stehend.
Und was war es, das mich ergötzte, als nur Lieben und Geliebtwerden? Aber nicht blieb es bei der Liebe der Seele zur Seele, dieser Lichtschwelle der wahren Zuneigung; es stiegen Nebel aus dem Schlamm meiner Begierden, aus dem Aufbrausen meiner Jugend; die umwölkten und umnachteten mein Herz, bis sich die Heiterkeit der Liebe nicht mehr von der Nacht der sinnlichen Begierde unterscheiden ließ. Beides gohr unter einander, riß das schwache Jugendalter durch die jähren Tiefen der Lüfte und tauchte es in den Pfuhl der Laster. Ueber mir sammelte sich dein Zorn und ich sah es nicht. Betäubt[29] ward ich von dem Kettenklirren meiner sterblichen Natur, von der Strafe des Stolzes meiner Seele. Immer weiter gieng ich von dir und du ließest es zu. Ich wurde gefällt und ausgegoßen, ich zerfloß und wallte auf in meinen Wollüsten, und du schwiegest! O wie wurdest du meine Freue! Damals schwiegest du, und ich gieng so weit, weit weg von dir, tiefer immer tiefer in die Unkrautsaat voll aufwuchernder Schmerzen, voll übermüthiger Verworfenheit und ruheloser Erschaffung. Wer mochte damals mildern mein Elend, zu meinem Nutzen wandeln des Neuen flüchtige Schönheit, und Gränzen setzten ihren Lockungen? Man hätte es vermocht, wenn man zum Ufer der Ehe die Wogen meiner Jugend hätte wallen laßen, da in ihnen keine Ruhe war; der Ehe, die sich genügen läßt mit dem Zwecke der Fortpflanzungen, wie dein Gesetz es gebeut, o Herr, der du auch den Sprößling unserer Sterblichkeit bildest und deine milde Hand lindernd kannst auf die Stacheln legen, die ausgeschloßen sind von deinem Paradiese! Denn nicht fern von uns ist deine Allmacht, auch wenn wir ferne sind von dir. – Oder hätte ich nur aufmerksamer beachtet deiner Stimme Wolkenschall: »Es werden Solche leibliche Trübsal haben. Ich verschonte aber eurer gerne.« (1. Cor. 7, 18.) Und: »Es ist Menschen gut, daß er kein Weib berührte.« (1. Cor. 7, 1. ) Und: »Wer ledig ist, der folgt, was dem Herrn angehört, wie er dem Herrn gefalle. Wer aber freiet, was der Welt angehört, wie er dem Weibe gefalle.« (1. Cor. 7, 32.) Hätte ich wachsamer dieser Stimme gehorcht, von der Sinnenlust abgeschnitten für dein Himmelreich hätte ich seliger dein Umfangen erwartet! Aber hilflos brauste ich auf, und folgend dem Drang meiner Wogen, verließ ich dich! Alles überschnitt ich, was dein Gesetz bestimmt, und entrann deiner Geißel nicht. Denn wer der Sterblichen entrinnt ihr? Du warst immer da mit deinem erbarmenden[30] Eifer und trafest mit harten Stößen alle meine unerlaubten Freuden, damit ich suche, mich ohne Stöße zu vergnügen, wo ich, hätte ich's vermocht, nichts gefunden als nur dich, o Herr, nur dich, der du den Schmerz legst in dein Gesetz, der du verwundest, um zu heilen, und uns tödtest, damit wir dir nicht sterben. – Wo war ich, wie weit entfernt von den Wonnen deines Hauses, in jenem sechszehnten Jahre meines leiblichen Lebens, da über mich der Wollust Raserei das Zepter schwang und ich ihr ganz die Hände bot, die da erlaubt wird von der Schändlichkeit der Menschen, und verboten durch deine Gebote! Aber die Meinigen sorgten nicht dafür, mich durch ein eheliches Bündnis vor dem Versinken zu bewahren, es war ihnen nur darum zu thun, daß ich eine Rede setzen lernte, so gut, so überredend als möglich.
In jenem Jahre waren meine Studien unterbrochen worden. Von Madaura, in welcher Nachbarstadt ich den ersten Unterricht in Wißenschaft und Beredsamkeit empfangen, ward ich zurückgenommen, und man traf die Vorbereitungen zu einem längeren Aufenthalte in Karthago, wozu mehr meines Vaters Uebermuth, als seine Mittel halfen, da er ein sehr geringer Bürger von Tagastä war. Wem erzähl' ich dies? Nicht dir, mein Gott, aber vor dir erzähl' ich es meinem Geschlechte, wie ein kleiner Theil von ihm auch diese Schrift betrachte; ich erzähl' es ihm, damit ich und jeder Leser bedenke, aus welchen Tiefen man rufen muß zu dir. Und doch was ist näher als dein Ohr, wenn ein Herz seine Schuld bekennt und ein Leben im Glauben erwacht? Aber wer erhob nicht mit Lob meinen menschlichen Vater, daß er über sein Vermögen auf den Sohn wendete, selbst wenn diesen seine Studien lange Zeit in der Ferne hielten?[31] Denn viele weit bemitteltere Bürger machten keinen solchen Aufwand für ihre Kinder. Meinen Vater aber kümmerte nicht, wie ich dir entgegenreifte und wie ich war, wenn ich ihm nur sprachgewandt wurde; und doch in Schmach gewandt von deinem Dienst, o Gott, du einziger, wahrer gütiger Herr meines Herzens, deines Ackers! – Als ich in jenem sechszehnten Jahre, der häuslichen Vorbereitungen wegen, müßige Zeit hatte, von der Schule feierte und bei den Aeltern war, da drangen aus meinem Haupt die Dornen der Wollüste, und keine Hand raufte sie aus. Ja, als Jener, der mein Vater war, mich einst im Bade als üppig reifenden Jüngling sah, sagte er es freudig meiner Mutter, als wollte er sich schon auf Enkel freuen, in jener Trunkenheit, in der eine Welt dich ihren Schöpfer vergaß und die Kreatur statt deiner liebte, hingegeben in ihrer Herzen unreine Gelüste. Jeremia 51, 7. – Römer 1, 24. Aber in meiner Mutter Brust hattest du schon deinen Tempel, den Aufbau deiner heiligen Wohnung begonnen, der Vater war seit Kurzem erst Katechumene. Die Mutter aber bebte auf in Furcht und Zittern, für mich fürchtend die Irrwege des Verderbens, ob ich gleich noch kein getaufte Christ war, die Irrwege, auf welchen Alle wandeln, die den Rücken zukehren und nicht das Angesicht. Weh mir, und ich wage es, zu klagen, daß du, mein Gott, geschwiegen habest, da ich noch weiter mich von dir entfernte? Der frommen Mutter Worte, wessen waren sie als dein? Du sangest sie mir aus ihrem sanften Munde, und nichts davon drang in mein Herz. Sie mahnte, daß ich nie der Wolluft mich ergebe, nie entweihe der Ehe Band und noch weiß ich wohl, wie sie davon mit tiefem Gram mir sprach. Aber weibliche Mahnungen dünkten mich diese, denen zu gehorchen ich erröthen müßte. Die deinen waren es, und ich wußte es nicht. Ich glaubte, du schweigest, jene rede, durch die du mir nicht schwiegest,[32] in der du von mir, ihrem Sohne verachtet wurdest, dem Sohne deiner Magd, deinem Knecht. Ich wußte es nicht und stürzte dem Abgrund zu mit einer Blindheit, in der ich kleiner Schädlichkeit, als die Genoßen sie begiengen, mich geschämt hätte, sobald ich hörte, daß sie mit ihren Zügellosigkeiten sich etwas wußten, und um so mehr mit ihnen prahlten, je schändlicher sie waren. So hat mich nicht nur die Begierde nach der That, mich hat auch dem Lobe verführt. Was ist des Tadels werth, wenn nicht das Laster? Um dem Tadel zu entgehen, wurde ich lasterhafter. Wenn ich nicht begangen, was den Verworfenen mich ähnlich machte, so gab ich vor, es begangen zu haben, um nicht desto verächtlicher zu erscheinen, je unschuldiger ich war, und nicht für desto geringer gehalten zu werden, je reiner ich lebte. Siehe, mit welchen Gesellen ich durch Babylons Straßen zog und mich in ihrem Koth wälzte, als wären es die herrlichsten Würzen. In ihrer Mitte war's, da traf mich der unsichtbare Feind, daß ich mich fester nur anhieng, und er verführte mich, weil ich verführbar war. Zur Keuschheit mahnte die Mutter mich, die schon aus Babylons Mitte geflohen war, aber auf ihren übrigen Wegen noch zu langsam gieng, denn was sie durch ihren Gatten über mich gehört hatte, dünkte ihr schon verführbar und Gefahr drohend. Doch sie sorgte nicht, in die Schranken eheliche Neigung das zu leiten, was nicht mehr zu vertilgen war. Sie sorgte nicht dafür, aus Furcht, vereiteln möchte der Ehe Feßel ihre Hoffnung. Die Hoffnung nicht, die sie auf dich setzte und auf die das zu sehr von mir beide Eltern wünschten; der Vater, weil er über dich so viel als nichts, über mich nur Nichtswürdiges dachte, die Mutter in dem Wahne, dieß Wißen schade nicht, helfe vielmehr nur zu dir. So vermuthe ich, indem ich so gut[33] ich kann, den Charakter der Eltern bedenke. Auch zum Spiel erhielt ich zügellose Freiheit, und zerstreute mich maßlos in den buntesten Neigungen. Nacht war in allen meinen Neigungen, die verschloß mir, o Gott, den heitern Tag deiner Wahrheit, Und wie auf fettem Boden sproßte meine Ungerechtigkeit auf.
Herr, den Diebstahl straft dein Gesetz, und das Gesetz, das geschrieben steht in den Menschenherzen, wo es selbst die Ungerechtigkeit nicht austilgt. Denn welcher Dieb erträgt den Dieb an ihm mit Gleichmuth? Nicht einmal der Reiche den durch Mangel dazu getriebenen. Und ich wollte stehlen und stahl, von keiner Noth und keinem Mangel getrieben, that es aus Widerwillen gegen die Gerechtigkeit, und aus Gier nach Ungerechtigkeit. Denn ich stahl, was ich im Ueberfluß und weit beßer besaß. Ich wollte nicht dessen froh werden, was ich durch den Diebstahl erlangte, nein, des Diebstahls und der Sünde selbst. – Es stund ein Birnbaum in der Nähe unseres Weinbergs, von Früchten schwer, die aber weder durch Schönheit reizten noch durch Wohlgeschmack. Um ihn zu plündern, machten wir verderbten Buben uns auf in später Nacht, denn so lange wurden die Spiele auf den Spielplätzen, nach der verderblichen Sitte, von uns fortgesetzt. Große Menge nahmen wir dem Baume, nicht um damit unser Mahl zu halten, wir warfen sie den Schweinen vor und kosteten nur Weniges davon. Das thaten wir, weil uns nach dem Unerlaubten gelüstete. Sieh mein Herz an, denn du hast dich sein erbarmt, da es in des Abgrunds Tiefen lag. Was es dort suchte, sage dir jetzt mein Herz: nicht Anderes, als ohne Zweck böse zu sein, damit die Ursache meiner Bosheit nur die Bosheit wäre. So schändlich sie war, ich liebte sie,[34] liebte verloren zu gehen, den Abfall liebte ich, nicht das, worein ich fiel. Schändlich stürzte meine Seele sich von deiner Himmelsfeste in des Verderbens Tiefen; nicht durch Schande irgend etwas, nur die Schande selbst begehrend.
Körperliche Schönheit reizt unsere Sinne und zwar jeden nach der Art seiner Empfänglichkeit; so der Schmuck von Gold und Silber, so das schöne Ebenmaaß der Glieder. Ebenso haben weltliche Ehre, Macht und Gewalt, und der Trieb nach Freiheit aus Sklavenbanden ihre Reize; aber bei all diesem dürfen wir nicht von dir und deinen Gesetzen weichen. Auch unser irdisches Leben ist um seiner selbst willen liebreizend und eint sich mit jenem niedrigern Schönen der Erde. Süß ist uns das teure Band der Zuneigung, das viele Seelen in Uebereinstimmung bringt. Doch Sünde wird alles, wenn man, in zügelloser Lust nach den niedrigern Gütern, die beßern und die höchsten, dich unsern Herrn und unsern Gott, und dein Gesetz und deine Wahrheit verläßt. Wohl hat auch dieß Niedere seine Freude, nicht aber wie mein Gott sie hat, der alles schuf, da in ihm selbst erfreut wird der Gerechte, da er selbst die Wonne tugendhafter Herzen ist. Fragt man nach der Ursache eines Verbrechens, so sucht man sie nur in der Begierde nach jenen niedrigen Gütern, oder in der Furcht vor ihrem Verluste. Wie schön und lockend sie auch sind, vor jenen höhern, seligen Gütern sind sie schlecht und ohne Werth. Und wo finden wir bei der Menschen Sünden jene Ursachen nicht? Jemand beging einen Mord. Warum wohl? Er liebte des Ermordeten Weib oder Gut; er wollte rauben um zu leben; fürchtete Schaden von dem, den er erschlug; oder dürstete beleidigt nach Rache. Wer möchte glauben, daß er ohne solchem Grund den Mord[35] verübte, nur um am Morde selbst sich zu erfreuen? Von Catilina, dem Unsinnigen, höchst grausamen Menschen, der sich mit den Genoßen seiner Laster zum Untergange seiner Vaterstadt Rom verschwor, wird zwar erzählt, er sei, ohne etwas darin zu suchen, böse und grausam gewesen. Aber doch wurde von de Erzähler seiner Verbrechen als ihre Ursache angegeben, er habe nicht gewollt, daß ihm in der Unthätigkeit Hand und Muth erschlaffe. Er begieng doch nur sein Verbrechen, um durch Eroberung der Stadt Ehre, Gewalt und Reichthum zu erlangen, damit er, dessen Vermögen zerrüttet, dessen Gewissen von Verbrechen belastet war, Gesetz und Noth nicht mehr zu fürchten brauche. So liebte selbst ein Catilina seine Verbrechen nicht, sondern etwas Anderes, das ihn erst in sie stürzte.
Was liebte ich Erbärmlicher nun an meinem Diebstahl? Schön war er nicht, wie könnte das ein Diebstahl sein? Schön waren jene Früchte, die wir raubten, weil sie von dir geschaffen waren, du schönster von Allen, du guter Gott, du höchstes, du mein wahres Gut. Aber nicht sie verlangte meine erbärmliche Seele; ich hatte eine Menge beßerer, und pflückte jene nur, um zu stehlen. Ich warf sie weg, und die Speise, die mich ergötzte, war nur die Sünde selbst. Und wenn ich auch etwas davon kostete, so wurde es durch meine Sünde gewürzt. Ich finde den ergötzenden Gegenstand nicht, der mich zu jener Schandthat verführt hätte. Und doch, wo fehlte je der ergötzende Reiz? Er bietet sich freilich allem Menschlichen entgegen, aber ganz anders der Mäßigkeit und Klugheit, dem Scharfsinn, der Erinnerung, den Sinnen selber und unserer Lebenslust. Droben liegt er in der hohen Pracht der Gestirne, er liegt in der Erde und Meer, die so voll von keimendem Leben sind, das an die[36] Stelle alles sterbenden tritt. Aber nicht einmal jenen Reiz empfand ich, jenen ärmlichen, heimlichen, der auch den trüglichen Lastern nicht fehlt. Der Stolz will die Hoheit nachahmen, während du, alleiniger Gott, über alles erhaben bist. Die Ehrsucht sucht de Ruhm und den Glanz, und du vor Allen bist einzig verehrungswürdig und ruhmreich in Ewigkeit. Die strenge Macht will gefürchtet sein, aber wer ist zu fürchten, als der alleinige Gott, dessen Macht nichts kann entzogen werden? Der liebkosende Muthwillen will geliebt sein, doch nichts ist liebkosender als deine Huld; und zuträglicher wird nichts geliebt, als deine vor Allem reizende, leuchtende Wahrheit. Die Neugier äfft die Wißbegierde nach, während du Alles am besten weißest. Unwissenheit und Thorheit geben sich den Namen der Unschuld und Unschändlichkeit, und doch ist Niemand unschuldiger als du, und Niemand unschändlicher, während der Bösen Thaten ihre Feinde sind. Für Seelenruhe will die Trägheit gelten, und wo ist wahre Ruhe, als in Gott? Die Schwelgerei will Reichlichkeit und Fülle heißen, du aber bist der nie abnehmende Reichthum und die nie verletzte Wonne. Freigebigkeit will die Verschwendung scheinen, aber du bist der reichliche Geber alles Guten. Vieles möchte die Habsucht, und d hast Alles. Um Vorzüge zankt sich die Scheelsucht, und wer ist vorzüglicher als du? Rache sucht der Zorn, wer rächt gerechter als du? Die Furcht bebt vor dem, das ungewöhnt und überraschend über das kommt, was wir lieben, und will für Sicherheit sorgen; aber was kommt dir ungewöhnt und überraschend? Wer trennt von dir denn, was du liebst? Wo als bei dir ist wahre Sicherheit? Die Traurigkeit verzehrt uns, wenn wir verloren haben, was uns freute, und sie sich nicht darein ergibt; aber dich kann nichts genommen werden. So schweift die Seele aus, wenn sie von dir sich abwendet, wenn sie außer dir sucht, was sie[37] nur rein und klar findet, wenn sie wieder zurückkehrt zu dir. Verkehrt ahmen dich Alle nach, welche sich weit von dir entfernen und sich wider dich erheben. Aber selbst durch solche Nachahmung zeigen sie an, daß du der Schöpfer aller Natur bist und es unmöglich ist, sich ganz von dir zu wenden. – Was liebte nur ich an jenem Diebstahl, in was ahmte ich darin, wenn auch verkehrt und sündig, meinem Gott nach? Wollte ich darum handeln wider dein Gesetz, damit ich die den Beschränkten fehlende Freiheit nachahme, vergebens freilich, da es mir an Macht gebrach? Wollte ich in der ungestraften Ausübung des Verbotenen ein Asterbild deiner Allmacht zeigen?
Ziehe, das ist der Knecht, der seinen Herrn verließ und einem Schatten folgte. O du faulendes Scheusal aus Tod und Leben! Konnte dich gelüsten nach Unerlaubtem, nur eben weil es nicht erlaubt war? Was kann ich meinem Gott dafür geben, daß mein Gedächtniß dieß heraufruft und meine Seele nicht davon mit Furcht erfüllt wird? Lieben will ich dich, Herr, danken dir und deinem Namen bekennen, der du mir solche Sünde vergeben hast; denn wem dank ich's, als deiner Gnade und Erbarmung, daß du meine Sünden schmelztest wie das Eis? Ja ihr danke ich, was ich auch nicht an Bösem begieng, denn zu was wäre ich nicht fähig gewesen, der ich selbst eine zwecklose Schandthat liebte? Und nun, o Wonne, ist mir Alles vergeben, was ich nach meinem Willen Böses verübte und Alles, was ich nach deiner Führung nicht verübte. Wo ist der Mensch, der seine Schwachheit erkennen kann, und doch es wagt, der eigenen Kraft es zuzuschreiben, wenn er reiner blieb, nur um dich weniger zu lieben? Denn minder nöthig hält er für sich dein Erbarmen, mit dem du Allen ihre Schuld vergibst,[38] die sich zu dir bekehren. Und wer von dir berufen wird und deinem Rufe folgt, wer das vermied, was er hier von mir liest, und was ich selbst von mir bekenne, er lache mein nicht, daß mich derselbe Arzt von meiner Krankheit heilte, den ihn vor ihr bewahrte oder bewirkte, daß er weniger erkrankte. Er soll dich ebenso, ja mehr noch lieben, wenn er von so großer Sündenkrankheit mich geheilt sieht durch den, der ihn selbst davor bewahrt hat.
Was hatte ich Elender einst für Frucht von dem, das mich jetzt erröthen macht, von jenem Diebstahl zunächst, in welchem ich nur den Diebstahl liebte, was für Frucht, als daß er nichts bot und ich durch ihn nur elender wurde? Und doch hätt' ich es allein nicht gethan, so weit erinnere ich mich des damaligen Zustandes meiner Seele. So liebte ich dabei auch die Gesellschaft der Sünder, mit welchen ich es that, den Diebstahl nicht allein? Wahrlich nichts anderes als ihn, und war doch nichts an ihm. Lehre mich, Herr, der du mein Herz erleuchtest und zerstreuest seine Schatten! Hätte ich begehrt der entwendeten Früchte und gewünscht, sie zu genießen, so hätte ich auch allein die Sünde zu begehn vermocht, durch die ich zu meinem Vergnügen gelangt wäre, ohne daß ich durch die Reizung der Gemüther meiner Mitwißer meine Begierde noch mehr zu entzünden brauchte. Aber weil ich nicht Lust zu den Früchten hatte, so hatte ich sie zur Sünde selbst, die der Mitsünder Gesellschaft nur zugleich begieng.
O über meine schändliche Begierde, und weh mir, daß ich sie hatte! Was war sie doch, noch ergründete ich sie nicht,[39] wer erkennt die Sünden? Das Lachen war sie, mit dem wir, gekitzelten Herzens, diejenigen hintergingen, die uns ein Solches nicht zutrauten, und sich darüber ärgerten. Ergötzte ich mich nun darum am gemeinschaftlichen Begehen, weil Niemand leicht allein lacht? Nicht leicht wohl Jemand; überwältigt auch einsame Menschen das Lachen ohne Zeugen, sobald ihnen etwas gar zu Lächerliches aufstößt. Aber, wäre ich allein gewesen, so hätte ich's gar nicht verübt. Vor dir, o Gott, ist die lebendige Erinnerung meiner Seele! Ich hätte, allein stehend, diesen Diebstahl nicht begangen, bei dem wir nicht das Gestohlene, nur das Stehlen gefiel, dessen einsame Ausübung mich nicht erfreut hätte. O höchst feindliche Freundschaft, Verführung des Herzens, aus Spiel und Scherz unerklärlich hervorbrechende Lust zu verletzen, Gelüste nach fremden Verluste, von keiner Gewinnsucht noch Rachgier getrieben, sondern, da gesagt wird: »Laßet uns gehen, und es thun, es ist Schande nicht schandbar zu sein.«
Wer wird diese so verworrene und verwickelte Verknotung lösen? Sie ist so häßlich, ich will mich nicht mehr nach ihr kehren, will sie nimmer sehen. Dich will ich, Gerechtigkeit und Reinheit, die du schön bist und geschmückt mit heiligen Lichtern voll nie ersättlicher Sättigung. Bei dir ist Ruhe und nie getrübtes Leben. Wer in dich eingeht, geht in die Freude seines Herrn ein, nichts wird er fürchten, wird sich am Besten befinden im Besten. Von dir verlief ich mich und weit irrte ich von meiner Stütze weg in meiner Jugend, mir selbst ein Land des Darbens werdend.[40]
Ausgewählte Ausgaben von
Bekenntnisse
|
Buchempfehlung
Karls gealterte Jugendfreundin Helene, die zwischenzeitlich steinreich verwitwet ist, schreibt ihm vom Tod des gemeinsamen Jugendfreundes Velten. Sie treffen sich und erinnern sich - auf auf Veltens Sterbebett sitzend - lange vergangener Tage.
150 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro