[237] 19. vâkya-anvayât
wegen des Zusammenhanges der Stelle.

Im Bṛihadâraṇyakam heisst es in dem Abschnitte von der Maitreyî (Bṛih. 2, 4, parallel mit 4, 5): »fürwahr, nicht um des Gatten[237] willen«, und wie es weiter geht, – »fürwahr nicht um des Weltalls willen ist das Weltall lieb, sondern um des Selbstes willen ist das Weltall lieb; das Selbst fürwahr soll man sehen, hören, verstehen und erforschen, o Maitreyî, wer das Selbst sieht, hört, versteht und erkennt, der weiss diese ganze Welt« (Bṛih. 2, 4, 5.) Hier kann man zweifeln, ob unter dem, was man sehen, hören u.s.w. soll, die individuelle Seele oder der höchste Âtman zu verstehen ist. Woher nun wieder dieser Zweifel? Weil, dem Eingange der Stelle zufolge, wegen des dort durch das Wort »lieb« gekennzeichneten | Selbstes als eines geniessenden, es scheinen kann, als werde damit auf die individuelle Seele hingewiesen; während hinwiderum darin, dass mit Erkenntnis des Selbstes alles erkannt sein soll, ein Hinweis auf den höchsten Âtman liegt.

Angenommen also, ›es handele sich um die individuelle Seele; warum? wegen des Einganges; denn wenn gleich im Eingange durch die Bemerkung, dass der Gatte, die Gattin, der Sohn, der Reichtum u.s.w., kurz dass die ganze als Objekt des Geniessens vorhandene Welt um des Selbstes willen lieb sei, das durch das Wort »lieb« als der [individuelle] Geniesser gekennzeichnete Selbst vorkommt, und hierauf sofort zu jenem Sehen u.s.w. des Selbstes aufgefordert wird, auf welches andere Selbst [als die individuelle Seele] könnte dieses sich beziehen? Ferner gegen die Mitte hin heisst es: »dieses grosse, endlose uferlose Wesen, aus reiner Erkenntnis bestehend, erhebt sich aus diesen Kreaturen und geht wiederum mit ihnen zu Grunde; nach dem Tode ist kein Bewusstsein« (Bṛih. 2, 4, 12); hier wird von eben jenem vorher erwähnten grossen Wesen, von dem es geheissen hatte, man solle es schauen, gesagt, dass es sich in Gestalt der individuellen Seele aus den Wesen erhebe, und hieraus folgt, dass es sich dabei nur um eine Aufforderung, die individuelle Seele zu schauen, handelte. Ebenso wenn es heisst: »wie sollte man doch den Erkenner erkennen« (Bṛih. 2, 4, 14), so beweist dieser Beschluss (lies: upasaṃharaṇaṃ) mit einem das Thätersein bezeichnenden Worte, dass hier nur die individuelle Seele gemeint ist, und dass man folglich den Satz, »durch Erkenntnis des Selbstes sei alles erkannt«, uneigentlich davon zu verstehen hat, dass alles als Objekt des Geniessens Vorhandene um des Geniessers willen da ist.‹

Auf diese Annahme erwidern wir, dass es vielmehr eine Hinweisung auf das höchste Selbst ist, welche hier vorliegt; warum? »wegen des Zusammenhanges der Stelle«. Nämlich wenn man den Zusammenhang der Stelle nach Früherem und Späterem erwägt, | so zeigt sich, dass ihre einzelnen Teile einen auf den Âtman bezüglichen Zusammenhang ergeben. Wir wollen zeigen in welcher Weise. Nachdem Yâjñavalkya erklärt hatte: »auf Unsterblichkeit aber ist keine Hoffnung durch Reichtum« (Bṛih. 2, 4, 2), so erwiderte Maitreyî; »wodurch ich nicht unsterblich werde, was soll[238] ich damit thun? teile mir lieber, o Herr, das Wissen mit, welches du besitzest« (Bṛih. 2, 4, 3); und nachdem sie durch diese Worte ihren Wunsch nach der Unsterblichkeit kund gegeben hat, so erteilt ihr darauf Yâjñavalkya die Belehrung über den Âtman. Es ist aber die Unsterblichkeit nicht anders zu erlangen als durch die Erkenntnis des höchsten Âtman, wie die Lehren sowohl der Schrift als auch der Smṛiti bekunden. Ferner, wenn es heisst, dass man durch Erkenntnis des Âtman alles erkannt habe, so kann dies in vollem Sinne nur von der Erkenntnis der höchsten Weltursache gelten; es ist aber nicht zulässig, sich damit zu helfen, dass man diese Stelle in uneigentlichem Sinne nimmt, weil sofort, nachdem in der Erkenntnis des Âtman die Erkenntnis von allem in Aussicht gestellt worden war, in dem nächstfolgenden Satze eben jene [höchste Weltursache] dargelegt wird in den Worten: »der Brahmanenstand schliesst den von sich aus, welcher den Brahmanenstand ausserhalb des Âtman weiss« u.s.w. (Bṛih. 2, 4, 6); d.h. wer die Welt, bestehend aus Brahmanen, Kriegern u.s.w., so ansieht, als habe sie ausserhalb des Âtman durch sich selbst ihre Existenz, der ist im Irrtum, und ihn schliesst eben die von ihm irrig aufgefasste Welt, bestehend aus Brahmanen, Kriegern u.s.w., von sich aus. Und nachdem hierdurch die Annahme einer Vielheit verboten, so folgen die Worte: »diese ganze Welt ist, was dieser Âtman ist« (Bṛih. 2, 4, 6), welche lehren, dass die ganze objektive Welt nicht ausserhalb des Âtman besteht. Und eben dieses ihr Inbegriffensein in dem Âtman wird weiter durch die Gleichnisse von der Trommel u.s.w. bestätigt. Auch wenn es weiter heisst: »aus diesem grossen Wesen ist ausgehaucht worden | der Ṛigveda« u.s.w. (Bṛih. 2, 4, 10 und 4, 5, 11), so wird hiermit der vorhererwähnte Âtman für die Ursache der Weltausbreitung in Namen [»der Ṛigveda« u.s.w.], Gestalten [»diese Welt« u.s.w., nur Bṛih. 4, 5, 11] und Werken [»was man opfert« u.s.w., nur Bṛih. 4, 5, 11] erklärt, und dies beweist, dass darunter nur der höchste Âtman verstanden werden kann. Ebenso wird weiter in der Stelle von dem Einigungsorte (Bṛih. 4, 5, 12-13) für den Einigungsort dieser Weltausbreitung mitsamt Objekten, Sinnen und Innenorgan dasjenige erklärt, was, »ohne Inneres und ohne Äusseres, durch und durch ganz aus Erkenntnisstoff besteht«, und auch dieses beweist, dass unter jenem [Selbste] nur der höchste Âtman gemeint sein kann. Somit folgt, dass die hier vorliegende Anleitung, zu sehen, zu hören u.s.w., sich auf den höchsten Âtman beziehen muss. Wenn hingegen behauptet wurde, dass diese Anleitung zu sehen u.s.w., weil mit der Kennzeichnung des Selbstes durch das Wort »lieb« begonnen worden war, sich auf den individuellen Âtman beziehen müsse, so antworten wir hierauf:

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 237-239.
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