[652] 20. vidhir va dhâraṇavat
oder eine Vorschrift, wie beim Tragen.

Oder auch man kann annehmen, dass in Betreff jenes andern Lebensstadiums sogar eine Vorschrift vorliegt, und nicht eine blosse Erwähnung. – ›Aber würde nicht bei der Annahme, dass eine Vorschrift vorliege, | die einheitliche Auffassung der Stelle verloren gehen, da doch die Einheit der Stelle ersichtlich ist, und [nicht in einer Vorschrift, sondern] in dem Gedanken besteht, dass die drei Abteilungen der Pflicht als Frucht die Welt der guten Werke, das Feststehen in Brahman hingegen als Frucht die Unsterblichkeit bringe?‹ – Das ist wahr! aber gleichwohl muss man die anerkannte Auffassung der Stelle als eine Einheit beiseite lassen und eine Vorschrift hier zugeben. Da nämlich bisher eine Vorschrift darüber nicht vorkam, da ferner eine andere Vorschrift hier nicht zu finden ist, und da die Annahme, dass von dem andern Lebensstadium die Rede sei, evident ist, so liegt kein Grund vor, an eine blosse uneigentliche Erklärung (guṇavâda) zu denken und dadurch die Einheit der Stelle aufrecht zu halten; »wie bei dem Tragen«; d.h. wie in der Stelle: »er komme heran, indem er das Brennholz unterwärts trägt, denn oberwärts trägt man es nur für die Götter«, allerdings[652] die Einheit der Stelle in dem Tragen nach unterwärts liegt, und gleichwohl dabei eine Vorschrift über das Tragen nach oben hin mit einfliesst, und zwar, weil eine solche vorher nicht da war. Und so heisst es in dem Buche von dem Zubehör (Jaim. 3): »vielmehr eine Vorschrift | liegt in dem Tragen, weil eine solche bisher nicht da war« (Jaim. 3, 4, 3 unwörtlich.) In ähnlicher Weise ist auch hier, wiewohl die Schriftstelle die Lebensstadien nur erwähnt, die Annahme einer Vorschrift in der Ordnung. Und zugegeben, dass hierbei die übrigen Lebensstadien nur erwähnt werden, so ist doch in Betreff des Feststehens in Brahman wegen der Anpreisung desselben unweigerlich eine Vorschrift desselben zu erkennen. Nun fragt sich in Betreff dieses Feststehens, ob dasselbe auf jedes beliebige der vier Lebensstadien zu beziehen ist, oder nur auf dasjenige des Pilgers [d.h. des Parivrâjaka, Bhikshu, Saṃnyâsin]. Wäre nun unter der Erwähnung der Lebensstadien bis zu dem der Brahmanenschülerschaft hin das Stadium des Pilgers schon mit erwähnt, so würde, weil bereits alle vier Lebensstadien ohne Ausnahme erwähnt worden, ein Leben ausserhalb der Lebensstadien aber nicht statthaft ist, das Feststehen in Brahman auf jedes der vier Lebensstadien zu beziehen sein. | Nun aber liegt die Sache so, dass der Pilger bisher nicht erwähnt wurde, und hieraus folgt, dass der Pilger, weil nur er noch übrig bleibt, unter dem in Brahman Feststehenden zu verstehen ist. Einige freilich meinen, dass unter dem Worte »Busse«, welches sich auf den Waldeinsiedler bezieht, der Pilger mit befasst sei; aber dieses ist unzulässig; denn es ziemt sich nicht, wo ein anderer Ausweg vorhanden ist, unter dem Merkmale des Vânaprastha den Pilger mit zu begreifen; vielmehr ebenso wie hier der Brahmanenschüler und der Hausvater jeder für sich durch das ihnen eigene, nicht gemeinsame Merkmal charakterisiert werden, ebenso muss man es in Bezug auf den Bettler [Bhikshu, d.h. den Pilger, oder Saṃnyâsin] und den Waldeinsiedler [d.h. den Vânaprastha] annehmen. Die »Busse« nämlich ist ein Merkmal, welches diesen beiden nicht gemeinschaftlich ist; denn bei dem Vânaprastha, dessen Hauptpflicht die Kasteiung des Leibes ist, hat das Wort Busse seine natürliche Richtigkeit; der Bettler hingegen hat als Hauptpflicht die Bezähmung der Sinne u.s.w., daher er nicht durch das Wort Busse bezeichnet werden kann. Hierzu kommt, dass die Lebensstadien in der Vierzahl bestehen, und dass es unpassend sein würde, sie unter einer Dreizahl zu befassen. Auch liegt ja eine Bezeichnung der Verschiedenheit vor, indem es heisst, dass jene drei die Welt der guten Werke erben, der eine aber die Unsterblichkeit erbt (Chând. 2, 23, 2.) Diese Unterscheidung ist nur unter Voraussetzung einer wirklichen Getrenntheit statthaft. | Denn es kann doch nicht so stehen, dass Devadatta und Yajñadatta beide unbegabt sind, und trotzdem der eine von ihnen hochbegabt ist; sondern[653] vielmehr es steht so, dass Devadatta und Yajñadatta unbegabt, ein dritter hingegen, z.B. Vishṇumitra, hochbegabt ist. Somit folgt, dass die drei ersten Lebensstadien die Welt der guten Werke erben, der noch übrige hingegen, mithin der Pilger, die Unsterblichkeit erbt. – ›Aber wie kann man zugeben, dass die Bezeichnung des Feststehens in Brahman, welches, in etymologischem Sinne (yoga) genommen, überall möglich ist, nur von dem Pilger gelten soll? Oder soll man etwa der traditionellen Bedeutung des Wortes (rûḍhi) den Vorzug geben? Dann würde also schon durch das blosse Lebensstadium die Unsterblichkeit erlangt, und folglich das Wissen überflüssig werden!‹ – Hierauf ist zu erwidern: unter dem Worte »in Brahman feststehend« ist zu verstehen die Vollendung in dem Brahman, das Beharren in demselben, welches seiner Natur nach jedes andere Treiben ausschliesst. Ein solches ist nun bei den drei ersten Lebensstadien nicht möglich; denn wer in ihnen die dem Lebensstadium obliegenden Pflichten nicht betreibt, dem droht die Schrift mit Niedergang [in der Seelenwanderung]; der Pilger hingegen hat alle Werke von sich abgethan; bei ihm ist der Niedergang als Folge der Nichtbetreibung nicht möglich; die ihm eigenen Verpflichtungen hingegen der Gemütsruhe, Bezähmung u.s.w. bestärken das Feststehen in Brahman und widerstreiten ihm nicht; denn eben das Feststehen in Brahman, wie es durch Gemütsruhe, Bezähmung u.s.w. erstarkt, | ist das für sein Lebensstadium vorgeschriebene Werk, so wie Opfern u.s.w. das Werk der übrigen Lebensstadien ist, aus dessen Vernachlässigung der Niedergang folgt. In diesem Sinne sagt auch die Schrift: »die Verzichtung (nyâsa) ist der Brahmán, denn der Brahmán ist der höchste, ja der höchste ist der Brahmán; fürwahr jene niederen Büssungen werden überragt von der Verzichtung« (Taitt. âr. 10, 62); – »wer des Vedânta Inhalt wohl begriffen, wer der Verzichtung teilhaft ist, Selbstzähmer, reinen Wesens« (Taitt. âr. 10, 10, 3 = Muṇḍ. 3, 2, 6.) Und auch die Smṛiti sagt: »wer ihn erkannt, in ihm sein Selbst hat, feststeht in ihm, in ihm das höchste Ziel sieht« (Bhag. G. 5, 17.) Diese und andere Stellen beweisen, dass für den in Brahman Feststehenden kein Werk mehr existiert. | Hieraus folgt, dass der Einwand, als sei die Erkenntnis überflüssig, weil der Pilger schon durch sein blosses Lebensstadium in die Unsterblichkeit gelange, unzutreffend ist. In dieser Weise also muss man, während daneben auch die übrigen Lebensstadien erwähnt werden, das Merkmal des Feststehens in Brahman auf das Stadium des Pilgers beziehen. – Diese Betrachtung ist von dem Lehrer durchgeführt worden, ohne dass er von der Schriftstelle der Jâbâla's, welche jenes weitere Lebensstadium befiehlt, Gebrauch gemacht hätte. Es ist aber selbige Schriftstelle vorhanden, welche deutlich jenes weitere Lebensstadium vorschreibt, denn es heisst: »nachdem er die Brahmanenschülerschaft vollendet hat, soll er ein[654] Hausvater werden; nachdem er Hausvater gewesen, soll er Waldbewohner werden; nachdem er Waldbewohner gewesen, soll er umherpilgern; oder auch er mag in anderer Weise schon aus der Schülerschaft zum Pilger werden, oder aus dem Hause oder aus dem Walde« (Jâbâla-Up. p. 444-445.) Man kann nicht behaupten, dass diese Schriftstelle nur für die von der Verpflichtung Entbundenen gelte, denn sie spricht, ohne einen Unterschied zu machen, während doch für jene Nichtverpflichteten besondere Vorschriften bestehen; | denn wenn es heisst: »dann aber mag er ein Gelübde befolgen oder nicht befolgen, mag er das Bad des Austrittes aus der Schülerschaft genommen haben oder nicht genommen haben, mag er erloschenen Feuers oder ohne Feuer leben« (Jâbâla-Up. p. 444), so ist hieraus, sowie aus dem Umstande, dass die Pilgerschaft als Bestandteil (a ga) die Reifung der Erkenntnis des Brahman hat, keineswegs zu folgern, dass sie sich nur auf die von der Verpflichtung Entbundenen beziehe. Und dieses beweist die Schrift, wenn sie sagt: »aber der Pilger, farblosen Gewandes, kahlköpfig und unbeweibt, rein und ohne Trug, vom Bettel lebend, – dieser wird des Brahmanseins teilhaftig« (Jâbâla-Up. p. 452.) – Somit ist bewiesen, dass die Lebensstadien der Zeugungserhabenen von der Schrift geboten werden, und es ist bewiesen, dass das Wissen, weil es [auch wo keine Werke mehr gefordert werden] den Zeugungserhabenen vorgeschrieben bleibt, für sich selbständig besteht.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 652-655.
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